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Spätestens seit der Lissabon-Strategie, die im Jahr 2000 verabschiedet wurde, gilt Bildung als entscheidender Faktor für die Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung in Europa. Mit der Bologna-Reform wurden die traditionellen akademischen Ausbildungen, wie sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz bestanden, in zwei sequentielle Ausbildungen unterteilt: den eher auf die Arbeitswelt ausgerichteten Bachelor und den daran anschließenden auf Hochschule und Forschung ausgerichteten Master. Die kürzere beruflich orientierte Ausbildungsform des Bachelor spiegelt damit auch die zunehmende gesellschaftliche Relevanz der Themen Beschäftigungsfähigkeit und Beruflichkeit wider.1 Auch der Kopenhagen-Prozess zielt auf eine europaweite Anerkennung von Zertifikaten, diesmal aber nicht nur beschränkt auf den Hochschulsektor. Der Kopenhagen-Prozess und der Europäische Qualifikationsrahmen werden auch als Instrumente betrachtet, um Durchlässigkeit zwischen der Berufsausbildung im Sekundarbereich II und der Hochschulbildung zu fördern bzw. das Berufsbildungssystem hin zur Hochschule zu öffnen. Durchlässigkeit ist dabei untrennbar mit dem Konzept des Lebenslangen Lernens verbunden. Ebenso soll eine höhere Durchlässigkeit dem zunehmenden Bedarf an Akademikerinnen und Akademikern Rechnung tragen, wie er sich aus dem Trend hin zu einer wissensbasierten Dienstleistungsökonomie ergibt.

Deutschland, Österreich und die Schweiz qualifizieren ihre Arbeitskräfte traditionell zu einem hohen Anteil im Rahmen einer dualen Berufsausbildung im Sekundarbereich II. Der Facharbeiter gilt dort seit jeher als Rückhalt der „diversifizierten Qualitätsproduktion“.2 Der „academic drift“ ist in diesen Ländern aber nicht zu übersehen, was sich an einer zunehmenden Zahl von Studienanfängerinnen und -anfängern ablesen lässt. Die Frage der Durchlässigkeit zwischen Berufs- und Hochschulbildung ist für dual-korporatistische Berufsbildungsregime wie Deutschland, Schweiz und Österreich zentral, sind doch das allgemeinbildende Schul- und Hochschulwesen sowie die Berufsbildung von ihren Anfängen her unterschiedlichen institutionellen Entwicklungspfaden gefolgt. Martin Baethge spricht für Deutschland von einer dauerhaften, wechselseitigen Abschottung von Bildungsbereichen gegeneinander, gar von einem „Bildungsschisma“. Die Segmentierung von Bildungsbereichen beruhe darauf, dass jeder Bildungsbereich einer anderen institutionellen Ordnung folgt.3 Die Entwicklung der Gymnasialbildung vollzog sich in den dual-korporatistischen Regimen abseits von Industrialisierung und praktischem Gewerbe, die Berufsbildung ihrerseits entwickelte sich jenseits der Hochschulbildung.4 Industrie und praktisches Gewerbe benötigten über lange Zeit kaum akademische Qualifikationen für ihren unmittelbaren Bedarf. Für den eigenen Fachkräftenachwuchs reichte die Übernahme und Modifizierung der (vorindustriellen) handwerklichen Lehre. Der demografische Wandel, ein steigender Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften, die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Bildungsraumes, aber auch die Bedeutung hochschulischer Bildung für den Erhalt und Ausbau wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstands haben dazu beigetragen, dass das Thema Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung breit diskutiert wird. Sind daher Berufs- und Hochschulbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz heute noch strikt voneinander getrennte Bereiche?

Dieser Beitrag untersucht, in welchem Ausmaß eine Verschränkung beider Bildungsbereiche und damit tatsächliche Durchlässigkeit zu beobachten ist, d.h. wie einfach oder schwierig es für Personen ist, mit einem Lehrabschluss an die Hochschule zu gehen. Um diese Frage zu beantworten, wird zunächst auf die Anteile von dualer und vollzeitschulischer Berufsausbildung sowie Allgemeinbildung im Sekundarbereich II geblickt. Anschließend wird die Verknüpfung zwischen dualem System und Hochschulbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersucht. Es werden hierbei nicht nur die formalen Zugangsmöglichkeiten berücksichtigt, sondern auch, mit welchen Zertifikaten Personen tatsächlich Zugang zu Universitäten und Fachhochschulen erlangen.

