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Immer neue und höhere Zahlen zur staatlichen Verschuldung Griechenlands haben in den zurückliegenden Monaten wachsende Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des griechischen Staates aufkommen lassen. Damit fiel die marktmäßige Finanzierung bei privaten Investoren zunehmend schwerer und die Risikoprämien stiegen. Heinz-Dieter Smeets hält eine Umschuldung Griechenlands für unausweichlich.

Den bisherigen Höhepunkt erreichte die griechische Risikoprämie, gemessen an der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen gegenüber der Rendite entsprechender deutscher Staatsanleihen am 28. April 2010 mit 9,63 Prozentpunkten. Einen Tag, nachdem die Ratingagentur Standard & Poor’s griechische Staatsanleihen auf das Ramschniveau BB+ herabgestuft hatte. Um einer Illiquidität aufgrund mangelnder privater Finanzierungsbereitschaft bzw. einer Verschuldungsexplosion durch immer höhere Risikoprämien zu entgehen, hat die griechische Regierung bereits am 23. April 2010 die übrigen Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion (EWU) sowie den Internationalen Währungsfonds (IWF) offiziell um Hilfe gebeten, die von beiden mittlerweile in Form von Krediten bis zu einer Höhe von insgesamt 110 Mrd. Euro bereitgestellt wurde. Im Weiteren soll untersucht werden, ob dieses Hilfspaket ausreicht, um Griechenland – zusammen mit eigenen Anstrengungen – dauerhaft zu sanieren. Den Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildet die staatliche Budgetrestriktion, die den Handlungsspielraum und die Handlungsalternativen für Staaten veranschaulicht.

Staatliche Budgetrestriktion

Die linke Seite der in Gleichung (1) dargestellten staatlichen Budgetrestriktion1 zeigt zunächst das Budgetdefizit oder den Budgetüberschuss. Die gesamten Staatsausgaben ergeben sich dabei aus den (Primär-)Ausgaben im engeren Sinne (GP) und den Zinszahlungen (z • B), die wiederum abhängen vom (durchschnittlichen) Zinssatz (z), zu dem sich der Staat in der Vergangenheit verschuldet hat, und dem Schuldenstand (B). Dem stehen die gesamten Einnahmen des Staates (T) gegenüber. Ergibt sich daraus ein positiver Saldo, d.h. ein Budgetdefizit, dann gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten zu dessen Finanzierung: Der Staat kann sich weiter (neu) am Kreditmarkt verschulden, indem er zusätzliche Staatsschuldpapiere ausgibt (Bˆ = dB / dt), oder er kann Kredite unmittelbar bei der Notenbank aufnehmen
(Mˆ = dM / dt), wodurch die Geldbasis ausgeweitet und längerfristig Inflation erzeugt wird. Diese Möglichkeit ist zwar in der Europäischen Währungsunion aus gutem Grund ausgeschlossen, im Moment wird jedoch von Seiten der Euro-Staaten überlegt, auch diese Finanzierungsquelle für Staatshilfen einzusetzen. Dies würde aber auf der einen Seite die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) erheblich unterlaufen und auf der anderen Seite gravierende Gefahren für die Preisniveaustabilität in der gesamten Eurozone heraufbeschwören. Das kann wohl kaum die adäquate Politik sein, um den (Binnen-)Wert des Euros – das Geld der Deutschen und der europäischen Bürger – zu sichern.


Die staatliche Budgetrestriktion in Form von Gleichung (1) hat jedoch – wie der Fall Griechenland zeigt – den Nachteil, dass Bˆ die Nettoneuverschuldung widerspiegelt, die sich aus dem gesamten Finanzierungsbedarf des Staates in einer Periode abzüglich der Tilgung ergibt. Dies impliziert aber auch, dass nur dann getilgt werden kann, wenn „durch Zufall“ Haushaltsüberschüsse entstehen. In der Realität stehen jedoch die Tilgungszeitpunkte und -beträge genau fest, so dass sich der Staat in jeder Periode einem bestimmten Liquiditätsbedarf gegenübersieht, den es auf den Finanzmärkten (aus privaten Quellen) zu decken gilt.

