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„Ängste“, „Sorgen“, „Befürchtungen“ vor dem „Tag der Wahrheit“ kennzeichneten weite Teile der deutschen (und europäischen) Bankenszene vor dem 23. Juli, an dem die Ergebnisse der vom Committee of European Banking Supervisors (CEBS) durchgeführten Stresstests für die 91 größten Banken der EU veröffentlicht wurden. Und noch bevor die Resultate auf dem Tisch lagen, wurden sowohl Banken als auch ihre Aufseher nicht müde, auf die „begrenzte Aussagekraft“ der Tests hinzuweisen, vor möglichen „Überreaktionen“ zu warnen und staatliche Maßnahmen für den Fall der „Verunsicherung der Märkte“ einzufordern. Wie ausgewechselt schienen die Beteiligten nach der Veröffentlichung der Ergebnisse. Die „sehr harten“ Tests seien „deutliche, belastbare Belege“ dafür, dass sich die deutsche Kreditwirtschaft „in bester Verfassung“ befinde. „Stabil, krisenresistent, robust, widerstandsfähig, den Herausforderungen der Zukunft gewachsen“ – all dies sind Adjektive, mit denen der Zustand der Banken hierzulande von deren Management, von Notenbankern und Regulatoren umschrieben wurde. Allerdings habe man dies auch vorher schon gewusst, so Jochen Sanio, als BaFin-Präsident oberster deutscher Bankenaufseher, demzufolge man diesen Stresstest „zur Verbesserung der eigenen Erkenntnisfähigkeit nicht gebraucht“ habe.

Also „Viel Lärm um nichts“? In Shakespeares Drama fällt es dem Zuschauer schwer, Schein und Sein auseinander zu halten. Sind die Finanzmärkte in einer ähnlichen Situation oder auf der Basis der Testresultate besser informiert als zuvor? Waren die Tests realistisch genug – und vor allem: sollen sie wiederholt und auch in Zukunft veröffentlicht werden? Kurz zur Vorgeschichte: Eigentlich sollten im Rahmen des Stresstests nur 25 europäische Großbanken auf ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber einer starken Rezession untersucht und lediglich ein pauschales Gesamturteil veröffentlicht werden. Doch dann drängte die spanische Regierung ihre EU-Partner Mitte Juni dazu, den Kreis der Kreditinstitute deutlich weiter zu ziehen und die individuellen Testergebnisse der Banken zu veröffentlichen. Hiervon versprach man sich eine Beruhigung der Märkte, auf denen angesichts der schweren Immobilienkrise in Spanien Befürchtungen hinsichtlich möglicher Insolvenzen im dortigen Sparkassensektor bestanden. Trotz der großen Vorbehalte insbesondere in Deutschland und Frankreich gegen diese neuartige Form der Transparenz musste das CEBS nach einem Beschluss der EU-Staats- und -Regierungschefs vom 17. Juni unter Hochdruck die Parameter für einen trotz zahlreicher nationaler Besonderheiten vergleichbaren Stresstest festlegen – und die betreffenden Kreditinstitute mussten in einem extrem engen Zeitfenster die entsprechenden Daten zusammentragen.

Die von den Banken durchzuspielenden (der Öffentlichkeit jedoch bis kurz vor der Veröffentlichung der Ergebnisse nicht kommunizierten) Zukunftsbilder sahen so aus: Das „Benchmark-Szenario“ basierte auf den Frühjahrsprognosen der EU-Kommission für 2010 und 2011, in denen für den Euroraum BIP-Wachstumsraten von 0,7% bzw. 1,5% unterstellt wurden. Für Deutschland sah das Szenario Zuwächse von 1,2% sowie 1,7% und Arbeitslosenquoten von 9,2% bzw. 9,3% vor. In einem ersten „Stress-Szenario“ sollte sich die Konjunktur 2010 und 2011 gegenüber der Benchmark um 3,0 und in Deutschland um 3,3 Prozentpunkte abkühlen. Hierzulande sollte zudem von einer Arbeitslosenquote von 9,7% und einem Rückgang der Immobilienpreise um ein Zehntel ausgegangen werden. Weiterhin waren ein Anstieg des Zinssatzes bei gleichzeitiger Verflachung der Zinsstrukturkurve sowie bei Verbriefungen eine Verschlechterung um vier Kreditqualitätsstufen zu unterstellen. In einem „ergänzenden Stress-Szenario“ sollten schließlich auch die Auswirkungen eines Anstiegs der Risikoprämien für europäische Staatsanleihen im Handelsbuch der Banken eingefangen werden. Die zu simulierenden Spread-Ausweitungen gingen noch über die Anfang Mai zu beobachtenden, erheblichen Anstiege hinaus, woraus sich etwa für griechische Staatsanleihen mit fünfjähriger Laufzeit bis Ende 2011 Wertabschläge („haircuts“) von über 23%, sogar bei fünfjährigen Bundesanleihen von bald 5% ergaben. Im Ergebnis fielen lediglich 7 der 91 Kreditinstitute (die etwa 65% der gesamten Bankvermögensbestände in der EU auf sich vereinigen) durch den Test, da sie in den Stress-Szenarien die von dem CEBS auf 6% gesetzte Kernkapitalquote unterschritten: fünf kleinere spanische Sparkassen, die griechische Atebank sowie die Hypo Real Estate. Bei Letzterer war schon zuvor ein weiterer durch den Staat zu deckender Kapitalbedarf bekannt geworden. Weiterhin lagen in Deutschland die Postbank sowie die NordLB nur knapp über der Bestehensschwelle. Insgesamt wurde für die beteiligten Banken im Stressfall ein zusätzlicher Kapitalbedarf von 3,5 Mrd. Euro ermittelt; hätte die Mindestkernkapitalquote bei 8% gelegen (wie international durchaus diskutiert), wären es bei 31 „Durchfallern“ in der EU 27 Mrd. Euro gewesen.

