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Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und Beschäftigung verlief in Deutschland 2008/2009 günstiger als nach anderen Krisen. Betriebliche Bündnisse für Beschäftigung spielten dabei eine besondere Rolle. Frühere Studien hatten unklare Beschäftigungseffekte konstatiert. Die Autoren kommen auf Basis einer Auswertung von Daten des Betriebspanels des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu einem positiven Ergebnis.

Im internationalen Vergleich kann die Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland während der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 als ungewöhnlich bezeichnet werden:1 Dies gilt auch national im Vergleich zu früheren Abschwungphasen. Obwohl der Rückgang des Bruttosozialprodukts der deutschen Volkswirtschaft stärker als in den USA, ähnlich wie in Schweden und etwas geringer als in Japan ausfiel, verlief die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigung weitaus günstiger. In Deutschland waren von der globalen Krise 2008/2009 vor allem die exportintensiven Wirtschaftszweige des Produzierenden Gewerbes, wie der Maschinenbau, die Automobilindustrie, die Elektrotechnik und die Chemische Industrie betroffen. In diesen Sektoren war bereits vor der Rezession die Sorge vor einem Fachkräftemangel besonders ausgeprägt.2 Überdies stiegen in diesen Wirtschaftszweigen vor der Krise die Bruttolöhne und -gehälter weniger als die Produktivität.3 Damit lagen günstige Voraussetzungen für die Weiterbeschäftigung und den Verzicht auf Entlassungen von Beschäftigten vor, deren Arbeitsleistung aktuell nicht benötigt wurde. In diesem Zusammenhang wird auch die Bedeutung der Regelungen zur Kurzarbeit und die Nutzung von Arbeitszeitkonten hervorgehoben.4

Die Rolle der betrieblichen Bündnisse für Beschäftigungs- und Standortsicherung wurde dabei in den wissenschaftlichen Analysen fast völlig außer Acht gelassen. Diese Vereinbarungen entstehen in der Regel als Ergebnis von Verhandlungen von Betriebsräten und Unternehmensleitungen, bei denen verbindliche Beschäftigungs- und Standortzusagen als Gegenleistungen für Zugeständnisse bei Arbeitszeiten oder übertariflichen Leistungen ausgehandelt werden.5 Die Beschäftigten gewinnen für eine vereinbarte Zeit Arbeitsplatz- und Einkommenssicherheit, im Gegenzug kann das Unternehmen die Arbeitskosten senken, wenn beispielsweise die betriebliche Wochenarbeitszeit verkürzt wird, das Urlaubs- oder Weihnachtsgeld sowie leistungsbezogene Entgelte entfallen. Diese Beidseitigkeit charakterisiert betriebliche Bündnisse für Beschäftigungs- und Standortsicherung.

Spektakuläre Einzelvereinbarungen gab es 2004 z.B. bei Siemens und Daimler Chrysler; in den Medien stark diskutiert wurde das Scheitern des betrieblichen Bündnisses für Beschäftigungs- und Standortsicherung bei Continental im November 2005, als die Geschäftsleitung von ihrem Sonderkündigungsrecht in der Vereinbarung Gebrauch machte. Aktuelle Beispiele stellen die vereinbarte Beschäftigungsgarantie für den Standort Bochum der Nirosta GmbH, die zur Edelstahlsparte Inoxum von Thyssen Krupp gehörte und die im Januar 2012 an das finnische Unternehmen Outokumpu verkauft wurde, sowie der Sanierungstarifvertrag des Flughafens Nürnberg im Juni 2012 dar. Ähnlich wie Öffnungsklauseln6 haben sich betriebliche Bündnisse im Zuge der tarifpolitischen Dezentralisierung seit Mitte der 1990er Jahre im deutschen System der industriellen Beziehungen etabliert. Allerdings sind ihre Verbreitung und vor allem ihre Wirkung für die Beschäftigung stark umstritten, wie nicht nur eine Kontroverse im Wirtschaftsdienst 2006 gezeigt hat.7

Beschäftigungseffekte betrieblicher Bündnisse

Aus zwei Gründen ist eine günstigere Beschäftigungsentwicklung in den Betrieben, in denen ein betriebliches Bündnis für Beschäftigung und Standortsicherung vereinbart wurde, zu erwarten:

  • Erstens, demonstrieren die Sozialpartner mit dem Abschluss eines betrieblichen Bündnisses die Bereitschaft, krisenbedingte Anpassungsmaßnahmen und die damit verbundenen Belastungen gemeinsam zu tragen.8
  • Zweitens, bestehen betriebliche Bündnisse für Beschäftigung üblicherweise aus einem ganzen Bündel von personalpolitischen Einzelmaßnahmen im Arbeitszeit-, Entgelt- und Qualifizierungsbereich, die sowohl in einer betrieblichen Krisensituation als auch im Hinblick auf eine höhere betriebliche Flexibilität bestimmte Anpassungen erlauben, die von tarifvertraglichen Regelungen abweichen.9

Obwohl eine Reihe von Studien über verschiedene Aspekte betrieblicher Bündnisse vorgelegt worden sind,10 gibt es nur wenige, die ihren Einfluss auf die betriebliche Beschäftigungsentwicklung untersucht haben. Olaf Hübler hat die Daten der 2003er Welle der Betriebs- und Personalrätebefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts WSI verwendet. Seine multivariate Analyse zeigt, dass Betriebe, die ein betriebliches Bündnis abgeschlossen haben oder ein solches planen, eine signifikant niedrigere Wahrscheinlichkeit für ein stabiles oder steigendes Beschäftigungsniveau aufweisen als Betriebe ohne ein betriebliches Bündnis.11

Für weitergehende ökonometrische Analysen konnten die Daten des IAB-Betriebspanels 2004 bis 2007 genutzt werden, in denen Fragen nach der Existenz eines betrieblichen Bündnisses enthalten waren.12 Die Autoren verwenden drei verschiedene multivariate Auswertungsstrategien:

  • Erstens betrachten sie den Abschluss betrieblicher Bündnisse für Beschäftigung als exogen. Als Ergebnis erhalten sie einen signifikanten und negativen Zusammenhang zwischen der Existenz betrieblicher Bündnisse und der Beschäftigungsänderung.
  • Zweitens instrumentieren sie die Existenz eines betrieblichen Bündnisses. Dennoch bleibt die negative Korrelation zwischen der Existenz eines betrieblichen Bündnisses und der Beschäftigungsänderung bestehen.
  • Drittens werden Matchingmethoden und Differenz-von-Differenzen Ansätze kombiniert, um die endogene Selektion in ein betriebliches Bündnis zu berücksichtigen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Betriebe mit negativen erwarteten und realisierten Beschäftigungsänderungen signifikant häufiger betriebliche Bündnisse abschließen. Der „Treatment Effect“ der betrieblichen Bündnisse auf die Beschäftigungsentwicklung ist allerdings nicht mehr signifikant.

Schließlich wurde die 2009er Welle der WSI-Betriebs- und Personalbefragung im Hinblick auf die Einhaltung von Zusagen, die Arbeitgeber beim Abschluss von betrieblichen Bündnisvereinbarungen machen, ausgewertet.13 Immerhin wurden in 24% der Fälle nicht alle Arbeitgeberzusagen eingehalten, wobei der Einfluss der jüngsten Wirtschaftskrise nicht signifikant war. Die Autoren betrachten ihr Ergebnis als Beleg einer strukturellen Asymmetrie, die darin besteht, dass die Arbeitgeber Schwierigkeiten haben, ihre Zusagen einzuhalten, weil sie zukunftsbezogen sind, während die Konzessionen des Betriebsrats zeitlich früher, nämlich unmittelbar im Anschluss an die Unterzeichnungen der Vereinbarung eines betrieblichen Bündnisses umgesetzt werden müssen.

Insgesamt sind die Ergebnisse der bislang vorliegenden empirischen Studien über die betrieblichen Bündnisse und ihre Beschäftigungswirkungen als enttäuschend für die Akteure zu betrachten. Wegen ihrer Schwere bietet die 2008/2009er Krise die besondere Gelegenheit die Effekte von Bündnissen auf die Beschäftigungsentwicklung noch einmal zu untersuchen. Dies gilt gerade deshalb, weil sie als Mustersituation zu betrachten ist, die ein hohes Maß an Flexibilität und die Bereitschaft der Sozialpartner, „nachzuverhandeln“ dringend erforderlich machte, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden und die betriebliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Der Abschluss und die Existenz betrieblicher Bündnisse für Beschäftigung und Standortsicherung kann sowohl als Signal wie auch als Institutionalisierung für diese Bereitschaft der Sozialpartner angesehen werden.

