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Der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ hat in seiner aktuellen Prognose die Aufkommenserwartungen für die Jahre 2011 bis 2015 erheblich nach oben revidiert. Worauf sind die zu erwartenden Steuermehreinnahmen zurückzuführen? Eröffnen sie der Finanzpolitik neue Handlungsspielräume?

Der beim Bundesministerium der Finanzen (BMF) angesiedelte Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ (AKS)1 traf sich vom 10. bis 12. Mai 2011 in Fulda, um die Entwicklung des Steueraufkommens in Deutschland für die Jahre 2011 bis 2015 zu prognostizieren. Seine Schätzung basiert auf den gesamtwirtschaftlichen Eckwerten der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung vom April 2011, die von einer kräftigen konjunkturellen Erholung ausgeht. Zudem bezog der AKS die seit der vergangenen Steuerschätzung beschlossenen Steuerrechtsänderungen in seine Prognose ein, die insbesondere auf eine Besserung der angespannten Haushaltslage abzielen.

Gesamtwirtschaftliche Eckwerte: Aufschwung setzt sich fort

Die deutsche Wirtschaft hat sich von der tiefen Rezession im Gefolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise unerwartet rasch erholt und befindet sich derzeit in einem kräftigen Aufschwung. Die Bundesregierung hat daher – wie andere Institutionen auch2 – ihre Konjunktur- und Wachstumsprognose deutlich nach oben revidiert. War sie bei der mittelfristigen Steuerschätzung im Mai vergangenen Jahres für 2011 noch von einem Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,6% und bei der kurzfristigen Steuerschätzung im November von 1,8% ausgegangen, so prognostiziert sie in ihrer aktuellen Frühjahrsprojektion nunmehr einen Anstieg von 2,6%. Für das Jahr 2012 geht sie von einem BIP-Zuwachs von 1,8% aus, und in den Jahren 2013 bis 2015 legt sie einen Anstieg von durchschnittlich 1,6% je Jahr zugrunde (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Wichtige gesamtwirtschaftliche Eckdaten für die Steuerschätzungen von Mai 2010 bis Mai 2011
  2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Mai 20101 in Mrd. Euro Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
Reales BIP 2160,9 1,4 1,6 1,7 1,7 1,7  
Nominales BIP 2407,2 1,8 2,4 2,9 2,9 2,9  
Bruttolöhne und -gehälter 991,3 0,8 1,0 2,5 2,5 2,5  
Unternehmens- und Vermögens­einkommen 591,1 4,0 5,0 3,6 4,4 4,7  
Modifizierte letzte inländische Verwendung 2064,9 1,5 1,6 2,4 2,4 2,4  
November 20102              
Reales BIP 2169,3 3,4 1,8 1,5      
Nominales BIP 2397,1 4,1 3,0 2,8      
Bruttolöhne und -gehälter 992,1 2,4 2,5 2,4      
Unternehmens- und Vermögens­einkommen 566,0 17,0 4,2 3,3      
Modifizierte letzte inländische Verwendung 2057,0 2,7 2,2 2,3      
Mai 20113 in Mrd. Euro Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
Reales BIP 2169,3 2248,1 2,6 1,8 1,6 1,6 1,6
Nominales BIP 2397,1 2498,8 3,5 3,5 3,0 3,0 3,0
Bruttolöhne und -gehälter 992,1 1020,5 3,1 3,3 2,5 2,5 2,5
Unternehmens- und Vermögens­einkommen 566,0 641,6 4,9 4,1 4,7 4,7 4,7
Modifizierte letzte inländische Verwendung 2057,0 2112,6 3,1 3,1 2,6 2,6 2,6

1 Ist: 2009; Prognose: 2010 bis 2014.

2 Ist: 2009; Prognose: 2010 bis 2012.

3 Ist: 2010; Prognose: 2011 bis 2015.

Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Wirtschaft/projektionen.

