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Ende Juli haben die Euro-Regierungschefs ein zusätzliches sehr umfangreiches Rettungspaket für Griechenland beschlossen. Der EU-Gipfel konnte die Märkte allerdings nicht beruhigen. Diese enttäuschende Reaktion heizt die Diskussion auf politischer Ebene, aber auch in der Wirtschaftswissenschaft weiter an. Wie ist die Beteiligung des Privatsektors an der Krisenbewältigung zu bewerten? Wie stark wird der Steuerzahler belastet? Was ist von Eurobonds oder einer europäischen Wirtschaftsregierung mit weitreichenden Kompetenzen zu halten? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Autoren der folgenden Aufsätze.

Die Euro-Währungsintegration bzw. die Schaffung der Europäischen Zentralbank durch elf Starterländer war ein historischer Integrationsschritt und ein ökonomisch-politischer Erfolg in der Dekade nach dem 1.1.1999. Eine zuverlässige Koordinierung der nationalen Fiskalpolitiken ist hingegen kaum gelungen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der vernünftige Obergrenzen der Defizit- und Schuldenquote eines Staates auch nach dem Euro-Beitritt sichern sollte, hat sich nicht als effektives Instrument erwiesen. Vielmehr haben sich viele Euroländer einem Defizitverfahren gegenüber gesehen – meist mit wenig Erfolg, was eine nachhaltige Gesundung der Staatsfinanzen anging. Die transatlantische Bankenkrise hat dann in vielen Ländern die staatlichen Schuldenquoten durch Konjunkturprogramme und staatliche Bankenrekapitalisierungen oder gar Nationalisierungen von Banken massiv ansteigen lassen; in einigen EU-Ländern gibt es allerdings auch ergänzende nationale Gründe für den starken Anstieg der Schuldenquote, deren Höhe – zusammen mit dem Grad der Auslandsverschuldung – die Bonität von Ländern in den Augen der führenden Rating-Agenturen mitbestimmt. 2011 gibt es nur noch wenige Euroländer, die im Rating bei den großen Agenturen mit AAA aufgeführt sind und daher höchste Bonität genießen: Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Finnland. Mit jeder Rating-Abstufung steigt in der Regel der Marktzinssatz, ein steigender Zins bedeutet dabei, dass der Kurswert des betreffenden Papieres sinkt – es entstehen also Vermögensverluste. Vermögenswertänderungen können auch bei anderen Wertpapieren bzw. Aktiva eintreten, etwa bei Immobilien oder bei Aktien.

Ein starker Einbruch der Aktienkurse in den USA und der EU wurde nach dem EU-Sondergipfel vom 21. Juli 2011 beobachtet; dabei dürfte es für die Kursentwicklung eine Rolle gespielt haben, dass die Anleger in zahlreichen OECD-Ländern angesichts hartnäckiger Haushaltskonsolidierungsprobleme erwarten, dass die Staatsverbrauchsquote mittelfristig sinkt und über einen ökonomischen Dämpfungsimpuls die Brutto-Gewinne vieler Unternehmen ebenfalls sinken werden. Hinzu kommt, dass Anleger auch künftig höhere Einkommensteuersätze erwarten, so dass die erwarteten Nettogewinne der börsennotierten Unternehmen sinken dürften. Veränderte Erwartungen bei der Staatsverbrauchsquote und der Steuerquote haben sich aus der Einsicht ergeben, dass die seit der Bankenkrise über mehrere Jahre stark gestiegenen Schuldenquoten nur durch eine Mischung aus Steuersatzerhöhungen und Senkungen der Staatsquoten auf Normalniveau abzusenken sind.

Wegen der 2010 entstandenen Staatsfinanzierungskrisen in der Eurozone – zunächst in Griechenland – ist es zu einer Reihe von Rettungsmaßnahmen und Strukturanpassungen bei einigen Euroländern gekommen. Die Verankerung einer Schuldenbremse nach einem modifizierten schweizerischen oder deutschen Vorbild wird in Frankreich, Spanien und anderen Ländern seit Sommer 2011 diskutiert, um ein klares Signal an die Kapitalmärkte zu senden, dass ernsthafter Konsolidierungswille und konkrete Konsolidierungsschritte vorhanden bzw. geplant sind. Die Schuldenquote der Eurozone liegt zwar 2011 unter der der USA. Aber die Unruhe an den Finanzmärkten zeigt gerade mit Blick auf die Euro-Schuldenkrise, dass die bestehenden Mechanismen der Währungsunion und die Politikprogramme der Mitgliedsländer bislang nicht ausreichen, um neue Stabilität herzustellen. In dieser Situation stellt sich die Frage, wie die Stabilität der Eurozone wiederzuherstellen ist und die fiskalischen Konsolidierungsprobleme nachhaltig zu lösen sind.

Von der Euro-Erfolgsdekade zur Eurokrise

Die erste Euro-Dekade war aus ökonomischer Sicht ein voller Erfolg in den beteiligten Euro-Starterländern von 1999. In der Bankenkrise 2008/09 haben Euro und EZB ihre Funktionen erfüllt; die Inflationsrate betrug tatsächlich im längerfristigen Durchschnitt etwa 2%, was auch im historischen Vergleich mit der D-Mark als besonderer Erfolg gelten kann. Zudem hat sich der Anteil des Euro an den Weltwährungsreserven kontinuierlich erhöht, und der Euro hat nach einer anfänglichen Abwertungsphase eine längerfristige nominale und reale Aufwertung erlebt: Die Kaufkraft des Euro im Ausland bzw. in Ländern außerhalb der Eurozone ist – von wenigen Ausnahmeländern abgesehen – deutlich gestiegen. In der Bankenkrise wäre es ohne Euro sicherlich zu chaotischen Währungsentwicklungen gekommen, bei denen etwa die D-Mark mit Aufwertungen in einer Größenordnung von 30-50% zu rechnen gehabt hätte (wie die Schweiz beim Schweizer Franken von 2008 bis 2011), was die Exportdynamik sowie Wachstum und Beschäftigung massiv hätte einbrechen lassen und zudem in Deutschland zu sehr hohen Defizitquoten geführt hätte.

