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Ende Juli haben die Euro-Regierungschefs ein zusätzliches sehr umfangreiches Rettungspaket für Griechenland beschlossen. Der EU-Gipfel konnte die Märkte allerdings nicht beruhigen. Diese enttäuschende Reaktion heizt die Diskussion auf politischer Ebene, aber auch in der Wirtschaftswissenschaft weiter an. Wie ist die Beteiligung des Privatsektors an der Krisenbewältigung zu bewerten? Wie stark wird der Steuerzahler belastet? Was ist von Eurobonds oder einer europäischen Wirtschaftsregierung mit weitreichenden Kompetenzen zu halten? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Autoren der folgenden Aufsätze.

Der EU-Gipfel am 21. Juli 2011 hat wie erwartet das neue zusätzliche Rettungspaket für Griechenland, das bis 2014 öffentliche Kredite der European Financial Stability Facility (EFSF) und des IWF im Umfang von 109 Mrd. Euro umfassen wird, abgesegnet. Griechenland kommen direkt 54 Mrd. Euro zugute. Mit den weiteren 55 Mrd. Euro werden die Gläubigerbeteiligungen abgesichert (vgl. Kasten 1). Das Paket umfasst vier Bestandteile: 34 Mrd. Euro zur Deckung des Refinanzierungsbedarfs Griechenlands, 20 Mrd. Euro für die Rekapitalisierung griechischer Banken, 35 Mrd. Euro zur Absicherung der Risiken aus der Beteiligung privater Gläubiger und 20 Mrd. Euro als „Anreiz“ für private Gläubiger, in einen freiwilligen Schuldenrückkauf zu schlechteren Bedingungen einzuwilligen.

Kasten 1
Die beiden Rettungspakete für Griechenland

Ein erstes Rettungspaket für Griechenland wurde im Frühjahr 2010 vereinbart, nachdem Ratingagenturen die Kreditfähigkeit des Landes mehrfach herabgestuft hatten. Damit wurde den Marktteilnehmern ein hohes Ausfallrisiko für Kredite und Staatsanleihen signalisiert. In der Folge erhöhten sich die Kreditzinsen für Griechenland erheblich und die Kurse für Staatsanleihen brachen ein, weil ein Zahlungsausfall nicht mehr ausgeschlossen werden konnte. Das Rettungspaket wurde von einer Gruppe bestehend aus EU, EZB und IWF geschnürt. Darin sind der griechischen Regierung Kreditzusagen im Umfang von 110 Mrd. Euro gemacht worden. Der IWF übernimmt 30 Mrd. und die Länder des Euroraums (ohne Griechenland) 80 Mrd. im Rahmen von bilateralen Kreditzusagen. Die einzelnen Länder haften in Höhe ihrer Beteiligung am Kapital der EZB, das sind 27,9% für Deutschland. Das Paket ist auf drei Jahre angelegt. Im Gegenzug soll der griechische Schuldenhaushalt binnen drei Jahren konsolidiert und das Haushaltsdefizit unter die Maastricht-Obergrenze von 3% gedrückt werden. Deutschland hat im letzten Jahr 10,4 Mrd. Euro an Krediten bereitgestellt.

Das zweite Rettungspaket ist im Juli 2011 beschlossen worden und wird im Text näher beschrieben. Es hat ein Volumen von 109 Mrd. Euro, die von der EFSF und dem IWF bis 2014 ausgezahlt werden können. Die Rückzahlungsmodalitäten für Griechenland werden verbessert, indem die Laufzeiten von Krediten verlängert und die Zinsen gesenkt werden. Dies gilt auch für Kredite aus dem ersten Rettungspaket. Zusätzlich wird eine freiwillige Beteiligung privater Anleger vereinbart. Die Kompetenzen der EFSF werden gestärkt. Der Notfallfonds kann nun auch präventiv Staatsanleihen gefährdeter Länder am Kapitalmarkt aufkaufen. Darüber hinaus wird ein Wiederaufbauplan für Griechenland angekündigt, um wirtschaftliches Wachstum zu fördern.

Die deutschen Banken halten Forderungen von über 24 Mrd. Euro an Griechenland, dabei ist der öffentliche Sektor mit rund 75% der größte Schuldner. Auf griechische Banken entfällt nur ein Bruchteil (5%), der Rest betrifft die Unternehmen des Nichtbankensektors.

