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Der Progressionsvorbehalt steht exemplarisch für ein in Teilen überzogenes Bemühen der deutschen Gesetzgebung um Steuergerechtigkeit. Seine Einführung wurde nicht konsistent begründet, die Anwendung ist kompliziert. Dass Steuergerechtigkeit nicht erreicht wird, macht die unterschiedliche Behandlung von Kurzarbeitergeld und der Abgeltungsteuer unterliegendem Kapitaleinkommen deutlich.

Mit dem Kurzarbeitergeld sollen die Unternehmen in die Lage versetzt werden, sich über Kurzarbeit anstatt über Entlassungen an die zurückgehende Nachfrage anzupassen, und zugleich sollen die Lohneinbußen für die von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer teilweise kompensiert werden. Das Kurzarbeitergeld selbst ist steuerfrei, steht aber unter dem so genannten Progressionsvorbehalt. Das bedeutet, dass es bei der Ermittlung des Steuersatzes auf das zu versteuernde Einkommen diesem rechnerisch zugeschlagen wird. Dadurch steigt infolge des progressiven Einkommensteuertarifs der Steuersatz auf das zu versteuernde Einkommen. Vielen Empfängern von Kurzarbeitergeld drohen also erhebliche Steuernachzahlungen auf ihre (ohnehin gekürzten) Lohneinkommen. Dies hat starke Irritationen hervorgerufen. Aber auch unabhängig von diesem „Betriebsunfall“ gibt es gute Gründe, sich über den Sinn des Progressionsvorbehalts Gedanken zu machen. Dies gilt ganz besonders nach der Einführung der Abgeltungsteuer.

Gründe für eine Steuerbefreiung

Nach § 3 EStG ist eine ganze Reihe von Einnahmen,1 die für sich genommen grundsätzlich die Leistungsfähigkeit des Empfänger erhöhen, von der Einkommensbesteuerung befreit. Die Gründe dafür sind höchst unterschiedlich.

  • Teilweise handelt es sich um öffentliche Transfers, die ihrerseits bereits nach der Bedürftigkeit des Empfängers bemessen werden. Eine Einkommensbesteuerung derartiger Transfers wäre in sich widersprüchlich, weil die wirtschaftliche Situation des Leistungsempfängers zunächst als so schlecht beurteilt würde, dass er unterstützt werden muss, und anschließend als so gut erachtet würde, dass er zu Einkommensteuern herangezogen werden kann. Diese Einschätzung gilt namentlich für Leistungen nach dem Arbeitslosengeld II und für die Sozialhilfe.
  • Bei anderen Einnahmen aus öffentlichen Kassen ist eine Steuerbefreiung weniger überzeugend. Das Elterngeld – wie im Übrigen auch das steuerfreie Kindergeld – ist z.B. nicht an die generelle Bedürftigkeit der Eltern gebunden, sondern soll deren besondere Belastung aber auch die mit dem Großziehen der Kinder verbundenen gesellschaftlichen Leistungen der Eltern ausgleichen. Man könnte sich gut vorstellen, dass dieser Ausgleich gewissermaßen „brutto“ gewährt und anschließend dem zu versteuernden Einkommen zugeschlagen wird.2
  • Bei anderen frei gestellten öffentlichen Leistungen, wie z.B. den Lohnersatzleistungen, spielt die Bedürftigkeit des Empfängers nur eine sehr indirekte Rolle. Die Leistungen sind wie beim Arbeitslosengeld I eher als Versicherungsleistungen zu kennzeichnen oder wie beim Kurzarbeitergeld arbeitsmarktpolitisch motiviert. Einer Besteuerung würde insoweit nichts im Wege stehen. Allerdings werden diese Leistungen bereits „implizit“ besteuert, als sie sich am letzten Nettolohn des Empfängers orientieren.3 Steuersystematisch überzeugender wäre es sicherlich, wenn die Leistungen allein am letzten Bruttolohn ausgerichtet und voll der steuerlichen Bemessungsgrundlage zugeschlagen würden.
  • Ferner gibt es steuerfreie Einnahmen, die einen aktuellen Vermögensschaden ausgleichen und insofern die Nettoleistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen gar nicht erhöhen. Dazu zählen z.B. Erstattungsleistungen von Krankenkassen. Hier müsste eine am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierte Einkommensbesteuerung ohnehin ins Leere fallen.
  • Schließlich gibt es Einnahmen, die gewissermaßen schon steuerlich vorbelastet sind und daher zur Vermeidung oder Milderung einer Doppelbesteuerung von der persönlichen Einkommensteuer zur Gänze oder teilweise ausgenommen werden. Dazu zählt unter anderem die in Höhe von 40% gewährte Freistellung von nach dem Teileinkünfteverfahren zu besteuernden Dividendeneinkünften. In die gleiche Kategorie fällt die – außerhalb von § 3 EStG – nach internationalen oder bilateralen Abkommen von Deutschland zugunsten einer ausländischen Besteuerung vereinbarte Steuerfreistellung.