Nach dem Konkurs der US-Bank Lehman Brothers Mitte September 2008 ist es zu einem weltweiten Anstieg der Risikoprämien gekommen: Die in den Jahren zuvor sehr niedrigen Risikoprämien – messbar etwa an den Aufschlägen, die US-Unternehmen gegenüber US-Staatsanleihen aufwiesen – sind deutlich höheren Risikoprämien in den USA und der EU gewichen; dabei ist es zugleich zu einer starken Auffächerung der Risikoprämien gekommen, so dass schlechte Risiken mit überproportional hohen Risikozuschlägen und die entsprechenden Länder mit relativ stark gestiegenen Zinssätzen zu rechnen haben. Das ist insbesondere ein Problem für die Euroländer, die schon vor 2008 hohe Staatsschuldenquoten hatten – etwa Italien und Griechenland – oder in denen die Staatsschuldenquoten im Gefolge von Bankenrettungen und massiven Konjunkturprogrammen stark angestiegen und hohe strukturelle Defizitquoten entstanden sind.

Mit Irland ist ein früher wachstumsstarkes Land aufgrund von eigenständigen Sonderfaktoren in die Krise geraten: Wegen jahrelanger faktischer Nichtanwendung von Grundsätzen moderner Bankenaufsicht bzw. einschlägigen EU-Richtlinien konnten irische Großbanken massiv in sehr riskante Bauprojekte in Irland und in ebenfalls riskante strukturierte (verbriefte) Finanzprodukte investieren. Das brachte 2008/09/10 vielen irischen Banken sehr hohe Verluste. Der Staat rettete die Banken mit riesigem Kapitaleinsatz: Die Defizitquote Irlands betrug 2010 mit fast 30% das Zehnfache der 3%-Obergrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, wobei etwa zwei Drittel dieser Defizitquote den Bankenrettungen zuzuschreiben sind. Schwerwiegende Verstöße gegen EU-Richtlinien zur Bankenaufsicht können in der EU bzw. der Eurozone nicht ungeahndet bleiben. Es ist Zeit, dass die Europäische Kommission und das Europäische Parlament gegen Irland im Interesse der Glaubwürdigkeit der EU-Regeln und aus Gründen der Generalprävention Klage erheben. Geschieht dies nicht, können die über 500 Mio. Bürgerinnen und Bürger der EU ihr Vertrauen in die Brüsseler Institutionen verlieren.

Portugal ist im Zuge einer problematischen Wirtschaftspolitik über viele Jahre Anfang 2011 in eine Krise geraten, bei der eine Refinanzierung am Kapitalmarkt zu vernünftigen Bedingungen kaum noch möglich schien; allerdings sind im Frühjahr 2011 die Zinsaufschläge für Portugal auch deshalb sehr stark angestiegen, weil es die Problemfälle Griechenland und Irland gab.

Im Fall Griechenland war im Mai 2010 ein eigenständiges 110-Mrd.-Euro-Rettungspaket verabschiedet worden, das bei einem flankierenden umfassenden Privatisierungsprogramm durchaus Erfolg hätte haben können. Aus unklaren Gründen wurde Griechenland nicht schon bei diesem Rettungsprogramm veranlasst, in der Notsituation das ökonomisch ohnehin Vernünftige und eigentlich seit Jahren Überfällige zu tun, nämlich das Staatsvermögen weitgehend zu privatisieren. Während etwa die osteuropäischen Transformationsländer unter schwierigen Bedingungen in den 90er Jahren ganze Volkwirtschaften privatisiert hatten – das gilt auch für die Ex-DDR bzw. Deutschland –, hatte der Staat in Griechenland Ende 2010 noch Staatsvermögen von mehr als 150% des BIP. Die griechische Regierung hat im Kontext mit dem zweiten Rettungspaket bis 2015 die Privatisierung von einem Siebtel des Staatsvermögens bzw. 50 Mrd. Euro angekündigt, was jedoch größenordnungsmäßig unzureichend und ordnungspolitisch fragwürdig ist. Wenn Griechenland in seiner extremen Verschuldungssituation, für deren Entstehung es selbst die Verantwortung trägt – das Land wurde ja von der Bankenkrise konjunkturell nur wenig getroffen –, keine Bereitschaft zeigen sollte, deutlich mehr als die Hälfte des Staatsvermögens zu privatisieren und notwendige Strukturreformen umzusetzen, wird es längerfristig finanzielle Solidarität bzw. Unterstützung durch die Euroländer kaum weiter erwarten können. Es kann nämlich von staatlichen Schuldnern, vom Bundesstaat über regionale Institutionen bis zu Kommunen in der EU, nicht geduldet werden, dass Zweifel an durch staatliches Eigentum besicherten Wertpapieren – etwa bestimmten Verbriefungsprodukten bzw. Pfandbriefen – aufkommen: Wenn ein hoch verschuldetes Land wie Griechenland nur in geringem Umfang bereit ist, Staatsvermögen zu verkaufen bzw. tatsächlich an Schuldner bzw. die Träger von Rettungsfonds zu verpfänden, dann entsteht genereller Zweifel an einem großen Teil der Staatsanleihen aus EU-Ländern.

Die EZB hat im Zuge der Rettungspakete der Euroländer für Griechenland, Irland und Portugal Anleihen dieser Krisenländer aufgekauft. Ein solcher Ankauf in einer historischen Krisenphase – vor Aktivierungsmöglichkeiten des Rettungsschirms EFSF, der erst ab Oktober Anleihen-Ankäufe vornehmen könnte – ist weder Ausdruck einer Vergemeinschaftungspolitik bei Staatsschulden noch kann hier eine generelle Abkehr der Europäischen Zentralbank von ihrer Stabilitätsorientierung gesehen werden. Ein Problem wird nur dann entstehen, wenn die Sonderankäufe der EZB bei Staatsanleihen zu einem anhaltenden Phänomen werden. Ein Problem politischer und psychologischer Art wird dann entstehen, wenn der Bundesbankpräsident auf Dauer in Fragen von Anleihen-Ankäufen durch die EZB durch seine Amtskollegen im EZB-Rat überstimmt werden sollte: Dem Ansehen sowohl der Deutschen Bundesbank wie der EZB wäre das abträglich.

Vernünftige Zinsunterschiede in einer Krisenphase?

Vor dem Konkurs von Lehman Brothers waren die nationalen Zinsunterschiede innerhalb der Eurozone nahe Null. Im Verlauf 2009/2011 hat sich die Zinslandschaft in der Eurozone erheblich verändert, bzw. die Zinssätze haben sich auseinander entwickelt. Wie lassen sich diese Unterschiede in den Zinssätzen der Euroländer erklären? Wenn man in der Eurozone zu einem risikolosen Zinssatz bzw. in einem sicheren Schuldnerland (z.B. in Deutschland) einen Anlagebetrag von 1 Euro zu einem bestimmten Zinssatz investieren kann, während die Alternative lautet, zu einem höheren Zinssatz mit höherer Konkurswahrscheinlichkeit zu investieren – berücksichtigt werden sollte außerdem die Möglichkeit bei einem Konkurs den Kredit nicht in vollem Umfang zurückzuerhalten – , dann ergibt sich folgendes Szenario: Je höher die Konkurswahrscheinlichkeit ist, desto größer muss bei gegebenem erwarteten Schuldenauszahlungskoeffizienten der Zinsaufschlag gegenüber dem risikolosen Land sein. Die Elastizität des Zinsaufschlags in Bezug auf die erwartete Konkurswahrscheinlichkeit ist 1, d.h. wenn sich die Konkurswahrscheinlichkeit um 10% erhöht, dann wird auch der Zinsaufschlag gegenüber dem sicheren Land um 10% ansteigen.

