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In der Debatte um eine Neuordnung der Finanzverfassung kommt der vertikalen Finanzverteilung eine weitaus größere Rolle zu als der horizontalen Verteilung. In Hinblick auf die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020 plädiert die Thüringer Ministerin Walsmann für ein transparentes Verfahren zur Ermittlung der notwendigen Ausgaben von Bund und Ländern, das auch mit einer Aufgabenkritik verbunden werden könnte.

Die Zeit des Optimismus der Jahre 2007 und 2008 ist längst verflogen, und man besinnt sich eher wieder auf den Umstand, dass die Länder seit 1990 in keinem Jahr in ihrer Gesamtheit einen positiven Finanzierungssaldo erwirtschaften konnten. 2009 und 2010 hatten die Länder ein katastrophales Finanzierungsdefizit von jeweils mehr als 20 Mrd. Euro zu schultern, hinzu kamen die Garantiepflichten, die sie in Folge der Finanzkrise zu übernehmen hatten. Die Länderebene ist nicht nur seit jeher strukturell unterfinanziert, sie hat zusätzlich das einstmals stabile finanzwirtschaftliche Umfeld verloren. Aus eigener Kraft können die Länder dieses Problem nicht lösen. Anders als der Bund, der einen hoch disponiblen Programmhaushalt steuert, müssen die Länder Leistungshaushalte mit einem hohen Anteil fixer Kosten darstellen. Namentlich die personalintensiven Leistungsangebote (Lehrer, Polizisten, Steuerbeamte) erfordern Verlässlichkeit. Die Forderung nach ausgabeseitiger Entlastung ist schnell erhoben und sehr schwer zu konkretisieren. Zwar gibt es für die Länder durchaus die Möglichkeit, eigene Konsolidierungspotentiale zu erschließen. Allerdings wird die Konsolidierung nicht zuletzt durch Mehrbelastungen über die diversen Mischfinanzierungen durch den Bund immer wieder konterkariert.

Auch einnahmeseitig haben die Länder kaum Handlungsspielraum, sie sind weitgehend an die Bundesgesetzgebung gebunden. Die letzte große Ländersteuer, die Kraftfahrzeugsteuer, ging 2009 an den Bund über. Und mit der neuen Schuldenregel schwindet auch der letztverbliebene Handlungsspielraum zugunsten eines grundlegenden Paradigmenwechsels: Mit der Verfassungsänderung 2009 ist die Aufnahme neuer Schulden grundsätzlich nicht mehr zulässig. Für die Länder gilt es, in den kommenden Jahren die Neuverschuldung schrittweise zurückzuführen und sich damit auf das Jahr 2020 vorzubereiten.

Das Dilemma ist offenkundig: Weder über die Einnahmeseite noch über die Ausgabenseite haben die Länder ausreichend Gestaltungsmöglichkeiten, ihre Haushalte umfassend zu konsolidieren, während gleichzeitig der Druck auf die Länderhaushalte von allen Seiten zunimmt. Ein heftiger politischer Verteilungsstreit ist damit programmiert, in dessen Fokus der bundesstaatliche Finanzausgleich als zentrales Verteilungsinstrument der Einnahmen auf die einzelnen Gebietskörperschaften rücken dürfte. Doch die Länder sollten den Turnierplatz für gegenseitiges Kräftemessen mit Bedacht und Klugheit wählen.

Bedeutung des Bund-Länder-Verhältnisses

Es wird leicht übersehen, dass der bundesstaatliche Finanzausgleich nur einen Teil der Finanzströme im Bundesstaat abbildet. Neben dem bundesstaatlichen Finanzausgleich existieren zahlreiche „Neben-Finanzausgleiche“ zwischen Bund und Ländern, die nach innerer Begründung und Verteilungswirkung durchaus auf Vernunft und Ausgewogenheit hinterfragt werden müssen. Die Spanne reicht dabei von anteiligen Sozialausgaben des Bundes, diversen Förderungsinstrumenten über Steuervergünstigungen bis hin zu Finanzhilfen oder Ausgaben in Folge von Standortentscheidungen für Bundeseinrichtungen oder institutionell geförderten (Forschungs-)Einrichtungen in privater Trägerschaft. So profitieren bei einzelnen Finanzströmen einmal diese und einmal jene Länder oder Ländergruppen.

