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Der Umgang mit den Schuldenkrisen in einigen Euroländern steht derzeit ganz oben auf der Tagesordnung der EWU-Gremien. Der Rettungsschirm zur aktuellen Krisenbewältigung ist allerdings bis 2013 befristet. Danach sollte ein dauerhafter Krisenpräventions- und Krisenmanagementmechanismus eingesetzt werden. Wie ein solcher Mechanismus zu gestalten ist, erläutern die Autoren in diesem Beitrag.

Die Frage, ob und wie Länder des Euroraums in Zukunft durch Hilfsmaßnahmen der übrigen EWU-Mitgliedsländer bei Zahlungsproblemen unterstützt werden sollen, prägt die aktuelle wirtschaftspolitische Debatte und die Tagesordnungen wichtiger europäischer Gremien.1 In der öffentlichen Diskussion geht es dabei vor allem darum, wie die aktuellen Zahlungsverpflichtungen erfüllt werden können: Soll der Rettungsschirm vergrößert werden? Sollen die Gläubiger der Staatschulden und damit private Investoren inklusive Banken und zunehmend auch öffentliche Gläubiger an einer Umstrukturierung der Schulden beteiligt werden? Oder soll die Staatengemeinschaft die Rückzahlung der Schulden in Gänze garantieren?

Diese auf kurzfristige Aspekte ausgerichtete Debatte verdeckt den Blick auf die langfristigen, gemeinsamen europäischen Ziele in der Finanzpolitik. Der Erfolg der Europäischen Währungsunion wird auch davon beeinflusst, ob die Häufigkeit von untragbaren Staatsschuldenständen in den Mitgliedsländern verringert und die Fähigkeit der Gläubiger, Ausfälle gegebenenfalls zu verkraften, erhöht werden kann. Der erste Punkt, nämlich die Nachhaltigkeit und Tragfähigkeit der Staatsverschuldung zu gewährleisten, soll durch die derzeit diskutierte Nachfolgeregelung für den bisherigen und 2013 auslaufenden Krisenmechanismus (European Financial Stability Facility, EFSF, und European Financial Stability Mechanism, EFSM)2 erreicht werden. Wir plädieren in diesem Beitrag für einen alternativen Mechanismus für Prävention und Management von Staatsschuldenkrisen in der EWU, der vor den permanenten Unterstützungsmechanismus ein Qualifizierungsverfahren setzt und als Endergebnis im Extremfall auch die Staatsinsolvenz zulässt. Der zweite Punkt, die Robustheit des Finanzsystems, kann nur durch eine Reform der Regulierung der Finanzmärkte und des Bankensystems erreicht werden, die in diesem Beitrag nicht diskutiert wird.3

Die Regeln, die in den vergangenen Jahren die Staatsverschuldung im Euroraum begrenzen und die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte gewährleisten sollten, haben sich nicht bewährt. Das gilt sowohl für nationale Regeln als auch für internationale Vereinbarungen. Die bis zur Einführung der neuen Schuldenregel gültige grundgesetzliche Regelung in Deutschland, dass die Neuverschuldung die Investitionen nicht überschreiten dürfe, ließ sich nur allzu leicht umgehen,4 und der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) hat sich weder als zielgerecht noch durchsetzbar erwiesen.5 Auch die Marktzinsen, die in der Theorie frühzeitig und graduell auf steigende Liquiditäts- und Solvenzrisiken reagieren sollten, haben im Vorfeld der aktuellen Schuldenkrise als Frühindikator und Regulativ versagt.

Die Frage ist nun, an welcher Stelle angesetzt werden sollte, um in Zukunft früher und wirksamer auf Risiken aufmerksam zu werden und entsprechend zu reagieren. Bei der Beantwortung dieser Frage ist wie bei jeder wirtschaftspolitischen Frage in einer Marktwirtschaft zu ergründen, worin gegebenenfalls das Marktversagen besteht, das eine staatliche Regelung erforderlich macht. Nur wenn die Merkmale eines hier zutreffenden Marktversagens richtig verstanden werden, kann auch eine erfolgversprechende Lösung erarbeitet werden. Der Schuldenkrise ist eine Phase vorausgegangen, in der auf den Kapitalmärkten kaum ein Unterschied zwischen deutschen, griechischen und anderen Staatsanleihen aus dem gemeinsamen Währungsraum gemacht wurde. Die Zinsen der übrigen EWU-Länder hatten sich im Zuge der monetären Integration dem deutschen Niveau angenähert. Haben Kapitalanleger die Risiken griechischer Staatsanleihen nicht gekannt oder nur nicht ernst genommen? Mit Sicherheit lässt sich das nicht sagen – wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem. Offenbar ist es erforderlich, Kapitalanlegern in größerem Umfang Anreize dafür zu geben, Risiken sorgfältig zu prüfen und zu bewerten. Die Schuldenstände würden dann dadurch begrenzt, dass die politisch Handelnden Anreize zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik haben, da sie nur so Risikoaufschläge vermeiden können.

