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Die Schuldenkrise in der EWU ist entstanden, weil sich die Staaten in „fremder Währung“ verschulden müssen. Diese Konstellation war als Ordnungsrahmen bei der Gründung der Währungsunion vorgesehen, führte aber dazu, dass sich die Staaten von den internationalen Finanzmärkten abhängig gemacht haben. Eine Lösung der Krise ist nur dann möglich, wenn die Länder des Euroraums begreifen, dass eine Währungsunion nicht zum Nulltarif zu haben ist.

Als im Jahr 2010 die Probleme um die griechischen Staatsfinanzen offenkundig wurden, sprach man in der Öffentlichkeit zunächst von einer Eurokrise; rasch wurde jedoch darauf verwiesen, dass es sich lediglich um eine (regional begrenzte) Staatsschuldenkrise, keinesfalls um eine Währungskrise handele. In der Tat wurde der Euro-Wechselkurs durch die seither anhaltenden Unruhen auf dem Finanzmarkt nicht wesentlich in Mitleidenschaft gezogen. In diesem Beitrag wird jedoch die Frage gestellt, inwieweit die sich ausbreitenden Finanzierungsprobleme der europäischen Staatshaushalte währungstheoretisch zu erklären sind.

Die These lautet: Die Labilität der nationalen Staatsfinanzen in der Eurozone beruht darauf, dass sich die Regierungen „in fremder Währung“ verschulden müssen; der Euro ist konzeptionsbedingt aus der Sicht jedes EWU-Mitgliedslandes eine supranationale Währung, deren Angebotsbedingungen (Geldmenge und Zinsen) nicht zu beeinflussen sind. Die aus einer solchen Konstellation resultierende schwache Marktstellung nationaler Schuldtitel ist aus der Geschichte der Währungskrisen vieler Entwicklungs- und Schwellenländer wohlbekannt.

Trifft die These zu, so erfordert die Lösung der europäischen Schuldenkrise – neben einer unverzichtbaren Konsolidierung – eine institutionelle Umgestaltung der nationalen Staatsfinanzierung, z.B. die Einführung von Eurobonds. Diese Lösung wäre aber auch nicht perfekt, weil die hinter der Marktinstabilität stehenden Probleme lediglich in den politischen Bereich verschoben würden. Letztlich macht die schwelende Staatsschuldenkrise das konstitutionelle Dilemma der EWU deutlich: die fehlende und nicht erreichbare politische Union.

Der Finanzmarkt als Ordnungsrahmen?

Während die sogenannte „Krönungstheorie“ eine politische Union als Voraussetzung der Währungsunion sah, setzte eine „monetaristische“ Position darauf, dass die Einführung einer gemeinsamen Währung Regelungsprobleme aufwerfen werde, die dann gleichsam automatisch Schritte zur politischen Union nach sich ziehen werden.1 Eine Minderheitenmeinung, vertreten vor allem vom ehemaligen Vorsitzenden des Sachverständigenrates Sievert,2 präferierte dagegen das Konzept „Währungsunion ohne politische Union“: „Der Ordnungsidee, der hier das Wort geredet wird, entspräche es nicht, sich vorzustellen, dass zu einer einheitlichen europäischen Währung künftig allemal ein europäischer Zentralstaat oder ein Bundesstaat mit starken zentralen Funktionen gehört. Das Gegenteil trifft zu. Der Grad der Objektivierung der Geldversorgung würde wieder sinken, wenn Europa diesen Weg geht. [...] Entscheidend ist, dass in der Währungsunion der einzelne Staat seine Schulden mit Geld bezahlen muss, das er nicht selbst herstellen kann.“

Die stabilitätspolitischen Erfahrungen der 1970er und 1980er Jahre sprachen für das Experiment einer Währungsunion, in der allein die Notenbank eine supranationale Stellung erhält, die übrigen Akteure der Lohn- und Finanzpolitik jedoch auf der nationalen Ebene verbleiben und – so die Idee – mit ihren einzelnen Entscheidungen die Geldpolitik nicht von ihrem stabilitätsorientierten Kurs abbringen können. Die asymmetrische Markt- und Machtstellung der großen „Spieler“ in der Wirtschaftspolitik galt geradezu als Funktionsbedingung und Ordnungsrahmen für die Effizienz und Tragfähigkeit einer Währungsunion (was durchaus in einem gewissen Spannungsverhältnis zu europapolitischen Integrationszielsetzungen stand).

