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IWF-Reformen: Ein kleiner Schritt, kein großer Wurf

Von Rolf J. Langhammer

Der Geschäftsführende Direktor des IWF hat die am 5. November 2010 vom Exekutivrat beschlossene Reform der Stimmrechtsverteilung zugunsten der bislang unterrepräsentierten Schwellen- und Entwicklungsländer als die umfassendste Reform in der 65-jährigen Geschichte des Fonds bezeichnet. Damit hat er zwar Recht, aber dies zeigt nur, dass bislang so gut wie keine Reformen stattfanden, die den Gewichtsverschiebungen in der Weltwirtschaft Rechnung getragen hätten. Gemessen daran, was bereits an viel weitergehenden Stimmrechtsrevisionen vorgeschlagen wurde, bleibt die Reform eine kleine Münze: Etwas mehr als 6% der Stimmrechte verschieben sich von den bislang nach ihrem Gewicht am Welt-BIP „überrepräsentierten“ europäischen Industriestaaten zu den „unterrepräsentierten“ Schwellen- und Entwicklungsländern. Deutschland, bislang nach Stimmrechten an dritter Stelle liegend, fällt hinter China (bislang an fünfter Stelle) auf Platz vier zurück. Indien rückt von Platz 11 auf Platz 8 vor, Brasilien von Platz 14 auf Platz 10. Die europäischen Mitglieder verlieren zwei Sitze im Exekutivrat. Erleichternd für die Einigung war, dass die Finanzmittel des IWF durch die Verdopplung der Quoten auf ungefähr 480 Mrd. Sonderziehungsrechte (etwa 760 Mrd. US-$) wesentlich erhöht wurden.

Was bleibt, ist die unangetastete Vetoposition der USA mit etwa 17% der Stimmrechte, und was fehlt, ist weiterhin ein gemeinsames Stimmrecht für die Euro-Länder, obgleich nach der Vergemeinschaftung der Geldpolitik allmählich auch eine stärker gemeinschaftlich koordinierte Fiskalpolitik am Horizont erscheint. Das eine aufzugeben und das andere einzuführen, sollte der Maßstab einer echten Reform sein. Qualitative Reformen umfassen zum einen die Stärkung von analytischen Kernkompetenzen des Fonds. Dazu gehören Arbeitsaufträge an den IWF, regelmäßig den Fortschritt hin zu gleichgewichtigeren („nachhaltigeren“) Leistungsbilanzsalden, Fiskalpolitiken und Finanzmarktentwicklungen abzuschätzen. Zum anderen soll der Fonds Kreditlinien weiter verfolgen, die als vorsorgende Sicherungsnetze Krisen verhindern sollen.

Das klingt nach einer stärkeren Rolle des Fonds in der internationalen Finanzarchitektur als zuvor. Doch dagegen spricht einiges. Erstens bleiben dem Fonds weiterhin wesentliche Insignien eines „lender of last resort“ verwehrt. Er kann weder eigenständig Liquidität schöpfen, noch kann er in die Gesetzeskompetenz von Ländern mit Zahlungsbilanzkrisen eingreifen. Zweitens stützen empirische Studien die These, dass die USA (und andere G-7-Länder) Einfluss auf die IWF-Kreditkonditionen nehmen. Partner der USA bzw. Länder, die im UN-Sicherheitsrat mit den USA stimmen, konnten in der Vergangenheit von schwächeren Kreditkonditionen profitieren als andere. Die wichtigen Mitgliedsländer nutzen also den Fonds, um eigene politische Interessen zu vertreten und schwächen damit die Autorität der Institution. Daran wird sich auch nach den Reformen nichts ändern. Drittens sind vorsorgende Kreditlinien kein Renner. Länder stigmatisieren sich ungern selbst, indem sie sich für diese Linien einschreiben, auch wenn gar kein Anlass besteht. Viertens ist das Thema „Manipulierte Wechselkurse“ für den Fonds ein vermintes Feld. Es gibt keine gesicherte Evidenz darüber, ab wann manipuliert wird und ob, und wenn ja, welche Wirkungen negativer Art in welcher Dimension auftreten. Der Fonds wird sich daher wie in der Vergangenheit bestenfalls schwammig äußern.

