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Die USA haben seit Mitte der 90er Jahre ein hohes Leistungsbilanzdefizit. Dies geht seit 2002 mit einem Budgetdefizit aber auch mit einer sinkenden privaten Ersparnis einher. Der riesige Kapitalbedarf der USA ließ sich bisher zu geringen Zinssätzen befriedigen. Wenn es allerdings zu einem Vertrauensverlust bei den Anlegern kommt, wird die gesamte Weltwirtschaft eine gravierende Anpassungskrise erleben.

Derzeit wird an den internationalen Finanzmärkten sowie in der globalen wirtschaftspolitischen Debatte vor allem über die Schuldenmisere der südeuropäischen Euroländer diskutiert. In dieser Diskussion wird oft übersehen, dass andere, wirtschaftlich weit wichtigere Länder wie Japan, Großbritannien und die USA in einer viel ernsteren fiskalischen Krise stecken. Dabei kommt dem Budgetdefizit der USA als international größter Wirtschaftsmacht eine herausragende Bedeutung mit globaler Brisanz zu. Die weltwirtschaftliche Problematik dieser Entwicklung wird noch dadurch verstärkt, dass sich neben dem Haushaltsdefizit seit vielen Jahren ein gigantisches Zahlungsbilanzdefizit herausgebildet hat. Dieses ist zwar in Folge der jüngsten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise etwas geschrumpft, verharrt jedoch weiterhin in einer kritischen Größenordnung. Dieses „twin deficit“ der USA stellt eine der größten Bedrohungen der weltwirtschaftlichen Entwicklung dar. Sollte es nicht auf absehbare Zeit entschärft werden können, kann ein „Funke“, ein überraschendes ökonomisches Ereignis, genügen, um einen globalen Brand auszulösen. Die Wirtschaftspolitik der US-Regierung steckt in einem Dilemma: Einerseits erfordert die aktuelle Wirtschaftskrise eine Stützung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage durch zusätzliche Staatsausgaben, steht somit dem notwendigen Schuldenabbau im Wege. Andererseits jedoch gilt: je länger die Überwindung des Zwillingsdefizits in die Zukunft verschoben wird, desto geringer werden die Chancen für krisenvermeidende Lösungsstrategien.

Das Budgetdefizit

Dieses Defizit ist nicht erst mit der jüngsten Finanzmarktkrise entstanden, es hat sich über drei Jahrzehnte kontinuierlich entwickelt, allerdings seit Beginn des letzten Jahrzehnts mit explosiver Dynamik: Außer in der zweiten Amtszeit der Regierung Clinton – konkret in den Jahren 1998 bis 2001, als sogar jährliche Budgetüberschüsse zu verzeichnen waren, ist das Defizit in den letzten 35 Jahren permanent angestiegen. Ursache der wachsenden Defizitdynamik war zunächst die laxe, prozyklische Haushaltspolitik während der Konjunkturbelebung, die sich im Gefolge des Zusammenbruchs der New Economy ab 2001 entwickelte.

Verstärkt wurde das Defizit durch die Steuersenkungen und Militärausgabensteigerungen der Bush-Administration („Kampf gegen den Terror“ als Reaktion auf „9/11th“, Irak-Krieg). Dramatisch stieg die Staatsverschuldung anschließend durch die Finanzmarktkrise und die fiskalpolitischen Gegenmaßnahmen der scheidenden Bush-Regierung sowie der Obama-Administration. Allein in den beiden Amtszeiten der Regierung Bush von 2001 bis 2009 weist der öffentliche Schuldenstand mehr als eine Verdoppelung von gut 5 Billionen auf über 11 Billionen US-$ auf. 2010/11 wird das Budgetdefizit nach neuesten Planungen einen Rekordstand von 1,56 Billionen US-$ erreichen, was 10,6% des Bruttoinlandsproduktes entspricht. Das ist das höchste US-Staatsdefizit seit dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Öffentliche Finanzierungsdefizite in ausgewählten Ländern
in % des BIP
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Quelle: Eigene Graphik auf der Grundlage von folgenden Datenquellen: EU, IMF, FAZ vom 7.3.2010 und 19.6.2010; Zahlen teilweise geschätzt.

Von 2010 bis 2015 plant die Regierung die Neuaufnahme von Krediten in Höhe von über 8,5 Billionen US-$. Damit wird sich die gesamte Staatsschuld der USA auf rund 14 Billionen US-$ erhöhen. Bis 2020 wird eine weitere Steigerung auf rund 20 Billionen US-$ vorausgeschätzt. Dies würde bedeuten, dass die Regierung zur Bedienung dieser Schuld jährlich rund 900 Mrd. US-$ allein für Zinszahlungen aufbringen müsste – zum Vergleich: das ist ein Betrag, der etwa 30% des gesamten heutigen Bruttoinlandsproduktes Deutschlands entspricht! Der US-Kongress musste 2010 erstmals die zulässige gesetzliche Höchstgrenze für die öffentliche Verschuldung – das „statutory debt limit“ –, die 1917 mit dem „Second Liberty Bond Act“ eingeführt worden war, in Höhe von bisher 12,104 Billionen US-$ heraufsetzen, da die Regierung sonst ihre Ausgabenpläne nicht hätte umsetzen können.