Wenn der erwartete Schuldenauszahlungsquotient sinkt, dann wird bei gegebener Konkurswahrscheinlichkeit der Zinsaufschlag ansteigen. Unter der Annahme, dass die Konkurswahrscheinlichkeit proportional zur staatlichen Schuldenquote ist und dass sich zudem der Schuldenauszahlungsquotient ebenfalls negativ zur staatlichen Schuldenquote verhält, ergibt sich Folgendes: Je höher die Schuldenquote des Staates mit erwarteten Refinanzierungsproblemen ist, desto höher wird der risikoneutrale Zinsaufschlag sein.

Seit Ende 2008, also nach dem Lehman-Brothers-Konkurs, sind die Zinsaufschläge in der Eurozone gegenüber Deutschland erst allmählich und dann seit Oktober 2009 – nach einer Phase des zuvor erfolgten Anstiegs mit folgendem Rückgang – dramatisch gestiegen; und zwar für Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und Irland. Das lässt sich so interpretieren, dass die erwartete Konkurswahrscheinlichkeit der betreffenden Länder erheblich zugenommen hat.

Historische Erfahrungen mit staatlichen Zahlungsausfällen bei Anleihen zeigen nach IWF-Analysen einen Schuldenauszahlungskoeffizienten von 45% bis 63% für Russland, von 30% bis 56% für die Ukraine, 31% für Pakistan, 27% für Ekuador und 42% bis 73% für Argentinien sowie 13% für Auslandsgläubiger von Uruguay und 23% für Inlandsgläubiger von Uruguay. Es ergibt sich damit im Durchschnitt etwa eine Schuldenauszahlungskoeffizient von 50% bis 70%, wobei Swartz und Buiter/Rahbari 65% ansetzen;1 Becker setzt in einer Deutsche Bank-Studie 50% bis 70% an.2 Für 2012 ergibt sich nach einer OECD-Studie von Blundell-Wignall/Slovik auf Basis einer Fortführung der Deutsche Bank-Studie eine Konkurswahrscheinlichkeit von 28% bis 38% für Griechenland, 15% bis 21% für Irland, 12% bis 19% für Portugal und 7% bis 10% für Spanien.3 Für alle genannten Länder steigt die Konkurswahrscheinlichkeit bis 2020 weiter an, für Griechenland liegt sie schon ab 2013 über 50%.

Es war daher vertretbar, Griechenland mit einem „freiwilligen Schuldenabschlag“ auf dem Brüsseler EU-Gipfel vom 21. Juli 2011 zu helfen. Besser wäre es jedoch gewesen, die mittelfristig erwartete Bruttoschuldenquote Griechenlands durch eine massive Privatisierungsaktion zu vermindern (vgl. Kasten 1). Es liegt an Griechenlands Regierung, durch Ausgabenkürzungen und Steuer- bzw. Einnahmeerhöhungen einen Primärüberschuss (Haushaltsposition vor Zinsausgaben) zu erzielen, um die Schuldenquote zu senken. Zudem sind Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftswachstums dringlich, wobei die Europäische Union über ihre Strukturfonds und besondere Maßnahmen – inklusive technischer Hilfen für die Stärkung der lokalen Finanzmärkte bzw. der Risikokapitalversorgung – unterstützend wirken kann. Die Primärsaldoquote Griechenlands hat sich von -8,9% (2009) bzw. -3% (2010) und -2% (2011) auf 1% bzw. 2% (2014 bzw. 2015 als Plangrößen laut OECD-Angaben) entwickelt. Irland zeigt eine Entwicklung von einer Primärsaldoquote von -12,4% (2009) bzw. -26,8% (2010) auf 1,1% (2014 und 2015). Die Schuldendienstquote, also die Relation von Zins- und Tilgungszahlungen zum BIP, erreicht 2015 bei Einhaltung vorliegender Pläne in Griechenland und Irland etwa 7,5%. Portugals Entwicklung ging von einer Primärsaldoquote von -6,5% (2009) aus und wird 2014/2015 etwa 0,5% erzielen und gut 5% des BIP als Schuldendienst leisten müssen. Demgegenüber steht Spanien einerseits mit einer Schuldendienstquote von 3,2% (2015) recht gut da – bei einer Schuldenquote von 83,5% –, andererseits ist die Budgetplanung Spaniens unzureichend, da nach Primärsaldoquoten von -9,8% (2009) bzw. -7,5% (2010) und -4,6% (2011) auch 2015 noch eine Primärdefizit von -0,5% geplant ist.

Kasten 1
Falscher Expertenrat: Brüsseler Gipfel vom 21. Juli = 400 Mrd. Euro Verlust?

Es gibt nicht wenige bekannte deutsche Volkswirte, die immer wieder einen Haircut bei Griechenland-Anleihen gefordert haben; mancher deutsche Expertenrat in dieser Sache bzw. zur Eurokrise kam gar aus Oxford. Mit dem Schritt zum Haircut für Griechenland sollte die Tragfähigkeit der Schulden gesichert werden – mit einer Schuldenquote von rund 150%. 2011 steht Athen mit dem Rücken zur Wand. Unmöglich ist eine Sanierung allerdings auf Basis eines Zinssatzes von 3% bis 4% bei einer solchen Schuldenquote nicht. Denn wenn das Land 6% des BIP als Zinsen zahlt, so ist das deutlich weniger als noch Anfang der 90er Jahre. Hinzu kommen allerdings Tilgungszahlungen von mindestens 1% bis 2% des BIP jährlich, damit die Schuldenquote langfristig sinkt. Ein Schuldenabschlag von 21% bei Griechenland-Anleihen, wie auf dem EU-Sondergipfel vom 21. Juli 2011 als Beitrag des privaten Sektors bzw. der Gläubigerseite beschlossen, ist allerdings ein ganz falscher Weg, um die Schuldenprobleme Griechenlands in der Eurozone zu lösen. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Wolfgang Franz forderte sogar einen noch größeren Abschlag – eine abenteuerliche Idee, deren negativen Marktwert man leicht beziffern kann. So richtig es ist, dass man sich für marktwirtschaftliche Grundsätze einsetzen will, so wichtig muss in einer internationalen Finanzkrise das Timing und die Systemwirkung kurzfristiger Eingriffe in den Kapitalmarkt bedacht werden. Immerhin bedeutet ein Haircut größerer Art – dieser kann seiner Natur nach dann nicht freiwillig sein bzw. bedeutet, dass bestehende Verträge ex post geändert werden, was gegen marktwirtschaftliche Grundsätze verstößt –, dass die Glaubwürdigkeit des Staates als Regelsetzer international beschädigt wird. Da das die Großbanken repräsentierende Institute of International Finance im Kontext einer größeren Restrukturierungslösung, bei der alte, gering bewertete Griechenland-Papiere mit hohem Risikostatus gegen neue längerfristiger laufende und qualitativ bzw. bonitätsmäßig höherwertigere Papiere getauscht werden sollen, 21% als möglichen freiwilligen Haircut genannt hat, wären deutlich höhere Werte völlig unverantwortlich.