Für die Steuerschätzung ist die Entwicklung des nominalen BIP und der gesamtwirtschaftlichen Einkommens- und Verwendungsaggregate entscheidend. Auch diese Eckdaten wurden gegenüber den vorangegangenen Schätzterminen kräftig nach oben revidiert. War die Bundesregierung im Frühjahr 2010 noch von einem Zuwachs des nominalen BIP von 2,4% und im Herbst von 3,0% ausgegangen, so erwartet sie nunmehr einem Anstieg um 3,5%; für die Folgejahre werden ebenfalls höhere Zuwächse zugrundegelegt, und zwar von 3,5% für 2012 und von durchschnittlich 3,0% je Jahr in der mittleren Frist. Als Folge davon wurden auch die Bruttolöhne und -gehälter sowie die Unternehmens- und Vermögenseinkommen sowie die modifizierte letzte inländische Verwendung3, die als gesamtwirtschaftliche Bemessungsgrundlagen das Aufkommen der Lohnsteuer, der Gewinnsteuern und der Steuern vom Umsatz bestimmen, nach oben revidiert (vgl. Abbildung 1, Tabelle 1).

Abbildung 1
Wichtige Bestimmungsfaktoren des Steueraufkommens
2008 = 100; Ist: 2008 bis 2010, Prognose: 2011 bis 2015
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Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie; eigene Berechnungen.

Steuerrechtsänderungen erhöhen das Aufkommen

Der AKS schätzt das Steueraufkommen stets auf der Grundlage des geltenden Steuerrechts. Daher wurden in dieser Schätzung eine Vielzahl von aufkommenserhöhenden Maßnahmen, die seit der Steuerschätzung vom November 2010 zur Haushaltskonsolidierung beschlossen worden waren, erstmals berücksichtigt: so wurden u.a. die Luftverkehrsabgabe und die Kernbrennstoffsteuer eingeführt, die Tabaksteuer erhöht und Steuervergünstigungen bei der Energie- und der Stromsteuer begrenzt. Außerdem haben Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, das Saarland und Thüringen die Grunderwerbsteuer angehoben. Zudem wurden für die Jahre 2013 bis 2015 erstmals auch die finanziellen Auswirkungen des Ersten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und die Neuregelung der einkommensteuerlichen Behandlung von Berufsausbildungskosten berücksichtigt. Ferner waren die Umsetzung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 26. Januar 2011 zum Beihilfeverfahren (Nichtanwendung der Sanierungsklausel bei der Verlustverrechnungsbeschränkung bei Körperschaften) sowie die Anwendung des EuGH-Urteils vom 22. Januar 2009 in der Rechtssache C-377/07 STEKO einzubeziehen.4 Die Steuerrechtsänderungen führen zu Mehreinnahmen von 2,7 Mrd. Euro (2011), 4,0 Mrd. Euro (2012), 3,8 Mrd. Euro (2013), 3,9 Mrd. Euro (2014) und 4,1 Mrd. Euro (2015). Das Mehraufkommen entlastet im laufenden Jahr ausschließlich den Bund, während sich die Länder und die Gemeinden zunächst sogar auf geringe Aufkommenseinbußen einstellen müssen (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2
Finanzielle Auswirkungen der Steuerrechtsänderungen1
Steuermehreinnahmen (+) und Steuermindereinnahmen (-) in Mrd. Euro gegenüber 2010
  2011 2012 2013 2014 2015
Steuerrechtsänderungen insgesamt 2,7 4,0 3,8 3,9 4,1
Jahressteuergesetz 2010 -0,8 -0,5 -0,3 -0,3 -0,3
Kernbrennstoffsteuergesetz 1,7 2,3 2,3 2,3 2,3
Luftverkehr­steuergesetz 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0
Änderung der Insolvenzordnung 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3
Änderung des Energiesteuergesetzes sowie Änderung des Strom­steuergesetzes und der Stromsteuer-Durchführungs­verordnung 0,4 0,2 -0,4 -0,4 -0,4
Erhöhung der Tabaksteuer 0,2 0,5 0,7 0,8 1,0
Anhebung der Grunderwerbsteuer 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2
Sonstige Rechtsänderungen2 -0,3 0,1      
Auswirkungen der Steuerrechtsänderungen nach Ebenen          
Bund 3,0 4,0 3,6 3,8 4,0
Länder -0,2 0,1 0,2 0,2 0,2
Gemeinden -0,2 0,0 0,0 0,0 0,0

1 Seit der Steuerschätzung vom November 2010 beschlossene Steuerrechtsänderungen, ohne Berücksichtigung der Steuerrechtsänderungen der Kommunen sowie ohne makroökonomische Rückwirkungen.

