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Ende Juli haben die Euro-Regierungschefs ein zusätzliches sehr umfangreiches Rettungspaket für Griechenland beschlossen. Der EU-Gipfel konnte die Märkte allerdings nicht beruhigen. Diese enttäuschende Reaktion heizt die Diskussion auf politischer Ebene, aber auch in der Wirtschaftswissenschaft weiter an. Wie ist die Beteiligung des Privatsektors an der Krisenbewältigung zu bewerten? Wie stark wird der Steuerzahler belastet? Was ist von Eurobonds oder einer europäischen Wirtschaftsregierung mit weitreichenden Kompetenzen zu halten? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Autoren der folgenden Aufsätze.

Nach der Krise ist vor der Krise. Selten hat sich diese Binsenweisheit so schnell bestätigt wie nach dem letzten Krisengipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am 21. Juli 2011. Nach einer kurzen Phase der Euphorie nahmen die Anleihekurse der überschuldeten Euroländer ihre Talfahrt wieder auf. Die Renditen für italienische und spanische Staatsanleihen sprangen über die 6%-Marke1 auf ein Niveau, das sie zuletzt in den Jahren vor der Euroeinführung in nationaler Währung erreicht hatten. Mit der Herabstufung der Bonitätsnote der USA durch die Ratingagentur Standard & Poor´s (S&P) eskalierte die europäische Schuldenkrise zu einer weltweiten Finanzmarktkrise. Bereits zuvor waren die Börsenkurse an der Wallstreet, in Europa und in Asien aus Furcht vor einer Rezession der US-Wirtschaft und vor einer Erosion des globalen Finanzsystems dramatisch abgesackt.

Märkte diktieren das Handeln der Politik

Der von vielen geforderte Primat der Politik erwies sich einmal mehr als Illusion. Der hektisch einberufene EU-Sondergipfel sowie die per Telefonkonferenz der G7-Finanzminister und Notenbankgouverneure verabredete Konzertierung dokumentieren, dass die Märkte der Politik das Handeln diktieren und nicht umgekehrt. In Kürze dürften auch die Rufe wieder lauter werden, den Finanzmärkten noch engere Fesseln anzulegen. Wenn dieser Ruf berechtigt ist, kann man sich fragen, was nach dem Kollaps von Lehman Brothers vor fast drei Jahren an Finanzmarktregulierung auf internationaler Ebene tatsächlich erreicht worden ist. Das „window of opportunities“ wurde jedenfalls nicht dazu genutzt, den Markt für Kreditausfallsicherungen, den CDS-Markt, der die Kurse für Staatsanleihen mitbestimmt, zu regulieren. Das wirtschaftliche Interesse der USA und Großbritanniens standen dem im Wege.

Ebenso unverständlich ist der jüngste Vorschlag der EU-Kommission für die europäische bzw. nationale Umsetzung der auf G20-Ebene bereits vor Monaten vereinbarten internationalen Eigenkapitalstandards für Banken auf Basis des Regelwerks der Notenbanken und Finanzaufsichtsbehörden im sogenannten Baseler Ausschuss (Basel III).2 Danach soll sich auch in Zukunft an der sogenannten Nullgewichtung bei Haltung von EU-Staatsanleihen nichts ändern. Eine bessere Verkaufsförderung für Anleihen überschuldeter Mitgliedstaaten kann man sich kaum vorstellen, wenn die Banken für „junk bonds“ weiterhin kein Eigenkapital vorhalten müssen. Allerdings kann man sich auch kaum eine größere potentielle Gefährdung ihrer Stabilität, die gegebenenfalls durch das Geld der Steuerzahler gesichert werden muss, vorstellen.

