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Das Schweizer Bankgeheimnis und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung haben in anderen Staaten zu erheblichen Verlusten bei den Haushaltseinnahmen und weitergehenden Wohlfahrtseinbußen geführt. Die Europäische Kommission ist bemüht, die Problematik nachhaltig zu lösen. Das paraphierte bilaterale Steuerabkommen Deutschlands mit der Schweiz zementiert demgegenüber vor allem die durch ein Abwehrdispositiv begründete ungleiche Behandlung von Arbeits- und Kapitaleinkommen im deutschen Steuersystem.

Die europäische Schuldenkrise hat zu hektischer Betriebsamkeit geführt, die das Ziel hat, Staaten durch Sparauflagen und Schuldenbremsen im Gesetzesrang davon abzubringen, weiterhin „über ihre Verhältnisse“ zu leben. Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfährt dagegen die Einnahmenseite. Das ist deshalb verwunderlich, weil etwa in Deutschland einem Budgetdefizit von 82 Mrd. Euro im Jahre 2010 hinterzogene Steuern im Volumen von geschätzten 150 Mrd. Euro gegenüberstanden.1 Eine zentrale Rolle spielen in diesem Zusammenhang natürlich die Steueroasen und hier nicht zuletzt die Schweiz mit ihrem 1934 in einem Gesetz verankerten Bankgeheimnis.2

Die oft emotional aufgeladenen Diskussionen über dieses Thema mit ihren verbalen Entgleisungen und moralischen Entrüstungen vernebeln den Blick auf die volkswirtschaftliche Bedeutung des Bankgeheimnisses. Die objektive Analyse der materiellen Betroffenheit der involvierten Parteien ist aber unverzichtbare Voraussetzung für Fortschritte in diesem schon lange schwelenden und sich gerade in Zeiten von Finanz- und Schuldenkrisen möglicherweise wieder verschärfenden Konflikt zwischen der Schweiz und der internationalen Gemeinschaft.

Dieser Beitrag untersucht drei Themenbereiche: am Anfang steht eine Diskussion der Auswirkungen des Bankgeheimnisses auf Entscheidungen internationaler Anleger; es folgt ein Blick auf die volkswirtschaftlichen Konsequenzen des Bankgeheimnisses im In- und Ausland; zuletzt wird die von Ländern wie Deutschland und Großbritannien verfolgte Strategie bilateraler Steuerabkommen mit der Schweiz kommentiert.

Optionen internationaler Anleger: Zahlenspiele

Der gut verdienende Monsieur Wilhelm Wedgwood, ein EU-Bürger, besitze ein Vermögen von umgerechnet 1 Mio. Franken. Angelegt in Staatsanleihen mit einer Rendite von 6%3 verdient er damit im Jahr 60 000 Franken.4 Bei einem EU-Steuersatz für seine Einkommensgruppe von, sagen wir, 50%, dem dieses Einkommen vollständig unterliegt, bleiben ihm Nettokapitaleinkünfte von 30 000 Franken. Die übrigen 30 000 Franken stehen dem Staat zu. Ob er sein Vermögen von einer heimatlichen Bank oder in der Schweiz verwalten lässt, ist bei korrekter Deklaration unerheblich.