2 Umsetzung des Beschlusses der EU-Kommission vom 26.1.2011 zum Beihilfeverfahren zu § 8c Körperschaftsteuergesetz KStG („Rückabwicklung der Sanierungsklausel“) sowie Anwendung des EuGH-Urteils vom 22.1.2009 in der Rechtssache C-377/07 STEKO.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen.

Dem Steuermehraufkommen aus den Steuerrechtsänderungen stehen allerdings an anderer Stelle auch Mindereinnahmen gegenüber: So sind im Zusammenhang mit dem „Meilicke-Urteil“5 zur Berücksichtigung ausländischer Körperschaftsteuerzahlungen bei der Besteuerung von Dividenden Steuererstattungen von 3,5 Mrd. Euro im diesem und von 1,2 Mrd. Euro im kommenden Jahr unterstellt.

Aufschwung beschert dem Staat erhebliche Steuermehreinnahmen

Auf Basis der gesamtwirtschaftlichen Eckdaten der Bundesregierung und unter Berücksichtigung des geltenden Steuerrechts prognostizierte der AKS für die kommenden Jahre einen Anstieg des Steueraufkommens von 4,6% (2011), 5,3% (2012), 4,1% (2013), 3,6% (2014) und 3,5% (2015) (vgl. Tabelle 3). Bund, Länder und Kommunen können 2011 mit einem um 17,6 Mrd. Euro und im kommenden Jahr mit einem um 21,4 Mrd. Euro höheren Steueraufkommen rechnen als noch im November 2010 vorhergesagt. In den Jahren 2013 und 2014, die bei der Kurzfristprognose im Herbst vergangenen Jahres nicht geschätzt wurden, kann sogar mit Mehreinnahmen von 47,3 bzw. 49 Mrd. Euro gerechnet werden. Das Steueraufkommen wird damit in den kommenden Jahren neue Höchststände erreichen, bleibt aber erheblich hinter den Erwartungen vor der Wirtschafts- und Finanzkrise zurück (vgl. Abbildung 2). Entscheidend für das stattliche Einnahmeplus ist die deutlich bessere konjunkturelle Ausgangslage. Nachdem das nominale Bruttoinlandsprodukt bereits im Vorjahr mit 4,1% erheblich stärker expandierte als ursprünglich vorausgesagt, werden auch in diesem und dem kommenden Jahr – wie dargestellt – höhere Zuwächse erwartet. Die derzeit kräftig expandierende Wirtschaft führt nicht nur in diesem und dem kommenden Jahr zu Mehreinnahmen, sondern steigert auch mittelfristig das Steueraufkommen, da über den gesamten Projektionszeitraum hinweg das Produktionsniveau deutlich höher ausfällt als bisher angenommen.