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die nach § 3 EStG (oder nach internationalen Abkommen) gewährte Steuerbefreiung teilweise nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip geboten, teilweise zur Vermeidung zirkulärer Eingriffe vernünftig und teilweise zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen zweckmäßig ist.

Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips

Das Gesamtergebnis kann aber nicht voll befriedigen, da die Besteuerung von Einnahmen und damit von ökonomischer Verfügungsmacht nicht einheitlich erfolgt und damit grundsätzlich das Leistungsfähigkeitsprinzip verletzt. Vor diesem Hintergrund versucht der Gesetzgeber, die Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips in einzelnen Fällen – wie z.B. beim Kurzarbeitergeld und beim Arbeitslosengeld, aber auch bei frei gestellten Auslandseinkünften – durch die Anwendung des Progressionsvorbehalts (§ 32b) zu mildern. Dies geschieht dadurch, dass die steuerfrei bezogenen Einnahmen bei der Ermittlung des auf das zu versteuernde Einkommen anzuwendenden Steuersatzes berücksichtigt werden.

Der Gedanke leuchtet auf den ersten Blick ein: Wenn schon Teile der Gesamteinnahmen steuerfrei bleiben, dann soll wenigstens das zu versteuernde Einkommen mit dem Satz belastet werden, der sich bei Berücksichtigung aller Einkommen ergäbe. Bei progressiven Tarifen wäre dieser Satz – je nach Vorzeichen der zusätzlich zu berücksichtigen Einkommen – höher oder geringer. Wenn von zwei Steuerpflichtigen mit dem gleichen zu versteuernden Einkommen der eine noch zusätzliche Einnahmen/Einkünfte bezieht, so ist er jedenfalls nach der Logik der Einkommensteuerprogression auch mit seinem zu versteuernden Einkommen leistungsfähiger als der andere.

Auf den zweiten Blick ist dieser Ansatz allerdings nicht so überzeugend. Wie schon erläutert, sind einige der freigestellten Einnahmen bereits steuerlich vorbelastet. Dies gilt z.B. für Lohnersatzleistungen, soweit sich diese nach dem letzten Nettolohn des Empfängers richten. In welcher Höhe diese Vorbelastung tatsächlich gegeben ist, ließe sich genau nur dann angeben, wenn man wüsste, wie hoch die Leistungen ausfallen würden, wenn sie an den Bruttolöhnen orientiert wären; denn nur wenn man die Vorbelastung genau kennt, kann man ermitteln, ob der Progressionsvorbehalt wirklich geeignet ist, dem Ideal einer gleichmäßigen Besteuerung des Gesamteinkommens näher zu kommen.

Dies gilt analog auch in Bezug auf freigestellte und dem Progressionsvorbehalt unterworfene Auslandseinkünfte. Läge z.B. die Auslandsbesteuerung der im Inland freigestellten Auslandseinkünfte deutlich über der relativen Besteuerung der inländischen Einkünfte, mag die Anwendung des Progressionsvorbehalts von einer gleichmäßigen Besteuerung aller Inländer noch weiter wegführen.

Gerade die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei bestimmten freigestellten Auslandseinkünften ist aber noch in anderer Beziehung problematisch. So verursacht sie erhebliche Verwaltungskosten beim Steuerzahler wie bei der Finanzverwaltung, weil die entsprechenden Auslandseinkünfte in vielen Fällen allein wegen des Progressionsvorbehalts auch nach deutschem Recht ermittelt werden müssen. Beinahe kurios sind die möglichen Wirkungen des „negativen“ Progressionsvorbehalts. Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die alle einen Auslandsverlust in der gleichen Höhe erwirtschaften, kann dieser je nach Höhe und Art ihrer Inlandseinkünfte ohne Folgen für ihre inländische Steuerschuld bleiben, die inländische Steuerschuld vollständig aufheben, oder sozusagen zwischen diesen beiden Extremen die inländische Steuerschuld mehr oder weniger reduzieren. Auch der positive Progressionsvorbehalt wirkt sich bei freigestellten Auslandseinkünften gleicher Höhe sehr unterschiedlich auf die Belastung von zu versteuernden Inlandseinkünften aus. Bei näherem Hinsehen erweist sich die aus übergeordneten (etwa wettbewerbs- oder handelspolitischen) Aspekten bei bestimmten Auslandseinkünften gewährte Freistellung also gewissermaßen als „Freistellung zweiter Klasse“. Was sie für den Steuerpflichtigen tatsächlich wert ist, ergibt sich erst bei Berücksichtigung der Art und Höhe seiner Inlandseinkünfte.