Im Herbst soll es, einem Vorschlag des Washingtoner Institute of International Finance unter dem Vorsitz Josef Ackermanns folgend, zu einer Umschuldung privat gehaltener und bis 2020 fällig werdender Anleihen im Umfang von ungefähr 135 Mrd. Euro – das entspricht 90% der bis 2020 fällig werdenden Anleihen (= 150 Mrd. Euro) – kommen. Dies befreit Griechenland zwar für zehn Jahre vom Druck der Finanzmärkte, führt aber dazu, dass zum ersten Mal ein Land der Eurozone als zahlungsunfähig einzustufen ist. Das Programm wird von den Ratingagenturen vereinbarungsgemäß als teilweiser Zahlungsausfall gewertet. Der Zahlungsausfall soll voraussichtlich Ende August stattfinden und sein Zeitraum auf wenige Tage reduziert werden. Wegen der eher geringen Transparenz der Beschlüsse hinsichtlich der Zuordnung öffentlicher und privater Gläubiger zu einzelnen Beiträgen zum neuen Griechenland-Rettungspaket sollen hier dessen Komponenten zunächst im Einzelnen erläutert werden.

Die EZB profitiert von den Vereinbarungen. Die EFSF und damit die nationalen Staatshaushalte nehmen ihr die Risiken eines teilweisen Zahlungsausfalls ab. Die EZB-Führung konnte die EU-Regierungschefs und damit die EFSF davon überzeugen, Bürgschaften für Sicherheiten griechischer Banken im Umfang von bis zu 35 Mrd. Euro zu übernehmen. Die EFSF muss sich diese Sicherheiten am Markt besorgen. Da der Zeitraum des teilweisen Zahlungsausfalls von Griechenland möglichst kurz gehalten werden soll, wird dies vorwiegend über kurzfristige Geldmarktgeschäfte geschehen. Eventuell wird der Bedarf an Sicherheitsbereitstellung für die EZB auch mit der Einbeziehung des Privatsektors kombiniert. Generell gilt, dass die technische Umsetzung noch nicht klar geregelt ist. Aufgrund der Überdeckung der Ausleihkapazität der EFSF (overborrowing requirement), die für den Erhalt des Triple-A-Rating erforderlich ist, müssen am Markt deutlich mehr als 35 Mrd. Euro aufgenommen werden, etwa 12 Mrd. Euro zusätzlich. Dabei sind die Sicherheiten für den Anleihenumtausch von 135 Mrd. Euro ex ante bereitzustellen.1

Zudem erhält Griechenland eine Reihe von Erleichterungen für den Schuldendienst. Diese gelten auch für Irland und Portugal. Beschlossen wurde, die Laufzeiten der Kredite bei günstigeren Zinsen zu verlängern. Für die Kredite aus dem Notfallfonds EFSF steigt die Laufzeit von 7,5 auf 15 Jahre, möglicherweise aber auch bis auf 30 Jahre, und der Zinssatz wird von 4,5% auf 3,5% sinken. Auch die Kredite aus dem ersten Rettungsprogramm von 2010 sollen deutlich prolongiert werden: Griechenland muss zehn Jahre lang keine Tilgung leisten. Zudem werden die schon laufenden bilateralen Kredite der Eurostaaten an die weicheren Zins- und Laufzeitbedingungen angepasst.

Beteiligung des Privatsektors

Darüber hinaus wird, vor allem auf Druck der Niederlande und Deutschlands, der Privatsektor mit einer Reihe von Optionen beteiligt, wenn auch nur auf „freiwilliger“ Basis. Banken und Versicherungen können sich je nach Präferenz eines Anleihenverkaufs oder einer Verlängerung auslaufender Engagements in Anleihen bedienen.