Tabelle 3
Ergebnisse des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ vom Mai 20111
  2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Steuern insgesamt (in Mrd. Euro) 524,0 530,6 555,0 584,6 608,7 630,5 652,3
(Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) -6,6 1,3 4,6 5,3 4,1 3,6 3,5
Steueraufkommen nach Ebenen              
Steueraufkommen des Bundes2 (in Mrd. Euro) 228,0 225,0 237,4 247,2 255,4 265,0 274,3
(Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) -6,2 1,0 5,1 4,2 3,3 3,7 3,5
Steueraufkommen der Länder2,3 (in Mrd. Euro) 207,1 210,1 217,3 228,7 238,3 246,4 254,7
(Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) -6,2 1,4 3,4 5,2 4,2 3,4 3,4
Steueraufkommen der Gemeinden4 (in Mrd. Euro) 68,4 70,4 73,7 79,1 83,7 87,4 91,0
(Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) -11,2 2,9 4,7 7,4 5,8 4,4 4,1
Steueraufkommen der EU (in Mrd. Euro) 20,5 24,4 26,6 29,6 31,3 31,8 32,3
(Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) -11,2 18,9 9,2 11,1 5,9 1,5 1,5
Steueraufkommen nach Steuerarten in Mrd. Euro Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
Lohnsteuer 135,2 127,9 5,1 6,1 5,4 5,1 5,0
Veranlagte Einkommensteuer 26,4 31,2 -9,6 22,9 13,6 6,2 5,6
Kapitalertragsteuern2 24,9 30,0 14,0 -3,7 5,8 5,9 5,2
Körperschaftsteuer 7,1 12,0 11,8 41,7 11,2 7,5 6,6
Gewerbesteuer 32,4 35,7 8,2 8,7 6,5 4,8 4,3
Steuern vom Umsatz 177,0 180,0 4,1 2,6 2,6 2,6 2,7
Sonstige Steuern 120,9 122,0 4,9 1,6 0,3 1,1 1,0
Steuerquote (in % des nominalen BIP) 21,9 21,2 21,5 21,8 22,1 22,2 22,4

1 Ist: 2009 bis 2010; Prognose: 2011 bis 2015.

2 Nach Ergänzungszuweisungen, Umsatzsteuerverteilung und Finanzausgleich.

3 Ohne Gemeindesteuereinnahmen der Stadtstaaten.

4 Mit Gemeindesteuereinnahmen der Stadtstaaten. Abweichungen in den Summen durch Rundung der Zahlen.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen: Ergebnisse der Steuerschätzung vom 10. bis 12.5.2011, Monatsbericht des BMF, Mai 2011, S. 37-45.

Abbildung 2
Ergebnisse ausgewählter Steuerschätzungen
in Mrd. Euro
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Quelle: Bundesministerium der Finanzen.

Über den gesamten Planungszeitraum hinweg belaufen sich die erwarteten Mehreinnahmen im Vergleich zu den Schätzungen vom Mai bzw. November 2010 auf 135,4 Mrd. Euro. Davon entfallen allein rund 33 Mrd. Euro (24%) auf die Lohnsteuer. Hier schlägt zu Buche, dass die Bruttolohn- und -gehaltssumme im Projektionszeitraum infolge der höheren Beschäftigungszahlen und der stärker steigenden Bruttolöhne je Arbeitnehmer erheblich kräftiger expandiert als bislang erwartet. Rund 50 Mrd. Euro (37%) der Mehreinnahmen entfallen auf die veranlagte Einkommensteuer, die Kapitalertragsteuern, die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer. Dies ist überwiegend Folge der besseren Gewinnaussichten. Die Steuern vom Umsatz profitieren davon, dass die Inlandsnachfrage zunehmend an Kraft gewinnt und der Aufschwung in zunehmendem Maße von ihr getragen wird; ihr Anteil an den von 2011 bis 2015 insgesamt erwarteten Mehreinnahmen beläuft sich auf knapp 23 Mrd. Euro (17%).

Die volkswirtschaftliche Steuerquote, also der Anteil der Steuereinnahmen am nominalen BIP, wird nach Einschätzung des AKS 2011 voraussichtlich von 21,2  auf 21,5% steigen (vgl. Tabelle 3). Auch in den Folgejahren dürfte das Steueraufkommen stärker als das nominale BIP expandieren (vgl. Abbildung 3), so dass die Steuerquote kontinuierlich auf 22,4% im Jahr 2015 zunehmen dürfte. Sie liegt damit um 0,3 Prozentpunkte unter dem vor der Wirtschafts- und Finanzkrise erreichten Niveau.

Abbildung 3
Nominales BIP und Steueraufkommen
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
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1992 bis 2010 = Ist-Ergebnis; 2011 bis 2015 = Schätzung.

Quellen: Bundesministerium der Finanzen, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Statistisches Bundesamt.

