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Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise wird mit unterschiedlichen Erklärungsmustern unterlegt. Die vorherrschende Meinung ist, dass sowohl die Märkte als auch der Staat in Hinblick auf Finanzmarkttransaktionen versagt hätten. Jan Priewe sieht demgegenüber in den globalen wirtschaftlichen Ungleichgewichten eine wichtige, eher unterschätzte Ursache für die Krise. Die Schwächen der internationalen Währungsordnung und die ungleiche Einkommensverteilung in den großen Industrieländern haben zur Entstehung der Krise beigetragen.

Die gegenwärtige Krise wird in den Medien und auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion nicht gut verstanden. Es ist ähnlich wie mit der Großen Depression, deren Ursachen noch heute diskutiert werden. In der Öffentlichkeit wird die Ursachenfrage schnell mit der Suche nach Schuldigen erledigt: die einen sehen die Verantwortung bei Bankern, Bonuszahlungen, Gier, Korruption und Spekulation, andere vermuten tragisches menschliches Versagen oder kontingente Entscheidungen wie die Nicht-Rettung von Lehman Bros., die eine Lawine ins Rollen brachte. Das alles ist nicht falsch, aber doch nicht richtig. Es handelt sich ganz offensichtlich um eine „systemische Krise“, in der viele Faktoren zusammenwirken. Wie konnte es zu einer solchen Gier kommen, die es zuvor so nicht gab? Wieso konnte aus einem kleinen Finanzmarkt-Segment der Subprime-Hypotheken eine gewaltige Wirtschaftskrise mit Produktionsverlusten ohne Vermögensverlusten in der Größenordnung von mehr als 10% des Weltsozialprodukts (verteilt auf zwei bis drei Jahre) werden? Warum können die Eigentümer gewinnorientierter Unternehmen derart hohe Bonuszahlungen zulassen? Diese Schuldzuweisungen haben nur die Gischt der ökonomischen Sturmflut im Visier.

In der wissenschaftlichen Diskussion dominieren eher andere Erklärungen, die im Finanzsektor selbst ansetzen, vorwiegend in den USA, oder bei den Aufsichtsorganen, bei der Deregulierung der internationalen Finanzordnung und der Geldpolitik der Fed.1 Borio/Drehmann und Reinhart/Rogoff weisen darauf hin, dass die meisten Finanzkrisen der Geschichte durch vorangehende exzessive Kreditvergabe und Vermögenspreisblasen entstanden sind.2 Die Entstehungs- und Ablaufmuster der großen Finanzkrisen in Industrie- und Schwellenländern in den letzten Jahrzehnten – Japan-Krise 1992, Asienkrise 1997, Argentinien 2001 etc. – ähneln denen der Subprime-Krise stark;3 in den Boomphasen herrschte immer die Zuversicht „This time is different“, bis der Crash alle eines Besseren belehrte. Dass genau diese Risiken nicht frühzeitig erkannt wurden, betonen Erklärungsansätze, die auf einen Mangel an „makroprudentieller“ Bankenaufsicht rekurrieren.4 In diesem Bereich liegen auch die vorherrschenden wirtschaftspolitischen Antworten auf die Krise, wie sie etwa von der G20 in Pittsburgh und dem Financial Stability Forum5 formuliert werden. So interessant diese Erklärungen und Schlussfolgerungen sind, sie greifen bei weitem zu kurz.

Die Rolle der globalen Ungleichgewichte im Handel und folglich bei Kapitalströmen wird ausgeklammert, ebenso die Einbettung der Finanzkrise in ein Muster der makroökonomischen und strukturellen Entwicklung der führenden OECD-Länder, das häufig als finanzgetriebener Kapitalismus beschrieben wurde. Hierzu gehört auch das strukturelle Entwicklungsmuster zunehmender Einkommensungleichheit in den meisten OECD-Ländern.

Ursachen der Finanzkrise
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Im Folgenden wird die These herausgearbeitet, dass man zwischen den direkten oder unmittelbaren Ursachen der Finanzkrise und den indirekten bzw. mittelbaren Ursachen, die die Finanzkrise erst möglich machten, unterscheiden sollte (vgl. Übersicht). Zu den indirekten oder strukturellen Ursachen gehören die globalen Ungleichgewichte, die Globalisierung der Finanzmärkte und die Tendenz zu einem neuen Finanzkapitalismus. Folgt man dieser Analyse, dann muss dem Abbau der globalen Ungleichgewichte und der Minderung der „Finanzialisierung“ der Realwirtschaft in der wirtschaftspolitischen Diskussion mehr Augenmerk geschenkt werden.

Vorherrschende Erklärungen – wichtig, aber zu kurz gegriffen

Abgesehen von den erwähnten populären Schuldzuweisungen dominieren Analysen, welche auf die unmittelbaren oder direkten Erklärungen fokussieren. Implizit wird dabei auf fünf verschiedene Formen von mikroökonomischem Marktversagen verwiesen:

  • das klassische Marktversagen durch Informationsasymmetrien zwischen Banken und ihren Geschäftspartnern, das zu zu großer Risikobereitschaft führen kann (I)6;
  • Marktversagen durch übermäßige Konzentration und mangelnden Wettbewerb, wodurch Großbanken „systemrelevant“ werden, in der Not gerettet werden müssen, aber nicht gerettet werden können, weil sie zu groß geworden sind (II);
  • Marktversagen von bestimmten gefährlichen Finanzinstrumenten (III);
  • Marktversagen von Finanzmärkten in Form spekulativer Blasen (IV);
  • Marktversagen bei Ratingagenturen (V).