Der entscheidende Baustein dieser Konzeption war die endgültige Trennung der Finanz- von der Geldpolitik; der Zugang zu einer wie auch immer gearteten Finanzierung von Budgetdefiziten und Staatsschulden durch die Notenbank sollte strikt versperrt werden. In den Regularien der EWU wurde dieser Punkt auch prinzipiell umgesetzt.3 Ergänzend wurden finanzpolitische Transfers und Hilfestellungen zwischen den Mitgliedsländern kategorisch ausgeschlossen. Die Zielsetzung war, die nationalen Regierungen bei ihrer Neuverschuldung allein auf die Akteure des (europäischen und internationalen) Finanzmarktes als potentielle Gläubiger zu verweisen.

Bereits in den 1980er Jahren war die Wirtschaftspolitik „in bis dahin unbekanntem Maß in Abhängigkeit vom Vertrauen der Kapitalanleger in aller Welt geraten“4; nun sollte diese Abhängigkeit als eine Art Aufsichtsinstanz genutzt werden, um die Regierenden mittels der Androhung höherer Zinsen oder gar Kreditverweigerung von einer überbordenden Staatsverschuldung abzuhalten. Die Effektivität dieses Ordnungsrahmens wurde freilich erst in der Krise deutlich. Der Sachverständigenrat schrieb: „Durch die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion ist den Mitgliedsländern eine Notenbankfinanzierung des Staats grundsätzlich nicht mehr möglich [...]. Konkret bedeutet das für ein Mitgliedsland der Währungsunion, dass es grundsätzlich dem Risiko ausgesetzt ist, für fällige Staatsanleihen keine Anschlussfinanzierung mehr zu erhalten. Ein solches Insolvenzrisiko besteht für souveräne Staaten ansonsten nur dann, wenn sie über eine unabhängige Notenbank verfügen, der eine direkte Finanzierung des Staats untersagt ist oder wenn sie sich in einer Fremdwährung verschulden müssen. In der Literatur wird ein solches Vorgehen mit dem Begriff der ‚Erbsünde‘ (Original Sin) belegt, da sich ein Land damit den Unwägbarkeiten der internationalen Finanzmärkte aussetzt.“5

Die Hoffnung auf eine bereits ex ante regulierende Kraft der Finanzmärkte erwies sich als verfehlt. In der Asien-Krise zeigte sich, dass die Anlagebereitschaft der Gläubiger keine Konstante ist, die das Verschuldungsverhalten stabilisierend begrenzt. Vielmehr „atmet“ der Finanzmarkt prozyklisch: Durch Herdeneffekte verstärkt, drängt das Kapital in bestimmte Anlageklassen und -objekte, trägt hier zu Überinvestition und überhöhten Assetpreisen bei, zieht sich bei den ersten Anzeichen eines drohenden Vermögenspreisverfalls rasch zurück – dieser Sudden Stop hinterlässt Illiquidität und Bankrotte.6 Dieser Verlauf war nach der Asienkrise sowohl bei der New-Economy-Blase, dem amerikanischen Immobilienboom als auch in der EWU zu beobachten; zunächst explodierte hier in einigen Ländern die private, später die staatliche Verschuldung in nicht nachhaltiger Weise. Versehen mit den besten Absichten haben die Architekten der EWU das Muster der Asienkrise zum Konstruktionselement des geld- und finanzpolitischen Systems in Europa gemacht.

Verschuldung in fremder Währung

Auf den ersten Blick ist die Gefahr der Insolvenz eines Landes wie z.B. Spanien überraschend. Japan und Großbritannien etwa weisen einen höheren Schuldenstand auf, stehen jedoch nicht im Fokus der Spekulation. Erklärbar ist dies durch den Aspekt der Währungsdenomination der Staatsschuld. Der Vorteil einer Verschuldung in eigener Währung ist primär darin zu sehen, dass notfalls die Notenbank des betroffenen Landes eine Monetisierung betreiben kann. Dies birgt zwar die Gefahr einer unkontrollierbaren Inflation, wenn die Privaten den Ankauf von Staatspapieren als Einstieg in eine grenzenlose Geldvermehrung verstehen. Entscheidend ist jedoch, dass die unmittelbare Zahlungsunfähigkeit abgewendet wird: Die Gläubiger mit den jeweils fällig werdenden Forderungen können ausgezahlt werden.