Ausbildungsformen im Sekundarbereich II

Deutschland, Österreich und die Schweiz haben als „kollektivistische Ausbildungsregime“ ein Berufsbildungssystem institutionalisiert, das drei Kernelemente aufweist:5

  • Erstens wird Ausbildung korporatistisch gestaltet, d.h. der Staat reguliert diese in Kooperation mit Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern.
  • Zweitens findet Ausbildung an zwei Lernorten statt, nämlich im Betrieb und an der Berufsschule („duales Ausbildungssystem“).
  • Drittens folgt Ausbildung dem Berufsprinzip, d.h. junge Menschen werden über mehrere Jahre in einem bestimmten Beruf ausgebildet und erwerben damit berufsspezifisches Wissen.

Der hohe Praxisanteil in der dualen Berufsausbildung hat zur Folge, dass junge Menschen stark erfahrungsbezogen lernen und damit auch zu erheblichen Teilen bereits „implizites Wissen“6 erwerben. Weniger Beachtung findet allerdings in vielen Studien die Tatsache, dass in allen drei deutschsprachigen Ländern vollzeitschulische Berufsausbildungen stattfinden.7 Berufliche Vollzeitschulen kommen ohne betriebliche Ausbildungskomponente aus und vermitteln Wissen theoretisch-abstrakt. Dennoch findet Ausbildung über mehrere Jahre in einem von vielen möglichen Ausbildungsberufen statt, die staatlich geregelt sind. Allgemeinbildung ist im Sekundarbereich II an Gymnasien (Deutschland, Schweiz) oder „Allgemeinbildenden Höheren Schulen“ (Österreich) angesiedelt. Diese Schulen vermitteln Wissen, das weder auf eine bestimmte Firma noch auf einen bestimmten Beruf bezogen ist und schließen mit einer Hochschulzugangsberechtigung (Abitur/Maturität/Matura) ab.

In Abbildung 1 wird die relative quantitative Bedeutung der dualen beruflichen Ausbildung im Vergleich zur vollzeitschulischen Ausbildung und schulischer Allgemeinbildung gezeigt. Deutlich wird dabei, dass die Ausbildungssysteme in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht ganz so geradlinig sind, wie häufig beschrieben. In der Schweiz hat die duale Berufsausbildung dabei das stärkste Gewicht, die Anteile in Deutschland und Österreich sind merklich geringer. Bemerkenswert ist in Österreich der hohe Anteil vollzeitschulischer Berufsausbildung, der mittlerweile fast genauso hoch wie beim dualen System ist:8 Im Jahr 2008 begannen bereits 37% eines Jahrgangs im Sekundarbereich II vollzeitschulische Berufsausbildungen. Zu unterscheiden sind dabei grundsätzlich zwei Typen: die Berufsbildenden Mittleren Schulen (BMS) meist dreijähriger Dauer und die Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) fünfjähriger Dauer, die nicht nur einen beruflichen Abschluss, sondern auch eine Hochschulzugangsberechtigung verleihen. Aufgrund ihrer Doppelqualifikation sind die BHS in Österreich besonders populär. Das allgemeinbildende Schulwesen, das die Tore zur Universitätsausbildung öffnet, hat heute vor allem in Deutschland mit 37% eines Jahrgangs einen nicht zu vernachlässigenden Stellenwert.

Abbildung 1
Schüler im 1. Schuljahrgang des Sekundarbereichs II, 2008
Nikolai Abb-1.ai

Quellen: Bundesamt für Statistik: Schülerinnen, Schüler und Studierende 2008/09, Bern 2010; Statistik Austria: Bildung in Zahlen. Tabellenband 2008/09, Wien 2010; StBa, Statistisches Bundesamt: Bildung und Kultur. Berufliche Schulen. Schuljahr 2008/09, Wiesbaden 2010.

Verzahnung der beruflichen Ausbildung mit dem Hochschulsystem

Um die Kluft zwischen Berufs- und Hochschulbildung zu überbrücken, gibt es aus theoretisch-institutioneller Sicht verschiedene Ansätze.9 Es werden im Folgenden vier Maßnahmen unterschieden: Aufwertung von Berufsbildungsgängen, duale Studiengänge, doppelqualifizierende Abschlüsse und Hochschulzugang über berufliche Kompetenzen.

