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Schon während der Krise hat auf allen politischen Ebenen eine lebhafte Diskussion über eine bessere Finanzmarktregulierung eingesetzt. Einig war man sich nur in wenigen Bereichen. Und von der Umsetzung etwaiger Reformen ist die Politik noch weit entfernt. Allerdings ist auch fraglich, ob die Ansatzpunkte überhaupt richtig gewählt sind.

Erlahmender Reformenthusiasmus

An markigen Worten mangelte es unmittelbar nach Ausbruch der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise nicht, wenn Politiker beschreiben sollten, was im Finanzsektor künftig anders werden sollte. „Making Banking Boring“ hieß plötzlich die Devise. Noch im September 2009 auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh hieß es im Abschlusscommuniqué: „Today we agreed: […] To make sure our regulatory system for banks and other financial firms reins in the excesses that led to the crisis. Where reckless behavior and a lack of responsibility led to crisis, we will not allow a return to banking as usual. […]“

Tatsächlich sind seit Beginn der Finanzkrise im Sommer 2007 eine Vielzahl von Kommissionen eingesetzt worden und eine Reihe von Gesetzesinitiativen angestoßen worden. Vergleicht man allerdings die markigen Aussagen zum Höhepunkt der Krise mit den wirklichen Fortschritten, so werden schnell deutliche Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit sichtbar. Bevor man sich jedoch im Detail an eine Bewertung der aktuellen Reformfortschritte machen kann, sollte man einmal rekapitulieren, welche Ursachen die Krise hatte und welche Maßnahmen nötig sind, um künftig ähnliche Krisen zu vermeiden.

Ursachen der Krise

Ein wichtiges Element der jüngsten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise war ganz klar eine mangelnde Regulierung der Finanzmärkte in den USA und in anderen Industrieländern. Am Anfang der Finanzkrise stand ein Immobilienpreis- und Hypothekenboom in den USA, der durch Finanzinnovationen angefeuert wurde. Dabei stiegen gleichzeitig Hauspreise und die ausstehenden Kreditsummen. Möglich war diese Kreditexpansion einerseits durch günstige Finanzierungskosten für die Banken, andererseits durch Finanzinnovationen. Zwei spezielle Finanzinnovationen spielten dabei eine zentrale Rolle: Zum einen die Entwicklung von „Subprime“-Hypotheken für Schuldner geringerer Bonität, zum anderen ein Boom bei den Verbriefungen.

Die Kombination dieser Finanzinnovationen wurde zum Problem, weil sie dazu führten, dass die Banken und Hypothekengesellschaften zunehmend riskante Kredite vergaben, etwa an Käufer ohne Eigenkapital, Negative-amortization-loans, bei denen die monatlichen Raten noch nicht einmal die Zinsen abdeckten, oder sogar Ninja (No income, no job or assets)-Kredite an Schuldner ohne nachgewiesenes Einkommen, Arbeitsplatz oder Vermögen. Unter normalen Umständen hätten Banken solche Kredite wohl kaum vergeben, weil diese natürlich den Fortbestand der eigenen Institution gefährdet hätten. Mithilfe der zweiten wichtigen Finanzinnovation, der Verbriefung oder des „originate and distribute“-Ansatzes, gerieten solche Überlegungen allerdings in den Hintergrund. Der Boom bei den Verbriefungen erlaubte es den Finanzinstituten, Hypotheken zu vergeben, ohne diese in ihren Bilanzen behalten zu müssen. Die Hypotheken wurden in großem Stil zusammengepackt und in verschiedene Tranchen CDOs (Collateralized Debt Obligations) umgewandelt. Dabei gab es in der Regel einige Tranchen (etwa die Equity-Tranche), die die ersten Verluste aus einem solchen Portfolio trugen und andere Tranchen, die eine sehr sichere Anlageform versprachen und von den Ratingagenturen mit Top-Ratings versehen wurden.

Die AAA-Tranchen verkauften die Finanzinstitute an Investoren, die auf der Suche nach sicheren Anlagen waren, die Equity-Tranchen an Hedge-Fonds und andere spekulative Anleger. Da es den Banken zum Teil gelang, die Hypotheken komplett auf diese Art weiter zu verkaufen, sank der Anreiz zur sorgfältigen Kredit- und Risikoprüfung. Gleichzeitig kauften andere Finanzinstitute im Glauben an die Qualität der Wertpapiere diese als Anlageprodukt, weil sie höhere Renditen als etwa Staatsanleihen versprachen, gleichzeitig aufgrund ihres AAA-Ratings allerdings nur geringe Eigenkapitalhinterlegungen erforderten.

Verschärft wurde dieses Problem dadurch, dass die Bankenaufsicht in den USA den Hypothekenmarkt nur sehr unzureichend überwachte. Traditionell hatte die USA vor der Krise ein sehr fragmentiertes Aufsichtssystem, in dem die Notenbank Fed für die Aufsicht über bestimmte Banken zuständig war, das Finanzministerium für andere Banken und der Einlagensicherungsfonds FDIC wieder andere Aufsichtsfunktionen wahrnahm. Hinzu kam, dass die Hypothekengesellschaften, die für den Großteil der Expansion im Subprime-Markt verantwortlich waren, formal nicht als Banken gelten, weil sie kein Einlagengeschäft betrieben, und daher überhaupt nicht auf Bundesebene überwacht wurden. Für die Überwachung waren vielmehr die Einzelstaaten zuständig, was zum Teil de facto auf eine weitgehende Abwesenheit von jeder Aufsicht hinauslief.1

Ein internationales Problem wurde die Subprime-Krise dadurch, dass die CDOs amerikanischer Banken und Hypothekengesellschaften nicht nur innerhalb der USA, sondern dank international freier Kapitalströme weltweit im Finanzsystem verteilt wurden. Die Tatsache, dass am Ende weder transparent war, welches Institut weltweit welche CDOs in den Bilanzen hielt, noch, welche Hypotheken tatsächlich hinter welchen CDOs steckten, war eine der grundlegenden Ursachen für die Vertrauenskrise, die im Winter 2008/9 zum Erstarren der globalen Finanzmärkte führte. Verschärft wurde dieses Problem dadurch, dass viele große Institute mit Credit Default Swaps auf oder gegen den Default einzelner Banken gewettet hatten. Da diese Kontrakte nicht zentral gehandelt oder registriert worden waren, führte dies zu einer weiteren Unsicherheit über die Solvenz wichtiger Finanzinstitute.

Die Subprime-Krise hat damit vielfältige Dimensionen: Einmal die mikroökonomische Frage, wie es zum massenhaften Entstehen und zur Verbreitung auf faulen Krediten basierender Wertpapiere kommen konnte. Zweitens die (makroökonomische) Frage, warum die US-Behörden die Expansion der Subprime-Kredite und die Exzesse in diesem Markt zugelassen haben.

Auf mikroökonomischer Ebene kann man dabei die Probleme wie folgt zusammenfassen:

  • Übertriebener Risikoappetit der Banken,
  • exzessive Bilanzausdehnung der Finanzkonglomerate, unter anderem durch Verlagerung bestimmter Kreditgeschäfte in Zweckgesellschaften,
  • Aufbau eines kaum regulierten Schattenbankensystems,
  • Übertragung von Problemen in einem relativ beschränkten Teil des Finanzmarktes (jenes der US-Subprime-Hypotheken) auf das gesamte Finanzsystem wichtiger G7-Staaten,
  • falsche Bewertung durch die Ratingagenturen, unter anderem, weil diese von den emittierenden Instituten bezahlt wurden und damit eher deren Interessen als jene der Anleger vertraten,
  • unzureichende Aufsichtsstrukturen über die Finanzmärkte in den USA aufgrund einer föderal zersplitterten und selbst auf nationaler Ebene fragmentierten Aufsichtsstruktur,
  • internationale Regulierungsarbitrage, bei der Finanzinstitute bestimmte Aktivitäten jeweils in jene Jurisdiktion verlegte, die am laxesten regulierte.

Makroökonomisch stellt sich vor allem die Frage, warum die US-Notenbank den Boom bei den Hauspreisen, aber auch das Wuchern von Finanzinnovationen zugelassen hat. Zwar hat die Federal Reserve nicht direkte Regulierungskompetenz für breite Teile der US-Finanzmärkte, hätte sich jedoch Fed-Chairman Alan Greenspan gegenüber der US-Regierung oder dem US-Kongress für eine spezifische schärfere Regulierung eines einzelnen Marktes oder bestimmter Finanzinstitutionen eingesetzt, so wäre es im Zweifel zu entsprechenden gesetzlichen Eingriffen gekommen. Ebenfalls wichtig ist hier die Frage, ob die Notenbank angesichts der offensichtlichen Blase im Immobilienmarkt nicht hätte gegensteuern müssen.

Regulierungs- und Reformbedarf

Zumindest für die oben beschriebenen mikroökonomischen Regulierungs- und Anreizprobleme gibt es relativ einfache und eindeutige Lösungsvorschläge, die sich auch in einer Vielzahl der derzeit zirkulierenden Papiere und Aufstellungen zu den Finanzmarktreformen wiederfinden. Zu den zentralen Maßnahmen gehören:2

  • Zur Begrenzung der Bilanzausdehnung: Erhöhung der Mindestkapitalanforderungen bei Finanzinstituten sowie Einbeziehung auch der Zweckgesellschaften in die Berechnung des Kapitalbedarfs,
  • zur besseren Finanzaufsicht: Eine Zusammenführung bisher fragmentierter Aufsichtsstrukturen,
  • zur Verhinderung von internationaler Regulierungsarbitrage: Enge internationale Kooperation der Aufsichtsbehörden, internationale Mindeststandards und auf europäischer Ebene eine einheitliche Aufsichtsstruktur,
  • zum Abbau des Schattenbankensystems: Unterwerfen aller Finanzinstitutionen und Finanzprodukte einer einheitlichen Finanzaufsicht sowie aller Finanzderivate einem geordneten Clearing-System,
  • Zur Verhinderung übermäßiger Risikofreude: Eine Kontrolle der Bonusregeln.

Makroökonomische Ursachen der Krise

Etwas schwieriger ist die Analyse der makroökonomischen Ursachen der Krise und ihre Beseitigung. Viele Autoren machen für die Entwicklung der Blase und die spätere Krise einseitig die amerikanische Notenbank verantwortlich, die den Leitzins zu lange niedrig gehalten habe.3 Allerdings scheint diese Schuldzuweisung etwas verkürzt. In der theoretischen Literatur findet sich kaum ein Anhaltspunkt dafür, dass niedrige Zinsen zu Spekulationsblasen führen sollten.

Natürlich hätte die US-Notenbank jederzeit mit einer kräftigen Zinserhöhung den Immobilienboom beenden können. Angesichts der hohen Preissteigerungserwartungen vieler Hauskäufer wären die dafür notwendigen Zinsen allerdings sehr hoch gewesen. Wenn ein Hauskäufer einen Immobilienpreisanstieg von jährlich 15% erwartet,4 spielt es für sein Kalkül keine große Rolle, wenn der Hypothekenzins von 5 auf 7% steigt. Somit wäre eine sehr deutliche Zinserhöhung zum Beenden des Hauspreisbooms notwendig gewesen. Gleichzeitig war die US-Notenbank auch nach der wirtschaftlichen Erholung 2002 zunächst mit einer Situation relativ hoher Arbeitslosigkeit und eher schwacher Investitionstätigkeit der Unternehmen konfrontiert. Ein Grund hierfür war die geringe Inlandsnachfrage in Deutschland, Japan und China, die zu schwacher Nachfrage nach amerikanischen Produkten auf dem Weltmarkt führte. Eine Zinserhöhung, die ausgereicht hätte, den US-Immobilienboom zu beenden, hätte den Rest der Wirtschaft stark belastet und möglicherweise sogar deflationäre Gefahren heraufbeschworen.