Damit wird eine aus Theorie und Praxis der Bank Runs bekannte erwartungsgetriebene Dynamik vermieden: Forderungshalter drängen auf eine rasche Monetisierung, weil sie befürchten müssen, dass für den Letzten in der Warteschlange keine Finanzmittel mehr verfügbar sind; gerade dieses Verhalten jedoch macht die Liquiditätskrise unausweichlich.7 Bezogen auf den Fall der Staatsschulden heißt dies, dass ein panischer Verkaufsdruck auftritt, der einen positiven Zinseffekt beim Wertpapierbestand auslöst; damit verteuert sich auch die Bruttoneuverschuldung (Tilgung plus Deficit Spending). Wegen des gestiegenen Kapitaldienstes ist dann – für professionelle Marktakteure leicht zu errechnen – die Verschuldung nicht länger tragfähig. Die Insolvenz ist unvermeidlich.

Konstellation multipler Gleichgewichte

Dagegen beruhigt das Wissen um einen Lender of Last Resort den Markt. Dieses Moment der sich selbst erfüllenden Prognosen lässt sich auch als Konstellation multipler Gleichgewichte verstehen. De Grauwe stellt dies unter Einbeziehung eines weiteren, oft übersehenen Mechanismus dar, der über den Geldmarkt läuft.8 Nehmen wir an, dass Marktakteure beginnen, Staatsschuldtitel eines Landes zu verkaufen, weil sie von einem erhöhten Risiko dieser Papiere ausgehen. De Grauwe unterscheidet zwei Szenarien:

  1. Sind die Wertpapiere in der Währung des betreffenden Landes denominiert, so können die Wertpapierverkäufer den Erlös entweder (a) in andere Vermögensanlagen im heimischen Währungsraum investieren oder (b) Fremdwährungsaktiva erwerben.9 Im Fall (a) kommt es zu einem relativen Preiseffekt auf dem heimischen Vermögensmarkt. Parallel zu den fallenden Kursen der Staatsanleihen werden z.B. die Preise für Unternehmensanleihen und Immobilien steigen (mit positiven Wirkungen für die Gesamtwirtschaft). Wenn jedoch wirklich fundamentale Zweifel an den Staatsanleihen bestehen, werden die Anleger vermutlich auch die Währung wechseln. In diesem Fall (b) kommt es zur Abwertung. Diese stellt zwar einen Wohlstandverlust und einen Inflationsimpuls dar; sie stärkt jedoch über vermehrte Exporte wiederum die Steuereinnahmen und wirkt insoweit stabilisierend.

Wichtig in beiden Fällen ist, dass die (Zentralbank-) Geldmenge selbst bei völliger Passivität der Notenbank konstant bleibt. Die Liquidität im heimischen Geschäftsbankensektor ist unberührt. Damit gibt es auch keinen Engpass für die Kreditvergabe. Insgesamt bedeutet die Abwendung von den heimischen Staatspapieren nur ein Krisenmoment in einem Segment des Vermögensmarktes. Die sich aufbauenden Renditedifferenzen wirken zudem bremsend auf eine Verkaufswelle. Bei rationaler Einschätzung ist eine solche Störung begrenzt. Deshalb werden die Marktteilnehmer eine Systemkrise nicht erwarten und damit auch keinen erhöhten Verkaufsdruck ausüben. Die Solvenz des Staates ist damit nicht grundsätzlich gefährdet.

  1. In der EWU führt dagegen ein Verkauf von z.B. spanischen Staatspapieren zunächst zu dem erwähnten, für den Staat nachteiligen Zinseffekt. Der weitere Verlauf hängt davon ab, wer diese Papiere verkauft. Handelt es sich um Wirtschaftssubjekte außerhalb Spaniens, treten unmittelbar keine negativen Zweitrundeneffekte auf. De Grauwe nimmt hingegen an, dass die Verkäufer in Spanien ansässig sind. Unter dieser Bedingung verliert das spanische Banksystem Euro-Reserven, wenn der Verkaufserlös z.B. nach Deutschland überwiesen und dort für den Kauf deutscher Staatsanleihen verwendet wird. Dies bedeutet ein zusätzliches Liquiditätsproblem, das die Wirtschaft in Spanien belastet und die Spekulation verstärkt.10 In einer Währungsunion (in der die Abwertung ausgeschlossen ist) existiert bei Zweifeln an der Solidität der Staatsfinanzen kein stabilisierender Effekt. Deshalb ist die Marktsituation labil und erlaubt auch keine national finanzierten fiskalischen Maßnahmen zur Stützung der heimischen Wirtschaft. Ein Krisenzirkel mit schwachen Steuereinnahmen und steigenden Kapitalmarktzinsen kann dann rasch die Insolvenzgefahr heraufbeschwören.