Ein wichtiges Entlastungselement im Hilfspaket ist die sanfte Umschuldung von deutlich wertgeminderten Staatsanleihen unter Beteiligung von 30 privaten Banken und Versicherungen, die 90% der Gläubiger abdecken. Die EFSF kauft den Privaten griechische Anleihen zum Marktpreis mit einem Abschlag ab, wofür sie 20 Mrd. Euro aufbringen muss. Die Privatinvestoren sollen bei dieser Aktion für 12,6 Mrd. Euro einstehen. Darüber hinaus hat sich der Bankensektor bereit erklärt, bestehende in neue Anleihen mit sehr langer Laufzeit und erstklassiger Sicherheit umzutauschen, wofür im Bankensektor – laut den Aussagen von Bundeskanzlerin Merkel – bis 2014 weitere 37 Mrd. Euro abzuschreiben sind. Bereits an dieser Stelle wird ersichtlich, dass – wenig überraschend für einen Vorschlag des Institute of International Finance – die Banken und Versicherungen ganz offensichtlich „Anreize“ zur Teilnahme erhalten sollen.

Der positive Effekt für Griechenland: Da diese Anleihen bisher zum Nennwert in den Büchern stehen, sinkt die Staatsschuld ab der Übernahme durch die EFSF um geschätzte 12% des Bruttoinlandsprodukts. Die Banken sollen bei diesen Deals Abschreibungen von durchschnittlich 21% vornehmen. Dies ist durchaus günstig, da auf den Märkten derzeit Abschläge von bis zu 45% verlangt werden.

Vor allem wird die Rolle der EFSF gestärkt, und ihre Kompetenzen und Interventionsmöglichkeiten werden erheblich ausgeweitet, wobei die Änderungen auch auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) angewendet werden. Der Fonds kann künftig im Rahmen einer flexiblen Kreditlinie unter strikten Auflagen eines internationalen Spar- und Reformprogramms bei in Turbulenzen geratenen Mitgliedsländern präventiv tätig werden; dies ist ein wichtiges Element für das künftige makroökonomische Management in der Währungsunion und vor allem auf Spanien und Italien gemünzt. Die EFSF soll zudem – und dies ist die einschneidendere Änderung – im Notfall auf dem Sekundärmarkt tätig werden, also dort Anleihen aufkaufen können. Voraussetzung hierfür sollen die Feststellung außergewöhnlicher Umstände durch die EZB, ein einstimmiger Beschluss der Finanzminister der Eurozone sowie die Erfüllung von Programmen oder Auflagen sein. Dies soll sicherstellen, dass der Fonds wirklich nur in Ausnahmefällen von seinen deutlich gewachsenen Kompetenzen Gebrauch macht. Schließlich soll die EFSF den Bankensektor eines betroffenen Landes indirekt durch spezifische Kredite an die jeweilige Regierung stützen können. Die EFSF übernimmt damit Aufgaben, die eigentlich in der haushaltspolitischen Verantwortung nationaler Regierungen liegen.

Überraschend umfangreich und großzügig

Die Beschlüsse des Gipfels – die wichtigsten seit Mai 2010 – überraschen hinsichtlich des Ausmaßes und der Großzügigkeit der finanziellen Unterstützung Griechenlands, die letztlich die nationalen Staatshaushalte belastet. Gleichzeitig werden private Investoren nicht hinreichend einbezogen, um die griechischen Staatsschulden mittelfristig tragbar werden zu lassen. Die gefundene Lösung enthält die Möglichkeit eines Rückkaufs griechischer Anleihen durch die EFSF, wobei es nur zu einem zeitlich stark begrenzten Zahlungsausfall kommt. Die entscheidenden Bedingungen hierfür, wie beispielsweise ein vorab festgelegter Abschlag beim Anleiherückkauf – der eine Verringerung der Zinsen für Griechenland überflüssig machen würde –, müssen aber noch festgelegt werden. Nur dann könnten die Maßnahmen annähernd in Richtung eines von uns schon seit dem letzten Jahr geforderten Schuldenschnitts im Rahmen eines Europäischen Währungsfonds, also eines geordneten Insolvenzverfahrens, gehen.