Tritt Marktversagen auf, muss es und kann es, so die vorherrschende Meinung, durch staatliche Vorkehrungen geheilt oder gemindert werden. Zur Krise kommt es demnach, wenn auch der Staat versagt. Meist wird auf drei Formen von Staatsversagen hingewiesen:

  • Staatsversagen bei den Notenbanken hinsichtlich ihrer Geldpolitik und ihrer Beteiligung an der Bankenaufsicht (I),
  • Staatsversagen bei der Banken- und Finanzmarktaufsicht, national wie supranational (II), und
  • Staatsversagen bei dem für das Aufsichtswesen letztlich zuständigen Gesetzgeber bzw. den entsprechenden Regierungsapparaten (III).

Staatsversagen als Krisenursache

Obwohl das Marktversagen bei unterschiedlicher Akzentsetzung intensiv untersucht wurde, rekurrieren die meisten Analysten der Krise auf das Staatsversagen. An vorderer Stelle wird dabei auf die vermeintlich zu expansive Geldpolitik der Fed und teilweise auch der EZB hingewiesen, die mit zu niedrigen Zinsen von 2001 bis 2004 eine zu starke Geldmengensteigerung sowie steigende Vermögenspreise – invers zum Geldmarktzins – induziert hätten. Implizit wird damit die Geldpolitik dafür verantwortlich gemacht, spekulative Vermögenspreisblasen zu verhindern. Dies wäre geradezu ein Paradigmenwechsel für die Geldpolitik – theoretisch, empirisch und politisch hochproblematisch. Schon ein kurzer Blick auf Geldmarktzinsen, Geldmenge und Vermögenspreise zeigt, dass kein eindeutiger Zusammenhang zwischen diesen Größen existiert. Überdies begann die US-Hauspreisinflation bereits Mitte der 1990er Jahre.7 Hingegen ist die von Greenspan und Bernanke vertretene Doktrin, dass die Zentralbank sich deshalb nicht um spekulative Blasen kümmern muss, weil sie im Falle eines Finanzcrashs mit einer aggressiven Niedrigzinspolitik quasi omnipotent die Realwirtschaft wieder stabilisieren könne, heftig zu kritisieren. Der Glaube an die Unbesiegbarkeit unabhängiger, glaubwürdiger geldpolitischer Institutionen, Kernelement des makroökonomischen neu-keynesianischen Konsens’, ist spätestens 2008 zerbrochen.8

Diejenigen, die – zu Recht – auf Schwächen der Bankenregulierung verweisen, sind nicht selten die Gleichen, die früher eine gegenteilige Position vertreten haben. Wer sich auf den Ordoliberalismus beruft,9 um einer Reform der Bankenregulierung zum Durchbruch zu helfen, sollte sich dessen bewusst sein, dass die Ordnungspolitiker in der Vergangenheit eher die Deregulierung der Finanzmärkte befürworteten. Über die Frage, ob eine kohärente globale Finanzmarktordnung notwendig ist und wie sie aussehen müsste, gehen die Meinungen allerdings weit auseinander.

Viele kritische Bankenexperten wie Charles Goodhart und Ökonomen in der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich betonen demgegenüber das Fehlen einer makroprudentiellen Bankenaufsicht.10 Systemische Bankenkrisen können selbst dann entstehen, wenn jede einzelne Bank als „intakt“ bewertet wird. Grundsätzlich verhalten sich Banken hinsichtlich der Kreditvergabe und der Risikoeinschätzung prozyklisch. Daher sei eine neue antizyklische Aufsichtsreform notwendig, die in Basel II eingebaut werden müsse. Insgesamt müsse die Eigenkapitalquote der Banken erhöht und zudem antizyklisch in Abhängigkeit von der Einschätzung, wann die Leverage der Banken zu hoch ist, variiert werden. Dies impliziert letztlich, dass Fehler bei der traditionellen mikroprudentiellen Bankenaufsicht nicht die entscheidende Ursache der Krise waren. Entsprechend erwächst der Bankenaufsicht bzw. der Zentralbank, der die makroprudentielle Aufsicht zufallen müsste, eine neue zentrale Aufgabe. Nicht Deregulierung, sondern falsche Regulierung sei das Problem. Obwohl selten explizit ausgesprochen, legt diese Sicht die Auffassung nahe, dass die traditionelle Bankenaufsicht den Wettlauf zwischen Finanzinnovationen und Regulierung unwiderruflich verloren hat. Die makroprudentielle Sicht betont, dass die Finanzsystemstabilität oberste Priorität der Zentralbankpolitik haben müsse und mit eigenen Instrumenten auszustatten sei.11 Der Zentralbank käme damit auch die Aufgabe zu, Vermögenspreisblasen zu identifizieren und zu bekämpfen. Auch dies wäre ein Paradigmenwechsel in der Zentralbankpolitik.12 Natürlich sind mit diesem Vorschlag, der in etwas verwässerter Form in die G20-Beschlüsse eingegangen ist, enorme Schwierigkeiten verbunden.

Bilanz der aktuellen Krise

Zusammenfassend lässt sich im Hinblick auf das Zusammenwirken von Markt- und Staatsversagen bilanzieren:

  • Die aktuelle Finanzkrise ist eine klassische Vermögenspreis- und Spekulationskrise, ausgehend von einem Boom auf dem US-Immobilienmarkt 1995-2006.
  • Hinzu kam die Nutzung neuer Finanzmarktprodukte. Ursachen der Krise waren weniger die Subprime-Hypotheken selbst als insbesondere die multiple Verbriefung, CDOs und CDS sowie Schattenbanken als organisatorische Innovationen. Shadow banking nutzte Regulierungslücken und Informationsasymmetrien systematisch zu übermäßiger Fremdkapitalfinanzierung, exzessiver Fristentransformation und viel zu hoher Risikoexposition.
  • Die vorherrschenden Risikobewertungsmodelle der Banken für die Finanzprodukte waren auf der Basis der vorherrschenden Theorien, Techniken und Modelle systematisch fehlerhaft.13 Durch die Boomphase blieb die Fehleinschätzung der Risiken zunächst unentdeckt.
  • Die Akzeleratoren einer Finanzkrise – insbesondere die Rolle der Interbankenmärkte – und ihre nationalen wie internationalen Transmissionskanäle in die Realwirtschaft wurden bis zur Pleite von Lehman Bros. falsch eingeschätzt.14
  • Den Finanzinnovationen war die traditionelle mikroökonomische Bankenaufsicht nicht gewachsen; sie war und ist zersplittert, schöpft teilweise selbst die Möglichkeiten der geltenden Gesetze nicht aus und ist international kaum koordiniert. Zweckgesellschaften und diverse Nichtbanken blieben weitgehend ohne Kontrolle, obwohl ihr Handeln die Banken und die Finanzsystemstabilität insgesamt maßgeblich beeinflusste. Unterschiedliche Regulierungsstandards bei prinzipiell freier internationaler Kapitalmobilität höhlten die nationale Regelungen aus („regulatory arbitrage“).15 Systemische Finanzrisiken wurden kaum erfasst, einerseits wegen mangelnder makroprudentieller Aufsicht der Zentralbanken, des Financial Stability Forum und des IWF16, andererseits weil kritische Stimmen nicht ernst genommen wurden.

Alle angeführten Ursachen im Bereich der Finanzsektoren können wesentliche Faktoren, die indirekt die Voraussetzungen für die Finanzkrise und die nachfolgende Weltrezession schufen, nicht erklären. Sie greifen zu kurz. Die genannten Ursachen konzentrieren sich auf mikroökonomische Sachverhalte und damit auf die Seite des Angebots von Finanzprodukten, vernachlässigen aber die Erklärung für die riesige Nachfrage nach hochriskanten Finanzprodukten. Der Scale-Faktor wird vernachlässigt. Zwar entfalteten die US-Banken und Nichtbanken selbst einen erheblichen Teil der Nachfrage nach strukturierten Finanzprodukten, vielfach finanziert mit kurzfristiger Verschuldung auf den nationalen und internationalen Geldmärkten oder durch Geldschöpfung über die Zentralbanken; andererseits wurde der US-Finanzsektor mit Nachfrage nach Wertpapieren der verschiedensten Art seitens der Kapitalanleger aus aller Welt geflutet, und dies nicht erst seit Anfang des Jahrzehnts. Die USA, teilweise auch Großbritannien, wurden zum Magnet für riskante Anlagen, zusätzlich zu den großen risikoaversen Kapitalzuflüssen.

Der Rückgang der Sparquote der privaten Haushalte in den USA unter Null hatte eine wichtige Ursache in den steigenden Vermögenspreisen, die u.a. durch starke Kapitalströme aus dem Ausland finanziert wurden. Das Wachstumsmuster der vergangenen Jahre, getrieben von einem nicht-nachhaltigen privaten Konsum, einer zunehmenden Verschuldung der privaten Haushalte, von spekulativen Wohnungsbauinvestitionen und einem hohen Staatsdefizit bei mäßigen Unternehmensinvestitionen, war ohne die Kapitalzuflüsse aus dem Rest der Welt gar nicht möglich. Die Tatsache, dass der US-Dollar trotz der Existenz des Euro die unangefochtene Reservewährung der Welt ist, verminderte das Währungsrisiko von ausländischen Finanzanlagen in den USA. Dieser Währungsbonus trug dazu bei, dass übermäßige Finanzmarktrisiken eingegangen wurden, weil die USA – anders als die Schwellenländer – gegen eine Währungskrise immun scheinen und weil man der Fed und der Regierung notfalls einen Bailout zutraute. Alle diese Faktoren waren notwendige Voraussetzungen für die Krise. Ebenso wie in vielen anderen Finanzkrisen waren hohe Leistungsbilanzdefizite Frühindikatoren steigender makroökonomischer Risiken.17 Die reine Finanzmarktanalyse blendet diese aus. Zu einem erheblichen Teil beruhen sie auf einer weltwirtschaftlichen Konstellation, die unter dem Stichwort „globale Ungleichgewichte“ seit langem kontrovers diskutiert wird.18 Allerdings wird der kausale Zusammenhang zwischen diesen Ungleichgewichten und der Finanzkrise in den meisten Analysen nicht sehr deutlich.

Das Ungleichgewicht in den Leistungsbilanzen

Als globale Ungleichgewichte werden üblicherweise die weltweiten Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den Überschussländern und dem großen Defizitland, den USA, bezeichnet. Das US-Defizit macht etwa zwei Drittel aller Leistungsbilanzdefizite der Welt aus. 2007 kamen die Leistungsbilanzüberschüsse aller Überschussländer zu 55% von China, Japan und Deutschland, der Rest vor allem von den OPEC-Ländern und anderen Rohstoffexporteuren.19 Zwar gibt es das Leistungsbilanzdefizit der USA schon seit den 1980er Jahren, an- und abschwellend, aber seit 1992, als die Leistungsbilanz erstmals wieder ausgeglichen war, nahm das Defizit fast kontinuierlich zu. Knapp ein Drittel des Handelsbilanzdefizits der USA besteht bilateral gegenüber China.

Das Defizit drückt eine schwache internationale Wettbewerbsfähigkeit der US-Unternehmen aus, die von 1995 bis 2002 durch eine reale effektive Aufwertung sogar noch verschlechtert wurde; seit 2002 sinkt der reale effektive Außenwert des Dollar wieder etwas. Von sehr vielen Beobachtern wurde diese Konstellation als nicht-nachhaltig und sogar gefährlich angesehen: Wenn Anleger ihr Kapital aus den USA abziehen, kann es zu einer abrupten Dollar-Abwertung kommen. Viele rechneten mit einer allmählichen Korrektur der Überbewertung des Dollar durch die Rationalität der Märkte. Jedoch kam es nicht zu einer Dollarkrise, sondern zu einer Finanzkrise. Obwohl im Verlauf der Finanzkrise die globalen Ungleichgewichte etwas abschmolzen, wird schon jetzt deutlich, dass sie mittelfristig wieder zunehmen werden.