Verrechnungssteuerpflichtige Anlage in der Schweiz

Vertraut er aber sein Vermögen einer Bank in der Schweiz an und vergisst die Deklaration, verändern sich die finanziellen Anreize. Zwar kommen seine Kapitaleinkommen auch in diesem Fall nicht ungeschoren davon, da die Bank hiervon 35% Verrechnungssteuer an die helvetischen Steuerbehörden abführt. Aber Monsieur WW würde nun schon bei einem Zinssatz von rund 30 000/(1 000 000 x 0,65) = 4,6% das gleiche Nettokapitaleinkommen erzielen, wie bei einer Kapitalanlage zu Hause. Den entstandenen Zinsspielraum von 6% - 4,6% = 1,4% teilen sich die Schweizer Bank und WW. Konkurrieren viele Banken intensiv um die Verwaltung seines Vermögens, wird WW eine Rendite nahe bei 6% erhalten. Verfügt die Schweizer Bank dagegen über Marktmacht, wird WW nur wenig mehr als 4,6% bekommen. Treffen sich Bank und WW in der Mitte des Zinsspielraums bei 5,3%, profitieren von den in der EU hinterzogenen Steuern von 30 000 Franken die Bank durch um 0,007 x 1 000 000 = 7000 Franken niedrigere Kapitalkosten, WW mit 4450 Franken, weil sein Nettokapitaleinkommen nun auf 0,053 (1 - 0,35) 1 000 000 = 34 450 Franken steigt, und schließlich der Schweizer Staat, der sich über ein zusätzliches Steueraufkommen in Höhe von 0,35 x 0,053 x 1 000 000 = 18 550 Franken freut.

Verrechnungssteuerfreie Anlage in der Schweiz

Verrechnungssteuer fällt in der Schweiz nur bei inländischen Vermögenserträgen an. Erwirbt Monsieur WW verrechnungssteuerfreie Titel wie ausländische Obligationen oder Aktien, würde ihm statt 6% bereits die halbe Rendite von 3% reichen, um in der Schweiz das in seinem Heimatland erreichbare Nettokapitaleinkommen von 30 000 Franken zu erzielen. Teilen sich Bank und WW wiederum diesen Spielraum bei einer Rendite von 4,5%, steigert WW sein Nettokapitaleinkommen von 30 000 auf 45 000 Franken und die Bank spart Kapitalkosten von 15 000 Franken.

Neuere Entwicklungen

Die Realität kennt viele Abweichungen vom hier unterstellten Basisszenario. Ein Beispiel ist das seit dem 1. Juli 2005 geltende Zinsbesteuerungsabkommen mit der Europäischen Union.

Das Zinssteuerabkommen mit der EU

Das Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU verpflichtet die Schweiz, von EU-Steuerpflichtigen mit Vermögen in der Schweiz einen seit 2011 auf 35% angestiegenen Steuerrückbehalt auf Zinserträge zu erheben. Hiervon gehen 75% an die Heimatländer und 25% bleiben der Schweiz. Wichtig ist, dass der Steuerrückbehalt nur bei (wenn auch breit gefassten) Zinserträgen anfällt und auch nur bei nichtschweizerischen Emittenten. Dies hat zur Folge, dass sich bei Anlagen, die der Verrechnungssteuer unterliegen und bei Anlagen im Ausland, die keine Zinserträge abwerfen, nichts ändert.

Aus der Sicht ausländischer Anleger sind zinstragende Papiere ausländischer Emittenten seit 2011 verrechnungssteuerpflichtigen inländischen Anlagen gleichgestellt. Vergisst Monsieur WW die Deklaration, erfolgt ein Steuerabzug von 35%, der unter seinem heimischen Steuersatz von 50% liegt. Den hieraus, analog zum oben beschriebenen Beispiel, entstehenden Zinsspielraum von 1,4% können sich wiederum Bank und WW in Form von um 7000 Franken niedrigeren Kapitalkosten und um 4450 Franken höheren Nettokapitaleinkommen teilen. Wieder fällt, unter nun anderem Namen, ein Steuerrückbehalt in Höhe von 18 550 Franken an, von dem die Schweiz 4637,50 Franken behält und 13 912,50 Franken an das Heimatland von Monsieur WW überweist. Dies ist zwar für die EU eine Verbesserung gegenüber dem früheren Zustand, muss aber vor dem Hintergrund gesehen werden, dass das EU-Land bei korrekter Deklaration 30 000 Franken an Steuern eingenommen hätte.