Bedenklich ist auch, dass der Progressionsvorbehalt keinesfalls einheitlich auf alle freigestellten Auslandseinkünfte, sondern – besonders in Reaktion auf die EuGH-Rechtsprechung4 – eher selektiv angewendet wird. Zu unterscheiden ist zwischen

  • Einkünften aus EU/EWR-Staaten und aus Drittstaaten,
  • positiven und negativen Einkünften und
  • Einkünften aus „aktiven“ Betriebsstätten („aktive Einkünfte“) und sonstigen („passiven“) Einkünften.

Bei aktiven Auslandseinkünften gelangt stets der uneingeschränkte Progressionsvorbehalt zur Anwendung. Es gelten also unabhängig vom Entstehungsland sowohl der positive als auch der negative Progressionsvorbehalt. Bei passiven Auslandseinkünften aus EU/EWR-Staaten werden weder der positive noch der negative Progressionsvorbehalt angewendet. Dies gilt auch dann, wenn im Doppelbesteuerungsabkommen die Anwendung des Progressionsvorbehalts vereinbart ist. Bei passiven Auslandseinkünften aus Drittstaaten gilt der positive Progressionsvorbehalt uneingeschränkt, während der negative Progressionsvorbehalt nur im Rahmen des § 2a Abs. 1 EStG zum Zuge kommt: Negative Einkünfte können allein den Progressionseffekt von positiven Einkünften jeweils derselben Art und jeweils aus demselben Land mildern bzw. verhindern.

Beispiel für ein überzogenes Bemühen um Steuergerechtigkeit

Allein nach diesen Überlegungen böte es sich an, den Progressionsvorbehalt aus dem Einkommensteuergesetz zu streichen. Von daher ließe sich die mit dem 1.1.2009 erfolgte Abschaffung des Progressionsvorbehalts bei passiven Einkünften aus EU/EWR-Staaten sogar als „Schritt in die richtige Richtung“ charakterisieren. Der Progressionsvorbehalt ist ein Beispiel für ein überzogenes Bemühen um Steuergerechtigkeit, das nicht nur Gestaltungen gestattet und sogar nahelegt, sondern letztlich auch neue Ungerechtigkeiten schafft. Dabei könnte man bei den meisten öffentlichen Transfers, die heute unter dem Progressionsvorbehalt stehen, die Freistellung abschaffen, ohne dass dies eine Schlechterstellung der Gruppe der betroffenen Transferempfänger bedeuten müsste, da die Bruttozahlungen entsprechend angehoben werden könnten. Wahrscheinlich ergäben sich zwar innerhalb der Gruppe Verschiebungen, die aber nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip durchaus vertretbar wären. Was die steuerfreien Auslandseinkünfte angeht, so läge die Abschaffung des Progressionsvorbehalts nur in der Konsequenz des Freistellungsverfahrens bzw. der Anwendung des Quellenlandprinzips. Wenn man der Meinung ist, dass es im deutschen Interesse liegt, bestimmte Auslandseinkünfte nicht nach deutschem Recht zu besteuern, dann macht es keinen Sinn, mit dem Progressionsvorbehalt dann doch eine Art Besteuerung durch die Hintertür vorzunehmen. Dies gilt erst recht, wenn sich die steuerlichen Folgen für den einzelnen im Ausland tätigen Inländer gerade durch den Progressionsvorbehalt als außerordentlich unterschiedlich, wenn nicht erratisch erweisen. Die oft zu findende Rechtfertigung des Progressionsvorbehalts, ohne ihn lohne sich die internationale Streuung von Einkünften,5 trifft schon deswegen nicht, weil vom Progressionsvorbehalt allein die Inlandsbesteuerung tangiert wird. Werden internationale Einkommen nach dem Quellenlandprinzip besteuert und unterwerfen die verschiedenen Quellenstaaten die bei ihnen entstandenen Einkünfte jeweils einem progressiven Tarif, werden die möglichen Vorteile der Streuung also nur in Bezug auf die inländischen, nicht aber die weltweiten Einkünfte gemildert.