Wie Abbildung 1 zeigt, liegen die USA mit einem Anteil des Staatsdefizits von über 8%1 2010 keineswegs an der Spitze des Kreises wichtiger Industrieländer. In Großbritannien (9,4%) und in Japan (9,1%) zum Beispiel ist die öffentliche Finanzierungsmisere bislang noch deutlich größer, wobei die USA im nächsten Jahr auch diese Größenordnung erreichen werden.

Misst man den gesamten akkumulierten Bestand der öffentlichen Schulden am BIP, so lagen die USA vor Beginn der Finanzmarktkrise mit 62% noch fast im Rahmen des für die EU in diesem Bereich festgelegten „Maastricht-Kriteriums“ von 60% (vgl. Abbildung 2). In Japan war die staatliche Finanzierungssituation weitaus dramatischer, die Schuldenstandsquote lag schon 2007 bereits bei 188%, erreichte also den dreifachen (!) Wert, den die USA damals aufwies. Dennoch: Die Schuldenstandsquote wird auch in den USA bis zum nächsten Jahr auf 97% deutlich zunehmen, und das mit steigender Tendenz. Dies bedeutet, dass die USA dann schlechter dastehen als die europäischen „Krisenländer“ Spanien und Portugal. Als Land der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion würde sich die US-Regierung auf absehbare Zeit mit ständigen Mahnbriefen der Brüsseler EU-Kommission auseinandersetzen müssen. Der Ernst der Situation wird zudem dadurch deutlich, dass die USA mit einer Schuldenquote von 90% eine kritische Schwelle überschreiten: Umfangreiche internationale Analysen von Reinhart und Rogoff2 zeigen, dass eine Schuldenstandsquote unterhalb dieser Schwelle zwar dem Wirtschaftswachstum durchaus förderlich sein kann, dass sich dieser Effekt jedoch jenseits dieser Marke in sein Gegenteil verkehrt, die Staatsschuld wirkt nunmehr belastend und als Bremsklotz der wirtschaftlichen Expansion, denn es wird immer schwieriger, durch dynamisches Wirtschaftswachstum die Schuldenlast zu reduzieren.

Zwischenfazit: Mit dem erreichten und noch zu erwartenden Schuldenstand zählen die USA inzwischen zu dem Kreis der Länder, die der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini als Gruppe der „riskanten Reichen“ bezeichnet. Damit will er verdeutlichen, dass es gegenwärtig nicht vorrangig arme bzw. industrielle Schwellenländer sind, die dem Risiko eines drohenden Staatsbankrotts unterliegen, sondern ebenso reiche Industrieländer.3

Abbildung 2
Staatsverschuldung in ausgewählten Ländern
in % des BIP
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Quelle: Eigene Graphik auf der Grundlage von folgenden Datenquellen: EU, IMF, FAZ vom 7.3.2010 und 19.6.2010; Zahlen teilweise geschätzt.

Abbildung 3
Staatsverschuldung der USA 1970 bis 2011
in % des BIP
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Anmerkung: Daten für 2010 und 2011 geschätzt.

Quelle: Eigene Graphik. Daten: Council of Economic Advisers.

Leistungsbilanzdefizit durch Budgetdefizite?

Nun ist das gravierende öffentliche Defizit nur eine Komponente des viel diskutierten „Zwillingsdefizits“ der USA, der andere Part ist das enorme Leistungsbilanzdefizit, das sich bereits seit Anfang der 1980er Jahre gebildet hat. Die These des „twin deficits“ vermutet einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden Defiziten. Anhand von Identitätsgleichungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen wird sichtbar, dass es einen Zusammenhang zwischen beiden Größen gibt, allerdings muss das nicht immer bedeuten, dass dieser Zusammenhang auch tatsächlich kausaler Natur ist. Was heißt das?

Saldenmechanisch entspricht der Leistungsbilanzsaldo eines Landes (bzw. die Nettoexporte NX) stets der Differenz von privater Ersparnisbildung (Sp) abzüglich Investition (I) und staatlichem Budgetsaldo (G-T), wobei letzterer sich als Differenz von Staatsausgaben (G) und Staatseinnahmen (T) darstellt4: NX = Sp – I – (G-T). Umformuliert ergibt sich NX + I = Sp + (T- G). Da (T-G) die staatliche Ersparnisbildung ausmacht, ergibt sich, dass in einer Periode die Summe aus Leistungsbilanzsaldo und Investitionen aus der gesamten inländischen Ersparnis getragen werden muss. Gelingt dies aufgrund zu geringer Ersparnisbildung nicht, wird der Leistungsbilanzsaldo negativ und es müssen Ersparnisse des Auslandes zur Finanzierung der inländischen Verwendungen mit herangezogen werden.

Daraus lässt sich Folgendes ableiten: Bleiben die private Ersparnis und die Investitionen konstant, dann wird sich die Leistungsbilanz in dem Maße passivieren, in dem das Staatsdefizit wächst. Insofern besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen Staats- und Leistungsbilanzdefizit. Dieser ist jedoch spätestens dann nicht mehr eindeutig gegeben, wenn sich das Staatsdefizit nicht nur auf die Leistungsbilanz, sondern auch auf das ökonomische Verhalten der Wirtschaftssubjekte auswirkt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das Phänomen der „Ricardian equivalence“5 zutrifft. Dann werden die Bürger bei steigendem Staatsdefizit ihr Sparverhalten ändern und ihre Ersparnisbildung erhöhen, weil sie erwarten, dass der Staat gezwungen ist, die steigenden Defizite zukünftig mittels Steuererhöhungen zu finanzieren. Dies bedeutet: Die saldenmechanischen Zusammenhänge der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen bieten zwar eine wichtige Grundlage zum Verständnis der Außenwirtschaftsbeziehungen, sie allein reichen jedoch zur Erklärung von Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen nicht aus, sondern müssen durch wirtschaftstheoretische Erklärungsansätze ergänzt werden.