Im Kontext der größeren Gesamtprobleme in der Eurozone wurde in historisch einmaliger und völlig unverantwortlicher Weise Marktvertrauen bzw. Vermögen zerstört und letztlich die Unabhängigkeit der EZB erheblich beschädigt, da die Politik diese faktisch zum Ankauf von Italien- und Spanien-Anleihen zwang. Wenn Griechenland das einzige Euroland mit Schuldenproblemen gewesen wäre, dann wäre ein bedingter Schuldenabschlag sinnvoll. Da aber bekanntlich auch Portugal, Irland, Italien, Spanien und andere Länder ebenfalls mit sehr ernsten staatlichen Schuldenproblemen konfrontiert sind, ist der Haupteffekt des Abschlages nicht die Verminderung der griechischen Staatsschulden um etwa 50 Mrd. Euro. Er ist vielmehr sehr viel teurer: Die Halter von Staatsanleihen von Italien, Spanien und anderen Ländern müssen seit dem 21. Juli ebenfalls mit einem Abschlag von rund 20% rechnen. Das macht bei den Staatsschulden Italiens 360 Mrd. Euro aus, was ein sehr erheblicher Betrag ist – international führt dies zu einem Käuferstreik und stark steigenden Zinssätzen bei Italien-Anleihen und den Anleihen anderer Euroländer mit hohen Schulden- oder Defizitquoten. Dass auch hohe Buchverluste schon ökonomisch negativ wirken, ist unbestritten; der Schritt zu tatsächlichen hohen Verlusten ist, wie der Fall Griechenland zeigt, manchmal nur klein.

Nur noch italienische Banken und Versicherungen, die Rom quasi per Gesetz zum Halten von Staatsanleihen zwingen bzw. anreizen kann, halten und kaufen die Schuldtitel Italiens ohne großen Widerstand; dass damit auch Italiens Banken international verschärfte Refinanzierungsprobleme bekommen werden, ist klar; und die Destabilisierung der Banken Italiens bedeutet ein Weniger an Wachstum in Italien – bei ohnehin schon unzureichendem Wirtschaftswachstum – und in der Eurozone und natürlich neuerlich verschärfte Staatsfinanzierungsprobleme in Rom. Bei Spanien ist der Effekt ähnlich, wobei auf Basis von 600 Mrd. Euro Staatsschuld ein Wertverlust von 120 Mrd. Euro zu erwarten ist. Diese 120 Mrd. Euro erwarteter Wertverlust bei Spanien-Anleihen plus der erwartete und sich teilweise schon vollziehende Wertverlust bei Italien-Anleihen von 360 Mrd. Euro – gegen den nun die EZB mit ihren Anleihe-Ankäufen tapfer anrennt (mit zeitweisen Zinsdämpfungserfolgen) – ergeben also in der Summe 480 Mrd. Euro Verlust, was fast 5% des Euro-BIP entspricht.

Das war ein teurer EU-Sondergipfel für Europas Steuerzahler: + 50 Mrd. Euro aus dem Griechenland-Schuldenabschlag minus 480 Mrd., das macht 430 Mrd. Euro oder 1300 Euro Netto-Wohlstandsverlust pro Kopf in der Währungsunion: Mit der Einbeziehung des privaten Sektors in die Griechenland-Schuldenrestrukturierung gingen die Euro-Staatschefs ein großes Risiko in einer ziemlich unübersichtlichen Gesamtproblemlage der Eurozone ein. Die Refinanzierungen 2011/2012 bei Italien und Spanien werden zu großen Teilen wegen des absehbaren bzw. teilweise akuten Käuferstreiks über die EZB und den Euro-Rettungsschirm EFSF laufen müssen, was sehr problematisch ist. Diejenigen Experten, die 2011 zum großen Schuldenabschlag bei Griechenland geraten haben, treiben die Eurozone und die EZB direkt auf gefährliche Pfade: Die EZB droht bei immer weiteren Anleihe-Ankäufen zu einer mit wenig werthaltigen Anleihen vollgestopften Bad Bank der Eurozone zu werden; und im Ergebnis ist auch klar, dass fast nur noch die problematische Alternative Eurobonds zur Rettung des Euro bleibt. Die Finanzmärkte werden eine vage Ankündigung von Deutschland und Frankreich einer Euro-Wirtschaftsregierung als ferne Fata Morgana nicht stark gewichten. Es wird mehr und mehr Banken in Italien, Spanien und Frankreich geben, die ihre internationalen Refinanzierungsquellen nur noch eingeschränkt nutzen können und das unterminiert die Investitions- und Wachstumsdynamik in der Eurozone.

