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Die Krise Griechenlands wächst sich zu einer Gefahr für den gesamten Euroraum aus. Wie soll die Europäische Union darauf reagieren? Sie befindet sich im Dilemma zwischen Bailout und Bestrafung des „Defizitsünders“. Das erste scheint für den Bestand der Währungsunion unvermeidlich, das zweite ist erforderlich, um einen Moral Hazard zu vermeiden.

Rettung durch eine beschränkte Garantie

Staaten mit hohen Schulden sind gegenüber ihren Kreditgebern anfällig. Sie sind ihnen regelrecht ausgeliefert. Sie müssen jedes Jahr einen Großteil ihrer gesamten Kredite zurückzahlen und diese Rückzahlungen durch neue Kredite finanzieren. Die Bundesfinanzagentur, die diese Geschäfte für den Bund in Deutschland abwickelt, rechnete nach eigenen Angaben beispielsweise im Dezember 2009 damit, im Jahr 2010 neue Kredite im Umfang von 343 Mrd. Euro zu verkaufen. Das ist bekanntlich erheblich mehr als die Nettoneuverschuldung. Wenn die Kreditgeber einem Staat nun nicht mehr trauen und der Staat für seine Schuldtitel zur Refinanzierung der auslaufenden Altschulden keine Käufer findet, ist das vergleichbar mit einer Kündigung der Kreditlinien. Es tritt dann buchstäblich die Insolvenz ein.

Vor dieser Situation stand Griechenland letztlich in den ersten Wochen des Jahres 2010. Innerhalb weniger Wochen waren die Risikoaufschläge – im Vergleich etwa zu den Zinssätzen in Deutschland –, die Griechenland den Gläubiger anbieten musste, damit sie seine Schuldtitel kauften, auf ca. 4% geklettert. Wenn sich der Bund also am Kapitalmarkt Geld für 2 oder 3% leihen konnte, musste Griechenland 6 oder 7% Zinsen akzeptieren, um den Kredit zu bekommen. Unklar war Mitte Februar auch, ob es Griechenland überhaupt gelingen würde, im April und Mai am Kapitalmarkt ca. 20 Mrd. Euro aufzunehmen. So viel wäre Pressemeldungen zu Folge erforderlich, um auslaufende Kredite abzulösen. Hochgerechnet auf die gesamte Staatsschuld würde allein der Risikoaufschlag rund ein Viertel des griechischen Steueraufkommens verschlingen. Die Lücke zwischen Steuereinnahmen und Ausgaben würde sich dadurch noch einmal erheblich erweitern. Eine Spirale würde in Gang gesetzt, bei der die Staatsschuld und die Risikoaufschläge immer weiter ansteigen würden. Irgendwann würden die Kreditgeber zu dem Schluss kommen, dass auch beliebig hohe Zinsen kein Ausgleich für das Ausfallrisiko mehr sind, schon weil die Wahrscheinlichkeit viel zu klein wäre, dass Griechenland das Geld für so hohe Zinsen aufbringen könnte.

Damit war bereits im Februar eine ungemütliche Situation eingetreten. Ungemütlich für Griechenland. Ungemütlich für die anderen Länder der Eurozone wie Portugal, Spanien, Irland und Italien. Sie mussten fürchten, dass die Vertrauenskrise der Anleger auf diese Länder übergreifen könnte. Ungemütlich auch für die noch verhältnismäßig solventen Mitglieder der Eurozone, wie Frankreich oder Deutschland. Ihnen wurde schnell die Rolle der Problemlöser und Sanierer zugedacht. Ungemütlich schließlich auch für die Weltfinanzmärkte insgesamt und die Welt, weil schwere Verwerfungen auf den Kapital- und Kreditmärkten in der Eurozone wohl nicht ohne Auswirkungen auf die Weltkapitalmärkte bleiben würden und letztlich das gesamte Finanzsystem bedrohten.

Die Devisenmärkte reagierten im Februar nervös. Alle Marktteilnehmer waren über die weitere Entwicklung unsicher. Würde es zu Zahlungsausfällen in Griechenland kommen? Würde das eine Finanzkrise auslösen? Würde es zu Vertrauensverlusten auch gegenüber Italien, Portugal oder Spanien kommen? Würden auch dort die Risikozuschläge in den Bereich des nicht mehr Finanzierbaren anwachsen und damit die eigentliche Krise herbeiführen? Oder würde die EZB von ihren eisernen Prinzipien abweichen und z.B. die Konditionen für die Beleihung von griechischen Staatsschuldtiteln lockern? Würde der Euro auf diesem oder einem anderen Weg „weich“ werden? Würden einzelne EU-Staaten Griechenland Finanzhilfen oder Bürgschaften geben? Würde die Europäische Kommission sich etwas einfallen lassen? Würde sie den Internationalen Währungsfonds mit ins Boot nehmen oder beauftragen? Welche Folgen würden die Vorgänge für die institutionellen Reformen der Eurozone haben? Wie würden die Märkte sich verhalten? Würde im Casino-Kapitalismus ein neuer Spieltisch eröffnet? Würden einzelne große Spieler auf bestimmte Ereignisse wetten? Müssten die dabei gescheiterten Großinstitute dann wieder vom Staat gerettet werden? Würde somit das Vertrauen der Finanzmarktteilnehmer untereinander zerstört werden?

Die EU-Regierungschefs haben sich am 11. Februar 2010 in Brüssel zu einem Sondergipfel getroffen. Den Berichten über den Gipfel sind mehrere Botschaften zu entnehmen. Erstens: im äußersten Notfall wird Griechenland geholfen. Zweitens: hoffentlich kommt es nicht dazu. Und drittens: wer sagt uns bitte, wie wir Griechenland helfen können, ohne den EU-Vertrag den Buchstaben nach zu verletzen? Es klingt ein wenig wie die Merkelsche Zusicherung aus den Tagen nach der Lehman-Pleite, dass die Einlagen bei deutschen Banken verbürgt werden. Dahinter stand wohl die Hoffnung, dass die Märkte die vage Zusage als eine Art Ausfallbürgschaft verstehen und Griechenland wieder kreditfähig wird. Man dachte vielleicht, über konkrete Verfahren und Institutionen, die für den Fall der Fälle zur Anwendung kommen, kann man ja ein anderes Mal verhandeln. Am besten in Nicht-Krisenzeiten. Und die Sache wegen mangelnder Dringlichkeit dann gleich zu den Akten nehmen. Leider hat sich in den Wochen nach dem Gipfel die Situation zugespitzt.

Man muss sich angesichts des Dilemmas verschiedene Fragen stellen. Rückwärts gewendet stellt sich die Frage: Wie und warum kam es zu dieser Krise? Dabei geht es nicht darum, auf Griechenland zu zeigen. Ganz sicher ist Griechenland kein Waisenknabe. Aber gute Systeme bringen eben auch schwarze Schafe zur Räson. Zu fragen ist: was ist der Webfehler des Vertrags von Maastricht? Nach vorn gerichtet stellt sich die Frage: Welche Antworten gibt es kurzfristig und langfristig? Welche Wirkungen haben sie? Und welche Nebenwirkungen gibt es? Welche Antworten sind besser als andere? Und welche sind wahrscheinlicher als andere, wenn man die Funktionsweise von Politik mit berücksichtigt?

Der Webfehler des Vertrags von Maastricht

Der Vertrag von Maastricht sollte ein schwieriges Problem lösen, das entsteht, wenn verschiedene souveräne Staaten sich eine Währung und eine Zentralbank teilen. Das Problem offenbart sich an zwei Fragen. Zum einen: Wie verhindert man, dass einzelne Staaten der Eurozone hohe Staatsschulden anhäufen? Solche Schuldenberge können die Glaubwürdigkeit einer auf Preisstabilität gerichteten Politik der Europäischen Zentralbank unterhöhlen. Und sollten gleich mehrere Mitglieder der Eurozone hohe Staatsschulden anhäufen, würden sie dann nicht ihr politisches Gewicht und ihre Stimmen in den Entscheidungsgremien der EZB dazu einsetzen, die Last aus Schulden und Zinsen durch höhere Preissteigerungsraten zu mindern? Die zweite Frage hängt mit der ersten zusammen. Was würde in dem Extremfall passieren, wenn ein Staat so hohe Schulden angehäuft hat, dass er sich aus der Schuldenfalle nicht mehr selbst retten kann? Wäre ein solcher Staat Herr seiner nationalen Währung, könnte er die Notenpresse anwerfen oder im Extremfall durch eine Währungsreform die Schulden beseitigen. Innerhalb der Eurozone haben einzelne Staaten diese Option nicht. Sie könnten versuchen, aus der Eurozone auszuscheren und wieder eine eigene Währung einzuführen. Aber vorgesehen ist diese Option in den Verträgen eigentlich nicht, und sehr verlockend ist sie ebenfalls nicht.

Kritikern der Währungsunion hätten ihre Väter und Erfinder auf solche Fragen mit Zuversicht entgegnet: „Lieber Freund, erstens sind das Horrorszenarien weit ab der Realität. Und zweitens wird es eine solche Situation gar niemals geben. Dazu waren wir viel zu schlau. Wir haben natürlich zwei Sicherungen gegen das Unmögliche eingebaut. Die erste Sicherung ist die No-Bailout-Clause (heute Art. 125 des Vertrags von Lissabon). Schuldenmacherkandidaten kriegen von anderen EU-Ländern keine Hilfe. Und schon deshalb wird keiner so hohe Schulden machen. Wer nämlich keine Hilfe kriegt, passt eben auf, dass er nicht in Not gerät. Und wenn es trotzdem einer versucht, dann klopfen wir ihm gleich ganz zu Anfang auf die Finger. Dafür haben wir ja das Regulierungswerk des Art. 126: schon lange bevor die Lage kritisch wird, wird gegen einen Schuldenheimer ein Defizitverfahren eingeleitet. Und unbelehrbare Schuldenheimer, ja denen drohen empfindliche finanzielle Strafen.“

Tatsächlich hat der Sanktionsmechanismus des Artikel 126 AEU (ex Art. 104 EGV) nie so richtig funktioniert. Seine erste wirkliche Bewährungsprobe – ausgerechnet gegenüber Deutschland – hat nicht zu seiner konsequenten Anwendung geführt. Sondern zu seiner Überarbeitung und Neuinterpretation. Mit dem „rechtzeitig-auf-die-Finger-Klopfen“ hat man auch die dramatische Lage von Spanien, Portugal, Italien und vor allem von Griechenland im Frühjahr 2010 eben nicht verhindern können.

Wenn das Unmögliche eingetreten ist

Heute stehen wir da, wo wir wegen der Schläue der Euroväter angeblich gar nie hinkommen konnten. Der Artikel 125 AEU sagt uns, was in dieser Situation nicht passieren soll: Es darf keine Finanzhilfen geben. Der Artikel sagt leider nicht, was denn stattdessen passieren soll, wenn ein Eurostaat seine Staatsfinanzen in eine hoffnungslose Lage gebracht hat. Wenn die Gläubiger einem hoch verschuldeten Eurostaat nicht mehr trauen und ihm die Anschlusskredite seiner hohen Schulden verweigern, was denn dann? So sicher waren sich die Euroväter, dass es so weit nie kommt, dass ihnen für ein Nachdenken über diese Frage wohl die Zeit zu schade war.

Die drohenden Zahlungsausfälle von hunderten von Milliarden Euro könnten den Finanzsektor noch stärker durchrütteln, als das die Pleite von Lehman-Brothers getan hat. Schon Zahlungsausfälle bei einer möglichen Pleite der Hypo-Real-Estate konnte man, glaubt man den Bekundungen der Politik aus dieser Zeit, den Märkten nicht zumuten. Dabei war das Kreditvolumen viel kleiner als es bei Griechenland, Portugal oder Italien ist. Es könnte bei Zahlungsausfällen eines dieser Staaten zu Misstrauen zwischen den Finanzinstituten kommen, wenn keiner weiß, wie viele der eventuell „toxischen“ Anleihen des betreffenden Staats ein möglicher Geschäftspartner im Tresor hat. Finanzunternehmen, die Kreditausfallversicherungen für solche Staatsschulden verkauft haben, geraten schnell an den Rand der Insolvenz, ähnlich wie seinerzeit der US-Versicherer AIG. Solche Unternehmen sind im Jahr 2010 nicht weniger systemisch als sie es im Jahr 2008 waren.

Damals, im Herbst 2008, haben Staatenlenker und Finanzminister die Kernschmelze der Finanzmärkte mutmaßlich mit großzügigen Überweisungen und Staatsgarantien für Finanzunternehmen und mit mündlichen Zusagen für solche Garantien für die privaten Anleger verhindert. Wenn nun die Staaten selbst die Wackelkandidaten sind, wer wird dann mit seinen Garantien und Garantieversprechen den Ausverkauf von Staatspapieren und das Zusammenbrechen dieses Markts verhindern?

Falsche Erwartungen mit gefährlichen Folgen

Europäische Politiker bis hin zu den Mitgliedern der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank drängen Griechenland nun zu einem strengen Sparkurs. Und die griechische Regierung verspricht einmal mehr, die Schere zwischen Steuereinnahmen und Staatsausgaben zu schließen und den Haushalt in Ordnung zu bringen. Die Reaktionen der griechischen Bevölkerung und ihrer Interessengruppen auf sehr moderate Vorschläge der Regierung in diese Richtung sind wenig ermutigend.

Aber warum sollten die Griechen auch sparen. Ist es nicht viel besser, wie bisher weiterzumachen? Es lebt sich prima mit EU-Subventionen und mit einem Staatshaushalt, der zu großen Teilen aus neuen Schulden finanziert wird. Die Zinslast für diesen Haushalt war in den vergangenen zehn Jahren ungewöhnlich moderat, vor allem weil Griechenland Zinsen nicht mehr in Drachmen bezahlen musste, sondern sich seinen Weg in die Eurozone erkämpft hat, in der die EZB glaubwürdig für Preisstabilität gesorgt hat. Mit dem Eintritt in die Eurozone ist deshalb die Zinslast um viele Prozentpunkte gesunken. Das hat sich zwar im Frühjahr 2010 für Griechenland wieder verschlechtert, als die Risikoprämie für griechische Anleihen teilweise um über vier Prozentpunkte über der für deutsche Anleihen lag. War der Markt (und vielleicht auch Griechenland selbst) bis zum Februar 2010 noch etwas unsicher, wie ernst die No-Bailout-Clause im Vertrag von Maastricht gemeint war: spätestens seit Februar 2010 ist klar: das Finanzhilfenverbot ist bestenfalls ein juristisches Hindernis, um das man im Zweifel auf die eine oder andere Weise herumkommen wird, wenn man will. Und man will.

Die Situation erinnert in fataler Weise an die Formulierungen, mit denen das Bundesverfassungsgericht in Deutschland das Bestehen eines Schuldenhaftungsverbunds zwischen Bund und Ländern etabliert hat. Das Verfassungsgericht sprach zuletzt in seinem Urteil zur Haushaltsnotlage von Berlin im Jahr 2006 davon, dass ein Bundesland erst alle Möglichkeiten sich selbst zu helfen ausschöpfen müsse, dass aber die Bund-Länder-Gemeinschaft als „ultima ratio“ zur Hilfe verpflichtet sei, wenn all diese Mittel ausgeschöpft sind. Ursprünglich hatte das Bundesverfassungsgericht dieses Hilfsgebot und damit die Haftungsgemeinschaft etabliert, als es Bremen und dem Saarland Hilfen zur Überwindung der extremen Haushaltsnotlage dieser Länder zukommen ließ. Die Entwicklung der Bund-Länder-Finanzen lässt uns einen möglichen Blick auf die Zukunft Europas werfen: Der Bund begann im Jahr 1994 mit Zahlungen an Bremen und das Saarland. Diese Zahlungen dauerten erst fünf Jahre. Dann wurden sie um fünf weitere Jahre verlängert. Am Ende all dieser Zahlungen erklärten Bremen und das Saarland, wie nützlich diese Hilfen waren, dass sie aber letztlich noch immer in einer Haushaltsnotlage seien und weiterhin Geld benötigten. Sie gingen erneut zum Verfassungsgericht. In der Verfassungsänderung von 2009 im Rahmen der Föderalismuskommission II erhielten sie noch einmal besondere Übergangshilfen bis 2019 in Höhe von 240 und 300 Mio. Euro jährlich, und damit mehr als jedes andere Bundesland. Auf ähnliche Entwicklungen können wir uns nun wahrscheinlich auf europäischer Ebene gefasst machen.

Kritisieren ist einfach, heißt es. Aber wie könnte man es in der augenblicklichen Situation besser machen?

Ein Garantieschirm!

Die Europäische Union könnte über die Schulden des griechischen Staats einen Garantieschirm spannen. Der sollte so aussehen: Griechenland bleibt in der Pflicht, was Zins und Tilgung der garantierten Schulden angeht. Nur im Fall der Zahlungseinstellung sollte die EU einspringen. Der Garantieschirm sollte sich insbesondere auf die Ausgabe von Schuldtiteln beziehen, die der Anschlussfinanzierung der Altschulden dienen. Die EU sollte dem griechischen Staat in den kommenden Jahren in einer Anpassungsphase auch ein begrenztes Kontingent an von der EU gewünschter oder gebilligter Nettoneuverschuldung garantieren, soweit das einem vernünftigen Konsolidierungskonzept entspricht. Dieses Kontingent sollte dann ebenfalls unter den Garantieschirm. Garantien sollten sich ausdrücklich nicht auf Nettoneuverschuldung beziehen, die nicht zu diesem gewünschten und gebilligten Teil der Neuverschuldung gehört.

Solange der Garantieschirm besteht, hat Griechenland also zwei Sorten von Schulden: Schulden die von der EU verbürgt sind, und solche, die es nicht sind. Griechenland sollte sich im Ausgleich für den Garantieschirm verpflichten, seine Zins- und Tilgungsverpflichtungen für die verbürgten Schulden vorrangig zu bezahlen. Von der EU nicht gebilligte Nettoneuverschuldung wäre dann unverbürgt und die Ansprüche der Gläubiger für diese Schuldtitel wären zudem nachrangig gegenüber dem verbürgten Teil der Schulden. Diese nicht verbürgten Schuldtitel sind wegen der Nachrangigkeit und der fehlenden EU-Garantien auch von einem echten Zahlungsausfall bedroht.

Zusätzlich sollte man Griechenland einen Anreiz geben, den Zustand mit dem Garantieschirm wieder zu beenden. Dafür könnte man Griechenland eine Gebühr zahlen lassen, z.B. in Höhe von einem Prozentpunkt der Summe unter dem Garantieschirm.

Was sind die Folgen des Garantieschirms?

Erstens könnte Griechenland seine auslaufenden Kredite zu besten Bedingungen am Kapitalmarkt mit neuen Krediten finanzieren. Die Bonität Griechenlands für Anleihen, die dazu dienen, die Anschlussfinanzierung der Altkredite zu bewerkstelligen, wäre so gut wie die Bonität der EU insgesamt. Die hohen Risikoprämien, die Griechenland derzeit für die Refinanzierung seiner auslaufenden Kredite zahlen muss, wären vom Tisch. Bezogen auf das gesamte Kreditvolumen würde das Griechenland bei einer Risikoprämie, wie sie die Märkte phasenweise verlangt haben, um mehr als 10 Mrd. Euro pro Jahr entlasten. Diese Entlastung ist wichtig, weil sie Griechenland eine reelle Chance gibt, seine öffentlichen Haushalte aus eigener Kraft zu sanieren. Zugegeben, einen kleinen Betrag müsste Griechenland an die EU-Kasse zahlen, als Kompensation für den Garantieschirm und als Anreiz, sich aus dieser Situation zu befreien.

Zweitens wäre Griechenland durch die Märkte gezwungen, seine Staatsfinanzen zu sanieren. Griechenland müsste dem Konsolidierungspfad folgen, der durch die EU und den Garantieschirm vorgegeben ist. Zu erwarten ist nämlich, dass Griechenland den Teil der Nettoneuverschuldung, der nicht unter dem Garantieschirm liegt, entweder gar nicht, oder zu extrem ungünstigen Konditionen aufnehmen kann, weil diese Kredite gegenüber den garantierten Schulden nachrangig bedient werden. Und Märkte sind viel gnadenloser als die Regierungen der anderen Eurostaaten, wenn es darum geht, Hilfe zu verweigern. Für diese Form der Rationierung ist die Nachrangigkeit der Nettoneuverschuldung gegenüber den garantierten Schulden von besonderer Bedeutung. Wäre diese Nettoneuverschuldung nicht nachrangig gegenüber den Schulden unter dem Garantieschirm, würde der Garantieschirm den Griechen einfach die Geldschleusen der Kapitalmärkte für weitere Verschuldung für viele Jahre eröffnen und die EU müsste am Ende die Garantien einlösen und die griechischen Schulden zahlen.