Das lässt sich auch am Beispiel der USA recht gut zeigen: Das Leistungsbilanzdefizit nimmt seit Mitte der 1990er Jahre dramatisch zu (vgl. Abbildung 4). Über zehn Jahre verharrt der Leistungsbilanzsaldo, gemessen am BIP, tief im negativen Bereich, bevor 2007 eine spürbare Korrektur eintritt. In diesem Zwölf-Jahres-Zeitraum geht das Leistungsbilanzdefizit sowohl mit staatlichen Budgetüberschüssen, als auch mit Haushaltsdefiziten einher. Wie sind diese unterschiedlichen Konstellationen von Leistungsbilanz- und Staatsdefizit zu erklären? Aufgrund der staatlichen Ersparnisbildung in der zweiten Clinton-Ära treibt der Budgetsaldo für einige Zeit in den Überschussbereich. Dass das Leistungsbilanzdefizit dennoch zunimmt, liegt an der gleichzeitig zu beobachtenden dynamischen Investitionstätigkeit („new economy“-Boom) sowie am drastischen Rückgang der Sparquote, die zwischen 1990 und 2000 von rund 10% auf minus 3% (!) schrumpft. Nach 2001 schlägt der öffentliche Budgetsaldo aufgrund der expansiven Fiskalpolitik der Bush-Regierung in wachsende Defizite um, die dann ab 2007 geradezu „explodieren“. Für sich genommen haben also die zunehmenden Staatsdefizite ab 2001 das Leistungsbilanzdefizit mit „getrieben“. Dass sich das Leistungsbilanzdefizit jedoch so dramatisch entwickelt hat, ist nur zu verstehen, wenn – neben dem temporären Investitionsaufschwung zwischen 2003 und 2006 – die bis 2007 äußerst niedrige private Sparquote berücksichtigt wird. Diese Entwicklung zeigt übrigens auch: Im Falle der USA trifft die These von der ricardianischen Äquivalenz für das letzte Jahrzehnt nicht zu.6 Der Rückgang des US-Leistungsbilanzdefizits seit 2009 ist mit dem Einbruch der Investitionstätigkeit und dem Wiederanstieg der privaten Sparquote auf über 6% zu erklären.

Abbildung 4
Leistungsbilanzsaldo der USA 1970 bis 2015
in % des BIP
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Quelle: Eigene Graphik auf der Grundlage von IMF-Daten: Zahlen ab 2010 geschätzt.

Die Frage der „sustainability“

Der starke Einbruch der Leistungsbilanz seit Mitte der 1990er Jahre, der sich innerhalb von zehn Jahren auf einen Umfang von 6% des BIP auswächst und danach zwar spürbar zurückgeht, aber selbst Anfang dieses Jahrzehnts bei einer nicht tolerierbaren Quote von über 3% verharrt, hat eine heftige Debatte um die Tragfähigkeit, die „sustainability“, dieser Entwicklung ausgelöst. Wie lange können sich die USA ein solches Defizit leisten, wann werden die Märkte bzw. die Gläubiger nicht mehr mitspielen? Leistungsbilanzdefizite müssen aus ausländischen Ersparnissen finanziert werden.7 Und je größer die Defizite sind, desto größer wird der Kapitalbedarf für den notwendigen Ausgleich der Zahlungsbilanz. Mit permanent hohen Leistungsbilanzdefiziten wächst die Verschuldung im Ausland und das Nettoauslandsvermögen des Landes – der Saldo zwischen Auslandsvermögen, d.h. dem Gesamtbestand aller Vermögen der Wirtschaftssubjekte eines Landes im Ausland, und seinen Auslandsschulden schmilzt. Wachsende Auslandsverschuldung erhöht wiederum die zukünftigen Zins- und Tilgungsverpflichtungen gegenüber ausländischen Gläubigern. Dies kann nur solange fortgesetzt werden, wie ausländische Kreditgeber bereit sind, den USA Kapital zur Verfügung zu stellen. Dies kann zu einer riskanten Situation führen.

Wie sind die Leistungsbilanzdefizite aus dem Blickwinkel des Außenhandels zu erklären? Die USA verzeichnen seit vielen Jahren ein ansteigendes Defizit ihrer Handelsbilanz (vgl. Tabelle 1), dem Kernelement der Leistungsbilanz. Von 1997 bis 2002 ist das Handelsbilanzdefizit besonders stark angestiegen, da sich durch die schnelle reale Aufwertung des US-Dollar8 die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft in diesem Zeitraum drastisch verschlechterte. Trotz des sich anschließenden Dollarabwertungstrends gegenüber den wichtigsten Industrieländern hat sich die Handelsbilanz bis zum Ende des Jahrzehnts in der Tendenz weiter verschlechtert. Das ist zum einen auf die starke Verteuerung des Rohöls zurückzuführen, die die Kosten der Ölimporte in die Höhe trieb. Zum anderen nahmen die US-Exporte im Vergleich zu den Importen nur wenig zu. Die Abwertung und die Importverteuerung sollten deutliche Effekte auf die Nachfrage haben und der Handelsbilanz- und Leistungsbilanzpassivierung spürbar entgegenwirken.