Diese disziplinierende Wirkung der Märkte hängt wesentlich davon ab, ob Ausfallrisiken als realistisch angesehen werden. Wird das Risiko eines tatsächlichen Ausfalls als gering eingeschätzt, so ist die Ausfallrisikoprämie als ein Bestimmungsgrund des Marktzinses niedrig. Die gegenwärtigen Zinsdifferenzen im Euroraum sprechen dafür, dass der Ausfall von Staatsanleihen von den Kapitalanlegern anders als früher als ein realistisches Szenario angesehen wird. Neben dem Ausfallrisiko werden bei der Bestimmung des Marktzinses aber auch weitere Risiken berücksichtigt, wie das Inflationsrisiko, das Abwertungsrisiko und das Liquiditätsrisiko. Für die Länder innerhalb des Euroraums dürften die beiden erstgenannten Risikoarten kaum zu einer Differenzierung der Nominalzinsen beitragen, aber den „Basiszins“ mitbestimmen. Das Liquiditätsrisiko, das mit der allgemeinen Marktunsicherheit und niedrigen Umsätzen einhergeht, dürfte allerdings neben dem Ausfallrisiko einen Teil der beobachteten Zinsdifferenzen erklären. Somit ist keineswegs sicher, dass die aktuellen Zinsunterschiede eine differenzierte und effiziente Bewertung der Ausfallrisiken darstellen. Die Tatsache, dass es wieder Zinsunterschiede gibt, ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Reformen sollten dafür Sorge tragen, dass die Zinsen im Euroraum nicht unabhängig von den Fundamentaldaten nivelliert werden.

Geordnete Staatsinsolvenzen ermöglichen

Auf den Kapitalmärkten wird der Ausfall von Staatsanleihen nur dann als ernst zu nehmendes Risiko angesehen, wenn eine geordnete Staatsinsolvenz möglich ist, ohne zu unverhältnismäßigen Verwerfungen im Finanzsystem zu führen.6 Im Euroraum sind Staatsinsolvenzen bisher nicht explizit geregelt. In der jüngsten Vergangenheit wurden sie vielmehr durch Kredite und Garantien der übrigen Mitgliedsländer, der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds abgewendet. Solange die Ausfälle in einzelnen Mitgliedsländern nicht die Tragfähigkeit oder -willigkeit der Schulden für die Gesamtunion übersteigen, wie dies im Falle einer Zahlungsunfähigkeit Italiens und Spaniens wohl der Fall wäre, müssen Kapitalanleger deshalb auch nicht mit Ausfällen rechnen.

Eine Möglichkeit, Vorkehrungen für Zahlungsschwierigkeiten zu schaffen, ist die Implementierung sogenannter Collective-Action-Clauses oder Umschuldungsklauseln in den Verträgen, die mit Gläubigern im Rahmen der Anleihenbegebung geschlossen werden.7 Im Falle einer Zahlungsunfähigkeit würde das betroffene Land mit den Gläubigern über einen Haircut und einen Umtausch der Anleihen in Ersatzanleihen, die zum Teil durch die Euro-Mitgliedsländer garantiert werden, verhandeln. Die Collective-Action-Clauses sehen dabei einen qualifizierten Mehrheitsentscheid (z.B. 75%) vor, dem sich alle Gläubiger beugen müssen. Sollte keine Einigung zustande kommen, gäbe es keine garantierten Ersatzanleihen und das Land müsste einseitig einen Zahlungsausfall verkünden. Diese Drohung begründet die Motivation der Gläubiger, einem Haircut zuzustimmen.