Diejenigen Ökonomen, die mit falschem Rat bzw. dem Drängen auf einen Griechenland-Haircut riesige Vermögens- und Wohlfahrtsverluste via Politik mit verursachen und ordnungspolitisch abenteuerlichen Fehlentwicklungen den Boden bereiten, haben eine schwere Verantwortung auf sich geladen. Dass die Politik solchem falschen Rat gefolgt ist, zeigt, dass eine Reihe von Politikern kaum noch selbst das Eurosystem versteht. Immer mehr Anleger fliehen, von Misstrauen gegen Dollar und Euro ergriffen, in den Schweizer Franken, der seit Herbst 2009 eine Aufwertung gegenüber dem Euro um etwa 30% erlebt hat, was eine Katastrophe für jene große Zahl osteuropäischer Haushalte und Unternehmen ist, die sich in Schweizer Franken verschuldet haben; das trifft etwa 1 Mio. Ungarn bzw. mehr als 10% der ungarischen Bevölkerung, in Polen dürfte ein Fünftel der privaten Hypothekenkredite auf Schweizer Franken lauten. Die Irrungen und Wirrungen in der Eurozone schlagen so allmählich auch auf EU-Länder Osteuropas durch und es wird Zeit, die von der Politik selbst verordneten Destabilisierungsansätze der Eurozone zu beenden. Die für 2013 beabsichtigte Ausgabe von Staatsanleihen der EU-Länder mit Collective Action Clauses ist ein höchst problematischer Schritt. Viel besser wäre es, wenn man den Vorschlag der Allianz aufgreifen würde, dass sich Krisenländer eine Ausfallversicherung beim Euro-Rettungsfonds EFSF kaufen könnten. Dies wäre aus Sicht des EFSF etwa im Fall einer Italien-Krise viel preiswerter, als Italien-Bonds direkt anzukaufen. Aus Sicht Italiens (oder anderer Krisenländer) wäre dies in der Tat eine gangbare Option – wenn sie realisiert wird, entstehen damit zugleich Konsolidierungsanreize im jeweiligen Krisenland. Denn je geringer die Schuldenquote ist, desto geringer dürfte die Versicherungsprämie des EFSF sein. Die EZB bräuchte dann im Übrigen auch keine Staatsanleihen zwecks Kursstabilisierung mehr aufzukaufen – eine Aktivität, die längerfristig zu einer unklaren Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik führen kann.

Die Selbstbeschädigung der Glaubwürdigkeit der Politik erreicht in der Eurozone allmählich gefährliche Ausmaße, der Vertrauensverlust der Jahre 2010/2011 ist enorm. Selten in der modernen Wirtschaftsgeschichte hat sich die Politik von den Finanzmärkten so konzeptionslos vor sich hertreiben lassen. Sie hat von Quartal zu Quartal immer neue Ankündigungen produziert, die schon Monate später Makulatur waren und das kostbare Gut der Glaubwürdigkeit immer weiter zerstören. Die im Sommer 2011 in der Eurozone heftig diskutierte Ausgabe von Eurobonds wäre ein denkbarer Teilansatz der Stabilisierung in der Eurozone. Vergleichbar mit US-Staatsanleihen ist das aber nicht, denn in den USA gibt es keine Bundesgarantie für die Schulden der Bundesstaaten – vielmehr ist jeder Bundesstaat in der Defizitpolitik einerseits von der zentralen Politikebene in Washington unabhängig und damit gilt das Prinzip der Eigenverantwortung, andererseits verbieten die Verfassungen der US-Bundesstaaten dauerhafte Defizite.

Eine pessimistische Variante der Euro-Schuldenkrise lautet, dass es zu einem Griechenland-Konkurs kommt und daraufhin die realen Zinssätze in den Eurokrisenländern und in vielen Schwellenländern der Welt dramatisch ansteigen werden, während zugleich die Konjunktur in diesen Ländern einbricht. Darüber hinaus könnten die Bankensysteme vieler Länder – deutlich über den engeren Kreis der Länder mit Staatsfinanzierungsproblemen hinaus – in ernste neue Schwierigkeiten geraten, wobei die Staaten der betroffenen Länder kaum noch Reserven haben dürften, um gefährdete Banken zu retten. Die Schock-Effekte könnten in Verbindung mit einer ohnehin schwachen US-Konjunktur zu einer neuen Weltwirtschaftskrise führen.

Umso wichtiger wäre es, einen Konkursfall Griechenland zu vermeiden. Die Annahme von Desmond Lachmann vom American Enterprise Institute in Washington DC, dass es unvermeidlich und rasch zu einem Griechenland-Konkurs kommen werde,4 ist nur teilweise überzeugend, da die EU-Länder um die Bedeutung der Griechenland-Rettung wissen. Im Übrigen hatten sowohl Griechenland als auch andere Euroländer Mitte der 90er Jahre noch viel höhere Zinsausgabenquoten als 2011; es gibt daher keinen Grund für ein hysterisches Krisengerede, wie es in Teilen der Medien und der Politik zu hören ist. Ein ernstes Problem stellt für Griechenland jedoch die Unwilligkeit der Regierung dar, umfassende Privatisierungen durchzuführen und sich energisch für mehr Wirtschaftswachstum einzusetzen. Griechenlands Regierung könnte etwa durch eine Entbürokratisierung im Bereich Unternehmensgründungen und Unternehmensaktivitäten seine internationale Position im Doing-Business-Indikator binnen Monaten dramatisch verbessern: Bei einer massiven Verbesserung des Indikatorwertes, den die Weltbank berechnet und der unter ausländischen Investoren als wichtiges Signal gilt, kann es gelingen, die Investitions- und Innovationsdynamik Griechenlands erheblich zu stärken. In Hinblick auf die geringen Direktinvestitionszuflüsse nach Griechenland und Italien relativ zum BIP (vgl. Abbildung 1) wird ein Standortproblem in beiden Ländern deutlich, das die Politik zu sehr ernsthaften zielgerichteten Reformanstrengungen veranlassen sollte. Hier wird die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit relevant, zu der erhöhte Direktinvestitionszuflüsse beitragen können.

Abbildung 1
Ausländische Direktinvestitionen
in % des BIP
Ausländische Direktinvestitionen

Quelle: OECD.

Viele Veröffentlichungen 2011 argumentieren, dass südeuropäische Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern müssten bzw. hier in der Vergangenheit erhebliche Unterlassungen der Wirtschaftspolitik zugelassen hätten.5 Es dürfte sicher in Einzelfällen Versäumnisse gegeben haben, allgemein gilt das aber nicht: Denn ein Signal für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sind in Ländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen ja gerade Nettokapitalzuflüsse bzw. der Zustrom von Direktinvestitionen multinationaler Unternehmen aus dem Ausland. Ein Land mit einem Nettokapitalzufluss hat – sofern nicht auf dem Devisenmarkt künstlich interveniert wird – immer ein Leistungsbilanzdefizit. Dies kann in Ländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen keineswegs grundsätzlich als Problem definiert werden: jedenfalls wenn ein erheblicher Teil des einfließenden Kapitals Direktinvestitionszuflüsse sind.

