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Das Bundessozialministerium hat zur Abwendung einer prognostizierten Altersarmut die Zuschussrente vorgeschlagen. Dieses Instrument soll Beziehern von Niedrigeinkommen Anreize geben, eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung zu suchen. Sie sollen gleichzeitig davor bewahrt werden, im Alter auf Fürsorgeleistungen angewiesen zu sein, wenn ihre Rentenansprüche zu gering sind. Die Autoren fürchten, dass mit der Zuschussrente Fehlanreize verbunden sind. Sie halten die Ausgestaltung des Systems darüber hinaus für zu kompliziert und schlagen daher eine Freibetragslösung vor.

Die Arbeitsmarktsituation in Deutschland ist seit Jahren durch eine hohe, wenn auch zuletzt rückläufige Arbeitslosigkeit sowie durch eine Zunahme von Teilzeitarbeit, geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und gemeinhin schlecht bezahlter Leiharbeit geprägt. Unterbrochene Erwerbsbiographien in Verbindung mit der demografischen Alterung tragen dazu bei, dass die gesetzliche Rentenversicherung zukünftig immer weniger in der Lage sein wird, auskömmliche Altersrenten zu zahlen. Folgerichtig versucht die Politik seit geraumer Zeit, diesem Missstand entgegenzuwirken, unter anderem durch die gezielte staatliche Förderung privater Eigenvorsorge in Gestalt von sogenannten Riester- und Rürup-Renten sowie durch die schrittweise Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre.

Trotz dieser Anstrengungen scheint das Problem zukünftig steigender Altersarmut nicht gebannt. Vorausberechnungen des DIW zufolge werden davon vor allem jüngere Jahrgänge, Frauen, Ostdeutsche und gering Qualifizierte betroffen sein.1 Die derzeitige Regierungskoalition hat daher in ihrem Koalitionsvertrag der Altersarmut den Kampf angesagt. Sie will dafür Sorge tragen, dass „sich die private und betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnt und auch diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten, das bedarfsabhängig und steuerfinanziert ist“2. Im Rahmen des hierzu vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) initiierten „Regierungsdialogs Rente“, einem offenen Diskussionsprozess, an dem neben der Rentenversicherung und Fachpolitikern auch unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen wie Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Arbeitgeber partizipieren, hat das BMAS nun vor kurzem eigene Vorschläge eingebracht.3 Darunter findet sich der Vorschlag einer Zuschussrente, die bei Erfüllung verschiedener Zugangsbedingungen ein monatliches Netto-Einkommen von derzeit 850 Euro und damit ein verfügbares Einkommen garantieren soll, das deutlich oberhalb der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angesiedelt ist.

Zugangsbedingungen zur Zuschussrente

Die Zuschussrente soll nach den Vorstellungen des BMAS zunächst mit erleichterten Zugangsbedingungen starten, die jedoch bis 2023 schrittweise verschärft werden. Anfangs reichen für den Zugang zur Zuschussrente

  • 40 Versicherungsjahre in der Rentenversicherung, wobei neben Zeiten der rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung auch Zeiten der Schulbildung (ab dem Alter 17), der Ausbildung, des Studiums, der Krankheit, der Arbeitslosigkeit, der Schwangerschaft/des Mutterschutzes und der Leistung freiwilliger Rentenbeiträge eingebracht werden können,
  • 30 Beitragsjahre (Pflichtbeitragszeiten), wobei Wehr-, Zivil- und Freiwilligendienst ebenso zu berücksichtigen sind wie Zeiten der Kindererziehung und Pflege, und
  • 5 Jahre eigene Altersvorsorge.

Nach zehn Jahren, also 2023, sind 45 Versicherungsjahre und 35 Beitragsjahre erforderlich, während die Mindestdauer der zusätzlichen privaten Altersvorsorge von 2017 an jährlich um ein Jahr von fünf auf 35 Jahre im Jahr 2047 ansteigen soll.

