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Die Regierungskoalition hat Anfang November Eckpunkte eines Konzepts zur Lebensleistungsrente vorgelegt. Bereits zuvor wurden verschiedene Vorschläge zur Sicherung der Rente für Geringverdiener diskutiert. Der Autor sieht diese Ansätze generell kritisch. Er ist der Auffassung, dass die Problematik nicht innerhalb des Sozialversicherungssystems gelöst werden sollte, sondern im Rahmen der aus dem öffentlichen Haushalt finanzierten Grundsicherung.

Die aktuelle Diskussion um drohende Altersarmut hat zahlreiche politische Akteure bewegt, Vorschläge zu unterbreiten, wie die maßgeblichen Sicherungssysteme – gesetzliche Rentenversicherung und/oder Grundsicherung im Alter – angesichts dieser Zukunftsperspektiven angepasst werden sollten. Leitgedanke ist, dass künftig eine Vielzahl von Rentnern aufgrund geringer eigener Beitragsleitungen von Altersarmut bedroht sein könnte und dass die Grundsicherung im Alter in ihrer gegenwärtigen Form nicht geeignet sei, dieses Problem zu lösen.

Grundsätzlich gibt es dabei zwei unterschiedliche Ansätze:

  1. Anpassungen bei der Grundsicherung im Alter,
  2. Änderungen im Rentenrecht, damit die Grundsicherung gar nicht erst greifen muss.

Im Folgenden wird zunächst die gegenwärtige Grundsicherung im Alter dargestellt. Anschließend werden die bisher vorgelegten Vorschläge vorgestellt und bewertet. Dabei werden die Unzulänglichkeiten der Konzepte verdeutlicht. Abschließend wird ein eigener Lösungsvorschlag unterbreitet. Inwieweit die Befürchtungen, Altersarmut könnte zukünftig zum Massenphänomen werden, überhaupt realistisch sind, ist ausdrücklich nicht Gegenstand dieses Beitrags.

Grundsicherung im Alter

Die Grundsicherung im Alter greift, wenn die eigenen Einnahmen den notwendigen Lebensunterhalt unterschreiten und dieser auch nicht aus vorhandenem Vermögen bestritten werden kann. Der fehlende Betrag wird auf Antrag als steuerfinanzierte Sozialleistung gewährt. Der Lebensbedarf ist dabei die Summe aus Regelbedarf und den angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (im Durchschnitt lag das Grundsicherungsniveau 2011 bei 698 Euro1). Da die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung dabei berücksichtigt werden, ist das Grundsicherungsniveau bundesweit nicht einheitlich. In Ballungsräumen mit hohen Mieten liegt es oftmals deutlich über 800 Euro. Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, werden ebenfalls angerechnet.

Kritisiert wird die Grundsicherung im Alter unter anderem wegen ihrer Antragsgebundenheit, die Berechtigte in eine Bittstellerposition bringe und daher zum Teil aus Scham oder aus Sorge vor einem Rückgriff auf Angehörige nicht in Anspruch genommen werde. Zudem führe die vollständige Anrechnung von Einkommen aus privater, betrieblicher und gesetzlicher Altersvorsorge auf den Lebensbedarf dazu, dass der Anreiz auf diese Weise selbst Vorsorge zu treffen, begrenzt werde. Dieser Vorwurf ist nachvollziehbar. So bringt Geringverdienern, die damit rechnen, später auf die Grundsicherung angewiesen zu sein, eine solche Vorsorge keine Vorteile.2 Dies macht nicht nur private und betriebliche Vorsorge für diesen Kreis unattraktiv, sondern kann auch dazu führen, dass bei sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten die Rentenversicherungsbeiträge als unnütze Ausgabe angesehen werden. Auch die Attraktivität einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nimmt damit ab.