Plausibler – als hier ein reines Versagen der Notenbank aus Unkenntnis anzunehmen – ist es deshalb, dass die Notenbank in einer solchen Situation keinen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen wollte, sondern statt dessen die Kreditexpansion akzeptierte, die auch eine Expansion der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nach sich zog.

Diese Ursachenanalyse würde zu zwei Politikschlussfolgerungen führen:

  • Erstens müsste unter Zentralbankern ein Umdenken einsetzen. Statt Geldpolitik möglichst nur mit einem einzelnen Instrument, nämlich dem kurzfristigen Zins zu betreiben, müssten sie zusätzliche Instrumente erhalten, wie etwa die Möglichkeit, die Mindestreservehaltung oder die Eigenkapitalanforderungen danach zu variieren, in welchen Sektoren die Banken Kredite vergeben.5 Denkbar wäre auch, dass den Notenbanken erlaubt wird, eine maximale Beleihungsgrenze für Hypotheken über den Konjunkturzyklus zu variieren. Mit diesen Instrumenten könnte zielgenau das Entstehen einer Blase gebremst werden, ohne dass die Notenbank Kollateralschäden durch Zinserhöhungen in anderen Teilen der Wirtschaft auslösen muss.
  • Zweitens bräuchte man einen internationalen Ordnungsrahmen, der für eine gleichmäßigere Nachfrageexpansion in allen Ländern sorgt sowie Regeln dafür aufstellt, wie gleichzeitig stabile Wechselkurse erreicht werden können und unter welchen Umständen diese angepasst werden müssen, um zu verhindern, dass Länder wie China oder Deutschland mit ihrer Wirtschaftspolitik enorme Leistungsbilanzüberschüsse produzieren und damit zu einem globalen Nachfragemangel beitragen.

Bewertung der angestoßenen Regulierungen

Betrachtet man die nun erreichten Regulierungsfortschritte vor dem Hintergrund dieser Analyse und der ursprünglichen Aussagen der G20, so muss man feststellen, dass das Reformmomentum bereits zu einem guten Teil verloren gegangen ist. In den USA etwa hängt zu diesem Zeitpunkt (Januar 2010) das – ursprünglich sehr umfassende und auch etwa von Nobelpreisträger Paul Krugman gelobte6 – Gesetzespaket zur Finanzmarktregulierung noch in den Ausschüssen des US-Senats fest. Die Republikaner weigern sich, der Einrichtung einer Behörde zum Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen zuzustimmen. Wann und in welcher Form die strikteren Regulierungen wirklich umgesetzt werden, ist nun offen, ebenso, ob es am Ende tatsächlich zu einer umfassenden Regulierung des gesamten Schattenbankensystems kommt.

Nur auf den ersten Blick ebenfalls viel versprechend ist die neue Ankündigung des US-Präsidenten Barack
Obama aus dem Januar 2010, den normalen Geschäftsbanken den Eigenhandel, das Investmentbanking sowie Beteiligungen an Hedge Fonds und Private Equity Fonds zu untersagen. Zum einen ist auch hier die politische Umsetzung äußerst fragwürdig, zum anderen hat sich gerade in der Krise gezeigt, dass die Anwendung einzelner Regulierungen auf einen einzelnen Teil des Finanzsystems Krisen nicht verhindert, sondern nur neue Finanzinnovationen anregt. Den Geschäftsbanken bestimmte Aktivitäten zu untersagen, dürfte diese lediglich wieder in das System der Schattenbanken drücken. Solange die Geschäftsbanken aber Schattenbanken Kredite geben dürfen, sind die Risiken nicht verschwunden, und der Staat wird im Zweifel wieder zu staatlichen Rettungsmaßnahmen greifen müssen.

Auch in Europa hakt es bei der Umsetzung eines umfassenden Regulierungspaketes. Zwar hat die EU-Kommission aufbauend auf den Vorschlägen der De-Larosière- Kommission eine Gesetzesinitiative gestartet, bei der beabsichtigt ist, die europäische Finanzaufsicht in drei Fachaufsichten (eine für Banken, eine für Versicherungen und eine für Wertpapiere) zu gliedern und ihr zudem ein „European Systemic Risk Board“ an die Seite zu stellen, das systemische Risiken überwachen und aufzeigen soll. Allerdings hatte der Kommissionsvorschlag von Anfang an bereits Schwächen: So ist fragwürdig, warum man angesichts immer weiter verschwimmender Trennlinien zwischen verschiedenen Arten der Finanzinstitutionen nicht eine einheitliche Aufsichtsbehörde geschaffen hat.7 Auch scheint die Aufteilung der drei Behörden auf die Standorte Paris, London und Frankfurt wenig zielführend für eine gute Kooperation. Außerdem ist die Verknüpfung der Aufsicht über Mikro- und Makrorisiken nicht überzeugend.

Zudem ist vor allem auf Initiative Großbritanniens auf dem Finanzministergipfel Anfang Dezember der Kommissions-Vorschlag weiter verwässert worden. Nach der Vorstellung des Ministerrats sollen die Durchgriffsrechte der geplanten europäischen Behörden auf die nationalen Aufsichtsstrukturen stark eingeschränkt werden und de facto von der Zustimmung der nationalen Regierungen abhängig sein.8 Damit bliebe für Finanzmarktteilnehmer der Anreiz und die Möglichkeit bestehen, Regulierungsarbitrage zwischen den einzelnen EU-Ländern zu nutzen.

Zwar hat das europäische Parlament noch Vorbehalte gegen diese Verwässerung der De-Larosière-Vorschläge geltend gemacht, derzeit ist aber nicht klar, ob dies am Ende zu einer substantiellen Nachbesserung führt. Auch bei der Frage, inwieweit der Derivathandel etwa mit Credit Default Swaps in eine regulierte Handels- und Clearingstruktur überführt werden kann, hat die EU-Kommission inzwischen zurückgerudert.9 Auch einheitliche Bonusregeln wird es wohl kaum geben. Einzig bei der Frage der Eigenkapitalregeln deuten sich konkrete und greifbare Fortschritte an, allerdings gibt es gleichzeitig Anzeichen, dass den Banken großzügige Übergangsfristen bis zum Jahr 2040 eingeräumt werden könnten10 – ein Zeithorizont, in dem es durchaus noch zu mehreren schweren Finanzkrisen kommen könnte.

Das wahrscheinlichste Ergebnis wird deshalb sein, dass es zwar am Ende zu einer besseren Aufsicht und Regulierung von Finanzinstitutionen und -märkten kommen wird, dass aber die Fortschritte nicht groß genug sein werden, um tatsächlich neue Banken- und Finanzkrisen wirksam zu verhindern.

Fehlende makroökonomische Debatte

Die Debatte um makroökonomische Reformen zur Verhinderung künftiger Finanzkrisen ist noch wesentlich kümmerlicher als die Fortschritte bei der Regulierung der Finanzmärkte. Der Report der Stiglitz-Kommission und die Debatten innerhalb der Vereinten Nationen scheinen weitgehend abgekoppelt von den Initiativen der G20 zu sein, die sich inzwischen als zentrale Regulierungsinstanz für globale Finanzmarktfragen versteht.

Obwohl auch in dem Report der Stiglitz-Kommission die Frage nach den globalen Leistungsbilanz- und Nachfrageungleichgewichten und internationalen Kapitalströmen als Krisenauslöser oder Krisenverstärker eingängig behandelt wird, ist dieses Thema völlig von der politischen Agenda verschwunden. Auf dem G20-Gipfel im September 2009 wollten zwar die USA dieses Thema behandeln, auf Betreiben der deutschen Bundesregierung wurden die Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite dann allerdings nicht näher besprochen. In Deutschland gibt es derzeit zwar zaghafte Debatten über die Frage, ob das Erzielen von Leistungsbilanzüberschüssen in einer Größenordnung von mehreren Hundert Milliarden Euro pro Jahr ein richtiges „Geschäftsmodell“ für das Land darstellt, insbesondere in der Regierung wird diese Frage aber nicht offensiv diskutiert. Konkrete Politikvorschläge auf internationaler Ebene zur Korrektur anhaltender Leistungsbilanzungleichgewichte gibt es ebenfalls nicht.

Noch düsterer sieht es bei den Vorschlägen zu neuen Instrumenten für Zentralbanken zur Verhinderung neuer Blasen aus: Diese haben es aus akademischen Zirkeln hinaus überhaupt nicht in den politischen Prozess geschafft. Vorschläge für neue Gesetze oder eine Veränderung der Arbeitsweise der Notenbanken gibt es auf politischer Ebene bisher keine – ebenso wenig wie ernsthafte Diskussionen darüber etwa in der G20.

Neue Krisengefahren

Folgt man aber der obigen Analyse der Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise und den Schlussfolgerungen für die daraus notwendigen Reformen, so ist das wahrscheinlichste Szenario, dass es überhaupt nur auf einem Gebiet, nämlich der mikroökonomischen Finanzaufsicht und -regulierung Fortschritte geben wird. Selbst hier dürften aber die umgesetzten Änderungen nicht groß genug sein, um tatsächlich neue Banken- und Finanzkrisen dauerhaft und wirksam zu verhindern. Die tieferliegenden Probleme, wie die mangelnde Steuerungsfähigkeit der Notenbank gegenüber Blasen oder die inhärente Instabilität der globalen Ökonomie wegen der enormen Leistungsbilanzungleichgewichte bleiben weiter bestehen. Daraus folgt, dass – wenn auch nicht unbedingt 2010 oder 2011 – mit neuen Finanz- und Wirtschaftskrisen in den kommenden Jahren zu rechnen ist.

  • 1 Vgl. hierzu E. M. Gramlich: Subprime Mortgages: America’s Latest Boom and Bust, Urban Institute Press, 2007.
  • 2 Für eine umfangreiche Beschreibung der sinnvollen Eingriffe sowie weitere Referenzen zum Thema siehe S. Dullien, C. Kellermann, H. Herr: Der gute Kapitalismus, Bielefeld 2009, S. 153-162.
  • 3 Vgl. etwa J. B. Taylor: Getting Off Track: How Government Actions and Interventions Caused, Prolonged, and Worsened the Financial Crisis, Stanford 2009; oder P. Bofinger: Ist der Markt noch zu retten, Econ, 2009.
  • 4 Siehe für eine Beschreibung der immensen Wertsteigerungserwartungen R. Shiller: The Subprime Solution, Princeton 2009.
  • 5 Siehe für solche Vorschläge etwa C. A. E. Goodhart: The Regulatory Response to the Financial Crisis, Cheltenham et al. 2009; oder T. Palley: Asset-based Reserve Requirements: Reasserting Domestic Monetary Control in an Era of Financial Innovation and Instability, in: Review of Political Economy, Vol. 16 (2004), Nr. 1, S. 43-58.
  • 6 Vgl. P. Krugman: Out of the Shadows, New York Times vom 18.6.2009, http://www.nytimes.com/2009/06/19/opinion/19krugman.html?_r=2.
  • 7 Vgl. C. Goodhart, D. Schoenmaker: The de Larosière report: two down, two to go, ft.com/economistsforum vom 13.3.2009; http://blogs.ft.com/economistsforum/2009/03/the-de-larosiere-report-two-down-two-to-go/.
  • 8 Vgl. W. Proissl: Staaten entschärfen Finanzaufsicht, in: Financial Times Deutschland vom 3.12.2009.
  • 9 Vgl. R. Hönighaus: EU nimmt sich Zeit für Derivatemarkt, in: Financial Times Deutschland vom 14.1.2010.
  • 10 Vgl. N. Luttmer, M. Schrörs: Aufseher verschonen Banken, in: Financial Times Deutschland vom 18.12.2009.