Problematik der derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung der Grundsicherung

Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) ist das Existenzsicherungssystem für Personen ab 65 Jahre sowie für dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen ab 18 Jahre, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen decken können. Für die derzeit rund 400 000 Grundsicherungsempfänger, die altersbedingt Grundsicherungsleistungen beziehen,4 springt die Grundsicherung somit insbesondere dann ergänzend ein, wenn die gesetzliche Rente nicht bedarfsdeckend ist. Der Bedarf in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums entspricht dabei der Summe aus dem Regelbedarf, etwaigen Mehrbedarfen (z.B. für kostenaufwändige Ernährung bei entsprechender medizinischer Indikation) und einmaligen Bedarfen (z.B. für eine Wohnungserstausstattung) sowie dem angemessenen Bedarf für Unterkunft und Heizung.

Die Höhe des Grundsicherungsanspruchs ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Bedarf des Leistungsbeziehers und seinem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen. Dem Grundsatz nach sind Einkommen gleich welcher Quelle – die wenigen und im Folgenden nicht weiter berücksichtigten Ausnahmeregelungen sind in § 82 Abs. 1 SGB XII aufgeführt – nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und von auf das Einkommen zu entrichtenden Steuern voll auf den Grundsicherungsbedarf anzurechnen. Dies gilt auch für Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie für Einnahmen aus der privaten oder betrieblichen Altersvorsorge. Solange Alterseinkünfte gleich welcher Art somit unterhalb des Grundsicherungsbedarfs liegen, wird der Leistungsbezieher am Ende immer über dasselbe Einkommen nach Grundsicherung verfügen – unabhängig von der konkreten Höhe seiner Alterseinkünfte. Von der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen in ihrer derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung daher gerade für Niedrigeinkommensbezieher bzw. Personen mit unterbrochenen Erwerbsbiographien massive Fehlanreize aus, für das Alter angemessen vorzusorgen. Und darüber hinaus läuft es den landläufigen Gerechtigkeitsvorstellungen zuwider, dass Leistungsbezieher mit unterschiedlichem Einkommen bzw. Rentenansprüchen über dasselbe Einkommen nach Grundsicherung verfügen, nämlich über ein Einkommen exakt in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums.

Argumente gegen die Zuschussrente

Dies wird auch vom BMAS so gesehen. Der Therapievorschlag, eine Zuschussrente als Versicherungsleistung in das System der gesetzlichen Rentenversicherung zu installieren, geht jedoch in die falsche Richtung. Gegen die Zuschussrente im Allgemeinen und ihre vorgeschlagene Ausgestaltung im Besonderen sprechen neben anreiztheoretischen auch umsetzungsorientierte Gründe.

Von den starren Zugangsbedingungen zur Zuschussrente gehen Fehlanreize aus: Für eine bestimmte Personengruppe besteht zumindest mit Blick auf die Zuschussrente kein Anreiz, entsprechende Anstrengungen aufzunehmen, solange damit die Hilfebedürftigkeit nicht überwunden werden kann. Dies sind Personen, die absehen, dass sie während ihrer Erwerbszeit nicht mehr alle drei vorgesehenen Hürden (Versicherungs-, Pflichtbeitrags- und Altersvorsorgezeiten) gleichzeitig überspringen können. Sie ziehen nach wie vor keinen Nutzen aus verstärkten Altersvorsorgeanstrengungen und kommen entsprechend nicht aus der Hilfebedürftigkeit heraus. Aber auch beim Erfüllen der Zugangsbedingungen gibt es einen Fehlanreiz. Dieser geht von dem garantierten Nettoeinkommen nach Zuschussrente in Höhe von 850 Euro aus, denn Personen, die die gesetzlichen Hürden zur Inanspruchnahme der Zuschussrente überwinden, haben keinen pekuniären Anreiz zu weiterer Altersvorsorge, solange ihre zu erwartenden Alterseinkünfte trotz weiterer Anstrengungen bei Eintritt des Ruhestandes unterhalb dieser Nettoeinkommensgrenze bleiben.