Jedoch würde auch der Vorwurf ins Leere gehen, die Finanzmärkte selber seien wegen ihres angeblich irrationalen, von der Realwirtschaft abgekoppelten Verhaltens, für die Turbulenzen an den Märkten verantwortlich. Angesichts der Kakofonie bei der Bewertung und Kommunikation des EU-Sondergipfels und des quälenden Finassierens des US-Kongresses bei der Anhebung der Schuldenobergrenze sind tiefe Verunsicherung und Zweifel der Finanzmärkte am Krisenmanagement diesseits und jenseits des Atlantiks und die daraus resultierenden Instabilitäten beinahe zwangsläufig. Frankreichs Staatspräsident rühmte sich, einen europäischen Währungsfonds etabliert zu haben. Kanzlerin Merkel verbuchte auf ihr Konto, endlich die Beteiligung privater Gläubiger an Umschuldungen erreicht zu haben. Auch bei der Interpretation der Zahlen des Gipfelbeschlusses waren deutliche Divergenzen erkennbar. Die Regierungschefs müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie alle wirklich verstanden haben, was beschlossen wurde. Letztlich war die politische Opportunität Maxime bei der Krisenbewältigung.

Phantomdiskussion: europäische Wirtschaftsregierung

Dies gilt auch für die soeben zwischen Kanzlerin Merkel und Staatspräsident Sarkozy zum wiederholten Male vereinbarte Etablierung einer europäischen Wirtschaftsregierung, eine zwischen Deutschland und Frankreich seit Jahren geführte Phantomdiskussion. Der auf deutsch-französische Initiative erst vor kurzem eingeführte Euro-Pakt-Plus zur wirksameren Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken in der EU hat sich selbst nach dem Urteil seiner Initiatoren als stumpfes Schwert erwiesen. Der von Sarkozy als historisch gefeierte Durchbruch zu einer echten „gouvernance économique“ – Berlin spricht bescheidener von wirtschaftspolitischer Steuerung – hat jedenfalls zu einem erneuten tiefen Kurseinbruch an den Börsen geführt.

In der politischen Alltagspraxis geraten mehr und mehr auch die Evaluierungen der Ratingagenturen ins Kreuzfeuer der Kritik. Wenn sie nunmehr Italien und vermutlich auch bald Frankreich ins Visier nehmen, ist dies durch die Fundamentaldaten dieser Länder gerechtfertigt.3 Italien muss bei einer Schuldenstandsquote von 120% des BIP mit 4,8% des BIP nach Griechenland den höchsten Zinsendienst aller EU-Staaten leisten.4 Frankreich hat seit 30 Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt mehr erreicht. Die Primärbilanz, d.h. die Staatsausgaben ohne Zinsendienst, weist mit 3% des BIP nach Griechenland und Spanien den höchsten Negativsaldo in der EU auf. In Spanien und Portugal sind die für die Erosion der Wettbewerbsfähigkeit verantwortlichen strukturellen Defizite bekannt. Und in den USA kann man sich fragen, warum nicht auch die anderen Ratingagenturen bei der Jahr um Jahr verschleppten Haushaltskonsolidierung und der beispiellosen Monetisierung der Budgetdefizite durch die Federal Reserve eine Herabstufung der Bestnote vorgenommen haben. Die Strategie des Herauswachsen aus den Defiziten ist jedenfalls klar gescheitert.

Haftung für eigenes Handeln

Bei der gerade im Euroraum verwirrenden Vielstimmigkeit hinsichtlich der adäquaten Mittel zur Krisenbewältigung ist eine Rückbesinnung auf die Prinzipien einer liberalen Wirtschaftsordnung angezeigt. Zu ihren konstituierenden Prinzipien gehören u.a. der Wettbewerb und die Haftung für das eigene Handeln. Bei der Überwindung von Haushaltskrisen kommt es letztlich auf den erfolgreichen Wettbewerb um die weltweite Ersparnis an. Dieser Wettbewerb wird jedoch ausgeschaltet, wenn die Haushaltsdefizite der Peripherieländer durch Kredite anderer Euroländer finanziert werden und die Europäische Zentralbank Staatsanleihen dieser Länder kauft. Ebenso wird damit das Haftungsprinzip der Schuldnerländer für ihre eigenen Haushalte außer Kraft gesetzt. Nach dem jüngsten EU-Gipfel scheint dagegen die Verantwortung für das eigene Handeln mit dem beschlossenen Teilschuldenerlass beziehungsweise mit dem Kapitalschnitt wenigstens für die privaten Investoren wieder zu gelten. Nur wenn das Kapitalrisiko wieder virulent wird, kann sich das Anlageverhalten der privaten Investoren in entsprechenden Renditeaufschlägen niederschlagen. Der Sanktionsmechanismus der Finanzmärkte käme mit entsprechender Disziplinierung der Emittentenländer wieder zur Wirkung. Erfolgt der Kapitalschnitt dagegen durch Umtausch ausstehender Anleihen mit Rückzahlungsgarantie durch die übrigen Euroländer, würde das Kapitalrisiko wieder gegenstandslos und die Fehlsteuerung der Finanzpolitik der überschuldeten Länder perpetuiert. Aus der Währungsunion würde nicht nur eine Transferunion, sondern eine Haftungsgemeinschaft werden.