Ein effektiver und globaler Regulierungsrahmen für ein stabileres Finanzsystem

Die Finanzkrise markiert einen Paradigmenwechsel für die Finanzmärkte. Die Doktrin der „Light-Touch“-Regulierung – und die sie tragende Theorie der „Efficient Markets“ – hat versagt. Die Notwendigkeit, einen effektiven und globalen Regulierungsrahmen zu schaffen, steht außer Frage. Das gebietet schon allein die politische Hygiene: Der Staat kann nicht Milliarden für die Stützung der Märkte und des Bankensektors ausgeben – und sich ansonsten darauf verlassen, dass die Marktdisziplin in Zukunft besser funktioniert, weil man aus Fehlern lernen sollte. Der Preis, den die Finanzindustrie für die groß dimensionierten Hilfen zu zahlen hat, ist die Unterwerfung unter strengere Regeln. Soweit es sich dabei um sinnvolle Regulierungsänderungen handelt, liegen sie im Interesse der Finanzwirtschaft; sie signalisieren die Bereitschaft zur Umkehr und sind mithin essentiell für die Rückgewinnung des Vertrauens der Kunden.

Es wäre jedoch naiv anzunehmen, dass mit einem neuen, selbst mit einem optimalen Regulierungsrahmen, Finanzkrisen ein für allemal aus der Welt geschafft würden. Die jetzige Krise war bei weitem nicht die erste Krise, und sie wird auch nicht die letzte gewesen sein. Übertreibungen in beide Richtungen sind dem Finanzsystem inhärent: Solange die „animal spirits“ die Märkte beeinflussen, wird es immer wieder zu Phasen des kollektiven Überschwangs wie des abrupten Stimmungsumschwungs kommen. Was jedoch verhindert werden kann – und verhindert werden muss, denn eine zweite Krise diesen Ausmaßes kann sich der Kapitalismus wahrscheinlich nicht leisten –, ist die Ansteckung des gesamten Systems. Das Motto des „Never again!“ kann sich nicht auf den Zusammenbruch einer Investmentbank beziehen, sondern allein auf die Tatsache, dass dieser Zusammenbruch das globale Finanzsystem an den Rand des Kollaps brachte und die Weltwirtschaft in die tiefste Rezession seit dem zweiten Weltkrieg stürzte.

An diesem Anspruch müssen sich die jetzigen Regulierungsvorhaben messen lassen. Ziel muss also sein, zum einen jedes einzelne Institut so zu stärken, dass der Ausfall eines Geschäftspartners nicht zum befürchteten Dominoeffekt führt (mikroprudentielle Aufsicht), zum anderen die absolute Homogenität des Marktverhaltens rechtzeitig zu unterbinden, so dass der Markt erst gar nicht in die Situation eines gefährlichen „tipping points“ kommt (makroprudentielle Aufsicht). Ist die Politik damit erfolgreich, ist zugleich auch ihr Nebenziel erreicht, nicht wegen systemischer Risiken Steuergelder in Milliardenhöhe für die Rettung von Banken ausgeben zu müssen. Das Resultat wäre nämlich ein stabiles Finanzsystem, nicht in dem Sinne, dass es gänzlich frei wäre von Insolvenzen und Krisen, sondern in dem Sinne, dass es solche Verwerfungen aus eigener Kraft und im Rahmen des freien Wettbewerbs bewältigen könnte.

Regulierung ohne Lücken

Die bisherige Regulierung hatte in beiden Bereichen Defizite: Die mikroprudentielle Aufsicht bezog viele Institute – das sogenannte „Shadow-Banking“-System – nicht oder nur unzureichend mit ein und die makroprudentielle Aufsicht fand überhaupt nicht statt.

Insofern ist die derzeitige Verengung der Regulierungsdebatte auf die Banken etwas irritierend. Zwar gibt es weiterhin die Absicht, fortan auch im Bereich beispielsweise der Hedgefonds oder Ratingagenturen mehr Transparenz zu schaffen. Aber diese Vorhaben genießen derzeit offenbar keine hohe Priorität. Dies ist in doppelter Hinsicht bedenklich: Erstens ist die Existenz „regulierungsfreier Zonen“ per se ein destabilisierender Faktor und zweitens ist es gerade jetzt, angesichts der deutlich schärferen Regulierung für Banken und den entsprechend gestiegenen Anreizen zur Regulierungsarbitrage, zwingend erforderlich, mögliche „Schlupflöcher“ zu schließen. In diesem Zusammenhang kann das oft gehörte Argument, Hedgefonds seien eher Opfer als Täter der Finanzkrise, nicht überzeugen – auch wenn es in vielen Fällen durchaus zutreffend ist. Denn ginge es bei der Schaffung eines neuen Regulierungsrahmens allein um die Aufarbeitung der letzten Krise, wären die Arbeiten von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die nächste Krise wird sicherlich keine Wiederholung der vorangegangenen; d.h. es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie ihre Ursache außerhalb des Bankensektors haben wird.

Makroprudentielle Regulierung

Aber selbst wenn es gelingt, tatsächlich alle Institute zu erfassen, ist eine Konzentration allein auf einzelne Institute nicht ausreichend, da aus der Stabilität des Einzelnen nicht zwangsläufig auf die Stabilität des Gesamtsystems geschlossen werden kann. Während beispielsweise nur eine einzelne Bank noch keine Schwierigkeiten haben dürfte, Risikopositionen zu einem bestimmten Zeitpunkt schnell aufzulösen, gilt dies für alle Marktteilnehmer, die gleichzeitig dieselben Positionen verkaufen wollen, schon nicht mehr. Das gleichgerichtete Verhalten der Marktteilnehmer bei Investitionen und Risikomanagement („Herdenverhalten“) kann gerade in Krisensituationen zu einer Destabilisierung des Systems führen. Wer nur die einzelnen Institute und deren Risikostrategien in den Blick nimmt und darüber Übertragungseffekte und Kettenreaktionen vernachlässigt, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.

Eine zentrale Lehre aus der Finanzkrise ist daher die Einsicht, dass die Finanzaufsicht im weitaus stärkeren Maße die Stabilität des Systems als Ganzes berücksichtigen muss, um möglicher systemischer Risiken gewahr werden zu können. Eine eindeutige Definition des Begriffs „systemisches Risiko“ gibt es dabei nicht. Am einfachsten lässt sich die Gefahr einer umfassenden Systemkrise als Gegensatz zum Ziel der Finanzmarktstabilität beschreiben: Das Finanzsystem oder einzelne Teile davon sind nicht mehr in der Lage, ihrer Dienstleistungsfunktion für die Realwirtschaft gerecht zu werden: Es kommt zu erheblichen Störungen im Zahlungsverkehr, der Kreditversorgung oder der Absicherung von Risiken mit entsprechend negativen Konsequenzen für Wachstum und Wohlstand.

In der zurückliegenden Finanzkrise ist es letztlich aufgrund der massiven Interventionen der Regierungen und Notenbanken gelungen, eine solche umfassende Systemkrise zu verhindern. Die vitalen Funktionen des Systems konnten aufrechterhalten werden. Allerdings kam es zeitweise zu erheblichen Einschränkungen, die wesentlich dazu beitrugen, die Wirtschaft in die tiefste Rezession seit dem zweiten Weltkrieg zu stürzen.

Die Notwendigkeit einer makroprudentiellen Aufsicht ist daher unumstritten. Die Analyse von Kapital- und Kreditströmen auf Makroebene zur rechtzeitigen Vermeidung der Entstehung von Ungleichgewichten im Finanzsektor, z.B. Kreditblasen, ist zur dauerhaften Sicherung der Finanzmarktstabilität essentiell. Sie bildet den „missing link“ zwischen Wirtschafts- und Geldpolitik auf der einen sowie mikroprudentieller Aufsicht auf der anderen Seite.

Die Schwierigkeiten der makroprudentiellen Aufsicht liegen nicht in der Konzeption, sondern in der Umsetzung. Die entscheidende Frage wird sein, welche Bindungskraft die Empfehlungen neu geschaffener Behörden wie des „European Systemic Risk Board“ (ESRB) oder des „Financial Stability Board“ (FSB) in der Praxis entfalten können. An Warnungen vor Übertreibungen im Finanzsystem hat es auch vor der Krise nicht gefehlt; doch sie blieben folgenlos. Da eine (all)mächtige internationale Behörde mit eigenen hoheitlichen Befugnissen gegenüber allen Finanzinstituten weltweit derzeit kaum realistisch erscheint, wird es an den nationalen Aufsichtsbehörden liegen, die Empfehlungen des ESRB oder FSB mit Leben zu erfüllen und in ihren Aufsichtsalltag zu übersetzen. Ohne Frage hätte aber eine makroprudentielle Aufsicht mit einem effektiven Instrumentenkasten die Finanzkrise entschärfen können, indem sie schon im Vorfeld versucht hätte, den dramatischen Anstieg von Leverage im Finanzsektor – der keineswegs im Verborgenen geschah – wirksam zu unterbinden, beispielsweise durch zielgerichtete zusätzliche Kapitalanforderungen.

Stärkung der mikroprudentiellen Aufsicht

Bei der mikroprudentiellen Aufsicht steht – neben dem Einbezug möglichst aller Finanzinstitute – die Frage nach den richtigen Instrumenten im Vordergrund. Die Mehrzahl der derzeit in den Fachgremien diskutierten Maßnahmen dürfte dabei auf breite Zustimmung treffen, auch wenn die Auswirkungen im Einzelnen noch nicht völlig klar sind und die Umsetzung im Detail, beispielsweise beim Timing oder den Übergangszeiten noch Schwierigkeiten bereiten wird. Aber an der grundsätzlichen Richtigkeit folgender Maßnahmen dürfte kein Zweifel bestehen. Nötig ist,

  • mehr und besseres Bankkapital zu fordern,
  • Kapitalanforderungen für Positionen im Handelsbuch und außerhalb der Bilanz zu erhöhen,
  • anti-zyklische Kapitalpuffer einzuführen,
  • das Liquiditätsmanagement zu straffen,
  • Vergütungsstrukturen langfristiger auszurichten und
  • ein effektives Insolvenzrecht für Finanzinstitute zu schaffen.