Reformerfordernisse für die Wirtschaftspolitik

Nachdem Italien und Spanien in den Fokus zunehmend nervöser Kapitalanleger gerückt sind, stellt sich für die Eurozone ein neuartiges Problem: Italien kann keinesfalls unter einen Rettungsschirm der Eurozone schlüpfen, denn Italiens Staatsverschuldung ist mit fast 2000 Mrd. Euro einfach zu groß. Der Emissionskalender Italiens bestimmt zum Jahreswechsel 2011/12 einen absehbaren Nervositätsschwerpunkt der Kapitalmärkte. Wenn diese großen Refinanzierungen (und andere folgende) gelingen, dann dürfte eine gewisse Stabilisierung der Eurozone möglich sein. Gelingen die Refinanzierungen Italiens nicht bzw. nur zu sehr hohen Zinssätzen, dann wird rasch der Druck auf Italiens Haupthandelspartner und bankenseitigen Hauptinvestor, nämlich Frankreich, steigen – es wäre nur eine Frage der Zeit, bis Frankreich sein AAA-Rating verliert. Wenn dieses Top-Rating Frankreichs verloren ginge, wäre auch das AAA-Rating des Euro-Rettungsfonds EFSF aufs Höchste bedroht. Wenn die Top-Bonitätsbewertung des Rettungsfonds dahin ist, werden die bislang erfolgten Rettungsaktionen selbst wackelig: Refinanzierungen über den EFSF (und seinen Nachfolger ESM ab Mitte 2013) wären nur zu höheren Zinssätzen möglich als bisher. Nicht auszuschließen ist in einer solchen Konstellation, dass es zu einer internationalen Vertrauenskrise in den Euroländern kommt und Deutschland seinen Status als sicheren Hafen verliert bzw. plötzlich starke Zinserhöhungen eintreten.

Die Stabilisierung Italiens dürfte nicht einfach werden. Denn das politische System Italiens ist von relativ schwachen Parteien bzw. potenziell instabilen Koalitionen geprägt, so dass die Optionen für starke Ausgabenkürzungen und starke Einnahmeerhöhungen sehr begrenzt sein dürften. Ob Italiens Staatsschuldenquote durch erhebliche Privatisierungen deutlich vermindert werden kann, bleibt zu prüfen. Grundsätzlich verfügt der Staat über ein recht hohes Bruttovermögen, und dieses könnte mittelfristig durchaus mobilisiert werden, um die Schuldenquote erheblich zu senken und damit eine destabilisierende Spekulationswelle zu verhindern. Italiens Hauptproblem ist neben den bislang hohen Defizitquoten – selbst in konjunkturellen Aufschwungsjahren wie 2007/2008 – die geringe Trendwachstumsrate bzw. die bisher zu geringe Wachstumsrate des technischen Fortschritts. Mangelnder Wettbewerb, ein relatives Defizit an innovationsstarken Großunternehmen und zum Teil unzureichende Technologie- bzw. Innovationsförderung durch den Staat – und nicht zuletzt auch eine relativ geringe Zuflussquote bei den Direktinvestitionen – gehören seit vielen Jahren zu den Grundproblemen Italiens.

Es ist zu überlegen, wie die relativ hohen Schuldenquoten einiger Staaten mittelfristig deutlich und zuverlässig zurückzuführen sind. Ein erster Schritt wären Privatisierungen, die jedoch keine langfristiges Allheilmittel sind – denn jedes staatliche Vermögensobjekt, das privatisiert wurde, kann ja nicht ein zweites Mal vom Staat verkauft werden. Strukturelle Reformmaßnahmen zugunsten höheren Wirtschaftswachstums sind in jedem Fall unerlässlich. An langfristigen Ausgabenkürzungen und an einzelnen Steuererhöhungen wird bei Ländern mit relativ hoher Schuldenquote kein Weg vorbeiführen. Klug beraten sind die Länder sicher, wenn sie zusätzlich Maßnahmen zur Wachstumsförderung einführen. Dies muss bei den kostenlosen Entbürokratisierungsmaßnahmen beginnen, die in- und ausländische Investoren ermutigen, verstärkt Investitionsprojekte zu realisieren. Dazu gehören auch Maßnahmen zur Verbesserung der Innovationsdynamik und Initiativen für die Bildung und Weiterbildung sowie den erleichterten Zuzug ausländischer Fachkräfte.

Eurobonds als Lösung – wie ausgestalten?

Eurobonds als von allen Euroländern gemeinsam garantierte Staatsanleihen der einzelnen Länder einzuführen, ist problematisch. Denn hier entstehen Anreize bei Ländern mit hoher Schuldenquote, wenig solide Finanzierungsstrategien verstärkt weiterzuführen – da sie auf diese Weise den strafenden Zinsaufschlägen des Kapitalmarktes entkommen. Politischer Druck von Euro-Partnerländern, sich finanzpolitisch solider langfristig aufzustellen, ist kein Ersatzmittel für den Druck der Märkte; die Irrungen und Wirrungen um den Stabilitätspakt zeigen das Problem des Politikversagens auf diesem Gebiet. Eurobonds können sinnvoll nur auf Brüsseler Ebene, auf Basis eines erweiterten Budgetrechtes des Europäischen Parlamentes und zugleich verpflichtender, in der nationalen Verfassung verankerter Null-Defizit-Vorgaben für alle EU-Länder umgesetzt werden. Die Stabilitätsaufgabe müsste demnach langfristig auf EU-Ebene mit einem auf etwa 4% des BIP der Eurozone erweiterten Ausgabenplans verankert werden: Statt der gut 1% des BIP wäre in Brüssel vom Europäischen Parlament eine erheblich erhöhte Summe zu verausgaben, die durch Umschichtung nationaler Ausgaben Richtung supranationale Euro-Politikebene zustande käme. Die Ausgaben für Infrastruktur, Rüstungsprojekte und Forschung & Hochschulbildung könnten jeweils mit etwa einem Prozentpunkt auf der supranationalen Ebene verankert werden, wobei die Brüsseler Ebene mit einem Anteil an einer harmonisierten Umsatzsteuer und einer in der Eurozone einheitlichen Finanzmarktsteuer eine eigene zuverlässige Einnahmenquelle – neben den (anteiligen) Zolleinnahmen – erhalten müsste. Auf einer solchen Basis einer erweiterten politischen Euro-Union könnten Eurobonds eingeführt werden, allerdings erst nachdem die für einen Euro-Staatsvertrag notwendigen Ratifizierungsverfahren in allen Mitgliedsländern der Euro-Union zustande gekommen sind. Eurobonds könnten so ein Finanzierungsinstrument für eine Euro-Regierung bzw. das zu schaffende Eurozonen-Parlament sein.