Die ungleichgewichtigen Kapitalströme

Die Diskussion über die globalen Ungleichgewichte hat sich auf die Güterströme konzentriert, die Kapitalströme, welche das Muster der Globalisierung der Finanzmärkte bestimmen, aber vernachlässigt. Dies ist insofern irreführend, weil der Umfang der Kapitalzuflüsse normalerweise eine Budgetrestriktion für Defizitländer darstellt und überdies in einem Floating-Regime die Wechselkurse weitgehend bestimmt. Nicht nur Wolfgang Stützel sah die Kapitalbilanzsalden als Ursache der Leistungsbilanzsalden.20 Die Kapitalströme haben ein gegenüber den Handelsströmen viel größeres Brutto-Volumen. Aber auch netto gerechnet kumulieren sie bei anhaltendem Leistungsbilanzdefizit zu einem großen Schuldenberg und erreichen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ein sehr hohes Bestandsniveau. Rund die Hälfte der Zuflüsse in die USA waren in den letzten Jahren durch die Zunahme der Reservehaltung der Zentralbanken inklusive Staatsfonds, vorwiegend in den Schwellenländern, bedingt. Der Rest kam durch privatwirtschaftliche Finanzanlagen zustande. Die ersteren Anleger sind vorwiegend risikoavers, d.h. sie kaufen T-Bills und ähnliche Staatsanleihen, die privaten Anleger jagen eher nach höheren Renditen und Risiken. Gewissermaßen passten sich die USA dieser Nachfrage nach Finanzprodukten an. Da die Wallstreet höhere Eigenkapitalrenditen als der Rest der Welt erzielte, wird hier der Maßstab für die Renditen anderer Anleger gesetzt.

Die Gründe für die Kapitalflüsse der großen Überschussländer sind unterschiedlich. China und anderen Schwellenländer betreiben einerseits eine neo-merkantilistische Handelspolitik, um Wachstum und Beschäftigung zu sichern. Andererseits benutzen sie den Dollar als nominalen Wechselkursanker, der im Notfall angesichts zunehmender Liberalisierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs mit hohen Reserven gesichert werden soll. Die seit Anfang der 2000er Jahre explosiv wachsenden Devisenreserven, resultierend aus den Handelsbilanz- und den Kapitalbilanzüberschüssen, letztere vor allem infolge hoher ausländischer Direktinvestitionen, werden überwiegend in den USA angelegt, meist in Staatspapieren.

In Deutschland herrschte Ende der 1990er Jahre eine strukturelle Binnenmarktschwäche bei extremer Exportorientierung dank realer Abwertung (bezogen auf die Lohnstückkostenentwicklung). Die zu den – überwiegend im europäischen Handel entstandenen – Leistungsbilanzüberschüssen korrespondierenden Kapitalzuflüsse werden zum Teil wieder in den USA angelegt. Angesichts höherer erwarteter Renditen in den USA wie auch aus Gründen der Portfoliodiversifizierung schwellen private Kapitalströme in die USA prozyklisch an und wieder ab.

Japans hohe Handelsbilanzüberschüsse resultieren ebenfalls aus einer phasenweise realen effektiven Abwertung (1995-1998, 2004-2007), angesichts einer latenten Deflation, sowie aus den schwachen Importen infolge des schwachen Wachstums. Massive kurzfristige Kapitalexporte aus Japan in die USA (und andere Länder) auf dem Wege des „carry trade“ haben phasenweise zusätzlich riskante Finanzanlagen in den USA refinanziert, indem die niedrigeren japanischen Geldmarktzinsen von Finanzinvestoren, u.a. Hedge-Fonds, ausgenutzt wurden.21 Schließlich werden Petrodollars und Rohstoffexportdollars vorzugsweise im Reservewährungsland angelegt, ebenso wie Fluchtkapital aus einer Vielzahl von Entwicklungsländern.

Während die privatwirtschaftlichen Kapitalströme in den USA je nach Renditehöhe an- und abschwellen und so Wechselkursschwankungen hervorrufen, trägt die langfristige Anlage von Währungsreserven zur Stabilisierung des Dollar gegenüber den jeweiligen Währungen bei, so dass der reale effektive Außenwert des Dollar nur begrenzt schwankt.22 Eine deutliche reale effektive Abwertung des Dollar fand in den letzten 25 Jahren nicht statt – diese hätten die USA aber gebraucht, um ihr Leistungsbilanzdefizit nachhaltig zu vermindern. So gesehen kann man von einer realen Überbewertung des Dollar sprechen, die zur Deindustrialisierung des Landes beigetragen hat. Ein kompensatorischer Strukturwandel hin zu neuen Exportsektoren ist mit dem Platzen der dotcom-Blase gescheitert. Stattdessen setzte ein sektoraler Strukturwandel zum Finanzsektor ein. Wallstreet wurde Main Street, etwas überspitzt formuliert.

Die Kapitalzuflüsse in die USA wurden nicht nur durch die Druck-Faktoren der Überschussländer, sondern auch durch Sog-Faktoren in den USA selbst angetrieben, etwa durch die Budgetdefizite der Bush-Junior-Administration und die Anstrengungen der Finanzindustrie, Risikokapital aus aller Welt mit Finanzinnovationen anzulocken. Statt Gütern wurden Wertpapiere exportiert. Die Tatsache, dass der US-Haushaltssektor eine sehr niedrige Sparquote hatte, verdeckt, dass es sich um einen – schematisch gesehen – zweigeteilten Sektor handelt. Die reichen Haushalte haben eine sehr hohe Sparquote, die sicherlich zu einem erheblichen Teil riskanten Finanzprodukten zugute kam und die die Vermögenspreisblase ebenfalls anheizte. Insgesamt ist die Verschuldung der auf steigende Immobilienpreise spekulierenden privaten Haushalte enorm gestiegen.