  • Zunächst zur Aufwertung von Berufsbildungsgängen: In Deutschland wurden bereits in den 1970er Jahren einige Ingenieurschulen, Akademien und Höhere Fachschulen für Gestaltung, für Sozialarbeit oder Wirtschaft zu Fachhochschulen umgewandelt und damit Teil des Hochschulsektors. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden Fachhochschulen auch in Österreich (1993) und der Schweiz (1997) eingerichtet. Fachhochschulen gelten im Vergleich zu den stärker theorie- und forschungsorientierten Universitäten als eher praxisnah und berufsorientiert. Diese Struktur, bestehend aus Universitäten und Fachhochschulen, wird auch als „binär“ bezeichnet.10 Im Drei-Länder-Vergleich stellt sich die Relation von Universitäten und Fachhochschulen im Wintersemester 2008/2009 wie folgt dar: von den Studienanfängern in Österreich begannen 78% ein Studium an Universitäten, 22% ein Studium an Fachhochschulen. In Deutschland treten 64% der Studienanfänger in eine Universität ein, 36% in die Fachhochschule. In der Schweiz verteilten sich die Studierenden zu 56% auf Universitäten und 44% auf Fachhochschulen.11 Fachhochschulen sind also insbesondere in der Schweiz ein stark ausgeprägter Bildungsbereich.
  • Eine zweite Möglichkeit, Berufs- und Hochschulbildung enger zu verzahnen, besteht in der Einführung von dualen Studiengängen. In Deutschland versuchen viele Bundesländer,12 mit dualen Studiengängen und Berufsakademien eine Berufsausbildung mit einem Hochschulstudium zu verbinden.13 Jedoch werden mit Ausnahme der Dualen Hochschule in Baden-Württemberg die Bachelor-Abschlüsse der Berufsakademien nicht immer von regulären Hochschulen als Grundlage für einen weiterführenden Masterstudiengang akzeptiert.14 In den letzten Jahren wurden auch in der Schweiz und in Österreich an einzelnen Studienstandorten duale Studiengänge eingerichtet. Auch wenn das duale Studium heute noch keinen sehr hohen quantitativen Stellenwert hat, könnte es in Zukunft zu einem noch attraktiveren Modell für Betriebe und Studierende werden.

Beide Maßnahmen, Aufwertung von Bildungsgängen und duale Studiengänge haben jedoch für junge Menschen den Nachteil, dass der Nachweis einer Hochschulzugangsberechtigung weiterhin erforderlich ist. Zugangshürden zum Hochschulbereich bestehen damit fort. Die Voraussetzung für die Aufnahme eines Hochschulstudiums ist üblicherweise der Nachweis eines entsprechenden schulischen Eingangszertifikats. Im Prinzip können zwei Formen von Eingangszertifikaten unterschieden werden: Die allgemeine Hochschulreife und die Fachhochschulreife. Die allgemeine Hochschulreife ermöglicht es dem Inhaber, sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen zu studieren. Die Fachhochschulreife berechtigt ausschließlich zum Studium an Fachhochschulen. Die allgemeine Hochschulreife wird traditionell an allgemeinbildenden Schulen erworben. In Österreich können Personen seit 1997 auch durch Erwerb der Berufsmatura im Anschluss an die duale Ausbildung eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung erwerben. Eine solche Möglichkeit besteht in Deutschland seit jeher in Form von Fachoberschulen und Berufsoberschulen.

  • Die Schweiz und Österreich haben jedoch in den letzten Jahren auch doppelqualifizierende Bildungsgänge eingeführt, die den simultanen Erwerb eines dualen Berufsabschlusses und einer Hochschulzugangsberechtigung vermitteln. Die 1994 eingeführte Schweizer Berufsmaturität kann parallel zur dualen Ausbildung abgelegt werden und berechtigt zum Besuch von Fachhochschulen. Im Jahr 2008 führte Österreich die Lehre mit Matura ein, d.h. die Möglichkeit parallel zur dualen Ausbildung eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben. In Deutschland besteht dagegen keine Möglichkeit des landesweiten Erwerbs einer Doppelqualifikation.15
  • Schließlich kann eine Verzahnung zwischen Berufs- und Hochschulbildung auch durch die Berücksichtigung beruflicher Kompetenzen für den Hochschulzugang hergestellt werden. So gibt es in allen drei Ländern Ausnahmeregelungen für den Zugang zu Hochschulen mit Abschlüssen der beruflichen Aus- und Fortbildung durch die Anrechnung von Berufserfahrung bzw. durch Eingangsprüfungen. Deutschland hat diese Form der Durchlässigkeit mittlerweile auch institutionalisiert und bundesweit angeglichen. Seit 2009 erhalten Studieninteressierte mit beruflicher Qualifikation eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung, wenn sie eine mindestens zweijährige berufliche Ausbildung abgeschlossenen haben und drei Jahre Berufspraxis nachweisen können. Meister und Inhaber ähnlicher Abschlüsse erhalten den allgemeinen Hochschulzugang. Mit dieser Reform berücksichtigt Deutschland nun stärker als bisher berufliche Kompetenzen und Berufserfahrung von Studieninteressierten.16