Unterschiedliche Behandlung von Lohn- und Kapitaleinkommen

Alle diese Einwände verblassen aber mit der Einführung der Abgeltungsteuer zum 1.1.2009. Mit der damit vollzogenen Dualisierung der deutschen Einkommensteuer hat der Progressionsvorbehalt jedwede Berechtigung verloren. Vielleicht lässt sich dies am Augenfälligsten am Malheur des Kurzarbeitergeldes verdeutlichen. Bezieher von – steuerfreiem – Kurzarbeitergeld sehen sich durch den Progressionsvorbehalt von der Gefahr bedroht, auf ihr gekürztes Lohneinkommen am Jahresende zusätzliche Steuern entrichten zu müssen, weil das gewährte Kurzarbeitergeld bei der Ermittlung ihres Einkommensteuersatzes zu berücksichtigen ist.6 Man vergleiche deren Situation etwa mit der Lage eines Lohnbeziehers, der außer seinem Lohn noch ein ansehnliches Kapitaleinkommen, z.B. Zinseinkommen erwirtschaftet. Dass dieses Zinseinkommen seine Leistungsfähigkeit erhöht, steht ebenso außer Frage, wie die Möglichkeit, dass ein Einbezug dieses Zinseinkommens in seine einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage einen weit höheren Einkommensteuersatz als 25% und vor allem als sein auf das Lohneinkommen fälligen Steuersatz bewirken würde. Anders als im Beispiel des Kurzarbeitergeldes verhindert die Dualisierung der Einkommensteuer bzw. der bei begünstigtem Kapitaleinkommen nicht vorgesehene Progressionsvorbehalt, dass der betrachtete Steuerpflichtige eine zusätzliche Belastung befürchten müsste. Ähnlich absurd ist die vergleichsweise Behandlung zweier Steuerpflichtiger mit gleichem steuerpflichtigen Einkommen und jeweils gleichen steuerfreien, aber unter Progressionsvorbehalt stehenden Einnahmen, wenn der eine sein steuerpflichtiges Einkommen als Lohneinkommen, der andere als Zinseinkommen erzielt. Beim Lohneinkommensbezieher führt der Progressionsvorbehalt zu entsprechend steigender Steuerbelastung, beim Zinseinkommensbezieher bleibt der Progressionsvorbehalt ohne steuerliche Folgen. Diese Beispiele spiegeln zwar im Wesentlichen nur wider, welche Ungereimtheiten die Dualisierung der Einkommensteuer hervorgerufen hat. Gerade der Progressionsvorbehalt ist bei seiner punktuellen Anwendung aber dazu geeignet, die steuerlichen Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten noch zu vermehren.

Es wäre aber auch keine vernünftige Lösung, den Progressionsvorbehalt ebenfalls bei Kapitaleinkommen, die nur der Abgeltungsteuer unterworfen werden, anzuwenden. Zwar könnte dagegen kaum eingewendet werden, dass ja die Kapitaleinkünfte bereits einer gesonderten Besteuerung, nämlich der Abgeltungsteuer, unterliegen würden; denn auch freigestellte Auslandseinkünfte wurden in der Regel bereits – nämlich im Ausland – besteuert.7 Die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei – den der Abgeltungsteuer unterworfenen – Kapitaleinkünften würde aber der mit der Abgeltungsteuer auch angestrebten Steuervereinfachung vollends zuwiderlaufen.8 Ähnlich wie bei freigestellten Auslandseinkünften müssten alle individuellen Kapitaleinkommen allein zum Zweck der Anwendung des Progressionsvorbehalts erfasst werden. Es bleibt also dabei: Nach Einführung der Abgeltungsteuer ist der Progressionsvorbehalt nicht mehr zu rechtfertigen. Seine Abschaffung würde nicht nur der Steuervereinfachung dienen, sondern auch steuersystematische Einwände ausräumen. Im Übrigen wird der Progressionsvorbehalt in Europa nur in wenigen Staaten angewendet und ist auch im US-amerikanischen Steuerrecht unbekannt.