Modell der Zuschussrente

Das von Bundesministerin von der Leyen vorgestellte Modell der Zuschussrente,3 das nicht zuletzt die gegenwärtige Diskussion ausgelöst hat, will an diesen Vorwürfen ansetzen. Die durch die Vollanrechnung ins Leere gehenden Rentenversicherungszeiten und -beiträge sowie das Drängen in eine Bittstellerposition wird als unzureichende Berücksichtigung der Lebensleistung in der gesetzlichen Rentenversicherung bezeichnet und zurückgewiesen. In diesem Kontext wird auch das Niveau der Grundsicherung als zu niedrig angesehen.4

Als Reaktion wird vorgeschlagen, unter bestimmten Voraussetzungen (zunächst 40 Versicherungsjahre sowie 30 Beitragsjahre aus Beschäftigung, Kindererziehung oder Pflege, ab 2019 soll als weitere Voraussetzung fünf Jahre an zusätzlicher Altersvorsorge hinzutreten, ab 2023 nochmals erweiterte Voraussetzungen) die gesetzliche Rente durch Gewährung zusätzlicher Entgeltpunkte aufzustocken. Die Aufstockung soll aber auf eine Bruttorente von aktuell rund 850 Euro begrenzt werden. Der Aufstockungsbetrag wird als Zuschussrente bezeichnet.

Als (beitragsfinanzierte) Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung ist die Zuschussrente nicht antragsgebunden. Damit dürfte grundsätzlich auch keine Anrechnung zusätzlichen Einkommens (weder des eigenen noch das des Partners) stattfinden. Gleichwohl soll zur Gewährleistung der Zielgenauigkeit dennoch eine Anrechnung erfolgen. Ausdrücklich ausgenommen werden sollen aber Einkommen aus einer zusätzlichen Altersversorgung (betriebliche Altersvorsorge, Riester- und Rürup-Rente). Damit besteht auch für Geringverdiener ein Anreiz zu weiterer Vorsorge.

Der Vorschlag der Zuschussrente ist vielfach kritisiert worden: Ihre Ausgestaltung verletze das grundlegende Prinzip der Beitragsabhängigkeit der späteren Rentenleistung, das sogenannte Äquivalenzprinzip.5 Diese Kritik ist zutreffend. Erfüllt eine Person die Voraussetzungen für die Zuschussrente kann sie eine höhere Rente erhalten, als eine Person, die während ihres Erwerbslebens mehr Entgeltpunkte und damit eigentlich auch höhere Rentenansprüche erworben hat. Doch auch innerhalb der Gruppe derer, die von der Zuschussrente profitieren, kann das Prinzip der Beitragsäquivalenz verletzt werden. Alle Berechtigten, bei denen der Deckel von 850 Euro zum Tragen kommt, haben den gleichen Rentenanspruch, unabhängig von ihren individuellen Beitragsleistungen. Die Höhe der selbst geleisteten Beiträge verliert dabei an Bedeutung. Insoweit wird das selbst angestrebte Ziel der Berücksichtigung der Lebensleistung konterkariert. Diese Verzerrungen werden durch die Einkommensanrechnung noch verstärkt. Fälle, in denen gleiche Beiträge grundsätzlich zu gleichen Rentenansprüchen geführt haben, können hinsichtlich der tatsächlichen Auszahlungen voneinander abweichen, wenn es zu einer Einkommensanrechnung kommt. Auch hier sind wieder Übernivellierungen denkbar. Die Lockerung der Beziehung zwischen Rentenhöhe und den geleisteten Beiträgen stellt zudem die Finanzierung der Zuschussrente aus Beitragsmitteln in Frage.

Eine generelle Aufstockung der Rente hätte erhebliche fiskalische Auswirkungen. Um diese zu begrenzen, soll die Aufstockung an hohe Vorgaben geknüpft werden. Dies hat aber zu dem weiteren Kritikpunkt geführt, die Voraussetzungen seien kaum zu erfüllen und würden damit keinen Beitrag für eine verstärkte Bekämpfung der Altersarmut leisten. Tatsächlich dürften insbesondere zahlreiche Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiographien von Altersarmut bedroht sein, aber gleichzeitig nicht die geforderten Beitrags-/Versicherungsjahre erreichen. Außerdem fehlt bisher eine stichhaltige Begründung, warum ausgerechnet dieser eng umrissene Personenkreis einer Unterstützung bedarf und andere Beitragszahler, die ebenso nur mit niedrigen Renten rechnen können, unberücksichtigt bleiben sollen.