Tabelle 1
Internationale Transaktionen der USA 1990 bis 2009
Mrd. US-$
Jahr Leistungsbilanz Vermögens­übertragungs­bilanz Kapitalbilanz
  Exporte (inkl. EE) Importe (inkl. EZ) Saldo der
Handels­bilanz
Laufende Über­tragungen Saldo der Leistungs­bilanz Saldo US-Anlagen im Ausland (ohne FD) Ausl. Anlagen in den USA (ohne FD) Finanz­derivate Saldo der Kapital­bilanz Statistische Diskre­panz
1990 707,0 -759,3 -52,3 -26,7 -79,0 7,2 -81,2 139,4 - 58,2 28,1
1995 1004,6 -1080,1 -75,5 -38,1 -113,6 -0,2 -352,3 435,1 - 82,8 31,0
2000 1421,6 -1779,2 -357,6 -58,6 -416,2 0,0 -560,5 1038,2 - 477,7 -61,3
2001 1295,7 -1628,4 -332,7 -64,5 -397,2 13,2 -382,6 782,9 - 400,3 -16,3
2002 1258,4 -1651,5 -393,1 -64,9 -458,0 -0,1 -294,6 795,2 - 500,6 -42,3
2003 1340,4 -1789,2 -448,8 -71,8 -520,6 -1,8 -325,4 858,3 - 532,9 -10,4
2004 1572,3 -2114,4 -542,1 -88,4 -630,5 3,0 -1000,9 1533,2 - 532,3 95,1
2005 1816,4 -2458,3 -641,9 -105,8 -747,7 13,1 -546,6 1247,3 - 700,7 33,8
2006 2135,0 -2846,2 -711,2 -91,5 -802,7 -1,8 -1285,7 2065,1 29,7 809,1 -4,7
2007 2478,3 -3080,8 -602,5 -115,5 -718,0 0,4 -1475,7 2107,7 6,2 638,2 79,6
2008 2635,5 -3182,4 -546,9 -122 -668,9 6,0 156,0 454,7 -32,9 577,8 85,0
2009 2159,0 -2412,5 -253,5 -124,9 -378,4 -0,1 -140,5 305,7 50,8 216,0 162,5

EE: Einkommenseingänge, EZ: Einkommenszahlungen, FD: Finanzderivate.

Quelle: Eigene Berechnungen; Daten: Bureau of Economic Analysis.

Warum ist dieser Korrekturprozess nicht erfolgt? Weil die wachsende Nachfrage der öffentlichen Hand (expansive Fiskalpolitik, verstärkt durch eine expansive Geldpolitik der Fed) sowie der privaten Haushalte – gestützt durch den seit 2001 einsetzenden Immobilienboom – diese Korrektur verhinderte. Dies ging sowohl bei den Privaten als auch beim Staat mit einer hohen Bereitschaft einher, sich zu verschulden. Dass dies nicht zu einer radikalen Abwertung des US-Dollar geführt hat, ist externen Faktoren geschuldet: der Währungspolitik Chinas und vieler asiatischer Schwellenländer. Letztere hatten unter der Asienkrise 1997/98 in besonderem Maße gelitten und waren an den Rand eines Staatsbankrotts getrieben worden. Ihre Zentralbanken versuchten deshalb in den folgenden Jahren, durch gezielte Aufkäufe von US-Dollar an den Devisenmärkten den Wert ihrer Währungen niedrig zu halten, um ihre Exportfähigkeit zu stärken und sich auf diesem Wege zugleich eine „Vorsichtskasse“ an Währungsreserven anzulegen, die sie gegen die nächste Krise besser schützen würde.

China war von der Asienkrise kaum betroffen, es begann dennoch ab 2001 massiv US-Dollar aufzukaufen, um den Wert des Yuan in einer festen Relation zum Dollar zu halten. Mit Hilfe dieser strategisch ausgerichteten Exportpolitik will die Regierung das Wirtschaftswachstum fördern und in ausreichendem Umfang Arbeitsplätze für die vielen Millionen Wanderarbeiter schaffen, die sich in wachsendem Umfang vom Land in die Ballungszentren bewegen. China ist es mit seiner Währungspolitik gelungen, seine Exporte in die USA drastisch zu steigern, während US-amerikanische Unternehmen nicht im gleichen Maße erfolgreich waren. Unausweichliches Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass China seit einigen Jahren seine Währungsreserven in schwindelnde Höhe schraubt: Im Zeitraum von 1999 bis 2009 sind die globalen Devisenreserven (als Teil der gesamten Währungsreserven) von rund 2 auf fast 8 Billionen US-$ angewachsen (vgl. Tabelle 2). Rund 50% dieses Zuwachses entfällt auf die asiatischen Schwellenländer, wobei die chinesische Zentralbank inzwischen einen Anteil von 30% aller Reserven akkumuliert hat. Mittels dieser Devisenreserven finanziert die chinesische Zentralbank den durch die US-Leistungsbilanzdefizite wachsenden Kapitalbedarf der USA, sie kauft in großem Umfang US-Staatsanleihen. Damit reiht sie sich an vorderster Stelle in den Kreis der Kapitalexporteure ein, die über die letzten anderthalb Jahrzehnte die US-Defizite finanziert haben: Japan, das ebenfalls gezielt den Wert seiner Währung zu drosseln versucht, um aus der jahrelangen Deflation auszubrechen; die Ölexportländer, die nach einem „sicheren Hafen“ für den anschwellenden Strom ihrer Petro-Dollar suchen, und Deutschland, das ebenfalls bestrebt ist, die Einnahmen seiner exportstarken Wirtschaft sicher anzulegen.