Allerdings gibt es auch diese Maßnahmen nicht umsonst; der Preis ist ein langsameres Wachstum der Finanzmärkte und der Realwirtschaft. Für die Bankenregulierung impliziert dieser Maßnahmenkatalog nicht weniger, als Basel II – wenn auch gerade erst eingeführt – grundlegend zu überarbeiten und zu ergänzen („Basel III“). In der Versicherungsaufsicht ist solch eine weitreichende Reform nicht erforderlich. Mit Solvency II gibt es bereits einen Regulierungsrahmen, der – richtig umgesetzt – den Ansprüchen der Post-Krisen-Ära genügt. Zudem spricht auch die hohe Stabilität der Versicherer in der Krise – solange sie originäres Versicherungsgeschäft betrieben – gegen tiefgreifende Änderungen. Regulierung und Geschäftsmodell der Versicherer haben sich in der Krise bewährt.

Neben den Überlegungen zu Basel III gibt es jedoch noch weitergehende und problematischere Vorschläge, die derzeit für den Bankensektor diskutiert werden: Zusätzliches Kapital für systemrelevante Institute, die Einführung einer Leverage Ratio sowie die Ideen der US-Regierungen hinsichtlich Größe und Handelsaktivitäten.

Regulierung systemrelevanter Institute

Die zusätzliche Regulierung sogenannter systemrelevanter Institute, zum Beispiel über höhere Kapitalanforderungen für Einzelne soll dazu beitragen, systemische Risiken weiter einzudämmen. Die Wirkung einer solchen zusätzlichen Regulierung erscheint jedoch fragwürdig. Trotz scheinbar eindeutiger Kriterien wie Größe (size), Ersetzbarkeit (substitutability) und Verflechtung (interconnectedness) bleibt die Bestimmung der System-Relevanz letztlich vage, da die Bewertung dieser Kriterien mit den ökonomischen Rahmenbedingungen variiert. Befindet sich das Finanzsystem erst einmal in einer „Stresssituation“, wächst auch relativ kleinen Banken – wie beispielsweise der IKB in Deutschland oder der Northern Rock in Großbritannien – systemische Bedeutung zu: Sie werden dann zum sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, indem ihr Zusammenbruch Misstrauen in (panischen) Vertrauensentzug wandelt und so das System endgültig destabilisiert. Diese Problematik ist auch dem FSB – auf den die Kriterien zur Bestimmung systemrelevanter Institute zurückgehen – wohl bewusst; im gemeinsamen Bericht des FSB, des IWF und der BIZ an die G20 („Guidance to assess the systemic importance of financial institutions, markets and instruments: initial considerations“) heißt es bezeichnenderweise: „All types of financial intermediaries, markets, and infrastructure can potentially be systemically important to some degree.“

Diese Einschätzung wird durch die Erfahrungen der Finanzkrise gedeckt, nicht zuletzt auch durch den Fall Lehman Brothers. Die Bank Lehman Brothers war nicht per se systemrelevant – sonst hätten die verantwortlichen Aufsichtsbehörden dem langsamen und öffentlichen „Sterben“ der Investmentbank sicherlich nicht tatenlos zugeschaut. Unter einigermaßen normalen Bedingungen hätte die Insolvenz auch nicht zu unverkraftbaren Verlusten bei Geschäftspartnern (counterparty risk) geführt oder den Zahlungsverkehr und/oder die Kreditversorgung der Realwirtschaft beeinträchtigt. Insofern war die erste Einschätzung der Behörden, Finanzsystem und Realwirtschaft könnten die Insolvenz von Lehman Brothers vertragen, zutreffend. Was übersehen wurde, war die Reaktion der Investoren, die Lehman Brothers dann zum „Systemfall“ machte: Die Investoren nahmen an, dass die problembehafteten Vermögenswerte, die Lehman Brothers zu Fall gebracht hatten, auch bei vielen anderen Banken in der Bilanz lagen – konnten aber deren Umfang nicht bestimmen. Daraus zogen sie die Konsequenz, Banken generell keine Mittel mehr zur Verfügung zu stellen, nachdem der Staat die Übernahme der Verluste (wie noch bei Bear Stearns) verweigert hatte. Mit anderen Worten: Lehman Brothers’ Insolvenz war nicht per se ein Systemrisiko, sondern in ihrer Eigenschaft als pars pro toto, die entsprechende Reaktionen der Marktteilnehmer heraufbeschwor. Entscheidend war nicht Lehmans Größe oder Verflochtenheit (Lehman als Einzelfall), sondern das weitgehend homogene Geschäftsgebaren der Banken im Vorfeld der Krise (Lehman als Teil der marktweiten Ungleichgewichte).

Diese Kontingenz der Einordnung einzelner Institute als „systemrelevant“ spricht dagegen, an dieses Kriterium permanente aufsichtsrechtliche Konsequenzen zu knüpfen. Es bedarf nur wenig Phantasie, sich vorzustellen, dass eine Einteilung des Finanzsystems in „systemrelevante“ und „systemirrelevante“ Bereiche mit unterschiedlichen Regulierungsintensitäten dazu führen wird, dass gerade im letzteren Bereich die Samen für die nächste Krise aufgehen werden. Letztlich könnte eine solche Dichotomisierung der Finanzmarktregeln sogar zur Instabilität des Systems beitragen, da sie Ausweichreaktionen der Betroffenen geradezu herausfordert. Das Ziel der Verhinderung systemischer Krisen kann weitaus besser im Rahmen der makroprudentiellen Aufsicht erreicht werden, indem marktweite Fehlentwicklungen mit Blick auf alle Finanzinstitute und ihre Aktivitäten analysiert werden. Generelle Kapitalzuschläge oder Verbote für nur einige wenige, vermeintlich systemrelevante Institute ohne makroprudentiellen Bezug erscheinen dagegen weder zielführend noch gerechtfertigt.

Es kann also nicht darum gehen, für große und komplexe Institute lauter Sonderregeln zu konzipieren. Viel wichtiger ist es, die Aufsichtsstruktur anzupassen: Globale Institute müssen auch von internationalen Aufsichtsbehörden überwacht werden; nur so kann sichergestellt werden, dass Kompetenz und Perspektive der Aufsicht den möglichen Geschäftsrisiken angemessen sind. Denn für diese Institute gilt natürlich auch die Einsicht, dass von der Stabilität der einzelnen Teile nicht automatisch auf die Stabilität der gesamten Gruppe geschlossen werden kann. Dies erfordert eine Aufsichtsbehörde, die ebenso global aufgestellt ist, wie die beaufsichtigten Institute, die aber auch durch Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden länderspezifische Besonderheiten und Rechtsregelungen berücksichtigt.

Neben dem Ziel der Sicherung der Finanzstabilität werden zusätzliche Kapitalpuffer für systemrelevante Institute häufig auch damit begründet, dass sich diese Institute in jedem Fall darauf verlassen können, vom Staat gerettet zu werden. Aber auch hier hat die Finanzkrise gezeigt: Eine Trennlinie zwischen Instituten, die um jeden Preis gerettet werden müssen, und Instituten, die ohne Risiko fürs Gesamtsystem insolvent gehen können, lässt sich ex ante nicht ziehen. Im Falle einer Krise dürfte eine solche Gruppenbildung den notwendigen Handlungsspielraum des Staates eher einschränken und effektive Stützungsmaßnahmen erschweren. Im Licht der bisherigen Erfahrungen erscheint zudem auch das Kostenargument zweischneidig: Die US-Regierung rechnet mittlerweile mit einem Gewinn aus den Kapitalmaßnahmen für die großen Banken; Verluste für den Steuerzahler entstehen dagegen aus den Fällen AIG, GM, Fannie Mae/Freddie Mac – und der Abwicklung zahlreicher kleiner Banken.

Leverage Ratio

Zu den neuen Instrumenten im Rahmen der mikroprudentiellen Aufsicht zählt auch eine Leverage Ratio, deren Einführung – zunächst als Pillar 2 Instrument – der Baseler Ausschuss explizit in Aussicht gestellt hat. Eine Begrenzung der Größe von Finanzinstitutionen mit Hilfe einer nicht risikosensitiven Leverage Ratio erscheint jedoch wenig zielführend. Mit Basel II und Solvency II hatten die internationalen Regelwerke für Finanzinstitutionen einen bewussten Schritt zu risikobasierten Regulierungssystemen vollzogen. Dahinter stand die Einsicht, dass krude, auf einfachen Risikometriken basierende Regulierungssysteme zu anfällig für Fehlsteuerungen und Regulierungsarbitrage sind. Daran hat auch die Krise nichts geändert.

Eine Leverage Ratio könnte höchstens als zusätzliches Kriterium sinnvoll sein, das Erkenntnisse für die Geschäfts- und Risikosteuerung liefert und ein Element in den Gesprächen zwischen Aufsicht und Finanzinstituten oder Hedgefonds bildet. Voraussetzung dafür ist allerdings die global einheitliche Definition einer Leverage Ratio mit Blick auf Zähler, Nenner, außerbilanzielle Exposures, Entlastungen durch Netting und risikomindernde Aktiva. Eine einheitliche Behandlung dieses Maßstabs sowohl unter IFRS (International Financial Reporting Standards) als auch US GAAP (United States Generally Accepted Accounting Principles) muss gewährleistet sein.

Neue Vorschläge der US-Regierung

Nach wie vor besteht die Erwartung, dass die Beschlüsse der G20 bindend sind und die Richtung vorgeben für einen globalen Regulierungsrahmen. Für die Wirkung eines solchen Rahmens ist die koordinierte Umsetzung in die nationale Gesetzgebung entscheidend. Zunehmend wird der Prozess jedoch politisiert und verlagert sich auf die nationale Ebene; eine gemeinsame und globale Antwort auf die Krise wird dadurch schwieriger, die Gefahr der Fragmentierung der Märkte steigt. Insbesondere die neuen Vorschläge der US-Regierung sind in dieser Hinsicht problematisch. Die Idee einer zumindest partiellen Rückkehr zu einem Trennbankensystem mag in den USA akzeptabel erscheinen; im europäischen Kontext der langen und positiven Erfahrungen mit Universalbanken ist sie es nicht.

Darüber hinaus können die Vorschläge auch inhaltlich kaum überzeugen, beispielsweise die Vorschläge zur Größenbeschränkung. Weder die Erfahrungen der Krise noch theoretische Überlegungen lassen den Schluss zu, dass Größe und Stabilitätsrisiken positiv korreliert sind. Allein Wettbewerbsüberlegungen sollten staatliche Maßnahmen in diesem Bereich rechtfertigen; ansonsten entscheiden die Aktionäre übers Geschäftsmodell der betroffenen Banken.