Die deutsche Abgeltungsteuer

Viele kleinere europäische Länder kennen schon seit einigen Jahren eine der Verrechnungssteuer ähnliche, an der Quelle erhobene Abgeltungsteuer für Kapitaleinkommen. Nationale Ausgestaltungen und Steuersätze sind unterschiedlich. In Deutschland, das am 1. Januar 2009 nachzog, liegt der Abgeltungsteuersatz inklusive Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer nahe 28%. Die Wirkung der Abgeltungsteuer im Vergleich zur eingangs beschriebenen Situation ist wiederum fallabhängig: Möchte der Anleger sein Vermögen in Finanzprodukten anlegen, die in der Schweiz verrechnungssteuerpflichtig sind, so wird er dies nun besser über seine deutsche Bank tun, da er dann Steuern im Umfang von 35 - 28 = 7 Prozentpunkten spart. Das Bankgeheimnis greift dann nicht mehr. Es greift aber weiterhin bei Finanzinstrumenten, die nicht der Verrechnungssteuer unterliegen.5 Unterstellen wir weiterhin eine jährliche Rendite von 6%, wirft WWs Million bei einer Anlage über eine deutsche Bank wieder brutto 60 000 Franken pro Jahr ab, von denen ihm bei einem Abgeltungsteuersatz von 28% Nettokapitaleinkünfte von 43 200 Franken bleiben und 16 800 Franken an das deutsche Finanzamt gehen. Vertraut er seine Million stattdessen einer in der Schweiz operierenden Bank an, erreicht er dieses Nettokapitaleinkommen bereits bei einer Rendite von 4,32%. Teilen sich Schweizer Bank und WW wiederum diesen Spielraum, indem eine Rendite von 5,16% gutgeschrieben wird, erzielt Letzterer eine Steigerung seines Nettokapitaleinkommens von 43 200 auf 51 600 Franken, und die Bank spart Kapitalkosten in Höhe von 8400 Franken. Dem deutschen Fiskus entgehen nun „nur noch“ 16 800 Franken.

Grundsätzlich reduziert die deutsche Abgeltungsteuer den Anreiz zur Steuerhinterziehung, sie eliminiert ihn aber wohl nur in eher seltenen Fällen. Außerdem ist sie nur eine zweitbeste Lösung, da sie zur Eindämmung der vom Bankgeheimnis ermöglichten Steuerhinterziehung suboptimal tiefe Steuersätze festlegt. Ähnliches gilt, wie oben dargelegt, für das Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU. Letztlich stellt nur ein weitgehender grenzüberschreitender Informationsaustausch hinreichend sicher, dass ausländische Staaten die ihnen zustehenden Steuern auf Vermögen und Vermögenseinkünfte wirklich erhalten. Selbstverständlich stünde es der Schweiz frei, das Bankgeheimnis gegenüber ihren Steuerpflichtigen beizubehalten, da dies ohne Konsequenz für andere Länder ist. Diese Rechenexempel für eine fiktive Einzelperson illustrieren das Grundproblem. Aber wie sieht dies in der Realität und gesamtwirtschaftlich aus?

Um welche Summen geht es?

Genaues weiß hier niemand, da sich viele der in diesem Kontext relevanten Transaktionen hinter dem Bankgeheimnis verbergen. Dass es aber nicht um die Portokasse geht, zeigen einfache Überschlagsrechnungen.

Nach Schätzungen der Schweizerischen Bankiervereinigung verwalteten Schweizer Banken 2008, also zu Beginn der Finanzkrise und vor Inkrafttreten der deutschen Abgeltungsteuer, 1,85 bis 2,15 Billionen Franken ausländischen Privatvermögens. Von der Nationalbank publizierte Daten liegen deutlich niedriger. Dagegen gehen mit diesen Fragen befasste Nichtregierungsorganisationen von noch weit höheren Beträgen aus.