Von den im Vergleich zu den vorangegangenen Steuerschätzungen erwarteten Mehreinnahmen in Höhe von 135,3 Mrd. Euro kommen allein 66,8 Mrd. Euro dem Bund zugute. Länder und Gemeinden können mit Mehreinnahmen von 54,6 bzw. 19,3 Mrd. Euro rechnen. Die EU-Abführungen werden etwas geringer veranschlagt als bislang zugrunde gelegt (vgl. Tabelle 4).

Tabelle 4
Abweichungen der Steuerschätzung vom Mai 2011 zu den Schätzungen vom November bzw. Mai 2010
in Mrd. Euro
  Ergebnis der Steuer­schätzung vom November bzw. Mai 20101 Abweichungen Ergebnis der Steuer­schätzung vom Mai 2011
  Insgesamt davon
    Steuerrechts­änderungen2 Änderung EU-Abführung Schätz­abweichung3
2011            
Bund4 225,4 12,0 3,0 2,1 6,9 237,4
Länder4 211,3 6,0 -0,3   6,3 217,3
Gemeinden4 72,3 1,4 -0,2   1,6 73,7
EU 28,4 -1,8 0,0 -2,1 0,3 26,6
Steuer­einnahmen insgesamt 537,3 17,6 2,5 0,0 15,0 555,0
2012            
Bund4 234,7 12,6 4,0 1,1 7,5 247,2
Länder4 221,3 7,3 -0,1   7,4 228,7
Gemeinden4 77,1 2,0 0,0   2,0 79,1
EU 30,0 -0,4 0,0 -1,1 0,6 29,6
Steuer­einnahmen insgesamt 563,2 21,4 3,9 0,0 17,6 584,6
2013            
Bund4 234,8 20,6 3,6 -0,4 17,3 255,4
Länder4 220,7 17,6 0,1   17,5 238,3
Gemeinden4 75,7 8,0 0,1   7,9 83,7
EU 30,1 1,2 0,0 0,4 0,8 31,3
Steuer­einnahmen insgesamt 561,3 47,3 3,8 0,0 43,5 608,7
2014            
Bund4 243,4 21,6 3,8 -0,5 18,2 265,0
Länder4 228,1 18,4 0,1   18,3 246,4
Gemeinden4 79,5 7,9 0,1   7,8 87,4
EU 30,6 1,2 0,0 0,5 0,7 31,8
Steuer­einnahmen insgesamt 581,5 49,0 4,0 0,0 45,0 630,5

1 Steuerschätzung vom November 2010 für 2011 und 2012; Steuerschätzung vom Mai 2010 für 2013 und 2014.

2 Ohne Anhebung der Grunderwerbsteuer und ohne Steuerrechtsänderungen der Kommunen. Abweichungen in den Summen durch Rundung der Zahlen. Ab dem Jahr 2013 unter Berücksichtigung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vom 11.8.2010 sowie der einkommensteuerlichen Behandlung von Berufsausbildungskosten.

3 Aus gesamtwirtschaftlichen Gründen und infolge unvorhergesehener Verhaltensänderungen der Wirtschaftssubjekte.

4 Nach Ergänzungszuweisungen, Umsatzsteuerverteilung, Finanzausgleich und Konsolidierungshilfen.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen: Ergebnisse der Steuerschätzung vom 10. bis 12.5.2011, Monatsbericht des BMF, Mai 2011, S. 37-45; Bundesministerium der Finanzen: Ergebnisse der Steuerschätzung vom 2. bis 4.11.2010; Monatsbericht des BMF, November 2010, S. 38-44; Bundesministerium der Finanzen: Ergebnisse der Steuerschätzung vom 4. bis 6.5.2010, Monatsbericht des BMF, Mai 2010, S. 34-38.