Ähnliches gilt auch für die Überlegungen zur Begrenzung des Eigenhandels sowie der Investitionen in Hedgefonds und Private Equity. Damit soll ein „De-risking“ des Bankgeschäfts erreicht werden. Die Idee der „sicheren Bank“ birgt jedoch eigene Risiken. Das Geschäft der Banken ist die (verantwortungsvolle) Übernahme von Risiken; dies ist der Mehrwert, den sie schaffen und der es ihnen ermöglicht, ihren Aktionären und Kunden attraktive Angebote zu machen. Sollten sich Banken nur noch auf „sichere“ Geschäfte beschränken („narrow banks“, „utility banks“), werden sie zwangsläufig ihre Leistungen reduzieren müssen, d.h. weniger Rendite für die Aktionäre und weniger Zinsen für die Einleger. In stabilen Zeiten, mit wachsender Risikoneigung, werden die Investoren daher vermehrt auf Alternativen jenseits der Banken ausweichen, wo sie einen höheren Ertrag erzielen können. Dort werden dann die Risiken steigen, aber mehr oder weniger unbeaufsichtigt. Ein Verbot bestimmter Aktivitäten für bestimmte Finanzmarktteilnehmer dürfte also mit Blick auf die Finanzmarktstabilität kontraproduktiv wirken. Notwendig sind Transparenz und klare Kapitalanforderungen für alle Geschäfte entsprechend ihrem Risikogehalt, aber unabhängig vom institutionellen Rahmen, in dem sie abgewickelt werden. Es sollten keine „Ausweichmanöver“ initiiert werden, bei denen risikoreiche Geschäfte „umetikettiert“ werden. Im Ergebnis würde wieder Regulierungsarbitrage betrieben, wie auch im Vorfeld der Krise.

Es bleibt also nur zu hoffen, dass die Vorschläge der US-Regierung nicht zu einer ernsten Behinderung für die Verabschiedung wirksamer Regeln werden, die sich global um- und durchsetzen lassen. Ein nationaler Überbietungswettbewerb, in dem sich die einzelnen Regierungen mit „drakonischen“ Maßnahmen gegenseitig übertrumpfen wollen, muss auf jeden Fall vermieden werden. Denn in diesem Fall müsste auch damit gerechnet werden, dass Regierungen zum Ausgleich an anderer Stelle (z.B. bei Fragen des Marktzugangs oder des freien Kapitalverkehrs) die internationale Wettbewerbsposition ihrer Finanzindustrie schützen würden. Stabilität und Funktionsfähigkeit des internationalen Finanzsystem blieben dabei auf der Strecke. Die Verwirklichung des Ziels einer harmonisierten globalen Wettbewerbsbasis ist heute nach der Finanzkrise zum Greifen nahe; diese Chance sollte nicht dem kurzfristigem Kalkül der nationalen Politik geopfert werden.

Insgesamt haben Politik und Notenbanken in der Krise bisher Bemerkenswertes geleistet. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung. Ihr Job ist allerdings noch keineswegs erledigt. Erst wenn auch der „Ausstieg“ so gut gelingt wie der „Einstieg“, haben wir die Krise wirklich gemeistert. Und zum „Ausstieg“ gehört es zwingend, die Grundlagen für einen globalen Regulierungsrahmen zu legen. 2010 wird in dieser Hinsicht das entscheidende Jahr. Die Chancen für einen Erfolg stehen immer noch gut, dank der Vorarbeiten von G20, FSB und Baseler Ausschuss. Doch es gilt zunehmend auch hier die alte Bergsteiger-Weisheit, dass der Abstieg in der Regel mehr Gefahren birgt als der Aufstieg. Nach „unten“, in die Sicherheit eines stabileren Finanzsystems mit globalen Regeln, ist es noch ein weiter Weg. Das Fundament müssen dabei die Kapitalanforderungen bilden: Es gilt, Quantität und Qualität in angemessener Weise zu erhöhen und zyklische Effekte zu dämpfen. Umfassende und risikoadäquate Kapitalanforderungen sind der Schlüssel, die Risikobereitschaft aller Marktteilnehmer in einem vernünftigen Rahmen zu halten, die Marktdisziplin zu stärken, Ansteckungsgefahren zu reduzieren und Gewinnerwartungen zu erden. Die Marktteilnehmer sind dann automatisch gezwungen, nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln, ohne dass es vieler zusätzlicher Restriktionen oder Verbote bedürfte.

Finanzmarktregulierung zwischen Licht und Schatten

Das Jahr 2010 könnte zur Zeitenwende für stabilere Finanzmärkte werden. Doch auch ein „Weiter so“ scheint möglich. Für einen Erfolg brauchen wir einen neuen Ansatz: Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit müssen ein Leitbild entwickeln, wie ein gutes Finanzsystem der Zukunft aussieht und welches seine Rolle im Wirtschaftssystem insgesamt sein soll. Denn es geht um die Transformation eines Sektors, nicht nur um die Anpassung einzelner Regeln.

Eine Zwischenbilanz

Wo stehen wir heute? Noch immer ist die Aufsicht in Deutschland unzureichend ausgestattet. Man stelle sich vor, eine große systemrelevante Bank in Deutschland gerate heute in ernste Schwierigkeiten. Finanzaufsicht und Finanzministerium stünden im Wesentlichen vor den gleichen Problemen wie einst bei der Rettung der HRE. Noch immer verfügen wir über kein europäisches Verfahren, mit dem sich grenzüberschreitend tätige Institute ohne Panikreaktionen an den Märkten abwickeln ließen. Stattdessen will die Bundesregierung ein nationales Bank-Insolvenzrecht schaffen, von dem nicht klar ist, was im Fall der HRE gewonnen gewesen wäre. Schließlich war dort die irische Tochter DEPFA Ursache der Schieflage. Die Liste weiterer rechtlicher, organisatorischer, informatorischer und personeller Mängel, die Notrettungen teurer als nötig machten, ist lang. Gleichzeitig zeigt die Debatte um die europäische Aufsichtsstruktur einen teilweise engen und kurzfristigen Blick statt den Willen, eine langfristig überzeugende Struktur zu schaffen.

Richtig ist auch: Lobbyisten schaffen es noch immer, vernünftige Neuregelungen zu ihren Gunsten zu torpedieren. Aufgrund ihres Einflusses soll es in den USA statt einer Überführung des milliardenschweren Handels mit Credit Default Swaps auf kontrollierte öffentliche Börsenplätze nun nur noch verschärfte Meldepflichten und zahlreiche Ausnahmen geben.1

Basel III

Doch es zeigen sich auch positive Ansätze in der Regulierungsdiskussion. Hierzu gehört das Konsultationsdokument des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zur künftigen Ausgestaltung der Kapitalanforderungen (Basel III) vom Dezember 2009.2 Es könnte ein wesentlicher Baustein auf dem Weg zu einem stabileren Finanzsystem werden. Hier wird vorgesehen, Transparenz und Qualität des Eigenkapitals deutlich zu verbessern sowie die Quantität zu erhöhen. Eine verbindliche Leverage Ratio soll ebenso eingeführt werden wie antizyklische Elemente in den Regeln und Kapitalunterlegungspflichten für Gegenparteirisiken und Verbriefungsgeschäfte. Auch sollen bilaterale Over-The-Counter-Geschäfte mit Kapital unterlegt werden, um Banken dazu zu bewegen, künftig den riskanten Derivatehandel über zentrale Clearing-Häuser abzuwickeln. Unter bestimmten Voraussetzungen darf die Aufsicht künftig Dividenden- und Bonizahlungen untersagen, um die Eigenkapitalbasis zu stärken.

Der Baseler Ausschuss greift damit relevante Vorschläge der jüngeren wissenschaftlichen Aufarbeitung der Krise auf.3 Doch werden bislang vor allem Prinzipien und Grundsätze genannt, die künftig gelten sollen. Konkrete Operationalisierungen und Zahlen (beispielsweise zur Höhe der Leverage Ratio oder der künftigen Mindest-Eigenkapitalquote) sucht man weitestgehend vergeblich – teils weil noch empirische Analysen und Forschungsbedarfe hinsichtlich der Methodik ausstünden. Auch lässt sich zwischen den Zeilen immer wieder und deutlich herauslesen, dass der Ausschuss in wichtigen Regulierungsfragen nicht nur beim „Wie“, sondern auch beim „Ob“ noch keinen Konsens erzielt hat.

Im Folgenden wird auf eine Reihe solcher wichtiger noch offener, letztlich hochpolitischer Fragen des Dokuments eingegangen.

Kapital für und Kalibrierung von Basel III – eine politische Kernfrage

Damit die Banken in Krisensituationen Verluste und Abschreibungen aus eigener Kraft stemmen können, fordert der Baseler Ausschuss zu Recht einen „gestärkten globalen Kapitalrahmen“. Dieser zusätzliche Kapitalbedarf wird sich letztlich aus der kumulativen Wirkung der vorgeschlagenen Baseler Einzelmaßnahmen ergeben (auf der Ebene des einzelnen Instituts wie auf der Ebene des Gesamtsystems). Er wird in den nächsten Monaten im Rahmen eines „Impact Assessments“ ermittelt. Die Kalibrierung des neuen Regelwerks, die bis Ende des Jahres vorliegen soll, zielt hingegen auf die Frage, wie dieses zusätzliche Gesamtkapital auf die einzelnen Regelungsbereiche aufgeteilt wird, wie stark also die einzelnen neuen Maßnahmen in Relation zueinander gewichtet und in der Folge wirken werden.

Hinter den technischen Begriffen „kumulative Wirkung“ und „Kalibrierung“ steht damit nicht weniger als die Frage danach, wie das Finanzsystem der Zukunft aussehen soll. Denn die Auswirkungen auf einzelne Banken werden sehr unterschiedlich und in Abhängigkeit von deren Geschäftsmodellen, ihrer Portfolien und – hoffentlich – der Fristigkeit ihrer Refinanzierung ausfallen. Am Ende des Basel III-Prozesses könnte tatsächlich ein anderes Finanzsystem stehen.


Um ein gutes Ergebnis in der zentralen Kapital- und Kalibrierungsfrage abzusichern, erscheint daher Folgendes notwendig:

  • Die Politik muss endlich ein Leitbild entwickeln, welches Finanzsystem sie in Zukunft haben will. Die G20-Kommuniqués von Washington, London und Pittsburgh und auch die Verlautbarungen der Bundesregierung geben hier noch keine Antwort und kein präzises Bild. Ohne Leitbild verfügt der Baseler Ausschuss nicht über die erforderlichen politischen Leitplanken für ein Impact Assessment und eine Kalibrierung. Aber wir brauchen ein im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft kleineres, einfacheres, vielfältigeres, langfristiger orientiertes und damit stabileres Finanzsystem als bisher. Dies sollte einer der Maßstäbe sein, an dem sich die neuen Kapitalregeln messen lassen müssen. Paul Volcker, einst Chef der US-Notenbank und Pate der Initiative von US-Präsident Obama zur Zerschlagung von Banken, sagte jüngst, die einzige sinnvolle Finanzinnovation der vergangenen Jahre sei der Geldautomat. Diese Aussage überspitzt, weist aber in die richtige Richtung, weil sie den Wert vieler komplexer Finanzinstrumente der letzten Jahre hinterfragt. Außerdem: Die Politik muss endlich mit großer Entschlossenheit klar stellen, dass Wachstumsmodelle, die auf der Förderung von Finanzplätzen als Selbstzweck und Nationalen Champions im Finanzwesen beruhen, nicht nachhaltig sind und der Vergangenheit angehören müssen. Auch ein solches Bekenntnis gehört in ein Leitbild. Nur so wird das Finanzwesen wieder zu seiner der Realwirtschaft dienenden Rolle finden.
  • Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft müssen in die Lage versetzt werden zu beurteilen, inwiefern Leitbild und Basel III einander entsprechen. Eine qualifizierte Kommentierung darf nicht den Banken und ihren Verbänden überlassen werden. Hierzu muss der Baseler Ausschuss für Transparenz des Verfahrens sorgen: Annahmen, Daten, Methodik und Ergebnis der Kalibrierung müssen laienverständlich (für Politik und Öffentlichkeit) und für die wissenschaftliche Kontrolle offengelegt werden. Nur so wird eine ausgewogene politische Willensbildung über das Ergebnis möglich. Eine der wichtigsten Fragen der globalen Gesellschaft – die Neuordnung des Finanzsystems – darf nicht einem demokratisch nicht legitimierten Ausschuss hinter verschlossenen Türen überlassen bleiben.
  • Von elementarer Bedeutung ist auch, dass im Prozess zwischen Impact Assessment, Kalibrierung und Implementierung nicht Rent-seeking-Interessen der Banken die Oberhand gewinnen. Erst kürzlich hat der IWF eindringlich auf die großen Gefahren des „regulativen Kaperns“ von Aufsicht und Politik durch die gutorganisierte und finanzstarke Bankenlobby hingewiesen.4 Darin wird deutlich, dass der Lobbyismus der Finanzindustrie eine Quelle systemischen Risikos darstellt.
  • Sicher ist in diesem Zusammenhang: Ein kurzfristig valides Argument wie eine drohende Kreditklemme darf nicht dafür herhalten, die Konzeption langfristig geltender Regeln zu torpedieren. Allenfalls Übergangsregeln dürfen in diesem Zusammenhang zur Anwendung kommen. Besser wäre allerdings, der Gefahr der Kreditklemme durch eine zwangsweise Rekapitalisierung nach obligatorischen Stresstests zu begegnen.