Milderung der direkten Progression

Der Progressionsvorbehalt ist gewissermaßen Überbleibsel einer Einkommensbesteuerung, für die eine sehr starke direkte Progression als notwendiger Bestandteil einer gerechten Steuerpolitik betrachtet wurde. Die in den letzten Jahren auch in Deutschland erfolgte Milderung der direkten Progression folgt einem internationalen Meinungswandel, nach dem auch eine eher indirekte Progression und sogar eine so genannte „Flat Tax“ durchaus mit der Norm steuerlicher Gerechtigkeit oder Gleichbehandlung vereinbar ist.9 Bei einem nur indirekt progressiven Tarif – bewirkt durch einen Freibetrag und die Anwendung eines konstanten Grenzsteuersatzes (der „Flat Rate“) auf das den Freibetrag übersteigende Einkommen – dürfte ein Progressionsvorbehalt noch weniger zu rechtfertigen sein. Seine Anwendung würde nämlich zur Folge haben, dass das im Inland über dem Freibetrag verdiente Einkommen höher als nach der „Flat Rate“ vorgesehen besteuert würde. Und dieses Ergebnis würde selbst in dem Fall eintreten, dass das im Ausland erwirtschaftete Einkommen bereits dort genau mit dem Satz der inländischen „Flat Rate“ besteuert würde. Die mit der „Flat Tax“ – wie im Übrigen abschnittsweise auch mit dem neuerlich wieder für Deutschland ins Spiel gebrachten Stufentarif – intendierte konstante Grenzbelastung des über dem Freibetrag erzielten Einkommens würde verfehlt, wenn der (Durchschnitts-) Steuersatz eines Steuerpflichtigen jeweils von der Höhe seiner unter Progressionsvorbehalt stehenden Einnahmen abhängen würde.

Aber auch ohne weitere Milderung oder Korrektur der direkten Progression wäre die Abschaffung des Progressionsvorbehalts ein – im Übrigen leicht umsetzbarer – Schritt zu einer gerechteren und einfacheren Besteuerung.

  • 1 Die Liste der nach § 3 EStG steuerfreien Einnahmen umfasst aktuell 70 Einzelpositionen, hinter denen sich im Einzelnen aber wiederum mehrere Unterfälle verbergen.
  • 2 2 Bei einer möglichen Besteuerung des Kindergeldes wäre aber selbstverständlich die verfassungsmäßige Vorgabe einer Freistellung des Kinderexistenzminimums zu beachten.
  • 3 Vgl. z.B. die von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegebene „Tabelle zur Berechnung des Kurzarbeitergeldes (Kug) für Beschäftigte“.
  • 4 Der EuGH hatte mit Blick auf die Kapitalverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit im europäischen Binnenmarkt in mehreren Entscheidungen moniert, dass Verluste, die unbeschränkt steuerpflichtige EU-Bürger im übrigen Gemeinschaftsgebiet erleiden, steuerlich ungünstiger als jeweils inländische Verluste behandelt würden.
  • 5 „Sinn und Zweck des Progressionsvorbehalts bei steuerfreien ausländischen Einkünften ist es, die nicht befreiten Einkünfte des Steuerpflichtigen nach dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit zu besteuern, der durch die progressive Ausgestaltung des Steuertarifs zum Ausdruck kommt. Dem Steuerpflichtigen soll kein Progressionsvorteil entstehen, wenn er seine Einkünfte in verschiedenen Staaten erzielt und dadurch sein inländisches Gesamteinkommen in eine niedrigere Tarifstufe als bei Erzielung im Bereich eines Steuerhoheitsträgers gelangt.“ Vgl. C. Herrmann, G. Heuer, A. Raupach: Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz – Kommentar, Jahreskommentierung 2009 § 32b Anm. J 08-5.
  • 6 Die Partei „Die Linke“ hatte im Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem die Anwendung des Progressionsvorbehalts beim Kurzarbeitergeld abgeschafft werden sollte; vgl. Deutscher Bundestag: Drucksache 16/12888. Er fand keine Mehrheit und wurde unter anderem (vgl. Ulrich Caspar: „Progressionsvorbehalt beim Kurzarbeitergeld muss beibehalten werden“, http://cduhessen.de/home/details.cfm?nr=7741) mit dem Argument kritisiert, dass dann ja auch andere öffentliche Leistungen vom Progressionsvorbehalt befreit werden müssten. Das wäre in der Tat folgerichtig.
  • 7 Ohnehin ist die Freistellung in der Regel an die Besteuerung im Quellenstaat gebunden („Subject-to-tax-Klausel“). Das deutsche Steuerrecht bestimmt einen ausländischen Mindeststeuersatz von 25%, bei dem eine Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7-14 AStG entfällt (§ 8 Abs. 3 AStG).
  • 8 Bereits die Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 dürfte die angestrebte Vereinfachung stark beeinträchtigen. Ohnehin hat sich der Verwaltungsaufwand teilweise nur verschoben, nämlich von der Finanzverwaltung zu den Depot führenden Banken.
  • 9 Vgl. dazu etwa das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen: Flat Tax oder Duale Einkommensteuer? Zwei Entwürfe zur Reform der deutschen Einkommensbesteuerung, Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Schriftenreihe Band 76 (2004).


DOI: 10.1007/s10273-010-1021-9