Freilich hängt die Wirkung der Drohung von der Glaubwürdigkeit der „No-Bailout-if-No-Haircut-Regel“ ab. Ohne eine grundlegende Änderung der vertraglichen und impliziten Verfahren im Euroraum dürfte eine solche Drohung kaum wirksam sein. Im Falle einer Krise würde das betroffene Land Verhandlungen mit den Gläubigern aufnehmen. Stimmen diese keiner Haircut-Regel zu, kann das betroffene Land leicht argumentieren, dass es trotz aller seiner Bemühungen keine Einigung erzielen konnte. Es ist ohne grundlegende Änderungen nicht davon auszugehen, dass die Gemeinschaft der Euroländer im Falle eines solchen „nicht selbst verschuldeten“ Ausbleibens einer Einigung ihre Unterstützung verweigert. Wenn die Kreditgeber die Reaktion der Gemeinschaft antizipieren, kann es dazu kommen, dass die erwünschte Zinsdifferenzierung als Anreiz für eine stabilitätskonforme Finanzpolitik deshalb ausbleibt, weil die Collective-Action-Clauses implementiert wurden. Die weiter bestehende implizite Bailout-Garantie würde durch ein solches Instrument lediglich gegenüber einer schlecht informierten Öffentlichkeit verschleiert.

Deshalb ist die Schaffung eines europäischen Insolvenzrechts für Staaten notwendig.8 Erfahrungen mit solchen Insolvenzregeln gibt es z.B. in den USA. Zudem wurden vom Internationalen Währungsfonds entsprechende Vorarbeiten geleistet.9 Das zentrale Problem einer Zahlungsunfähigkeit von Staaten besteht darin, dass diese nicht, wie etwa Unternehmen, liquidiert werden können. Folglich ist auch kaum nachprüfbar, ob ein Land tatsächlich (temporär oder dauerhaft) zahlungsunfähig ist. Vielmehr besteht ein Trade-off zwischen den Kosten der Bedienung der Schulden und den Kosten eines Ausfalls, vor allem des Reputationsverlustes. Deshalb muss ein Insolvenzrecht für Staaten zunächst den Insolvenzfall definieren und eine Instanz (Gericht) schaffen, die den Insolvenzfall feststellt. Zudem muss das Insolvenzrecht die Rechte der Gläubiger klären (etwa die Ansprüche und das Vertretungsrecht vor Gericht) und gleichzeitig die künftige Arbeitsfähigkeit des Staates (durch die Neuverhandlung von Verträgen, insbesondere der Arbeits-, Pensionsverträge etc. des öffentlichen Sektors, und die Grenzen der Liquidierung von Vermögensgegenständen) sichern. Nur die explizite Regelung einer Staatsinsolvenz kann ein glaubwürdiges Ausfallszenario bieten, das dann eine ausreichende Differenzierung der Marktzinsen und damit eine Marktsanktionierung überhöhter Staatsverschuldung ermöglicht. Das europäische Insolvenzrecht für Staaten ist dann Grundlage jedweder Verträge über die Emission von Staatsschuldpapieren, Collective-Action-Clauses wären verzichtbar.

Die so erreichte Differenzierung der Kosten der Staatsverschuldung zwischen den Ländern wäre zu begrüßen. Durch die explizite Möglichkeit der Staatsinsolvenz besteht allerdings auch das Risiko, dass eine Insolvenz durch Marktübertreibungen erst herbeigeführt wird.

Durch Marktübertreibungen hervorgerufene Staatsinsolvenzen verhindern

Finanzmärkte neigen, wie Märkte für Vermögensgüter im Allgemeinen, bedingt durch die spezifischen Gutseigenschaften zu Übertreibungen.10 Besonders im Falle eines glaubwürdigen Ausfallszenarios können asymmetrische externe Schocks oder plötzliche Umkehrungen von Markterwartungen eine derartige Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen eines Staates bewirken, dass erst durch sie eine Zahlungsunfähigkeit ausgelöst wird. So führen die Bilanzierungsvorschriften der Banken dazu, dass Staatsanleihen bei sinkenden Preisen bevorzugt im Banking Book (und damit zum Nennwert) und nicht im Trading Book (und damit zum Marktwert) verbucht werden. Allerdings müssen die Papiere dann auch gehalten werden. Das heißt, dass gerade in Zeiten sinkender Preise das Handelsvolumen und damit die Liquidität von Staatsanleihen sinken. Die resultierenden Zinsaufschläge verschärfen dann die Notlage der Staatsfinanzen. Die mit einer Zahlungsunfähigkeit einhergehenden Kosten für Staaten und Gläubiger könnten vermieden werden, wenn den Ländern im Falle einer solchen, nicht selbst verschuldeten Krise ein Unterstützungsmechanismus zur Verfügung stünde.