Die EWU als weicher Goldstandard

De Grauwes Analyse lässt sich in verschiedener Hinsicht kommentieren. Zunächst wird eine gewisse Verwandtschaft der EWU mit einem alten Währungssystem deutlich. Eichengreen und Temin11 sehen die EWU als besonders strikte Variante des Goldstandards: Es gibt keine temporäre Möglichkeit des Austritts, keine fiskalische Kooperation und keine geordneten Regeln für systemische Notfälle. Auch das oben erwähnte Problem der Reserveverluste im Banksystem bei Zahlungen an das Ausland war damals essentiell: Die merkantilistische Logik, das Interesse von Ländern im Goldstandard an einem Exportüberschuss, erklärt sich dadurch, dass bei anhaltenden Importüberschüssen das heimische Banksystem fortlaufend Goldreserven ans Ausland verliert und von der Pleite bedroht ist.12

Dieser Vergleich der EWU mit einem Goldstandard erfasst allerdings nicht die institutionellen Besonderheiten des innereuropäischen Zahlungsverkehrs. Eine erste Eigentümlichkeit zeigt sich darin, dass nationale Notenbanken in eigener Verantwortung im Rahmen der sogenannten Emergency Liquidity Assistance Euro emittieren können, um ihren von Illiquidität bedrohten Banken zu helfen. Im Kontext des Goldstandards entspräche dies der Produktion von gefälschten Goldsubstituten durch jene Notenbanken, die durch eine Knappheit an echten Goldreserven bedroht sind. Die national geschaffenen Euro-Reserven sind jedoch im Zahlungsverkehr nicht von den EZB-Euros zu unterscheiden; sie unterlaufen das Geldschöpfungsmonopol der EZB.13 Nur mit einer Zweidrittelmehrheit kann der EZB-Rat eine solche Praxis der nationalen Notenbanken verhindern. Der öffentliche Hinweis auf die Möglichkeit einer nationalen Euro-Geldschöpfung hätte im Gründungsstadium der EWU sicherlich zu Irritationen geführt.

Eine zweite Abweichung vom Goldstandard folgt aus der kreditären Natur eines Papiergeldstandards. Der zwischenstaatliche Handel von Gütern und Vermögenswerten wird im Regelfall durch Überweisungen innerhalb des europäischen Geschäftsbankensystems abgewickelt. Salden in diesem Zahlungsverkehr begründen Defizite und Überschüsse an Euro-Reserven, die im Normalfall durch einen horizontalen Liquiditätsausgleich auf dem Euro-Geldmarkt gedeckt werden. Sind die Geschäftsbanken in Überschussländern aber nicht dazu bereit, als Kreditgeber eine Gläubigerposition gegenüber Kreditinstituten in Defizitländern einzunehmen, bauen sich statt dessen Forderungs- und Verschuldungspositionen innerhalb des Systems der europäischen Zentralbanken auf.

Die TARGET2-Salden

Diese sogenannten TARGET2-Salden zeichnen sich dadurch aus, dass sie von allen EWU-Mitgliedsländern nach Maßgabe ihres EZB-Kapitalanteils garantiert werden. Positive Salden repräsentieren Euro-Zentralbankgeld, das definitive Zahlungsmittel. Damit gibt es für die Bundesbank – im Gegensatz zu Forderungen zwischen Notenbanken im Goldstandard – keinen Anlass, auf Abbau oder „Einlösung“ ihrer TARGET2-Salden zu drängen. Die Existenz derartiger Salden impliziert also nicht – wie es bei Sinn und Wollmershäuser14 anklingt – eine strategische Ausbeutung technischer Zahlungsmodalitäten; sie zeigen nicht notwendigerweise eine Fehlentwicklung, sondern eine institutionelle Vollendung der Währungsunion an, eben weil nun interregionale Ressourcenströme nicht (wie im Fall der üblichen Außenwirtschaftsbeziehungen) durch gegenläufige Kapitalströme zu finanzieren sind.15