Verwenden wir die Mitte der Schätzung der Bankiervereinigung und unterstellen, die gesamten daraus erwirtschafteten Erträge würden den heimischen Steuerbehörden verschwiegen: Die aus einem Vermögen von 2 Billionen Franken erwirtschafteten Kapitalerträge belaufen sich bei einer unterstellten Rendite von 6% auf 120 Mrd. Franken.6 Bei einem Grenzsteuersatz von 50% für die hauptsächlich involvierten Einkommensschichten führt dies zu Steuerausfällen von 60 Mrd. Franken.7 Dies ist das dem gesamten Ausland, nicht der EU allein, jährlich in Folge des Bankgeheimnisses der Schweiz durch Steuerhinterziehung aus dieser Quelle vorenthaltene Steueraufkommen.8

Um welche Beträge es aus längerfristiger Perspektive geht, ist angesichts fehlender Datenreihen noch schwerer abzuschätzen.9 Um auch hier einen Eindruck von der Größenordnung zu erhalten, unterstellen wir, die ausländischen Privatvermögen in der Schweiz hätten sich seit dem 2. Weltkrieg parallel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) entwickelt. Dann hätten z.B. 1949 bei einem Schweizer BIP von 20,08 Mrd. Franken Schweizer Banken knappe 80 Mrd. Franken ausländischen Privatvermögens verwaltet. Der Steuerausfall des Auslands in diesem Jahr errechnet sich dann, analog zum obigen Vorgehen, auf 2,3 Mrd. Franken. Hätte man diesen Betrag dem Ausland damals gutgeschrieben und während der folgenden 63 Jahre zu den Wachstumsraten des nominalen Schweizer BIP verzinst, eine eher konservative Annahme, wäre er heute genau die gleichen 60 Mrd. Franken wert, den das Ausland auch 2008 als Steuerausfall verzeichnen musste. Da gleiche Überlegungen für jedes dieser 60 Jahre gelten, hätten ausländische Staaten, welche die von ihren Einwohnern unter dem Schutz des Bankgeheimnisses hinterzogenen Steuern jedes Jahr in der Schweiz angelegt hätten, über diesen Zeitraum bis 2008 Forderungen im Umfang von 60 x 60 Mrd. = 3,6 Billionen Franken angehäuft.10

Dies signalisiert aber nur die Größenordnung der aufsummierten Steuerverluste des Auslands allein gegenüber der Schweiz, und nur die Auswirkungen der Privatpersonen ermöglichten Steuerhinterziehung. Und er berücksichtigt nur nicht bezahlte Steuern auf die Erträge der in der Schweiz versteckten Vermögenswerte. Da diese Schwarzgelder meist schon bei ihrer Entstehung auch nicht als Einkommen versteuert wurden, sind hier den Herkunftsländern weitere Steuerausfälle von einer knappen Billion entstanden, was den Gesamtschaden auf geschätzte 4,5 Billionen Franken erhöht.

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Beträge dieser Größe führen zu Verwerfungen, auf die Märkte und Politik reagieren, und die somit weit über den Finanzsektor hinauswirken.

Die Auswirkungen im Ausland

Steuern dienen der Finanzierung staatlicher Aufgaben. Diese umfassen öffentliche Güter wie die innere und äußere Sicherheit, die der Markt nicht bereitstellen kann, aber auch Bildung, Infrastruktur oder die Altersvorsorge, deren Bereitstellung man dem Markt nicht (vollständig) überlassen will. Umfang und Struktur der vom Staat bereitzustellenden Leistungen, und damit auch die zur Finanzierung benötigten Steuern, bestimmt in einer Demokratie die Bevölkerung. Diese besitzt nicht in allen Ländern die gleichen Präferenzen. Wenn Steuersätze in EU-Ländern höher sind als in der Schweiz, heißt das nicht, dass sie dort zu hoch sind, sondern nur, dass die Wähler einen aktiveren Staat wünschen als Schweizer.