Dieser Liquiditätsbedarf entspricht der Bruttoneuverschuldung Bˆ Brutto, die in Gleichung (2) weiter erläutert wird. Sie macht deutlich, dass nun als weiterer expliziter Einflussfaktor die Tilgungsbeträge (Til) hinzukommen.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich – unter der Annahme, dass der betreffende Staat keine (weiteren) Kredite aufnimmt bzw. aufnehmen kann – die notwendige Primärüberschussquote (PÜQ) bezogen auf das nominale BIP aus der staatlichen Budgetrestriktion (2) wie folgt:

Die zuvor angestellten Überlegungen haben gezeigt, dass der Primärüberschuss und das Wirtschaftswachstum die entscheidenden Einflussfaktoren sind, um die Neuverschuldungs- und damit längerfristig auch die Schuldenstandsquote des Staates zu reduzieren. Der notwendige Primärüberschuss ist dabei nur durch eine Reduktion der Staatsausgaben (GP sinkt) oder einen Anstieg der Staatseinnahmen (T steigt) zu erzielen. Beide Möglichkeiten, das Primärungleichgewicht zu verbessern, implizieren daher erhebliche Belastungen für die Bevölkerung.

Im Gegensatz dazu ist ein Anstieg des Wirtschaftswachstums die „schmerzfreiere“ Alternative. Gerade im Falle Griechenlands erscheint dieser Weg aber eher unwahrscheinlich. Zum einen legen Untersuchungen nahe, dass das Wirtschaftswachstum nach einer so gravierenden Finanzkrise, wie der gerade erlebten, deutlich länger hinter dem ursprünglichen Wachstumspfad zurückbleiben wird.2 Zum anderen wird auch das griechische Sparprogramm selbst zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums führen. So wurden die Prognosen für das reale Wirtschaftswachstum Griechenlands für 2010 mittlerweile auf -4,0% und für 2011 auf immer noch -2,6% herabgesetzt.3

Finanzierungsbedarf und Tragfähigkeit

Den Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen bildet zunächst der in Tabelle 1 zusammengestellte Finanzierungsbedarf (FB) Griechenlands für die Jahre 2010 bis 2012. Während dieses Zeitraums stehen internationale Kredite in Höhe von 110 Mrd. Euro einem Gesamtfinanzierungsbedarf4 von – unter günstigen Umständen – 150 Mrd. Euro gegenüber. Die Differenz von mindestens 40 Mrd. Euro muss also bereits während der nächsten zwei Jahre von privater Seite finanziert werden. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass die Akteure an den Finanzmärkten die im Weiteren eher noch verschärfte Situation – angesichts einer zunehmenden Sensibilität für die Probleme – positiver einschätzen werden als gegenwärtig und damit eine private (Zwischen-)Finanzierung zu – aus griechischer Sicht – angemessenen Zinskosten möglich sein wird.

Tabelle 1
Finanzierungsbedarf und Primärüberschussquoten
Jahr Tilgung Zinsen Tilg. int. Kredite PU FB kum. FB PÜQ PÜQ-z
 
in Mrd. Euro
in %
2010 28,25 15,00 0,00 9,00 52,25 52,25    
2011 23,04 16,00 0,00 4,00 43,04 95,29    
2012 37,40 17,00 0,00 0,00 54,40 149,69    
2013 20,80 18,00 0,00   38,80 188,49 15,8 7,3
2014 30,90 18,50 0,00   49,40 237,89 19,5 7,3
2015 17,60 18,00 0,00   35,60 273,49 13,6 6,9
2016 7,80 17,50 55,00   80,30 353,79 29,9 6,5
2017 16,40 17,00 55,00   88,40 442,19 31,9 6,1

Til. int. Kredite = Tilgung internationaler Kredite; PU = Primärungleichgewicht ( + = Primärdefizit); kum. FB = kumulierter Finanzierungsbedarf.

Im unteren Teil der Tabelle 1 wird hingegen diejenige PÜQ ermittelt, die notwendig wäre, um den Finanzierungsbedarf der jeweiligen Periode aus eigener Kraft – also ohne private Kreditaufnahme an den Finanzmärkten – zu decken [siehe Gleichungen (3) und (4)]. Die Annahme, dass Griechenland (spätestens) ab 2013 – ebenso wie gegenwärtig – keine privaten Kredite zu aus griechischer Sicht angemessenen Zinskosten erhält, erscheint dabei angesichts der Verschuldungssituation nicht unrealistisch. Wenn die Euro-Zone einschließlich der EZB und des IWF nicht immer weitere Finanzmittel bereitstellen, müsste Griechenland also selbst entsprechende Primärüberschüsse im Staatshaushalt gewährleisten.