Verbreitung betrieblicher Bündnisse für Beschäftigung

Für die eigene empirische Untersuchung wurden Daten des IAB-Betriebspanels verwendet. Das IAB-Betriebspanel wird seit 1993 jährlich in Westdeutschland und seit 1996 auch in Ostdeutschland bei mittlerweile fast 16 000 Betrieben erhoben.14 Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) beauftragt TNS Infratest Sozialforschung, persönlich-mündliche Interviews mit den Unternehmensleitungen durchzuführen. Die Befragungsstichprobe wird als geschichtete Zufallsauswahl aus der Betriebsdatei der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit gezogen, wobei angestrebt wird, die in einer Befragungswelle erfolgreich befragten Betriebe in der nächsten Welle erneut zu befragen. Dies gelingt auch in über 85% der Fälle.

Die Betroffenheit von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 wurde durch die Entwicklung der Umsatzerwartungen erfasst: Dabei wurden Betriebe als von der Krise betroffen betrachtet, wenn sie im Sommer 2008 eine positive oder zumindest gleichbleibende Umsatzentwicklung für das kommende Jahr erwarteten, aber im Sommer 2009 eine negative Umsatzentwicklung für das nächste Jahr prognostizierten. Die Autoren finden einen klaren Zusammenhang zwischen Eintrübungen der Umsatzerwartungen auf der einzelbetrieblichen Ebene und der Konjunktur auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene unter Zugrundelegung der Daten des IAB-Betriebspanels.15 Darüber hinaus lässt sich die Validität des Krisenindikators dadurch überprüfen, dass er mit der tatsächlichen Umsatzreduktion kontrastiert wird. Dabei zeigt sich dann, dass der Umsatz in den Krisenbetrieben von 2008 auf 2009 signifikant (um mehr als 10%) gesunken ist. In den Nicht-Krisenbetrieben dagegen ist er von 2008 auf 2009 sogar leicht (wenn auch insignifikant) gestiegen. Die Tabelle 1 zeigt das Ergebnis differenziert nach Wirtschaftszweigen. Betriebe des Produzierenden Gewerbes, vor allem im Bereich der Herstellung von Konsum- und Investitionsgütern sowie Vorleistungen, nicht aber die Dienstleistungsbetriebe, bekamen die Auswirkungen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise besonders stark zu spüren.

Tabelle 1
Krisenbetriebe und Betriebe mit betrieblichen Bündnissen nach Branchen
Anzahl der Betriebe in der Auswertungsstichprobe: 5762
  Anteil der von der Krise betroffenen Betriebe Anteil der Betriebe mit Bündnissen
Landwirtschaft 0,189 0,000
Bergbau und Energie 0,150 0,301
Herstellung von Nahrungsmitteln 0,098 0,004
Herstellung von Konsumgütern 0,306 0,010
Herstellung von Vorleistungen 0,426 0,043
Herstellung von Investitionsgütern 0,386 0,035
Bauwirtschaft 0,239 0,003
Handel 0,157 0,019
Verkehr, Logistik und Kommunikation 0,347 0,078
Finanzdienstleistungen 0,125 0,056
Hotels und Gaststätten 0,083 0,000
Bildung 0,121 0,009
Gesundheits- und Sozialwesen 0,183 0,018
Unternehmensnahe Dienstleistungen 0,158 0,005
Sonstige Dienstleistungen 0,213 0,009

Anteile gewichtet mit den Längsschnitthochrechnungsfaktoren.

Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage des IAB-Betriebspanels 2006 bis 2010.

In der Erhebung des IAB-Betriebspanels 2006 wurden erstmals detaillierte Fragen zur Vereinbarung und zum Inhalt von betrieblichen Bündnissen für Beschäftigung und Standortsicherung gestellt. In den Befragungswellen 2008 und 2009 wurden die Betriebe ebenfalls danach gefragt, ob bei ihnen ein betriebliches Bündnis für Beschäftigung vereinbart wurde. In den Sektoren mit einem verhältnismäßig hohen Anteil von Betrieben, die von der Krise betroffen waren, fiel – wie in Tabelle 1 dargestellt – der Anteil der Betriebe mit einem betrieblichen Bündnis für Beschäftigung überdurchschnittlich hoch aus. Gleichwohl findet sich der größte Anteil im Bereich Bergbau und Energie, während die anderen Branchen Anteile unter 8% hatten. Die Beschäftigtenzahl in diesen Betrieben lag aber wesentlich höher, weil überwiegend größere Betriebe betriebliche Bündnisse abschlossen.