Wir schlagen einen Unterstützungsmechanismus vor, der qualifizierten Ländern mit Liquiditätsproblemen in Folge von Marktübertreibungen einen quasi-automatischen Zugang zu Hilfen der Partnerländer erlaubt. Dieser permanente Unterstützungsmechanismus soll zwar mögliche Übertreibungen der Märkte glätten, nicht aber fundamental begründete Zinsdifferenzen zwischen den Ländern eliminieren. Deshalb sollte das Finanzvolumen, über das der Unterstützungsmechanismus verfügen kann, quantitativ begrenzt sein, etwa auf 30% des aktuellen Bruttoinlandsprodukts des betroffenen Staates.

Stresstests als Frühwarnsystem

Die Qualifikation für den Unterstützungsmechanismus erfolgt auf Grundlage eines breiten Monitorings, das Stresstests beinhaltet. Um eine Differenzierung zwischen fundamental begründeten Veränderungen der Finanzierungsbedingungen und Marktübertreibungen zu ermöglichen und dennoch Hilfen zeitnah zur Verfügung stellen zu können, ist ein permanentes Monitoring der Insolvenzrisiken für die Länder des Euroraums unverzichtbar.11 Dieses Monitoring erhöht zudem die Transparenz der Staatsverschuldung gegenüber (potenziellen) Gläubigern und verringert dadurch auch das Risiko für Übertreibungen.

Vor allem am Fall Spaniens hat sich gezeigt, dass die Identifikation einer langfristig nicht tragfähigen Finanzpolitik schwierig ist. In Ländern mit einer risikobehafteten Entwicklung der Steuerbasis kann es aus einer vermeintlich gesunden haushaltspolitischen Situation schnell zu einer Überschuldung kommen, wenn große Teile der Steuereinnahmen wegbrechen, ohne dass der Staat ausgabenseitig unmittelbar reagieren kann. Sinnvoll wären daher Stresstests für die Verschuldungssituation der Euroländer, damit nicht nur die zu erwartende Entwicklung der Verschuldung, sondern auch deren Varianz bzw. das Risiko betrachtet wird. Die Stresstests sollten nicht allein auf der Grundlage weniger Indikatoren oder automatisiert anhand eines ökonomischen Modells erfolgen, das naturgemäß bisher nicht eingetretene Risiken nur unzureichend berücksichtigt. Vielmehr müssten Indikator- und Modellansätze um Expertenwissen sowie um ein möglichst breites Monitoring von Vermögenspreisen und anderen hochvolatilen volkswirtschaftlichen Indikatoren, in denen sich Verwerfungen meist stärker niederschlagen als in realen Größen, ergänzt werden. Neben den Banken-, Versicherungs- und Immobilienmärkten umfassen denkbare Indikatoren u.a. disaggregierte Aktienpreise, Anleihepreise, Zinsen und Zinsspreads nach Fristen sowie Risikoklassen.12 Bestandteil der Stresstests wären Szenarioanalysen, die aufzeigen, welchen Effekt es auf die Staatsfinanzen hätte, wenn sich z.B. eine statistisch auffällige Entwicklung als Blase entpuppt. Eine positive Einschätzung der Tragfähigkeit der Staatsverschuldung führt zu einer automatischen Qualifikation für den Unterstützungsmechanismus.

Wichtig ist, dass die entsprechenden Gutachten publiziert und in einem europäischen Gremium, beispielsweise dem Europäischen Parlament, diskutiert und bestätigt werden. Während die Veröffentlichung notwendig ist, um dem Markt die angestrebte Einpreisung etwaiger Risiken zu ermöglichen, ist die Diskussion erforderlich, um zu signalisieren, dass sich die Entscheidungsträger der Mitgliedsländer mit dem Problem kritisch auseinandergesetzt haben und die Entscheidung über die Qualifikation für den Unterstützungsmechanismus gemeinsam tragen.13 Die diesbezüglichen im Oktober 2010 vom Europäischen Rat gebilligten Vorschläge der Van-Rompuy-Task-Force zur Risikobewertung gehen in eine ähnliche Richtung und sind deshalb zu begrüßen.14 Derzeit ist die Europäische Kommission aufgefordert, ein Set von Indikatoren für die Risikobewertung zu erstellen. Dabei sollte beachtet werden, dass es, wie oben beschrieben, nicht ausreicht, einige wenige Fundamentaldaten zu betrachten.