Mindestrentenkonzept der SPD

Ähnlichen Überlegungen wie der Plan der Zuschussrente folgt auch das SPD-Rentenkonzept. Es enthält die Forderung nach einer – allerdings steuerfinanzierten – Mindestrente von ebenfalls 850 Euro (Solidarrente) für langjährig Versicherte (mindestens 40 Versicherungsjahre und 30 Beitragsjahre). Eine solche generelle Aufstockung widerspricht natürlich noch stärker dem Äquivalenzprinzip. Sie führt zu einer aus Anreizgesichtspunkten äußerst bedenklichen breiten Nivellierung.

Mit der Vorgabe der Steuerfinanzierung wird hier zwar klar festgelegt, dass die Aufstockung den Charakter einer Sozialleistung hat. Dies fordert aber unmittelbar die Gegenfrage heraus, warum diese Sozialleistung nur in der Rentenversicherung Versicherten gewährt werden soll und nicht auch anderen von Altersarmut Bedrohten, z.B. ehemals Selbständigen. Ebenso stellt sich die Frage, warum eine Sozialleistung unabhängig von der Bedürftigkeit (eigenes Einkommen oder Vermögen) gewährt werden sollte.

Gegenmodell junger Koalitionsabgeordneter zur Änderung der Grundsicherung

Eine Gruppe junger Abgeordneter der Koalition hat einen alternativen Vorschlag gemacht. Sie wollen erreichen, dass sich die private und die betriebliche Zusatzversorgung auch für Geringverdiener lohnt. Hierzu sollen künftig bei der Grundsicherung Einkommen aus solcher Zusatzversorgung bis zu einem bestimmten Betrag (mindestens 100 Euro) nicht mehr auf die monatliche Grundsicherung angerechnet werden.

Bundesministerin von der Leyen hat an diesem Vorschlag kritisiert, er lasse die Lebensleistung in der gesetzlichen Rentenversicherung unberücksichtigt. Tatsächlich sind im Konzept der jungen Abgeordneten keine Änderungen an der Erfassung der gesetzlichen Rentenversicherung geplant. Zudem ist zu bemängeln, dass der Anrechnungsfreibetrag für Renten aus zusätzlicher Vorsorge bei darüber hinausgehenden Beträgen zu einer vollständigen Nivellierung führt.

Mischmodell der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft

Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), der Arbeitnehmerflügel der CDU, macht sich für ein Mischmodell stark.6 Dabei soll sowohl – wie bei der Zuschussrente – unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufstockung von Entgeltpunkten erfolgen, als auch ein Freibetrag für Einkommen aus privater oder betrieblicher Vorsorge eingeräumt werden. Hinsichtlich der Aufstockung von Entgeltpunkten möchten die CDA’ler die auslaufende „Rente nach Mindesteinkommen“7 reaktivieren. Sind mindestens 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden, sollen für Jahre mit einem unterdurchschnittlichen Verdienst die erworbenen Entgeltpunkte um 50% auf bis zu 0,75 Entgeltpunkte aufgestockt werden.

Die CDA behauptet, ihr Modell wahre das Äquivalenzprinzip, weil nicht auf einen einheitlichen Satz aufgestockt werde, sondern individuell nach den erworbenen Ansprüchen. Mit dieser Einschätzung liegt die CDA aber nur zum Teil richtig. Zutreffend ist zwar, dass innerhalb des Kreises der Begünstigten sichergestellt wird, dass höhere Rentenversicherungsbeiträge auch zu einem höheren Rentenanspruch führen, die Rangfolge also gewahrt bleibt. Gleichwohl führt die Aufstockung aber dazu, dass der von ihr Begünstigte schon vom ersten Euro Rentenbeitrag an einen höheren Rentenanspruch erwirbt als derjenige, der nichts aufgestockt bekommt. Doch dies ist ebenfalls ein Aspekt des Äquivalenzprinzips.