Formal versuchen Österreich, die Schweiz und Deutschland mit verschiedenen Maßnahmen, Berufs- und Hochschulbildung miteinander zu verknüpfen. Aber wie sieht die reale Durchlässigkeit heute aus? Die Abbildungen 2 bis 4 veranschaulichen für die drei Untersuchungsländer, mit welchen Zertifikaten Studienanfänger 2008 an Hochschulen gelangt sind. In Deutschland (vgl. Abbildung 2) führt der Weg an die Hochschule fast ausnahmslos über Zertifikate. Das Profil der Studienanfänger ist an Universitäten dabei relativ homogen: 93% verfügen über eine allgemeine Hochschulreife. Aber auch immerhin 61% der Fachhochschüler weisen eine allgemeine Hochschulreife auf und hätten somit auch an einer Universität studieren können. Nur 1%, respektive 2% der Universitäts- bzw. Fachhochschulanfänger sind ohne ein schulisches Zugangszertifikat an die Hochschule gelangt. Ob sich diese Situation mit den neuen Regelungen zur Anrechnung von Berufserfahrung dramatisch ändern wird, bleibt abzuwarten. Der Anteil der Personen, die mit einer ausländischen Studienberechtigung zu studieren beginnen, ist gering. Nicht ausgewiesen sind in Abbildung 2 die Anteile von Studienanfängern mit abgeschlossener Berufsausbildung. In Deutschland hat knapp ein Viertel der Studierenden mit einer allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung vor der Aufnahme des Hochschulstudiums eine berufliche Ausbildung absolviert.17

Abbildung 2
Zusammensetzung der deutschen Studienanfänger 2008 nach Art der Studienberechtigung und Hochschule
in %
Nikolai Abb-2.ai

Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2010, Bielefeld 2010.

An Schweizer Fachhochschulen (vgl. Abbildung 3) beginnen im Gegensatz zu Deutschland vergleichsweise wenige Personen mit einer allgemeinen Hochschulreife (31%). Die Schweizer Berufsmaturität, die während der dualen Ausbildung abgelegt werden kann, verschafft zertifizierten Zugang zu Fachhochschulen in der Schweiz. Über ein Drittel (37%) der Schweizer Fachhochschulanfänger verfügt über die Berufsmaturität. Die Fachhochschulen sind zudem offen gegenüber Personen ohne gymnasiale Maturität und Berufsmaturität (20%). Zu dieser Gruppe gehören vor allem Personen mit einem Diplom der höheren Berufsbildung. Die Schweiz zeichnet sich zudem als vergleichsweise offen gegenüber Personen mit ausländischer Studienberechtigung aus. 19% der Universitätsanfänger und 12% der Anfänger an Fachhochschulen sind keine Schweizer.

Abbildung 3
Zusammensetzung der Schweizer Studienanfänger 2008 nach Art der Studienberechtigung und Hochschule
in %
Nikolai Abb-3.ai

Quelle: Bundesamt für Statistik: Maturitäten und Übertritte an Hochschulen 2008, Bern 2009.

Auch in Österreich ist der Besuch einer Universität ohne Zugangszertifikat schwierig (vgl. Abbildung 4). In Österreich gibt es im Gegensatz zu den anderen beiden Untersuchungsländern lediglich die Möglichkeit, eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben, eine explizite Fachhochschulzugangsberechtigung existiert dort nicht. Jedoch bietet der österreichische Fachhochschulsektor im Vergleich zum Universitätssektor breitere Zugangsmöglichkeiten. Neben Personen mit allgemeiner Hochschulzugangsberechtigung finden auch Absolventen des dualen Ausbildungssystems, von berufsbildenden mittleren Schulen (BMS) sowie Berufstätige über Zusatzprüfungen Zugang zu Fachhochschulen (9%). 3% der Anfänger an Universitäten und 6% an Fachhochschulen haben eine Berufsreifeprüfung abgeschlossen.