Zu begrüßen ist zwar, dass eine Rekapitalisierung der griechischen Banken in dem Maßnahmenpaket nicht mehr ausgeschlossen ist. Der Zug kann aber wegen der fehlenden Konkretisierungen immer noch in die falsche Richtung fahren. Würden die Spielräume genutzt und auch Anleihen von Ländern, die (noch) nicht von EFSF-Programmen betroffen und wesentlich größer als Griechenland sind, von der EFSF auf Sekundärmärkten angekauft, käme dies einer Einführung von Eurobonds durch die Hintertür gleich. Die Haushaltsrisiken der überschuldeten Länder würden auf die anderen Länder überwälzt. Die EU wäre dann über den Weg einer über die EZB-Bilanz laufenden Transferunion tatsächlich bei einer Haftungsgemeinschaft angelangt. Der größere Teil der Eurozone würde nicht mehr Transfers in einen deutlich kleineren Teil der Eurozone leiten, sondern Geber- und Nehmerländer würden sich im Gewicht immer mehr entsprechen – bei allmählicher Verwischung der haushaltspolitischen Verantwortlichkeiten. Wären die Anleihekäufe der EFSF nicht nur auf Griechenland und gegebenenfalls Portugal und Irland beschränkt, würden die fiskalische Kapazität und Toleranz der Geberländer überstrapaziert. Das könnte letztlich durch die von der Politik immer noch unterschätzten Reaktionen der Bevölkerung das Ende der Eurozone bedeuten. Der „Filter“ EZB, deren Unabhängigkeit durch die Beschlüsse weiter in Zweifel gezogen wird, wäre nicht mehr ein Garant dafür, dass die EFSF die Option „Anleihekauf“ nur im Ausnahmefall zieht.

Positiv ist anzumerken, dass es weder zur unmittelbaren Einführung von echten Euro-Anleihen noch einer Bankenabgabe gekommen ist und der Rettungsfonds EFSF nicht aufgestockt wird. Zudem ist tendenziell zu begrüßen, dass der Einfluss der US-amerikanischen Rating-Agenturen eingedämmt werden soll. Die EZB orientiert sich bereits an der kleinen kanadischen Rating-Agentur DBRS, die keinerlei Griechenland-Ratings erstellt und insofern Griechenland im Fall eines Schuldenschnitts gar nicht auf „Zahlungsausfall“ stellen kann.

Wenngleich also die Beschlüsse in Teilen Schritte in die richtige Richtung weisen, ist das Ausmaß der konkret beschlossenen Maßnahmen eher enttäuschend.2 Damit wird die Schuldenkrise nicht beendet, vielmehr dürfte das Risiko einer Ansteckung anderer Länder noch zunehmen. Denn der viel zu geringe Abschlag bedeutet unmittelbar, dass in Zukunft eine zusätzliche noch substanziellere Umschuldung notwendig wird, wenn es nicht noch umfangreichere Transfers an Griechenland geben soll. Dies wird vermutlich nach 2013 geschehen, wenn die EFSF durch den ESM ersetzt wird und in Deutschland die Bundestagswahlen stattgefunden haben. Der ESM macht die Umstrukturierung privat gehaltener Staatspapiere erheblich einfacher. Schließlich dürften die präventiven Kreditlinien für Italien das bisherige EFSF-Volumen deutlich überfordern. Die Konzeption der Gipfelbeschlüsse lenkt davon ab, dass demnächst erneut über eine deutliche Aufstockung der EFSF zu diskutieren sein wird.

Das beschlossene Rettungspaket belässt Griechenland immer noch bei einem hohen Schuldenstand in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Die griechische Volkswirtschaft wird hierdurch nicht auf einen nachhaltigen Pfad geführt, zumal von der Zinsseite her nunmehr weniger Anreize für eine rasche Wettbewerbsorientierung der Volkswirtschaft kommen. Außerdem sind die den Eurozonen- und IWF-Programmen zugrunde liegenden Annahmen zu Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen viel zu optimistisch.