Fazit: Der IWF bleibt in der Hand seiner Mitglieder, auch wenn die ein wenig die Stühle gerückt haben.

Steinkohle-Subventionen: Zeit für einen Plan B

Von Rainer Kambeck

Es war alles so schön „einvernehmlich“ beschlossen worden Ende 2007: Die damalige Bundesregierung, die Regierungen der Steinkohlenländer Nordrhein-Westfalen und Saarland sowie das Unternehmen RAG AG und die IG BCE hatten sich nach zähen Verhandlungen auf ein Auslaufen des subventionierten Steinkohlenbergbaus im Jahr 2018 geeinigt. Im Steinkohlefinanzierungsgesetz sind für den Zeitraum 2009 bis 2019 allein aus dem Bundeshaushalt Absatz- und Stilllegungsbeihilfen in Höhe von 12,5 Mrd. Euro festgeschrieben, Finanzhilfen in Höhe von rund 3 Mrd. Euro kommen bis Ende 2014 aus Nordrhein-Westfalen dazu. In diesem Sommer hat nun die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag, dass der Plan zur Stilllegung der Bergwerke nicht über 2014 hinausgehen darf, die in Deutschland gefassten Beschlüsse wieder in Frage gestellt. Am 10. Dezember trifft sich der EU-Ministerrat, um endgültige Beschlüsse zu fassen.

Die Bundesregierung hat zwar auch einige Zeit gebraucht, bis sie zu einer einheitlichen Linie fand. Nun will sie aber in Brüssel geschlossen für die ursprüngliche deutsche Vereinbarung eintreten, die vorgesehene Revisionsklausel, die 2012 noch einmal eine Prüfung des Ausstiegsbeschlusses unter energiepolitischen Gesichtspunkten zusichert, jedoch opfern. Denn selbst bei hohen Weltmarktpreisen, wie etwa 2008, ist die heimische Steinkohlenproduktion wegen den geologisch bedingten hohen Förderkosten nicht konkurrenzfähig.

Irritationen gab es in den vorangegangenen Wochen wegen der Reaktionen des Gesamtverbands Steinkohle und der Gewerkschaft. Denn behauptet wurde, dass ein früherer Ausstieg den Steuerzahler in Deutschland mit über 2 Mrd. Euro belasten würde. In einer späteren Stellungnahme wurde zwar nur noch eine Belastung von 800 Mio. Euro angeführt. Aber auch diese Zahl ist erstaunlich, denn von den insgesamt im Steinkohlefinanzierungsgesetz für die Jahre 2015 bis 2018 vorgesehenen Subventionen von 4,45 Mrd. Euro dürften – wenn man einmal die durchschnittlichen Absatzhilfen der vorangegangenen vier Jahre und die von der RAG AG geplanten Produktionsmengen zugrunde legt – bei einer Beendigung schon 2014 etwa 1,8 Mrd. Euro Beihilfen alleine für den Absatz deutscher Steinkohle eingespart werden können.

Auf der Kostenseite sind bei einem früheren Ende des Steinkohlenbergbaus Kosten zu berücksichtigen, die bei Anpassungsmaßnahmen für die Ende 2014 noch etwa 10 000 Beschäftigten zu erwarten sind. Nach den ursprünglichen Plänen des Unternehmens sollen etwa 6800 Beschäftigte bis Ende 2018 vorzeitig in den Ruhestand überführt werden. Mit einer einfachen Gesetzesänderung ließen sich diese Pläne auch nach wie vor umsetzen. Begleitet werden müsste dieser Prozess allerdings dann mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie Kurzarbeiterregelungen, die insgesamt zu Kosten in Höhe von etwa 550 Mio. Euro führen. Selbst wenn man nun diese Kosten höher einschätzt – wofür es keine überzeugenden Argumente gibt – dürften die zusätzlich entstehenden Kosten auf keinen Fall höher sein als das oben genannte Einsparpotenzial von etwa 1,8 Mrd. Euro.