Wer sich im Länderkreis auf das Streitthema Länderfinanzausgleich beschränkt, greift deshalb viel zu kurz. Nur zum Vergleich: Der Länderfinanzausgleich umfasst lediglich ein Volumen von etwa 7 Mrd. Euro. Im Vergleich zu den Steuereinnahmen der Länder insgesamt, die 2010 etwa 210 Mrd. Euro betrugen, wird deutlich, dass der Länderfinanzausgleich mit etwa 3% lediglich ein Spitzenausgleich und kein gewaltiger Umverteilungsmechanismus ist. Die Zahlungen des Bundes an die Länder insgesamt belaufen sich jedoch mit fast 50 Mrd. Euro auf annähernd das Siebenfache, und dies mit weit komplexeren Verteilungswirkungen als im horizontalen Finanzausgleich. Man ist also gut beraten, zunächst das Bund-Länder-Verhältnis in den Blick zu nehmen und hier den zentralen Punkt der Finanzverfassung zu betrachten, der für die finanzielle Balance zwischen den Ebenen vorgesehen ist – die Umsatzsteuerverteilung und die Deckungsquote.

Deckungsquote als Rechenschema

Die Deckungsquote ist das verfassungsrechtlich verankerte „Rechenschema“ zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Mittelausstattung der Bundes- bzw. Landesebenen (Art. 107 Abs. 3 und 4 GG). Aus dem Vergleich der Einnahmen einer Ebene mit ihren Ausgaben ergibt sich die Deckungsquote. Wenn sich die Quoten der zwei staatlichen Ebenen wesentlich auseinander entwickeln, ist durch eine Neuverteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern ein „billiger Ausgleich“ zu finden. So einfach das Prinzip erscheint, so schwierig und konfliktträchtig sind konkrete Verhandlungen darüber. Das Grundgesetz spricht konkretisierend von „laufenden Einnahmen“ und „notwendigen Ausgaben“. Bis heute konnten sich Bund und Länder nicht auf eine klare Definition der „laufenden Einnahmen“ und „notwendigen Ausgaben“ einigen. Sind alle Ausgaben zugleich „notwendig“? Oder gibt es „nicht notwendige“ Ausgaben, für die eine Ebene keinen Anspruch auf zusätzliche Umsatzsteuermittel erheben darf? Diese zentrale Frage ist weder finanzwissenschaftlich noch finanzpolitisch beantwortet worden. In der Praxis der Deckungsquotenverhandlung wurden und werden deshalb alle Ausgaben als „notwendig“ betrachtet. Solange um Deckungsquoten auch praktisch gestritten wurde, war es ein technischer Streit um die Kunst der Bilanzverlängerung oder -verkürzung, mit der jede Ebene ihren quotenmäßigen Anspruch untermauerte.

Rechnerisch führt jede Defizitausweitung einer Ebene zu einem zusätzlichen Anspruch an Umsatzsteuermitteln von ca. 50%. Steigen also die ungedeckten Ausgaben einer Ebene gegenüber der anderen um 1 Mrd. Euro, dann ergibt sich ein Umsatzsteuer-Anspruch in Höhe von 500 Mio. Euro. Die Kreditaufnahme steigt (theoretisch) lediglich um 500 Mio. Euro. Dabei gilt dieser Effekt vor allem für den Bund, nicht aber für das einzelne Land, das im Grundsatz nur mit seinem Einwohneranteil an der Umsatzsteuer teilhat. Könnten die Länder in ihrer Gesamtheit einen um 500 Mio. Euro höheren Umsatzsteueranteil durchsetzen, würde etwa Thüringen nur mit ca. 15 Mio. Euro profitieren. Als Finanzierungsmethode für den Haushalt eignet sich die Deckungsquotenverhandlung sicher nicht, denn der Aufteilung der Umsatzsteuer müssen im Gesetzgebungsverfahren sowohl der Bund als auch die Länder zustimmen. Der Anspruch nach Deckungsquote ist im politischen Einigungsprozess eine zwar notwendige, aber keine hinreichende Bedingung.

Ein besonderes Problem mit der Anwendung der Deckungsquote entsteht 2020, wenn die neue Schuldenbegrenzung des GG (Art. 109 und 115 GG) voll wirksam sein wird. Während sich die Länder für einen strikten Haushaltsausgleich entschieden haben, hat der Bund für sich ein strukturelles Defizit in Höhe von 0,35% des BIP (dies entspricht zur Zeit ca. 10 Mrd. Euro) beansprucht. So lange aber der Bund ein Defizit ausweist und die Länder nicht, wird er immer die Deckungsquotenberechnung zur Begründung einer Umsatzsteuer-Neuverteilung heranziehen können. Dass dies weder die Absicht der Deckungsquotenvorschrift noch der neuen Schuldenbegrenzung sein kann, ist – zumindest aus Sicht der Länder – offensichtlich. Doch nicht nur aus diesem recht abstrakten Grund steht die Mechanik der Umsatzsteuerverteilung als einzig beweglicher Stelle in der Finanzverfassung in Frage.