Konjunkturbedingte Mehreinnahmen eröffnen keine neuen Handlungsspielräume

Bund, Länder und Kommunen können in diesem und den kommenden Jahren – im Vergleich zu den vorangegangenen Steuerschätzungen – mit erheblichen Steuermehreinnahmen rechnen, die vor allem der günstigeren Konjunktur, aber auch den etwas höheren Preissteigerungen und den Steuerrechtsänderungen zu verdanken sind. Die vorgelegte Prognose des Steueraufkommens ist allerdings mit Unsicherheiten behaftet.6 So bestehen einerseits durchaus Chancen, dass die Konjunktur in diesem Jahr sogar noch stärker expandiert als in der gesamtwirtschaftlichen Projektion der Bundesregierung zugrunde gelegt. Das BIP wuchs im 1. Vierteljahr 2011 jedenfalls deutlich stärker als erwartet. Andererseits bestehen aber auch nicht unerhebliche Risiken für die Konjunktur. So ist die Haushaltslage vieler Länder des Euroraums nach wie vor äußerst angespannt, und es bestehen weiterhin erhebliche politische Spannungen in den für die Erdölversorgung wichtigen Ländern Nordafrikas. Eine Verschärfung der Staatsschuldenkrise oder eine Verknappung des Ölangebots könnte die Konjunktur erheblich dämpfen und damit auch die Perspektiven für das Steueraufkommen eintrüben. Aufkommensrisiken sind auch mit der zu erwartenden Energiewende verbunden. Das Aufkommen aus der Kernbrennstoffsteuer würde jährlich um knapp 1 Mrd. Euro niedriger ausfallen als prognostiziert, wenn beispielsweise die acht derzeit abgeschalteten Kernkraftwerke dauerhaft vom Netz genommen würden.

Die sprudelnden Steuerquellen eröffnen aber – anders als von politischer Seite teilweise behauptet – keine neuen budgetären Handlungsspielräume, denn zwischen den Einnahmen und den Ausgaben des Staates klafft noch immer eine große Lücke. Um einen zyklischen Budgetausgleich zu erzielen, müssen die konjunkturbedingten Mehreinnahmen zunächst zum Abbau des staatlichen Budgetdefizits und in Zeiten mit positiver Produktionslücke zur Bildung konjunkturbedingter Überschüsse eingesetzt werden. Würden sie hingegen für andere Zwecke verausgabt, dann würden die im Abschwung zur Stabilisierung der Konjunktur hingenommenen Budgetdefizite nicht ausgeglichen. Es käme mithin – anders als von der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ intendiert – zu einem zyklisch bedingten Anstieg der Staatsverschuldung.

Aufgrund der Konsolidierungserfordernisse besteht für die im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP in Aussicht gestellten Einkommensteuersenkungen kein Spielraum, solange nicht Ausgaben gekürzt, Steuervergünstigungen abgebaut oder andere Steuern erhöht werden. Ohne solide Gegenfinanzierung würden Einkommensteuersenkungen die strukturelle Unterdeckung der Haushalte erhöhen, auch wenn aufgrund der steuerinduzierten gesamtwirtschaftlichen Impulse mit gewissen Selbstfinanzierungseffekten gerechnet werden kann. Diese reichen aber bei Weitem nicht aus, um die Steuersenkung vollständig zu finanzieren.7 Auch wenn für umfassende Einkommensteuersenkungen die budgetären Spielräume fehlen, kommt mit der Rückkehr höherer Inflationsraten wieder die Frage auf die Tagesordnung, wie „heimliche“ Steuererhöhungen8 vermieden werden können. Grundsätzlich ließen sie sich vermeiden, wenn in den Einkommensteuertarif eine Gleitklausel eingebaut würde, nach der die Abzugsbeträge bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens und der gesamte Tarifverlauf jährlich an die Inflationsrate angepasst werden („Tarif auf Rädern“).