Drittens wäre das systemische Risiko gebannt. Das gesamte Volumen der derzeit bestehenden Schulden (und seiner Anschlussfinanzierung) steht unter dem Garantieschirm. Wer wie viele griechische Staatsanleihen in seinen Tresoren hat, spielt dann keine Rolle mehr für das Vertrauen unter den Finanzmarktakteuren. Die drohende Zahlungsunfähigkeit von Griechenland kann den privaten Kreditgebern praktisch gleich sein. Auch spekulative Attacken und Wetten auf die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands werden uninteressant. Die Marktakteure würden die Anschlussfinanzierung der auslaufenden Altschulden Griechenlands auch gern und zu günstigsten Bedingungen finanzieren, weil dieser Teil neuer Kredite EU-garantiert wäre.

Viertens würde der Kapitalmarkt Kredite, die über das garantierte Volumen hinaus gehen (also der Teil der Neuverschuldung, der nicht unter den Garantieschirm gelangt) kritisch begutachten und dem Länderrisiko entsprechend angemessen bepreisen. Die Marktteilnehmer wissen, dass dieser Teil der Kredite nur bedient wird, wenn Griechenland noch Geld übrig hat, nachdem es die gesamten Zinsen auf die Schulden unter dem Garantieschirm bezahlt hat. Die Risikoprämien auf diesem Teil weiterer Kredite werden sehr hoch sein, wenn sich überhaupt Käufer für solche zweitrangigen Kredite finden. Das Kreditvolumen, das nicht unter dem Garantieschirm ist, wird deshalb voraussichtlich klein sein. So ist die reale Möglichkeit des Zahlungsausfalls auf diese Kredite auch nicht mit einem systemischen Risiko verbunden. Das macht einen No-Bailout für diese ungewünschten zusätzlichen Neuschulden auch glaubhaft.

Diese Problemlösung ist zudem im Interesse aller Beteiligten, jedenfalls im Vergleich zu einer ungeordneten Staatspleite Griechenlands. Griechenland gewinnt finanziellen Spielraum durch günstige Refinanzierungskonditionen auf die bestehenden Schulden. Die griechische Politik stößt an externe, vom Kreditmarkt bestimmte Grenzen, was die Neuverschuldung angeht, und das hilft ihr dabei, der eigenen Bevölkerung die Sanierungsnotwendigkeiten zu vermitteln. Die übrigen Eurostaaten profitieren ebenfalls. Die weiteren Pleitekandidaten in der Eurozone entgehen einem Dominoeffekt, den die Staatspleite Griechenlands auslösen könnte. Die reicheren Eurostaaten sparen sich Sanierungshilfen. Die EU erzielt zusätzliche Einnahmen aus den Gebühren für den Garantiefonds.

Zwei Warnungen

Zwei Warnungen zum Ende: Erstens, ob eine solche Lösung machbar ist, hängt davon ab, ob dieser Garantieschirm kompatibel mit dem EU-Recht ist, insbesondere mit dem Hilfsverbot in Artikel 125 AEU (ex-Artikel 103 EGV). Zweitens, der Vorschlag ist für eine einmalige Rettungsaktion konzipiert und könnte wohl die aktuelle Krise kostengünstig überwinden. Er ist, zumindest in dieser Form, nicht geeignet, zu einem dauerhaften Instrument der Haushaltssanierung einzelner EU-Länder zu werden. Die Erwartung der Märkte, dass die EU im Zweifel einen Rettungsschirm aufspannt, würde mittelfristig ähnlich negative Verhaltensanreize und Erwartungen bei den Beteiligten auslösen, wie andere Vorschläge, die letztlich alle eine allgemeine Bailout-Garantie darstellen. Auf mittlere Sicht muss man deshalb über eine geeignete Reform der europäischen Finanzverfassung nachdenken.

Möglichkeiten zum Umgang mit der Schuldenkrise Griechenlands und anderer EU-Mitgliedstaaten

Nachdem die heiße Phase der Finanzkrise überwunden schien, trifft der drohende Staatsbankrott Griechenlands die Europäische Union und darüber hinaus die Weltgemeinschaft anscheinend überraschend. Dies hätte nicht der Fall sein müssen. Schon 2004 war bekannt geworden, dass die Angaben zum griechischen Staatsdefizit von 1997 bis 2000 unsauber oder falsch waren und dass Griechenland zu Unrecht Mitglied der Eurozone geworden ist.1 Seit Jahren zeichnen sich ökonomische Ungleichgewichte zwischen Spanien, Griechenland, Portugal, Italien und Irland und dem Rest der europäischen Union ab. Bereits in ihrem Monatsbericht vom Februar 2007, warnte die Europäische Zentralbank vor wachsenden Ungleichgewichten im Euroraum und riet, die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Risiken aus dem Leistungsbilanzdefiziten mancher Euro-Staaten in den Blick zu nehmen und die gute wirtschaftliche Lage dazu zu nutzen, die Konsolidierung der Staatshaushalte voranzutreiben.2

Zudem ist absolut unverständlich, dass die Europäische Union keine Eventualpläne für den Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedslandes entwickelt hatte. Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten ist ein regelmäßig auftretendes Phänomen. So traten lateinamerikanische Schuldenkrisen seit der ersten Welle von Staatsbankrotten in den 1820er Jahren mit geradezu beängstigender Regelmäßigkeit alle 50 Jahre auf: in den 1870ern, den 1930ern und den 1980ern. In ihrem 2009 erschienenen Buch „This Time is Different“ präsentieren Kenneth Rogoff und Carmen Reinhard eine detaillierte und auch quantitativ hinterlegte Geschichte der Finanzkrisen. Seit dem Jahr 1800 befanden sich Länder, die im Schnitt 2 bis 10% des Welt-Bruttosozialproduktes repräsentieren, im Zahlungsverzug oder der Insolvenz. In den Jahren um 1814, 1840, 1850 erreicht der Wert um die 15%, 1945 sogar fast 45%. Auch in den 80er Jahren war der Anteil der Länder, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten, mit ungefähr 10% relativ hoch. Ab 1989 sank der Anteil dann stetig bis nahe Null im Jahr 2004. Dies war aber eine Ausnahmesituation, wie sie ansonsten nur zweimal, nämlich zwischen 1891 und 1931 und um 1821 vorgekommen ist.

Der drohendes Staatsbankrott Griechenlands ist also keinesfalls ein Vorgang ohne Präzedenzfälle; im Gegenteil: es gibt einen reichhaltigen historischen Erfahrungsschatz, der uns helfen kann, damit umzugehen.

Der Geburtsfehler der Europäischen Währungsunion

Ökonomie ist hoch politisch, und die Währungs- und Schuldenpolitik von Staaten ist dies ebenfalls. Zwar haben alle Staaten ein Interesse an stabilen Währungen und Wechselkursen, aber Gläubiger und Schuldnerländer weisen doch unterschiedliche Interessen und Sichtweisen auf, die einer politischen Vermittlung bedürfen. Das wurde an vielen Punkten in der Geschichte der Währungspolitik deutlich: bei den Verhandlungen zum System von Bretton Woods im Jahr 1944, bei denen die USA als Gläubiger und England als Schuldner auftraten, bei der einseitigen Aufkündigung des Systems von Bretton Woods durch US-Präsident Richard Nixon im Sommer 1971 („Nixon-Schock“), bei den Verhandlungen zur Gründung des Europäischen Währungssystems durch Helmut Schmidt und Valery Giscard d’Estaing 1978 bis 1979, den Verhandlungen über Hilfen für die lateinamerikanischen Schuldnerländer nach 1982 und bei der Gründung der europäischen Wirtschaftsunion, die mit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 und dem Delors-Bericht vom April 1989 eingeleitet und durch den Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) von Dezember 1991 beschlossen wurde.

Dennoch wurde dieser Interessenkonflikt sowohl von den eher wirtschaftspolitisch als auch von den eher mathematisch orientieren Ökonomen in Deutschland weitgehend verdrängt. Die Wirtschafts- und Währungsunion beruhte auf einem politischen Kompromiss zwischen Helmut Kohl, bzw. Deutschland (und implizit den Ländern des D-Mark-Blocks: Österreich, die Niederlande, Belgien, Luxemburg) sowie Francois Mitterrand, bzw. Frankreich (sowie den Südländern). Die letztgenannten stimmten der deutschen Wiedervereinigung unter der Voraussetzung zu, dass das deutsche Wirtschaftspotential in der Europäischen EU eingebunden sei und für alle EU-Länder nutzbar gemacht werde.3 Die Deutschen ihrerseits trösteten sich damit, dass für die Aufnahme in die Europäische Währungsunion strenge Konvergenzkriterien ausgehandelt und vertraglich festgelegt wurden, dass die Europäische Zentralbank, wie zuvor die Bundesbank, von Weisungen unabhängig und der Geldwertstabilität verpflichtet sein sollte und dass die Staaten gemäß Artikel 125 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) nicht gegenseitig für ihre Schulden einstehen würden (no-bailout-clause).4 Man tröstete sich damit, dass die Obergrenze für die Neuverschuldung von 3%, die Gesamtschuldengrenze von 60% sowie die Grenzen für Zinsniveau und Inflation ausreichend seien, um eine Stabilisierung und Konvergenz der Wirtschaftspolitiken zu erreichen.

Grundstein- oder Krönungstheorie?

Damit setzten sich in der öffentlichen Debatte in Deutschland die Vertreter der Grundsteintheorie durch, die die Währungsunion als wichtigen Impuls für die weitere Integration sahen. Die Warnungen der Vertreter der Krönungstheorie, die forderten, dass zunächst die Wirtschaftspolitik harmonisiert werden müsse, bevor man das Wagnis einer Wirtschafts- und Währungsunion eingehen könne, blieben ungehört. Bereits 1997 reichten die Professoren Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Joachim Starbatty und Karl Albrecht Schachtschneider Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Amsterdam zur Einführung des Euro ein, die jedoch abgewiesen wurde.5 Der ehemalige Chefvolkswirt der Bundesbank, Otmar Issing, setzte sich ebenfalls für die Krönungstheorie ein. Und in einem Diskussionspapier aus dem Jahr 1998 schrieb ich, dass „gegenwärtig die Währungsunion ein ökonomisch schlechter Schritt sei“ und dass die Währungsunion über kurz oder lang in ernsthafte Schwierigkeiten geraten werde. Ebenso bezeichnete ich die Institutionen der EU als nicht demokratisch legitimiert und merkte an: „Die Währungsunion trägt den Keim der eigenen Zerstörung schon in sich und wird schließlich zum Kollaps des Kartenhauses führen, das wir als das Europa von Brüssel kennen.“6

Das sich bereits 1998 abzeichnende Scheitern des Euro sah ich keinesfalls als Scheitern der Europäischen Idee an, sondern als Chance Europas, sich demokratisch zu legitimieren.7

Warum war die Einführung des Euro im Jahr 1999 eine schlechte Wirtschafts- und Währungspolitik? Die Argumentation folgt der „Krönungstheorie“ sowie der von Robert Mundell entwickelten Theorie der optimalen Währungsräume.8 Nach Mundell müssen in einer Währungsunion die Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital und Waren) innerhalb des Währungsraumes mobil sein, um eventuelle Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung auszugleichen. Dies ist notwendig, da keine flexiblen Wechselkurse existieren, um eventuelle Ungleichheiten in der Entwicklung abzufedern. Entsteht zum Beispiel ein Boom in Spanien, der dort die Preise und die Löhne aufgrund der höheren Nachfrage in die Höhe treiben und den außenwirtschaftlichen Saldo der Region aufgrund der höheren Nachfrage nach Importen sinken lassen würde, würden in einer mobilen Welt eben auch Arbeitskräfte und Unternehmen und nicht nur Waren in diese Region strömen. Dieses höhere Angebot würde sich dämpfend auf die Nachfrage auswirken.

Es kam, was kommen musste. Angesichts der fehlenden wirtschaftspolitischen Koordination zwischen den Mitgliedstaaten entwickelten sich seit Beginn der Europäischen Währungsunion im Jahr 1999 bis 2006 die Volkswirtschaften sehr unterschiedlich. Die Solidität der Bundesrepublik Deutschland und einiger anderer Staaten garantierte einheitlich niedrige Zinsen innerhalb der Währungsunion. Das wirkte insbesondere für die traditionell eher unsolide wirtschaftenden südeuropäischen Länder und Irland wie ein Stimulant, das einen massiven, wenn auch zum großen Teil künstlichen Boom vor allem in der Baubranche förderte. Die Preise zogen in diesem Zeitraum gegenüber dem Durchschnitt des Euroraums in Griechenland um 10% an, in Spanien um 9 und in Irland gar um 14%, während sie in Deutschland und Finnland um 4, in Österreich um 3% fielen. Parallel dazu verlief die Entwicklung der Lohnstückkosten und der Wettbewerbsfähigkeit in den einzelnen Ländern.

Die künstlich durch den einheitlichen Währungsraum aufgeheizte Binnenkonjunktur führte auch dazu, dass die kumulierten Leistungsbilanzdefizite in Portugal zwischen 1999 und 2006 fast 60% des Bruttoinlandsproduktes, in Griechenland 50 und in Spanien 30% betrugen, dass diese Länder also außenwirtschaftlich jahrelang über ihre Verhältnisse lebten. Die EU-Kommission blieb allerdings untätig, da die Konvergenzkriterien aufgrund des weltweiten Niedrigzinsumfeldes im Großen und Ganzen eingehalten wurden. (Ausgerechnet Deutschland und Frankreich hatten zudem aufgrund der Rezession im Jahr 2002 gegen die Verschuldungskriterien verstoßen). Für die Leistungsbilanzsalden (die ja statistisch in einer Währungsunion gar nicht existieren) gibt es kein Konvergenzkriterium.

Die Krise in Griechenland (und in den PIIGS)

Mit mehr als 120% Schulden des Bruttoinlandsproduktes ist Griechenland Spitzenreiter der Europäischen Union. Dies alleine muss noch nicht in die Insolvenz führen: in den letzten zehn Jahren schwankte der Schuldenstand Japans um die 150% des Bruttoinlandsproduktes, bevor er auf aktuell nahezu 200% kletterte. Es kommt auf die Leistungsfähigkeit der entsprechenden Volkswirtschaft an. Mittlerweile steht aber auch Japan vor der Krise.9

Im Falle Griechenlands steht außer Frage, dass das Land über seine Verhältnisse gewirtschaftet hat – eine Tatsache, die erst durch die Finanzkrise offen zutage trat, die aber eine wachsame EU-Kommission auch früher hätte bemerken können. Das laufende Budgetdefizit beträgt nahezu 13% des BIP (auch Spanien, Irland und das EU-Land Großbritannien mit eigener Währung sowie das Nicht-EU-Land USA liegen über 10%). Der öffentliche Sektor in Griechenland ist aufgebläht – von 11 Mio. Griechen sind eine Million vom Staat abhängig. Die Pensions- und Rentenregelungen sind extrem generös. Die Arbeitslosenquote beträgt 10,6%. Zwischen 2004 und 2008 betrugen die Transferleistungen aus Brüssel rund 5% der griechischen Wirtschaftsleistung. Korruption und Bestechung sind allgegenwärtig, pro Jahr muss eine Familie durchschnittlich ca. 1600 Euro an „Fakelaki“, Schmiergeldern, ausgeben.10

Nachdem die Bankenkrise 2008 durch Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen der Staaten in Höhe von über 5 Billionen Dollar abgewendet wurde – das weltweite Bankensystem weist immer noch ein negatives Eigenkapital auf, ist also faktisch insolvent – ist nun die nächste Schwachstelle der übermäßig kreditfinanzierten Weltwirtschaft das Ziel spekulativer „Angriffe“.11 So wird bereits mit Hilfe von Credit Default Swaps, Derivaten bei denen mit geringen Einsätzen bereits große Summen bewegt werden können, auf eine Pleite Griechenlands spekuliert. Credit Default Swaps spielten auch bei der Subprime-Krise eine unheilvolle Rolle.12

Dabei darf nicht übersehen werden, dass derartige „Angriffe“ zumeist einen realen Hintergrund haben, wie auch bei der Bankenkrise 2008 und dem von George Soros erzwungenen Ausscheiden des britischen Pfundes aus dem Europäischen Währungssystem im Jahr 1992. Griechenland hat unsolide, korrupt und über die eigenen Verhältnisse gewirtschaftet. Selbst bei einem radikalen Sparkurs werden die laufenden Defizite zunächst weiter sehr hoch sein – vielleicht 7 bis 9% des BIP und die Schuldenlast wird dementsprechend weiter ansteigen. Die Tatsache, dass der griechische Staat mit mittlerweile 6,5% mehr als doppelt so hohe Zinsen wie die Bundesrepublik Deutschland für Anleihen zahlen muss, gibt durchaus die realen Unterschiede in der Solidität beider Länder wieder.

Zwar macht die griechische Wirtschaft nur 2,7% der EU-Wirtschaftsleistung aus (zusammen mit Portugal, Spanien und Irland 17,9%), aber wie bei der Bankenkrise geht es auch um Dominoeffekte: nach Griechenland könnten andere Problemländer zahlungsunfähig werden. Die deutschen Banken sind mit 522 Mrd. Euro in den PIIGS-Staaten engagiert (davon mit 31,8 Mrd. in Griechenland), das sind Forderungen in Höhe von 20% des deutschen Bruttoinlandsproduktes. Sollte ein Teil dieser Forderungen ausfallen, stehen auch etliche deutsche Banken wieder vor der Insolvenz und müssten erneut gerettet werden. Die Weltwirtschaft stünde dann wahrscheinlich – ähnlich wie schon im Herbst 2008 – vor dem Kollaps. Nach Subprime ist also „Sovereign Debt“ der nächste Brandherd, der die Schwäche der übermäßig kreditfinanzierten Weltwirtschaft schonungslos offen legt. Griechenland wird daher aus der selbst verschuldeten Misere gerettet werden und wird nicht – was richtig wäre – den Staatsbankrott erklären müssen.

Wege aus der Krise

Prinzipiell kann ein souveräner Staat sich auf viererlei Weise seiner Schulden entledigen:

  1. durch Inflation (aber nur, wenn die Schulden in der eigenen Währung aufgenommen wurden),
  2. durch Insolvenz und/oder Umschuldung (Vergleich),
  3. durch Innovation und Wachstum und
  4. durch Wirtschaftsreformen und einen Sparkurs (weniger Staatsausgaben und mehr Einnahmen).


Keine dieser Optionen ist ohne Risiken und Nebenwirkungen.

Möglichkeiten der Reduzierung von Staatsschulden
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Quelle: Frei nach: Worst-case debt scenario – protecting yourself against economic collapse, Société Générale, Special Report, 4. Quartal 2009.

  • Inflation: Die Schuldnerländer der EU sowie andere Länder mit niedriger Sparquote wie die USA würden sich ihrer Verpflichtungen am liebsten durch Inflation entledigen. Sogar der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds denkt mittlerweile offen über die Option nach, die Inflation z.B. auf 4% steigen zu lassen.13 Gerade dieser Weg ist Griechenland allerdings durch die Währungsunion verwehrt – es sei denn es gelänge, die Währungsunion von einer geldpolitischen Stabilitätsgemeinschaft zu einer Inflationsgemeinschaft umzudefinieren.
  • Innovation und Wachstum kann theoretisch aus der Krise führen: Sinkende Arbeitslosigkeit entlastet das Staatsbudget, Wirtschaftswachstum erhöht die Steuerbasis. Oftmals verstecken sich dahinter aber Scheininnovationen auf Kosten der zukünftigen Entwicklung oder eine Erhöhung des Risikos wie bei der US-Immobilienblase und wohl auch dem Aufschwung der PIIGS-Staaten seit dem Beginn der Europäischen Währungsunion.
  • Insolvenz oder Umschuldung: Eine kompletter Staatsbankrott ist selten. Meistens wird ein Land die Zahlung auf die Schuldtitel einstellen und dann mit den Gläubigern verhandeln. Im Jahr 1998 stellte Russland zum Beispiel den inländischen Schuldendienst auf seine Staatsanleihen ein, bediente aber die externen Schulden weiter.
  • Wirtschaftsreformen können helfen, indem die Staatsausgaben gesenkt und die Steuerbasis erhöht wird, gegebenenfalls mit Hilfe von Privatisierungen. Aber auch hier können Scheinblasen entstehen, wie zum Beispiel in der maroden englischen Wirtschaft nach den Thatcher- und Blair-Reformen.