Die Flexibilität der TARGET2-Salden entschärft ein Stückweit das Argument De Grauwes, ein Verkauf als riskant eingeschätzter Staatspapiere werde auch die privaten Banken des betreffenden Landes in Liquiditätsnöte bringen. Erforderlich ist „lediglich“, dass ihnen die Refinanzierung bei ihrer Notenbank offensteht. Zwei Punkte sind jedoch zu bedenken:

  • In Defizitländern haben Banken systematisch höhere Zinskosten als in Überschussländern, weil die Euro-Abflüsse solange zu finanzieren sind, wie ein Leistungsbilanzdefizit oder ein Abstrom von Kapitalanlagen bestehen bleibt.
  • In dieser Konstellation können gute Sicherheiten knapp werden, die bei der Zentralbankrefinanzierung zu hinterlegen sind. Dies stellt insbesondere dann eine Restriktion dar, wenn es im Rahmen des von der EZB betriebenen, diskretionären Qualitätsmanagements der zugelassenen Sicherheiten zu einer Degradierung der Staatsschuldtitel des betreffenden Landes kommt.

Diese Aspekte stehen auch der hypothetischen Strategie einer Regierung entgegen, das nationale private Banksystem zu einer verstärkten Übernahme heimischer Staatspapiere zu bewegen. Da sich die Vermögensposition der Banken dabei deutlich verschlechtert, könnte eine Schuldenkrise nur dann über Bankfinanzierung bekämpft werden, wenn der Staat die Kreditinstitute institutionell zu einer solchen Investition zwingen kann – das polit-ökonomische Krisensignal innerhalb der EWU wäre unübersehbar.

Schließlich ist auch zu fragen, wie lange große TARGET2-Salden durchzuhalten sind. Sie zeigen einen höchst asymmetrischen Liquiditätsbedarf innerhalb der EWU an. Die Geldschöpfung in der Eurozone wird immer mehr über die Geschäftsbanken in den Defizitländern abgewickelt, eben weil sich hier der Liquiditätsbedarf konzentriert. Dies impliziert, dass sich im Euro-System tendenziell schlechtere Sicherheiten ansammeln. Auf der anderen Seite werden die Geschäftsbanken in den Überschussländern nicht nur unabhängig von der Liquiditätsversorgung durch die EZB, im Laufe der Zeit entsteht hier eine Überschussliquidität, deren Verwendung Probleme bereiten kann:16

  • Unternimmt die EZB nichts, tendiert der Geldmarktzins gegen den Zins der Einlagefazilität, wenn die Banken der Überschussländer ihre Mittel aus Vorsichtsgründen nicht den Defizitbanken leihen wollen. Dies schränkt die Effizienz der Geldpolitik ein, da sich der von der Notenbank festgelegte optimale Zins nur schwer durchsetzen lässt.
  • Die überschüssige Liquidität könnte durch länderspezifisch erhobene Mindestreserven abgeschöpft werden, was jedoch einen selektiven Eingriff in den Bankenmarkt bedeutet.
  • Bietet die EZB Sterilisationspapiere zum gewählten Leitzins an, ergeben sich unter Umständen Anreize für Überschussbanken, weitere Gelder von Defizitbanken abzuziehen und risikolos in diese Papiere zu investieren, wodurch sich die Knappheit an Euro-Reserven in den Defizitländern verschärft. In jedem Fall jedoch wird es schwierig, die Menge an Zentralbankgeld zu steuern, weil die Banken praktisch zum gleichen Zins Geld von der EZB erhalten und bei ihr anlegen können.
  • Als Ultima ratio halten Sinn und Wollmershäuser17 sogar Goldverkäufe zur Liquiditätsabschöpfung seitens der Zentralbanken für notwendig.

Möglicherweise wird das Problem eines asymmetrisch verteilten Liquiditätsbedarfs überschätzt. An keiner Stelle verlangt die Theorie der Geldpolitik, dass die Geschäftspartner der Notenbank bei der Geldschöpfung regional gleichverteilt postiert sein müssten. Andererseits funktionieren Liquiditätsausgleich und Feinsteuerungsoperationen im Euroraum längst nicht so reibungslos wie in einem nationalen Währungsraum. Damit behält auch De Grauwes Argument zumindest teilweise seine Gültigkeit, wonach eine nationale Staatsschuldenkrise nicht nur durch die fehlende Rückgriffsmöglichkeit auf die eigene Zentralbank, sondern auch durch Liquiditätsprobleme im nationalen Bankensektor verschärft wird.