Die starren Zugangsbedingungen sind auch insofern fragwürdig, als sie rein zeitlich definiert sind und damit keine Kompensation zulassen, in kürzeren als den vorgesehenen Zeiträumen umso stärkere Anstrengungen zu unternehmen. Entscheidend ist beispielsweise nur die Dauer der privaten Altersvorsorge, nicht dagegen die Höhe der in die Altersvorsorgeverträge eingezahlten Beiträge. Ein weiterer Einwand betrifft die konkrete Höhe der Hürden. So monieren vor allem Wohlfahrts- und Sozialverbände, dass gerade zum Start nur wenige Betroffene die eng formulierten Zugangsbedingungen werden erfüllen können.5 Diesen Umstand räumt übrigens auch das BMAS ein, das für das geplante Einführungsjahr 2013 mit nur rund 17 000 Empfängern der Zuschussrente rechnet, in den Folgejahren jedoch von stark ansteigenden Fallzahlen ausgeht.6

Offen im Zusammenhang mit den Mindestzeiten privater Altersvorsorge ist ferner die inhaltliche Festlegung der Sparformen, die als private Altersvorsorge zugelassen werden. Vermutlich wird sich der Kreis zugelassener Vorsorgeformen auf staatlich geförderte zertifizierte Altersvorsorgeverträge („Riester- und Rürup-Verträge“) beschränken, während etwa konventionelle Banksparpläne wahrscheinlich nicht berücksichtigt werden.

Schwerer als die vom BMAS vorgeschlagene gesetzliche Ausgestaltung der Zuschussrente, die im Gesetzgebungsprozess ohnehin noch Änderungen erfahren dürfte, wiegt jedoch der Umstand, dass ein weiteres soziales Sicherungssystem aufgebaut wird, und noch dazu in einem dafür überhaupt nicht geeigneten Rechtskreis. So ist der These des BMAS nicht zuzustimmen, wonach es sich bei der Zuschussrente nicht um eine staatliche Fürsorge-, sondern um eine Versicherungsleistung handle,7 die dann – in dieser Argumentationslinie folgerichtig weitergedacht – allein von den Beitragszahlern zu finanzieren wäre. Ganz im Gegenteil wäre die Zuschussrente eine rein umverteilungspolitisch motivierte und daher versicherungsfremde Leistung, die konsequenterweise über Bundeszuschüsse und damit aus Steuermitteln finanziert werden müsste. Nur dadurch könnten alle Gesellschaftsmitglieder entsprechend ihrer individuellen Leistungsfähigkeit an der Finanzierung beteiligt werden.

Hinsichtlich des falsch gewählten Rechtskreises ist weiterhin zu kritisieren, dass mit ihrer Umsetzung ein nicht absehbaren Verwaltungsaufwand in der Rentenversicherung verbunden ist. Dieser wäre vor allem dann immens, wenn – wie im Koalitionsvertrag als Randbedingung vorgegeben – die Gewährung der Zuschussrente mit einer Bedürftigkeitsprüfung verknüpft wäre.8

Schlussendlich fokussiert das Konzept der Zuschussrente ausschließlich auf den Betroffenen selbst, nicht aber auf seinen etwaigen Partner. Verfügt Letzterer über kein bedarfsdeckendes Alterseinkommen und überwindet er nicht die gesetzlichen Hürden zum Bezug der Zuschussrente, hat er einen Anspruch auf Grundsicherung. Nach § 43 Abs. 1 SGB XII sind aber Einkommen (und Vermögen) des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass derjenige Teil der Zuschussrente, der den Grundsicherungsbedarf des „Zuschuss-Rentners“ übersteigt, auf seinen hilfebedürftigen und deshalb Grundsicherung beantragenden Partner übertragen werden muss. Reicht der zu übertragende Teil der Zuschussrente nicht aus, den hilfebedürftigen Partner aus seiner Hilfebedürftigkeit zu befreien, steuert die Grundsicherung den Restbetrag bei. Summa summarum sinkt „der Zuschuss-Rentner“ damit wieder auf das Grundsicherungsniveau ab und muss seine Einkommenssituation der Bewilligungsstelle der Grundsicherung (in der Regel dem örtlichen Sozialhilfeträger) offenlegen – eine Situation, vor der ihn die Zuschussrente doch gerade bewahren sollte. Dass in einem solchen Fall darüber hinaus Verwaltungsanstrengungen sowohl beim Rentenversicherungsträger als auch bei der Bewilligungsstelle der Grundsicherung vonnöten sind und gegebenenfalls ein weiteres Koordinierungs- und Schnittstellenproblem in der ohnehin schon komplexen Struktur des deutschen Transfersystems entsteht, kommt verschärfend hinzu.