Tabelle 2 gibt die Entwicklung des Anteils der Betriebe mit einem betrieblichen Bündnis für Beschäftigung für den Zeitraum 2006 bis 2009 und die Entwicklung des Anteils der Beschäftigten in diesen Betrieben wieder. Während das Betriebskonzept lediglich die betriebliche Ebene im Blick hat, werden im Beschäftigtenkonzept darüber hinaus die einzelnen Betriebe noch mit der Anzahl der Beschäftigten gewichtet, um der unterschiedlichen beschäftigungspolitischen Relevanz von Groß- und Kleinbetrieben Rechnung zu tragen. Während die Anteile in den ersten beiden Spalten von Tabelle 2 (Betriebskonzept) daher als betriebliche Anteile zu interpretieren sind, handelt es sich bei den Anteilen in den beiden letzten Spalten um Beschäftigtenanteile.

Tabelle 2
Anteile der Betriebe mit einem Bündnis für Beschäftigung 2006 bis 2009
Anzahl der Betriebe in der Auswertungsstichprobe: 5762
  Betriebs­konzept Beschäftigten­konzept
  Krisen­betriebe Nicht-Krisen­betriebe Differenz Krisen­­betriebe Nicht-Krisen­betriebe Differenz
2006 0,030 0,005 0,025** 0,191 0,078 0,113***
2008 0,030 0,008 0,022** 0,171 0,083 0,088***
2009 0,031 0,017 0,014 0,184 0,090 0,094**

Betriebskonzept: Anteile gewichtet mit den Längsschnitthochrechnungsfaktoren. Beschäftigtenkonzept: Anteile gewichtet mit den Längsschnitthochrechnungsfaktoren und der Anzahl der Beschäftigten. Signifikanzen der Unterschiede in den Anteilen auf der Basis angepasster Wald-Tests, die die Hochrechnung berücksichtigen. ***/**/* signifikant auf dem 1/5/10%-Niveau.

Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage des IAB-Betriebspanels 2006 bis 2010.

Dabei wurde eine Differenzierung nach Betrieben, die von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 betroffen waren, und anderen Betrieben vorgenommen. Hier zeigt sich, dass der Anteil der Betriebe, die ein betriebliches Bündnis abgeschlossen haben, innerhalb der Gruppe der Betriebe, die von der Krise 2008/2009 betroffen waren, etwa bei 3% lag und sich kaum verändert hat. Der Anteil der dort Beschäftigten reduzierte sich ebenfalls nur geringfügig von 19,1% (2006) auf 18,4% (2009). Der Anteil der Betriebe, die nicht von der Krise betroffen waren, aber ebenfalls ein betriebliches Bündnis für Beschäftigungs- und Standortsicherung abgeschlossen hatten, stieg von 0,5% (2006) auf 1,7% (2009) an. Dies gilt auch für den Anteil der in diesen Betrieben Beschäftigten, der im Beobachtungszeitraum von 7,8% (2006) auf 9,0% (2009) zugenommen hat. In den Jahren 2006 und 2008 sind die Unterschiede bei den Anteilswerten zwischen den Krisen- und den Nicht-Krisenbetrieben signifikant auf dem 5%-Niveau. Die Anteilswerte bei den Beschäftigten unterscheiden sich zwischen den Krisen- und den Nicht-Krisen-Betrieben sogar im gesamten Beobachtungszeitraum. Das bedeutet, dass vor allem solche Betriebe betriebliche Bündnisse für Beschäftigung und Standortsicherung haben, die von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 betroffen waren. Diese Selektivität macht die Verwendung geeigneter ökonometrischer Methoden zur Ermittlung des Beschäftigungseffekts erforderlich. Zunächst werden die Krisen- und Nicht-Krisenbetriebe im Hinblick auf die Nutzung von personalpolitischen Maßnahmen in der globalen Krise 2008/2009 verglichen.

Personalpolitische Maßnahmen in Betrieben mit betrieblichen Bündnissen

In der Erhebung 2010 des IAB-Betriebspanels wurden die Betriebe auch danach gefragt, welche personalpolitischen Maßnahmen sie in der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 ergriffen haben. Unterschieden wurde dabei im Fragebogen zwischen Maßnahmen im Arbeitszeitbereich (Abbau von Überstunden/Aufbau von Minusstunden, Urlaub, Kurzarbeit, Verkürzung von Arbeitszeiten), im Bereich des Beschäftigungsabbaus, d.h. Abbau von Leiharbeit und befristeter Beschäftigung, der eingeschränkten Übernahmen von Auszubildenden, der Nicht-Wiederbesetzung freier Stellen, der Zurückstellung einer geplanten Personalaufstockung, betriebsbedingter Kündigungen und im Bereich der Weiterbildung sowie sonstiger Maßnahmen. Die nach Krisen- und Nicht-Krisenbetrieben mit und ohne betriebliches Bündnis differenzierte Auswertung ist in Tabelle 3 dargestellt.