Wahrscheinlich wird sich die Staatengemeinschaft zu einer Mischung aus Finanzhilfen für Griechenland und Forderung nach Wirtschaftsreformen in Griechenland durchringen. Reformen sind relativ gut kontrollierbar: Staatsausgaben und die Steuerpolitik müssen überwacht werden. Die jetzt bekannt gewordenen Forderungen der EU sind hart: die Neuverschuldung soll von derzeit 13% des BIP bis Ende 2012 auf 3% gedrückt werden.14 Erfahrungen mit ähnlichen Programmen gibt es – wenn auch außerhalb der EU – schon seit etlichen Jahrzehnten beim Internationalen Währungsfonds, der im Fall externer Schuldenkrisen im Gegenzug für Finanzhilfe Reformen einfordert und überwacht. Dieser Vorgang ist als „IMF Conditionality“ bekannt.15

Institutionen und Akteure

Prinzipiell kommen im Falle Griechenlands drei Gruppen von Akteuren in Frage, ein solches Hilfsprogramm anzubieten: der Internationale Währungsfonds, die Europäische Union oder einzelne Länder bzw. Gruppen einzelner Länder. Vieles spräche für den Internationalen Währungsfonds. Dann müssten sich die europäischen Regierungschefs weder für die Europäische Union noch für eigene Länder exponieren und der berühmte Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der verbietet, dass die Union oder einzelne Mitgliedstaaten der EU gegenseitig für ihre Schulden einstehen, würde eingehalten.16

Leider haben sich insbesondere deutsche Politiker, allen voran Finanzminister Wolfgang Schäuble, frühzeitig damit exponiert, dass Griechenland eine Aufgabe für die EU sei. Hier besteht die Gefahr, dass politisches Prestigedenken zu Nachteilen für Deutschland führt, das die Hauptlasten zu tragen hätte.17 Zudem müsste definitiv der AEU-Vertrag gebrochen werden, wenn auch sicher eine Begründung gefunden wird, warum dies nicht der Fall ist oder eben notwendig sei. Aktuell scheint aber ein Umdenken stattzufinden. So stellte Angela Merkel angesichts des Treffens mit dem griechischen Ministerpräsidenten Papandreou fest, dass es nicht um Hilfen für Griechenland gehe.18

Instrumente

Neben direkten Krediten der Geberländer oder -institutionen wäre auch eine griechische Anleihe denkbar, die von einzelnen Institutionen garantiert würde. Zudem könnte Griechenland theoretisch noch erhebliche Mittel des europäischen Strukturfonds für einzelne Infrastrukturprojekte abrufen, die dem Land noch zustehen. Hierzu wären aber förderungswürdige Projekte in Griechenland und eine weitgehend funktionierende und korruptionsfreie Wirtschaft notwendig. Dies ist nicht gegeben, was ja gerade der Grund dafür ist, dass die Mittel nicht abgerufen werden können.

Letztlich wird eine Lösung gefunden werden, die Griechenland erhebliche Sparanstrengungen auferlegen wird, gleichzeitig aber neue Kredite für das Land beinhaltet. Damit wird neue Liquidität geschaffen. Es wird also „ein bisschen Inflation“ und ein „bisschen Sparen“ geben. Geschähe das im Rahmen der EU oder ihrer Mitgliedstaaten, wäre die alte Wirtschafts- und Währungsunion klinisch tot. Schon jetzt wird von einer „Wirtschafts- und Währungsunion 2.0“ gesprochen.

Außenpolitische Ungleichgewichte

Außenpolitische Ungleichgewichte haben immer zwei Seiten: während in den Südländern nach Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion Preis und Löhne kräftig stiegen, war in der Bundesrepublik Deutschland, deren Wirtschaftsleistung 27% des BIP der Euro-Länder ausmacht, eine so starke Lohnzurückhaltung festzustellen, dass Heiner Flassbeck von „deutschem Lohndumping“ spricht.19 Nun kann eine deutsche Sparquote von gut 10% nicht wirklich als hoch bezeichnet werden – in China beträgt sie über 30% und auch in Deutschland erreichte sie in den 60er Jahren 30% – aber angesichts der extrem niedrigen Sparquoten in vielen anderen Ländern führt sie zu Ungleichgewichten. Die deutschen Exportüberschüsse in den Euroraum steigen beständig und machen im Handel mit Griechenland zum Beispiel 55% des Ausfuhrvolumens aus. Da kann es nicht verwundern, dass aus den Südländern massive Vorwürfe und Forderungen gegenüber Deutschland laut werden, die Binnennachfrage zu stärken.20

Gleichzeitig gibt es in Griechenland Proteste gegen den drastischen Sparkurs, den Ministerpräsident Papandreou einschlagen muss. Gewerkschaften und andere politische Gruppierungen formieren sich zum Widerstand – und man kann es ihnen nicht verdenken, dass sie Sparmaßnahmen, die ihnen durch eine demokratisch nur unzureichend legitimierte EU-Kommission auferlegt werden, zum Teil auch mit drastischen Argumenten bekämpfen.21 So ist dies nicht nur eine Wirtschaftskrise sondern auch eine größere politische Krise, wie ich bereits 1998 prognostiziert hatte.22

Weitergehende Lösungen

Die Wirtschafts- und Währungsunion stellt sich als kolossaler ökonomischer und politischer Fehler, im Zug der deutschen Wiedervereinigung wohl aber als notwendiger außenpolitischer Kompromiss, heraus. Die mantrahaft wiederholte Behauptung, die Währungsunion befördere die wirtschaftliche Integration, ist endgültig diskreditiert. Vielleicht sind in Teilbereichen der Wirtschaft durch die Umstellung auf eine einheitliche Währung Kostenvorteile entstanden. Nicht aber berücksichtigt haben die Befürworter der Wirtschaftsunion die ökonomischen Kosten des Wegfalls der Wechselkurse: angesichts sehr unterschiedlicher Volkswirtschaften hätten feste, aber anpassungsfähige Wechselkurse wie im Europäischen Währungssystem oder dem System von Bretton Woods bis 1971 eine wichtige Informationsfunktion über den Zustand einzelner Volkswirtschaften geben können.

Es wäre wünschenswert, wenn als Folge dieser ernsten Krise der Status quo ante des Europäischen Währungssystems mit nationalen Währungen und festen, aber anpassungsfähigen Wechselkursen wiederhergestellt würde. Wolfgang Gerke zum Beispiel fordert einen Ausschluss Griechenlands aus der Wirtschafts- und Währungsunion.23 Dies wäre keinesfalls die Katastrophe, als die es gerne dargestellt wird: die EU-Staatengemeinschaft könnte im Gegenteil einem Staat Griechenland mit anpassungsfähigen oder floatenden Wechselkursen besser und flexibler helfen, da damit ein weiteres wirtschaftspolitisches Instrument oder Ventil zur Verfügung steht. Griechenland muss seinen ökonomischen Kurs selber bestimmen dürfen. Ebenso wäre theoretisch die Aufspaltung Europas in zwei Währungsblöcke möglich.

Parallel dazu müsste eine von Frankreich und Deutschland geführte „Koalition der Willigen“ die Re-Regulierung der Finanzmärkte vorantreiben, die bislang nur sehr zögerlich erfolgt. Der Einsatz von Finanzderivaten, die US-Superinvestor Warren Buffett bereits 2003 als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet hat, geht nahezu uneingeschränkt weiter. Credit Default Swaps wurden im großen Umfang eingesetzt, um gegen den griechischen Staat zu spekulieren. Mit Hilfe derartiger Finanzderivate konnte Griechenland seinen Schuldenstand in den letzten Jahren sogar verschleiern. Wohlgemerkt, Finanzderivate sind nicht die Ursache der Probleme, aber sie tragen zu einer unnötigen Verschärfung bei. Besonders wichtig wäre es auch, dass sich einige europäische Kernländer über die Erhöhung der Eigenkapitalquoten für große Banken einig werden. Im globalen Rahmen wird dies kaum möglich sein, aber Deutschland, Frankreich, Österreich, einige nordische Länder und vielleicht auch die Schweiz könnten hier gegen den als sicher zu erwartenden Widerstand Großbritanniens Vorreiter sein. Eigenkapital ist der Sicherheitspuffer der Marktwirtschaft, ausreichende Eigenkapitalquoten erhöhen das Risiko der Spekulation für die Akteure an den Kapitalmärkten und schaffen Risikopolster, wenn einzelne Akteure in Schieflagen geraten.24

All dies würde die Optionen der europäischen Staaten erhöhen und keinesfalls ein Ende der europäischen Integration bedeuten. Es würde im Gegenteil das Augenmerk der Politik von technischen und wirtschaftspolitischen auf die eigentlich wichtige Frage lenken: den Entwurf einer europäischen Verfassung, die diesen Namen verdient.

  • 1 Werner Mussler: Schwere Fehler in der griechischen Statistik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Januar 2010, online unter: http://www.faz.net/s/Rub3ADB8A210E754E748F42960CC7349BDF/Doc~E36DFBBC8713A40279EDB3730376BE962~ATpl~Ecommon~Scontent.html
  • 2 Europäische Zentralbank: Monatsbericht Februar 2007, Frankfurt am Main 2007.
  • 3 Max Otte: A Rising Middle Power? German Foreign Policy in Transformation, New York 2000, S. 126 ff.
  • 4 http://dejure.org/gesetze/AEU/125.html.
  • 5 Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl A. Schachtschneider: Die Euro- Klage. Warum die Währungsunion scheitern muß, Frankfurt 1998.
  • 6 Max Otte: The Euro and the Future of the European Union – A lecture prepared for the Department of International Relations, Boston University and the Dynamics of Organisation Programme, University of Pennsylvania, New York, American Council on Germany Occassional Paper 1998/ #5, S. 3.
  • 7 Ebenda, S. 3, 21-23.
  • 8 R. A. Mundell: A Theory of Optimum Currency Areas, in: American Economic Review, 51, 1961, S. 657-665.
  • 9 Vitaliy N. Katsenelson: Japan – Past the Point of No Return? Investment Management Associates, Denver 2010.
  • 10 „Die Griechenland-Pleite“, in: Focus 8/2001, S. 120-136.
  • 11 „Hedgefonds formieren sich gegen Europa“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.2.2010.
  • 12 „Spiel mit höchstem Risiko“, in: Der Spiegel 8/2010, S. 64-68.
  • 13 „Folgenreicher Flirt“, in: Der Spiegel 8/2010, S. 76. „IWF-Chefökonom denkt über höhere Inflation nach“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 17.2.2010.
  • 14 „Papandreou zwingt Griechen drastische Einschnitte auf“, in: Handelsblatt, 3.3.2010, online unter http://www.handelsblatt.com/politik/international/weiteres-milliarden-sparprogramm-papandreou-zwingt-griechen-drastische-einschnitte-auf;2539703.
  • 15 http://www.imf.org/external/np/exr/facts/conditio.htm.
  • 16 http://dejure.org/gesetze/AEU/125.html.
  • 17 „EU verspricht Lösung in der Schuldenkrise“, in: Handelsblatt, 8.2.2010, insbesondere S.1, 8-10, 16, 36, 42.
  • 18 „Merkel will den Griechen keine Hilfe anbieten“, in: Die Welt, 3.3.2010, http://www.welt.de/politik/deutschland/article6635478/Merkel-will-den-Griechen-keine-Hilfe-anbieten.html.
  • 19 Arvid Kaiser, Kai Lange: Deutsches Lohndumping sprengt die Währungsunion, in: manager magazin, 19.2.2010, online unter: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,678880,00.html.
  • 20 Rainer Hank, Winand von Petersdorff: Die Deutschen werden gepiesackt, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 28. Februar 2010, S. 35.
  • 21 Michael Martens: Griechenland schwarz in schwarz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. Februar 2010, S. 6.
  • 22 „The Euro an the Future of the European Union“, a.a.O. S. 3, 21-23.
  • 23 „Rauswerfen – oder Retten?“, in: Die Zeit vom 18. Februar 2010, S. 24.
  • 24 Max Otte: Finanzplatz Deutschland versus deutsches Bankensystem – zwei politökonomische Perspektiven für die Zukunft, in: Frank Keuper, Dieter Puchta (Hrsg.): Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall – Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2010, S. 179-205, hier S. 196 ff.

Lernen aus der Griechenland-Krise – Europa braucht mehr Governance

Im dritten Krisenjahr wird immer deutlicher, dass eine ganze Reihe von Ländern in der Eurozone finanziell am Abgrund steht. Die Finanzmärkte haben dafür eine neue Bezeichnung entwickelt: die „PIGS“. Dazu gehören nach den Anfangsbuchstaben Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien. Damit sind auch die vermeintlichen europäischen Härtefälle erfasst. Der Begriff „PIGS“ führt jedoch teilweise in die Irre, da er nur auf die Fiskalpolitik abstellt. Bei der Bestimmung der Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung sollte man nicht nur und vielleicht noch nicht einmal hauptsächlich auf die laufenden Haushaltsdaten schauen, sondern auf das Ressourcengleichgewicht für die gesamte Volkswirtschaft.

Es ist eine Sache, Länder wie Irland und Spanien mit Finanzmitteln auszustatten, die robuste interne Cash Flows generieren und nur wegen exzessiver Investitionen in Schwierigkeiten geraten sind. Aber es ist von einer ganz anderen Dimension, ein Land finanziell zu stützen, dessen Vermögen erodiert ist, da der interne Cash Flow nicht einmal dafür ausreicht, den Kapitalstock aufrechtzuerhalten. Dies betrifft die Fälle Griechenlands und Portugals.1

Wird es ein verdecktes oder offenes Bailout durch die Mitgliedstaaten der EU geben?

Nach den europäischen Verträgen sind Regierungen allein für ihre Haushaltspolitik verantwortlich. Die Griechen müssen also nach geltendem Recht selbst mit ihrem Problem fertig werden. Gelingt ihnen das nicht, wächst das Risiko einer systemischen Krise, die in Jahresfrist auch auf Portugal oder Spanien übergreifen könnte.

Innerhalb der EU ist (bisher) kein Verfahren der Hilfeleistung etabliert oder akzeptiert. Denn wenn Regierungen sich darauf verlassen könnten, dass ihnen andere Länder bei unsolidem fiskalpolitischem Verhalten zur Hilfe eilen, würde der Druck zu finanzpolitischer Disziplin nachlassen. Deshalb wurde auch zum Start der EWU der Stabilitäts- und Wachstumspakt mit der „No Bailout“-Klausel eingeführt. Wenn sich die EU bei Griechenland großzügig zeigt, würden zudem die Sparanstrengungen anderer Länder konterkariert. Schließlich wird die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion entscheidend dadurch beeinflusst, wie mit dem Präzedenzfall Griechenland umgegangen wird. Jeder Staat mit Schuldenproblemen wird künftig die gleichen Hilfen einfordern, die Griechenland gewährt wurden.

Finanzielle Hilfen für Griechenland verstoßen gegen den EG-Vertrag (jetzt Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV), der eine solide Haushaltspolitik in den Mitgliedstaaten sicherstellen soll. Nach Ansicht deutscher Rechtsexperten ist nicht nur jede Form der Finanzierung des griechischen Haushalts durch die EZB und die nationalen Zentralbanken ausgeschlossen. Auch darf ein Mitgliedstaat nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierung eines anderen Mitgliedstaates haften oder dafür eintreten. Eine Rechtsgrundlage für eine Beihilfe anderer EU-Staaten gibt es folglich nicht. Daran ist auch Deutschland gebunden. Damit sind Überlegungen, einzelne Länder wie Deutschland oder Frankreich könnten bilaterale Kredite zur Verfügung stellen, eigentlich hinfällig – genauso wie der häufiger geäußerte Vorschlag, öffentliche Banken wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) könnten griechische Staatsanleihen kaufen.

Was passiert im schlimmsten Fall? An dem Punkt einer Pleite sind wir noch gar nicht, denn Griechenland hat weiter Zugang zu den Kapitalmärkten. Griechenland ist gegenwärtig auch noch kein Fall für den Internationalen Währungsfonds (IWF), da das Land seine Staatsanleihen noch platzieren kann. Dieser Zugang bleibt offen, wenn die Griechen endlich eine solide Haushaltspolitik nach dem Muster des Anfang März vorgelegten drastischen Sparprogramms betreiben. Die jüngst ergriffenen Maßnahmen haben Griechenlands Glaubwürdigkeit deutlich erhöht. Die Märkte beginnen nun wieder zu glauben, dass die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands weniger wahrscheinlich ist und ein Bailout wegen nachhaltigerer Staatsfinanzen hinfällig werden könnte. Das kurzfristige Liquiditätsproblem Griechenlands wird indes in den nächsten Monaten virulent und kritisch bleiben.

Deshalb sollte auch nicht die europäische Geldpolitik aufgerufen werden, die Bonds finanzpolitisch unsolider EWU-Mitgliedsländer zu kaufen. Dies wäre absolut kontraproduktiv – ähnlich wie die Auflage gemeinsamer Euro-Anleihen in der Eurozone, über die sich Griechenland zu niedrigeren Zinsen verschulden könnte. Denn hierdurch wird die Disziplinierungsfunktion des Kapitalmarkts ausgehebelt, der derzeit hohe Risikoaufschläge auf neue griechische Staatsschuld verlangt und für den notwendigen Reformdruck sorgt.

Griechenland kann natürlich aus der EWU austreten. Dies ist aber unter anderem deshalb wenig wahrscheinlich, da viele seiner Verbindlichkeiten in Euro denominiert sind und im Falle des Austritts mit einer massiven Abwertung der griechischen Währung zu rechnen sein dürfte. Dies würde die Schuldenlast der Griechen noch vergrößern, zumal auch die Zinsbelastung auf Staatsschulden erheblich steigen würde, da die Griechen dann auch nicht mehr vom niedrigeren Eurozinsniveau profitieren könnten. Auch ein systematisches Bailout der Problemfälle wäre keine Option, denn letztendlich würde die EWU eine derartige Richtungsänderung nicht verkraften und durch diese in ihrer Existenz gefährdet werden. Letztlich würden die Länder, die sich einer derartigen Strategie widersetzen, wahrscheinlich Deutschland, aber auch die Niederlande, Österreich, Finnland und einige andere, die EWU möglicherweise verlassen. Langfristig ist somit eine ökonomische Zweiteilung der Währungsunion in eine relativ stabile Nordzone und eine hochverschuldete, von Transfers abhängige Südzone nicht ausgeschlossen. Ob am Ende dieser Entwicklung auch zwei verschiedene Währungen stehen, ist offen.

Bei einer Zahlungsunfähigkeit ist ein Euro-Land darauf angewiesen, dass Währungspartner eine Solidaritätsaktion starten. Als Gegenleistung für eine solche Nothilfe, für die es bisher kein Beispiel gibt, müsste ein Krisenstaat strenge Sanierungsvorgaben hinnehmen. Bereits vor dem Anfang März von der griechischen Regierung vorgelegten dritten und umfangreichsten Austeritätsprogramm lag die Frage nahe: Was hindert zum Beispiel Griechenland daran, alle staatlichen Leistungen unter Finanzierungsvorbehalt zu stellen? Die Regierung könnte die Gehälter von Staatsbediensteten und die Subventionen für Unternehmen kürzen. Auch wären die Erhöhung des Renteneintrittsalters sowie der Abbau von Sozialleistungen glaubwürdige Pfänder für mögliche Kreditgeber Griechenlands. Dabei ist sicherzustellen, dass die griechische Regierung der EU nicht mehr verspricht, um sie milde zu stimmen, als sie tatsächlich gegenüber ihrer Bevölkerung durchsetzen kann. Es läuft gegenwärtig alles auf eine bilaterale Hilfe für Griechenland hinaus. Finanzstarke Länder wie etwa Deutschland könnten dem schwächelnden Partner einen Kredit einräumen – und dies im Tandem mit Frankreich. Anlass dazu hätten beide. Denn während die französischen Banken in Griechenland stärker engagiert sind, sind dies die deutschen in Spanien. Um Ansteckungseffekte auf Spanien zu vermeiden, ist Deutschland deshalb potenziell daran interessiert, sich an einer Rettung Griechenlands zu beteiligen.