Natürlich wird die im Dezember anstehende Entscheidung im EU-Ministerrat eine politische Entscheidung sein, und dass die Bundesregierung hier unter Zugzwang steht, ein nationales Gesetz auch in Brüssel zu verteidigen, ist nachvollziehbar. Dennoch muss aus ökonomischer Sicht – und nicht zuletzt aus Sicht des deutschen Steuerzahlers – auch darauf hingewiesen werden, dass ein Plan B der RAG-Stiftung, der den Ausstieg schon im Jahr 2014 bewerkstelligen würde, Vorteile hätte.

Ausbildungsmarkt: Fachkräftenachwuchs sichern

Von Günter Walden

Bereits heute klagen Betriebe – konzentriert auf bestimmte Branchen und Berufe – über Fachkräftemangel. Aufgrund der demographischen Entwicklung werden diese Probleme in der Zukunft erheblich zunehmen. In der Debatte über geeignete Strategien zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses stehen sich scheinbar Vertreter zweier Positionen gegenüber: Zum einen wird eine verstärkte Zuwanderung von Fachkräften aus anderen Ländern gefordert. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass in Deutschland noch ein erhebliches Potenzial von jungen Menschen zur Verfügung steht, das qualifiziert werden sollte. Es handelt sich hierbei nicht um sich komplett ausschließende Alternativen, sondern um Wege zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses, die sich ergänzen können.

Im Vordergrund der Überlegungen sollte aber zunächst die Qualifizierung junger Menschen stehen, die eine berufliche Ausbildung aufnehmen und abschließen wollen. In den vergangenen Jahren war die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt von einem Mangel an Ausbildungsplätzen geprägt und vielen Jugendlichen gelang die Einmündung in eine betriebliche Ausbildung nicht. Hierzu gehörten insbesondere Jugendliche mit besonderem Förderbedarf, zu denen überproportional auch junge Migranten zählen.

In der Zukunft muss es verstärkt darum gehen, auch Jugendlichen mit schlechteren Voraussetzungen den Übergang in eine betriebliche Berufsausbildung zu ermöglichen. Um dies umzusetzen, sind sowohl auf der Seite der Jugendlichen als auch auf der Seite der Betriebe Veränderungen notwendig. Für eine Verbesserung der „Passung“ zwischen Anforderungen der Betriebe und den Voraussetzungen der Jugendlichen ist es erforderlich, die schulischen Leistungen schwächerer Jugendlicher zu verbessern. Ebenso ist die Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen zu stärken. Wichtig ist vor allem, dass Jugendliche mit schlechteren Voraussetzungen beim Übergang von der Schule in die Ausbildung durch eine gezielte Förderung und Betreuung wirksam unterstützt werden. Hier sind von der Politik bereits eine Reihe geeigneter Förderprogramme aufgelegt worden.

Auf der Angebotsseite muss den Betrieben klar werden, dass eine eigene Ausbildung die beste Möglichkeit ist, um künftigem Fachkräftemangel vorzubeugen. So wäre ja auch eine Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte mit einem erheblichen Investitionsaufwand verbunden. Staat und Wirtschaft sollten versuchen, mehr Betriebe als bisher für eine Ausbildungsbeteiligung zu gewinnen. Die Rahmenbedingungen für die Ausbildung wären dabei so zu verändern, dass Anreize für eine Ausbildungsbeteiligung der Betriebe wirksam erhöht werden (z.B. über eine optimierte Unterstützung durch Berufsschulen und überbetriebliche Bildungsstätten).

Allerdings wird sich auch über die Ausschöpfung des eigenen Fachkräftepotenzials eine vollständige Lösung des Fachkräftemangels nicht realisieren lassen. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird ein Rückgang an Fachkräften längerfristig nicht zu verhindern sein. Deshalb ist auch ein Zuzug entsprechend qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland nötig. Dies gilt insbesondere für Spezialisten (z.B. Ingenieure), die schon heute sehr nachgefragt werden. Vorteilhaft könnte auch die von der Politik angestrebte Erleichterung der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen sein.