Bretton Woods II

Die globalen Ungleichgewichte wurden in einer wichtigen Interpretation als „Bretton Woods II“ bezeichnet.23 Damit wurde unterstellt, dass es sich um ein stabiles und zugleich wachstumsförderndes Währungssystem handelt. Der relativ stabile Dollar-Standard kommt in dieser Sicht durch die Kombination aus stabil zufließenden Währungsreserven einerseits und privaten, aber volatilen Zuflüssen andererseits zustande. Das Vertrauen in den Dollar sei groß genug, um das System längere Zeit ohne formelle Vereinbarungen aufrecht zu erhalten. Allerdings zerbrach Bretton Woods I, weil sich innere Widersprüche aufgebaut hatten, und so könnte es auch Bretton Woods II ergehen. Richtig ist an dieser Analyse, dass dieses System eine rund zehnjährige Phase hohen Wachstums der Weltwirtschaft ermöglicht hat – die eine Ländergruppe produzierte und exportierte Güter, die USA verkauften Wertpapiere und konsumierten (privat und staatlich). Die USA ermöglichten sozusagen über den Finanzsektor ein Deficit spending mit den Ersparnissen der Überschussländer und forcierten damit das globale Nachfragewachstum. Dies wurde von den Fed-Chefs Greenspan und Bernanke sowie von vielen anderen als Stärke der US-Wirtschaft und deren Währung angesehen. Damit wurden die zentralen Pfeiler des US-Wachstumsmodells des vergangenen Jahrzehnts ex officio für stabil erklärt.

Die Achillesferse dieses Systems lässt sich als neues Triffin-Dilemma beschreiben. Robert Triffin hatte seinerzeit den Widerspruch im Bretton-Woods-System darin gesehen, dass der an eine feste Goldparität gebundene US-Dollar als neue Weltwährung in zunehmendem Maße gebraucht wird, jedoch die Goldreserven der Welt begrenzt sind. Einerseits würde ein Leistungsbilanzdefizit der USA benötigt, um die Welt mit Dollar zu versorgen, wodurch das System zu einer Überbewertung des Dollar tendiere, die die Glaubwürdigkeit der Reservewährung untergräbt. Eine stabile und glaubwürdige Leitwährung brauche aber andererseits einen Leistungsbilanzüberschuss. Daher war die feste Goldparität auf längere Sicht nicht aufrechtzuhalten.24 Vielfach wird das Triffin-Dilemma als Ursache des Zusammenbruchs von Bretton Woods interpretiert. Der Dollarstandard von Bretton-Woods II erfordert, dass die USA als Zielland für Kapitalströme eine hohe Glaubwürdigkeit besitzen, bedingt durch eine niedrige Inflation, einen großen aufnahmefähigen Kapitalmarkt sowie eine hohe Stabilität und Attraktivität des Finanzsystems, d.h. im Durchschnitt durch höhere risikobereinigte Renditen. Die Handels- und Kapitalstromungleichgewichte tendieren jedoch in globalen Boomphasen dazu zuzunehmen, verstärkt durch die Umschichtungen von Geldkapitalbeständen zugunsten von Anlagen in den USA. Um die kumulierten Kapitalströme aufzunehmen, müssen die Finanzmärkte des Reservewährungslandes enorm wachsen.

Die Folge dieses Systems ist in vierfacher Hinsicht kritisch.

  • Erstens wird der US-Dollar als Leitwährung real überbewertet (gemessen am Maßstab eines moderaten Defizits oder Gleichgewichts).
  • Zweitens tendiert das System zu einer Überflutung der US-Finanzmärkte mit Auslandskapital, wodurch das Niveau der langfristigen Zinsen sinkt, restriktive Geldpolitik konterkariert und die Kreditvergabe weiter stimuliert wird.
  • Drittens wird das US-Finanzsystem anfälliger für Vermögenspreisblasen, da insbesondere weltweit risikoorientiertes Geldkapital in den USA konzentriert wird25 bzw. risikoaverse Anlagen durch das US-Finanzsystem zur Refinanzierung risikoorientierter Investments verwendet wird.
  • Hinzu kommt viertens die Gefahr einer jähen Dollarabwertung gegenüber Währungen, die nicht fest an den Dollar gekoppelt sind. All dies unterminiert den Dollarstandard, der am Ende nur deshalb nicht zusammenbricht, weil es noch keine andere nationale Währung gibt, die diese Funktion übernehmen könnte.26

Das neue Triffin-Dilemma wird verstärkt, wenn die USA hohe Budgetdefizite zulassen, den Finanzsektor lax beaufsichtigen und fortwährend deregulieren und die Geldpolitik Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems ignoriert. Die Schlussfolgerung aus der Analyse des Triffin-Dilemmas ist, dass nicht nur der US-Dollar, sondern auch jede andere Währung der Welt die Rolle einer Leitwährung nicht übernehmen kann. In jedem Fall gibt es einen Widerspruch zwischen der primären nationalen Funktion des Geldes und dessen Funktion als Weltgeld. Eine Reform der Währungsarchitektur ist aus dieser Sicht notwendig, die die Lasten der Leitwährung auf mehrere Länder und Währungen verteilt.