Um Mitnahmeeffekte zu vermeiden und wohl auch um die fiskalischen Auswirkungen zu begrenzen, will die CDA die Aufstockungsregel mit einer (noch) nicht näher spezifizierten Einkommensanrechnung verbinden. Die damit drohenden Verzerrungen wurden schon bei der Zuschussrente erläutert. Ein Freibetrag für Einkommen aus privater oder betrieblicher Vorsorge wie ihn die CDA an dieser Stelle (und auch innerhalb der Grundsicherung im Alter) vorschlägt, kann dies kaum verhindern, ohne die mit der Einkommensanrechnung verknüpfte Intention in Frage zu stellen. Auf die mit einem Freibetrag einhergehende Nivellierungsproblematik wurde bereits beim Vorschlag der jungen Abgeordneten eingegangen.

Beschluss des Koalitionsausschusses – Lebensleistungsrente

Am 4. November 2011 hat sich der Koalitionsausschuss auf die Grundzüge einer sogenannten Lebensleistungsrente verständigt.8 Für eine abschließende Bewertung sind diese Grundzüge noch nicht hinreichend konkretisiert. Es deutet aber einiges daraufhin, dass dieses Konzept ähnliche Schwächen aufweisen wird wie die zuvor vorgelegten Modelle.

Zunächst ist festzuhalten, dass mit der Forderung nach 40 Beitragsjahren und eigener privater Vorsorge die Zugangsvoraussetzung für die Lebensleistungsrente gleich von Beginn an noch höher liegen als bei der Zuschussrente. Hier dürfte mehr als fraglich sein, ob die tatsächliche Zielgruppe dabei treffend umrissen wird und ob die Förderung nicht weitestgehend ins Leere geht. Ob ein solches Konzept Lebensleistungen in gerechter Weise Rechnung tragen kann, so wie es der Name suggeriert, erscheint zumindest sehr zweifelhaft.

Die Förderung soll wie bei der Zuschussrente und dem CDA-Modell durch Höherbewertung bestimmter Beitragszeiten – insbesondere für Geringverdiener – erfolgen. Insgesamt soll damit ein Rentenniveau knapp oberhalb der Höhe der Grundsicherung erreicht werden. Auch wenn die genaue Ausgestaltung noch unklar ist, wurde bereits bei der Zuschussrente und dem CDA-Modell klar herausgearbeitet, dass solch ein Mechanismus kaum in Einklang mit dem Äquivalenzprinzip zu bringen ist. Hinsichtlich des konkreten Betrages, bis zu dem eine Aufstockung erfolgen soll, äußert sich das Papier nicht. Um bundesweit ein Niveau knapp oberhalb der Grundsicherung zu gewährleisten, müsste dieser Betrag aber sicherlich deutlich oberhalb von 800 Euro liegen. Nur so kann diese Vorgabe auch in Ballungsraumkommunen mit ihren höheren Mieten erfüllt werden.9 Ein Anknüpfen an das bundesdurchschnittliche Grundsicherungsniveau würde dazu führen, dass in diesen Städten die Betroffenen trotz Lebensleistungsrente (zusätzlich) die dort höhere Grundsicherung beantragen. Auch ein Bezug auf das jeweils örtliche Grundsicherungsniveau würde Probleme aufwerfen. Da die Grundsicherung auf die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung abstellt, würde der Rentenversicherung eine für sie neue Bedarfs- und Angemessenheitsprüfung aufgezwungen. Aus Vereinfachungsgründen könnten bei der Berechnung der Lebensleistungsrente zwar ein lokaler Durchschnittswert für diese Aufwendungen zugrunde gelegt werden. An einer Kooperation mit den örtlichen Sozialämtern würde aber kein Weg vorbeiführen. Zudem würde es Fälle geben, in denen der tatsächliche Grundsicherungsanspruch höher wäre (z.B. Sozialamt erkennt überdurchschnittliche Kosten für Unterkunft und Heizung an).