Führt nun das Bankgeheimnis im Ausland zu Steuerausfällen, können die von den Wählern gewünschten staatlichen Aktivitäten nicht mehr wie geplant finanziert werden. Will die Regierung dann strukturelle Haushaltsdefizite der öffentlichen Hand vermeiden, muss sie Einnahmen und Ausgaben wieder zusammenführen – durch Erhöhung der Steuersätze auf nicht so leicht zu verbergende Einkommen (sprich: Arbeitseinkommen) und die Reduktion staatlicher Aktivitäten unter das von den Bürgern ursprünglich gewünschte Maß.

Als Folge erhöhter Steuersätze sinken die verfügbaren Arbeitseinkommen, das Arbeitsangebot geht zurück, ebenso das Volkseinkommen, der Konsum, die Spartätigkeit und das Vermögen. Diese breitgefächerte Dämpfung der Wirtschaftstätigkeit führt im Zusammenspiel mit dem Abbau staatlicher Leistungen zu einem ausgeprägten Wohlfahrtsverlust.11

Konsequenzen für die Schweiz

Die volkswirtschaftlichen Konsequenzen für die Schweiz verlaufen weitgehend spiegelbildlich. In dem Ausmaß, wie beim Schweizer Fiskus ausländische Verrechnungssteuern anfallen, für die ja keine staatliche Gegenleistung erbracht werden muss, kann der inländische Steuerzahler entlastet oder das staatliche Leistungsangebot ausgedehnt werden. Als Folge niedrigerer Steuersätze steigen alle relevanten makroökonomischen Variablen: die Arbeits- und Kapitaleinkommen (insbesondere nach Steuern), das Arbeitsangebot, das Volkseinkommen, der Konsum, die Spartätigkeit und das Vermögen. Diese Verbesserung aller wesentlichen wirtschaftlichen Variablen führt zusammen mit dem Ausbau staatlicher Leistungen zu einer eindeutigen Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt.

Festzuhalten ist, dass die eingangs für Banken beschriebenen Primärwirkungen des Bankgeheimnisses auf weitere Sektoren durchschlagen. So führen hohe Löhne für Bankangestellte aufgrund der Konkurrenz um ein beschränktes Arbeitsangebot dazu, dass auch in anderen Branchen höhere Löhne gezahlt werden. Und dieses generell hohe Lohn- und Einkommensniveau ist wiederum eine Ursache für die Hochpreisinsel Schweiz und den starken Franken. Vergleichbares gilt für die Zinsinsel Schweiz, die im Wesentlichen reflektiert, dass hier ansässige Banken billiger zu Kapital kommen als ihre Konkurrenz im Ausland.

Zukunftsmusik: bilaterale Abkommen oder Informationsaustausch?

Die genannten Zahlen zeigen, dass der Finanzplatz Schweiz die Entwicklung der europäischen und auch außereuropäischen Staatsfinanzen in erheblichem Maße belastete und weiter belastet. Dies ist nicht ohne Reaktion geblieben. Die USA beispielsweise konnten gegenüber der Schweiz schon vor Jahren durchsetzen, dass Konten von Kunden mit Wohnsitz und Steuerpflicht in den USA den US-Steuerbehörden zu melden sind. Diese ziehen die Schraube zunehmend weiter an und haben viele Schweizer Banken so verschreckt, dass sie keine US-Bürger mehr als Kunden annehmen und bestehende Konten kündigen.

Europa gibt sich konzilianter und ist uneinig. So strebt die Europäische Kommission den automatischen Informationsaustausch an, konnte ihn bislang allerdings noch nicht einmal innerhalb der EU durchsetzen. Vielleicht aus Ungeduld, aber die Bestrebungen der EU im Endeffekt unterlaufend, haben Deutschland und Großbritannien inzwischen weitgehend deckungsgleiche bilaterale Steuerabkommen ohne automatischen Informationsaustausch mit der Schweiz ausgehandelt.