Viele Analysten der globalen Ungleichgewichte machen es sich zu einfach: die einen weisen China und anderen Überschussländern die Schuld zu, die anderen den USA, die zu wenig sparen und über ihren Verhältnissen leben. Der Punkt ist aber, dass das jetzige System Anreize für diese Konstellation schafft, zumal es über einen längeren Zeitraum immerhin äußerst wachstumsträchtig und damit scheinbar erfolgreich war. Hinzu kommt, dass insbesondere Schwellen- und anderen Entwicklungsländer sich vor hoher Wechselkursvolatilität mit exzessiver Reservebildung zu schützen versuchen. Das System fördert auf diese Weise Wechselkurse, die massiv von den Fundamentaldaten abweichen. Würden die USA vollkommen auf Budgetdefizite verzichten, so könnten sie gleichwohl in einem System ungehinderter internationaler Kapitalmobilität nicht verhindern, dass sie Kapitalzuflüsse erhalten, die zu Leistungsbilanzdefiziten führen. Kurzum, es gibt hier keine unilateralen Lösungen.27 Die G20 haben in ihrer Erklärung von Pittsburgh diesen Problemkreis ausgeklammert.

Neuer Finanzkapitalismus

Viele Ökonomen haben seit einiger Zeit darauf hingewiesen, dass sich in den letzten beiden Jahrzehnten – nicht nur in den USA – eine Tendenz zu einem neuen Finanzkapitalismus, zu einem „finance-led capitalism“ oder zu „financialisation“ durchgesetzt habe, wenngleich in unterschiedlichen nationalen Formen.28 Die Begriffe, wenn gleich nicht immer ganz eindeutig, beschreiben die folgenden Entwicklungstendenzen:

  • Geld und Kredit werden zunehmend für Finanztransaktionen statt für reale Transaktionen verwendet.
  • Die Gewinnmaximierung wird als Steigerung des Aktienwertes von Unternehmen verstanden (Shareholder-value), die Bilanzierungsregeln werden zugunsten der Aktionärsinteressen geändert („mark-to-market“ oder „fair value“ statt Niederstwertprinzip), die Corporate Governance wird vom Kapitalmarkt dominiert, das Management wird wertorientiert entlohnt, die Barrieren für Mergers & Acquisitions werden beseitigt.
  • Durch ein überdurchschnittliches Wachstum des Finanzsektors, getrieben von Finanzinnovationen, Deregulierung und Globalisierung der Finanzmärkte, wird der Finanzsektor zu einer wichtigen Wachstumsbranche – als wäre er Teil der Realökonomie. Finanzinnovationen werden quasi als technischer Fortschritt betrachtet.29
  • Die Renditen und Managereinkommen im Finanzsektor steigen und werden immer mehr zum Maßstab für die Realökonomie; die Lohnquote sinkt, und die Gewinnsumme konzentriert sich stärker auf die „Finanzindustrie“.
  • Die Wertpapiermärkte und andere Vermögensmärkte, z.B. die Immobilienmärkte, werden anfälliger für Spekulation und Preisblasen.

Diese Entwicklungen haben sich am stärksten in den USA und in Großbritannien durchgesetzt, strahlen aber auf den ganzen Globus aus. Die Kurse an den Kapitalmärkten werden gewissermaßen als Herzschrittmacher der Ökonomie angesehen, nicht mehr die Sachkapitalakkumulation und der technische Fortschritt. Unterschiede zwischen Realökonomie und Finanzwirtschaft verflüchtigen sich scheinbar. Diese schleichende Transformation des traditionellen Kapitalismus ist der Nährboden, auf dem sich die krisenhafte Finanzsektorentwicklung vollzog, die schließlich zur Subprime-Krise führte. Hier hat auch die Explosion der Managergehälter und der Bonuszahlungen in den Banken ihre eigentlichen Ursachen, ebenso die fast fehlende Kontrolle des Managements von Banken und zunehmend auch von produzierenden Unternehmen durch die Aktionäre. All dies geht weit über die eingangs beschriebenen engeren Ursachenanalysen der Finanzmarktkrise hinaus. Diese strukturellen Ursachen überschneiden sich stark mit denen der globalen Ungleichgewichte, denn sie sind für die Sogwirkung der USA auf die globalen Kapitalströme mitverantwortlich.

Ungleiche Einkommensverteilung

Diese Entwicklungstendenz hat in nahezu allen Ländern zu einer ungleicher werdenden Einkommensverteilung geführt, am deutlichsten in den USA. Die schwache Lohnentwicklung der unteren und mittleren Einkommen führt zu niedrigeren Sparquoten in dieser Einkommensgruppe, einem Entsparen und zu einer stark steigenden Kreditaufnahme, insbesondere für Immobilien. Die Kredit-Vermögenspreis-Spirale dreht sich und wird allseits in Bewegung gehalten. Zentraler Hintergrund der sich öffnenden Einkommensschere ist die Tendenz zur Entkoppelung von Reallohn- und Produktivitätsentwicklung.30

In Deutschland trägt dies zur Binnenmarktschwäche und zum Exportweltmeister-Titel mit hohen Kapitalexporten bei, in den USA führt dies zu einer exzessiven Kreditaufnahme der privaten Haushalte, die Konsum und Wohnungsbau antrieb. In anderen Ländern ist die schiefer werdende Einkommensverteilung in andere makroökonomische Muster eingebettet; gemeinsam ist ihnen, dass das Wachstum der Realwirtschaft und damit auch der Beschäftigung im Vergleich zu früheren Boomjahren schwächer ausfällt. In allen Fällen haben sich nicht-nachhaltige makroökonomische Regimes herausgebildet, die direkt (USA) oder indirekt (u.a. Deutschland, China, Japan) zur Entstehung der Finanzkrise beigetragen haben.