Mehr Staat – und mehr Markt!

Zum Leitbild eines guten Finanzsystems gehört neben der Stärkung der Aufsicht die Stärkung marktwirtschaftlicher Kontroll- und Stabilisierungsmechanismen. Denn Teil der Analyse der Krisenursachen ist, dass solche üblicherweise stabilisierend wirkenden Mechanismen in vielen Bereichen des Finanzmarkts außer Kraft gesetzt sind.

So ist es in den letzten Jahren – auch vor den Rettungsübernahmen – zu einer immer größeren Konzentration im Bankenmarkt gekommen: In der EU erreichen die fünf größten Banken in 19 der 27 Mitgliedstaaten einen Marktanteil von über 50%, in den USA von über 40%.5 Diese Marktkonzentration führte – zusammen mit der Verwendung gleicher Risikomodelle, einer blinden Aufsicht, monopolisierter Ratingurteile und einer Reihe weiterer Faktoren – zu einer Homogenisierung der Geschäftsmodelle, Investitionsentscheidungen und Portfolien. Die Folge: Das Finanzsystem war und ist ähnlich eintönig, fragil und risikoanfällig wie Monokulturen in der Landwirtschaft.

Systemstabilisierende Vielfalt und damit ein diversifiziertes Finanzsystem, das exogene Schocks dämpft statt verstärkt, muss daher erklärtes Ziel der Regulierung und Teil eines Leitbildes werden. Ein wichtiger Ansatz hierzu ist, Regulierungsstandards und/oder Kapitalanforderungen proportional zur Größe einer Bank anzuheben. Dies würde bei den Banken einen Anreiz setzen, nicht weiter zu wachsen bzw. zu schrumpfen.

Zudem sollte ein solcher Ansatz mit einer obligatorischen Trennung von riskantem Investmentbanking und risikoärmerem Einlagen- und Kreditgeschäft in Konzernaufbau und Kapitalanforderung kombiniert werden.6 Das riskante Investmentbanking hätte dabei härtere Anforderungen zu tragen als das klassische Bankgeschäft, dem zudem ein Exklusivrecht zur Refinanzierung von Aktiva mit den günstigen Einlagen einzuräumen wäre. Investmentbanking würde teurer. Neue Marktteilnehmer mit einem einfachen Geschäftsmodell der Kreditmediation würden ermutigt, in den Markt einzutreten. Der Staat könnte etwaige Hilfen bei Schieflagen auf das klassische Bankgeschäft konzentrieren, weil hier die bedeutendste Schnittstelle zur Realwirtschaft besteht. Eine solche glaubhafte Ausgrenzung des Investmentbankings von der impliziten Staatsgarantie wirkte stark disziplinierend und steuerzahlerschonend zugleich. Um Economies of Scope zu ermöglichen, sollte die Zerschlagung von Banken, wie sie jüngst US-Präsident Obama gefordert hat, jedoch „nur“ als ergänzende Sanktionsmöglichkeit eingeführt werden, wenn die Vorgaben der organisatorischen und kapitalischen Trennung nicht eingehalten werden und wenn deutlich wird, dass eine Bank aufgrund ihrer Größe und Verflochtenheit eine implizite Bestandsgarantie besitzt. Die Frage der Zerschlagung ist insofern von hinten her zu denken: Sie ist nötig, wenn die anderen Maßnahmen noch nicht sicherstellen, dass eine Bank insolvent werden kann.

Letztlich liefen solche Ansätze allerdings auf eine Abkehr vom Hohelied der gleichen Wettbewerbsbedingungen im Finanzmarkt hinaus, das besonders gern von Großbanken gesungen wird, die bisher ja privilegiert sind: Aufgrund von Skaleneffekten wirkt die gleichmäßige Anwendung der komplexen Baseler Regeln auf Banken aller Art und Größe wie eine antikompetitive Schutzbarriere für große Banken.7 Und „too big to fail“ garantiert ihnen bislang eine kostenlose staatliche Versicherung.

Es ist daher sehr bedauerlich, dass der Baseler Ausschuss bei der Frage, ob systemischen Großbanken überhaupt zusätzliche Kapitalanforderungen auferlegt werden, noch „Pros und Cons“ zusammenträgt.8 Es ist zu hoffen, dass dieser fehlende Konsens seine Ursache nicht im überholten Denken der Förderung „nationaler Champions“ hat.

Zur Stärkung marktwirtschaftlicher Stabilisierungsmechanismen gehört – allerdings außerhalb des Baseler Regelungseinflusses –, das Haftungsprinzip wieder in Kraft zu setzen. Nur dann wird die erforderliche Disziplinierung von Risikoexzessen durch den Markt gelingen. Nur, wenn Eigen- und Fremdkapitalgeber den Verlust ihrer Mittel fürchten müssen, werden zu riskante aber renditeträchtige Geschäftsmodelle nicht mehr finanzierbar sein. Daher ist die Entwicklung eines Insolvenzrechts für Banken, das ihre Abwicklung ohne Marktverwerfungen erlaubt, elementar. Daher müssen auch neue Instrumente wie Debt Equity Swaps oder sogenanntes bedingtes Kapital9 eingeführt werden. Wie sich Banken finanzieren, stellt die Weichen für die Verteilung von Verlusten im Fall einer Schieflage. Zudem sollten Bankmanager bei Misserfolg schmerzende Gehaltseinbußen fürchten müssen, damit Investitionsentscheidungen wieder einem erforderlichen längerfristigeren Anlagehorizont unterworfen werden. Daher sind die Vergütungssysteme zu Recht auf der Reformagenda.

Makroprudentielle Regulierung: Eine neue Aufgabe

Mittlerweile besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass die herrschende Basel-II-Regulierung das Auf und Ab des ökonomischen Zyklus und damit prozyklisches Risikoverhalten der Akteure verstärkt. Die Wahrscheinlichkeit und Schwere von Finanzkrisen wird damit erhöht.Die Grundidee, diesem Problem zu begegnen, besteht darin, dass im Boom die regulativen Zügel angezogen und im Abschwung gelockert werden. Der mikroprudentielle Ansatz von Basel II, der sich exklusiv an die einzelnen Institute wendet, wird dabei durch einen makroprudentiellen Ansatz ergänzt, der als „countervailing force“ gegen die sinkende Messung und Bepreisung von Risiken im Boom sorgt.

Auch der Baseler Ausschuss will daher zu Recht ein Instrumentarium entwickeln, das „exzessives Kreditwachstum“ im Aufschwung verhindern soll.10 Als neue makroprudentielle Variable schlägt der Ausschuss vor zu bestimmen, welches aggregierte Kreditwachstum mit dem langfristigen Wachstumsziel vereinbar ist. Wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden, sollen – je nach Situation – die Kapitalanforderungen gesenkt oder erhöht werden.

Mit dem hier skizzierten Ansatz der Steuerung des gesamtwirtschaftlichen Kreditwachstums schlägt der Ausschuss einen Paradigmenwechsel im Verständnis von Geldpolitik vor. Von der Politik muss daher nun schnell ein deutliches Signal ausgehen, ob sie bereit ist, diesen Paradigmenwechsel nachzuvollziehen.

Ein strikt regelgebundenes antizyklisches Verfahren wird dabei aufgrund technischer Schwierigkeiten und wegen geringer politischer Durchsetzbarkeit ausscheiden. Stattdessen brauchen wir ein regelgebundenes Verfahren mit diskretionären Elementen: Die neuen Regeln würden im Baseler Ausschuss entwickelt und dann diskretionär – innerhalb bestimmter Bandbreiten – angewendet. Angesichts unterschiedlicher Zyklen im europäischen Wirtschaftsraum wäre zu überlegen, ob diese Aufgabe Aufsichtsinstitutionen auf nationaler Ebene zu übertragen wäre.

Künftige Liquiditätsanforderungen unzureichend

Hinsichtlich der künftig erforderlichen Liquiditätsausstattung greift der Baseler Ausschuss zu kurz: Künftig soll gelten, dass ein Institut in einer Liquiditätskrise mindestens 30 Tage überlebensfähig ist.11 Die Erfahrungen der jüngsten Finanzkrise zeigen jedoch, dass der Markt für kurzfristige Refinanzierungen – insbesondere der Interbankenmarkt – über ein Jahr nahezu vollständig zum Erliegen kommen kann. Ob Sachsen LB, HRE, West LB oder IKB – auch in Deutschland wurde die „just in time“-Finanzierung langfristiger Aktiva den Banken zum Verhängnis. Eine Vorratsliquidität von 30 Tagen hätte an diesen existenziellen Schieflagen letztlich nichts geändert.

Ein wünschenswerter ergänzender Ansatz wäre, die Kapitalanforderung von der Höhe der Fristeninkongruenz – also des Grades, zu dem langfristig investierte Aktiva kurzfristig refinanziert werden – abhängig zu machen. So hätten die Banken einen starken Anreiz, sich längerfristiger zu refinanzieren. Dies ließe sich im Übrigen auch gut mit dem oben skizzierten antizyklischen makroprudentiellen Ansatz kombinieren.12

Fazit

Politisch läuft die Regulierungsdebatte bisher falsch: Stabile Finanzmärkte sind nicht zu erreichen, wenn wir die Reformüberlegungen an einem letztlich gescheiterten Finanzsystem ausrichten und die entscheidende Frage nicht beantworten, welche Rolle der Finanzsektor künftig spielen soll. Wer will, dass der Finanzsektor Dienstleister für andere Bereiche sein soll, darf nicht Finanzmarktförderung mit dem Ziel betreiben, dass dieser Sektor über Jahre in Relation zur Realwirtschaft wächst. Wer Stabilität will und keinem Wunschdenken über die Fähigkeit von Aufsichtsbehörden verfällt, muss Marktmechanismen stärken und sich von der Förderung nationaler Champions verabschieden. Die konzeptionelle Leere des Koalitionsvertrags in bezug auf die Finanzmarktpolitik gibt daher Anlass zur Sorge. Denn wer sich um diese Fragen drückt, riskiert damit nicht nur ein inkonsistentes Regelsystem, sondern öffnet auch genau den Fehlentwicklungen der Vergangenheit wieder die Tür. Statt der alten Regeln werden dann eben wiederum mit impliziter Billigung der Finanzmarktförderer in Regierung und Aufsicht die neuen umgangen.