Eurobonds und die Politisierung der Schuldenprobleme

Der 2010 geschaffene europäische Rettungsschirm soll über die Zusicherung von Garantien für die Gläubiger der Staatsschulden den Markt beruhigen und damit die Entstehung von unsicherheitsbedingten Zinssteigerungen verhindern. Das Übergreifen der Krise von Griechenland auf andere Länder zeigt, dass dieses Ziel nicht wirklich erreicht wurde. Die „Lösung“ von Schuldenproblemen über Rettungsschirme bietet den Vorteil, parallel zu einer außergewöhnlichen Gewährung einer Finanzierung auch Sparauflagen in den Schuldnerstaaten leichter durchsetzen zu können. Der dazu korrespondierende Nachteil ist, dass die besondere politische Aufmerksamkeit, die eine Aktivierung des Rettungsschirms auslöst, auch die Anleger auf den Finanzmärkten verunsichern kann.

Die Umstellung der Staatsverschuldung auf gemeinschaftlich emittierte und garantierte Eurobonds bringt demgegenüber eine Normalisierung in den Finanzierungsprozess. Entscheidend ist dabei, dass alle Länder der Eurozone als Kollektivschuldner für die Bedienung der Schuld haften und damit formal wieder das Prinzip „Verschuldung in eigener Währung“ hergestellt ist.18 Die Zuteilung der aufgenommenen Finanzmittel auf die jeweiligen nationalen Schuldner ist damit für den Markt direkt ohne Belang.

Das offensichtliche Problem einer formalen Vergemeinschaftung der Staatsschulden ist ein massiver Fehlanreiz: Die einzelnen Nationalstaaten werden zu vermehrter Schuldaufnahme verleitet, deren Kosten dann sozialisiert werden. Dies soll durch die Aufteilung der Verschuldung in Blue Bonds und Red Bonds geheilt werden:19 Nur erstere werden kollektiv garantiert und zudem auf einen bestimmten Wert, z.B. 60% des nationalen BIP, begrenzt. Will ein Staat seine Verschuldung darüber hinaus erhöhen, so geschieht dies über Red Bonds auf eigene Initiative und ohne Rückendeckung durch die Gemeinschaft (kein Bailout). Diese Papiere stellen praktisch nachrangige Forderungsrechte dar, da nationale Finanzmittel zuerst für die Bedienung der Blue Bonds verwendet werden müssen.20 Die Konsequenz ist eine vermutlich deutliche Zinsdifferenz zwischen Red und Blue Bonds, die die Regierungen zur Sparsamkeit anhalten soll.

Blue Bonds würden vermutlich einen höheren Zins erfordern als deutsche Staatsanleihen. Allerdings ist der niedrige deutsche Kapitalmarktzins gegenwärtig durch die Fluchtbewegung aus den anderen europäischen Wertpapieren bedingt. Zu beachten ist auch, dass mit den Blue Bonds ein völlig homogenes Euro-Wertpapier geschaffen wird, das ähnlich zu den US-Dollar-Treasuries eine große Markttiefe haben wird. Der hohe Liquiditätsgrad dieses Papiers wird tendenziell seinen Zins verringern und zu einer Euro-Aufwertung gegenüber dem US-Dollar beitragen.

Die Kernfrage ist, ob durch die Abspaltung der nationalen von den europäischen Staatsschuldpapieren tatsächlich die Gefahr von Finanzkrisen gebannt wäre. Ist das Marktvolumen der Red Bonds gering, so könnten die Regierungen selbst bei Tilgungsschwierigkeiten darauf setzen, dass keine systemische Instabilität droht und deshalb etwaige Risiken voll von den privaten Gläubigern zu tragen sind. Um Bankenkrisen zu vermeiden, könnte der Erwerb von Red Bonds auf Nicht-Banken begrenzt werden. Diese Beschränkung auf der Nachfrageseite wird den Zins auf diese Papiere allerdings noch weiter herauftreiben. Für Länder mit einer hohen Staatsschuld ist die angestrebte Unterscheidung zwischen Red und Blue Bonds wohl nicht glaubwürdig. Italien müsste 60% seiner Staatsschuld über Red Bonds finanzieren. Es ist leicht auszurechnen, dass der hier im Vergleich zum Status quo deutlich höhere Zins sogleich Zweifel an der Tragfähigkeit der Kapitalkosten auslösen wird.