Tabelle 3
Maßnahmen der Betriebe in der Krise 2008/2009

Anzahl der Betriebe in der Auswertungsstichprobe: 5762

  Krisenbetriebe Nicht-Krisenbetriebe
  Mit Bündnis Ohne Bündnis Differenz Mit Bündnis Ohne Bündnis Differenz
Abbau von Überstunden / Aufbau von Minusstunden 0,745 0,292 0,453*** 0,331 0,119 0,212*
Urlaub 0,318 0,205 0,113 0,342 0,065 0,277**
Kurzarbeit 0,723 0,215 0,506*** 0,196 0,054 0,142
Arbeitszeitverkürzung 0,057 0,076 -0,018 0,053 0,050 0,002
Abbau von Leiharbeit 0,187 0,062 0,124 0,173 0,010 0,163
Abbau von befristeter Beschäftigung 0,162 0,079 0,083 0,079 0,016 0,063
Qualifizierung / Weiterbildung 0,205 0,071 0,134 0,029 0,032 -0,003
Eingeschränkte Übernahme von Auszubildenden 0,487 0,034 0,453** 0,039 0,014 0,025
Nicht-Wiederbesetzung freier Stellen 0,640 0,148 0,492*** 0,251 0,073 0,178
Zurückstellung einer geplanten Personalaufstockung 0,177 0,115 0,062 0,072 0,070 0,002
Betriebsbedingte Kündigungen 0,519 0,159 0,360* 0,073 0,059 0,013
Sonstiges 0,063 0,024 0,040 0,022 0,019 0,004

Betriebskonzept: Anteile gewichtet mit den Längsschnitthochrechnungsfaktoren. Signifikanzen der Unterschiede in den Anteilen auf der Basis angepasster Wald-Tests, die die Hochrechnung berücksichtigen. ***/**/* signifikant auf dem 1/5/10%-Niveau.

Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage des IAB-Betriebspanels 2006 bis 2010.

Sie zeigt zunächst, dass Krisenbetriebe generell wesentlich häufiger einzelne der genannten Maßnahmen ergriffen haben. Auch wenn sie kein betriebliches Bündnis abgeschlossen haben, wurden die Maßnahmen in Krisenbetrieben häufiger als in Nicht-Krisenbetrieben vereinbart. Darüber hinaus waren innerhalb der Gruppe der Krisenbetriebe die Betriebe mit betrieblichen Bündnissen für Beschäftigung deutlich aktiver:

  • Erstens, haben sie hochsignifikant häufiger den Abbau von Überstunden bzw. den Aufbau von Minusstunden angeordnet.
  • Zweitens haben die Betriebe Kurzarbeit durchgeführt.
  • Signifikante Unterschiede zeigen sich drittens auch bei der Übernahme von Auszubildenden, die in Bündnisbetrieben häufiger eingeschränkt wurde als in anderen Betrieben.
  • Viertens berichteten Bündnisbetriebe signifikant häufiger von der Nicht-Wiederbesetzung freier Stellen.

Im Vergleich dazu sind die Unterschiede zwischen Bündnis- und Nicht-Bündnisbetrieben in der Gruppe der Nicht-Krisenbetriebe wesentlich weniger ausgeprägt: Signifikant seltener wird in Betrieben ohne betriebliches Bündnis der Abbau von Überstunden bzw. der Aufbau von Minusstunden angeordnet. Signifikant niedriger ist der Anteil der Betriebe ohne Bündnis, die ihre Mitarbeiter zwangsweise in den Urlaub schicken.16