Toxische Theorien, gefährliche Interessenkonstellationen

Die Fehlentwicklungen an den Finanzmärkten und im Bankensystem hätten ohne eine bestimmte „Denke“ kaum stattgefunden.31 Das toxische Ideengut stammt aus einer Reihe von Theorien, die entweder direkt angewendet oder in schematische handlungsleitende Glaubensbekenntnisse praxisrelevant übersetzt wurden. Andere Theorien und Konzepte wurden weitgehend verdrängt. Die wohl wichtigsten Maximen waren:

  • erstens, dass ein moderner Finanzsektor Innovationen hervorbringe, die per se als fruchtbar zu bewerten sind und die einer partiellen Deregulierung des Bankensektors bedürfen;
  • zweitens, dass das US-Leistungsbilanzdefizit Ausdruck der Stärke des US-Wachstumsmodell und kein Warnzeichen für Finanzkrisen ist;
  • drittens dass die „Globalisierung“, die ja in weiten Teilen eine grenzüberschreitende Liberalisierung von Finanzmärkten darstellt, positiv und wohlfahrtssteigernd für alle Beteiligten ist. Die gefährlichen Widersprüche der finanziellen Globalisierung wurden nicht hinreichend berücksichtigt.32

Einige der zugrunde liegenden theoretischen Konzepte können hier nur summarisch genannt werden:

  • die Theorie effizienter Finanzmärkte von Eugene Fama, insbesondere in ihrer strengen Form,
  • die Theorie rationaler Erwartungen, die in ihrer Kernform „destabilisierende“ Spekulation und Vermögenspreisblasen ausschließt,
  • die mathematischen Risikomodelle im „financial engineering“, die Risiken systematisch unterschätzen und die Fähigkeit zur Risikobewertung überschätzen,
  • die neukeynesianische makroökonomische „New Consensus“-Theorie, die im Kern die Stabilisierungsfähigkeit einer Marktwirtschaft durch eine glaubwürdige Zentralbank postuliert und die Möglichkeit der Entstehung von Finanzkrisen ausklammert.

Mit der Finanzkrise ist aber nicht nur die vorherrschende Finanzmarkttheorie in Misskredit geraten, sondern auch die gängige makroökonomische Theorie, insbesondere auch die internationale Makroökonomie, die unzureichend entwickelt ist und Globalisierungsprobleme nicht im Griff hat. Theorien zur Erklärung von systemischen Finanzkrisen wurden unzureichend entwickelt; makroökonomische Modelle enthalten einen extrem vereinfachten Finanzsektor, der Krisen ausschließt, und konzentrieren sich auf die Realökonomie; sie vernachlässigen Bestände von Geldkapital und sind damit nicht „stock-flow“-konsistent. Die auf Knight zurückgehende, von Keynes verwendete Unterscheidung von Risiko und Unsicherheit wurde fallen gelassen, die Möglichkeit von Liquiditätskrisen ausgeblendet, Minsky’s „Financial instability hypothesis“ ignoriert, ebenso Kindlebergers narrative Analysen von Finanzkrisen oder die Ansätze der Behavioural Finance von Akerlof/Shiller.

Abgesehen von der verbreiteten Ausgrenzung von Minderheitsmeinungen an Universitäten und Forschungsinstituten waren es aber die Gewinninteressen der Finanzindustrie, die zur Missachtung kritischer Warnrufe beitrugen. Die Finanzlobby hatte für die Deregulierung gekämpft und enorme Gewinne verdient. Superrenditen haben sie zum viel kritisierten Hochmut verführt, der sie an den Abgrund ihrer eigenen Existenz brachte. Der Finanzsektor ist die Achillesferse des Kapitalismus, heute mehr noch als früher (und nicht weniger, wie man bis 2008 überwiegend glaubte). Grundlage war dessen Macht und die fehlende Gegenmacht von Staat und Gesellschaft, ja die Komplicenschaft der Regierungen und Aufsichtsbehörden: „Raubtierstaat“, formuliert James Galbraith für die USA der Bush-Junior-Jahre im Titel seines Bestsellers.33