Generell ist das vorgeschlagene Finanzierungskonzept nicht zeitkonsistent: Im Ausgangspunkt ist die Ankündigung einer 60%-Grenze für das Volumen nationaler Blue Bonds vorteilhaft, um Vorbehalte gegenüber einer Sozialisierung des Schuldenproblems in Europa zu zerstreuen. Tritt aber dann eine nationale Schuldenkrise bei den Red Bonds auf, so wird sie stets genügend große negative Auswirkungen auf den Märkten und im politischen System haben, um die Ausweitung der Blue-Bonds-Grenze als das kleinere Übel erscheinen zu lassen. Das theoretische, wenn auch praktisch wohl nicht ganz erreichte Gleichgewicht liegt dann doch bei einer vollständigen Finanzierung über Blue Bonds. Ihr Zinssatz wird dann das durchschnittliche Risiko der Länder der Eurogruppe widerspiegeln und damit klar über dem bisherigen deutschen Kapitalmarktzins liegen.

Das Konzept der Blue und Red Bonds verschiebt die Konflikte um Verschuldungsspielräume und -kosten der Nationalstaaten von der Marktebene in den politischen Bereich. Es erscheint zweifelhaft, dass dabei langfristig effizientere Lösungen erreicht werden können. Weitere finanzielle Belastungen werden auf Deutschland zukommen. Es wird immer deutlicher, dass Garantien – in welcher Form auch immer – für große, systemrelevante Schuldner notwendige Bestandteile einer Währungsunion sind. Auch in der DM-Währungsunion der Bundesrepublik gab es (und gibt es) faktisch Garantien für wirtschaftsschwächere Bundesländer. Politisch bestand stets die Bereitschaft, die damit verbundenen Kosten zu tragen. Dagegen gibt es in der historisch eigentümlichen Konstruktion einer europäischen Währungsunion ohne politische Union wenig Konsens für einen effektiven Beistand, weil potentielle Geberländer nur unter großen politischen Kosten das wirtschaftliche Verhalten notleidender Schuldnerländer verändern können. Die Vorteile einer Währungsunion, die gerade in Deutschland angesichts seiner Exportorientierung immer wieder beschworen werden, sind jedoch nicht zum Nulltarif zu bekommen. Wer eine Währungsunion will, soll sie auch bezahlen.

Zusammenfassung

Die Staatsschuldenkrise einiger Länder in der EWU ist letztlich doch eine Währungskrise. Nur im gemeinsamen Währungsraum war es überhaupt möglich, die Schuldaufnahme stark auszuweiten. Andererseits treten bei Zweifeln an der finanziellen Solidität von Schuldnerstaaten kumulative Instabilitätsprobleme auf, die in der internationalen Geldwirtschaft aus der Konstellation “Verschuldung in fremder Währung” bekannt sind. Die regulär nicht vorgesehene Kurspflege nationaler Schuldtitel seitens der EZB und endogene Liquiditätsengpässe im nationalen Banksystem bei einem massiven Umstieg der Anleger auf Papiere mit besserer Reputation erzeugen eine durchaus rationale Insolvenzerwartung. Ironischerweise galt die Konstellation einer alleinigen Abhängigkeit der nationalen Finanzpolitik von Kreditanbietern auf dem Euro-Finanzmarkt als erwünschtes ordnungspolitisches Disziplinierungsprinzip; sie erweist sich nun als nicht tragfähig. Die Alternative sind permanente Rettungsschirme oder Eurobonds. In beiden Fällen wird die währungspolitisch schwache Stellung nationaler Schuldner durch implizite Zinszahlungen und Vermögensgarantien wirtschaftlich stärkerer Länder kompensiert. Die damit verbundenen Einkommens- und Vermögensverluste sind der Preis, den exportorientierte Länder wie die Bundesrepublik für die Bewahrung des Euro zahlen müssen.