Deshalb müssen wir uns darüber klar werden, wie das System von Morgen aussehen soll. Das konkrete Regulierungsdesign sollte dann an der Umsetzung dieses Leitbilds ausgerichtet werden.

  • 1 Vgl. o.V.: Düstere Zukunft, in: Wirtschaftswoche vom 18.1.2010.
  • 2 Vgl. BIS: Strengthening the resilience of the banking sector – consultative document, Basel 2009.
  • 3 Vgl. beispielsweise International Center for Monetary and Banking Studies (ICMB): The Fundamental Principles of Financial Regulation, Genf 2009.
  • 4 IMF: A Fistful of Dollars: Lobbying and the Financial Crisis, Washington 2009.
  • 5 Vgl. Deutsche Bank Research: Globale Bankentrends nach der Krise, Frankfurt, 12/2009.
  • 6 Vgl. OECD: The Elephant in the Room: The Need to deal with what Banks do, Paris 2009.
  • 7 Vgl. The Warwick Commission on International Reforms: In Praise of Unlevel Playing Fields, University of Warwick, Coventry (UK) 2009, S. 59.
  • 8 Vgl. BIS, a.a.O., S. 10.
  • 9 Vgl. R. J. Shiller: Stabilität durch Finanztechnik, Project Syndicate, 2009.
  • 10 Vgl. BIS, a.a.O., S. 71 f.
  • 11 Vgl. BIS, a.a.O., S. 11 f.
  • 12 Vgl. A. Persaud: Macro-Prudential Regulation, Washington 2009.

Füllhorn oder Pandorabüchse? Woher kommen die neuen Vorschläge zur Bankenaufsicht?

Wenn eine Katastrophe oder ein spektakuläres Verbrechen passiert ist, muss die Politik reagieren. Der einfache Stammtischsatz, so etwas gehöre doch verboten, da müsse es doch ein Gesetz gegen geben, verlangt gebieterisch nach Umsetzung. Bei einem großen Unglück wie der globalen Finanzmarktkrise ist dies nicht anders. Es muss sich vieles ändern. Strengere Gesetze, mehr Kontrolle, härtere Strafen, alles Pfeile aus dem Köcher der politischen Rhetorik, die nun auf die Finanzmärkte abgeschossen werden. Aber treffen diese Pfeile auch das Ziel? Oder bleiben am Ende nur die politische Pose, viel Papier und kein spürbarer Effekt?

Komplexe Regulierung

Der globale Finanzmarkt ist eine der komplexesten menschlichen Schöpfungen. Als solcher hat er sich sowohl unverzichtbar als auch unbegreifbar gemacht. Weder können wir auf ihn verzichten, ohne die Effizienz des menschlichen Wirtschaftens entscheidend zu schwächen – keine echte Alternative angesichts der großen und immer noch wachsenden Weltbevölkerung –, noch gibt es einfache Lösungen, ihm seine Gefährlichkeit zu nehmen. Der regulatorische Eingriff in diesen Markt ist ein reines Expertengeschäft, das Unbehagen an ihm dagegen Allgemeingut. Daraus erwächst ein Konflikt: Funktionierende Bank- und Finanzmärkte sind auf das Vertrauen der Anleger angewiesen. Versagen die Experten, sind die Menschen vollkommen hilflos. Und dieses Gefühl der Hilflosigkeit ist gefährlich, kann es doch irrationale Reaktionen auslösen, die unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zerstören.

Begreift man so den Rang der Bank- und Kapitalmarktaufsicht, wird verständlich, dass angesichts der verheerenden Krise auf den Finanzmärkten alle Register gezogen werden. Dabei wird gerne übersehen, dass gerade die Banken schon vor der Krise einer intensiven Regulierung unterlagen. Die Komplexität und der Aufwand der Bankenregulierung sind in den letzten Jahrzehnten exponentiell angestiegen. Zahlreiche Expertenrunden auf nationaler und internationaler Ebene sind seit Jahren damit beschäftigt, neue Risiken auszumachen und nach regulatorischer Abhilfe zu suchen. Am Basler Ausschuss für Bankenaufsicht als Schrittmacher der internationalen Bankenaufsicht, einst ein mehr oder weniger unverbindliches Treffen der Bankenaufseher der G10-Staaten, beteiligen sich heute 27 Staaten, die in vier Unterausschüssen mit nicht weniger als vierzehn diesen wiederum untergeordneten Komitees Lösungen für aufsichtliche Probleme erarbeiten lassen. Hier ist eine gewichtige Organisation entstanden, die die bankaufsichtliche Kompetenz der beteiligten Staaten und auch der Finanzindustrie bündelt. Und dies ist nur eine von vielen Institutionen. Wie der Basler Ausschuss bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist die IAIS als Forum der Versicherungsaufsichtsbehörden aus mehr als 130 Ländern in Basel untergebracht. Daneben gibt es den Kreis der Börsenaufsichtsbehörden und Börsen IOSCO, die einschlägigen, sich gegenwärtig zu eigenständigen Aufsichtsbehörden wandelnden Gremien der Europäischen Union, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, der Group of Thirty als Expertengremium aus der Finanzindustrie sowie verschiedene Shadow Regulatory Committees mit Anregungen und Kommentaren aus der Wissenschaft. All diese Institutionen und Gruppen wirken aus einer intensiven fachlichen Diskussion heraus bei der Gestaltung der bankaufsichtlichen Normen mit. Was könnte man da noch, und dies möglichst kurzfristig, verbessern?

Einfache Lösungen?

Wo es eine Nachfrage gibt, entsteht gerne auch ein neues Angebot. So werden einige wirtschaftspolitische „Wunderwaffen“ aus dem Keller geholt, deren Untauglichkeit eigentlich schon als erwiesen galt. Ein Beispiel ist der Goldstandard, der nun für geeignet gehalten wird, eine expansive Geldpolitik und damit auch weitere Finanzmarktkrisen zu verhindern. Wenn es doch so einfach wäre! Zum einen stellt sich die Frage, ob die Finanzkrise ausschließlich der monetären Expansion der Zentralbanken geschuldet ist oder ob hier nicht andere Ursachen eine wichtigere Rolle gespielt haben. Daneben wird mangels Masse niemand eine vollständige Golddeckung der umlaufenden Geldmenge verlangen können, sondern diese wird sich immer auf einen bestimmten Prozentsatz beschränken. Der Goldstandard ist daher genauso verhandelbar wie die Geldpolitik einer modernen Zentralbank. In beiden Systemen kommt es darauf an, dass die Zentralbank als Institution in der Lage ist, gegen andere Interessen und Einflüsse zu bestehen und die Preisstabilität zu bewahren.

Ein ähnlicher Anachronismus ist die Vorstellung, Krisen würden durch die Aktivitäten von Spekulanten ausgelöst, weswegen die Spekulation zu verbieten sei. Eine Variante ist das Verbot von Leerverkäufen. Denn wie könne man mit einer Aktie handeln, die man gar nicht besitzt? In dieser modernen Variante des aristotelischen Zinsverbots übersieht man gerne, dass Leerverkäufer marktwirksam ihre Meinung zum Ausdruck bringen, dass ein bestimmtes Wertpapier überwertet ist. Insofern leisten sie einen wertvollen Beitrag, um Übertreibungen der Märkte abzubauen. Ob Spekulanten insgesamt eher die Stabilität und Effizienz der Märkte fördern oder die Märkte destabilisieren, hängt davon ab, welchen Anreizen sie unterliegen. Spekulieren sie mit eigenem Geld und müssen daher auch die Verluste selbst tragen, oder können sie leichtfertig das Geld anderer aufs Spiel setzen? Hinsichtlich der Banken verweist dieses Argument auf die Frage der Eigenkapitalunterlegung von Bankrisiken. Eine richtig angewandte Eigenkapitalregulierung hemmt die Risikofreude der Finanzinstitute sehr viel zielgenauer als etwa der Versuch, mit einer Steuer auf Finanzmarkttransaktionen blindlings Sand in das Getriebe zu werfen.

Eine andere Einfachlösung im Angebot der Brachialregulierer besteht darin, den bilanziellen Leveragegrad der Banken beschränken zu wollen. Der ökonomische Sinn dieser Maßnahme ist durchaus einsichtig: Durch eine „richtige“ Kapitalstruktur soll gewährleistet werden, dass die Banken kein exzessives Risikoverhalten an den Tag legen. Genau dies leisten aber die bereits existierenden Eigenkapitalnormen, nur sehr viel präziser, wenn man sie denn konsequent und sachgerecht zur Anwendung brächte.

Abgestaubt und vom Regal genommen wird auch das Trennbankensystem nach Glass-Steagall. Die Trennung von Investment- und Commercialbanking wurde in den USA erst 1999 vollständig aufgehoben, und viele nun so verderblich gewordene Entwicklungen nahmen damals ihren Ausgang. Doch Koinzidenz beinhaltet keine Kausalität. Hebt man die Augen über den US-amerikanischen Erfahrungshorizont hinaus, so sieht man zahlreiche Universalbankensysteme, die über viele Jahre hinweg eine größere Stabilität und Leistungsfähigkeit bewiesen haben als das amerikanische Trennbankensystem. Die Möglichkeit, sich über sehr unterschiedliche Geschäftsfelder hinweg zu diversifizieren und so das Gesamtergebnis zu glätten, ist durchaus ein Beitrag zur Stabilität der einzelnen Bank und damit auch des Bankensystems als Ganzem. Was auch immer so viele europäische Banken aus dem Gleichgewicht geworfen haben mag, es war ganz gewiss nicht ihre traditionelle Rolle als Universalbank.

Das Problem der Landesbanken

Anders verhält es sich mit der 2001 vereinbarten und 2005 erfolgten Aufhebung der Gewährträgerhaftung für die öffentlichen Banken in Deutschland. Auch hier gibt es eine zeitliche Koinzidenz mit Fehlentwicklungen bei den Landesbanken. Die vermutete Kausalität ist jedoch argumentativ gut unterlegt. Einerseits nutzten einige Landesbanken die Übergangsfrist dazu, sich reichlich mit staatlich garantierten und daher billigen Finanzierungsmitteln auszustatten, die sie in ihrem originären Geschäft gar nicht benötigten. Andererseits mussten sie rentablere Geschäftsfelder finden, da ihre sowieso schon knappen Margen durch die in Zukunft zu entrichtenden Risikoprämien bei der Refinanzierung zu erodieren drohten. Die Rating-Agenturen leisteten ihren Beitrag, indem sie ganz gegen ihren Auftrag Rentabilität vor Sicherheit stellten und so die Daumenschrauben noch etwas enger zogen. Die Lösung war der Kauf großer Volumina vermeintlich risikoarmer, von den Rating-Agenturen mit einem Tripple-A empfohlener Wertpapiere aus Kreditverbriefungen, die trotz der hohen Bonität gegenüber den Staatsanleihen einen deutlichen Renditeaufschlag als eine Art Innovationsprämie versprachen. Der weitere Gang der Ereignisse ist bekannt. Ohne der Rückkehr zu den alten Verhältnissen das Wort reden zu wollen: Wenn man die Aufgabe der Gewährträgerhaftung als Experiment ansehen würde, so ist dieses jedenfalls gescheitert.