Beschäftigungseffekte betrieblicher Bündnisse

Die Entwicklung der Beschäftigung wurde im Rahmen eines Regressionsmodells, in das die Daten der am IAB-Betriebspanel im Zeitraum 2006 bis 2009 teilnehmenden Betriebe eingegangen sind, untersucht.17 Dabei haben wir neben der uns besonders interessierenden (0,1)-Variable für die Existenz eines betrieblichen Bündnisses für Beschäftigung und Standortsicherung und dem von uns verwendeten Indikator für die Betroffenheit von der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 weitere Variablen wie Dummies für die betreffenden Jahre, für Ostdeutschland, die Anteile der qualifizierten Beschäftigten, der Teilzeitbeschäftigten und der Frauen sowie für die Existenz eines Betriebsrats, Dummies für die Bindung an Branchen- und Firmentarifverträge, eine Variable für den technischen Stand der Anlagen und der Betriebs- und Geschäftsausstattung im Vergleich zu anderen Betrieben in der Branche, Dummies für Investitionen in Grundstücke und Gebäude, EDV, Informations- und Kommunikationstechnik, Produktionsanlagen sowie Verkehrsmittel und Transportsysteme, sowie weitere Variablen als Regressoren aufgenommen.18 Die in der Tabelle 4 dargestellten Ergebnisse zeigen, dass sich die Beschäftigung in jedem der betrachteten Jahre, sowohl für Krisenbetriebe als auch für Nicht-Krisenbetriebe in den Betrieben, in denen ein betriebliches Bündnis für Beschäftigung abgeschlossen wurde, günstiger als in Betrieben ohne ein derartiges betriebliches Bündnis entwickelt hat. Besonders interessant ist der deutliche Unterschied in der Beschäftigungsentwicklung im Krisenjahr 2009: Die von der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 betroffenen Betriebe reduzierten die Beschäftigung um 1,5% (von 2008 auf 2009), was sich aus dem Regressionskoeffizienten von -0,015 ergibt, wenn in ihrem Betrieb ein betriebliches Bündnis existierte, während in den Betrieben ohne ein derartiges Bündnis die Beschäftigung um 7,0% zurückging. Die Differenz ist auf einem Niveau von 10% signifikant. Damit zeigt sich, dass sich der Abschluss von betrieblichen Bündnissen für Beschäftigung und Standortsicherung in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 positiv auf die Beschäftigungsentwicklung in den betreffenden Betrieben ausgewirkt hat.

Tabelle 4
Beschäftigung in Betrieben mit betrieblichem Bündnis für Beschäftigung

Anzahl der Betriebe im ökonometrischen Modell: 9196

  Krisenbetriebe Nicht-Krisenbetriebe
  Mit Bündnis Ohne Bündnis Differenz Mit Bündnis Ohne Bündnis Differenz
2007/2006 0,026 0,014 0,012 0,025 0,006 0,019
2008/2007 0,043 0,016 0,027 0,037 -0,004 0,041
2009/2008 -0,015 -0,070*** 0,055* 0,000 -0,014 0,014

***/**/* signifikant auf dem 1/5/10%-Niveau.

Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage des IAB-Betriebspanels 2006 bis 2009.

Da sich der Anteil der Betriebe, die ein betriebliches Bündnis abgeschlossen haben, im Beobachtungszeitraum kaum verändert hat, ist dieser positive Effekt sicherlich auch auf bestimmte Einzelmaßnahmen, die bereits vor der Krise vereinbart worden sind, und auf das Vertrauen der Sozialpartner, auftretende ökonomische Probleme gemeinsam zu lösen, zurückzuführen.

Hinzu kommt aber auch eine wesentlich aktivere Rolle der Betriebe, die ein betriebliches Bündnis für Beschäftigung abgeschlossen haben, bei der Durchführung von personalpolitischen Anpassungsmaßnahmen in der Krise 2008/2009. Signifikante Unterschiede konnten wir in den Krisenbetrieben beim Abbau von Überstunden bzw. beim Aufbau von Minusstunden, bei der Kurzarbeit, der eingeschränkten Übernahme von Auszubildenden, der Nicht-Wiederbesetzung freier Stellen und bei betriebsbedingten Kündigungen ermitteln. Unterschiede zwischen Bündnis- und Nicht-Bündnisbetrieben waren in der Gruppe der Nicht-Krisenbetriebe zwar ebenfalls vorhanden, aber wesentlich geringer. Das höhere „Aktivitätsniveau“ in den Bündnisbetrieben ist schließlich als Indikator dafür zu sehen, dass es dort eher gelungen ist, einen optimalen Mix an Maßnahmen zu finden, um weitgehend unbeschadet durch die Krise zu kommen.