Rückzahlungsgarantie: Einladung zur Spekulation

Zudem stellt eine Rückzahlungsgarantie der übrigen Euroländer geradezu eine Einladung für die Spekulation dar, diese Garantie zu testen. Dies gilt umso mehr, als der aktuelle Eurokrisenfonds nunmehr auch Anleihen am Sekundärmarkt kaufen kann. Sein gerade erst in Brüssel auf 440 Mrd. Euro aufgestocktes Effektivvolumen würde rasch an seine Grenzen stoßen. Bereits jetzt – der Bundestag hat noch nicht einmal zugestimmt – wird von verschiedener Seite eine Verdoppelung seines Nominalvolumens auf 1,5 Billionen Euro gefordert, vom deutschen Finanzminister wird dies jedoch scharf abgelehnt. Völlig gerät dabei in Vergessenheit, dass sich die ursprüngliche Ratio des Fonds, allein seine Existenz würde die Märkte beeindrucken und er deshalb niemals zum Einsatz kommen, als fataler Irrtum erwiesen hat. Die Kakofonie in Europa gehört inzwischen wohl zum Tagesgeschäft, bei dem die ökonomische Ratio auf der Strecke bleibt.

Abgesehen von der erodierenden Bereitschaft der Steuerzahler in den Gläubigerländern, die absehbare Rechnung für die stabilitätspolitischen Versäumnisse überschuldeter Euroländer zu bezahlen, hat die von den Regierungschefs vielbeschworene Solidarität der Euroländer – alle für einen – tiefe Risse bekommen. Finnland will nunmehr von der am 21. Juli ebenfalls beschlossenen Möglichkeit Gebrauch machen, von Griechenland vorab ein Bargeldpfand zur Abdeckung möglicher Risiken aus der Beteiligung am Rettungsfonds EFSF zu verlangen. Deutlicher kann das Eingeständnis kaum sein, dass Griechenland seine Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber dem Fonds nicht erfüllen wird. Findet das finnische Beispiel Nachahmer, würde das Rettungspaket für Griechenland gesprengt, bevor es überhaupt zum Einsatz kommt, auch ohne Mitwirkung der an den Pranger gestellten Finanzmärkte.

Dabei bietet sich gerade jetzt für den Euro und für Europa die einmalige Chance, auf weltweiter Ebene die Rolle zu übernehmen, die ihrem wirtschaftlichen Gewicht entspricht. Nach den tektonischen Verschiebungen in der Weltwirtschaft zugunsten der BRIC-Staaten dürfte nach dem eruptiven Ausbruch der US-Schuldenkrise der Status der USA als Finanzsupermacht und des US-Dollar als Leitwährung für den gesamten Globus immer weiter in Gefahr geraten. In dieses entstehende Vakuum könnte die EU als potentieller Kandidat vorstoßen, sofern sie ihre Schuldenkrise in den Griff bekommt und auch tatsächlich diese Führungsrolle übernehmen will. Dann würde in der Tat die von der Politik gebetsmühlenartig vorgetragene Beschwichtigungsformel, Europa sei aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen, mehr als bloße Rhetorik sein.

  • 1 Neue Züricher Zeitung Online, 3.8.2011.
  • 2 Vgl. European Commission: Proposal for a regulation of the European Parliament and the Council on prudential requirements for credit institutions and investment firms, Part I and II, 20.7.2011.
  • 3 Vgl. European Commission: European Economic Forecast, Spring 2011, 5.5.2011, S. 204 ff.
  • 4 Ebenda, S. 223.


DOI: 10.1007/s10273-011-1271-1

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