Problemlösung: Eine Freibetragsregelung in der Grundsicherung ist der Zuschussrente überlegen

Die Lösung des gesellschaftlichen Problems steigender Altersarmut trotz langjähriger Altersvorsorge liegt daher nicht darin, ein weiteres, noch dazu fragwürdiges soziales Sicherungssystem wie die Zuschussrente zu installieren. Vielmehr sollte die anerkannte Schwachstelle der heutigen Grundsicherung in Gestalt der grundsätzlichen Vollanrechnung jedweden Einkommens und daher auch von Altersbezügen gezielt beseitigt werden. Das Instrument der Wahl stellt dabei eine Freibetragsregelung dar, wie sie bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bereits praktiziert wird. Dort wird Erwerbstätigkeit von hilfebedürftigen Erwerbsfähigen und -tätigen durch eine entsprechende Freibetragsregelung „belohnt“, durch die ein Teil der Einkommen aus Erwerbstätigkeit anrechnungsfrei ist. Erwerbstätige Leistungsbezieher erzielen dadurch ein über dem Existenzminimum liegendes Nettoeinkommen. Auch wenn die konkrete Ausgestaltung der in § 11b SGB II enthaltenen Freibetragsregelung immer wieder in die Kritik gerät, wird die Freibetragsregelung selbst nicht infrage gestellt.9

Drei Fallkonstellationen

Ohne auf Fragen nach der konkreten Höhe der Freibeträge und der Festlegung der einzubeziehenden Einkommensarten eine abschließende Empfehlung geben zu wollen, werden im Folgenden exemplarisch einige mögliche Freibetragsregelungen anhand eines Budgetlinienmodells illustriert.10 Hierbei wird für einen zu spezifizierenden Beispielhaushalt eine funktionale Beziehung zwischen seinen Bruttoeinnahmen und seinem verfügbaren Einkommen für drei verschiedene Fälle hergestellt,

  • erstens für den Fall eines Verzichts auf jegliche staatliche Transfers,
  • zweitens für den Fall des Bezugs einer Grundsicherung nach gegenwärtigem Recht und
  • drittens für den Fall des Bezugs einer Grundsicherung bei verschiedenen zu simulierenden Freibetragsregelungen.

Aus Gründen der Vereinfachung wird dabei unterstellt, dass der Untersuchungshaushalt nur aus einer mindestens 65-jährigen Person besteht, deren einzige Einkommensquelle Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind. Die Person ist annahmegemäß in der gesetzlichen Krankenversicherung (und damit zwangsläufig auch in der sozialen Pflegeversicherung) pflichtversichert. Krankenkassenindividuelle Zusatzbeiträge bleiben ebenso unberücksichtigt wie ein etwaiger Beitragszuschlag zur Pflegeversicherung nach § 55 Abs. 3 SGB XI. Über einzusetzendes Vermögen im Sinne des § 90 SGB XII verfüge die Person nicht. Der Grundsicherungsbedarf dieser Person setzt sich aus dem Regelbedarf in Höhe von 364 Euro (Mehrbedarfe und einmalige Bedarfe bleiben unberücksichtigt) sowie den angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zusammen. Die angemessenen Unterkunftskosten richten sich annahmegemäß nach den (gerundeten) wohngeldrechtlichen Miethöchstbeträgen, die neben der Haushaltsgröße von der Mietenstufe der Wohnortgemeinde abhängen. Es wird unterstellt, dass der Beispielshaushalt in einer der Mietenstufe 3 angehörigen Kommune wohnt, so dass eine Miete in Höhe von 325 Euro von der Grundsicherungsstelle als angemessen eingestuft wird. Als angemessen anerkannte Kosten für Warmwasser und Heizung wird ein Betrag von 44 Euro unterstellt, der sich aus 8 Euro für Warmwasser und 36 Euro für Heizung zusammensetzt. Insgesamt beträgt das soziokulturelle Existenzminimum und damit der Grundsicherungsbedarf der betrachteten Person 733 Euro. Steuerliche Regelungen können im Folgenden aufgrund der vereinfachenden Annahmen insoweit unberücksichtigt bleiben, als im interessierenden Einkommensbereich eine positive Steuerschuld der betrachteten Person trotz des relativ niedrigen Grundfreibetrags bei der Einkommensteuer von derzeit 8004 Euro im Jahr bzw. – auf Monatsbasis gerechnet – 667 Euro nicht entstehen kann.11