Die in Tabelle 1 erläuterte Verschuldungssituation zeigt, dass sich Griechenland ab 2013 in einer ähnlich prekären Situation befinden wird wie gegenwärtig. Muss Griechenland seinen Schuldendienst aus eigener Kraft aufbringen, so bedarf es Primärüberschussquoten5 in Höhe von etwa 15%. Sind auch die nun gewährten internationalen Kredite in Höhe von 110 Mrd. Euro bis 2017 zu tilgen,6 dann würden sich die notwendigen Primärüberschussquoten auf etwa 30% erhöhen – Anforderungen, die der griechische Staat nie erfüllen könnte. Selbst wenn Griechenland „nur“ seine Zinszahlungen aus eigener Kraft finanzieren wollte, wären Primärüberschussquoten (PÜQ-z) von etwa 7% notwendig. Die Finanzierungssituation in den kommenden Jahren wird daher in keiner Weise dazu beitragen, das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des griechischen Staates zu verbessern – ganz im Gegenteil. Damit werden aber auch die Risikoprämien nicht etwa sinken, sondern in den nächsten Jahren eher noch steigen, so dass Griechenland nicht mehr in der Lage oder – aufgrund der Zinshöhe – bereit sein wird, seine Schulden am Markt zu finanzieren.

Tabelle 1 zeigt ferner, dass sich der Gesamtfinanzierungsbedarf Griechenlands bis 2015 – ohne die Rückzahlung der internationalen Kredite – auf etwa 270 Mrd. Euro7 und bis 2017 auf 330 Mrd. Euro beläuft. Kommt es ab 2013 zu (andauernden) Primärüberschüssen, müssten sie von diesen Gesamtsummen abgezogen werden. Sollen während dieser Zeit auch die internationalen Kredite getilgt werden, erhöht sich der Finanzierungsbedarf nochmals um 110 Mrd. Euro. Hinzu kommt, dass während dieser Zeit die Nettoneuverschuldung, damit auch die Schuldenstandsquote sowie die Zinszahlungen immer weiter ansteigen und damit ein verheerendes Signal an die Finanzmärkte gesendet wird.

Kann Griechenland diese Probleme zunächst weiter umgehen, indem es während dieser Zeit auf den neu gebildeten Rettungsfonds in Höhe von 750 Mrd. Euro zurückgreift, würden die Probleme aber nicht aufgehoben, sondern nur in die Zukunft aufgeschoben – wenn denn mit einer Rückzahlung ernsthaft gerechnet wird. Die Möglichkeit einer Inanspruchnahme von internationalen staatlichen Krediten durch Griechenland über einen längeren Zeitraum – etwa bis 2020 – hätte ferner zur Folge, dass die heute bestehenden (privaten) Bankkredite durch Tilgung oder Verkauf an die EZB weitgehend in internationale staatliche Kredite umgewandelt würden, für die letztlich der Steuerzahler bürgt. Kein Wunder, dass Bankaktien als Folge der Einrichtung des Rettungsfonds am 10. Mai stark im Wert stiegen.

Halbwegs realistische Primärüberschussquoten lassen sich für die kommenden Jahre nur dann erreichen, wenn man sowohl die reguläre Tilgung auf die privaten Altschulden als auch die Tilgung der internationalen Kredite in die Zukunft verschiebt. Ein solches Szenario zeigt Tabelle 2, in der die Entwicklung ab 2013 erläutert wird. Die dann fälligen regulären Tilgungszahlungen werden erst ab 2020 geleistet. Die Tilgung der internationalen Kredite wird auf sechs Jahre gestreckt und beginnt erst 2027. Ferner werden die Zinszahlungen ab 2013 zunächst mit 18 Mrd. Euro angenommen, die jedoch mit einsetzender Tilgung sinken. Dies impliziert, dass die Umschuldung zu einem unveränderten Zinssatz erfolgt. Die daraus resultierende Primärüberschussquote wird zum einen unter der Annahme einer jährlichen nominalen Wachstumsrate von 3% (PÜQ1) und zum anderen unter der Annahme einer Wachstumsrate von 5% (PÜQ2) berechnet. Insbesondere bei niedrigen Wachstumsraten ergeben sich nach Tabelle 2 Primärüberschussquoten (PÜQ1), die unerreichbar erscheinen. Und selbst bei Wachstumsraten von 5% (PÜQ2) führt die oben beschriebene Umschuldung immer noch zu erheblichen verbleibenden Belastungen.