  • 1 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen, Jahresgutachten 2009/2010, Wiesbaden 2009, S. 257-282; ders.: Chancen für einen stabilen Aufschwung, Jahresgutachten 2010/2011, Wiesbaden 2010, S. 259-263.
  • 2 Vgl. J. Möller: The German labor market response in the world recession – demystifying a miracle, in: Journal of Labour Market Research (Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung), 42. Jg. (2010), S. 325-336.
  • 3 Vgl. M. Burda, J. Hunt: What explains the German labour market miracle in the great recession?, Beitrag für die Brookings Papers Conference, 6.3.2011.
  • 4 Vgl. M. Heckmann, A. Kettner, S. Pausch, J. Szameitat, K. Vogler-Ludwig: Wie Betriebe in der Krise Beschäftigung stützen, in: IAB-Kurzbericht, 18/2009; vgl. J. Möller, U. Walwei: Das deutsche Arbeitsmarktwunder auf dem Prüfstand, in: IAB Forum Spezial 2009, S. 4-11; vgl. L. Bellmann, H.-D. Gerner: Reversed roles? Wage and employment effects of the current crisis, in: Research in Labor Economics, 32. Jg. (2011), S. 181-206; vgl. O. Bohachova, B. Boockmann, C. M. Buch: Labor Demand During the Crisis: What Happened in Germany?, in: Discussion Paper des Instituts Zukunft der Arbeit, Nr. 6074, 2011; vgl. H.-D. Gerner: Die Produktivitätsentwicklung und die Rolle von Arbeitszeitkonten während der Großen Rezession 2008/2009, in: Zeitschrift für Personalforschung, 26. Jg. (2012), S. 30-47.
  • 5 Vgl. K. Sisson, A. M. Martin Artiles: Handling Restructuring: Collective Agreements on Employment and Competitiveness, European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, Dublin 2000.
  • 6 Vgl. P. Ellguth, S. Kohaut: Auf der Flucht? Tarifaustritte und die Rolle von Öffnungsklauseln, in: Industrielle Beziehungen, 17. Jg. (2010), S. 345-371.
  • 7 Vgl. O. Hübler: Quo vadis, betriebliches Bündnis?, in: Wirtschaftsdienst, 86. Jg. (2006), H. 2, S. 96-101; vgl. H. Massa-Wirth, H. Seifert: Analyse über Bündnisse für Arbeit auf unsicherem Grund – Replik auf Hübler, in: Wirtschaftsdienst, 86. Jg. (2006), H. 6, S. 398-401; vgl. O. Hübler: Wirkungsanalysen betrieblicher Bündnisse: Daten, Methoden und Ergebnisse, in: Wirtschaftsdienst, 86. Jg. (2006), H. 6, S. 401-404; und aktuell C. Bogedan, W. Brehmer, H. Seifert: Wie krisenfest sind betriebliche Bündnisse zur Beschäftigungssicherung?, in: WSI-Mitteilungen, 64. Jg. (2011), H. 2, S. 51-59.
  • 8 Vgl. N. Berthold, M. Brischke, O. Stettes: Betriebliche Bündnisse für Arbeit. Gratwanderung zwischen Tarifbruch und Tariftreue, Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge des Lehrstuhls Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftsforschung und Sozialpolitik, Nr. 64, Universität Würzburg, 2003, vgl. N. Berthold, M. Brischke, O. Stettes: Betriebliche Bündnisse für Arbeit. Eine empirische Untersuchung für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau, Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik, Nr. 68, Universität Würzburg, 2003.
  • 9 Vgl. P. Ellguth, S. Kohaut: Ein Bund fürs Überleben? Betriebliche Vereinbarungen zur Beschäftigungs- und Standortsicherung, in: Industrielle Beziehungen, 15. Jg. (2008), S. 209-232.
  • 10 Vgl. die Übersicht bei L. Bellmann, K. Gerlach, W. Meyer: Company-level pacts for employment, in: Journal of Economics and Statistics, Bd. 228 (2008), S. 533-553.
  • 11 Vgl. O. Hübler: Betriebliche Vereinbarungen zur Beschäftigungs- und Standortsicherung, in: L. Bellmann et al. (Hrsg.): Institutionen, Löhne und Beschäftigung, Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 294, Nürnberg 2005, S. 157-173; vgl. O. Hübler: Sind betriebliche Bündnisse für Arbeit erfolgreich?, in: Journal of Economics and Statistics, Bd. 225 (2005), S. 630-652; vgl. ders.: Zum Einfluss betrieblicher Bündnisse auf die wirtschaftliche Lage der Unternehmen, in: Review of Economics, 57. Jg. (2006), S. 121-146.