Über Details einer solchen Hilfsaktion ist in Brüssel bisher nie öffentlich diskutiert worden. Dieses Verhalten entspricht dem sich verstärkenden Eindruck vieler Brüssel-Beobachter, dass sich die EU zunehmend von einer engeren föderalen Integration wegbewegt und statt dessen immer mehr einer wenig strukturierten Form des Intergovernmentalismus verfällt, in der einige wenige große Länder gemeinsam für die Union entscheiden. Auch die jüngsten Verlautbarungen zur potenziellen Rettung Griechenlands ändern daran nichts.

Verantwortliche Minister hatten mehrfach deutlich gemacht, dass ein Land der Eurozone nicht auf die Hilfe vom gegenwärtig wieder ambitionierteren IWF in Washington angewiesen sein sollte. Denn der Gang zum IWF könnte als Eingeständnis dafür angesehen werden, dass Europa zu schwach ist, sich selbst zu helfen. Zudem schwänden die Aussichten der Eurozone auf ihre stärkere Vertretung in den IWF-Gremien. Auch besitzt die EU stärkere Sanktionsmechanismen gegenüber Finanzsündern als der IWF, da sie fiskalisch undisziplinierte Länder von zukünftigen Mittelzuflüssen aus den EU-Strukturfonds und von den Offenmarktgeschäften der EZB ausschließen kann. Schließlich gibt es immer wieder die Befürchtung, dass der US-amerikanisch dominierte IWF besonders großzügig bei den Auflagen gegenüber Kreditempfängerländern wie Griechenland ist, in denen US-Militärbasen anzutreffen sind.2

Bilaterale Hilfe – Was sind die Alternativen?

Im Gespräch sind gegenwärtig neben bilateralen Krediten, deren rechtliche Zulässigkeit immer noch geprüft wird, auch Bürgschaften für griechische Schuldverschreibungen und sogar deren Kauf durch staatsnahe Banken gegen strenge Auflagen. Geht man davon aus, der Ankauf von griechischen Staatsanleihen sei dann gewissermaßen ein normales Finanzgeschäft und keine direkte Finanzhilfe eines Staates, dürften sich die solider finanzierten Euro-Staaten aber zumindest nicht vor Bürgschaften für Griechenland drücken können. Deutschland und Frankreich könnten zum Beispiel übereinkommen, dass die KfW und die französische Staatsbank Caisse des Depots griechische Anleihen kaufen oder garantieren. Auch wird gegenwärtig wohl darüber nachgedacht, ob die deutsche KfW private Finanzinstitute mit Garantien dazu bewegen könnte, griechische Staatsanleihen zu kaufen. Nachrichtenagenturen zufolge wird dies gegenwärtig in der Koalition als eine Möglichkeit erwogen.

Frau Merkel und die deutsche Regierung haben sich hierzu bis heute nicht explizit geäußert. Zur Möglichkeit eines KfW-Bondkaufs zeigte sie sich bis zum Besuch Papandreous ausweichend („konstruktive Mehrdeutigkeit“). Kein Wunder: angesichts der im Mai stattfindenden Wahlen in NRW wäre ein bereits jetzt angekündigter Finanztransfer an Griechenland politischer Selbstmord.3 Es war schon vorher klar, dass bei dem Deutschlandbesuch Papandreous die Frage einer Finanzhilfe für Griechenland wohl nicht offen diskutiert würde. Jeder Beschluss einer Finanzhilfe zum jetzigen Zeitpunkt wäre eine große Überraschung gewesen. Als letzte Option können jedoch spätere, zeitlich befristete bilaterale Hilfen für Griechenland nicht ausgeschlossen werden. Dafür ist die Gefahr zu groß, dass eine anhaltende griechische Krise auch andere Länder anstecken kann. Schließlich gibt es auch ein manifestes Eigeninteresse daran – immerhin haben auch deutsche Banken in solchen Ländern investiert.

Da es sich vor allem um ein akutes Liquiditätsproblem Griechenlands handelt, ist ein Kauf griechischer Anleihen bei der nächsten Umschuldung von mehr als 22 Mrd. Euro nicht ausgeschlossen, sollte der Markt dann nicht alle Anleihen abnehmen. Da das letzte Sparprogramm der Griechen auf breite Akzeptanz in Brüssel, bei der EZB und beim IWF gestoßen ist, sind die Spreads auf griechische Bonds bereits in den letzten Tagen zurückgegangen. Eine zwischenstaatliche Hilfe ist somit vor Ende April, Anfang Mai wohl kaum nötig.

In der Zwischenzeit wird sich zeigen, ob Griechenland sich erfolgreich langfristig am Kapitalmarkt refinanzieren kann. Sollten an den Märkten die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Konsolidierungeskurses wieder zunehmen, kann eine Wende möglicherweise nur durch eine befristete Zurverfügungstellung von Liquidität zu den geplanten Umschuldungszeitpunkten gelingen. Kombiniert werden müsse eine solche Finanzhilfe mit nachhaltigen und konsequenten Sparmaßnahmen in Griechenland. Dazu zählen auch Schritte zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Denn Griechenland bekommt seine Schulden nicht allein durch Sparen in den Griff. Zusätzlich muss die niedrige Exportquote erhöht werden.

Der extreme Sparkurs Griechenlands birgt aber für sich genommen das Risiko eines anfänglich stark kontraktiven Impulses, der wegen der aktuellen Rezession besonders schmerzhaft ist. Die Kosten der Verschuldung werden jedoch im Zuge sinkender Risikoprämien recht schnell geringer werden. Das Inaussichtstellen einer kurzfristigen Liquiditätshilfe würde dabei die griechische Bevölkerung beruhigen, die ansonsten durch Revolten gegen das Sparprogramm einen schnellen und nachhaltigen Glaubwürdigkeitsgewinn des Landes zunichte machen könnte.

Geordnete Insolvenzverfahren in der Eurozone – nicht nur für Griechenland?

Die Krisenpolitik der EU ist mit diesem Szenario überfordert, da es keine einheitliche politische Linie gibt. Niemand soll sich konkret auf Hilfe verlassen dürfen, da man sonst Problemländern den Anreiz bieten würde, auf ein Hilfspaket der EU zu spekulieren. Man fürchtet, dass diese im Falle einer transparenteren Krisenpolitik mit Erfolg auf eine Solidarhaftung und gegen ein „No Bailout“ durch die EU wetten und Hilfspakete und Transferleistungen unweigerlich in Anspruch nehmen würden. Diese Strategie ist unglaubwürdig, denn es ist nicht auszuschließen, dass Europa in die Lage gerät, Ländern wie Griechenland beistehen zu müssen – auch wenn dies unweigerlich mit einer ganzen Reihe von harten Bedingungen verknüpft wird. Auch ist das globale Finanzsystem immer noch zu fragil, als dass die Staatengemeinschaft ein größeres Land fallen lassen könnte, ohne damit einen Dominoeffekt zu riskieren.

Mit einer derartigen Bedingtheit konfrontiert, ist nicht auszuschließen, dass in einem Land eine Regierung gewählt wird, die mit dem Versprechen eines Austritts aus der Währungsunion geworben hat. Ohne ein Regelwerk für Schuldenkrisen ist die Eurozone zudem langfristig instabil. Denn der Stabilitätspakt, die „Verfassung“ der Europäischen Währungsunion, ist schon länger als ein Schönwetterkonstrukt entlarvt, das in Krisenzeiten dringend der Verstärkung bedarf. Und ewig kann man sich auch nicht auf eine gewisse Regulierung durch den Markt verlassen. Länder, die die 3%-Grenze deutlich überschreiten, werden von den Kapitalmärkten gegenwärtig noch abgestraft, sodass der Stabilitätspakt durch seine Signalfunktion ökonomisch nützlich ist. Nicht zu vergessen ist dabei als Lehre aus dem griechischen Statistikdesaster, dass innerhalb der Eurozone alle nationalen Statistikämter regierungsunabhängig zu machen und vor allem mit einem hinreichenden Budget zu versehen sind.

Die Eurozone benötigt einen politischen Mechanismus, der in Situationen des drohenden Staatsbankrotts greift und auch den Moral Hazard beseitigt, der durch Rettungsaktionen forciert wird. Entscheidend ist, dass solche Regeln transparent sind und von allen Mitgliedsländern ratifiziert und damit demokratisch legitimiert werden. Die Einführung eines geordneten Insolvenzverfahrens wäre vorteilhaft, da sie die Reaktion der EU auf mögliche Staatspleiten innerhalb der Gemeinschaft transparent und kalkulierbar machen würde. Hierbei muss man sich bewusst machen, dass der Ablauf eines Insolvenzverfahrens mit der Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses beginnt, im Zuge dessen der Schuldner das Recht verliert, über sein Vermögen zu verfügen. Die Staaten würden zukünftig angehalten, keine exorbitanten Schulden mehr anzuhäufen, da sie in diesem Fall rechtzeitig von den Märkten über Risikozuschläge auf ihre Staatanleihen abgestraft werden. Denn die Anleger müssen fürchten, Teile ihrer Investitionen in Staatspapiere dieser Länder bei Eröffnung des Verfahrens nachträglich abschreiben zu müssen.

Hoch verschuldete Wachstumsschlusslichter der EWU hätten demnach genügend Anreiz, auf angebotsseitige Reformen sowie eine Konsolidierung auf der Ausgabenseite zu setzen. Zudem könnte die Laufzeit der Staatsanleihen verlängert werden. In diesem Fall müssten die Regierungen der Krisenländer in vertrauensbildende Maßnahmen investieren, um ihre Gläubiger zu überzeugen, ihnen längerfristig Kredit zu geben. Dies alles tun sie offensichtlich nicht freiwillig. Der durch immer schlechtere Ratings erzeugte Druck an den Finanzmärkten muss durch das Inaussichtstellen eines Insolvenzverfahrens noch größer werden, damit das finanzpolitische Gebaren dieser Länder endlich solide und seriös wird.

Ein Insolvenzverfahren hätte zudem den Vorteil, dass auch Abschreibungen von den Investoren eingefordert werden. Denn es wäre nicht sinnvoll und anreizkompatibel, ein Land wie Griechenland, das durch statistische Manipulationen in die Eurozone gerutscht ist und sich im Hinblick auf seinen Staatshaushalt als nicht zukunftsfähig erwiesen hat, ohne eine gravierende Eigenbeteiligung der Investoren und der Investmentbanken, die an der Bondausgabe und der Streckung der Staatsschulden verdient haben, zu entlassen.

Langfristig ergeben sich Vorteile aber nur dann, wenn ein solches Verfahren juristisch fest verankert und glaubwürdig ist. Die anhaltende Diskussion um den Stabilitäts- und Wachstumspakt und dessen Verwässerung hat gezeigt, dass dem Glaubwürdigkeitsaspekt eine wichtige Bedeutung zukommt – vor allem in Zeiten, in denen es um eine glaubwürdige Koordinierung des Ausstiegs aus der ultraleichten Geld- und Fiskalpolitik geht. Vor allem aber ist ein Insolvenzverfahren ein rechtzeitiges und überzeugendes Mittel zur finanzpolitischen Selbstbindung der betroffenen Euroländer. Dieses fehlt bisher, da diese Länder und im Gefolge auch die Spekulanten wohl mit Erfolg auf eine Solidarhaftung und gegen ein „No Bailout“ durch die EU wetten.

Wenn man den Zusammenhalt der EWU weiter gewährleisten möchte, ist entscheidend, dass solche Regeln von allen Mitgliedsländern ratifiziert und damit demokratisch legitimiert werden. Bei Ad-hoc-Regeln ist die Gefahr einer politischen Konfrontation groß – vor allem, dass die jeweilige Bevölkerung die EU als ökonomischen „Besatzer statt als Helfer“ wahrnimmt.4

Europäische Wirtschaftsregierung ist kein Ausweg

Um nicht ins Surreale abzudriften, sollte jedwede Diskussion um eine Europäische Wirtschaftsregierung die bestehenden politischen und gesetzlichen Beschränkungen anerkennen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise im letzten Jahr unmissverständlich klar gemacht, dass die makroökonomische Politik trotz Lissabon-Vertrag in der Kompetenz der Mitgliedsländer verbleiben muss. Folglich sind die Rettung Griechenlands durch Deutschland im Rahmen bilateraler Hilfe und eine „European Economic Union“ zwei vollständig verschiedene Themenbereiche. Griechenland ist nicht groß genug, um die politische Großwetterlage in der Union in dieser Hinsicht signifikant zu ändern. Eine Fiskalunion wird nicht stattfinden, und die EU als Ganzes wird sich auch bis auf weiteres auf keine Vertragsänderung mehr einlassen. Also beschränken sich die Optionen für eine umfangreichere europäische Koordinierung auf Absprachen in „nicht normalen“ Krisenzeiten, die keine Modifikation des Vertrages notwendig machen.

Die politische Lektion eines Bailouts Griechenlands lautet unmissverständlich: es handelt sich um „toxische“ Politik. Darüber hinaus ist klar, dass jeder Versuch, einen Mechanismus zur systematischen Rettung eines unter der Attacke der Finanzmärkte stehenden Landes zu installieren, eine „noch toxischere“ Politik darstellen würde. Genau dies aber verstehen Ökonomen wie Paul Krugman unter „fiscal integration“.5 Polit-ökonomische Überlegungen werden gerade von US-Ökonomen mit Blick auf das aus ihrer Sicht stark fragmentierte und „kleine“ Europa zu wenig angestellt, und über das Recht auf Souveränität einzelner Mitgliedsländer der Eurozone gehen sie zu häufig einfach oberflächlich hinweg.

Auf die Eurozone ist dieses Konzept der fiskalischen Integration aber einfach nicht übertragbar, da es sich bei der EU nicht um eine politische Union handelt. In den USA hingegen ist die Zentralregierung zu einem Vermögenstransfer von einer Region in die andere in der Lage, da sie gegenüber Wählern in reichen und armen Regionen eine demokratische Rechenschaftspflicht hat. Sie benötigt Stimmen in beiden Regionen, um wiedergewählt zu werden. Dies stellt einen starken Anreiz dafür dar, einen Transfermechanismus zu installieren. Aber die deutsche Regierung kann keine Stimmen hinzu gewinnen, wenn sie Transfers an Griechenland durchführt. Alles dies deutet darauf hin, dass wir allenfalls ein wenig systematisches Ad-hoc-Bailout Griechenlands erleben werden.6

Was kann man dann innerhalb des bestehenden Rahmens tun? Mit Priorität sollten die bestehenden internen Ungleichgewichte in der Eurozone beseitigt werden. Deutschland sollte seine Binnennachfrage durch Steuerreformen und nicht durch eine relative Erhöhung seiner Lohnkosten ankurbeln. Essenziell für die Peripheriestaaten mit Leistungsbilanzdefiziten sind radikale Ausgabenkürzungen im Verbund mit Lohnzurückhaltung und Maßnahmen zur Steigerung des Potenzialwachstums, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und die Zwillingsdefizite in den Griff zu bekommen.7

Ein zweiter Schwerpunkt sollte auf die fiskalpolitische Konsolidierung gesetzt werden. Da die Wachstumsraten des BIP im laufenden Jahrzehnt deutlich niedriger als im vorherigen ausfallen dürften, ist auszuschließen, dass die Länder der Eurozone durch ein rascheres BIP-Wachstum allein aus den Schulden herauswachsen. Deshalb lautet die beste Therapie: Ausgabenkürzungen statt Steuererhöhungen!

Die Durchsetzung dieser Prioritäten verlangt viel Durchsetzungskraft von Politikern, die im letzten Jahrzehnt eine derartige Krisenvorsorge gescheut haben. Sie sollten nicht weglaufen vor einer öffentlichen Interpretation der ökonomischen Koordinierung, die sich auf die strikte Verpflichtung der Länder bezieht, sich an die Spielregeln zu halten und ihre Defizite abzubauen. Das Schlechteste, was passieren könnte, wäre ein Rückgriff auf die imaginäre Welt der „Soft Options“ im Rahmen einer etwaigen Europäischen Wirtschaftsregierung, die eine Zentralisierung der Fiskalpolitik anstrebt und es Politikern erlaubt, die EZB unter Druck zu setzen, um den Euro abzuwerten. Das wäre gleichbedeutend mit dem Ende der Eurozone.

Nicht nötig ist vor allem in normalen Zeiten eine gemeinsame Wirtschaftsregierung, die in der Eurozone die Wirtschaftspolitik verstärkt koordiniert. Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Fiskalpolitik destabilisierend wirken kann: Politiker haben keine vollständige Kontrolle über das Ergebnis, manchmal stellt sich der Effekt einer Maßnahme anders ein als antizipiert oder die zugrunde gelegten Prognosen stellen sich ex post als unzutreffend heraus. Deshalb ist es nicht abwegig, in Betracht zu ziehen, dass die Fiskalpolitik selber eine Quelle von Schocks darstellen kann. Die Schlüsselfrage ist dann, ob eine höhere Korrelation dieser Schocks zum Beispiel durch eine engere Koordinierung wirklich wünschenswert ist. Die einfache Antwort lautet dann: es ist vorzuziehen, über unabhängige, nationale nicht koordinierte Fiskalpolitiken zu verfügen. Denn dies führt zu der notwendigen Diversifikation von Risiken in einer heterogenen Währungsunion: “the variance of a sum of shocks is the lower the lower the covariance among the individual components”8.

Die Zeit sollte lieber für die Schaffung eines mit Sanktionen bewehrten Europäischen Währungsfonds an Stelle des zugrunde gerichteten Stabilitäts- und Wachstumspaktes genutzt werden.9 Denn es gilt, jetzt rechtzeitig ein Sicherheitsnetz aufzuspannen, um für den Fall gerüstet zu sein, dass das Anpassungsprogramm im Falle Griechenlands scheitert, und vor allem, um Beitrittskandidaten zu verdeutlichen, dass Solidarität in einer Währungsunion immer beidseitig zu verstehen ist. Marktdisziplin kann nur dann hergestellt werden, wenn ein Staatenkonkurs möglich wird, da sich seine Kosten für Dritte durch finanzielle Belastungen und Ansteckungseffekte im Rahmen halten.

Auch wenn die EU Griechenland für den Fall der Fälle Hilfen in Aussicht gestellt hat und die Risikoaufschläge im Vorfeld zurückgegangen waren: Die Schuldenprobleme am Rand des Euroraums bleiben akut und werden die Märkte wohl noch lange begleiten. Die Gefahr einer Schuldenkrise mag abgenommen haben, gebannt ist sie noch lange nicht. Und das Ansteckungsrisiko bleibt virulent. Betroffen sind Portugal, Spanien und Irland. Italien hat mit anderen Problemen zu kämpfen.

  • 1 Vgl. Daniel Gros: Greek burdens ensure some Pigs won‘t fly, CEPS Commentaries, Centre for European Policy Studies, Brüssel, 1. Februar 2010.
  • 2 Vgl. Daniel Gros, Thomas Mayer: How to deal with sovereign default in Europe: Towards a Euro(pean) Monetary Fund, CEPS Policy Brief Nr. 202, Centre for European Policy Studies, Brussels, 8. February 2010; D. Hale: A mutually satisfactory solution for Iceland and Obama, in: Financial Times, 1. Februar 2010.
  • 3 In den USA deutet sich übrigens eine ähnlich besorgniserregende Entwicklung an. Präsident Obama hat für die Periode 2010/11 einen Haushaltsplan vorgestellt, der höhere Ausgaben und Steuern vorsieht, ohne die Verschuldungsquote stabilisieren zu können.
  • 4 Vgl. Wolfgang Münchau: Griechenland ist überall, in: Financial Times Deutschland, 26.1.2010.
  • 5 Paul Krugman: Anatomy of a Euromess, in: New York Times, 9. Februar 2010.
  • 6 Vgl. Ansgar Belke: Towards a balanced policy mix under EMU: Co-ordination of macroeconomic policies and ‚Economic Government‘?, in: Journal of Economic Integration, Vol. 17 (2002), S. 21-53; und Economist: Rescuing Greece. Economic union. Two different things, 12. Februar 2010.
  • 7 Vgl. Ansgar Belke, Gunther Schnabl, Holger Zemanek: Current Account Imbalances and Structural Adjustment in the Euro Area: How to Rebalance Competitiveness, DIW Discussion Paper Nr. 895, Berlin, Juni 2009; Rolf Langhammer: Die Reallöhne müssen sinken – Griechenland bekommt seine Schulden nicht allein durch Sparen in den Griff, in: Wirtschaftswoche, Denkfabrik, 13. Februar 2010, S. 36.
  • 8 Vgl. Ansgar Belke, Daniel Gros: Is a unified macroeconomic policy necessarily better for a common currency area?, in: European Journal of Political Economy, Vol. 25 (2009), S. 98-101.
  • 9 Vgl. ebenda.