  • 1 Vgl. M. Hellwig: Systemic Risk in the Financial Sector. An Analysis of the Subprime-Mortgage Financial Crisis, Max Planck Institute for Research on Collective Goods, Bonn 2008; J. P. Krahnen, G. Franke: Instabile Finanzmärkte, CFS Working Paper, Nr. 2009/13, Frankfurt a.M. 2009; H.-W. Sinn: Kasino-Kapitalismus. Wie es zur Finanzkrise kam und was jetzt zu tun ist, 2. Auflage, Berlin 2009.
  • 2 C. Borio, M. Drehmann: Assessing the risk of banking crises – revisited, in: BIS Quarterly Review, März 2009, S. 29-46; C. M. Reinhart, K. S. Rogoff: This Time is Different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton 2009.
  • 3 Vgl. auch P. Krugman: The Return of Depression Economics and the Crisis of 2008, London 2008.
  • 4 M. K. Brunnermeier et al.: The Fundamental Principles of Financial Regulation, Geneva Report on the World Economy 11/2009, International Center for Monetary and Banking Studies (ICMB), Genf 2009; C. A. E. Goodhart: The Regulatory Response to the Financial Crisis, Cheltenham 2009.
  • 5 Financial Stability Forum: Report of the Financial Stability Forum on Addressing Procyclicality in the Financial System, 2. April 2009.
  • 6 Die ursprüngliche Grundidee, dass Kreditnehmer prinzipiell mehr Informationen als Kredit gebende Banken haben, lässt sich umkehren auf das Verhältnis von Banken und Kapitalanlegern oder auch auf Nichtbanken, z.B. Hedge-Fonds und Banken.
  • 7 C. M. Reinhart, K. S. Rogoff, a.a.O., S. 207.
  • 8 C. M. Reinhart, K. S. Rogoff, a.a.O., S. 290 f. Auf eine andere Kritik an der Notenbankpolitik wird selten hingewiesen. Durchaus nicht wenige Beobachter hatten auf das Risiko aufmerksam gemacht, dass eine restriktive Geldpolitik der Fed die Hauspreisblase zum Platzen bringen würde. Eine moderate Zinserhöhung und eine stärker restriktive Fiskalpolitik wäre zweifellos der bessere Policy Mix gewesen. Diese eher postkeynesianische Sicht einer abgestimmten Geld- und Fiskalpolitik war nicht einmal im Denkrepertoire der Verantwortlichen.
  • 9 H.-W. Sinn, a.a.O., S. 179 f.
  • 10 M. K. Brunnermeier et al.: The Fundamental Principles of Financial Regulation, a.a.O.
  • 11 C. A. E. Goodhart, a.a.O.
  • 12 Einige Anhänger dieser Position betonen, dass eine neue internationale Institution mit der entsprechenden internationalen Koordinierung der makroprudentiellen Aufsicht geschaffen werden müsse (vgl. C. M. Reinhart, K. S. Rogoff, in: Financial Times vom 18.11.2008). Siehe auch die Vorschläge der Stiglitz-Kommission an die Vereinten Nationen sowie die Überlegungen der G20 zur Stärkung des Financial Stability Forum.
  • 13 N. N. Taleb: Fooled by Randomness, The Hidden Role of Chance in Life and in the Markets, New York 2005.
  • 14 M. K. Brunnermeier: Deciphering the Liquidity and Credit Crunch 2007-2008, in: Journal of Economic Perspectives, 23. Jg. (2009), Nr. 1, S. 77-100.
  • 15 Nicht selten wird darauf verwiesen, dass die USA das Epizentrum der Finanzkrise seien, während in den meisten anderen OECD-Ländern wesentlich strengere Regulierungen existierten. Diese Sicht verkennt die Rolle internationaler Kapitalströme – das Epizentrum konnte nur entstehen, weil der Rest der Welt mitspielte und die nationalen Regelungen dies gestatteten.
  • 16 Der IWF schrieb in seinem World Economic Outlook vom April 2007, dass die Risiken für die weltwirtschaftliche Entwicklung extrem niedrig seien und keinerlei Grund zur Besorgnis bestünde. Vgl. dazu auch die Kritik von C. M. Reinhart, K. S. Rogoff, a.a.O., S. 214.
  • 17 Vgl. C. M. Reinhart, K. S. Rogoff, a.a.O., S. 204 ff.
  • 18 Vgl. B. Eichengreen: Global Imbalances and the Lessons of Bretton Woods, Cambridge, Mass. 2007; M. Obstfeld, K. S. Rogoff: Global Current Account Imbalances and Exchange Rate Adjustments, in: Brooking Papers on Economic Activity, 2005, Nr. 1, S. 67-146; zum Überblick vgl. J. Priewe: Leistungsbilanzdefizit der USA, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2008, H. 7, S. 21-26.
  • 19 J. Priewe, a.a.O.
  • 20 W. Stützel: Saldenmechanik. Ein Beitrag zur Geldtheorie, Tübingen 1978, S. 125 ff.
  • 21 Vgl. M. Hattori, H. S. Shin: Yen Carry Trade and the Subprime Crisis, in: IMF Staff Papers, 56 (2009), S. 384-409.
  • 22 Verweise auf den realen effektiven Außenwert von Währungen beziehen sich hier auf die Angaben des IMF: International Financial Statistics, Washington, verschiedene Jahre.
  • 23 Vgl. das „Deutsche-Bank-Trio“ M. P. Dooley, D. Folkerts-Landau, P. M. Garber: An Essay on the Revived Bretton Woods System, in: NBER Working Paper 9971, September 2003.
  • 24 R. Triffin: Gold and the Dollar Crisis, New Haven 1960.
  • 25 D. Gros: Global Imbalances and the Accumulation of Risk, in: CEPS Policy Briefs, Nr. 189, Juni 2009.
  • 26 R. J. Carbaugh, D. W. Hedrick: Will the Dollar be Dethroned as the Main Reserve Currency?, in: Global Economy Journal, 9. Jg. (2009), H. 3, Article 1.
  • 27 E. Helleiner: The Contemporary Reform of Global Financial Governance: Implications and Lessons from the Past, UNCTAD, G24 Discussion Paper Series, Nr. 55, Genf, April 2009.
  • 28 E. Hein et al. (Hrsg.): Finance-led Capitalism? Macroeconomic Effects of Changes in the Financial Sector, Marburg/Lahn 2008; T. van Treeck: The macroeconomics of „financialisation“ and the deeper origins of the world economic crisis, in: IMK Working Paper, Nr. 9, Düsseldorf 2009.
  • 29 Die Wertschöpfung des Finanzsektors in den USA stieg von 4 auf 8% des BIP von Mitte der 1970er Jahre bis 2007 (C. M. Reinhart, K. S. Rogoff, a.a.O., S. 210). 2007 konzentrierten sich 30% der Unternehmensgewinne auf den Finanzsektor, 1970 waren es knapp 23% (berechnet nach Council of Economic Advisers: Report to the President 2009, Washington D.C. 2009, Tab. B91).
  • 30 Der reale Stundenlohn in privaten Unternehmen außerhalb der Landwirtschaft stieg in den USA von 1964 bis 2007 um 5,9%, die Arbeitsproduktivität je Stunde dagegen um das 2,3fache bzw. um 1,9% p.a. (berechnet nach Council of Economic Advisors: Report to the President 2009, Tab. B47 und B49).
  • 31 W. Buiter: The unfortunate uselessness of most „state of the art“ academic monetary economics, in: Vox, 6. März 2009, http://www.voxeu.org/index.php?q=node/3210.
  • 32 Vgl. P. Krugman, a.a.O., S. 165 ff.
  • 33 J. K. Galbraith: The Predator State. How Conservatives Abandoned the Free Market and Why Liberals Should Too, Free Press: New York u.a. 2008.
 


DOI: 10.1007/s10273-010-1043-3