Zwei zentrale Bestimmungen des Vertrags zwischen der Schweiz und Deutschland lauten:

  1. Von Schweizer Banken verwaltete Schwarzgelder aus Deutschland werden einmalig mit einem Satz von 19% bis 34% nachversteuert und gelten danach als legal. Der Satz ist umso höher, je länger das Vermögen schon in der Schweiz liegt und je langsamer es in dieser Zeit gewachsen ist.
  2. Bestimmte Kapitalerträge werden künftig mit einem Satz versteuert, der sich an der deutschen Abgeltungsteuer orientiert. Diese Beträge werden anonym von Schweizer Zahlstellen eingesammelt und nach Deutschland überwiesen.

Inhalt und zu erwartende Auswirkungen dieses Abkommens wurden inzwischen intensiv diskutiert.12 Angesichts vieler Schlupflöcher in diesem Vertrag wird mehrheitlich davon ausgegangen, dass die aus der Schweiz zu erwartenden Zahlungen die in Deutschland erlittenen Steuerausfälle nicht annähernd kompensieren werden.

Diesbezügliche Prognosen können sich auf die ins Auge gefassten Abschlagszahlungen und die Erfahrungen aus dem schon oben angesprochenen, 2005 in Kraft getretenen Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und der EU stützen. Aus diesem Abkommen steht Deutschland seit 2009 eine Quellensteuer von 20% auf die Zinsen auf deutsche Schwarzgelder in der Schweiz zu – ein Satz der nicht weit unter demjenigen liegt, den das bilaterale Abkommen nun vorsieht. Überwiesen wurden aus der Schweiz für die Jahre 2009 und 2010 jeweils gut 100 Mio. Franken. Zur Erinnerung: Man schätzt, dass deutsche Steuerflüchtlinge 200 Mrd. Franken auf Schweizer Konten verstecken.13

Ähnlich dürftig wirkt die zugesagte Nachbesteuerung schwarzer Vermögen in der Schweiz. Steuersätze zwischen 19% und 34% auf die vermuteten 200 Mrd. Franken deutscher Vermögen versprechen hier Nachzahlungen im Bereich zwischen 38 und 68 Mrd. Franken. Die im Abkommen zugesagte Garantiesumme von gerade einmal 2 Mrd. Franken lässt ahnen, dass sich die Vertragspartner bei der Erwartung getroffen haben, dass ein Großteil dieser Vermögen die lange Zeit bis zum geplanten Inkrafttreten des Abkommens im Jahre 2013 nutzen wird, um sich einer Besteuerung durch rechtzeitigen Unterschlupf in Trusts, Stiftungen, Lebensversicherungen, Schließfächern oder anderen Steueroasen zu entziehen.

Aus diesen Zahlen kann man nur schließen, dass dieser Vertrag den Status quo der Steuerhinterziehung nicht nachhaltig verändern oder gar lösen würde.

Ein wichtigerer, fundamentaler Einwand gegen das bilaterale Steuerabkommen lautet aber, dass es die Steuerhoheit an ausländische Banken überträgt und der deutschen Politik die Autonomie in der Steuergesetzgebung raubt. Der zum 1. Januar 2009 mit der Einführung der Abgeltungsteuer vorgenommene Systemwechsel von einer synthetischen, alle Einkommensarten gleich behandelnden Einkommensteuer zu einem dualen, die Kapitaleinkommen privilegierenden Ansatz wird zementiert. Der Systemwechsel kann für die Dauer des Abkommens nicht mehr revidiert werden. Die Rückführung von Kapitaleinkommen in die Progression der Einkommensteuersätze, ihr Einbezug in die Umverteilungsziele des Sozialstaats, bleibt verwehrt.14 Dies ist umso gravierender, als der Status quo der die Steuersätze auf Vermögenseinkommen deckelnden Abgeltungsteuer ja nicht das vom Souverän gewünschte Optimum ist, sondern eine zweitbeste Lösung, ein Abwehrdispositiv gegen die von den ausländischen Steueroasen gedeckte Steuerhinterziehung. Will man die Selbstbestimmung in der Steuergesetzgebung nicht aufgeben, kann man nicht auf Informationsaustausch in der einen oder anderen Form verzichten.