Tabelle 2
Welt-Devisenreserven nach Regionen und Währungen Ende 2009
Länder in Mrd. US-$ in %
Industrieländer 2687,6 34,0
Schwellen- und Entwicklungsländer 5220,6 66,0
Welt-Reserven insgesamt 7908,2 100,0
Davon Währungen:    
US-Dollar 2747,6 34,7
Yen 133,1 1,7
Pfund Sterling 189,5 2,4
Schweizer Franken 4,9 0,1
Euro 1206,5 15,3
(Zwischensumme) 4281,6 54,1
Sonstige 138 1,7
Nicht zurechenbar 3488,8 44,1
Welt-Reserven insgesamt 7908,4 100,0

Quelle: Eigene Berechnungen, Daten: IMF.

Das größte Gewicht in diesem internationalen Arrangement, das hinsichtlich der besonderen ökonomischen „Symbiose“ zwischen den USA und China auch „Chimerica“ oder „Bretton Woods II“ genannt wird,9 hat die Volksrepublik China: Während die USA inzwischen rund die Hälfte der gesamten Weltersparnisse (2007 bereits 857 Mrd. US-$) in Anspruch nimmt, hat China mit einem Devisenzuwachs von 239 Mrd. US-$ allein 2007 seinen Devisenbestand auf etwa 1,5 Billionen US-$ gesteigert und damit selbst Japan, lange Zeit Hauptdollardevisenbesitzer, übertroffen (931 Mrd. US-$)10. 2009 ist der gesamte Reservenbestand Chinas auf wertmäßig weit über zweieinhalb Billionen US-$ geklettert (vgl. Abbildung 5). Etwa zwei Drittel dieses Bestandes werden in verschiedenen Anlageformen des US-Dollar gehalten. So besitzt China amerikanische Staatsanleihen im Umfang von geschätzt knapp 900 Mrd. US-$ (vgl. Tabelle 3). Darüber hinaus dürfte das Land über seinen Staatsfonds China Investment Corporation (CIC) nach Schätzungen über 1 Billion US-$ in den USA investiert haben.11 Auch Wertpapiere der US-Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddi Mac befinden sich in chinesischen Tresoren.

Allerdings ist diese Entwicklung nicht nur für die USA ein zunehmendes Problem, sondern auch für China selbst, und das aus drei Gründen:

  1. Die massiven Aufkäufe von US-Dollar begründen Inflationsgefahren für die chinesische Volkswirtschaft: Würden diese Dollar in Yuan umgetauscht, würde der Geldmantel der chinesischen Wirtschaft stark erweitert, so dass sich große Preiserhöhungsspielräume für die Unternehmen eröffneten. Um dieser Gefahr vorzubeugen, verkauft die chinesische Zentralbank festverzinsliche Wertpapiere im Inland und absorbiert damit Kaufkraft (Sterilisierung).
  2. Die Bestände an amerikanischen Staatsanleihen bringen nur eine geringe Rendite: Aufgrund der Funktion der USA als vermeintlich sicheres Anlageland zahlt die US-Regierung auf den internationalen Finanzmärkten niedrige Zinsen. China versucht deshalb verstärkt, seine Devisenreserven zum Teil auch über den Staatsfonds in produktive Investitionen (vor allem auch zur Sicherung seiner Rohstoffzufuhr) zu schleusen.
  3. Das Risiko einer Entwertung der Devisenbestände: Ein Großteil der chinesischen Währungsreserven ist in US-Dollar denominiert. Damit verlieren diese Bestände mit jeder Abwertung des US-Dollar an Wert. Ein schneller Kursrückgang des Dollar würde erhebliche Wert- bzw. Vermögensverluste für die Volksrepublik China nach sich ziehen.
Abbildung 5
Welt-Währungsreserven1 2009 nach Ländern
Mrd. US-$
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1 Währungsreserven umfassen Devisen, Gold, Sonderziehungsrechte im IWF und Reservepositionen im IWF.

Quelle: Eigene Graphik, Daten aus: Central Intelligence Agency, The World Fact Book 2010.

Tabelle 3
US-Staatsanleihen in ausländischem Besitz 2000 bis 2009
Besitzerland 2000 2009 in Mrd. US-$ Zuwachs Anteile 2009 in %
Japan 318 766 140,9 20,8
China 60 895 1391,7 24,3
Opec-Staaten 48 207 331,3 5,6
Sonstige 589 1821 209,2 49,4
Insgesamt 1015 3689 263,4 100,0

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnungen; Daten: FAZ vom 17.3.2010; es handelt sich um Schätzwerte jeweils zum Jahresende.

Wo liegen die Grenzen der Defizitpolitik für die USA?