Der Hinweis auf die Landesbanken führt zu einem weiteren Argumentationsstrang. Zahlreiche Landesbanken haben in der Finanzkrise hohe Verluste eingefahren, für die der Steuerzahler nun direkt oder indirekt aufkommen muss. Beweist diese Tatsache nicht schlagend, dass das deutsche Drei-Säulen-Modell aus privaten Banken sowie genossenschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten mit unvertretbaren Risiken für den Steuerzahler verbunden ist? Sind nicht die Landesbanken geradezu schuld daran, dass Deutschland von der Finanzkrise relativ hart getroffen wurde? Daneben sei das deutsche Bankensystem wegen der Existenz dieser staatlichen Institute sehr ineffizient, was man an den im internationalen Vergleich zu geringen Bankgewinnen erkennen könne. Die niedrigen Gewinne bedrohten ihrerseits die Stabilität des Bankensystems, da die Banken so über keinen ausreichenden Risikopuffer verfügten. Das Drei-Säulen-Modell sei daher zu zerschlagen und insbesondere der öffentlich-rechtliche Sektor baldmöglichst zu privatisieren. Darüber hinaus sei der Bankenmarkt zu „konsolidieren“, um auskömmliche Renditen erzielen zu können.

Man fühlt hier die Absicht und ist verstimmt. Die hohen Gewinne einiger – vor allem US-amerikanischer Institute – in der Vergangenheit schützten in der Finanzkrise keineswegs vor einer Belastung der Allgemeinheit mit desaströsen Verlusten, zumal das so erwirtschaftete Kapital über überzogene Gehälter und Dividenden rasch wieder aus den Unternehmen gezogen wurde. Und natürlich sollen die Banken nach höheren Gewinnen streben. Gesamtwirtschaftlich betrachtet sind hohe Bankgewinne über die gesamte Branche hinweg aber keineswegs vorteilhaft, sondern an erster Stelle ein Hinweis auf fehlenden Wettbewerb. Einigen wenigen Instituten ist es gelungen, eine sehr starke Marktstellung an den internationalen Kapitalmärkten zu etablieren, mit entsprechend erfreulichen Konsequenzen für ihre Gewinnsituation. Es ist keineswegs erstrebenswert, eine vergleichbare Situation im Bankgeschäft mit Privat- und mittelständischen Kunden zu erzeugen. Und in Deutschland gewährleistet nun einmal das Drei-Säulen-Modell, insbesondere durch die flächendeckende Präsenz und Konkurrenz der Sparkassen und Kreditgenossenschaften, für diese Kundengruppen einen ausreichenden Wettbewerb. Ob dies zwingend durch öffentlich-rechtliche Kreditinstitute geschehen muss sei dahingestellt. Aber wo ist die Alternative?

Wie verhält es sich nun tatsächlich mit dem Verhältnis der öffentlichen Banken zur Finanzkrise? Besonders betroffen sind, sieht man von der eine Sonderrolle spielenden Deutschen Bank ab, Kreditinstitute ab einer gewissen Größe unabhängig von ihrer Rechtsform. Institute dieser Größe haben sich an Geschäfte mit Kreditrisiken gewagt, die sie offenkundig nicht beherrschen konnten. In dieser Gruppe finden sich in Deutschland besonders viele Landesbanken, wobei aber einige Landesbanken (und fast alle Sparkassen) nicht auffällig geworden sind. Die Hechte im Karpfenteich sind andere: Zum Beispiel Rating-Agenturen, die „Schrottpapieren“ durch ihr falsches Rating den Marktzugang geebnet haben, oder Investmentbanken, die diese strukturiert und die Anleger entsprechend beraten haben. Deren Abschaffung hat bisher aber noch niemand gefordert. Gleiches gilt für die privaten Banken dieser Größenklasse, obwohl der Steuerzahler auch für deren Verluste einstehen muss.

Damit soll keineswegs die Notwendigkeit einer besseren Aufstellung des Landesbankensektors in Deutschland verleugnet werden. Dieses strukturelle Problem zu lösen ist ein wichtiges Projekt der kommenden Jahre. Die Aufgabe der deutschen Landespolitik wird dabei vor allem sein, sich mit möglichst viel Anstand aus ihrer Einwirkungsposition zu verabschieden und entweder die Landesbanken zu privatisieren oder der unternehmerischen Führung der Sparkassengruppe zu überantworten, da eine Landesbank letztlich aus ihrer Funktion in der Sparkassengruppe ihre Legitimation zieht. Neben der Frage nach dem richtigen Geschäftsmodell sind auch deutliche Verbesserungen bei der Corporate Governance dieser Institute anzustreben. Die genannten Probleme traten jedoch nicht erst mit der Finanzmarktkrise auf. Es ist ein älteres Versäumnis der Politik, dass sie nicht schon viel früher angegangen wurden.

Einige grundlegende Prinzipien der Bankenregulierung

Verlässt man diese Nebenschauplätze, so gelangt man in der Frage der Bankenregulierung zu einigen grundlegenden Prinzipien, die eigentlich wohlbekannt, dennoch im Vorfeld der Krise nicht ausreichend beachtet wurden. Dazu zählt zum ersten der Grundsatz, dass alle Institute, die die Stabilität der Bank- und Finanzmärkte gefährden können, einer Regulierung zu unterwerfen sind. Dieses Prinzip wurde unterlaufen, weil einige Finanzplätze sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollten. Neben den typischen Offshore-Plätzen sind auch die USA zu nennen, die wenig regulierten Investmentbanken und gar nicht regulierten Hedgefonds den Marktzugang gestatteten.

Um eine Lösung dieses Problems bemüht man sich in den internationalen Bankaufsichtsgremien schon seit einigen Jahrzehnten. Sie sollte in einer Vereinbarung und Durchsetzung regulatorischer Mindeststandards für eine umfassende Regulierung und in einer konsequenten Ausgrenzung der Finanzplätze bestehen, die diese Mindeststandards nicht erfüllen. Nur so kann verhindert werden, dass einige kleinere Plätze den von den großen Staaten zu schaffenden Stabilitätsschirm aus Profitinteresse unterlaufen. Ohne die USA ist hier jedoch kein Fortschritt zu erzielen. Was nützen die besten Vereinbarungen, wenn sie, wie im Fall von Basel II, an den wichtigsten Märkten nicht umgesetzt werden. Entscheidend wird also der Ausgang des Ringens zwischen der Wallstreet und dem Weißen Haus sein.

Der zweite zentrale Grundsatz ist der, dass in diesen Instituten alle relevanten Risiken mit einem ausreichenden Eigenkapitalpuffer zu unterlegen sind. Dabei kommt es auf das richtige Maß an. Eigenkapital hat in diesem Kontext vor allem eine das Verhalten steuernde Wirkung. Es muss als potentieller Vermögensverlust der Eigentümer ausreichend sein, um Eigentümer und die in ihrem Auftrag handelnden Bankmanager von einer exzessiven Risikopolitik abzuhalten. In diesem Sinne fördert mehr Eigenkapital auch die Stabilität des Bankensystems. Eigenkapital ist jedoch auch teuer, und der Einsatz von Fremdkapital trägt wesentlich zur wirtschaftlichen Dynamik bei. Es besteht die Gefahr, durch exzessive Eigenkapitalanforderungen die Effizienz des Bankensystems zu verringern und zu viel Geschäft in unregulierte Bereiche zu verdrängen. Auch im Bereich der Eigenkapitalregulierung kann man an jahrzehntealte Bemühungen der Aufsichtsbehörden anknüpfen und diese weiterentwickeln.

Rechtliche Konstrukte, bei denen die Eigenkapitalnormen gezielt unterlaufen werden, müssen gewiss verhindert werden. Solche Konstrukte spielen bei einer Reihe großer Schadensfälle bei deutschen Banken eine ausschlaggebende Rolle. Die Vorstellung ist irrig, die Bankenaufsicht könne ihre Normen so umfassend und detailliert formulieren, dass Umgehungsaktivitäten dauerhaft verhindert werden. Benötigt wird vielmehr eine aktive Bankenaufsicht, die solche Löcher im Normensystem erkennt und unmittelbar schließt. Gleiches gilt für Missstände, die sich bei einzelnen Instituten auftun und unbehandelt das Vertrauen der Anleger in die Stabilität des Bankensystems untergraben. In beiden Fällen kommt es auf schnelles und entschiedenes Handeln der Bankenaufsicht an. Sie muss, und dies ist das dritte Grundprinzip einer sachgerechten Bankenaufsicht, als „Einlegerschutzpolizei“ agieren, die risikoorientiert dort eingreift, wo Gefahr im Verzug ist.

Existierende Normen weiterentwickeln

Die bisherigen Reaktionen auf die Krise gewährleisten noch nicht die Einhaltung dieser Prinzipien. Sie verzetteln sich vielmehr in vielfältigen Aktivitäten und bringen Konzepte ans Tageslicht, die häufig nur aufgrund von Missverständnissen oder wirtschaftlichen Partikularinteressen als Antwort auf die Finanzmarktkrise proklamiert werden. Teilweise werden bereits existierende Bemühungen dupliziert, anstatt die vorhandenen Institutionen besser auszustatten, den existierenden Normen sachgerecht Geltung zu verschaffen und beide den neuen Anforderungen entsprechend weiterzuentwickeln. Dieses Vorgehen wäre zwar weniger eindrucksvoll als ein radikaler Bruch mit der Vergangenheit. Es könnte aber funktionieren.

Dabei bleibt der Einfluss der Politik auf die Finanzmarktregulierung ambivalent. Einerseits kann nur die Politik groß angelegte Lösungen durchsetzen, die gegen Behördenegoismen und Lobbyinteressen dem Gemeinwohl auf nationaler und internationaler Ebene zu seinem Recht verhelfen. Anderseits sind natürlich auch die Politiker dem massiven Druck verschiedenster Interessengruppen ausgesetzt. Und schließlich unterliegen viele Politiker einer Kontrollillusion: Die Aufsichtsbehörden hätten versagt. Daher müsse man diese enger kontrollieren, um in Zukunft derartige Entwicklungen rechtzeitig zu verhindern. Der Einfluss der Politik ist entsprechend auszubauen und die Aufsicht an der ganz engen Leine zu führen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Bankenregulierung ist ein Geschäft für Experten, und dies auch nach der Finanzmarktkrise, in der einige Politiker sehr viel mehr darüber lernen mussten als ihnen lieb war. Die Bankaufsichtsbehörden sollten daher von ihren Ressourcen und von ihrer Unabhängigkeit her so aufgestellt werden, dass diese Experten mit Selbstbewusstsein, Entschlossenheit und Kompetenz ihrem Geschäft nachgehen können. Ein Schutzpolizist, der sich vor jeder Handlung der Zustimmung seines Ministers versichern muss, schützt niemanden.

 


DOI: 10.1007/s10273-010-1040-6

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