Zu der Frage, ob eine Anrechnung anderen eigenen Einkommens erfolgen soll, schweigt sich das Konzeptpapier aus. Es wird lediglich gefordert, dass sich zusätzliche private Vorsorge lohnen müsse, ohne hier konkreter zu werden. Wie Einkommensanrechnungen das Äquivalenzprinzip noch weiter konterkarieren können und welche Gefahren von einer unglücklich ausgestalteten Ausklammerung zusätzlicher privater Vorsorge ausgehen kann, wurde bereits hinlänglich dargelegt. Zudem bestünde bei einer Anrechnung des Partnereinkommens erneut die Gefahr, dass die Rentenversicherung die Rolle eines zweiten Sozialamtes übernehmen müsste.10

Wie beim Mindestrentenkonzept der SPD soll auch hier eine Finanzierung aus Steuermitteln erfolgen. Aber auch das Konzept des Koalitionsausschusses bleibt die Antwort schuldig, warum es sich auf Versicherte in der Rentenversicherung beschränkt. Können Selbständige mit nicht hinreichender eigener Vorsorge nicht auch eine anerkennenswerte Lebensleistung erbracht haben? Und ist es gerecht, eine Zuwendung aus Steuermitteln zu gewähren, ohne zu prüfen, ob der Lebensunterhalt nicht auch aus eigenem Vermögen bestritten werden kann?

Lösungsvorschlag

Keines der Konzepte erscheint geeignet, den befürchteten Unzulänglichkeiten der Grundsicherung im Alter angemessen zu begegnen. Stattdessen verursachen sie neue Verwerfungen, die zu Ungerechtigkeiten führen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die doch klar zu umreißende Kritik an der Grundsicherung im Alter tiefgreifende und systemwidrige Änderungen an der gesetzlichen Rentenversicherung rechtfertigen kann. Die vorliegenden Konzepte zur Änderung der Rentenversicherung bleiben diese Rechtfertigung allesamt schuldig. Stattdessen verletzen sie bestehende Systematiken, ohne dabei Gerechtigkeit herstellen zu können. Wenn überhaupt Modifikationen nötig sind, liegt es daher deutlich näher, die Anpassungen auf die Grundsicherung im Alter zu beschränken. Dabei sollte es um Weiterentwicklungen gehen, die sie gerechter und anreizkompatibler ausgestalten.

Es bietet sich an, künftig sowohl Einkommen aus privater und betrieblicher Zusatzversorgung als auch aus der gesetzlichen Altersversorgung nur teilweise auf die Grundsicherung anzurechnen. Die Begrenzung der Anrechnung hat dabei nicht (ausschließlich) durch einen Freibetrag, sondern durch eine unter 100% liegende gegebenenfalls gestaffelte Anrechnungsquote zu erfolgen. Denkbar sind aber auch Kombinationen und Staffelungen. Daher geht der im Juni 2012 vom Sozialverband Deutschland (SoVD) und ver.di vorgelegte Vorschlag11 in die richtige Richtung. Danach sollen Altersvorsorgeeinkommen bis 100 Euro gar nicht (Freibetrag), die nächsten 100 Euro zu 50% und die dann folgenden 100 Euro zu 75% auf die Grundsicherung angerechnet werden. Leider weist dieses Konzept ein ähnliches Problem auf wie der Freibetragsvorschlag der jungen Abgeordneten. Da oberhalb des Betrages von 300 Euro eine gänzliche Anrechnung erfolgt, findet für alle, die darüber liegen, wieder eine vollständige Nivellierung statt.