Tabelle 2
Umschuldungsszenario
Jahr Tilgung Umschul­dung 1 Umschul­dung 2 Zinsen FB PÜQ1 PÜQ2
  in Mrd. Euro in %
2010 28,25            
2011 23,04            
2012 37,40            
2013 20,80     18,0 18,0 7,3 6,9
2014 30,90     18,0 18,0 7,1 6,6
2015 17,60     18,0 18,0 6,9 6,3
2016 7,80     18,0 18,0 6,7 6,0
2017 16,40     18,0 18,0 6,5 5,7
2018 7,70     18,0 18,0 6,3 5,4
2019 23,70     18,0 18,0 6,1 5,2
2020 5,00 20,8   18,0 38,8 12,8 10,6
2021 0,00 30,9   17,0 47,9 15,4 12,4
2022 8,50 17,6   16,0 33,6 10,5 8,3
2023 0,00 7,8   16,0 23,8 7,2 5,6
2024 10,50 16,4   15,0 31,4 9,2 7,0
2025 7,20 7,7   15,0 22,7 6,5 4,9
2026 7,00 23,7   14,0 37,7 10,4 7,7
2027 0,00 5,0 18,3 13,0 36,3 9,8 7,0
2028 0,00 0,0 18,3 12,0 30,3 7,9 5,6
2029 0,00 8,5 18,3 11,0 37,8 9,6 6,6
2030 11,00 0,0 18,3 10,0 28,3 7,0 4,7
2031 0,00 10,5 18,3 9,0 37,8 9,0 6,0
2032 0,00 7,2 18,3 8,0 33,5 7,8 5,1

Umschuldung 1: Reguläre Kredite. Umschuldung 2: Internationale Kredite.

Insolvenz des griechischen Staates

Liegt jedoch eine Insolvenz des griechischen Staates vor, so ist ein Schuldenerlass notwendig mit der Folge, dass die ausstehende Staatsschuld endgültig nicht (vollständig) bedient wird und die Gläubiger entsprechende Verluste erleiden. Im angelsächsischen Sprachraum nennt man dies einen „haircut“. Ein Schuldenerlass kann entweder durch einen Forderungsverzicht der Gläubiger gewährt werden oder durch einen Schuldenrückkauf durch die Schuldnerländer zu Sekundärpreisen. Im Zusammenhang mit den Schuldenkrisen der 1980er Jahre hat sich ein Sekundärmarkt für Bankforderungen an Schuldnerländer gebildet, auf dem entsprechende Schuldtitel mit einem Abschlag gehandelt werden. Insbesondere ein Forderungsverzicht ist dabei mit erheblichen Moral-hazard-Problemen verbunden – signalisiert man doch auf diese Weise nicht nur dem betroffenen Land selbst, sondern auch allen anderen schlechten Schuldnern, dass fiskalische Disziplinlosigkeit auf diese Weise noch belohnt wird.

Auch für diesen Fall soll hier ein entsprechendes Szenario vorgestellt werden, das eine Kombination aus der zuvor angenommenen Umschuldung und einem 50%igen Erlass8 aller Schulden – einschließlich der internationalen, aber ohne die Schulden beim IWF – darstellt. In diesem Fall vermindern sich bei unverändertem (Durchschnitts-)Zinssatz zunächst auch die Zinszahlungen und nehmen mit Einsetzen der Tilgung weiter ab. Selbst bei dieser weitreichenden „Lösung“ bedarf es aber immer noch – wie Tabelle 3 zeigt – erheblicher Sparanstrengungen, um die notwendigen Primärüberschussquoten zu erreichen.

Tabelle 3
Umschuldung und Erlass
Jahr Tilgung Erlass 1 Erlass 2 Zinsen FB PÜQ1 PÜQ2
  in Mrd. Euro in %
2010 28,25            
2011 23,04            
2012 37,40            
2013 20,80     10,0 10,00 4,1 3,8
2014 30,90     10,0 10,00 3,9 3,7
2015 17,60     10,0 10,00 3,8 3,5
2016 7,80     10,0 10,00 3,7 3,3
2017 16,40     10,0 10,00 3,6 3,2
2018 7,70     10,0 10,00 3,5 3,0
2019 23,70     10,0 10,00 3,4 2,9
2020 5,00 10,4   10,0 20,40 6,7 5,6
2021 0,00 15,5   9,5 24,95 8,0 6,5
2022 8,50 8,8   9,0 17,80 5,5 4,4
2023 0,00 3,9   9,0 12,90 3,9 3,0
2024 10,50 8,2   8,5 16,70 4,9 3,7
2025 7,20 3,9   8,5 12,35 3,5 2,6
2026 7,00 11,9   8,0 19,85 5,5 4,0
2027 0,00 2,5 12,0 7,5 22,00 5,9 4,3
2028 0,00 0,0 12,0 7,0 19,00 5,0 3,5
2029 0,00 4,3 12,0 6,5 22,75 5,8 4,0
2030 11,00 0,0 12,0 6,0 18,00 4,4 3,0
2031 0,00 5,3 12,0 5,5 22,75 5,4 3,6
2032 0,00 3,6 12,0 5,0 20,60 4,8 3,1