Fazit

Das Bankgeheimnis behindert andere Staaten massiv in der Erhebung ihnen anerkannterweise zustehender Steuern und damit in der Erfüllung ihrer in einem demokratischen Prozess festgelegten Aufgaben. In letzter Zeit eingegangene Konzessionen der Schweiz mildern dieses Problem, lassen es aber in der im Ausland zu einschneidenden Wohlfahrtsverlusten führenden Substanz unverändert. Das zwischen der Schweiz und Deutschland paraphierte bilaterale Steuerabkommen wird den deutschen Finanzämtern nicht annähernd die Steuereinnahmen zuführen, die ihnen zustehen. Vor allem aber verbaut es dem Gesetzgeber den Weg zurück zur ursprünglich offensichtlich von den Wählern gewünschten Gleichbehandlung von Vermögens- und Arbeitseinkommen bei der Finanzierung öffentlicher Aufgaben. Dass man auf diese Souveränität nicht verzichten muss, demonstrieren die USA. Wieder erlangen können andere Länder die Selbstbestimmung in der Steuergesetzgebung letztlich nur mittels Informationsaustausch. Bilaterale Abkommen, wie sie Deutschland und Großbritannien paraphiert haben, unterlaufen diesbezügliche Anstrengungen der Europäischen Kommission und erscheinen als kurzsichtiges Flickwerk mit absehbarem Verfallsdatum.