Zunächst einmal sind die USA als Leitwährungsland in einer komfortablen Situation: Sie können sich in einer Währung international verschulden, die sie selbst „produzieren“, dem US-Dollar. Wertet der Dollar ab, ändert sich an der Schuldenlast für die USA nichts, im Gegenteil: Das in Fremdwährung angelegte US-Auslandsvermögen nimmt, in Dollar umgerechnet, sogar zu. Dass die Situation dennoch für die USA auf Dauer nicht haltbar ist, liegt an verschiedenen Risiken:

  1. Dem Risiko der weiteren Deindustrialisierung: Der US-Dollar ist vor allem gegenüber asiatischen Währungen überbewertet. Deshalb ist die Produktion von Industriegütern, die man auch anderswo auf der Welt herstellen kann, in den USA zu teuer. Dies hat zu einer zunehmenden Abwanderung vieler industrieller Produktionsstätten vor allem in den asiatischen Raum (zum Beispiel IT-Hardware, Automobilproduktion) und zu einem Verlust an starken Exportbranchen geführt.
  2. Dem Risiko, dass sich internationale Kreditgeber zurückziehen: Die USA finanzieren ihre Defizite vor allem durch die Emission von öffentlichen Schuldverschreibungen unterschiedlicher Laufzeiten. 2010 wollen die USA am Anleihemarkt 2,4 Billionen US-$ aufnehmen und liegen damit weit vor allen anderen Emittenten (es folgen Japan mit 1,3 Billionen sowie Italien, Deutschland, Großbritannien und Frankreich mit jeweils rund 300 Mrd. US-$). Damit ist der Kapitalbedarf der USA gegenüber den Jahren vor der Finanzkrise, wo er die Eine-Billion-Dollar-Marke nicht überschritt, nochmals gewaltig gestiegen.12

    Auf der anderen Seite des Marktes stehen China und Japan als größte Gläubigerländer der USA: In China gibt es seit einiger Zeit bereits eine Debatte, warum das Land die wachsenden Risiken, die mit diesen Beständen verbunden sind, weiter tragen sollte. China hat inzwischen begonnen, den Aufkauf neuer US-Anleihen zu drosseln und sogar einen Teil seiner Bestände zu verkaufen. In politischen Konflikten mit den USA droht China gelegentlich mit dem Ziehen der „Nuklearoption“, d.h. mit der Auflösung seiner gigantischen Bestände an amerikanischen Staatsanleihen, was für die USA und die Weltwirtschaft verheerende Folgen hätte. Das jüngste Dementi der chinesischen Zentralbank, man werde die großen Bestände an amerikanischen Anleihen nicht als „politisches Druckmittel“ verwenden, belegt eher das Gegenteil.

    Angesichts der gewaltigen Verschuldungsdynamik gibt es weltweit inzwischen deutliche Warnsignale: Der renommierte amerikanische Ökonom Laurence Kotlikoff befürchtet, dass auch die USA nicht vor dem Wirken von Spekulanten gefeit sind und durchaus demnächst in deren Visier geraten könnten.13 Die Citigroup Global Markets kommt in einer Studie der internationalen Staatsverschuldung zu dem Schluss, dass die Märkte die Kapitalzuflüsse stoppen könnten, wenn es den USA, Japan und Großbritannien nicht gelinge, auf einen radikalen Kurs der Haushaltskonsolidierung umzusteuern.14 Weitere Warnsignale für die USA liegen darin, dass einerseits die Nachfrage ausländischer Regierungen und Investoren nach US-Staatsanleihen seit einiger Zeit deutlich zurückgeht,15 und dass andererseits die Gläubiger immer weniger bereit sind, sich auf lange Laufzeiten einzulassen: „Noch vor zehn Jahren betrug die durchschnittliche Restlaufzeit von US-Staatsanleihen knapp 60 Monate. Im Jahr 2009 war sie auf unter 50 Monate geschrumpft, was die wachsende Besorgnis vor einem zufälligen oder geplanten Wertverlust des US-Dollar zum Ausdruck bringt.“16

  3. Der Gefahr des Dollarverfalls: Gelingt es den USA nicht, ihre Defizite möglichst bald unter Kontrolle zu bringen, dann wächst das Risiko, dass einzelne Länder damit beginnen, ihre Dollarreserven zu verkaufen. Der Harvard-Historiker Niall Ferguson warnt davor, dass das Vertrauen in die USA aufgrund irgendeines Ereignisses plötzlich verloren gehen könnte, „mit nur einer schlechten Nachricht als Funke, der einen globalen Flächenbrand auslösen könnte“17. Dann wäre eine massenhafte Flucht aus dem US-Dollar durchaus denkbar, der sich auch China mitnichten entziehen könnte: „So groß die Vorteile des bestehenden Systems für Länder wie China auch sein mögen, ab einem gewissen Punkt übersteigen die Kosten den Nutzen. Die Vereinigten Staaten stehen am Scheideweg. Wenn sie ihren Haushalt nicht in den Griff bekommen und die privaten Ersparnisse nicht steigen, wird ein solches Erdbeben immer wahrscheinlicher.“18 Die Weltmärkte würden dann die in der Weltwirtschaft bestehenden Ungleichgewichte mittels abrupter, unkontrollierter Anpassungskrisen „bereinigen“ und den aufgestauten Korrekturbedarf bei den internationalen Angebots- und Nachfragestrukturen brutal erzwingen.