Erlass 1: Auf reguläre Kredite. Erlass 2: Auf internationale Kredite.

Vor diesem Hintergrund erscheint ein Schuldenerlass als der einzige, nachhaltig gangbare Weg im Falle Griechenlands. Es bleibt nur noch die Frage, wie hoch die Abschläge sein müssen und wer die Verluste letztlich trägt – die Gläubiger, insbesondere in Form der Banken, oder der (europäische) Steuerzahler? Die Antwort auf diese Frage hängt – wie vorher bereits gezeigt wurde – insbesondere davon ab, wie lange und in welchem Umfang es Griechenland möglich sein wird, durch immer neue Rettungsfonds Bankschulden zu tilgen und dadurch neue internationale Schulden zu begründen. Hier sollte man jedoch beherzigen, dass ein Ende mit Schrecken besser ist als ein Schrecken ohne Ende!

„Geordnetes“ Insolvenzverfahren für Staaten

Gegen die zuvor vorgeschlagene Lösung wird häufig eingewandt, dass sie nur mit Hilfe eines „geordneten“ Insolvenzverfahrens für Staaten durchführbar sei. Ein solches Verfahren könnte den Vorteil besitzen, dass alle Beteiligten einen angemessen Anteil an den entstehenden Lasten übernehmen und damit die Akzeptanz steigt oder überhaupt zustande kommt. Das Fehlen eines solchen formalen Insolvenzverfahrens für Staaten schließt aber die oben unterbreitete Lösung nicht grundsätzlich aus. Eine Einigung unter dem Dach von IWF, EZB und EU ließe sich sicherlich – wenn der politische Wille vorhanden ist – ebenso realisieren, wie die bisher beschlossenen Hilfsprogramme. Umschuldung und Schuldenerlass hätten jedoch den Vorteil, dass es zu einer abschließenden Lösung für Griechenland käme, mit der auch die Märkte beruhigt werden könnten.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Risikoprämien für Länder in ähnlicher Situation sinken würden – ganz im Gegenteil. Eine Insolvenz Griechenlands zeigt ja gerade, dass Verluste der Gläubiger möglich sind und entsprechender Vorsorge in Form von Risikoprämien bedürfen. Dieses Problem wird man nur dadurch umgehen können, dass – von Seiten der EU – (dauerhaft) Kredite zu einem Zins unter den Marktzinsen für diese Länder bereitgestellt werden. Auch der Verweis auf die von Verlusten betroffenen deutschen und griechischen Banken und eine mögliche zweite Bankkrise ist zwar zutreffend, löst das Problem aber nicht, sondern schiebt es nur hinaus. Eine direkte Unterstützung der Banken im Rahmen einer griechischen Insolvenz wäre wohl insgesamt billiger, weil dann nicht der gesamte Schuldendienst zu finanzieren wäre, als den Konkurs von immer mehr Ländern durch immer mehr Kredite immer länger zu verschleppen.

Ausblick

Die Insolvenz eines Staates kann aber immer nur die „ultima ratio“ bedeuten, die es mit allen Mitteln zu vermeiden gilt. In der Zukunft sollten die Akteure daher präventiv agieren und auf einen gestärkten Stabilitäts- und Wachstumspakt9 (SWP) setzen und nicht etwa auf einen Europäischen Währungsfonds10 (EWF). Der SWP, wenn er denn entsprechend ausgestaltet wird, hat den Vorteil, dass er auf eine frühzeitige Umkehr bzw. auf eine Vermeidung größerer Ungleichgewichte ausgelegt ist. Sein Ziel ist folglich, entsprechende Anpassungsprozesse zu erzwingen. Dieses Droh- und Druckpotenzial kann aber nur dann wirken, wenn entsprechende Strafen automatisch mit der Überschreitung der Grenzwerte verhängt werden. Wenn man dies bei der Finanzierung eines EWF bereit ist durchzusetzen, warum dann nicht beim SWP? Ohne einen entsprechenden Automatismus wäre auch die Finanzierung des EWF nicht gesichert.