Die Länder mit Staatsfinanzierungsproblemen sind aufgefordert, eigene starke und neue Anstrengungen zur Budgetkonsolidierung vorzunehmen. Die Einführung eines Einheitssteuersatzes – einer „Flat-Rate-Tax“ – ist hierbei im Interesse einer Einnahmenverbesserung anzuraten. Ein Steuersatz von etwa 15% bis 20% dürfte etwa in Griechenland, zusammen mit der Mehrwertsteuer und anderen Einnahmen, völlig ausreichend sein, um die Steuereinnahmen deutlich zu erhöhen. Hier kann Griechenland von den Erfahrungen vieler osteuropäischer EU-Länder lernen. Die Argumente gegen einen Einheitssteuersatz – wie etwa Gerechtigkeitsüberlegungen – sind bei genauer Betrachtung nicht wirklich stark, da die komplizierten Steuersysteme in vielen OECD-Ländern die Erhebung deutlich erschweren. Verminderte Steuererhebungskosten, eine höhere Investitionsquote und letztlich mehr Steuergerechtigkeit bei stabilisierter staatlicher Haushaltsposition sind wesentliche Argumente für eine Einheitssteuer gerade in Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und starken Korruptionsproblemen. Es gibt also eine ganze Reihe von relativ einfachen Möglichkeiten, wie man etwa in Griechenland und Portugal rasch die Kernprobleme der Staatsfinanzkrise überwinden könnte.

Es gilt zu vermeiden, dass die Länder mit hohen Schuldenquoten in der Eurozone zum ewigen Unruheherd der Währungsunion werden. Ein Vorschlag wäre, dass Euro-Mitgliedsländer bis zu 20% der nationalen Staatsschuld relativ zum jeweiligen BIP an die Euro-Ebene übertragen können, sofern zugleich entsprechende Vermögenswerte der Euro-Politikebene übereignet werden. Diese nationalen Euro-Staatsanleihen würden dann in Eurobonds umgewandelt, entstehende Bewertungsgewinne den Emissionsländern im nationalen Haushalt gut geschrieben. Damit kann eine zuverlässige Entlastung von Ländern mit relativ hohen Schuldenquoten erreicht werden, da die nationale Schuldenquote um mindestens 20 Prozentpunkte sinken könnte. Zugleich sollte ein striktes Defizitverbot in allen Euroländern auf Verfassungsbasis eingeführt werden. Die Konjunkturpolitik und auch die Entscheidung über Budgetdefizite sollten – nach einer kurzen Übergangsphase – allein bei der Euro-Ebene liegen. Dabei sollte als goldene Regel, die verfassungsmäßig zu verankern wäre, der Grundsatz der objektbezogenen Staatsverschuldung gelten: Nur für investive Ausgaben dürfen supranationale Kredite aufgenommen bzw. entsprechende Anleihen ausgegeben werden. Die neuen „zentralen“ Eurobonds sollten dann die einzigen Eurobonds sein, die umlaufen und zugleich auch die einzige Anleiheform, die von der EZB aufgekauft wird; der Ankauf nationaler Staatsanleihen durch die EZB sollte per Verfassungsänderung ausgeschlossen werden. Eurobonds werden sehr liquide sein, einen niedrigen Zinssatz haben und idealer Ansatzpunkt für die Steuerung der Geldpolitik sein. Die vorgeschlagene Form einer Einführung von Eurobonds erhält die Anreize für die Euro-Mitgliedsländer, solide zu wirtschaften bzw. die Schuldenquoten und Haushaltsdefizite zu begrenzen, was für die langfristige Stabilität der Eurozone bzw. des Euro wichtig ist. Nachdem mit dem Eintritt in die Währungsunion die Abwertungssanktion fehlt, ist das Zinssignal umso wichtiger – ob es jederzeit adäquat ausfällt, ist zu prüfen. Zugleich wird ein Stabilisierungsimpuls gegen die Eurokrise gegeben. Im Übrigen entsteht durch die neue politische Union, die Euro-Union jene Vergemeinschaftung der Fiskalpolitik, die für eine nachhaltige Währungsunion unerlässlich ist.

Fazit

Die Probleme der Eurokrise sind zuverlässig lösbar. Einige wichtige Reformschritte haben die Staats- und Regierungschefs bereits 2010/11 realisiert. Ergänzende Schritte sind notwendig. Der von Teilen der Wirtschaftswissenschaft im Zuge der Griechenland-, Irland- und Portugalkrise vorgetragene Alarmismus in Sachen Eurozone ist für eine Lösung der Schlüsselprobleme nicht hilfreich und bläst die ökonomisch eigentlich im Gesamtkontext der Eurozone eher geringe Bedeutung Griechenlands, Irlands und Portugals in sonderbarer Weise auf. Eine gute Mischung von besserem Krisenmanagement und wirklichen Schritten hin zu einer politischen Euro-Union können helfen, die Eurokrise zuverlässig und nachhaltig zu überwinden. Die von nicht wenigen Ökonomen für den Fall Griechenland 2010/2011 immer wieder geforderten Schuldenkürzungen bzw. umfassenden Haircuts sind für die Lösung der Griechenland- bzw. Euro-Probleme nicht hilfreich, sondern können die Problemlage massiv verschlimmern.

Es ist bedauerlich, dass insbesondere vom ifo-Institut mit Blick auf die Probleme in den genannten drei Ländern überzogene Krisenmeldungen produziert wurden, bei denen riesige Bürden für die jetzigen und künftigen Steuerzahler in Deutschland prognostiziert wurden. Den ifo-Vorschlägen fehlt – wie auch bestimmten Einlassungen des Vorsitzenden des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Wolfgang Franz – eine angemessene internationale Kapitalmarktperspektive und eine konjunkturpolitisch vernünftige Einordnung der Probleme seit dem Lehman-Konkurs von 2008. Immerhin hat der Autor dieser Zeilen die Konsequenzen der Bankenkrise Richtung möglicher Staatsfinanzierungskrise schon im Herbst 2008 richtig eingeordnet bzw. als Szenario präsentiert.6 Es ist Aufgabe der Ökonomen, die Entwicklungen kritisch zu analysieren, aber auch politisch umsetzbare bzw. mehrheitsfähige Handlungsoptionen für Deutschland und die Euroländer bzw. die EU zu formulieren. Hier liegen große Herausforderungen; es gibt sicher auch eine Reihe weiterer Ansatzpunkte und Überlegungen, wie ein stabilitätsförderlicher, effektiver fiskalischer Rahmen für die Eurozone entwickelt werden könnte.7 Die institutionelle Reformdiskussion in der Euro-Diskussion ist beschleunigt zu führen, da sonst die Eigendynamik der Finanzmärkte zu ungeordneten Politikentscheidungen führen könnte. Zu den Problemen der Eurozone bzw. der EU gehört auch, dass trotz erster G20-Anstrengungen noch kein umfassender effektiver internationaler Ordnungsrahmen geschaffen werden konnte, der für Banken und Finanzprodukte – insbesondere innovative Produkte – allgemein akzeptiert bzw. durchsetzbar erscheint.8