Ausschluss aus dem Unterstützungsmechanismus

Besonders kritisch bei einem solchen permanenten und quasi-automatischen Unterstützungsmechanismus ist der Übergang aus der Gruppe der qualifizierten Länder in die Gruppe der Länder, die sich nicht (mehr) für den Unterstützungsmechanismus qualifizieren. Theoretisch könnte es sein, dass eine Schuldenkrise und damit die Insolvenz eines Landes erst durch den Ausschluss aus dem Mechanismus ausgelöst wird. Deshalb sollte den Ländern vor einem Ausschluss die Möglichkeit eingeräumt werden, durch entsprechende Reformvorschläge die Mitgliedschaft im Unterstützungsmechanismus aufrechtzuerhalten. Diese Reformvorschläge müsste das Land der Gemeinschaft in Form einer verbindlichen Absichtserklärung (Letter-of-Intent) darlegen. Erst wenn die Reformen als nicht zielführend im Sinne einer tragfähigen Staatsverschuldung angesehen werden, sollte das Land aus dem Unterstützungsmechanismus ausgeschlossen werden.

Ein Ausschluss aus dem Unterstützungsmechanismus bietet wesentliche Vorteile gegenüber der Androhung von Sanktionen, wie sie etwa von der Van-Rompuy-Task-Force vorgeschlagen wurden. Zum einen ist das Aufdecken eines Risikos für die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung nicht identisch mit dem Eintritt einer Schuldenkrise. Vielmehr können Länder durchaus unterschiedliche Präferenzen in Bezug auf Risiken aufweisen. Eine Bestrafung von Ländern aufgrund unterschiedlicher Präferenzen läuft der Pluralität der europäischen Gemeinschaft zuwider. Allerdings können einzelne Mitgliedsländer nicht erwarten, dass die Gemeinschaft selbst gewählte höhere Risiken trägt; deshalb der Ausschluss aus dem Unterstützungsmechanismus. Zum anderen ist kaum glaubhaft zu machen, dass Länder in einer prekären Situation von der Gemeinschaft durch Strafzahlungen zusätzlich belastet werden. Hinzu kommt, dass es trotz präventiver Sanktionen zu Krisen und auch zu staatlichen Zahlungsproblemen kommen kann. In einem solchen Fall wird es schwierig sein, der Argumentation, dass die Zahlungsprobleme durch die Sanktionen erst ausgelöst oder verstärkt worden seien, etwas entgegen zu halten. Das Ergebnis wäre wiederum, dass die Staatengemeinschaft nicht um Garantien oder Kredite herum käme – mit entsprechenden Effekten auf die Erwartungsbildung der Kapitalanleger.

Solidarische Hilfen für insolvente Staaten leisten

Im Falle einer geordneten Insolvenz kann die Europäische Gemeinschaft dem betroffenen Land bei der Wiederherstellung seiner Glaubwürdigkeit an den internationalen Märkten helfen.15 So könnte dieses Land nach einer Insolvenz neue Anleihen ausgeben, die zu einem Teil von der Gemeinschaft garantiert werden. Diese Garantien sollten an strenge Bedingungen geknüpft werden, die auf Vorschlägen des betroffenen Landes zur Verbesserung seiner ökonomischen Strukturen basieren und dem Land die langfristige Tragbarkeit der Staatsverschuldung ermöglichen.

Während das Insolvenzrecht auf die Stabilität des Finanzsystems, die Bedienung der Gläubiger und die kurzfristige Arbeitsfähigkeit des Staates abzielt, sollten die hier geforderten Reformprogramme zukunftsorientiert sein; z.B. könnte die Etablierung nationaler Schuldenregeln eine Bedingung sein. Die Garantien sollten zudem quantitativ und zeitlich begrenzt werden, um eine baldige eigenständige Verantwortung für die Staatsverschuldung herzustellen und eine (Wieder-)Qualifikation für den permanenten Unterstützungsmechanismus zu ermöglichen.