Abbildung 4
Zusammensetzung der österreichischen Studienanfänger 2008 nach Art der Studienberechtigung und Hochschule
in %
Nikolai Abb-4.ai

Quelle: M. Unger, S. Zaussinger, S. Angel, L. Dünser, A. Grabher, J. Hartl, G. Paulinger, J. Brandl, P. Wejwar, R. Gottwald: Studierenden-Sozialerhebung 2009, Tabellenanhang, Wien 2010.

Die Zahlen für Deutschland, Österreich und die Schweiz zeigen zunächst, dass der Zugang zu Universitäten in allen drei Ländern für beruflich Qualifizierte ohne eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung schwieriger zu meistern ist als der Weg an die Fachhochschulen. Der Vergleich der drei Länder offenbart zudem, dass die reale Durchlässigkeit zwischen Berufs- und Hochschulbildung in der Schweiz am höchsten ist. Ein beträchtlicher Teil der Studienanfänger gelangt in der Schweiz mit der Berufsmaturität oder über Eingangsprüfungen bzw. Ausnahmeregelungen an Fachhochschulen. Mit Abstand folgen Österreich und Deutschland. Während es in Österreich in höherem Maße möglich ist, ohne Zertifikat an die Fachhochschule zu gelangen, ist in Deutschland der Anteil der Personen mit Fachabitur größer als in Österreich. Auch wenn sich die Reformen 2008 in Österreich und 2009 in Deutschland noch nicht in den Zahlen widerspiegeln können, bleibt festzuhalten, dass die Durchlässigkeit zwischen Berufs- und Hochschulbildung in beiden Ländern minimal ist.

Die Entwicklung der Studienanfängerquoten seit Mitte der 1990er Jahre gibt Aufschluss darüber, inwieweit sich die Reformen in Österreich und in der Schweiz niederschlagen. In der Tabelle sind hierzu die Studienanfängerquoten, Fachhochschulen und Universitäten zusammengenommen, angegeben. Werden die Studienanfängerquoten um die ausländischen Studenten und Studentinnen bereinigt, beginnen in Österreich 39% eines Jahrgangs ein Studium, in Deutschland und der Schweiz sind es 30%. Die Einführung von Fachhochschulen in Österreich und der Schweiz und die Einführung eines doppelqualifizierenden Abschlusses in der Schweiz 1994 scheinen sich in einem deutlichen Zuwachs an Studienanfängerinnen und -anfängern niederzuschlagen (vgl. Tabelle). Zwischen 1995 und 2008 haben die Studienanfängerquoten in Österreich um 23 Prozentpunkte und in der Schweiz um 21 Prozentpunkte zugenommen. In Deutschland fällt demgegenüber der Zuwachs mit 10 Prozentpunkten deutlich geringer aus. Die tertiäre Ausbildung nahm in Deutschland seit 1995 auch langsamer zu als im OECD-Durchschnitt mit 22 Prozentpunkten.

Entwicklung der Studienanfängerquoten im Tertiärbereich ISCED 5A

1995-2008

  1995 2000 2008 2008(ohne internationale Studierende)
Österreich 27 34 50 39
Deutschland 26 30 36 30
Schweiz 17 29 38 30
OECD-Durchschnitt 37 50 59 k.A.

Quelle: OECD: Bildung auf einen Blick, Paris 2010, S. 63.

Schlussbemerkungen

Deutlich wurde in diesem Beitrag, dass das duale Ausbildungsbildungssystem in Deutschland, Österreich und der Schweiz in unterschiedlicher Art und Weise mit dem Hochschulsystem verknüpft ist. In der Schweiz wurde 1994 (Berufsmaturität) und in Österreich 2008 (Lehre mit Matura) die Möglichkeit eröffnet, mit dem Abschluss der dualen Berufsausbildung auch gleichzeitig eine Hochschulzugangsberechtigung zu erlangen. Deutschland wählte 2009 den Weg über die Anrechnung von beruflichen Kompetenzen beim Hochschulzugang, um das duale Ausbildungssystem mit dem Hochschulbereich zu verbinden.

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass Durchlässigkeit zwischen dualem Ausbildungs- und Hochschulsystem heute vor allem über Fachhochschulen geschieht. Inwieweit doppelqualifizierende Abschlüsse wie in der Schweiz und Österreich oder wie im Falle Deutschlands die Anrechnung von beruflichen Kompetenzen tatsächlich langfristig zu einer weiteren Öffnung des Hochschulsystems führen, ist eine offene Frage.

* Wir danken Simone Grellmann und Benjamin Edelstein für ihre Unterstützung bei Recherchen und Aufbereitung der verwendeten Daten.