Zu wenig drastisch: Umschuldung fällt zu knapp aus

Stattdessen hätte der Gipfel sich zu einem drastischeren Schuldenschnitt durchringen und die Beteiligung des privaten Sektors verpflichtend gestalten müssen. Banken und Versicherungen sind zwar – vor allem auf Druck Deutschlands – mit entsprechendem Symbolwert am neuen Paket beteiligt. Eine stärkere Beteiligung ist wohl am Widerstand der französischen Banken, die in erheblichem Ausmaß bei griechischen Finanzinstituten engagiert sind, gescheitert. Um die Bedenken der EZB wegen eines Kreditausfalls zu beseitigen, wurde ein hoher Preis gezahlt. Nicht weniger als die Hälfte der bis 2014 im Paket enthaltenen 109 Mrd. Euro müssen in einer Art Vergemeinschaftung der Schulden aufgewendet werden, um die Gläubiger-Risiken des beteiligten Privatsektors abzusichern. Die Lasten zwischen öffentlichem und privatem Sektor scheinen ungleich verteilt. Längerfristige Anleihen können vom privaten Sektor umgetauscht werden – entweder zum gleichen Nennwert mit einer Verzinsung von rund 4,5% oder zu einem Nennwert von 80%, dann aber mit einer Verzinsung von 5,9% (15 Jahre Laufzeit) oder 6,42% (30 Jahre).

Zudem liegt der Marktwert der Griechenland-Anleihen um rund 45% unter dem Nennwert, während sich der Schuldenschnitt nur auf 21% beläuft. Die Banken hatten schon längst Verluste in dieser Größenordnung in ihren Handels- und zum Teil auch in ihren Bankenbüchern abgeschrieben und können die Werte der Anleihen somit aufgrund der Beschlüsse wieder deutlich nach oben korrigieren. Zudem hat sich die Gläubigerstruktur der griechischen Banken insoweit geändert, dass private Banken nur noch einen geringen Anteil tragen, die EZB demgegenüber einen hohen Anteil trägt. Sie hatten zuvor überproportional stark vom Zinsspread griechischer Anleihen profitiert. Die Gewinne daraus dürften weit über das Äquivalent zum Schuldenschnitt von 21% hinausgehen. Zudem werden die Banken enorm an der technischen Durchführung der Umschuldung verdienen. Schließlich müssen Steuergelder in Gestalt von EFSF-Garantien für „Anreize“ zum Schuldentausch herhalten und für den größeren Teil des verbleibenden Pleiterisikos Griechenlands herhalten.

An den Beschlüssen ist weiterhin bemerkenswert, dass Hedgefonds, die mindestens ein Drittel der griechischen Anleihen halten, sich nicht beteiligen. Ihr Anlagekalkül ist es, Papiere mit geringem Wert zu erwerben und zum Nennwert erstattet zu bekommen. Dieser Makel der Gipfelbeschlüsse hätte verringert werden können, wenn die EU einen Europäischen Währungsfonds eingeführt hätte, der eine Registrierung der Wertpapiere und ihrer Inhaber zur bindenden Auflage gemacht hätte, damit diese an einem Schuldentausch à la Brady-Bonds teilnehmen können. Dies hätte einen echten Schuldenschnitt bedeutet. An diesem hätten sich auch die Hedgefonds beteiligt, da die Alternative ein Sturz des Anleihenwertes unter den vom Europäischen Währungsfonds garantierten Wert gewesen wäre.

Schuldenschnitt und Registrierung wären ein Äquivalent zu der überraschend hohen und generösen staatlichen Unterstützung Griechenlands. Dies wäre eine überzeugendere Maßnahmen gewesen, um die Schuldenkrise zu entschärfen und die Staatsfinanzen Griechenlands wieder auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Durch das Maßnahmenpaket kommt es zu einer künstlichen Angleichung der Zinsunterschiede zwischen Peripherie- und Kernländern. Dies konterkariert geradezu die Unterschiede in den Ausfallrisiken und hebelt die Disziplinierung durch die Märkte aus. Entsprechend wirken sich die Beschlüsse positiv an den Märkten für Bankenpapiere und PIIGS-Anleihen aus, während die Kurse für Bundesanleihen fallen. Und dies trotz der Konjunkturdaten, die auf eine strukturelle Rezession in der Euro-Peripherie deuten.

Unkonkret, aber geldpolitisch neutral

Viele der quantitativen Einschätzungen im Mix aus Laufzeitverlängerungen, Zinsnachlass, Anschubfinanzierung oder Umschuldung sind nur Projektionen, reichen über fünf, zehn, ja bis zu 30 Jahre, sind von sehr komplexen Entwicklungen und Faktoren abhängig – und daher mit Vorsicht zu genießen. Oft geht es nur um Buchwerte, nicht um reale Zahlen.