Vier Freibetragsregelungen

In den Abbildungen 1a bis 1d sind vier verschiedene Freibetragsregelungen beispielhaft dargestellt. Auf der Abszisse der Abbildungen stehen dabei jeweils die Bruttoeinnahmen, die annahmegemäß der Bruttorente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechen, d.h. der Rente vor dem Abzug von Sozialabgaben (gesetzliche Kranken- und soziale Pflegeversicherung) und von (hier nicht anfallenden) Steuern. Auf der Ordinate ist dagegen das verfügbare Einkommen des Beispielhaushalts, d.h. der betrachteten Person, dargestellt, und zwar für die bereits erwähnten drei Fallkonstellationen. In allen vier Abbildungen sind die Budgetlinien für den ersten und zweiten Fall jeweils deckungsgleich. Besondere Beachtung verdient dabei die blaue waagerechte Budgetlinie für Grundsicherungsempfänger, die die heutige gesetzliche Regelung widerspiegelt, wonach Renten voll auf den Grundsicherungsbedarf anzurechnen sind. Bis zu einer Bruttorente von 815 Euro ist die betrachtete Person grundsicherungsberechtigt und erhält einen entsprechend bemessenen Transfer, so dass sie am Ende auf ein verfügbares Einkommen von 733 Euro kommt.

Abbildung 1
Beispiele für Freibetragsregelungen
Chischinsky Abb-1 mit Legende.ai

Quelle: Eigene Berechnungen.

Die in Abbildung 1a aufgeführte Freibetragsregelung entspricht derjenigen des SGB II. Die ersten 100 Euro Bruttorente sind demnach anrechnungsfrei, von den nachfolgenden 900 Euro werden 80% auf den Bedarf angerechnet, zwischen 1000 Euro und 1200 Euro 90%. Zu beachten ist, dass bei einer solchen Freibetragsregelung unter den Modellannahmen „bereits“ ab 1144 Euro Bruttorente kein Grundsicherungsanspruch mehr besteht, da bei einer Bruttorente dieser Mindesthöhe auch ohne staatliche Transfers ein verfügbares Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs erzielt werden kann und eine Hilfebedürftigkeit somit nicht mehr gegeben ist.

In Abbildung 1b ist die Situation dargestellt, dass unabhängig von ihrer Höhe stets 10% der Bruttorente anrechnungsfrei bleiben. Bezieher von Bruttorenten bis zu 917 Euro würden von dieser Freibetragsregelung profitieren und durch den Grundsicherungsbezug auf ein verfügbares Einkommen von maximal 824,70 Euro kommen.

Eine andere denkbare Option ist in Abbildung 1c skizziert. Bei dieser Freibetragsregelung sind von den ersten 500 Euro Bruttorente 20% anrechnungsfrei, übersteigt die Bruttorente dagegen die 500-Euro-Grenze, sind es 10%. Der Bruttorentenbereich, bis zu dem ein Grundsicherungsanspruch besteht, würde sich bis auf 980 Euro ausdehnen. Bezieher einer solchen Bruttorente kämen auf 881 Euro verfügbares Einkommen.

Im vierten Beispiel (vgl. Abbildung 1d) wurde dagegen unterstellt, dass nur Personen mit einer Bruttorente über 500 Euro in den Genuss eines Freibetrags in Höhe von 20% kommen, aber nur für denjenigen Teil der Bruttorente, der 500 Euro übersteigt. Diese Variante wäre freilich mit dem Nachteil verbunden, dass erst dann ein Anreiz zu verstärkter Altersvorsorge bestünde, wenn davon auszugehen ist, dass dadurch die 500-Euro-Grenze überschritten wird.