  • 1Vgl. T. Dunkel, I. Le Mouillour, U. Teichler: Through the looking-glass. Diversification and differentiation in vocational education and training and higher education, in: CEDEFOP (Hrsg.): Modernising vocational education and training, Fourth report on vocational training research in Europe: background report, Vol. 2, Luxemburg 2009, S. 239-268.
  • 2 Vgl. W. Streeck: On the Institutional Conditions of Diversified Quality Production, in: E. Matzner, W. Streeck (Hrsg.): Beyond Keynesianism. The Socio-Economics of Production and Employment, London 1991, S. 21-61.
  • 3 Vgl. M. Baethge: Neue soziale Segmentationsmuster in der beruflichen Bildung, in: H.-H. Krüger, U. Rabe-Kleberg, R.-T. Kramer, J. Budde (Hrsg.): Bildungsungleichheit revisited, Wiesbaden 2010, S. 275-298.
  • 4 W.-D. Greinert: Berufsqualifizierung und dritte Industrielle Revolution: Eine historisch vergleichende Studie zur Entwicklung der klassischen Ausbildungssysteme, Baden-Baden 1999; vgl. P. Gonon: Die Einführung der „Berufsmatura“ in der Schweiz als Prüfstein einer Neuorientierung von Allgemeinbildung und Berufsbildung, in: Zeitschrift für Pädagogik, 40. Jg. (1994), Nr. 3, S. 389-404.
  • 5 Vgl. C. Trampusch: Employers, the State, and the Politics of Institutional Change: Vocational Education and Training in Austria, Germany, and Switzerland, in: European Journal of Political Research, 49. Jg. (2010), Nr. 4, S. 564.
  • 6 Vgl. M. Polanyi: Implizites Wissen, Frankfurt 1985.
  • 7 Vgl. C. Ebner, R. Nikolai: Duale oder schulische Berufsausbildung? Entwicklungen und Weichenstellungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, in: Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 16. Jg. (2010), Nr. 4, S. 617-648.
  • 8 Vgl. C. Ebner, R. Nikolai, a.a.O.
  • 9 Vgl. T. Dunkel, I. Le Mouillour, U. Teichler, a.a.O.
  • 10 Vgl. R. Arum, A. Gamoran, Y. Shavit: More Inclusion than Diversion: Expansion, Differentiation, and Market Structure in Higher Education, in: Y. Shavit, R. Arum, A. Gamoran (Hrsg.): Stratification in Higher Education, Stanford 2007. S. 1-35.
  • 11 Statistik Austria: Bildung in Zahlen. Tabellenband 2008/09, Wien 2010, S. 225; vgl. Statistisches Bundesamt: Bildung und Kultur, Studierende an Hochschulen Wintersemester 2008/2009, Fachserie 11, Reihe 4.1., Wiesbaden 2009; vgl. Bundesamt für Statistik: Studierende an den universitären Hochschulen 2009/10, Bern 2010, S. 7.
  • 12 In Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen.
  • 13 Während ihres Studiums werden die Studierenden sowohl an der Hochschule als auch im Unternehmen ausgebildet. Die Studierenden erhalten von ihrem Arbeitgeber durchgängig eine monatliche Vergütung.
  • 14 Vgl. K. Hoeckel, R. Schwartz: Learning for Jobs, OECD Reviews of Vocational Education and Training Germany, Paris 2010.
  • 15 In einzelnen Bundesländern können Jugendliche in Modellprojekten oder auch im Rahmen der Kollegstufe in Nordrhein-Westfalen eine berufliche Qualifizierung mit dem Erwerb eines allgemein bildenden Abschlusses verbinden.
  • 16 Vgl. Kultusministerkonferenz: Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 6.3.2009, online: http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2009/ 2009_03_06-Hochschulzugang-erful-qualifizierte-Bewerber.pdf (Zugriff am 31. Juli 2010); Kultusministerkonferenz: Studium über berufliche Bildung. Wege und Berechtigungen, online: http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2009/09-09_ Hochschulzugang_ Berufliche_Bildung.pdf (Zugriff am 5. Oktober 2010).
  • 17 Vgl. K. Hoeckel, R. Schwartz, a.a.O. Seit 1994 ging jedoch der Anteil beruflich qualifizierter Studienanfänger von 34% (1994) auf 23% (2003) zurück; vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2009, Bonn, Berlin 2010, S. 58.


DOI: 10.1007/s10273-011-1182-1