Im Rahmen des zweiten Rettungspakets für Griechenland musste die EZB zähneknirschend eine Beteiligung des Privatsektors und die Herabstufung Griechenlands auf einen begrenzten Zahlungsausfall (restricted default) durch die Rating-Agentur Fitch hinnehmen. Standard and Poor’s gab unterdessen bekannt, dass die Umsetzung des Anleihentauschprogramms für sie einen selektiven Zahlungsausfall (selected default) bedeute. Die EZB konnte jedoch sicherstellen, dass die EFSF am Sekundärmarkt für Staatsanleihen tätig werden darf. Damit kann die Zentralbank ihre kritisch diskutierten außerordentlichen Maßnahmen zurückfahren. Gleichzeitig entscheidet sie auch weiterhin, ob und wann Anleihenkäufe erforderlich werden, um ein normales Funktionieren des geldpolitischen Übertragungsmechanismus zu garantieren.3 Insgesamt dürfte die EZB aus ihrer Sicht einen akzeptablen Kompromiss erzielt haben, der unter dem Strich geldpolitisch neutral wäre.

Die kritischen Kommentare der Bundesbank zum Rettungspaket für Griechenland – das als Unterminierung der haushaltspolitischen Verantwortung der Euroländer verstanden wird – wirkten allerdings wie eine kalte Dusche. Der erweiterte Rat der EZB könnte im Hinblick auf den Umgang mit der Schuldenkrise also durchaus geteilter Ansicht sein. Vor diesem Hintergrund hätte es angesichts der deutlich über dem Ziel liegenden Inflationsrate den Verfechtern einer restriktiveren Geldpolitik leichter fallen können, eine baldige Zinserhöhung zu fordern – wenn ihnen die US-Schuldenkrise keinen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.

Insgesamt eignen sich die Beschlüsse des Euro-Gipfels allenfalls dazu, Zeit zu kaufen; eine dauerhaft tragfähige Lösung bieten sie nicht.

Griechische Wirtschaft weiterhin auf Talfahrt

Das neue Rettungspaket für Griechenland hat die Finanzmärkte nur für einige Tage beruhigt. Der vorgesehene Schuldenschnitt wird von den Analysten überwiegend als nicht ausreichend bewertet, zumal die EU-Kommission inzwischen selbst Zweifel angemeldet hat. Griechenland kann die Probleme nicht mehr alleine meistern. Das reale Bruttoinlandsprodukt ist im vergangenen Jahr um 4,5% geschrumpft. Für 2011 erwartet der IWF einen ähnlichen Rückgang. Die Arbeitslosenquote hat sich seit Ausbruch der Krise nahezu verdoppelt.

Bisherige Konsolidierungsmaßnahmen

Die wirtschaftliche Entwicklung wird durch den harten Konsolidierungskurs bestimmt, mit dem sich die Regierung gegen die Schuldenkrise stemmt. Die Schuldenquote liegt 2011 bei über 150% in Relation zum BIP und das Defizit im Staatshaushalt betrug 2010 nahezu 10%. Die Rückführung der öffentlichen Budgetdefizite erfolgt langsamer als erwartet, auch weil sich die Haushaltslage nach den Revisionen durch Eurostat als noch düsterer herausgestellt hat. Trotz einer schrumpfenden Wirtschaft konnte das Defizit 2010 nach Angaben von Eurostat gegenüber dem Vorjahr um fünf Prozentpunkte verringert werden. Dazu wurde unter anderem die Mehrwertsteuer in mehreren Schritten bis auf 23% angehoben. Bei den Altersbezügen sind, z.B. durch die Einführung einer Sonderabgabe auf Renten und ein höheres Renteneintrittsalter für Frauen, Kürzungen erfolgt. Im Gesundheitsbereich werden unter anderem durch die Senkung staatlich festgesetzter Preise für Medikamente Kosten gesenkt. Bei den Löhnen im öffentlichen Dienst, in dem 20% aller Beschäftigten tätig sind, sind Zulagen gestrichen worden. Freie Stellen werden oft nicht mehr besetzt, befristete Stellen nicht mehr verlängert.