Die richtige Lösung liegt gleichwohl sehr nah. Die partielle Anrechnung muss konsequent auch für höhere Altersvorsorgeeinkommen umgesetzt werden. Zum Beispiel könnte zunächst ein Freibetrag von 50 Euro gewährt werden, die nächsten 50 Euro werden zu 50% angerechnet, die folgenden 50 Euro zu 75% und darüber hinausgehende Beträge zu 90%. Die genaue Austarierung der Anrechnungssätze und ihrer Staffelung bedarf noch genauerer Analysen der entsprechenden Daten und einer Entscheidung über die Höhe der staatlichen Mittel, die für entsprechende Änderungen ausgegeben werden können. An der grundsätzlichen Argumentation ändert dies nichts. Eine nur partielle Anrechnung ist in dieser Form dem System der Grundsicherung im Alter nicht fremd. So wird das bereinigte Einkommen aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit schon derzeit nur zu 70% angesetzt.12

Der Vorschlag bietet mehrere Vorteile:

  • Erstens werden private und betriebliche Vorsorge begünstigt – wer selbst vorsorgt, hat im Alter stets mehr, als jemand der dies nicht getan hat.
  • Zweitens ist gewährleistet, dass (im Gegensatz zum Freibetragsvorschlag der jungen Abgeordneten und zum SovD/ver.di-Konzept) stärkere Vorsorge auch zu höherem Einkommen im Alter führt. Es bestehen also durchweg Anreize für eine solche Vorsorge.
  • Drittens wird eine saubere Trennung zwischen Rentenversicherung und Grundsicherung beibehalten.

Dass auch die Leistungen aus der gesetzlichen Altersversorgung nur anteilig angerechnet werden, stellt die von Bundesministerin von der Leyen geforderte Berücksichtigung der Lebensleistung in der gesetzlichen Rentenversicherung weitaus besser sicher als ihr eigenes Konzept und die Lebensleistungsrente, die beide aufgrund der hohen Voraussetzungen auf eine enge Gruppe beschränkt sind. Denn auch hier gilt, höhere selbst erworbene Rentenansprüche führen stets zu einem höheren Haushaltseinkommen. Eine vollständige Nivellierung durch die Grundsicherung erfolgt nicht. Im Vergleich zum Status quo steigt damit die Attraktivität sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.

Die so verbesserte Grundsicherung steht allen offen, nicht nur den Versicherten in der Rentenversicherung. Im Gegensatz zu den anderen Modellen lässt sich daher die Frage nach der Finanzierungsquelle klar beantworten. Nur eine Finanzierung aus Steuermitteln ist hier angemessen, aber anders als beim SPD-Konzept und der Lebensleistungsrente auch widerspruchsfrei begründbar. Zweifellos hat auch dieser Vorschlag fiskalische Belastungen zur Folge. Die nur partielle Anrechnung führt de facto zu einer Erhöhung des Grundsicherungsniveaus.13 Die entstehenden Anreize, selbst für das Alter vorzusorgen, dürften die Belastungen aber begrenzen.

Verstärken und nach Wunsch konzentrieren kann der Gesetzgeber die Wirkungen des Vorschlags noch, indem man zwei getrennte Anrechnungskreise für private und betriebliche Vorsorge einerseits und die gesetzliche Versorgung andererseits schafft und diese auch unterschiedlich ausgestaltet (z.B. durch einen Freibetrag nur bei privater und betrieblicher Vorsorge). Ebenso steht die Frage der Anrechnung des Einkommens des Ehegatten oder Lebenspartners zur Disposition.

Alles kann dieser Vorschlag aber auch nicht leisten. So bliebe die Antragsgebundenheit bestehen. Dass manche Berechtigte die Grundsicherung aus Scham oder Sorge wegen eines Rückgriffs auf Angehörige nicht in Anspruch nehmen, wäre also weiterhin denkbar. Hier sollte aber bedacht werden, dass bereits die gegenwärtige Grundsicherung versucht, hier gegenzusteuern, da z.B. nur in Ausnahmefällen ein Rückgriff auf Unterhaltsverpflichtete stattfindet. Ein zuvoriger Einsatz des eigenen Vermögens sollte jedoch weiterhin gefordert werden. Ohne diese Vorgabe ließe sich diese steuerfinanzierte Sozialleistung kaum rechtfertigen.