Aktuelle Schuldenkrisen lösen

Die vorgestellten Institutionen sollen künftige Verschuldungskrisen vermeiden und deren Abwicklung regeln. Damit wird für alle Beteiligten die Transparenz erhöht und eine frühzeitige Begrenzung der Staatsverschuldung über steigende Finanzierungskosten an den Kapitalmärkten ermöglicht. Allerdings befinden sich einige Länder des Euroraums bereits tief in einer Krise ihrer Zahlungsfähigkeit, und die hier vorgeschlagenen Institutionen gibt es noch nicht. Würden diese neuen Institutionen im Jahr 2013 als Ablösung für die bestehenden Rettungsschirme eingeführt, dürften besonders die derzeit hoch verschuldeten Länder mit schwerwiegenden Problemen bei der Wettbewerbsfähigkeit direkt unter ein etwaiges neues Insolvenzrecht fallen. Grundsätzlich ist dies durchaus zu begrüßen, allerdings führt eine andauernde Unterstützung dieser Länder durch die Mittel aus den aktuellen Rettungsfonds zu einer erheblichen Belastung der Euroländer insgesamt und dürfte zudem die Zustimmung der betroffenen Länder zu den neuen Regelungen erschweren.

Die Belastung der Euroländer dürfte sich erhöhen, weil im Zeitverlauf der Anteil der europäischen Partner an den Krediten hoch verschuldeter Länder weiter steigen dürfte (der Anteil privater Gläubiger dürfte tendenziell sinken). Damit wären die EU-Partner auch von Ausfällen stärker betroffen. Im Interesse der Partnerländer im Euroraum und auch im Interesse der überschuldeten Länder wäre ein Ende mit Schrecken wohl besser als eine über Jahre andauernde „Konkursverschleppung“. Die nicht-tragbare Staatsschuld der betroffenen Länder sollte deshalb baldmöglichst signifikant abgebaut werden, um einen Neustart zu ermöglichen.

Der Abbau der Staatsschuld kann zum einen durch einen „ungeordneten“ Haircut erfolgen. Insbesondere könnte den privaten Gläubigern ein teil-garantiertes Ersatzpapier angeboten werden, das freilich einen deutlichen Abschlag auf den Nennwert der Forderungen enthielte. Die öffentlichen Gläubiger müssten auf einen entsprechenden Anteil an ihren bisherigen Forderungen verzichten. Dabei sollte der Haircut so bemessen sein, dass den Ländern eine Rückkehr an die Märkte ermöglicht wird. Diese solidarische Unterstützung erleichtert es den Krisenländern wohl auch, den notwendigen grundlegenden Reformen der EU-Institutionen zuzustimmen.

Ferner wird derzeit diskutiert, eine Entschuldung durch ein Rückkaufprogramm von Staatsanleihen zu ermöglichen.16 So könnte der EFSF Staatspapiere zu Marktpreisen, die in den Krisenländern derzeit zum Teil deutlich unter dem Nennwert der Papiere liegen, aufkaufen. Der EFSF könnte diese Papiere dann gegen neue Anleihen mit einem niedrigeren Nennwert eintauschen. Die Staatsverschuldung könnte damit um die Differenz zwischen Nennwert und Marktpreis reduziert werden. Ein solches Rückkaufprogramm hätte zwei zentrale Probleme. Zum einen wäre es wohl unvermeidbar, dass im Zuge der Ankündigung eines solchen Programms die Preise für die betroffenen Anleihen sprunghaft steigen würden und damit das Potenzial für eine Reduzierung der Staatsschulden eingeschränkt sein dürfte. Dem könnte eventuell begegnet werden, indem ein Rückkaufpreis, der sich an den Marktpreisen vor der Ankündigung orientiert, festgelegt wird. Zum anderen ist fraglich, ob die erreichte Reduzierung der Staatsschuld für die Wiederherstellung der Solvenz ausreicht. Sollte dies der Fall sein, dann besteht für die aktuellen Gläubiger individuell kein Anreiz einem Rückkauf zuzustimmen, weil es lukrativer ist, auf die volle Rückzahlung nach Wiederherstellung der Solvenz zu setzen. Sollte dies jedoch nicht gelingen, dann müsste der EFSF die Hauptlast eines künftigen Haircuts tragen. Nur wenn diese Probleme gelöst werden können, wäre ein Rückkaufprogramm eine Alternative zu einer einseitigen Erklärung eines Haircuts. Wichtig wäre in jedem Fall eine baldige Reduktion der Staatsschulden in den Krisenländern.