Sicher: Die mehrfache Veränderung der Szenarien (so merken es Banken an) und die Intransparenz für die Öffentlichkeit während der Testphase mag man ebenso kritisieren wie die letztlich gewählten Stress-Parameter. Tatsächlich ist das simulierte konjunkturelle Abwärtsszenario nicht so drastisch wie der 2009 in Deutschland erlebte Einbruch des BIP um 5% oder der im letztjährigen US-Stresstest unterstellte Konjunkturrückgang. Und man mag sich auch fragen, warum Wertverluste bei Papieren des ja noch viel gewichtigeren Anlagebuchs der Banken ebenso wie die für die Krise gerade typischen Liquiditätsbelastungen ausgeklammert wurden. Schließlich erscheint die 6%-Bestehensgrenze beliebig, zumal die Qualität/Struktur des Eigenkapitals nicht hinterfragt wurde. Andererseits: Trotz all dieser Einwände haben die Märkte doch einen zuvor in diesem Detailgrad nicht verfügbaren Einblick in die Risikoposition der Banken bekommen. Aufgeschlüsselt nach Emittentenstaaten können jetzt etwa die Anleiheexposures der Kreditinstitute (im Handelsbuch) miteinander verglichen werden. Ebenso lässt sich z.B. durch die anzugebenden zweijährigen Verlustquoten für Kreditforderungen an Unternehmen sowie im Retailbereich erkennen, welche Bank besonders sensibel gegenüber einer Rezession ist. Dass diese weiter als bisher gehende Transparenz auch tatsächlich honoriert wird, zeigen sowohl die nach der Veröffentlichung zu beobachtenden Spread-Einengungen bei CDS (Credit Default Swaps) auf Banken als auch die positiven Reaktionen des Aktienmarktes: Der Stoxx-Branchenindex entwickelte sich besser als der Stoxx 600, am stärksten stiegen die Kurse von Bankaktien aus den Ländern, die besonders gut abgeschnitten hatten, wie Frankreich und Großbritannien. Insofern dokumentierte der Markt auch seine Differenzierungsfähigkeit.

Und wie geht es weiter? Der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Franz-Christoph Zeitler, sieht die Veröffentlichung von Stresstests als „einmalige Ausnahme“, da der „Vertrauenseffekt bei einer Dauereinrichtung Schaden“ nähme. Mit Verlaub: Faktisch besteht keine Wahl mehr mit Blick auf das „Ob“ der Veröffentlichung. Die Märkte und vor allem die Ratingagenturen werden gerade angesichts des in den nächsten Monaten zu bewältigenden, enormen Refinanzierungsbedarfs der Kreditinstitute aufgrund auslaufender Anleihen nicht hinter das gewonnene Informationsniveau zurückfallen wollen. Und wollte man nicht eigentlich mit der dritten Säule von Basel II „Marktdisziplinierung“ ermöglichen? Gerade dafür brauchen die Märkte aber detaillierte Informationen über die Risiken der Banken auch in Stressfällen! Auch wenn es derzeit nicht en vogue ist: Statt wie in den letzten drei Jahren international in erster Linie über höhere Eigenkapitalquoten, antizyklische Kapitalpuffer, Leverage Ratios u.Ä. nachzudenken, ist zu überlegen, wie man die Publizität der Institute weiterentwickeln kann. Was spräche dagegen, dass Banken einen Teil des Sets unterschiedlicher Szenarien veröffentlichen, die sie in ihrer Planung ja (hoffentlich) bereits durchspielen. Die Märkte könnten sich dann selbst ein Urteil über die Realitätsnähe der gewählten Annahmen und die Stressresistenz der jeweiligen Bank bilden. Hierfür müssten gerade diejenigen Kreditinstitute plädieren, die sich jetzt gegen „willkürliche“ Parameter in den Stresstests gewandt haben. Läge hier also der Ausgangspunkt für eine dringend notwendige Umkehr in der Regulierungsdiskussion, dann wäre diese Runde der Stresstests viel mehr als „Viel Lärm um Nichts“.

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DOI: 10.1007/s10273-010-1105-6