Seit 1993 hat sich die politische Praxis nicht mehr der Deckungsquotenverhandlung bedient und damit den pragmatischen Grundgedanken verlassen: Mit regelmäßigen Anpassungen der Umsatzsteuerverteilung waren unausgewogene Verteilungswirkungen einzelner Fachgesetze durchaus hinnehmbar, solange mit dem schweren Hobel der Deckungsquote regelmäßige Glättung erfolgte. Unterdes hat sich jedoch durchgesetzt, sogar für die Finanzierung einzelner Sachverhalte als Ergebnis politischer Kompromissfindungen Umsatzsteuerfestbeträge zwischen Bund und Ländern hin- und herzuschieben. Darunter leidet nicht nur die Ästhetik der Gesetzgebung: Als 1995 der erste gesamtdeutsche Finanzausgleich nach der Wiedervereinigung im Finanzausgleichsgesetz (FAG) geschaffen wurde, konnte in § 1 (FAG) die Verteilung des Aufkommens an der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern noch in zwei schlichte Sätze gefasst werden. Bei der Verabschiedung des ab 2005 geltenden Finanzausgleichsgesetzes 2001 umfasste die entsprechende Textpassage zur Umsatzsteuerverteilung bereits elf Sätze. Zwischenzeitlich hat sich die Anzahl der Sätze auf 21 erhöht.

Geldleistungsgesetze mit festen Quoten

Darüber hinaus hat der Bund in den letzten Jahren trotz zweier Föderalismusreformen zunehmend über Mischfinanzierungen und Leistungsgesetze in die Kompetenzen der Länder hineinregiert und hier zum Teil sehr intransparente und kostenträchtige Finanzierungsstrukturen geschaffen.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Finanzierung des Hartz-IV-Gesetzes. Das Gesetz sollte 2005 die Kommunen in Deutschland finanziell um 2,5 Mrd. Euro entlasten. Dazu wurde eine neue Mischfinanzierung geschaffen: Der Bund übernahm mit dem Arbeitslosengeld II die Regelleistungen für die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger, die zuvor die Kommunen finanziert hatten. Im Gegenzug übernahmen die Kommunen die Kosten der Unterkunft (KdU) für die ALG-II-Empfänger. Der Bund beteiligte sich an den Kosten mit einer Quote von zunächst 29,1%, deren Höhe allerdings jährlich neu zwischen Bund und Ländern verhandelt wurde. Aktuell sind es 25,1%. Dabei erhalten zwei Länder – Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – höhere Quoten zu Lasten aller übrigen Länder. Für die neuen Länder wurde ein zusätzlicher Ausgleich geschaffen: Sie erhielten sogenannte Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen in Höhe von 1 Mrd. Euro, die aus dem Umsatzsteueraufkommen aller Länder erbracht wurden. Ihre Höhe muss in diesem Jahr überprüft werden.

Der Hartz-IV-Finanzierungskompromiss regelt nicht nur die Höhe der neuen Regelsätze. Der Bund hat darüber hinaus ein „Bildungs- und Teilhabepaket“ geschaffen, dessen Finanzierung und Verwaltung die Kommunen übernehmen müssen. Da Bildung eigentlich Länderhoheit ist und der Bund darüber hinaus keine direkten Finanzbeziehungen zu den Kommunen eingehen darf, finanziert er das „Bildungspaket“, indem er den Kommunen bis 2013 weitere 10,5% an den KdU erstattet. Danach soll das Bildungspaket in jedem Jahr spitz abgerechnet werden. In dem Zusammenhang soll auch überprüft werden, ob die Verteilung der KdU und die Ausgaben für das Bildungspaket in den Ländern übereinstimmen oder ob ein weiterer horizontaler Ausgleich zwischen den Ländern erforderlich ist. Die Länder selbst müssen schon vorher prüfen, ob sie unter ihren Kommunen einen Ausgleich zwischen Erstattungen für KdU und Bildungsausgaben herbeiführen müssen. Es wurden also weitere komplexe vertikale und horizontale Finanzverflechtungen geschaffen.