  • 1 Vgl. Statistisches Bundesamt: Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Zeile „65 Jahre und älter“, www.destatis.de.
  • 2 Technisch formuliert liegt die Transferentzugsrate bei 100%.
  • 3 Vgl. Konzeptpapier des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Das Rentenpaket: Stichwort Zuschussrente, vom 7.8.2012.
  • 4 Eine Einordnung der ersten Überlegungen für die Zuschussrente findet sich bei W. Schmähl: Von der Rente als Zuschuss zum Lebensunterhalt zur „Zuschuss-Rente“, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 5, S. 312 f.
  • 5 Eine umfassende Kritik liefert M. Gasche: Bonusrente statt Zuschussrente, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 9, S. 605-611.
  • 6 Vgl. Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft: Gemeinsamer Vorschlag zur Rentenpolitik, vom 15.10.2012, www.cda-bund.de.
  • 7 Diese gilt noch für Beitragszeiten bis 1991.
  • 8 Vgl. Ergebnispapier des Koalitionsauschusses: Stetiges Wachstum und sichere Arbeitsplätze für ein starkes Deutschland, vom 5.11.2012
  • 9 So auch das Verständnis von Bundesministerin von der Leyen bezüglich dieses Modells, vgl. z.B. „Von der Leyen schlägt schon die Pflöcke ein“, in: Die Welt, vom 7.11.2012; und „Was sich für Patienten, Eltern und Rentner ändert“, in: Rheinische Post, vom 7.11.2012.
  • 10 Vgl. „Die Sache mit den zwei Zahnbürsten“, in: Süddeutsche Zeitung, vom 12.11.2012.
  • 11 Gemeinsames Papier: „Rentenzuschuss statt Zuschussrente“, www.sovd.de.
  • 12 Vgl. § 82 Abs. 3 SGB XII.
  • 13 Ausgehend von einer durchschnittlichen Höhe der Grundsicherung von rund 700 Euro und der zuvor beispielhaft angeregten Anrechnungsstaffel mögen dies folgende Beispiele verdeutlichen: Ein Altersvorsorgeeinkommen von 300 Euro würde nur zu 197,50 Euro angerechnet werden. Hieraus ergäbe sich ein Aufstockungsanspruch von 502,50 Euro. Insgesamt würde sich ein Gesamteinkommen von 802,50 Euro ergeben. Dieses übersteigt das zugrunde gelegte Durchschnittsniveau um den nicht angerechneten Einkommensteil von 102,50 Euro. Bei einem Einkommen von 500 Euro steigt der anrechnungsfreie Betrag auf 122,50 Euro und somit das Gesamteinkommen auf 822,50 Euro. Erst ab einem eigenen Einkommen von 858,33 Euro würde sich kein Aufstockungsanspruch mehr ergeben. Hier erreicht der anrechnungsfreie Betrag sein Maximum von 158,33 Euro. Bei der vom SoVD und ver.di vorgeschlagenen Anrechnungsstaffel würden sich deutlich höhere Haushaltsbelastungen ergeben. Hier erreicht der anrechnungsfreie Betrag bereits bei einem Einkommen von 300 Euro seinen Höchstwert von 175 Euro. Für alle, deren Altersvorsorgeeinkommen zwischen 300 Euro und 875 Euro beträgt, ergibt sich ein einheitliches Gesamteinkommen von 875 Euro. Dies zeigt zudem die kritisch zu sehende breite Nivellierung.

Title:Welfare Payments for the Elderly

Abstract:There is discussion in Germany about the future threat of widespread poverty among the elderly. Some argue that the social pension system will not be able to provide sufficiently for low-wage workers. At the same time, applying for welfare payments is seen as unfair in light of the lifetime achievements of the elderly. There are two basic approaches to deal with these concerns: adjusting the rules for welfare payments or changing the social pension system. Present proposals prove to be inadequate. Proposals to reform the social pension system in particular are inconsistent with basic principles. I present a proposal that will provide the right incentive while respecting the fundamental structure of the system. All other income arising from retirement provisions should be only partially credited against the welfare claim.


DOI: 10.1007/s10273-012-1462-4

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