Zusammenfassung der Reformvorschläge

Ziel der anstehenden Reformen muss vor allem die Vermeidung von zukünftigen Staatsinsolvenzen im Euroraum und der damit einhergehenden negativen Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Währungsunion sein. Dieses Ziel ist am ehesten zu erreichen, wenn die Ausfallwahrscheinlichkeiten auf den Kapitalmärkten berücksichtigt und Risikoprämien erhoben würden, die einer ausufernden Staatsverschuldung entgegenwirken. Allerdings sollte der Euroraum auf eventuelle zukünftige Staatschuldenkrisen besser als heute vorbereitet sein.

In der Abbildung 1 wird ein möglicher Krisenmechanismus dargestellt. Ausgangspunkt sind jährliche nationale Stresstests aufbauend auf einem makroökonomischen Monitoring. Lassen sich in den Stresstests keine fundamental begründeten Risiken erkennen, dann qualifiziert sich das Land automatisch für einen permanenten Unterstützungsmechanismus, der im Bedarfsfall Garantien oder Kredite bereitstellt. Treten bei einem nationalen Stresstest allerdings bedeutende Risiken zu Tage, dann wird das Land aufgefordert, in einem Letter-of-Intent Reformvorschläge zu unterbreiten. Werden diese als ausreichend bewertet, dann qualifiziert sich das Land ebenfalls für den permanenten Unterstützungsmechanismus. Sollten die Reformvorschläge als nicht geeignet zur Begrenzung der Risiken bewertet werden, dann wird das Land aus dem Mechanismus ausgeschlossen. Da auch im Falle einer Unterstützungsgarantie Krisen nicht gänzlich ausgeschlossen werden können, ist es den Ländern demnach mit oder ohne Unterstützungsgarantie möglich, einer Zahlungsunfähigkeitskrise zu begegnen. Qualifizierte Länder würden in einem solchen Fall den Unterstützungsmechanismus in Anspruch nehmen. Dieser sollte ausreichen, um Marktübertreibungen wirksam abzufedern. Nur im theoretischen Fall, dass das Volumen nicht ausreicht, muss für das Land ein geordnetes Insolvenzverfahren durchgeführt werden. Länder, die ohne Qualifikation für den permanenten Unterstützungsmechanismus zahlungsunfähig werden, durchlaufen direkt ein Insolvenzverfahren. Gelingt es dem Land, im Zuge der Insolvenz Strukturreformen zu planen, die geeignet sind, langfristig neue Schuldenprobleme zu vermeiden, dann kann das Land solidarische Hilfen zur Wiederherstellung des Zugangs zu den internationalen Kapitalmärkten in Form von Garantien in Anspruch nehmen. Verbessert sich die Risikolage dadurch, dann kann sich das Land wieder für den Unterstützungsmechanismus qualifizieren, anderenfalls ist bei erneuter Zahlungsunfähigkeit wieder unmittelbar ein Insolvenzverfahren einzuleiten.

Abbildung 1
Funktionsweise eines dauerhaften Krisenmechanismus

Dieser Beitrag zeigt, wie die aktuellen Reformvorschläge für den Umgang mit Staatschuldenkrisen in Europa zu einem Krisenpräventions- und Krisenmanagementmechanismus beitragen können, der den 2013 auslaufenden Rettungsschirmen nachfolgt. Der vorgeschlagene Mechanismus würde sowohl langfristig Anreize zur soliden Haushaltsführung setzen als auch kurzfristige Krisen, die z.B. durch Marktübertreibungen ausgelöst werden, bewältigen können. Für jedes Element dieses Ansatzes gibt es Äquivalente unter den Instrumenten des IWF oder (im Falle des Insolvenzrechts) zumindest Vorarbeiten in dieser Hinsicht. Es ist daher anzuraten, die Implementierung und Durchführung der Vorschläge in enger Abstimmung mit dem IWF durchzuführen.

Die Autoren danken Diemo Dietrich, Makram El-Shagi und Axel Lindner für viele Diskussionen über die Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum.