Der EWF hat im Gegensatz zum SWP den eindeutigen Nachteil, dass er in erster Linie auf die Finanzierung der Ungleichgewichte abzielt und nur in zweiter Linie – in Form der Konditionen der Kreditvergabe – auf eine Anpassung. Dann wird das betroffene Land aber in aller Regel bereits ein hohes Budgetdefizit aufweisen. Eine Umkehr fällt entsprechend schwer. Ziel muss es daher sein – über einen gestärkten SWP – frühzeitig und insbesondere automatisch auf übermäßige Ungleichgewichte zu reagieren. Der Anpassung – insbesondere des Schuldenstandes – könnte dabei ein stärkerer Nachdruck verliehen werden, wenn sich die Strafbemessung im SWP an der Finanzierungsformel von Gros und Mayer11 orientieren würde.

  • 1 Vgl. zur staatlichen Budgetrestriktion etwa P. De Grauwe: Economics of Monetary Union, Oxford 2005, S. 222 ff.
  • 2 G. J. Koopman, P. S. Istvan: The financial crisis and potential growth – Policy challenges for Europe, ECFIN Economic Brief, Issue 3, Brüssel 2009, http://ec.europa.eu/economy_finance/ publications.
  • 3 Vgl. IMF: Country Report No. 10/110. Greece – Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, Washington, Mai 2010, S. 9.
  • 4 Der Gesamtfinanzierungsbedarf wurde vor dem Hintergrund von Gleichung (2) ermittelt. Die Tilgungsbeträge beruhen auf Angaben des griechischen Finanzministeriums, Ministry of Finance – General Accounting Office: Government Securities Auctions – Historical Data, Athen 2010. Die Zinszahlungen und das erwartete Primärungleichgewicht wurden dem griechischen Stabilitätsprogramm entnommen und an die aktuelle Entwicklung angepasst, Ministry of Finance: Update of the Hellenic Stability and Growth Programme, Athen 2010. Es wurde davon ausgegangen, dass sich das Primärdefizit – entsprechend der griechischen Planung – 2010 auf 4%, 2011 auf 2% reduziert und 2012 ein Primärausgleich zustande kommt.
  • 5 Bei der Ermittlung der Primärüberschussquote wurde davon ausgegangen, dass das nominale Wirtschaftswachstum ab 2013 in jedem Jahr um 3% steigt. Dieser Wert kann auch als ein Durchschnittswert interpretiert werden.
  • 6 Es ist vorgesehen, dass die internationalen Kredite in der Zeit von 2010 bis 2012 abgerufen werden. Nach einer tilgungsfreien Phase von drei Jahren erfolgt dann die Rückzahlung – in vierteljährlichen Raten – innerhalb von zwei Jahren (2016 und 2017).
  • 7 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Ratingagentur Standard & Poor’s. Vgl. Georg Winters: Jetzt wird gegen Spanien spekuliert, in: Rheinische Post vom 5. Mai 2010, S. B1.
  • 8 Eine ähnliche Einschätzung nimmt auch Standard & Poor’s vor. Das sogenannte Recovery-Rating wird mit „4“ angegeben. Sollten griechische Kredite ausfallen, ist demnach mit einem Haircut für die Gläubiger zwischen 50 und 70% zu rechnen.
  • 9 Vgl. hierzu ausführlich H.-D. Smeets, J. Thieme: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt – Lästiges Übel oder notwendige Schranke?, in: Jahrbuch der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2004, Düsseldorf 2005, S. 325-339, und die dort angegebene Literatur, sowie Deutsche Bundesbank: Die Änderungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, Monatsbericht April, Frankfurt/Main 2005, S. 15-21.
  • 10 Vgl. zu diesem Vorschlag etwa D. Gros, T. Mayer: How to deal with sovereign default in Europe – Towards a Euro(pean) Monetary Fund, CEPS Policy Brief, Nr. 202, Brüssel 2010.
  • 11 Vgl. D. Gros, T. Mayer, a.a.O., S. 2.

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DOI: 10.1007/s10273-010-1073-x