Die vier exemplarischen Freibetragsregelungen zeigen, dass es zur Korrektur der gegenwärtigen Fehlanreize der Grundsicherung keines neuen Konstruktes wie der Zuschussrente bedarf. Vielmehr kann auch eine einfach zu implementierende Freibetragsregelung im Rechtskreis der Grundsicherung je nach konkreter Ausgestaltung die Fehlanreize beseitigen und dafür Sorge tragen, dass Altersvorsorge auch bei Niedrigeinkommensbeziehern und Personen mit unterbrochenen Erwerbsbiographien entsprechend honoriert wird und diese Personengruppen dadurch über ein Nettoeinkommen oberhalb des soziokulturellen Existenzminimums verfügen können.

Fazit: Keine Stigmatisierung, sondern Korrektur der Grundsicherung

Es scheint unabhängig von den politischen Farben der amtierenden Regierungskoalition zu den Prinzipien der deutschen Sozialpolitik der letzten Jahre zu gehören, existenzsichernden Leistungssystemen andere Transfersysteme vorzuschalten, um bestimmte Personenkreise vor einem Abrutschen in das eigentlich vorgesehene, aber vermeintlich stigmatisierte existenzsichernde Leistungssystem zu schützen. Prominentestes Beispiel hierfür ist der sogenannte Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Dieser zielte in seiner ursprünglichen Ausgestaltung auf Eltern ab, die über ihr Einkommen zwar den eigenen Bedarf, nicht jedoch den ihrer Kinder decken können und die somit allein aufgrund der Unterhaltsverpflichtungen gegenüber ihren Kindern bedürftig werden würden. Durch den Kinderzuschlag sollten solche Eltern davor bewahrt werden, SGB-II-Leistungen in Gestalt von Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld in Anspruch nehmen zu müssen.12

Das fehlende Vertrauen des Staates in seine eigenen existenzsichernden Leistungssysteme sowie insbesondere sein implizites Eingeständnis im Hinblick auf die stigmatisierende Wahrnehmung dieser Systeme in großen Teilen der Bevölkerung ist insofern prekär, als der Staat durch das Vorschalten anderer Sicherungssysteme den Nährboden für eine weitere Stigmatisierung der eigentlich zuständigen Systeme bereitet. Die Absicht, mit der Zuschussrente anderweitig auf Grundsicherung angewiesene ältere Menschen aus diesem staatlichen Fürsorgesystem herauszuholen bzw. ein Abrutschen in dieses System zu verhindern, stellt einen weiteren Beleg für die Hypothese dar, der Staat vertraue seinen eigenen Leistungssystemen nicht und befördere ihre Stigmatisierung.

Damit soll freilich nicht die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung verteidigt werden. In der Tat setzt die vollständige Anrechnung der Rente und anderer Alterseinkünfte auf die Leistungsansprüche Fehlanreize für Niedrigverdiener, für das Alter vorzusorgen. Und darüber hinaus ist es nachvollziehbar, dass es als ungerecht empfunden wird, dass derzeit „Niedrigverdiener, die ihr Leben lang gearbeitet und vorgesorgt haben, im Alter nicht besser da[stehen] als diejenigen, die wenig gearbeitet und sich nicht um ihre Alterssicherung gekümmert haben.“13 Diese Probleme bzw. diese als ungerecht empfundenen Zustände können jedoch innerhalb des Systems der Grundsicherung durch die dargestellten Freibetragsregelungen einfach und zielsicher gelöst werden. Es bedarf dazu nicht eines weiteren Sicherungssystems wie der Zuschussrente, deren Zugangsbedingungen fragwürdig sind, die im falschen Rechtskreis angesiedelt ist und die darüber hinaus zu einer weiteren Verkomplizierung des ohnehin schon hoch komplexen deutschen Transfersystems mit seinen zahlreichen Zuständigkeits-, Koordinierungs- und Schnittstellenproblemen beitragen würde.