Das europäische Dilemma

Die Europäische Union kann sich nicht so recht entscheiden, welche Position sie gegenüber Griechenland beziehen und welche Maßnahmen sie einleiten soll. Europa ist im Dilemma, und welche Maßnahmen es auch ergreifen wird, sie werden Kosten haben und ihr Erfolg ist alles andere als sicher. Dass der Euro gegenüber dem Dollar in den letzten Wochen stark an Wert verloren hat, reflektiert die große Befürchtung der Märkte gegenüber der europäischen Position, denn neben einer leichten Erhöhung der amerikanischen Leitzinsen ist dies vor allem auf das griechische Verschuldungsproblem zurückzuführen. In der Substanz ist Griechenland jedoch zu klein, um diesen Effekte auszulösen – es macht gerade einmal 3% des europäischen Bruttoinlandsprodukts aus. Der Druck auf den Euro ist stattdessen ein Ausdruck der Unsicherheit über das weitere Vorgehen der EU gegenüber den Mitgliedstaaten mit einem Verschuldungsproblem; Griechenland ist der Testfall für die gesamte EWU und ihre geld- und fiskalpolitischen Institutionen. Denn mittlerweile weiß jeder, dass Griechenland exemplarisch sein wird für die anderen Staaten mit erheblichen Finanzierungsproblemen der öffentlichen Hand. Diese Staaten, unfreundlicherweise oft unter dem Begriff PIGS (oder auch PIIGS) zusammengefasst, könnten gemeinsam durchaus eine Belastung für den Euro darstellen.1 Wobei allerdings zu beachten ist, dass die PIIGS unterschiedlich anfällig für Verschuldungskrisen sind. Während Italien und Spanien positive nationale Sparraten aufweisen, sind diese in Portugal und Griechenland negativ. Somit ist diesen Ländern eine interne Refinanzierung nicht möglich, was sie besonders empfänglich für eine Schuldenkrise macht.

Eigentlich hätte diese Situation gar nicht entstehen dürfen. Die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts sehen vor, dass Länder in der Regel ein ausgeglichenes Budget haben und sich maximal mit 3% (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) neu verschulden dürfen. Es gibt zwar Ausnahmen, die man in besonderen Fällen bemühen kann, aber Griechenland hat seit seinem Beitritt zur Eurozone 2001 die Regeln verletzt – und sich mit gefälschten Zahlen überhaupt erst in die Eurozone hineingemogelt.2 Die jetzige Situation ist, nicht zum ersten Mal, vor allem der Beweis dafür, dass die Fiskalregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts keine Wirkung haben. Deshalb ist die Empörung der anderen Staaten über Griechenland auch nur zum Teil gerechtfertigt. Gerade die großen Staaten Deutschland, Frankreich und Italien haben selbst die Regeln jahrelang gebrochen und deshalb ihrerseits nicht auf eine strenge Auslegung und Überprüfung der Regeln gedrungen. Dies jetzt im Zusammenhang mit einem kleinen Land nachzuholen, ist heuchlerisch. Die Reform der Regeln des Pakts im Jahr 2005 war ja geradezu eine Einladung an alle anderen, dieselben nicht allzu ernst zu nehmen. An der Situation hat also gerade auch Deutschland ein erhebliches Maß an Mitschuld.

Bei aller Aufregung über die griechische Situation stellt sich die Frage, warum gerade Griechenland herausgesucht wird. Die Situation des Landes ist keineswegs außergewöhnlich. Die Gesamtschuld steht bei 110% – das ist nicht viel mehr als die USA haben, gut die Hälfte dessen, was Japan hat und auch nicht wesentlich mehr als Italien aufweist. Und das Defizit von über 12% im Jahre 2009 ist vergleichbar mit dem Irlands und Großbritanniens. Das ist nicht wenig, aber eben auch nicht einzigartig in der jetzigen Situation. Die Begründung liegt wohl vor allem in der Schuldengeschichte des Landes und darin, dass die Märkte dem Land offenbar nicht zutrauen, die nötigen Maßnahmen zur Konsolidierung zu ergreifen.3 Entsprechend hoch sind die Risikoprämien, die Griechenland zu zahlen hat.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland (und andere Länder in seinem Schlepptau) bewusst ihre Schulden nicht bedienen werden, ist jedoch überaus gering, weil die politischen Folgen äußerst bitter wären. Ein Problem kann freilich entstehen, wenn das Land Schwierigkeiten bei der Refinanzierung bekommt. Aktuell geht man davon aus, dass Griechenland im laufenden Jahr einen Finanzierungsbedarf von über 50 Mrd. Euro haben wird, von denen gut 20 Mrd. bereits im April/Mai benötigt werden; das könnte teuer oder gar unmöglich werden, wenn weiterhin gegen das Land spekuliert wird.4 Die EU wird deshalb schnell eine Lösung finden müssen, da die Märkte entsprechend reagieren werden, wenn das nicht zustande kommen sollte.

Griechische Optionen

Griechenland selbst hat verschiedene Möglichkeiten. Es kann die Zahlungsunfähigkeit erklären und somit einfach einen Teil (oder die Gesamtheit) seiner Schulden nicht bedienen. Abgesehen von dem erheblichen Vertrauensverlust, den dies mit sich bringen und der Griechenland zumindest für eine Weile vom Finanzmarkt ausschließen würde, kann man aber davon ausgehen, dass die anderen EU-Staaten das als eine unfreundliche Aktion interpretieren würden und das Land längere Zeit erhebliche politische Probleme in der EU hätte. Neben einer klaren Verletzung des Vertrauens würde man darin eine Aufkündigung der europäischen Solidarität sehen. Es würde zudem die europäischen Anleger und Banken in Mitleidenschaft ziehen.

Der in der Vergangenheit übliche Umgang (in Griechenland und anderswo) mit zu hoher Verschuldung wäre der Versuch, einen Teil der Schulden weg zu inflationieren. Die Schulden verlieren so schnell einen Teil ihres realen Wertes und in wenigen Jahren ist ein Staat saniert.5 Das ist eine einfache Lösung für den Staat, trifft aber nicht nur die Kreditgeber sondern auch den Rest der Bevölkerung und hier vor allem die weniger Wohlhabenden. Diese Lösung scheidet aber auch aus, weil Griechenland in Euro verschuldet ist und keine Kontrolle mehr über die Geldpolitik hat. In jedem Fall würde eine Inflationierung zur Abwertung führen und damit die Verschuldung, gemessen in heimischer Währung weiter erhöhen. Insofern sind Vorschläge, Griechenland solle doch wieder eine eigene Währung einführen, mit einer Abwertung und dem erwarteten Export- und Wachstumsboom die Bedienung der Schulden erleichtern und die Wettbewerbsfähigkeit steigern, komplett illusorisch. Da die Kredite in Euro aufgenommen wurden, müssen sie auch in dieser Währung zurückgezahlt werden, was die positiven Effekte einer Abwertung mehr als konterkarieren würde und sicher ebenso zu einer Schuldenkrise führen könnte.6

Bleibt also nur die Option der Bedienung der Schulden aus eigener Kraft (eventuell mit einer kleinen Überbrückungshilfe durch andere Länder). Griechenland und andere Staaten in vergleichbarer Situation werden nicht umhin kommen, ihre Versprechungen gegenüber der Europäischen Kommission und den anderen Mitgliedstaaten, dass sie den Staatshaushalt sanieren werden, zu erfüllen. Die Ausgaben werden sinken und die Einnahmen erhöht werden müssen. Die Unwilligkeit der griechischen Regierung, genau das zu tun, ist nachvollziehbar. Eine striktere Steueradministration riskiert Aufstände fast aller Griechen, die Steuerhinterziehung als ein übliches Verhaltensmuster betrachten. Eine Reduzierung der Gehälter im öffentlichen Dienst bringt die Staatsdiener auf die Straße, ebenso wie der angekündigte Einstellungsstopp oder die Abschaffung der Steuerprivilegien der Beamten. Hinzu kommen die Erhöhung der Mehrwertsteuern und der Steuern auf Tabak und Mineralöl. Ministerpräsident Papandreou weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, diese Maßnahmen politisch zu überleben, äußerst gering ist. Ihm bleibt allenfalls die Hoffnung darauf, einen Wechsel einzuleiten und dafür in den Geschichtsbüchern gelobt zu werden. Man darf gespannt sein, ob er den Mut und die Kraft hat, die nötigen Änderungen durchzuführen. Und sein politisches Schicksal wird auch ein Signal an andere Regierungschefs in vergleichbarer Situation sein. Sie werden die politischen Folgen von Sanierungsmaßnahmen sehr genau betrachten, denn schließlich steht die Sanierung der Staatsfinanzen nicht nur in Griechenland auf der Tagesordnung.

Europäische Optionen

Das Dilemma der europäischen Politik ist mindestens ebenso so groß wie das der griechischen Politik. Neben der politischen Verpflichtung Mitgliedstaaten zu helfen, besteht die Angst, ein griechischer Zahlungsstillstand könnte zu einem Überspringen auf andere Staaten führen. Die Zinssätze auf die Verbindlichkeiten der anderen hochverschuldeten Staaten werden in die Höhe schnellen, wenn sie überhaupt noch Kredite bekommen, und sie könnten sich schnell in einer ähnlichen Situation wie Griechenland befinden. Insofern kann der griechische Fall durchaus zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Steigende Zinsen aufgrund eines befürchteten Übergreifens werden die Bedienung der Schulden immer weiter erschweren und somit dann in der Konsequenz vielleicht tatsächlich zu einer Schuldenkrise auch in anderen Staaten führen. Dass die EU dies riskieren will, glaubt niemand.7 Also sind die Erwartungen hoch, dass ein Bailout stattfinden wird und man rätselt allenfalls noch, wie das wohl geschehen könnte. Eine naheliegende, weil historisch begründete, Erwartung ist, dass die Europäische Zentralbank eingreift, griechische und andere Staatspapiere indirekt stützt und somit die Geldmenge erhöht. Das erklärt, warum der Euro in den letzten Wochen so stark eingebrochen ist und warum der Druck auf den Euro, wenn nicht bald eine andere Lösung sichtbar wird, weiter steigen wird. Das wird die Europäische Union verhindern wollen. Einen Zusammenbruch der Eurozone kann sich keines der Mitgliedsländer leisten, und von der Europäischen Zentralbank ist auch nicht zu erwarten, dass sie entsprechendem Druck nachgeben wird.

Scheidet also der Rekurs auf die EZB aus, bleibt eine Lösung, die eigentlich am besten für die Glaubwürdigkeit der EU und ihrer Regeln wäre: Man lässt Griechenland zahlungsunfähig werden. Eine realistische Option ist aber auch dies nicht. Schätzungen gehen davon aus, dass allein deutsche Banken mit dem mehr als zwanzigfachen ihres Eigenkapitals in den PIIGS-Ländern exponiert sind. Die berüchtigte Hypo-Real-Estate (mittlerweile im Besitz des Staates) hat Außenstände von 9 Mrd. Euro in Griechenland und auch die Commerzbank und andere Institute sind involviert. Insgesamt sollen allein deutsche Banken mit mehr als 500 Mrd. Euro in den PIIGS-Staaten exponiert sein. In einer Situation, in der die Banken ohnehin massiv geschwächt sind, ist es kaum denkbar, dass man den Ausfall dieser Kredite riskieren wird. Das erklärt zum guten Teil, warum die europäischen Staaten letztlich die Rettung Griechenlands (und aller anderen Problemfälle) nie in Frage gestellt haben.

Bleibt die Frage, wie eine Rettung möglich wäre. Ein offizieller Bailout ist gemäß dem Vertrag von Maastricht verboten. Eine Intervention ist nur möglich, wenn Staaten ohne eigene Schuld, z.B. durch ein Erdbeben, in Not geraten sind. Diese Klausel kann man kaum allen Ernstes bemühen – Staatsverschuldung ist nicht jenseits der Kontrolle der betroffenen Staaten. Darin zumindest sind sich die meisten Beobachter einig.8 Vermutlich wird es aber dennoch zumindest zu bilateralen Hilfen durch einzelne Staaten kommen.

Das Problem hierbei ist, dass das in den einzelnen Ländern nur schwer durchzusetzen sein wird. Dennoch wird es wohl dazu kommen – unter strikten Auflagen und unter Aufsicht der Europäischen Kommission. Die deutsche Regierung wäre mit einem prozentualen Anteil von ungefähr 20% (entsprechend ihrem Anteil am BIP der EU) und rund 4-5 Mrd. Euro dabei. Das wird der deutschen Regierung nicht nur Freude einbringen, werden doch jetzt schon Stimmen laut, die fragen, wieso in Deutschland das Renteneintrittsalter 67 Jahre beträgt, wenn man in Griechenland ein Rentenalter von 54 finanziert. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass es sich um Kredite an das Land handelt und nicht um Zuschüsse zum Staatshaushalt. Die Aufregung ist also kaum gerechtfertigt, denn natürlich wird Griechenland die Hilfe zurückzahlen und natürlich wird sie mit Konditionen versehen sein und verzinst werden. Da die EU ihrerseits Haushaltsmittel an Griechenland ausschüttet, wäre eine Kürzung und somit die Eintreibung der Schulden kaum ein großes Problem. Neben den Zahlungen aus den Regionalfonds sind dies die Überweisung aus dem Agrarfonds und die Kredite durch die Europäische Investitionsbank. Die EU hat durchaus Möglichkeiten, Sanktionen gegen Mitgliedstaaten zu verhängen. Insofern kann man nicht davon ausgehen, dass die Hilfen an Griechenland einfach abgeschrieben würden.

Gleichwohl mag man die Frage stellen, ob die EU Restriktionen durchsetzen würde. Immerhin ist man auch sonst nicht in der Lage, die Strafen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zu implementieren. Eine weitere Alternative ist daher die Einschaltung einer internationalen Institution wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), die offensichtlich ebenfalls verfolgt wird. Das ist nicht ganz unumstritten, weil der IWF in den letzten Jahren vor allem in Entwicklungsländer eingegriffen hat. Das damit verbundene Imageproblem mag die Griechen zögern lassen, ebenso wie die damit einhergehenden strengen Auflagen für die Fiskalpolitik.9 Schwerwiegender ist aber die Befürchtung, dass dies, wieder einmal, als eine Bestätigung gesehen würde, dass Europa nicht allein in der Lage ist, mit seinen Problemen fertig zu werden.

Das noch größere Dilemma ist natürlich, dass ein Bailout ein schlechtes Beispiel ist, einen Moral Hazard schafft und das Fehlverhalten auch anderer Staaten induzieren mag. Es könnte der Eindruck entstehen, dass Disziplinlosigkeit belohnt wird. Insofern ist die eigentliche Frage, was man tun kann, um ähnliche Fälle in der Zukunft zu verhindern.

Blick nach vorn

Bei all der Diskussion zeigt die griechische Krise vor allem, dass Europa keine Mechanismen hat, mit zu hoher Staatsverschuldung und Schuldenkrisen fertig zu werden. Es fehlt der Union ein Verfahren, der das Entstehen einer solchen Situation verhindert, denn der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist nicht ernst zu nehmen. Es fehlt vor allem ein geordneter Mechanismus, den Mitgliedstaaten aus der Verschuldung zu helfen, wenn sie erst einmal bedrohliche Ausmaße erreicht hat. Nach dem argentinischen Zahlungsausfall im Jahre 2002 wurde von der damaligen Vizechefin des Internationalen Währungsfonds, Anne Krueger, ein geordnetes Verfahren für die Zahlungsunfähigkeit bei souveränen Staaten vorgeschlagen. Darin waren unter anderem ein sanktionierter Zahlungsstopp und ein geordneter Weg, das betroffene Land mit neuen Mitteln zu versorgen, vorgesehen.10 Neben den USA haben sich vor allem die Deutschen und andere Europäer gegen dieses Verfahren gewehrt. Dies war vielleicht ein bisschen voreilig, wenn man bedenkt, dass in der Zukunft wohl häufiger solche Probleme auftreten werden – auch und vielleicht vor allem in Europa. Angesichts der demografischen Veränderung werden die europäischen Schulden in der langen Frist kaum geringer werden, da die nötigen Reformen in diesem Bereich noch auf sich warten lassen. Schätzungen gehen schon jetzt von Verschuldungsquoten von mehreren 100% im Jahre 2050 aus. So werden für Deutschland 300%, für Frankreich und Großbritannien 400 und für Japan gar 600% Staatsverschuldung prognostiziert.11 Sollte es tatsächlich dazu kommen, wird niemand mehr damit rechnen, dass diese Schulden zurückgezahlt werden. Stattdessen wird es wohl viel eher zu Schuldenkrisen auch in Ländern wie Deutschland kommen. Ein Weg, mit derartig hohen Schulden umzugehen und sie im Zweifelsfall zu bereinigen, ist dann dringend geboten.12

Da aber eine internationale Lösung kaum durchsetzbar sein wird, solange die USA eine Sperrminorität im IWF haben, stellt sich die Frage nach einer europäischen Alternative. Eine mögliche Alternative wäre die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds (EWF), wie ihn Gros und Mayer vorgeschlagen haben.13 Grundlegende Idee ist, dass jene Staaten, die die 3%-Defizitgrenze und die 60%-Gesamtverschuldungsgrenze überschreiten, in den Fonds einzahlen. Dieses Geld wird verzinslich angelegt und steht dann zur Verfügung, wenn einzelne Mitgliedsländern auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Wie auch im IWF kann sich jedes Land problemlos im Rahmen seiner Quote (berechnet nach seinen Einzahlungen) beim EWF verschulden, muss dann aber im Zuge der Kreditgewährung auch entsprechende wirtschaftspolitische Auflagen erfüllen, so wie dies vom IWF gefordert wird und auch bei der Ad-hoc-Unterstützung für Griechenland vorgesehen ist. Hier wäre mindestens der Ansatz eines geordneten Verfahrens. Dass auch dieses Vorgehen Moral Hazard erzeugt, ist nicht auszuschließen.

Auch bei den Interventionen des IWF wurde dies immer wieder diskutiert. Tatsächlich erfüllen viele Länder ihre Auflagen und bedienen ihre Schulden beim Fonds bevorzugt (das hat selbst Argentinien getan, das sonst den größten Teil seiner Schulden nicht bedient hat) und desgleichen wäre wohl auch bei einem EWF zu erwarten, zumal die EU im Zweifel durch die europäischen Umverteilungsmechanismen mehr Druckmittel besitzt als der IWF.

Zumindest hätte Europa so die Gelegenheit zu demonstrieren, dass es aus einer Krise gelernt hat und ernsthaft bemüht ist, sich seinem Schuldenproblem zu stellen. Weniger wichtig also als der konkrete Vorschlag für den Fall Griechenland, ist, dass Europa etwas tut. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat versagt, und Europa braucht dringend andere Instrumente, um mit der steigenden Staatsverschuldung fertig zu werden. Wenn es gelingt, hier entsprechende Mechanismen zu schaffen, dann wird auch der Druck auf den Euro nachlassen und die Risikoaufschläge werden zurückgehen. Wenn dies nicht gelingt, ist Griechenland nur der Anfang von ganz erheblichen Problemen, die auf die EU zukommen werden.