Darüber hinaus sind erste Strukturreformen in Angriff genommen worden. Dazu zählen das Einfrieren von Mindestlöhnen, der Abbau von Überstundenzuschlägen, ein höherer Lohnverhandlungsspielraum auf betrieblicher Ebene und die Erleichterung von Unternehmensgründungen. Griechenland hat Privatisierungen von Vermögen im Wert von 50 Mrd. Euro in den nächsten Jahren zugestimmt. Dabei geht es um den Verkauf von Anteilen an staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen im Energie-, Verkehrs- und Bankensektor sowie um Grundstücke und Immobilien. Ferner sind der Abbau der Korruption und eine Verbreiterung der Steuerbasis, vor allem durch die Bekämpfung von Steuerhinterziehung erforderlich. Die Maßnahmen dürften allerdings erst langfristig wirksam werden.

Kurzfristige Wachstumsimpulse erforderlich

Eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen ist bei einer schrumpfenden Wirtschaft nicht sehr Erfolg versprechend. Auch ist unklar, ob der Kurs über mehrere Jahre hinweg politisch durchgehalten werden kann. Daher sind kurzfristig Wachstumsimpulse zu setzen, um die Konsolidierung abzusichern. Dies ist nicht zuletzt auch im deutschen Interesse. So ist Deutschland aus griechischer Sicht seit langem der wichtigste Handelspartner. Im letzten Jahr sind die deutschen Exporte nach Griechenland um 10% eingebrochen. Eine Stärkung der dortigen Entwicklung kann dazu beitragen, die Exportnachfrage zu stabilisieren und Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern.

Ein Investitionsförderprogramm gekoppelt an Privatisierungen könnte zudem den Umbau der griechischen Wirtschaft als Niedriglohnstandort in der EU forcieren und damit auch der deutschen Wirtschaft die Chance bieten, günstige Investitionen und billige Arbeitskräfte zu nutzen. Damit könnte Griechenland einen Platz in der globalen Wertschöpfungskette finden. Daneben spielt das Land als Brückenkopf für den Seehandel zwischen Europa und Asien durch den Suez-Kanal eine Rolle. Damit könnte die starke Abhängigkeit von asiatischen Produktionsstandorten wie China vermindert werden.

Elemente einer Investitionshilfe

In Hinblick auf die Griechenland-Hilfe wird oft der Marshallplan als Blaupause herangezogen, der in der Rückschau allerdings kein Wundermittel für den Nachkriegsaufschwung in Westeuropa gewesen ist. So hat der Marshallplan das Wirtschaftswachstum nach Berechnungen von Barry Eichengreen um 0,5 Prozentpunkte erhöht, die Hauptlast wurde jedoch von den einzelnen Ländern aus eigener Kraft geleistet.4 Die Wirtschaft ist in Deutschland, Österreich und Italien wesentlich schneller gewachsen als in Großbritannien, Schweden und Griechenland, die als vorherige Alliierte größere Summen von den USA erhielten. Viel bedeutender für den deutschen Erfolg war die Erhard´sche Deregulierung von Preiskontrollen. Dies zeigt, dass die Unterstützung für Griechenland von ordnungspolitisch anreizkonformen Reformen begleitet werden muss, um die Hilfen effektiv werden zu lassen.