  • 1 Tax Justice Network. The cost of tax abuse: A briefing paper on the cost of tax evasion worldwide, http://www.tackletaxhavens.com/Cost_of_Tax_Abuse_TJN%20Research_23rd_Nov_2011.pdf (11.1.2012).
  • 2 Die ganze Breite der Thematik Steuerehrlichkeit und Steuergerechtigkeit wird in einem Zeitgespräch in: Wirtschaftsdienst, 88. Jg. (2008), H. 4 aufgerollt, mit Beiträgen von R. Peffekoven (Steuerhinterziehung ist nur über Reformen in den Griff zu bekommen), C. Schaltegger, F. Schneider, B. Torgler (Vertrauen als Basis: warum verstärkte Kontrollen und schärfere Strafen nicht helfen), G. Kirchgässner (Fairness, Steuermoral und Steuerhinterziehung) und D. Ondracek (Steuerverwaltung stärken!); vgl auch D. Cansier: Kontrollen und Sanktionen zur Eindämmung der Zinssteuer-Flucht, in: Wirtschaftsdienst, 88. Jg. (2008), H. 4.
  • 3 Die bei unseren Rechenbeispielen unterstellte Rendite entspricht der durchschnittlichen Rendite deutscher, schweizerischer und US-amerikanischer Staatsanleihen im Zeitraum von 1946 bis 2006.
  • 4 An der am 6.9.2011 von der Schweizerischen Nationalbank festgesetzten Wechselkursuntergrenze von 1,20 Franken pro Euro sind dies 50 000 Euro.
  • 5 Von der Verrechnungssteuer befreit und damit für ausländische Anleger unter steuerlichen Gesichtspunkten besonders attraktiv sind ausländische Vermögenstitel, also z.B. auch deutsche Staatsanleihen.
  • 6 Zur Orientierung: Die jährliche Rendite des Standard&Poor’s-500-Index lag zwischen Dezember 1945 und Dezember 2006 inklusive ausgezahlter Dividenden im Durchschnitt bei knapp 8%. Staatsanleihen rentierten von 1956 bis 2005 in der Schweiz, Deutschland und den USA mit jährlich 4,21%, 6,80% respektive 6,71%.
  • 7 Der Kontrast zwischen weit in den zweistelligen Milliardenbereich hineinreichenden Steuerausfällen und dem von der Schweiz im Jahr 2008 im Rahmen des Zinsbesteuerungsabkommens an die EU-Mitgliedstaaten überwiesenen Betrag von 0,49 Mrd. Franken unterstreicht die eher kosmetische Bedeutung dieses Abkommens. Anders gerechnet: 2007 galt ein Steuerrückbehalt von 15%. Wenn die Verzinsung auch nur 3% betrug, steht hinter der Überweisung an die EU-Länder ein Vermögen von 0,49 Mrd. / (0,03 x 0,15 x 0,75) = 145 Mrd. Das Zinsbesteuerungsabkommen erfasst also keine 10% des ausländischen Privatvermögens in der Schweiz.
  • 8 Es ist festzuhalten, dass das Bankgeheimnis nicht nur die Hinterziehung von Steuern auf Kapitaleinkommen und Vermögen erleichtert. Es behindert z.B. auch das Vorgehen gegen Schwarzarbeit oder die Abwicklung privater oder unternehmerischer Konkurse.
  • 9 Die Schätzung der Schweizerischen Bankiervereinigung resultiert aus einer erstmalig durchgeführten Befragung. Die von der Nationalbank publizierten Daten reichen bis zum Dezember 1998 zurück.
  • 10 Diese Schätzung der durch das Bankgeheimnis der Schweiz allein verursachten und auf ihren Gegenwartswert hochgerechneten Steuerausfälle seit dem 2. Weltkrieg unterschätzt die globale Dimension. Gegenüber allen Steueroasen der Welt dürfte die Summe dieser Ausfälle in den zweistelligen Billionenbereich hineinreichen.
  • 11 Die hier postulierten volkswirtschaftlichen Implikationen des Bankgeheimnisses stützen sich auf F. Brevik, M. Gärtner: Welfare and Distribution Effects of Bank Secrecy Laws, Universität St. Gallen, Volkswirtschaftliche Abteilung, Diskussionspapier Nr. 2005-07; und F. Brevik, M. Gärtner: Can Tax Evasion Tame Leviathan Governments?, in: Public Choice 136, 2008.
  • 12 Für einen Kurzkommentar, siehe z.B. G. Krause-Junk: Ambivalentes Ergebnis, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 9. Eine ausführliche Analyse findet sich in M. Henn, M. Meinzer: Für eine Handvoll Euro und Daten – Deutschland kapituliert vor dem Schweizer Bankgeheimnis, Tax Justice Network 2011, http://www.taxjustice.net/cms/upload/pdf/Deutsch/2011-Deutsch-Schweizer-Abgeltungsabkommen-Analyse-Update.pdf (11.1.2012). Die in der parlamentarischen Opposition gegen das Steuerabkommen vorgetragenen Argumente sind zusammengefasst in G. Schick, F. Bausch, W. Kogler: Die bilateralen Abkommen mit der Schweiz untergraben die Anstrengungen der EU-Länder, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.1.2012.
  • 13 Siehe o.V.: Ein Steuerparadies weniger, in: Financial Times Deutschland vom 10.8.2011. Eine Bandbreite von 160 bis 220 Mrd. Franken wird genannt in D. Schönwitz: Wie der Fiskus bei Schwarzgeld abkassiert, in: Wirtschaftswoche, 10.8.2011. Einen Betrag zwischen 100 und 300 Mrd. Euro nennt J. Brambusch: Die Kriminalpolizei bebt, in: Financial Times Deutschland vom 12.8.2011.
  • 14 Die Deutschland mit diesem Abkommen verunmöglichte synthetische Einkommensteuer und progressive Besteuerung der Kapitaleinkommen gibt es übrigens in der Schweiz sehr wohl, mit Grenzsteuersätzen, die im Kanton Waadt an der 50%-Marke kratzen. Das Bankgeheimnis unterläuft deshalb auch in der Schweiz anvisierte Umverteilungsziele. Siehe M. Gärtner: Bankgeheimnis und Verrechnungssteuer: Konsequenzen für die Steuerehrlichkeit in den Kantonen der Schweiz, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 12. Jg. (2011), H. 3.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1336-9

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