Steuerschätzung: Kein Spielraum für Steuersenkungen

Von Stefan Bach

Derzeit sprudeln die Steuerquellen kräftiger als noch im Frühjahr vorausgesagt. Schneller als erwartet hat die deutsche Wirtschaft aus der tiefen Rezession herausgefunden. Nach der neuen Steuerschätzung Anfang November liegen die Steuereinnahmen bis 2012 um 61 Mrd. Euro über der letzten Prognose vom Mai. Bei den Politikern der unterschiedlichen Couleurs löst diese Botschaft die üblichen Reflexe aus. Vertreter aus dem Regierungslager wittern Morgenluft für ihre uneingelösten Steuersenkungsversprechen. Gewerkschaften und Sozialverbände wollen die Hartz-IV-Leistungen verbessern. Die notorisch klammen Kommunen reklamieren mehr Geld für sich.

Da war doch noch was? Richtig, die Haushaltskonsolidierung. Die hat die Große Koalition vor der Krise in Form der Schuldenbremse in die Verfassung geschrieben. Nimmt man die aktuellen Prognosen, in denen die Steuermehreinnahmen schon eingepreist sind, wird das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit 2010 „nur“ noch 3,8% des BIP ausmachen. 2011 könnte das Defizit mit 2,5% wieder unter der Maastricht-Grenze bleiben und 2012 auf unter 2,0% fallen, wenn es weiter so gut läuft. Nur sind darin eben immer noch beträchtliche „strukturelle“ Defizite enthalten, die die Staatsverschuldung weiter erhöhen. Denn im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden die Steuern dauerhaft gesenkt und laufende Ausgabenprogramme erhöht. Die richtige Botschaft zur Steuerschätzung lautet daher: Durch die höheren Steuereinnahmen sinken die gesamtstaatlichen Haushaltsdefizite von 2010 bis 2012 um 61 Mrd. Euro – auf immer noch um die 200 Mrd. Euro.

Finanzminister und Bundeskanzlerin halten die Staatskasse zu. Angesichts der desaströsen Umfragewerte der Regierung ist die Frage, wie lange ihnen das gelingt. Es gibt immer gute Gründe, die Steuern zu senken („kalte Progression“) oder die Ausgaben zu erhöhen („Zukunftsinvestitionen“). Hinzu kommt der internationale Druck auf Deutschland, mehr für das Wachstum zu tun oder die Exportüberschüsse abzubauen und dazu die Finanzpolitik expansiver zu fahren. Motto: Konsolidieren ja, aber nicht jetzt, weil es den Aufschwung, die wirtschaftliche Entwicklung oder inzwischen sogar die Währungsunion gefährdet. Das hat über die letzten Jahrzehnte dazu geführt, dass die Defizitfinanzierung zur Dauereinrichtung wurde.

Diese Entwicklung will die Schuldenbremse stoppen. Deren Umsetzung mag im Einzelnen fragwürdig sein. Die Handlungsspielräume der Finanzpolitik sinken, auch prozyklische Wirkungen sind nicht ausgeschlossen. Aber die politische Bremswirkung der Regelung ist unbestritten. Das Vertrauen in die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wird gestärkt, was positive Wachstumsimpulse auslöst. Finanzkrisen durch übermäßige Verschuldung können die Finanzmärkte destabilisieren und die wirtschaftliche Entwicklung erheblich belasten, wie die jüngsten Entwicklungen gezeigt haben.

Implizite Staatsschulden im Rahmen der sozialen Sicherungssysteme sprechen zusätzlich dafür, die explizite Staatsverschuldung nicht weiter zu erhöhen. Daher sollte die Finanzpolitik die mit den Sparbeschlüssen eingeschlagene Richtung fortsetzen. Mehr Ehrgeiz wäre im Hinblick auf den Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen angezeigt. Aber auch Steuererhöhungen dürfen nicht Tabu sein, von der breitenwirksamen Konsumbesteuerung (Mehrwertsteuer, Energiesteuer, Grundsteuer) bis zu „Reichensteuern“ auf die höheren Einkommen und Vermögen.


DOI: 10.1007/s10273-010-1141-2

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