  • 1 Kritisch wurde dazu angemerkt, die europäische Währungsunion werde als trojanisches Pferd für die politisch allgemein nicht gewollte, aber ökonomisch dann nötige politische Union genutzt, vgl. P. Minford (Hrsg.): The Cost of Europe, Manchester 1992.
  • 2 O. Sievert: Geld, das man nicht selbst herstellen kann – Ein ordnungspolitisches Plädoyer für die Europäische Währungsunion, in: P. Bofinger u.a. (Hrsg.): Währungsunion oder Währungschaos? Was kommt nach der D-Mark?, Wiesbaden 1993, S. 13-24, hier S. 15 und S. 18.
  • 3 In der Krise wurde jedoch deutlich, dass der Ankauf von Staatsschuldtiteln auf dem Sekundärmarkt offenbar doch mit den institutionellen Bestimmungen vereinbar war.
  • 4 O. Sievert: Gibt es eine Alternative zu flexiblen Wechselkursen?, in: Wirtschaftsdienst, 66. Jg. (1986), H. 7, S. 335-344 hier S. 336; vgl. O. Sievert: Außenwirtschaftliche Zwänge der Wirtschaftspolitik, Kiel 1988.
  • 5 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Chancen für einen stabilen Aufschwung, Jahresgutachten 2010/11, Wiesbaden 2010, Zf. 134.
  • 6 G. A. Calvo: Capital Flows and Capital-Market Crises – The Simple Economics of Sudden Stops, in: Journal of Applied Economics, 1. Jg. (1998), S. 35-54.
  • 7 G. Moore: Solutions to the Moral Hazard Problem Arising from the Lender-of-Last-Resort Facility, in: Journal of Economic Surveys, 13. Jg. (1999), S. 443-76.
  • 8 P. De Grauwe: A Fragile Eurozone in Search of a Better Governance, CESifo Working Paper, Nr. 3456, München 2011.
  • 9 Nicht weiter betrachtet wird die Verwendung für den Konsum. Dies stellt einen Nachfrageschub dar, von dem primär die heimische Wirtschaft profitiert. Zwar können Preissteigerungen auftreten, aber es wachsen auch die Steuereinnahmen. Im Ganzen betrachtet erscheint dieser Fall als unproblematisch.
  • 10 Dieser Fall ähnelt einem aus Entwicklungsländern bekannten Krisenszenario, in dem verschuldete Regierungen unfähig sind, die Devisen zum Kapitaldienst aufzubringen. Bei schwacher Exportbasis mündet der Versuch der Beschaffung von Fremdwährung in einer Abwertung, die die Auslandsschuld in heimischer Währung gerechnet erhöht und damit das interne Aufbringungsproblem verschärft.
  • 11 B. Eichengreen, P. Temin: Fetters of Gold and Paper, in: Oxford Review of Economic Policy, 26. Jg. (2010), Nr. 3, S. 370-384.
  • 12 P. Spahn: From Gold to Euro – On Monetary Theory and the History of Currency Systems, Berlin, Heidelberg 2001, S. 63 ff.
  • 13 W. Buiter u.a.: ELA – An Emperor without Clothes?, in: Citi Economics, Global Economics View, 21.1.2011, http://www.nber.org/~wbuiter/ela.pdf.
  • 14 H.-W. Sinn, T. Wollmershäuser: Target Loans, Current Account Balances and the ECB’s Rescue Facility, CESifo Working Paper, Nr. 3500, München 2011.
  • 15 Im Übrigen ist für Deutschland eine Konstellation mit positiven TARGET2-Salden als Gegenposten der Exportüberschüsse volkswirtschaftlich insofern von Vorteil, weil im alternativen Szenario die deutschen Kapitalexporte mit einem vollständig zu tragenden Ausfallrisiko behaftet wären.
  • 16 J. Abad u.a.: TARGET2 Unlimited – Monetary Policy Implications of Asymmetric Liquidity Management within the Euro Area, Universität Leipzig, 2011.
  • 17 H.-W. Sinn, T. Wollmershäuser, a.a.O.
  • 18 Dieselben weisen darauf hin, dass schon die TARGET2-Salden im Kern die Schuldkonstruktion eines Eurobonds widerspiegeln, da die Forderungsposition der Bundesbank von allen Ländern des Euro-Systems garantiert wird.
  • 19 S. Dullien, D. Schwarzer: Umgang mit Staatsbankrotten in der Eurozone – Stabilisierungsfonds, Insolvenzrecht für Staaten und Eurobonds, Stiftung für Wissenschaft und Politik, SWP-Studie, S. 19, Berlin 2010; J. Delpla, J. von Weizsäcker: Eurobonds – The Blue Bond Concept and Its Implications, Bruegel Policy Contribution, Ausgabe 2011/02, März 2011; P. De Grauwe, a.a.O.
  • 20 Eine tiefgehende Haushaltskontrolle durch EWU-Institutionen bleibt demnach unverzichtbar.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1258-y