  • 1 Vgl. J. Geyer, V. Steiner: Erwerbsbiografien und Alterseinkommen im demografischen Wandel – eine Mikrosimulationsstudie für Deutschland, Politikberatung kompakt, Nr. 55/2010, DIW, Berlin.
  • 2 Vgl. o.V.: Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, 2009.
  • 3 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Regierungsdialog Rente. Informationen für die Presse, Stand: 12.9.2011.
  • 4 Laut Statistischem Bundesamt gab es Ende 2008 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – insgesamt 767 682 Empfänger von der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, davon 409 958 Personen, die altersbedingt Grundsicherung bezogen, vgl. Statistisches Bundesamt: Sozialleistungen 2008, Fachserie 13, Reihe 2.2, Wiesbaden 2010.
  • 5 Vgl. z.B. Pressemeldung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands vom 7.9.2011 (www.der-paritaetische.de/pressebereich/artikel/news/paritaetischer-kritisiert-ministeriumsplaene-zur-rentenreform-als-farce/, Abrufdatum: 18.10.2011); oder Pressemeldung des Sozialverbands VdK Deutschland vom 26.9.2011 (http://vdk.de/cgi-bin/cms.cgi?ID=de26260, Abrufdatum: 18.10.2011).
  • 6 Vgl. BMAS: Regierungsdialog Rente. Informationen für die Presse, Stand: 12.9.2011, S. 6.
  • 7 Vgl. ebenda sowie Interview der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit der Bundesministerin für Arbeit und Soziales von der Leyen vom 10.9.2011 (www.faz.net/mein-faz-net/2.1318/rentenkasse-die-zuschussrente-bringt-neue-milliardenlasten-11135242.html?selectedTab=images&tabCounter=1&showMarginalSlot=0, Abrufdatum: 18.10.2011).
  • 8 Vgl. o.V.: Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, 2009, S. 84. Interessanterweise zitiert die Pressemitteilung des BMAS auf S. 5 den entsprechenden Passus des Koalitionsvertrags, wohingegen Bundesministerin für Arbeit und Soziales von der Leyen in ihrem FAZ-Interview vom 10.9.2011 betont, dass es keine Bedürftigkeitsprüfung geben werde.
  • 9 Vgl. z.B. A. Knabe: Erwerbstätigenfreibetrag und Kinderzuschlag: Adverse Arbeitsanreize bei Hartz IV, in: Sozialer Fortschritt, 9/2005, S. 225 f.
  • 10 Das Budgetlinienmodell wurde im Rahmen der ExWoSt-Studie „Soziale Absicherung des Wohnens – Vergleich, Schnittstellen und Harmonisierungsansätze der Systeme“, Auftraggeber: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung/Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, entwickelt.
  • 11 Gemäß der in § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa S. 3 EStG aufgeführten gesetzlichen Regelung unterliegen Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur mit einem bestimmten Anteil der Besteuerung, der sich nach dem Jahr des Rentenbeginns richtet. Die Diskrepanz zwischen Bruttorente und zu versteuernder Rente wird darüber hinaus durch den automatisch eingeräumten Werbungskosten-Pauschbetrag in Höhe von 102 Euro im Jahr sowie durch die Absetzbarkeit von Sozialversicherungsabgaben im Rahmen des Sonderausgabenabzugs vergrößert, so dass beispielsweise bei einem 65jährigen Rentner, der 2011 mit Vollendung des 65. Lebensjahres in Ruhestand gegangen ist, eine Steuerschuld erst bei einer Bruttorente von über 1310 Euro im Monat entsteht. Liegt das Jahr des Rentenbeginns früher, sinkt der Besteuerungsanteil der Rente auf bis zu 50% ab, wodurch sich die Bruttorente, ab der Einkommensteuer zu entrichten ist, entsprechend erhöht.
  • 12 Vgl. Deutscher Bundestag: Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Bundestagsdrucksache 15/1516, 5.9.2003, S. 83. Mittlerweile wurden die Anspruchsvoraussetzungen für den Kinderzuschlag geändert, so dass auch andere Haushalte in den Genuss dieses Transfers kommen, soweit die Hilfebedürftigkeit durch die Leistungsgewährung verhindert wird.
  • 13 BMAS: Regierungsdialog Rente. Informationen für die Presse, Stand: 12.9.2011, S. 4.


DOI: 10.1007/s10273-011-1311-x