  • 12 Vgl. L. Bellmann, K. Gerlach, W. Meyer, a.a.O. Im IAB-Betriebspanel werden betriebliche Bündnisse für Beschäftigungs- und Standortsicherung durch folgende Items erfasst: Einführung/Ausweitung/Neuregelung von Arbeitszeitkonten, Abbau von Mehrarbeit, Verlängerung der Arbeitszeiten mit/ohne Anpassung der Entlohnung, Verkürzung der Arbeitszeiten, Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitarbeitsplätze, Einführung/Ausweitung von Altersteilzeit, sonstige Maßnahmen, die sich auf die Arbeitszeiten beziehen, Aussetzen von tariflichen Lohnerhöhungen, Verrechnung von tariflichen Lohnerhöhungen mit übertariflichen Einkommensbestandteilen, Abstriche bei Jahressonderzahlungen oder sonstigen finanziellen bzw. geldwerten Leistungen, Umwandlung von festen Einkommensbestandteilen in variable, erfolgsabhängige (z.B. Gewinn- und Kapitalbeteiligung), Absenkung der Grundvergütung, Abstriche bei Zuschlägen (z.B. für Überstunden), Einführung von abgesenkten Einstiegslöhnen/Niedriglohntarifen, sonstige Maßnahmen, die sich auf die Vergütung beziehen, generelle Beschäftigungsgarantien (Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen), Beschäftigungsgarantien für Teile der Belegschaft, Zusage für den Erhalt der Belegschaftsstärke, Übernahme von Auszubildenden, Erhalt der Ausbildungskapazität/des Standortes, Investitionen am Standort, Verzicht auf Outsourcing-Maßnahmen, Garantie von Produktlinien, sonstige Zusagen.
  • 13 Vgl. C. Bogedan, W. Brehmer, H. Seifert: Wie krisenfest sind betriebliche Bündnisse für Arbeit?, in: WSI-Mitteilungen, 64. Jg. (2011), S. 51-59.
  • 14 Vgl. G. Fischer, F. Janik, D. Müller, A. Schmucker: The IAB-Establishment Panel – things users should know, in: Journal of Applied Social Science Studies, 129. Jg. (2009), S. 133-148.
  • 15 Vgl. L. Bellmann, H.-D. Gerner: Reversed roles? ..., a.a.O.
  • 16 Um auszuschließen, dass es sich bei den identifizierten Unterschieden lediglich um Größeneffekte handelt, wurden die in Tabelle 3 aufgelisteten Auswertungen auch nur für Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeitern durchgeführt. Dabei zeigt sich ebenfalls, dass die von der Krise betroffenen Betriebe mit einem betrieblichen Bündnis aktiver sind, als die von der Krise betroffenen Betriebe ohne betriebliches Bündnis. Bei den Krisenbetrieben finden wir nur eine Maßnahme (Weiterbildung), bei der sich im Anteil eine negative Differenz zwischen Betrieben mit und ohne Bündnis ergibt.
  • 17 Da für 2007 keine Bündnisinformation für die Betriebe vorlagen, wurden die Angaben von 2006 und 2008 auf 2007 übertragen, d.h., hat der Betrieb sowohl 2008 als auch 2006 ein Bündnis, wurde für 2007 angenommen, dass er ein Bündnis hat. Hat ein Betrieb sowohl 2008 als auch 2006 kein Bündnis, wurde 2007 kein Bündnis angenommen. Gibt es einen Statuswechsel zwischen 2008 und 2006, d.h., der Betrieb hatte 2008 ein Bündnis und 2006 nicht (oder umgekehrt), bleibt der Betrieb für die Abschätzung der Beschäftigungsentwicklung von 2006 auf 2007 und von 2007 auf 2008 unberücksichtigt.
  • 18 Weitere Details zur Analyse in L. Bellmann, H.-D. Gerner: Company-level pacts for employment in the global crisis 2008/2009: first evidence from representative German establishment-level panel data, in: The International Journal of Human Resource Management, 23. Jg. (2012), im Erscheinen.

Title:Successful Pacts for Employment and Competitiveness During the Global Crisis 2008/2009

Abstract:The favourable employment records of the German economy during the crisis 2008/2009 is related to the pacts for employment and competitiveness concluded at the company level and characterized by concessions from both bargaining partners. In these pacts work councils agree to company-specific deviations from an industry-level contract such as reduced wages in exchange for employment guarantees. In our analysis we use the IAB-Establishment Panel Survey data from the years 2006 to 2010. We find evidence suggesting that companies which adopted these pacts during the crisis reduced the number of employees less since they were more active with respect to specific measures to cope with the crisis.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1442-8