Für die USA und für die Weltwirtschaft wäre dies der Beginn einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Katastrophe. Die USA gingen ihres Privilegs, „grenzenlos“ Schulden im Ausland für mehr Konsum, für die Finanzierung öffentlicher Leistungen, für Steuererleichterungen, für staatliche „Rettungspakete“, für den Aufbau einer kollektiven Krankenversicherung etc. in eigener Währung aufnehmen zu können, ohne damit im Inland inflationäre Impulse auszulösen, verlustig. Mit diesem Privileg wäre es vorbei, wenn der US-Dollar den Status einer internationalen Reservewährung verlieren und zu einer „normalen“ Währung werden würde.
Die weiteren Auswirkungen eines Dollarverfalls auf die Finanz- und Gütermärkte wären gravierend. Es käme zu einer Kapitalflucht aus allen Formen von US-Anlagen.

Um diese Flucht zu bremsen, müssten die US-Zinsen massiv angehoben werden. Die Folgen wären ein dramatischer Einbruch der Investitionstätigkeit und der Konsumnachfrage sowie ein massiver Einbruch der Produktion mit dem Ergebnis massenhafter Arbeitsplatzverluste, welche die mit einer Quote von 10% bereits hohe Arbeitslosigkeit weiter ansteigen ließen. Die US-Einfuhren würden sich dramatisch verteuern, die Inflation im Inland würde einen Schub erfahren, der Lebensstandard der Amerikaner würde spürbar zurückgehen, was zu verschärften Verteilungskämpfen sowie politischen und sozialen Unruhen führen könnte. Die US-Regierung hätte aufgrund des bereits exorbitant hohen Schuldenstands und des Versiegens ausländischer Kreditquellen keine Möglichkeit, dieser Entwicklung wie in den letzen beiden Jahren gegenzusteuern, die USA würden in ihrer schlimmsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise seit den 1930er Jahren versinken. Hinzu käme der massive Verlust außenpolitischer Macht, denn die Last der Finanzierung von US-Streitkräften im Ausland würde unerträglich hoch und müsste reduziert werden.

Auch die Weltwirtschaft bliebe von dem Desaster der größten Volkswirtschaft nicht verschont: Es wäre mit weltweiten Börsen-Crashs zu rechnen, nicht nur amerikanische, alle Banken dieser Welt könnten mit panikartigen „bank runs“ konfrontiert werden. Der drastische Anstieg des amerikanischen Zinsniveaus würde das Weltzinsniveau nach oben treiben und Wachstums- und Beschäftigungseinbrüche mit all ihren sozialen und politischen Konsequenzen auch in anderen Ländern auslösen.

Gibt es Auswege aus der Misere?

Um diese krisenhafte „Bereinigung“ der aufgestauten Weltwirtschaftsprobleme zu vermeiden, sind nicht nur die USA gefordert, es wäre eine international koordinierte Politik erforderlich:

  • Die USA – aber auch andere Defizitländer, vor allem Japan – müssten rasch ihren Staatshaushalt sanieren. Die USA müssten darüber hinaus eine nachhaltige Veränderung des Verbraucherverhaltens zugunsten einer deutlich höheren Sparquote forcieren und müssten die produktiven Investitionen in exporttragenden Branchen ankurbeln.
  • Die Überschussländer der Weltwirtschaft, Japan, Deutschland, und vor allem China mit seinen Nachbarländern müssten ihre interne Konsum- und Investitionsnachfrage stärken, um die Exportlastigkeit ihrer Wirtschaftsstrukturen abzubauen. Da bei den letztgenannten Ländern – vor allem in Japan – gleichzeitig ein enormer Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte besteht, dürfte eine binnenwirtschaftliche Ankurbelung auf erhebliche Probleme stoßen.
  • Vor allem China müsste seine Währung, den Yuan, deutlich aufwerten lassen, die kürzlich angekündigten Schritte sind zum Abbau des massiven Handelsbilanzungleichgewichts mit den USA bei weiten nicht ausreichend.
  • Die Ölexportländer müssten veranlasst werden, ihre Nachfrage zu erhöhen und diese auf US-Produkte zu richten, um Petro-Dollar zu recyceln.

Das alles ist den internationalen staatlichen Führungseliten seit Jahren bekannt, ohne dass dies zu gemeinsam getragenen, koordinierten und erfolgversprechenden Strategien, die auch konsequent umgesetzt werden, geführt hat. Warum nicht? Einen harten Sanierungskurs der öffentlichen Haushalte scheuen die Politiker, da sie Gefahr laufen, bei den nächsten Wahlen durch Stimmenverluste „abgestraft“ zu werden. Die britische und die japanische Regierung versuchen derzeit dieses Wagnis, wobei die japanische Regierung bereits nach zunächst mutigen Vorschlägen inzwischen den vorsichtigen Rückzug eingeleitet hat. Eine weniger „schmerzvolle“ Strategie scheint der Ausweg in die Inflation zu sein. Dieser Weg steht einem großen Land wie den USA durchaus offen. Die Amerikaner selbst würden durch eine allmähliche Inflationierung des Dollar weit weniger belastet als ihre ausländischen Gläubiger, so dass hier die Versuchung durchaus groß werden könnte. Allerdings lässt sich eine Geldentwertung schlecht steuern, sie kann leicht aus den Fugen geraten und zu einer Hyperinflation führen, was dem Wirtschaftswachstum und der Beschäftigung im Lande langfristig enorm schaden würde. Zudem würde eine solche Politik der Abkehr vom Dollar als faktischer internationaler Reservewährung zusätzlich Auftrieb geben.