  • Struktur- und Kohäsionsfonds: Dies betrifft unter anderem die Gelder aus den Struktur- und Kohäsionfonds. So könnte eine Umschichtung der Transfers das Wirtschaftswachstum fördern. Hier sollte es weniger um landwirtschaftliche Projekte und Infrastruktur, sondern um die Förderung von kleinen und mittleren innovativen Unternehmen und Businessparks gehen. Auch könnten Mittel verwendet werden, um die Kredite an solche Unternehmen zu vergeben. Darüber hinaus sollte die Lücke zwischen abgerufenen und reservierten Mitteln verringert werden. Empfängerländer müssen für die Inanspruchnahme der Fördergelder einen Eigenanteil leisten, was in Zeiten einer fiskalischen Konsolidierung eine Wachstumsbremse darstellen kann. Zudem müssen die nationalen Behörden in der Lage sein, sinnvolle Projekte zu identifizieren und in Brüssel die Finanzierung zu beantragen. Einem Abruf der Mittel stehen auch administrative Hindernisse entgegen. Wegen fehlender Katasterämter können Eigentumsnachweise, die für den Abruf von Fördergeldern benötigt werden, oft nicht vorgelegt werden. Eine raschere und unbürokratischere Freigabe von Mitteln könnte von einem befristeten Verzicht auf eine Kofinanzierung begleitet werden. Allerdings würde dies der griechischen Regierung signalisieren, dass die Krise mit Finanztransfers zu überwinden ist. Daher sollte eine EU-Agentur als Berater fungieren, um einen effizienten Umgang mit den Mitteln zu gewährleisten.
  • Erleichterter Zugang zu Krediten: Der Zugang zu Krediten ist derzeit für viele Unternehmen ein Hauptproblem. Dabei sind auch Firmen betroffen, die international konkurrenzfähig sind. Durch die Bonitätsabstufungen des Staates werden sie in Mithaftung genommen. Eine weniger restriktive Kreditvergabepraxis könnte die Realwirtschaft stimulieren. Prinzipiell könnte auch die KfW mit Globaldarlehen einspringen. Darüber hinaus geht es um ein stärkeres beratendes Engagement. In Griechenland gibt es zahlreiche Förderbanken, die jedoch wenig koordiniert arbeiten.
  • Sektorale Hilfen: Für Direktinvestitionen kommen viele Sektoren in Betracht. Hohe Potenziale bestehen vor allem bei der Informationstechnologie und den erneuerbaren Energien, zumal die Arbeitnehmer in Griechenland sehr gut ausgebildet sind. Um die Investitionsanreize zu stärken, sind die Standortbedingungen zu verbessern, Genehmigungsverfahren sind zu vereinfachen und transparenter zu gestalten. Dabei könnte die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen mit zeitlich befristeten Steuersenkungen und Abschreibungserleichterungen die Investitionsanreize verbessern.
  • Verbesserung institutioneller Rahmenbedingungen: Um die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig zu stärken, sind funktionierende Institutionen unerlässlich. Daher sollte eine Fortsetzung von Strukturreformen den Boden für stärkere Investitionsaktivitäten bereiten. Der Prozess kann von sequentiellen Hilfen begleitet sein, die an vorhergehende Reformschritte zu binden wären. Dies kann den Konflikt zwischen Konditionalität und Alternativlosigkeit auflösen und verhindert, dass Mittel in ineffiziente Strukturen fließen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Anpassungsbedarf unterschätzt und notwendige Reformen verschleppt werden. Daher könnte die Einrichtung einer europäischen Agentur mit operativer Weisungskompetenz in einzelnen Politikfeldern unterstützend wirken.

Die griechische Wirtschaft kann auch durch Privatisierungen wettbewerbsfähiger werden. Zudem wird der Staatshaushalt entlastet, weil es zu einem Schuldenabbau kommt. Seit 1997 konnte der griechische Staat Privatisierungserlöse von 25 Mrd. Euro erzielen, vor allem durch Verkäufe im Banken-, Telekommunikations- und Energiesektor. Griechenland hat erhebliche Reserven. So wird der Grundbesitz in staatlicher Hand auf 280 Mrd. Euro taxiert. Bei der Privatisierung geht es auch um die Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, dass erfolgreiche griechische Unternehmer aus der Diaspora zurückkehren. Dabei bietet es sich an, auf die Expertise anderer Länder, insbesondere die Erfahrungen Deutschlands mit der Treuhandanstalt bei der Suche nach Investoren in den östlichen Bundesländern, zurückzugreifen.

  • 1 Siehe http://blogs.wsj.com/brussels/2011/07/26/bailout-will-add-to-greek-debt/?mod=WSJBlog&mod=brussels.
  • 2 Vgl. A. Belke, C. Dreger: Ramifications of Debt Restructuring on the Euro Area – The Example of Large European Economies’ Exposure to Greece, in: Intereconomics, Vol. 46 (2011), H. 4, S. 188-196; und dies.: Noch ein Versuch ..., in: Wirtschaftswoche, H. 30, 2011, S. 30-32.
  • 3 UniCredit: USA – Die Woche der Wahrheit, Economics & FI/FX Research, Freitagspapier, 29.7.2011.
  • 4 B. Eichengreen: The European Economy since 1945. Coordinated Capitalism and beyond, Princeton 2006.


DOI: 10.1007/s10273-011-1270-2

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