Die Revision der 25,1%igen Bundesbeteiligung an den KdU wird dagegen künftig entfallen, der Bund wird diese Quote festschreiben. Durch das neue Hartz-IV-Gesetz werden allerdings weitere Leistungsänderungen veranlasst, die sich ebenfalls auf die Kommunalhaushalte und den Landeshaushalt auswirken. So führen die neuen Hartz-IV-Regelsätze, die der Bund finanziert, zu einer Erhöhung der Regelsätze bei den Sozialhilfeempfängern, die die Kommunen finanzieren. Eine Änderung im Wohngeldrecht entlastet zwar den Thüringer Landeshaushalt um rund 8 Mio. Euro, belastet aber die Kommunalhaushalte, weil die ehemaligen Wohngeldempfänger nun ihre KdU bei den Kommunen beantragen können. Während das Wohngeld zu 50% vom Bund mitfinanziert wird, werden die KdU nur zu 35% vom Bund getragen, so dass per Saldo eine Belastung der Länderebene erfolgt. Auch an diesem Beispiel werden die komplizierten Bund-Länder-Finanzbeziehungen, wie sie sich in den Geldleistungsgesetzen manifestieren, deutlich. Mit der Hartz-IV-Gesetzgebung ist das Sozialgesetzbuch zu einem verteilungspolitischen Feld von einer Komplexität herangewachsen, die dem Finanzausgleich mehr als ebenbürtig ist.

Mit einem weiteren Geldleistungsgesetz hat der Bund 2005 geregelt, dass die Kommunen die Kosten der Grundsicherung im Alter finanzieren müssen. Er beteiligt sich seit dem Jahr 2009 daran mit einer Quote von 13%, die aufsteigend 2012 16% betragen soll. 2010 betrugen die Kosten der Grundsicherung bundesweit 4,1 Mrd. Euro. Der Bund hat sich nun bereit erklärt, bis zum Jahr 2014 die Kosten der Grundsicherung vollständig zu übernehmen. Er refinanziert sich, indem er der Bundesagentur für Arbeit Mittel entzieht. Diese Mittel sind seit dem Jahr 2007 aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert worden. Dafür haben die Länder auf das Aufkommen aus einem halben Mehrwertsteuerpunkt verzichtet. Diesen Verzicht mussten sie nun dauerhaft erklären, um im Gegenzug die Bereitschaftserklärung des Bundes für die Übernahme der Grundsicherungskosten zu erreichen. Am Beispiel der Geldleistungsgesetze wird deutlich, dass diese intransparenten, komplizierten und kostenträchtigen Kompromisse, die zudem ein steigendes Verfassungsrisiko aufweisen, überwunden werden müssen.

Die Länder können ihre verfassungsmäßigen Aufgaben nur wahrnehmen, wenn sie über eine entsprechende Finanzausstattung verfügen. Auch mit Blick auf die Einhaltung der Schuldenbremse werden sie den Bund stärker in die Pflicht nehmen müssen. Spätestens für die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020 brauchen wir ein transparentes Verfahren, mit dem sich die Einnahmenverteilung zwischen den Ebenen zuverlässig politisch austarieren lässt. Dafür scheint es zwingend erforderlich, sich endlich jener Begrifflichkeit der Verfassung zuzuwenden, um die die politische und wissenschaftliche Praxis seit Jahrzehnten einen Bogen macht: den „notwendigen Ausgaben“. Denn von der Ermittlung der notwendigen Ausgaben von Bund und Ländern führt der Weg auch zu einer dringend erforderlichen politischen Aufgabenkritik, von der die politischen Ebenen Bund und Länder nur profitieren können. Es bleibt das Ziel, einen Finanzverteilungsmechanismus zu entwickeln, um die Länder in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben auch zuverlässig erfüllen zu können. Eine derartige aufgabengerechte Finanzausstattung für die Länder existiert allenfalls unzureichend und zudem nur auf dem Papier.

Erforderlich ist auch eine Überprüfung aller Geldleistungsgesetze in ihrer Finanzierungsverantwortung, die ihren Ausgangspunkt bei Aufgabenkritik und Aufgabenwahrnehmung finden sollte. Das würde auch unter den Ländern einen Dialog herbeiführen, der sogar bei reinen Länderaufgaben einen sachbezogenen Konsens an die Stelle manch überflüssigen Streits setzen könnte. Eine solche aufgabenkritische Überprüfung müsste sehr schnell dazu führen, dass insbesondere die Bereiche Wohngeld und BaföG wieder in alleinige Bundeszuständigkeit übertragen werden. Zu erwarten ist auf diesem Wege tendenziell eine Abkehr von den Mischfinanzierungen und gleichzeitig eine stärkere Vertikalisierung der Finanzströme. Für die Länder liegen in einem höheren konkreten Aufgabenbezug der Verteilungsmechanismen nicht nur inhaltliche Chancen, sondern mit Blick auf den Bund auch die attraktiveren Streitvolumina. Das Feld ist freilich etwas größer als die bislang unter den Ländern üblichen Turnierplätze.


DOI: 10.1007/s10273-011-1283-x