Schlussfolgerungen

Die USA stehen ökonomisch „mit dem Rücken an der Wand“: Das Leistungsbilanzdefizit verharrt trotz der deutlichen Drosselung aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise auf einem intolerabel hohen Niveau. Die staatlichen Haushalte sind bis zur „Halskrause“ verschuldet. Die Bonität der US-Regierung an den internationalen Finanzmärkten ist gefährdet. Das Risiko eines abrupten Dollarabsturzes an den Devisenmärkten ist nicht mehr nur theoretischer Natur. Eine radikale Umsteuerung weg vom öffentlichen Schuldenkurs weist den Weg aus dem wirtschaftspolitischen Dilemma, sie wäre zwingend notwendig, um tiefgreifende Krisen zu vermeiden. Diesem Erfordernis steht allerdings die Notwendigkeit gegenüber, durch staatliche Defizite die labile Konjunktur zu stützen, was in den weit verbreiteten Befürchtungen eines drohenden „Double Dips“ und einer weiter steigenden Arbeitslosigkeit, zum Ausdruck kommt. Selbst wenn die Regierung keine weiteren Konjunkturpakete beschließen würde – sowie bei Ausklammerung der gewaltigen Kosten der geplanten Reform des Krankenversicherungswesens –, beinhaltet bereits die bestehende exorbitante Staatsverschuldung aufgrund des Zinseszinsmechanismus den Keim einer wachsenden Schuldendynamik, was die öffentliche Verschuldung bei ausbleibendem Wirtschaftswachstum immer tiefer in die „Schuldenfalle“ hineinführt und an absolute Grenzen herantreibt. Je länger dieses wirtschaftspolitische Dilemma anhält, desto schwieriger ist es zu lösen und desto größer werden die Risiken einer tiefgreifenden Anpassungskrise, die die gesamte Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen würde. Gegenwärtig ist nicht erkennbar, wie sich die USA aus diesem Dilemma befreien und den Weg aus der Sackgasse finden kann.

  • 1 Die Abweichung zu den vorher genannten 10,6% ergibt sich daraus, dass in dieser die jüngsten Haushaltsplanungen der Obama-Regierung von Anfang Februar 2010 bereits enthalten sind, die in die früher erstellten Datenquellen zur Abbildung 2 noch nicht so exakt einfließen konnten.
  • 2 C. Reinhart, K. Rogoff: This Time is Different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton 2009.
  • 3 N. Roubini: Crisis Economics. A Crash Course in the Future of Finance, New York 2010.
  • 4 Vgl. zu diesem Problemkreis ausführlich P. Krugman, M. Obstfeld: International Economics. Theory & Policy, 8. Aufl., Boston 2009, S. 299-301.
  • 5 Das Konzept der „Ricardianischen Äquivalenz“ geht bereits auf David Ricardo (1772-1823) zurück und wurde in den 1970er Jahren von dem amerikanischen Ökonomen Robert Barro wieder aufgegriffen und popularisiert.
  • 6 Vgl. hierzu auch die Analyse des deutschen Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2006/07, S. 122-125.
  • 7 Das kann im Falle der USA auf mehreren Wegen geschehen: durch Investitionen von Ausländern in den USA, durch den Kauf von US-Vermögenspositionen durch Ausländer und/oder durch Kreditaufnahme im Ausland.
  • 8 Der reale Wechselkurs einer Währung wird gemessen als das Verhältnis, zu dem repräsentative Warenkörbe zweier Länder getauscht werden. Der Wechselkurs einer Währung kann auch gegenüber einem Währungskorb aus verschiedenen Fremdwährungen berechnet werden Der Wert des US-Dollar bzw. seine Veränderung wird seit Mitte der 1970er Jahre mit dem „US Dollar Index“ gemessen, der sich auf einen Währungskorb aus sechs wichtigen Währungen bezieht und von der Terminbörse ICE Futures U.S. seit 1973 geführt wird.
  • 9 Der letzte Begriff geht zurück auf M. P. Dooley, D. Folkerts-Landau, P. Garber: An Essay on the Revived Bretton Woods System, NBER Working Paper, 9971, 2003.
  • 10 Zahlen nach iwd (Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft) vom 7.2.2008.
  • 11 U.a. beim Finanzinvestor Blackstone, bei der Investmentbank Morgan Stanley oder beim Kreditkartenunternehmen Visa. Vgl. N. Piper: Die große Rezession. Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft, München 2009, S. 220 ff.
  • 12 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.3.2010.
  • 13 Er sagte in einem Interview der Welt am Sonntag am 22.5.2010: „Die Akteure an den Finanzmärkten verhalten sich wie der Wolf vor der Schafherde. Er pickt sich immer das schwächste Schaf heraus und greift es an. Im selben Stil haben die Märkte vor wenigen Wochen ihr Urteil über Griechenland gefällt. Wenn sie irgendwann merken, dass die USA Zahlungsverpflichtungen anhäufen, die sie in Zukunft nicht mehr erfüllen können, wenden sie sich ihrem nächsten Opfer zu … Wenn wir bei dem Herdenbeispiel bleiben, gehören die USA bereits zu den schwachen Schafen.“
  • 14 Citigroup Global Marktes: Global Economic Views: Sovereign Debt Problems in Advances Industrial Countries, vom 26.4.2010, S. 8.
  • 15 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.2.2010.
  • 16 N. Roubini, S. Mihm: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft, Frankfurt/Main 2010, S. 336.
  • 17 Der Spiegel vom 3.5.2010.
  • 18 N. Roubini, S. Mihm, a.a.O., S. 344.


DOI: 10.1007/s10273-010-1148-8