  • 1 PIGS steht für Portugal, Irland, Griechenland und Spanien. Bisweilen wird auch noch Italien dazu gezählt und steht für das zweite I.
  • 2 Seit den 1970er Jahren hat Griechenland im Schnitt ein Defizit von 6% gehabt und die 3%-Grenze für das Budgetdefizit im Stabilitäts- und Wachstumspakt hat es seit seiner Mitgliedschaft im Euro jedes Jahr verletzt. Gleichwohl ist die Staatsschuld heute mit 110% geringer als zum Zeitpunkt des Beitritts zur Eurozone mit 118%.
  • 3 C. Reinhart et al. zeigen, dass Staaten mit einer Geschichte von Verschuldung und Zahlungsausfall es wesentlich schwerer haben, sich zu verschulden (C. Reinhart et al.: Debt Intolerance, Brookings Paper on Economic Activity, 1/2003, S. 1-74).
  • 4 Ohnehin werden es Staaten mit einem Rating von B oder schlechter in Zukunft schwer haben, ihre Papiere zu verkaufen. Da die EZB ab Ende des Jahres solche Papiere nicht mehr zur Refinanzierung akzeptiert, wird das Interesse der Banken deutlich zurückgehen.
  • 5 Bei „nur“ 6% Inflation ist in gut zehn Jahren die Hälfte des Realwertes der Schulden abgebaut. Insofern ist der Vorschlag des Internationalen Währungsfonds, die Zielinflationsrate in der Regel auf 4% steigen zu lassen, auch ein Beitrag zur Reduktion der Staatsschuld und dürfte so durchaus auf die (stillschweigende) Zustimmung manches Finanzministers stoßen.
  • 6 Eine zwangsweise Umstellung von Euro-Krediten auf heimische Währung wird nicht einfach möglich sein und einem Zahlungsausfall gleichkommen. Es wäre also nicht viel gewonnen. Siehe B. Eichengreen: The Breakup of the Euro-Area, NBER Working Paper 13393, 2007.
  • 7 Wyplosz argumentiert, dass die Anleger eigentlich keinen Ausfall erwarten, sondern nur von den hohen Zinsen profitieren wollen. Diese seien also keine Kompensation für das Ausfallrisiko, sondern lediglich der Versuch, außergewöhnliche Gewinne zu machen. Siehe C. Wyplosz: My Big Fat Greek Conspiracy Theory, in: Financial Times, 5. Februar 2010. Ähnliche Ansichten über das Verhalten der Banken findet man bei J. Stiglitz: Freefall, New York 2010.
  • 8 Eine Ausnahme ist Paul de Grauwe (Greece: The Start of a Systemic Crisis of the Eurozone, in: VOX, 15. Dezember 2009), der diesen Weg für gangbar hält.
  • 9 Auflagen für die Geldpolitik wird der IWF in diesem Fall nicht machen können, da er sonst in die Autonomie der EZB eingreifen würde.
  • 10 Für eine ausführliche Diskussion, siehe C. Hefeker: Ein Insolvenzrecht für souveräne Staaten?, in: Wirtschaftsdienst, 82. Jg. (2002), H. 11, S. 684-688.
  • 11 S. Cecchetti et al.: The Future of Public Debt, Working Paper, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Februar 2010.
  • 12 C. Reinhart, K. Rogoff: Growth in a Time of Debt, NBER Working Paper 15639, 2010; zeigen, dass Länder mit einer Staatsverschuldung von über 90% deutlich geringere Wachstumsraten haben. Die Aussicht, dass stark verschuldete Länder aus der Schuld herauswachsen, ist also eher gering.
  • 13 D. Gros, T. Mayer: Toward a Euro(pean) Monetary Fund, CEPS Policy Brief 202, Februar 2010.

Insolvenz von EU-Mitgliedstaaten – Voraussetzungen und Folgen

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Europäische Union in eine Bewährungsprobe gestürzt, die seit zwei Jahren andauert und deren Ende sich nicht absehen lässt. Zunächst stand die Rettung des Bankensektors und der von Illiquidität und Umsatzeinbrüchen betroffenen Industrieunternehmen auf der Tagesordnung; über Nacht mussten die Mitgliedstaaten Rettungspakete und die EU, um wettbewerbsrechtliche Dammbrüche abwenden, neue Beihilfekonzepte entwickeln. Nun steht gar die Rettung von Mitgliedstaaten vor dem finanziellen Ruin, der die Grundfesten des Wirtschafts- und Währungssystems erschüttern würde, auf der Agenda der EU, die in der Zwischenzeit in ein neues Verfassungsgebäude eingezogen ist. Während sie noch versucht, sich in diesem Haus einzurichten – eine neue Kommission war zu wählen, das Machtgleichgewicht innerhalb der neu geschaffenen Viererspitze will justiert werden –, muss die EU sich ernstlich sorgen, ob ihre Statik den jetzt losgebrochenen Stürmen zu trotzen vermag. Der Lissabon-Vertrag ist, wie sich in den letzten Monaten gezeigt hat, auf Erschütterungen des Fundaments, auf dem der Euro ruht, kaum besser vorbereitet, als der EG-Vertrag es war. „Hätten wir angenommen, ein Mitglied der Eurozone könne in Konkurs geraten“, gab Luxemburgs Premierminister Juncker Mitte Februar 2010 in einem Interview zu, „hätten wir uns Instrumente gegeben, um dem entgegenzuwirken. Das ist nicht vorgesehen.“1

Das Fehlen eines Schuldenbereinigungsverfahrens als rechtspolitisches Problem

Ist ein Rechtsträger zahlungsunfähig, kann seine Liquidität, abstrakt betrachtet, auf zwei unterschiedlichen Wegen wiederhergestellt werden: Er durchläuft ein Konkurs- oder Insolvenzverfahren, an dessen Ende entweder eine Anpassung der Schulden oder die Auflösung des Rechtsträgers unter Verteilung der verbliebenen Aktiva an die Gläubiger steht; oder ihm nahe stehende Dritte (die „Verwandtschaft“ gleichsam) stehen für einen Teil der Schulden ein, indem sie Unterstützungszahlungen leisten. Handelt es sich bei dem Rechtsträger, der zahlungsunfähig ist oder sich in der Gefahr der Zahlungsunfähigkeit befindet, um einen Staat, kommen grundsätzlich, insbesondere bei Einbindung in föderale Systeme, beide Mechanismen – alternativ oder kumulativ – in Betracht. Doch sind insbesondere beim Insolvenzverfahren (der „Umschuldung“) Abweichungen von jenen Vorgaben geboten, denen insolvente juristische Personen nach innerstaatlichem Recht unterliegen. Allerdings sieht das EU-Recht, wie noch auszuführen sein wird, ein Insolvenzverfahren für Staaten ebenso wenig vor wie ein so genanntes Bailout, das der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag) im Grundsatz sogar ausdrücklich untersagt.

Was das Fehlen eines verfahrensrechtlichen Rahmens für die Insolvenz von Gebietskörperschaften betrifft, befindet sich das EU-Recht in guter Gesellschaft. Das nationale Recht unterwirft juristische Personen dem Insolvenzverfahren, wenn sie überschuldet oder zahlungsunfähig sind. Bund und Länder sind aber, in Deutschland jedenfalls, ausgenommen, und für Kreise und Gemeinden stellt die Insolvenzordnung den Bundesländern frei, ob sie die Insolvenz zulassen wollen (§ 12 Insolvenzordnung). Anders als etwa die USA, deren Bankruptcy Act in Chapter 9 solche Fälle regelt, sehen die Rechtssysteme deutscher Länder dies nicht vor. Damit ist nicht gesagt, dass Gebietskörperschaften nicht „pleite gehen“ können, sondern nur, dass die Anwendung staatlicher Insolvenzregeln auf solche Situationen ausgeschlossen ist und die Zahlungsunfähigkeit auf anderem Wege behoben werden muss. Denn bei Unmöglichkeit des Staates oder einer Gemeinde, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen – Überschuldung spielt wegen der, zumindest theoretisch, „unermesslichen finanziellen Ressourcen“ des Staates2 praktisch keine Rolle –, ist eine Gesamtlösung unter Einbeziehung möglichst vieler Betroffener meist unumgänglich.

Dies gilt auch für die überstaatliche Ebene: Unter der Ägide des IWF, der sich faktisch als „Insolvenzmanager“ gerierte, sind in den vergangenen Jahrzehnten zahlungsunfähige Entwicklungs- und Schwellenländer in mehr oder weniger systematischer Weise ent- oder umgeschuldet worden, wenn auch selten mit nachhaltiger Wirkung. Ein Zwangsverfahren wie auf staatlicher Ebene lässt die völkerrechtliche Souveränität allerdings nicht zu; das Verfahren darf ohne Zustimmung des Schuldnerstaates weder in Lauf gesetzt noch abgeschlossen werden. Bei näherer Betrachtung stellt sich die völkerrechtliche Umschuldung auch nicht als einheitliches Prozedere dar, sondern sie wird, je nachdem, ob es sich um hoheitliche oder private Gläubiger handelt, in unterschiedlichen Foren (insbesondere Pariser bzw. Londoner Club) und nach unterschiedlichen Mechanismen (je nachdem, ob die Schuldtitel ein individuelles oder nur kollektives Vorgehen erlauben) vorgenommen. Der Schuldnerstaat ist nicht nur Verfahrenspartei, sondern an der Steuerung des Prozesses mitbeteiligt und kann kraft seiner Souveränität autonom, etwa durch einseitige Herabsetzung der Zinsen für Staatsschuldverschreibungen oder Abwertung der Währung, das Ergebnis mitgestalten.3

Als Staatenverbund, dessen Mitglieder eine Solidargemeinschaft bilden, könnte die EU einen geeigneten Rahmen nicht nur für die genuin insolvenzrechtliche Umschuldungslösung, sondern auch für ein Bailout-Modell bieten. Dem bündischen Gedanken korrespondiert die Pflicht zum „Einstehen müssen füreinander“ – des einen Landes für das andere und des Bundes für seine Glieder –, wie sie sich im horizontalen und vertikalen Finanzausgleich nach dem Grundgesetz (Art. 107 II GG) manifestiert. Auch diese „Pflicht zum Bailout“ ist zwar nicht schrankenlos, insbesondere seit das Bundesverfassungsgericht, mit bescheidenem Erfolg, versucht hat, ihr durch ein „Maßstäbegesetz“ Zügel anzulegen;4 sie orientiert sich jedoch am objektiven Finanzbedarf eines Landes und besteht letztlich unabhängig davon, ob dessen Wirtschaftsdaten das Ergebnis guter oder schlechter Politik sind. Im Falle extremer, notstandsartiger Haushaltsnotlagen kann der Bund zu Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen an ein Land verpflichtet sein; dies setzt freilich voraus, dass sich ein Land aus eigener Kraft (und das heißt: mit ernsthaften und auch schmerzlichen Sparanstrengungen, wie sie auch Griechenland jetzt abverlangt werden) nicht aus der Notlage befreien kann.5

So ausgeprägte Solidarmechanismen finden sich innerhalb der EU nicht, wo Art. 125 AEU-Vertrag (früher Art. 103 EG) ein Verbot statuiert, für finanzielle Verpflichtungen eines Mitgliedstaats aufzukommen. Auch eine freiwillige Unterstützung ist untersagt („tritt nicht ein“). Ein wesentlicher Grund hierfür ist in der sektoral unterschiedlichen Ausprägung der europäischen Integration zu sehen: Die gemeinsame Wirtschaftspolitik fällt hinter die Währungspolitik weit zurück, wiewohl der Vertrag beide in einem Atemzug nennt. Die Reverenz des Vertrages gegenüber der wirtschaftspolitischen Souveränität der Mitgliedstaaten spiegelt sich in einem im Vergleich zu föderalen Staatswesen weniger ausgeprägten Solidaritätsgedanken. Wirtschaftspolitisches Handeln und haushaltspolitische Disziplin (statistische Erhebungen eingeschlossen) unterliegen noch immer in weitem Umfang den Mitgliedstaaten; Koordinations- und Zwangsinstrumente, aber auch der rechtliche Rahmen eines einheitlichen politischen Systems, sind in der EU schwach ausgebildet, wie auch die disziplinierende Zentralgewalt der EU eine weit schwächere ist als die (Bundes-)Regierung föderaler Mitgliedstaaten wie Deutschland, Österreich oder Belgien. In einem solchermaßen auf politischer Autonomie in wirtschaftlichen Fragen basierenden System kann das Versprechen eines finanziellen Bailout – so die Ratio der Vorschriften – wie eine Aufforderung zum Schuldenmachen verstanden werden, welche mit der Preisstabilität auch den Euro untergräbt.6

Das Aufsichts- und Sanktionsverfahren

Der Vertrag kennt durchaus Instrumente der Budgetaufsicht der EU über die Mitgliedstaaten und korrespondierende Sanktionsmechanismen (Art. 126 AEU), wie sie auch im Falle Griechenlands derzeit zum Einsatz kommen. Ihre Bewertung fällt ebenso schwer wie die Einordnung in den umrissenen Kontext eines Staateninsolvenzverfahrens: Hat das Defizitverfahren als Krisenvorsorgeinstrument versagt? Vermag die Anwendung der Vorschrift wenigstens die eingetretene Krise zu entschärfen, wenn die konstitutionellen Spielräume, die sie bietet, voll ausgeschöpft werden? Mit dem Begriff „Zwangsverwaltung“, unter die Griechenlands Haushalt seit Februar 2010 gestellt sein soll, muss man jedenfalls ein breites Maßnahmenspektrum assoziieren.

Das Defizitverfahren nach Art. 126 AEU (ehemals Art. 104 EG) zeichnet sich nach den Intentionen der Vertragspartner eher als Vorbeugungsmaßnahme gegenüber wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Fehlentwicklungen, die in einer Insolvenz kulminieren können, denn als eigentliches Insolvenzverfahren aus. Ihm fehlt die unmittelbare Schuldenbezogenheit; es ist lediglich darauf gerichtet, die Erfüllung der haushaltsrechtlichen Stabilitätskriterien zu sichern. Nicht die Konsolidierung des Mitgliedstaates steht also im Mittelpunkt, sondern die Verhinderung von Inflation, durch welche die Preisstabilität der „Eurozone“ gefährdet werden könnte, und auf einer Metaebene auch die Sicherung der Währungsunion. Auch setzt das Prozedere nicht erst zu einem Zeitpunkt ein, in dem der Mitgliedstaat seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachzukommen vermag, sondern bereits dann, wenn die Defizitgrenzen des AEU-Vertrages und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes überschritten sind.

Ob sich dies mit der jüngsten Rechtspraxis gegenüber Griechenland signifikant geändert hat, erscheint zumindest zweifelhaft. Das Wort „Zwangsverwaltung“ trifft den Kern der am 16. Februar 2010 durch den Rat (der Finanzminister) beschlossenen Maßnahmen jedenfalls nicht ganz. Nachdem das letzte gegen Griechenland wegen eines übermäßigen Defizits eröffnete Verfahren aufgrund der irrigen Annahme, die Staatsschulden seien unter die Defizitschwelle gefallen, durch Ratsbeschluss vom 5.6.2007 außer Kraft gesetzt worden war, eröffnete die Kommission am 18.2.2009 erneut ein Defizitverfahren. Das Verfahren hat mittlerweile die Stufe des Art. 126 IX AEU erreicht und damit den Punkt, an dem der Mitgliedstaat durch den Rat förmlich unter Fristsetzung in Verzug gesetzt worden ist. Über den griechischen Haushalt hat sich der Rat nur die laufende Kontrolle vorbehalten; Weisungen erteilen darf er nicht. Wirkliche Zwangsmaßnahmen gegenüber dem unbotmäßigen Mitgliedstaat, die aber ebenfalls noch keine umfassende Zwangsverwaltung darstellen, sind erst auf der folgenden Verfahrensstufe vorgesehen (Art. 126 XI AEU).

In der Rechtspraxis indessen wirkt der Verzugsbeschluss des Rates in Verbindung mit den zuvor ausgesprochenen Empfehlungen der Kommission schon jetzt wie eine verbindliche Anordnung: Würde Griechenland sich gegen Schritte auflehnen, welche Kommission und Rat für notwendig erachten, könnte dies als mangelnde Bereitschaft zum Defizitabbau verstanden werden und die nächste Sanktionsstufe aktivieren. Dass sich die faktischen Anordnungen spätestens dann auch auf Staatsschuldverschreibungen erstrecken und ein „haircut“ bei der Verzinsung solcher Forderungen vorgenommen wird, erscheint derzeit noch unwahrscheinlich, kann aber nicht schlechterdings ausgeschlossen werden. Über Art. 126 AEU könnte ein EU-Schuldnerstaat in letzter Konsequenz durchaus in ein Gesamtverfahren mit Insolvenzcharakter gedrängt werden, das der Bereinigung der Staatsschulden dient.

Die Rolle des verfahrensleitenden Organs oszilliert zwischen Kommission und Rat. Diese Funktionsteilung erscheint wenig geglückt: Der Rat als Interessenvertretung der Mitgliedstaaten kann die Rolle des Wächters, wenn die Defizitgrenzen, wie jetzt, flächendeckend überschritten werden, nicht überzeugend verkörpern.7 Die kraft ihrer „neutralen“, nur europäischen Interessen verpflichtete Kommission wäre als alleinige Leitinstanz besser geeignet als der Rat, auch bei Einführung eines veritablen Insolvenzverfahrens, und im Grunde auch besser als der Internationale Währungsfonds; doch werden die souveränen Mitgliedstaaten die Kuratel einer supranationalen Behörde über ihre Haushalte schwerlich akzeptieren. Immerhin würde die Kommission die Rolle des amicabilis compositor im Insolvenzfalle überzeugender verkörpern als der IWF: Während dieser – was berechtigten Anlass zu Kritik gab8 – im Umschuldungsverfahren stets zugleich als bevorrechtigter Gläubiger agiert, haben Forderungen der EU gegenüber Griechenland im Verfahren nach Art. 126 AEU keine Rolle gespielt. Da die EU nicht als regulärer Kreditgeber gegenüber Mitgliedstaaten in Erscheinung tritt, würde sich dies im Insolvenzverfahren auch nicht ändern. Allerdings könnte die Kommission die Verweigerung von Zahlungen, etwa aus dem Strukturfonds, durchaus als Druckmittel gegenüber dem „Defizitsünder“ einsetzen.9

Föderale Finanzsolidarität trotz Bailout-Verbot

Auf globaler Ebene hat sich ein wirklicher „Föderalism freier Staaten“ (Kant) noch nicht etablieren können, ganz im Unterschied zur Europäischen Union. Mit einer geordneten konstitutionellen Kompetenzverteilung auf zwei aufeinander bezogene hoheitliche Ebenen (Union und Mitgliedstaaten) entspricht sie dem Bauprinzip eines föderalen Systems, das keineswegs allein bei Bundesstaaten zur Anwendung kommt. Kraft ihrer föderativen Elemente ist die EU als Schicksalsgemeinschaft, aber auch als Solidargemeinschaft konstituiert: An immerhin 13 Stellen im EU- und AEU-Vertrag (darunter die Präambel sowie Art. 3 III und V EU) wird die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten bzw. ihren Völkern beschworen. Sie kommt demnach nicht nur als Rettungsanker für den Katastrophenfall (Art. 222 AEU) zur Geltung, sondern muss sich als Strukturprinzip der Union auch in ihrem sonstigen Handeln manifestieren. Dies gilt, wie sich in zahlreichen Unterstützungsleistungen zeigt, die wirtschaftlich schwächere Mitgliedstaaten aus Fonds der EU beziehen, auch für finanzielle Belange.

In der Haushaltskrise überschneiden sich insoweit zwei Spannungsfelder: Der insolvenztypische Interessengegensatz zwischen einem Schuldner, der seine Handlungsfähigkeit und wirtschaftliche Leistungskraft zurückgewinnen will, und seinen Gläubigern, die von ihren Forderungen noch so viel wie möglich retten möchten, trifft innerhalb Europas auf den Grundsatz des Föderalismus, der sich bei allem Wettbewerb naturgemäß immer auch als Solidarföderalismus darstellt. Das zweite Spannungsfeld ist weiter oben bereits angesprochen worden und besteht zwischen dem abstrakt formulierten Bailout-Verbot zum Schutze des Euro und der akuten Erkenntnis der Notwendigkeit eines Bailout – ebenfalls zur Sicherung der Gemeinschaftswährung.