Historische Bewährungsprobe

Die politische Repräsentationsstruktur hat, so zeigen Analysen für Deutschland und die Europäische Union, einen langfristigen Einfluss auf die Neigung zu hohen Defizit- bzw. Schuldenquoten: Die empirischen Befunde aus der wissenschaftlichen Literatur zeigen,9 dass Regionen bzw. Bundesländer, die politisch überrepräsentiert sind, überproportional hohe Defizit- bzw. Schuldenquoten haben und auch relativ häufig auf ein Bailout durch die übergeordnete politische Bundesebene rechnen können. Eine wichtige Schlussfolgerung für eine unter Fiskalaspekten sinnvolle Bundländer-Reform liegt daher darin, dass Mini-Bundesländer zusammengeführt werden. Diese Aspekte sind auch mit Blick auf die Gründung einer politischen Euro-Union zu bedenken, d.h. dass sich in einer zweiten Kammer mehrere kleine Länder als Aktionseinheit zusammenschließen sollten. Eine solche politisch gewollte „Homogenisierung der Akteure“ lässt dann für die politische Union als Ganzes eine geringere Schuldenquote erwarten und dies wiederum bedeutet geringere Realzinssätze und eine erhöhte Investitionsquote bzw. einen Zuwachs bei Wachstum und Beschäftigung.

Die Einführung von Eurobonds auf der Ebene nationaler Politik in der Eurozone hingegen wirkt genau umgekehrt, sie wird mittelfristig wachstums- und beschäftigungsschädlich wirken und die Eurozone langfristig in einen politischen Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA versetzen. Zu den günstigen institutionellen Reformen für eine Stabilisierung der Finanzmärkte dürften Schritte hin zu einer Schuldenbremse nach dem Schweizer Modell gehören. Spanien und Frankreich werden ebenfalls eine Schuldenbremse in ihrer Verfassung verankern. Von daher wird insbesondere auf Italien Druck entstehen, ebenfalls eine Schuldenbremse einzuführen. Ein wichtiger Schritt zur Lösung der Staatsschuldenkrise wäre die Gründung einer politischen Euro-Union. In eine solche Union gehören dann auch Eurobonds als supranationale Finanzinstrumente. Es ist den EU-Ländern bzw. den Mitgliedsländern der Eurozone anzuraten, die großen institutionellen Reformerfordernisse möglichst zügig und gemeinsam anzugehen. Diese Reformen sollten die Grundsätze der Marktwirtschaft und das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit nationaler Politik für nationale Fiskalpolitik stärken, zugleich sollte eine deutlich im Umfang erweiterte supranationale Fiskalpolitik verankert werden, die letztlich auch dem Europäischen Parlament bzw. einem Euro-Parlament eine erhebliche Bedeutung zukommen ließe.

Die Märkte haben begonnen, auch dramatische Entwicklungspfade bei den Staatsanleihen einzupreisen, inklusive Zahlungsausfälle bei Spanien und Italien sowie gegebenenfalls das Auseinanderfallen der Eurozone. Die politisch schwierigen und langwierigen Beschlüsse zum zweiten Rettungspaket für Griechenland zeigen, dass effektives Krisenmanagement in 17 Euro-Ländern kaum möglich ist. Es ist unverständlich, dass die Politik nicht erkennt, wie gefährlich es ist, in einer angespannten Kapitalmarktsituation in den OECD-Ländern eine Beteiligung des privaten Sektors bei Griechenland durchzudrücken. Die mögliche Konsequenz wäre, dass die Banken als Reaktion massiv Anleihen von Italien und Spanien abstoßen, die vor dem 21. Juli 2011 eigentlich schon aus dem Fokus negativer Erwartungen herausgerückt waren. Die Refinanzierungen für Italien etwa sind nun gefährdet – ein Ergebnis, das nicht im Interesse der EU-Bürgerschaft ist. Es ist nun höchste Zeit, auch von Seiten der EU viel entschiedener aufzutreten und zugleich Griechenland mit Sondermaßnahmen zu neuem Wirtschaftswachstum zu verhelfen. Ohne Wirtschaftswachstum gibt es keine Stabilität und wenn die Schuldenkrise ungebremst in der Eurozone weiterläuft, dann sind in den Krisen- wie in den Garantieländern auch extreme politische Wahlergebnisse zu erwarten. Dies wiederum wird eine ökonomische Destabilisierung zur Folge haben. Die EU steht vor einer historischen Bewährungsprobe.

  • 1 Vgl. P. Swartz: Greek Debt Crisis – Apocoplypse Later, Centre for Geoeconomic Studies, Council of Foreign Relations, 2010; W. Buiter, E. Rahbari: Is Sovereign Default „Unnecessary, Undesirable and Unlikely“ For All Advance Economies, Citigroup, 16.9.2010.
  • 2 S. Becker: EMU Sovereign Spread Widening, Reasonable Market Reaction or Exaggeration, Deutsche Bank Research, 29.6.2009.
  • 3 A. Blundell-Wignall, P. Slovik: A Market Perspective on the European Sovereign Debt and Banking Crisis, in: OECD Journal: Financial Market Trends, im Erscheinen, die hier zitierte Verison ist vom Februar 2011.
  • 4 So publiziert als Beitrag im Handelsblatt vom 23.8.2011, S. 11.
  • 5 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Chancen für einen stabilen Aufschwung, Wiesbaden 2010.
  • 6 P. J. J. Welfens: Transatlantische Bankenkrise, Stuttgart 2009, S. 158 ff.
  • 7 A. Hughes Hallett, S. E. H. Jensen: Stable and enforceable: a new fiscal framework for the Euro area, in: International Economics and Economic Policy, 8. Jg. (2011), S. 225-245.
  • 8 P. J. J. Welfens: Grundlagen der Wirtschaftspolitik, 4. A., Heidelberg 2010; P. J. J. Welfens: Innovations in Macroeconomics, 3. A., Heidelberg und New York 2011.
  • 9 A. Fink, T. Stratmann: Institutionalized Bailouts and Fiscal Policy: Consequences of Soft Budget Constraints, in: Kyklos, 64. Jg. (2011), S. 366-395.


DOI: 10.1007/s10273-011-1273-z

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