  • 1 Ende März 2011 plant der Europäische Rat ein Paket von Maßnahmen zu beschließen, das auch die Transformation des temporären Rettungsschirms in einen permanenten Krisenmechanismus beinhaltet.
  • 2 Details zum EFSM finden sich in der Erklärung des Europäischen Rates vom 10.5.2010: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/ecofin/114324.pdf, Details zum EFSF finden sich auf dessen Homepage: http://www.efsf.europa.eu/about/index.htm.
  • 3 Siehe hierzu z.B. K. R. French, M. N. Baily, J. Y. Campbel, J. H. Cochrane: The Squam Lake Group Report. Fixing the Financial System, Princeton (NJ), Oxford 2010.
  • 4 Zu den Mängeln des alten Artikel 115 im Grundgesetz siehe Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Staatsverschuldung wirksam begrenzen, 2007, S. 57 ff.
  • 5 Siehe hierzu D. Dietrich, O. Holtemöller, A. Lindner: Wege aus der Schulden- und Vertrauenskrise in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 8, 2010, S. 370-375.
  • 6 Vgl. Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Arbeitskreis Konjunktur: Konjunktur aktuell: Aufschwung in Deutschland geht weiter – Krisenprävention und Krisenmanagement in Europa unter Reformdruck, in: Wirtschaft im Wandel, 17. Jg. (2011), Nr. 1, S. 6-32.
  • 7 Vgl. z.B. H. W. Sinn, K. Carstensen: Ein Krisenmechanismus für die Eurozone, in: ifo Schnelldienst, Sonderausgabe, 23.11.2010.
  • 8 Vgl. z.B. A. Weber: Finanzpolitische Herausforderungen der Wirtschafts- und Finanzkrise, Ludwig-Erhard-Lecture, 14.10.2010, Berlin, http://www.bundesbank.de/download/presse/reden/2010/20101014.weber.pdf.
  • 9 International Monetary Fund: The Design of the Sovereign Debt Restructuring Mechanism – Further Considerations, 27.11.2002, http://www.imf.org/external/np/pdr/sdrm/2002/112702.pdf. Die Einführung eines neuen Instruments zur Restrukturierung von Staatsschulden auf internationaler Ebene wurde 2003 zwar von einer Mehrheit der Direktoren des Exekutivdirektoriums des IWF unterstützt, konnte aber nicht durchgesetzt werden. Siehe dazu: Internationaler Währungsfonds: Jahresbericht, 2003, http://www.imf.org/external/pubs/ft/ar/2003/deu/pdf/file2d.pdf, S. 39-40.
  • 10 Siehe hierzu zum Beispiel O. Holtemöller: Vermögenspreisblasen: Erklärungsansätze und wirtschaftspolitische Überlegungen, in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 16, 2010, S. 558-564.
  • 11 Ein solches Instrument, das einen permanenten Rückgriff auf einen Unterstützungsmechanismus beinhaltet und deshalb einer vorgelagerten Qualifikation (Ex-ante-Konditionen) bedarf, gibt es mit der Flexible Credit Line seit 2009 auch beim IWF. Siehe dazu: J. John, T. Knedlik: Reform der Kreditvergabe des IWF erhöht die Stabilität in Schwellenländern, in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 3, 2010, S. 164-173.
  • 12 Weitere Vorschläge für die Kriterien einer makroökonomischen Überwachung finden sich z.B. bei M. Heise: Notwendigkeit und Ausgestaltung makroökonomischer Überwachung im Euroraum, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 1, S. 22-30; European Central Bank: Reinforcing Economic Governance in the Euro Area, 10.6.2010, http://www.ecb.int/pub/pdf/other/reinforcingeconomicgovernanceintheeuroareaen.pdf, S. 9.
  • 13 Ein interessanter Vorschlag zur institutionellen Verankerung des Diskussionsprozesses beim Europäischen Rat findet sich in: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Ein neues Verfahren für die wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa, Monatsbericht, 08-2010, http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Service/publikationen,did=351600.html, S. 10-14.
  • 14 Europäischer Rat: Abschlussbericht der Arbeitsgruppe (van Rompuy Task Force), 21.10.2010, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/117429.pdf.
  • 15 Vgl. Plenum der Ökonomen: Thesen zur Schuldenkrise, 28.1.2011, http://www.wiso.uni-hamburg.de/lucke/?p=501, These 3; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Überschuldung und Staatsinsolvenz in der Europäischen Union, Gutachten Nr. 01/11, Januar 2011, http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Service/publikationen,did=376066.html.
  • 16 Vgl. z.B. D. Gros, T. Mayer: Debt reduction without default, CEPS Policy Brief, Nr. 233, Februar 2011, http://www.ceps.eu/book/debt-reduction-without-default.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1202-1

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