Die EU würde ihrer föderalen Prägung nicht gerecht, würde das „Bailout-Verbot“ nicht an wenigstens zwei Stellen im Vertrag durchbrochen:

  1. Für einen „Mitgliedstaat, für den eine Ausnahmeregelung gilt“, der also außerhalb der Eurozone steht, eröffnet Art. 143 AEU-Vertrag ein ganzes Bündel von Maßnahmen, sofern er hinsichtlich seiner Zahlungsbilanz von Schwierigkeiten betroffen ist und insbesondere das Funktionieren des Binnenmarktes dadurch gefährdet werden kann. Gemäß Beschluss des Rates können die Maßnahmen bis zur Bereitstellung von Krediten in begrenzter Höhe durch andere Mitgliedstaaten und erforderlichenfalls Schutzmaßnahmen des Mitgliedstaats selbst reichen. Da der Katalog der zulässigen Maßnahmen nicht abschließend formuliert ist, wird man auch ein Bailout in Gestalt von Forderungsverzichten oder gar verlorenen Zuschüssen nicht völlig ausschließen können. Die EU kann sich hier großzügig zeigen, da der Euro durch die hohe Verschuldung eines solchen Staates nicht unmittelbar bedroht wird; vielmehr hindert diese den fraglichen Staat am Beschreiten der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion.
  2. Delikater ist die Lage, wenn ein der Eurozone zugehöriger Staat in Turbulenzen geraten ist – weil das Unterlassen von Stützungsmaßnahmen den Euro ebenso bedrohen kann wie weiter anwachsende Staatsschulden. Der bei Abschluss des Maastricht-Vertrages stark umstrittene Art. 100 Abs. 2 EG, heute Art. 122 Abs. 2 AEU, erlaubt explizit „unter bestimmten Bedingungen“ die Gewährung finanziellen Beistands auch gegenüber diesen Mitgliedstaaten, allerdings unter scheinbar engeren Voraussetzungen als Art. 143: Der Mitgliedstaat muss aufgrund „außergewöhnlicher Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen“, mit Schwierigkeiten konfrontiert sein. Zu betonen ist, dass Stützungsleistungen ausschließlich seitens der EU gewährt werden dürfen. Zahlungen im bilateralen Verhältnis zwischen einem anderen Mitgliedstaat und Griechenland, über die hierzulande ebenfalls debattiert worden ist, widersprechen dem Grundansatz des Solidarföderalismus, wonach Unterstützung des Schwächeren eine gemeinsame Angelegenheit ist, vor allem aber laufen sie dem klaren Wortlaut des Art. 122 Abs. 2 AEU zuwider.

In der rechtspolitischen Debatte der letzten Wochen ist geltend gemacht worden, das Bailout-Verbot dulde keine Ausnahme, und Art. 122 Abs. 2 AEU sei auf eine Situation wie diejenige, in der sich der griechische Staat befinde, nicht anwendbar.10 Dieses Urteil scheint mir zu streng. Zwar kann eine Haushaltskrise allein die Durchbrechung des Verbots nicht legitimieren. Insoweit handelt es sich zwar um existenzielle „Schwierigkeiten“ – dies ist der von Art. 122 Abs. 2 verwendete Terminus –, doch muss hinzukommen, dass ein außergewöhnliches Ereignis für die Schwierigkeiten kausal gewesen ist. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, auch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise als ein solches außergewöhnliches Ereignis zu bewerten, wenn sie den Staat in die Gefahr des Staatsbankrotts bringt.11 Damit Art. 122 Abs. 2 AEU nicht missbraucht und das Bailout-Verbot nicht ausgehöhlt wird, muss diese Feststellung allerdings mit mehr als nur einem rechtlichen Caveat versehen werden. Zunächst stellt sich ähnlich wie beim völkerrechtlichen Staatsnotstand (der gegenüber finanziellen Verpflichtungen allenfalls zu einem Zahlungsaufschub berechtigt) die Frage, ob Mitverursachung der Schwierigkeiten durch den Staat die Unterstützung ausschließt.12 Im Falle Griechenlands kommt hinzu, dass die Haushaltszahlen des Landes schon vor der Einführung des Euro und über Jahre hinweg manipuliert waren. Insofern ist nicht auszuschließen, dass es zur jetzigen Haushaltskrise Griechenlands nicht erst gekommen wäre, wenn die EU in früheren Jahren Kenntnis der wirklichen Haushaltsdaten gehabt hätte und effizientere Schritte hätte ergreifen können.

Gleichwohl: Ohne die globale Krise wäre Griechenlands Schieflage in diesem Jahr vermutlich nicht eingetreten; sie wird durch „hausgemachte“, von der Kommission angeprangerte Missstände, wie Korruption, Reformunwillen, einen aufgeblähten Beamtenapparat etc., nur verstärkt. Überdies, und auch das darf nicht unerwähnt bleiben, war die Europäische Union an der Eskalation der Krise nicht unbeteiligt. So berücksichtigte die Finanz- und Kapitalmarktgesetzgebung der Gemeinschaft bzw. Union die systemischen Gefahren offenbar nicht hinreichend, und was beispielsweise die Regulierung der Rating-Agenturen betrifft, ließ sich die Kommission erst unter dem Eindruck der Krise zu einem Positionswechsel verleiten. In gewissem Umfang müssen die budgetären Schwierigkeiten vor diesem Hintergrund geradezu „schicksalhaft“ genannt werden, weil Arbeitslosigkeit und Absatzschwund staatliche Steuereinnahmen haben einbrechen lassen, während im Gegenzug die Aktiva für die Unterstützung gerade dieser Steuerschuldner aufgewendet werden müssen und der Mitgliedstaat sich aus dem Klammergriff internationaler Spekulanten kaum aus eigener Kraft befreien kann.

Art. 122 Abs. 2 AEU erlaubt daher in der gegenwärtigen Situation Hilfeleistungen an Mitgliedstaaten, die vom Staatsbankrott bedroht sind, selbst an Griechenland. Der Grad der Mitverursachung muss in die Formulierung der „bestimmten Bedingungen“ einfließen, unter denen der Vorschrift zufolge die Unterstützung zu stehen hat. Simpler ausgedrückt: Je laxer das Haushaltsgebaren des Mitgliedstaates gewesen ist, desto strenger fallen die Konditionen für Unterstützungsleistungen aus.

Perspektiven für die europäische Rechtspraxis: ein „europäisches Staateninsolvenzverfahren“?

Die Europäische Union steht vor einem Dilemma: Das ihr durch den Vertrag an die Hand gegebene Instrument – Aufsicht und Sanktionen nach Art. 126 AEU – reicht zur Lösung der Schuldenkrise wahrscheinlich nicht aus (und hat sich als wenig wirksames Präventionsinstrument erwiesen). Mit seinem Sanktionscharakter wird er nicht allen hoch verschuldeten Mitgliedstaaten gleichermaßen gerecht und verlangt überdies den betroffenen Ländern Anstrengungen ab, zu denen sie angesichts der ungünstigen ökonomischen Großwetterlage aus eigener Kraft möglicherweise nicht in der Lage sind. Die EU kann die ökonomischen Grunddaten weder nachhaltig beeinflussen noch zuverlässig erheben. Das Solidarmodell (Bailout) könnte einen probaten Lösungsansatz bieten, ist im Vertrag aber sehr restriktiv ausgestaltet und könnte sich, isoliert zum Einsatz gebracht, kontraproduktiv auswirken, wenn es Mitgliedstaaten von der Haushaltssanierung abhält und das Defizit der „Geberländer“ vertieft. Nachbesserung des AEU-Vertrags bietet nur in der Rechtstheorie einen Ausweg aus dem Dilemma. Wer die schwierige Geburt des Lissabon-Vertrages Revue passieren lässt, muss die Kurzsichtigkeit entsprechender Vorschläge erkennen. Fraglich ist, ob eine aus 27 und künftig womöglich noch mehr Mitgliedstaaten bestehende Union überhaupt jemals noch die Kraft zur Änderung ihrer vertraglichen Grundlagen aufbringen kann, solange dies die Ratifikation durch jedes einzelne Mitglied voraussetzt. Die Krisenbekämpfung muss daher mit den vorhandenen „Bordmitteln“ erfolgen.

Wenn jede der zur Verfügung stehenden Therapien für sich genommen nicht hinreichend effizient oder mit dem Risiko gravierender Nebenwirkungen verbunden ist, könnten von ihrer Kombination die Milderung der unerwünschten und der Eintritt der erwünschten Effekte zu erhoffen sein. So zeichnet sich im Falle Griechenlands ab, dass die jetzt bereits von der Kommission beschlossene De-facto-Zwangsverwaltung auf begrenzte Zeit und im begrenzten Umfang durch finanzielle Hilfen der EU arrondiert wird. Nach dem Muster von „Zuckerbrot und Peitsche“ ließen sich Maßnahmen nach Art. 122 Abs. 2 und 126 AEU zu einem „europäischen Staateninsolvenzverfahren mit solidarischer Prägung“ verbinden, das durchaus föderalen Esprit ausstrahlen könnte. Eine Brückenfunktion könnte dabei Art. 136 lit. a AEU zufallen. Erforderlich sind jedoch strenge Vorgaben und auch, dass Griechenland und die faktisch Betroffenen, insbesondere die von Gehaltskürzungen betroffenen hellenischen Staatsbediensteten, sich den Auflagen nicht widersetzen. Diese Strategie allerdings geht, wenn überhaupt, nur dann auf, wenn nicht noch weitere Mitgliedstaaten und insbesondere größere Flächenstaaten wie Spanien, Italien oder vielleicht sogar Großbritannien in die Nähe des Staatsbankrotts geraten.

Ein vertraglich vereinbarter „Austritt“ aus der Wirtschafts- und Währungsunion (oder, genauer genommen, das Verlassen ihrer dritten Stufe) wird, obwohl vertraglich nicht vorgesehen, als Option nicht ausgeschlossen werden können. Wahrscheinlicher ist also in der Tat ein Szenario, bei dem ein „Insolvenzrahmenverfahren“ mit Elementen des solidarischen finanziellen Ausgleichs verbunden wird, also eines vertraglichen „Bailout“ durch die EU oder andere Mitgliedstaaten, ohne dass diese, wie sonst im Insolvenzverfahren, eine Schuldner- oder Gläubigerstellung innezuhaben brauchen. Das gekoppelte Verfahren ist aus rechtlicher wie volkswirtschaftlicher Sicht allerdings nicht unheikel. Zwischen dem Verbot, das Regel-Ausnahme-Verhältnis beim Bailout ins Gegenteil zu verkehren, und der Notwendigkeit, die Anwendung der Ausnahmeklausel der jeweiligen Lage geschmeidig anzupassen, ist der Grat schmal.

Diese Notwendigkeit lässt sich im Gesamtkontext des Vertrags mit der unvollkommenen Geschäftsgrundlage der Wirtschafts- und Währungsunion legitimieren: Ihre Urheber scheinen, wie Jean-Claude Juncker andeutete, für drei Gesichtspunkte blind gewesen zu sein: erstens, dass solche Notlagen durch externe Faktoren wesentlich mitbestimmt sein könnten, zweitens, dass die Wirtschafts- und Währungsunion insgesamt auch durch Unterlassen finanzieller Unterstützung ernstlich gefährdet werden könnte, und drittens, dass Haushaltsdisziplin allein, wo Spekulanten am Werke sind, oft nicht fruchtet. Würde Griechenland nun allein gelassen, könnte durch Spekulationen mit Anleihen anderer „Wackelkandidaten“ und auch Währungsspekulationen mit dem Euro jener Domino-Effekt erzeugt werden, der die Statik der gesamten Wirtschafts- und Währungsunion beeinträchtigt.

Eine Gewähr dafür, dass dieser Effekt ausbleibt, wenn Griechenland finanziell unter die Arme gegriffen wird, besteht allerdings auch nicht. Vielmehr könnte die Wirkungslosigkeit solcher Unterstützungsaktionen geradezu einen Flächenbrand anfachen, da offenkundig geworden sein würde, dass die EU ihr Pulver verschossen hat. Zudem sähe sich die EU mit Blick auf die Vertragsbestimmungen mit einer paradoxen Erkenntnis konfrontiert: Wenn vertragstreuere Staaten in eine vergleichbare Lage geraten, spricht dies dafür, dass Griechenland auch bei Wahrung ausreichender Haushaltsdisziplin seine Schieflage nicht hätte vermeiden können und die Legitimation der Transferleistungen als belegt gelten kann. Nutzen aus dieser Erkenntnis könnte die EU indes nicht ziehen, weil weitere Zahlungen sie finanziell überfordern würde und weil von ihnen ohnehin keine Wirkung zu erhoffen wäre.

Wenn weder der vom Bankrott bedrohte Mitgliedstaat durch Selbstdisziplin noch die EU durch finanzielle Unterstützung – welche die Ultima ratio bleiben muss – den Staatsbankrott abzuwenden vermag, bleibt als einziger Ausweg, den betroffenen Mitgliedstaaten Raum für Aktionen zu geben, die ihnen die Vorschriften über die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) verwehren. Nur ein „Austritt“ würde dem einzelnen Mitgliedstaat ermöglichen, seine Währung den durch die Turbulenzen veränderten haushalts- und wirtschaftspolitischen Grundkoordinaten anzupassen. Sollte sich das Verlassen der WWU als rechtlich möglich erweisen, könnte sodann auch eine Umschuldung unter der Regie des IWF erwogen werden. Dem steht allerdings entgegen, dass sich das Interesse, diesen fernzuhalten, nicht allein daraus nährt, dass der IWF kein Interesse am Schicksal des Euro zeigt, sondern es ist auch „unionspsychologisch“ motiviert: Wird die Unterstützung des IWF benötigt, leistet die EU damit faktisch den Offenbarungseid.

Formal sind weder ein Ausschluss noch ein Austritt aus der WWU vorgesehen, ebenso wenig, wie die Beteiligung im engeren Sinne durch „Eintritt“ erfolgt; ein Rückgriff auf allgemeine Regeln des Völkervertragsrechts über Suspendierung oder Beendigung vertraglicher Pflichten ist im „self-contained regime“ der EU unstatthaft.13 Dieser Verzicht der Vertragsparteien entspricht der Grundkonzeption der „Unumkehrbarkeit“ der Integration, kann jedoch zu einer Gefahr für die WWU werden, wenn die Spannungen nicht mehr aufgefangen werden können. Die wahrscheinlich auf lange Zeit letzte Chance zur Einführung einer flexibleren Regelung hätte der Lissabon-Vertrag geboten, nur fehlte es bei seiner Unterzeichnung noch an der Erkenntnis, wie brisant ein Schuldenproblem werden kann. So sehen die vertraglichen Regelungen nur den Übergang eines Staates in eine höhere Stufe der WWU vor, nicht jedoch die retrograde Gewährung einer sogenannten „Ausnahmeregelung“. Zur Wiedereinführung der alten Landeswährung anstelle des Euro bedürfte es unter normalen Umständen einer sondervertraglichen Regelung, nach welcher der Mitgliedstaat an der dritten Stufe der WWU nicht mehr teilnimmt, einer Regelung, die von allen 27 Mitgliedstaaten ratifiziert werden müsste. Es ist jedoch anzunehmen, dass sich die Parteien im Notfall, wenn der Euro insgesamt auf dem Spiel stünde, über den Vertragswortlaut hinwegsetzen und einem Staat kurzfristig den Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung gestatten würden. Denn die andernfalls eintretende Situation – eine dritte Stufe der WWU mit einer Gemeinschaftswährung, die ihre Aufgabe nicht mehr erfüllt, wäre von Vertragsziel und -geist noch weiter entfernt als der „Austritt“ eines Staates aus der Eurozone und würde wahrscheinlich noch größere Flurschäden verursachen. Dass die in der Eurozone verbleibenden Staaten die größten Lasten einer solchen Maßnahme tragen würden, sollte allerdings auch klar sein; denn die Abwertung der „neuen alten“ Landeswährungen geht zu Lasten des Euro. Auch in dieser Lage kommt es also zu einem faktischen Bailout des vom Bankrott bedrohten Mitgliedstaats. Diesem müsste das Einverständnis der EU und der anderen Mitgliedstaaten mit seinem „Opting out“ geradezu als Prämie für unsolides Haushaltsgebaren erscheinen.

Fazit

Die Politik der EU sollte in der gegenwärtigen Lage darauf gerichtet sein, erstens das Überspringen der Krise auf weitere Mitgliedstaaten zu verhindern und zweitens Mechanismen für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordination zu entwickeln, die keine Veränderung des primärrechtlichen Rahmens erfordern, einerseits mit Blick auf notwendige Ad-hoc-Maßnahmen und andererseits zur Vorsorge gegen eine erneute Krise. Denn die finanzielle Schieflage einzelner EU-Mitgliedstaaten gründet zumindest teilweise auch darauf, dass die Präventionsmechanismen teilweise unzulänglich und primär den einzelnen Mitgliedstaaten überantwortet waren, sowie auf der Schwerfälligkeit des Sanktionssystems. Ob von einem Versagen der Sicherungsmechanismen gesprochen werden sollte, ist eine Wertungsfrage. Jedenfalls waren sie nicht darauf angelegt, einer Krise dieser Dimension entgegen zu wirken. Diese Defizite auszugleichen, würde einen Änderungsvertrag zum EU- und AEU-Vertrag erfordern, ein angesichts der Querelen um „Lissabon“ für die kommende Dekade unwahrscheinliches Szenario. Die EU muss daher jetzt Pragmatismus bei der Nutzung der bestehenden Spielräume beweisen, ohne den Respekt vor vertraglich vorgegebenen Befugnisgrenzen zu verlieren.

  • 1 Interview mit Jean-Claude Juncker: Wir werden den Griechen keine Ruhe lassen, in: Süddeutsche Zeitung vom 13./14.3.2010, S. 3.
  • 2 Europäische Kommission: ABI. EG 1993, C 349, S. 2(3) – EFIM.
  • 3 Vgl. zur völkerrechtlichen Staateninsolvenz Jörn Axel Kämmerer: State Bankruptcy, in: Encyclopedia of Public International Law, 3. Auflage (bei Oxford University Press).
  • 4 BVerfGE 101, 158 (214 ff.) – Finanzausgleich im Bundesstaat.
  • 5 BVerfGE 116, 327 (405 ff.) – Berlin.
  • 6 Vgl. etwa Clemens Fuest: Budgetdefizite in einer Europäischen Währungsunion: Bedarf es gemeinsamer. Verschuldungsregeln, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 1993, S. 123-149 (129).
  • 7 Zugespitzt formuliert: „Täter und Wächter sind identisch“ (so Paul Kirchhof im „Spiegel“-Interview, Heft 9/2010, S. 84-87 (85).
  • 8 Näher dazu Friedrich L. Cranshaw: Fragen der gerichtlichen Durchsetzung von Forderungen aus ausländischen Staatsanleihen in der Krise des Schuldners, in: Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (DZWIR), 2007, S. 133–142.
  • 9 Im Juli 2008 entschied die Kommission, finanzielle Unterstützung für Bulgarien aus diversen Fonds und Programmen wegen unzureichender Fortschritte im Kampf gegen die Korruption zurückzuhalten; zu solchen Mitteln könnte sie auch in der Haushaltskrise greifen.
  • 10 Matthias Ruffert im FAZ-Interview vom 23.1.2010; Paul Kirchhof im „Spiegel“-Interview, Heft 9/2010, S. 84-87.
  • 11 So Werner Häde: Haushaltsdisziplin und Solidarität im Zeichen der Finanzkrise, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2009, S. 399-403 (401).
  • 12 Vgl. International Law Commission: Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, Art. 25 Abs. 2 lit. b (angenommen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 12.1.2001).
  • 13 Anders aber z.B. Eckart Klein, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, 4. Aufl., 2007, 4. Abschnitt, Rn. 117 m.w.N.; vermittelnd Peter Behrens: Ist ein Ausschluss aus der Euro-Zone ausgeschlossen?, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 15.2.2010, S. 121.

Eine Insolvenzordnung für Staaten?

Die Ursachen für die aktuelle Finanzkrise sind hinreichend analysiert.1 In den kommenden Jahren wird es darum gehen, die Konsequenzen für den Finanzsektor zu ziehen und die realwirtschaftlichen Folgen zu bewältigen. Im Zuge der Krise ist aber ein neuer und umso gefährlicherer Zünder für die nächste Krise entstanden, und zwar die fortschreitende Überschuldung der Staaten, die bei einigen früher oder später zur Zahlungsunfähigkeit führen kann.