  • 1 Der AKS setzt sich aus Vertretern des (federführenden) BMF, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, der Länderfinanzministerien, der großen Wirtschaftsforschungsinstitute (DIW, ifo, IfW, IWH, RWI), der Deutschen Bundesbank, des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände und des Statistischen Bundesamtes zusammen. Er tritt entsprechend den terminlichen Erfordernissen bei der Haushaltsaufstellung in der Regel zweimal im Jahr zusammen. Im Mai wird jeweils eine fünfjährige Schätzung des Steueraufkommens erstellt, die Grundlage für den Haushaltsentwurf des Folgejahres und für die mittelfristige Finanzplanung ist. Im November erfolgt eine Überprüfung für das laufende Jahr und eine Überarbeitung der Prognose für die beiden kommenden Jahre; sie ist Grundlage für die Ansätze des Haushaltsgesetzes.
  • 2 Die Bundesregierung liegt mit ihrer Konjunkturprognose für dieses Jahr am unteren Rand des Prognosespektrums. Beispielsweise prognostiziert die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose für 2011 einen Anstieg des realen BIP von 2,8% (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Aufschwung setzt sich fort – Europäische Schuldenkrise noch ungelöst, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2011, Halle 2011). Die OECD sagt – in Kenntnis der überraschend günstigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im 1. Quartal dieses Jahres – in ihrer jüngst vorgelegten Prognose einen Anstieg des realen BIP von 3,4% voraus (OECD: Economic Outlook, Nr. 89, Paris, Mai 2011).
  • 3 Als Näherungsgröße für den umsatzsteuerpflichtigen Anteil der Endverbrauchsnachfrage kann auf die sogenannte modifizierte letzte inländische Verwendung zurückgegriffen werden. Sie umfasst das nominale BIP abzüglich des Außenbeitrags, der Vorratsveränderungen sowie der Bruttoanlageinvestitionen der Unternehmen (ohne Wohnungsbau).
  • 4 Der EuGH hatte entschieden, dass die Anwendungsregelung zu § 8b Abs. 3 KStG, nach der das Abzugsverbot für teilwertbedingte Gewinnminderungen auf Auslandsbeteiligungen bereits ab 2001 gelten solle, auf Inlandsbeteiligungen dagegen erst ab 2002, gegen die europarechtliche Kapitalverkehrsfreiheit verstoße. Als Folge davon konnten entsprechende Gewinnminderungen geltend gemacht werden.
  • 5 Der Europäische Gerichtshof hat die von der deutschen Steuerverwaltung bis zum Jahr 2000 angewendete Regelung im Rahmen der Einkommensteuer, Steuergutschriften auf Dividenden nur anzuerkennen, wenn das ausschüttende Unternehmen seinen Sitz in Deutschland hat, 2007 als rechtswidrig erachtet. Diese Regelung habe zum einen die in Deutschland einkommensteuerpflichtigen Personen, die Dividenden von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat bezogen, benachteiligt; zum anderen habe sie die Unternehmen dabei behindert, in Deutschland Kapital zu sammeln.
  • 6 Zur Treffsicherheit der Prognosen des AKS siehe H. Gebhardt: Methoden, Probleme und Ergebnisse der Steuerschätzung, in: RWI-Mitteilungen, 52 (2), 2001, S. 127-147.
  • 7 So belief sich die Selbstfinanzierung der im Rahmen des zweiten Konjunkturpakets beschlossenen Entlastungen bei der Einkommensteuer über Mehreinnahmen bei Steuern und Sozialbeiträgen sowie Minderausgaben bei den Sozialausgaben nach Berechnungen mit dem RWI-Konjunkturmodell auf die kurze Frist auf rund 40% (G. Barabas, R. Döhrn, H. Gebhardt, T. Schmidt: Was bringt das Konjunkturpaket II?, in: Wirtschaftsdienst, 89. Jg. (2009), H. 2, S. 128-132). Kritisch zu den Selbstfinanzierungseffekten äußert sich der Sachverständigenrat. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen. Jahresgutachten 2009/10, Wiesbaden 2009, Tz. 272-274.
  • 8 Solange es beim derzeitigen Einkommensteuertarif bleibt, erreichen immer mehr Steuerzahler allein aufgrund des inflationsbedingten Einkommensanstiegs Tarifzonen mit höheren Grenzsteuersätzen; ihre Steuerbelastung nimmt damit zu, ohne dass dem eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zugrunde liegt.


DOI: 10.1007/s10273-011-1236-4