Eine qualitativ neue Dimension bekommt das Thema Staatsbankrott erstens dadurch, dass nicht mehr einzelne Staaten insolvenzbedroht sind, sondern Staatengruppen und ganze Regionen und zweitens dadurch, dass Staaten die Zahlungsunfähigkeit droht, die (wie Griechenland oder Italien) in einer Währungsunion mit anderen verbunden sind und das Privileg der Kapitalverkehrsfreiheit genießen. Wenn schon einzelne Banken als „too big to fail“ erscheinen, was ist dann mit ganzen Staaten, die Mitglied eines Währungsverbundes sind? Kann man diese einfach ihrem Schicksal überlassen? Das Bailout-Problem, das 1998 noch theoretisch diskutiert wurde, ist zwölf Jahre später zur wirtschaftspolitischen Realität geworden.

Vor diesem Hintergrund erstaunt der Befund, dass es keine ordnenden Regelungen für den Fall einer Staatsinsolvenz gibt. Brauchen wir eine Insolvenzordnung für Staaten? Und wenn ja, welche Sachverhalte muss sie regeln? In diesem Beitrag soll erstens untersucht werden, welche grundsätzlichen Anforderungen an eine Insolvenzordnung zu stellen sind, zweitens, wie die Zahlungsunfähigkeit eines Staates festgestellt werden, kann und drittens, wer die Folgen eines Staatsbankrottes tragen soll.

Staatsbankrott: Auf der Suche nach dem Rettungsanker

Bei der Insolvenz von Staaten besteht für die internationalen Organisationen, die als potentielle Retter auftreten können (IWF, Weltbank, Europäische Zentralbank, EU-Kommission), das Problem der Zeitinkonsistenz. Eigentlich müssten die internationalen Organisationen die Strategie verfolgen, unsoliden Staaten für den Fall einer wahrscheinlichen Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich den Entzug der Unterstützung anzudrohen. Allerdings geraten die rettenden Institutionen spätestens dann in Schwierigkeiten, wenn der Extremfall der Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten ist. Wenn der Grundsatz „too big to fail“ für Banken in der EU und in den USA Anwendung findet, gilt dies erst Recht für Staaten.

Das Problem der Zeitinkonsistenz könnte eine verbindliche Insolvenzordnung für Staaten lindern, die ein genau festgelegtes Vorgehen für den Fall einer staatlichen Insolvenz vorsieht. Ein detailliert festgelegtes Procedere ist im Fall von Unternehmen üblich und notwendig – warum nicht für Staaten? Wenn ein Staat und seine Gläubiger a priori wissen, was sie bei einer Insolvenz erwartet, kann dies für mehr Schuldendisziplin sorgen. Allerdings muss diese Ordnung für alle Beteiligten verbindlich sein und darf nicht im Nachhinein geändert oder ignoriert werden – was wohl ihr größtes Problem wäre. Wird aber die Insolvenz von Staaten als wiederholtes Spiel betrachtet, so steigen die Chancen und Anreize, sich an diese Vereinbarung zu halten, um mit dem Wiederaufbau von Reputation verbundene Probleme und Konflikte zu verhindern.

Eckpunkte einer Insolvenzordnung für Staaten

Bisher ist die Insolvenz eines Staates – trotz wiederholter Beispiele in der Geschichte – nicht grundsätzlich geregelt; in solchen Fällen gelten eher die Gesetze der Politik als der Ökonomik. Hilfreich könnte es allerdings sein, einen Vergleich zu den Regelungen bei der Insolvenz von Unternehmen zu ziehen. Wird der Staat wie ein Unternehmen betrachtet, dessen Produkte öffentliche und meritorische Güter sind, so lassen sich Parallelen ziehen:

  • Ein Staat kann sich durch die Aufnahme von Fremdmitteln (Fremdkapital) finanzieren; der Haushalt muss nicht zu jedem Zeitpunkt ausgeglichen sein.
  • Die Tilgung der Schulden erfolgt im Idealfall über die Erträge der damit finanzierten Investitionsobjekte. Staatsverschuldung ist also kein Problem, solange man mit den Schulden produktive Investitionsobjekte finanziert. Wird das Geld allerdings für Konsum ausgegeben, so muss man mit Schwierigkeiten bei der Tilgung rechnen.
  • Eine weitere Möglichkeit der Schuldentilgung – auch für Staaten – ist die Auflösung von Vermögen, allerdings um den Preis der schleichenden Auszehrung der Ressourcen.
  • Die Kreditwürdigkeit eines Landes wie eines Unternehmens – und damit seine Finanzierungskosten – hängt von der wirtschaftlichen Verfassung ab. Je höher die Verschuldung und je wahrscheinlicher die Gefahr eines Ausfalls ist, umso größer ist das Misstrauen der Kapitalmärkte und umso höher sind die Zinslasten.

Ein großer Unterschied besteht allerdings zwischen Staaten und Unternehmen: Staaten haben aufgrund ihrer Möglichkeit, die Inländer zu besteuern, nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Innenfinanzierung. Das bedeutet, dass sie formaljuristisch nicht insolvent werden können. Dies gilt allerdings nicht für die Außenverschuldung: Wenn ein Staat nicht die notwendige Wirtschaftsleistung aufbringt, um seine Außenstände im Ausland zu begleichen, so kann er im Außenverhältnis insolvent werden. Im Unterschied zu Unternehmen steht die Option einer Zerschlagung des Staates aber nicht zur Verfügung.

Ist der betreffende Staat Mitglied eines Staatenverbundes, verschärft sich dieses Problem, wenn die Staatengemeinschaft eine Insolvenz eines Mitgliedstaates nicht zulassen will. Das wirft das Problem des Bailout auf: Wenn ein Staat nicht zerschlagen werden kann, reduziert dies die Sanktionsmöglichkeiten bei fiskalisch unverantwortlichem Verhalten drastisch. Überlebensgarantien via Hilfeleistungen von dritter Seite bergen nicht nur massive Fehlanreize für den einzelnen Kandidaten, sie sind zugleich Anreiz für andere Staaten, sich ebenfalls auf ein Bailout zu verlassen – ein Mechanismus, der die Solidarität jeglicher Staatenverbünde sprengen muss.

Anforderungen an eine Insolvenzordnung

Eine Insolvenzordnung für Staaten muss einige grundsätzliche Anforderungen erfüllen:

  • Es kann bei einer Insolvenzordnung nur darum gehen, eine geordnete Ablösung der Staatsverschuldung nach festen, international akzeptierten Regeln zu ermöglichen, da eine Zerschlagung des Staates oder der Zugriff auf dessen Vermögenswerte völkerrechtlich ausgeschlossen ist.
  • Die Insolvenzordnung muss den betreffenden Staaten genügend Anreize zu finanzpolitischem Wohlverhalten geben; die Anreize zu unverantwortlicher Schuldenpolitik auf Kosten Dritter müssen minimiert werden.
  • Eine Insolvenzordnung für Staaten muss die Rückführung der Staatsausgaben vorsehen. Im politischen Prozess ist dies jedoch schwierig. Hier erscheint lediglich eine lineare (gleichmäßige) Ausgabenkürzung tragfähig, bei der jedes Ressort um den gleichen Prozentsatz zurückgefahren wird (sogenanntes „Rasenmäherprinzip“).
  • Da es hier um souveräne Staaten geht, dürfte die Idee eines Insolvenzverwalters, wie er in Unternehmen existiert, nur mit äußerster Vorsicht diskutiert werden: Eine Einmischung von außen wird von den Bürgern das Schuldenstaates vermutlich als Einmischung und Beschneidung der nationalen Souveränität und Identität angesehen, weswegen entsprechende Widerstände zu erwarten sind. Dies zeigt sich derzeit in Griechenland, wo die EU zunehmend zum Sündenbock für die aktuellen Sparmaßnahmen wird. Der Wille zur Sanierung muss von dem betreffenden Staat getragen werden. Auch hier könnte die lineare Ausgabenreduktion bis zum Budgetausgleich hilfreich sein.

Wann ist ein Staat insolvent?

Der nächste grundlegend zu klärende Sachverhalt, im Rahmen einer Insolvenzordnung für Staaten, ist die Feststellung einer Insolvenz. Im Unterschied zu einem Unternehmen allerdings lässt sich die Insolvenz eines Staates nicht ohne Weiteres feststellen. Sinnvoller wäre es hier, die Außenverschuldung als Maßstab heranzuziehen. Hier gibt es mehrere Ansatzpunkte, anhand derer man eine drohende Insolvenz eines Landes feststellen könnte:

  • Ein wichtiger Hinweis ist das Verhältnis der Exporterlöse zum Schuldendienst – solange die Wirtschaft des Landes in der Lage ist, die Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland mittels Exporten abzulösen, besteht nicht die Gefahr der Insolvenz.
  • Beachtung verdienen auch die Devisenreserven eines Landes in Relation zu den Devisenabflüssen, also die Fähigkeit eines Landes, Zahlungsbilanzdefizite zu finanzieren. Als Kennziffer könnte man beispielsweise die Relation zwischen Devisenreserven und täglichen Kapitalabflüssen verwenden.
  • Auch Indikatoren wie die Zinslast eines Landes in Relation zum Sozialprodukt, der Anteil der Zinszahlungen am Staatsbudget oder der Zinsabstand zu den Staatsanleihen anderer Länder können Anhaltspunkte für eine drohende Insolvenz sein.
  • Schwieriger zu beurteilen sind Kennzahlen, die auf die Verwendung der Staatsschuld abstellen: Wird diese für produktive Investitionen ausgegeben, so ist dies weniger problematisch als die Verwendung für Gegenwartskonsum. Theoretisch müsste man sich das Verhältnis von Staatsverschuldung zu staatlichen Nettoinvestitionen ansehen, was allerdings das Problem der Definition einer staatlichen Investition aufwirft – die leidigen Erfahrungen mit Artikel 115 Grundgesetz zeigen, dass dies keine triviale Aufgabe ist.2
  • Berücksichtigt man die Fähigkeit des Staates, sich über Steuern zu refinanzieren, so kann man nach der Wirtschaftskraft des Landes als Ganzes fragen – solange die heimische Wirtschaft produktiv genug ist, um den Schuldendienst zu begleichen, spielt es theoretisch keine Rolle, ob diese Wirtschaftsleistung vom Staat oder den Privaten erbracht wird – notfalls kann sich der Staat der privaten Wirtschaftsleistung via Steuern bemächtigen.

Letztlich kann aber nur der betreffende Staat selbst seine Insolvenz feststellen, es sei denn, er unterzeichnet eine bindende Vereinbarung über die Maßstäbe, nach denen eine Insolvenz von der internationalen Staatengemeinschaft festgestellt wird. Dazu wären Kriterien der oben beschriebenen Art nötig.

Im Insolvenzfall eines Unternehmens ist die Masse zu prüfen. Ist ausreichend Masse vorhanden, um die Gläubiger einigermaßen zu befriedigen, wird der Betrieb unter Führung des Insolvenzverwalters weitergeführt. Ist dies nicht der Fall, wird das Unternehmen geschlossen. Die Einsetzung eines Insolvenzverwalters zur Verwaltung eines demokratischen Gemeinwesens muss man allerdings aus politischen wie grundsätzlichen Überlegungen kritisch sehen: Zum einen werden die Bürger des Inlandes es kaum akzeptieren, wenn eine außenstehende Institution – der IWF, die EU oder ein Board der Gläubiger – die Führung eines Landes übernimmt; zum anderen ist es nicht vorstellbar, dass eine nicht demokratisch gewählte Institution einem Land vorsteht. Immerhin könnte man eine anreizkompatible Regelung dergestalt treffen, dass ein Land Neuwahlen ausschreiben muss, sobald es den Insolvenzfall feststellt. Allerdings kann diese Regelung auch zur Insolvenzverschleppung führen, weil die gewählten Politiker an der Macht hängen. Eine Neuwahl im Insolvenzfall wäre aber in jedem Fall mit der Verpflichtung zum Budgetausgleich zu verknüpfen.

Trotz der grundsätzlichen Einwände gegen einen Insolvenzverwalter wird es in irgendeiner Form notwendig sein, das Verhalten des insolventen Staates zu kontrollieren respektive zu lenken – dies geschieht de facto schon durch die Einflussnahme der EU-Kommission in Griechenland. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang derzeit auch, die Griechen komplett unter die Finanzaufsicht der EU zu stellen – politisch betrachtet keine einfache Lösung, denn bei offenen Grenzen im Binnenmarkt könnte es leicht zu einem Massenexodus aus Griechenland kommen, der an die Situation in Deutschland nach dem Fall der Mauer erinnert.

Aufgrund der Vernetzung im Binnenmarkt könnte es deswegen zweckmäßig sein, eine Insolvenzordnung für Staaten ähnlich zu konstruieren, wie es in Chapter 11 des American Bankruptcy Code vorgesehen ist. Die Grundphilosophie lautet, dass der Gesamtwert des Unternehmens größer ist als die Summe seiner Einzelteile, die bei Liquidation veräußerbar wären. Deshalb geht es im Insolvenzfall darum, das Unternehmen vor den Gläubigern zu schützen und seine Zerschlagung zu verhindern. Der Insolvenzverwalter erhält deshalb weitreichende Befugnisse zum Eingriff in bestehende Verträge und kann sogar bestehende rechtliche Verpflichtungen (etwa Kündigungsschutz oder Tariflöhne) umgehen, wenn es der Unternehmensfortführung dient. Gleichzeitig kann er Gläubiger zurückweisen und deren Forderungen sogar entwerten.

Eine zu Chapter 11 analoge Insolvenzregelung für Staaten hätte ihren Reiz für Politiker: Der Schutz vor den Gläubigern ist genau das, was angesichts der wachsenden Zinsbelastung erwünscht ist. Allerdings müsste auch geprüft werden, wer eine vergleichbare Aufgabe als Insolvenzverwalter von Staaten übernehmen könnte und mit welchen Befugnissen er auszustatten wäre. Ob die EU-Kommission diese Aufgabe glaubwürdig wahrnehmen könnte, muss angesichts der großen ordnungspolitischen Divergenzen innerhalb der EU bezweifelt werden.

Wer zahlt die Zeche?

Zudem stellt sich die Frage, wer die Folgekosten einer Insolvenz tragen soll. Hier kommen grundsätzlich drei Parteien in Frage: die Gläubiger, die Staatengemeinschaft oder aber die späteren Generationen.

Die Gläubiger im In- und Ausland können die Kosten der Insolvenz tragen, indem im Inland die Steuern erhöht werden. Die Option der Steuererhöhung hat den Vorteil, dass das Inland für die Kosten der Insolvenz gerade stehen muss, was anreizkompatibel ist. Allerdings sind Steuererhöhungen in Zeiten wirtschaftlicher Krisen ökonomisches und politisches Gift. Die aktuellen Streiks in Griechenland zeigen die Schwierigkeiten der inländischen Lösung. Grundsätzlich gilt jedoch, dass die Bereitschaft zur aktiven Problemlösung im Inneren Voraussetzung für ausländische Hilfestellung bleiben muss, um Moral-Hazard-Probleme zu vermeiden.

Es gibt aber auch die Möglichkeit, die Außenschulden zu entwerten. Die teilweise Streichung der Außenschulden hat den vermeintlichen Vorteil, dass man sich zu Lasten ausländischer Gläubiger entschuldet, allerdings um den Preis des Reputationsverlustes, was eine spätere Rückkehr an die internationalen Kapitalmärkte erschwert und teuer macht. Als nukleare Option wird darüber hinaus ein Austritt Griechenlands aus der Europäischen Union diskutiert, verbunden mit einer drastischen Abwertung der neuen Währung (Drachme II) und möglicherweise einer teilweisen Übernahme der griechischen Auslandsschulden durch die EU. Grundsätzlich müssen die ausländischen Gläubiger an den Kosten einer Insolvenz beteiligt werden, andernfalls wäre das die Einladung zu einer risikolosen Spekulation. Eine vollständige Garantie der ausländischen Gelder würde die Risikoprämien für verschuldete Länder zum Verschwinden bringen; die höheren Zinslasten würden dann auf Kosten derjenigen Institutionen oder Staaten gehen, die diese Garantie aussprechen. Damit schafft man ein Bailout, noch bevor der Staat Insolvenz anmeldet.

Letztlich darf die Hilfe der Staatengemeinschaft nur transitorischer Natur sein und muss dem betreffenden Staat hinreichend Kosten auferlegen, um dieses Bailout-Problem zu vermeiden. In diesem Zusammenhang kann man die Idee eines europäischen Hilfs-Fonds für insolvente Staaten diskutieren, der im Fall einer Zahlungsunfähigkeit einspringt. Wenn man die Beiträge zu diesem Fonds beispielsweise an der Nettoauslandsverschuldung orientiert, würde dies die Anreize zu einem Staatsbankrott bereits a priori reduzieren. Der Beitrag zu einem solchen Fonds würde wie eine Steuer auf Staatsverschuldung wirken, die sich mit den Externalitäten rechtfertigen lässt, die den anderen Staaten durch einen Staatsbankrott entstehen, wenn diese einspringen müssen.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass die späteren Generationen einen Teil der Kosten der Insolvenz in Form einer Umschuldung tragen. Grundsätzlich ist vertretbar, dass die zukünftigen Generationen einen Teil der Staatsverschuldung tragen, wenn mit der Verschuldung Objekte finanziert werden, von denen auch die späteren Generationen profitieren (intergenerative Lastenverteilung). Wird allerdings mit den Schulden Gegenwartskonsum finanziert, so zahlt die spätere Generation für die Sünden ihrer Elterngeneration. Mit Blick auf die Anreize und die Tatsache, dass ein Staatsbankrott eine akute Situation ist, bei der sofortige Erleichterung notwendig ist, muss man die Option der Beteiligung zukünftiger Generationen ernsthaft erwägen. Dabei ist zu hoffen, dass die gegenwärtige Generation des Inlandes auch Verantwortung gegenüber ihren Nachkommen zeigt. Allerdings mutet diese Idee paradox an: Man bekämpft hohe Staatsverschuldung mit Staatsverschuldung. Das macht deutlich, dass die Option, die Schulden eines insolventen Landes in die Zukunft zu verschieben, mit Vorsicht zu behandeln ist und sorgfältiger Rahmensetzung bedarf.

Ausblick

Die oben angestellten Überlegungen lassen sich zusammenfassen zu einer einfachen Rahmenordnung für staatliche Insolvenzen, eine Art Konkursordnung für souveräne Staaten:

  • Die Grundsätze einer geordneten Insolvenz müssen allgemein akzeptiert sein; jedes Land, das sich am Kapitalmarkt verschuldet, sollte sich zur Einhaltung dieser Regeln verpflichten. Dies dürfte der politisch schwierige Teil sein.
  • Mit Hilfe eines europäisch finanzierten Fonds kann man Staaten in Not beistehen; die Finanzierung des Fonds läuft über Beiträge, die sich nach dem Insolvenzrisiko der Staaten respektive ihrer Schuldenpolitik richten. Die Leistungen des Fonds sollte das Schuldnerland auf lange Frist zurückzahlen.
  • Zugleich müssen auch die privaten externen Gläubiger an den Kosten der Insolvenz beteiligt werden. Wer hochverzinsliche Anleihen maroder Staaten kauft, darf das Risiko der Anlage nicht sozialisieren.
  • Die Vergabe der Mittel sollte an Auflagen und ordnungspolitische Vorgaben gebunden sein, und im Fall der Regelbrechung müssen die Mittel zurückgefordert werden.

Die wissenschaftliche und politische Debatte über eine Insolvenzordnung für Staaten steht erst am Anfang, wird sich aber in den nächsten Monaten und Jahren intensivieren und schnell an politischer Relevanz gewinnen. Eine glaubwürdige Insolvenzordnung gibt verschuldeten Staaten die Chance zum Neuanfang und verhindert die Überwälzung der Altschulden. Liegen solche Insolvenzregeln nicht vor, wird es im Krisenfall zur unkonditionierten und unkoordinierten Rettung kommen, weil die Hektik des Tagesgeschehens die politische Agenda diktiert. Das muss verhindert werden, wenn die EU auch langfristig ihre Stabilität aufrecht erhalten soll.

  • 1 Vgl. beispielsweise Hanno Beck, Helmut Wienert: Anatomie der Weltwirtschaftskrise: Ursachen und Schuldige, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, Mai 2009, H. 20, S. 7 ff.
  • 2 Vgl. Dirk Wentzel: Zur Begrenzung der Staatsverschuldung nach dem Scheitern des Stabilitätspaktes, in: Wirtschaftsdienst, 85. Jg. (2005), H. 9, S. 605-612.


DOI: 10.1007/s10273-010-1051-3

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