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Der Insolvenzantrag bildet die Ultima Ratio für die Geschäftsführung eines Unternehmens – dann sind alle anderen Möglichkeiten einer Sanierung ausgeschöpft, Finanziers oder Übernahmeinteressenten wurden nicht gefunden, und die Liquiditätssituation oder Verschuldungslage lassen keine andere Wahl mehr, als das zuständige Insolvenzgericht anzurufen. Viele Unternehmensführungen warten aufgrund der mit einer Pleite verbundenen Stigmatisierung zu lange, bis sie diesen Schritt machen: Immer wieder zeigt sich, dass die Verschuldungssituation bei realistischer Einschätzung der Lage schon früher den Insolvenzantrag unumgänglich gemacht hätte. Durch die Verzögerung wird dann nicht selten das Hauptziel der Insolvenzrechtsreform von 1999, nämlich das Überleben des Unternehmens oder zumindest von Betriebsteilen durch Verkauf oder Sanierung zu ermöglichen, untergraben.

Im Jahr 2011 mussten etwas mehr als 30 000 Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen, da sie überschuldet waren oder keine ausreichende Liquidität aufwiesen, um ihre Geschäfte fortzuführen (vgl. Abbildung 1). Dies waren 6% weniger als im Vorjahr und 8% weniger als im Krisenjahr 2009. Vor 1990 lag die Insolvenzzahl in der alten Bundesrepublik meist bei weniger als 10 000 Fällen und im Maximum (1986) bei 13 600. Nach der deutschen Vereinigung und dem Aufbau der ostdeutschen Unternehmenslandschaft kam es zu einer spürbaren Zunahme der Insolvenzen, 1998 lag die Fallzahl fast bei 28 000.

Abbildung 1
Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen
Röhl Abb-1.ai

Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

Der konjunkturelle Einfluss

Entgegen landläufigen Erwartungen hat der Konjunkturverlauf kurzfristig nur begrenzten Einfluss auf die Insolvenzen. Zwar ist die Zahl der eröffneten und mangels Masse abgelehnten Insolvenzverfahren in der Rezession von 2009 um 11,5% auf 32 700 angestiegen, doch handelte es sich hier auch um den tiefsten Konjunktureinbruch der Nachkriegsgeschichte. In den Jahren 2005 und 2006 lag die Insolvenzzahl noch deutlich höher als im Krisenjahr 2009, fiel 2007 aber auf unter 30 000 Fälle.

Die zurückliegende schwere Rezession zeigte sich weit stärker in der Höhe der Insolvenzschäden als in der Zahl der Pleiten: 2009 wurden nach Berechnungen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform Forderungsausfälle und Schäden von fast 79 Mrd. Euro verbucht, da vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Einbruchs weit mehr größere Betriebe aufgeben mussten als sonst üblich, und insbesondere Industrieunternehmen – etwa die Autozulieferer – überdurchschnittlich betroffen waren.1 Der Durchschnittsschaden je Fall betrug mit über 1,9 Mio. Euro fast viermal so viel wie 2011. In der letzten Dekade mussten nie so wenige große Firmen den Gang zum Insolvenzrichter antreten wie 2011. Dies spiegelt sich sowohl in der Zahl der betroffenen Arbeitsplätze, die mit 236 000 einen Tiefststand erreichte, wie auch in den materiellen Insolvenzschäden in Höhe von 23,3 Mrd. Euro; 27% weniger als im Nachkrisenjahr 2010 und nur geringfügig mehr als 2007.

Die Gesamtzahl der Insolvenzen wird hingegen von den Kleinunternehmen bestimmt. Viele dieser Kleinbetriebe sind noch jung, wenn es zur Insolvenz kommt. Anderen Untersuchungen zufolge überlebt etwa die Hälfte der Neugründungen die ersten fünf Geschäftsjahre nicht; ein Hinweis darauf, dass Fehler im Management oder eine falsch eingeschätzte Marktsituation zum Gründungszeitpunkt oft einen größeren Einfluss haben als die Konjunkturlage. Der Anteil der Firmen, die ihre wirtschaftliche Existenz nach maximal zwei Jahren wieder beenden mussten, lag nach Berechnungen von Creditreform 2011 bei einem Sechstel der insolventen Unternehmen (16,4%).2 Haben neu gegründete Unternehmen die ersten vier Jahre überstanden und sich am Markt etabliert, nimmt ihre Insolvenzwahrscheinlichkeit deutlich ab.

Große Insolvenzfälle

2012 scheinen wieder mehr große Unternehmen betroffen zu sein, so dass die Insolvenzschäden tendenziell steigen dürften. Nach dem Druckmaschinenhersteller Manroland im November 2011 mussten 2012 mit der Drogeriekette Schlecker, dem Versandhändler Neckermann sowie mit den Solarunternehmen Q-Cells und Sovello bereits vier Schwergewichte aus ganz unterschiedlichen Branchen die Insolvenzgerichte anrufen. Doch diese Häufung hat nichts mit der aktuellen Konjunkturlage zu tun. Betroffen sind Firmen, die bereits länger in Schwierigkeiten waren. Die Schlecker-Insolvenz rührt nicht daher, dass die Deutschen weniger Drogerieartikel kaufen – andere Anbieter wie Rossmann und DM prosperieren. Für Neckermann kam der Schritt ins Online-Geschäft zu spät. Konkurrenten wie Zalando expandieren stark. Im Solarmarkt treffen Überkapazitäten auf einen durch chinesische Wettbewerber ausgelösten Preiskampf, der die deutschen Hersteller trotz der garantierten Einspeisevergütung auf dem Heimatmarkt zunehmend unter Druck setzt.

Gerade wenn Großunternehmen in Schwierigkeiten geraten, wird der Ruf nach staatlicher Hilfe zur Rettung des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze durch den Staat laut. Doch ist bei öffentlichen Sanierungshilfen auch ihr Einfluss auf den Markt zu beachten. Der Ausleseprozess wird behindert und nicht selten werden Überkapazitäten künstlich erhalten. Generell besteht die Gefahr, dass mit Hilfe von Steuergeldern die Marktpreise gedrückt und bis dato gesunde Wettbewerber unterboten werden, die dadurch eventuell als nächste in die Verlustzone geraten. Unter dem Strich werden keine Arbeitsplätze gerettet.

Stattdessen kann ein Insolvenzverfahren die Möglichkeit zu einer Senkung drückender Schulden und einer Sanierung des ganzen Geschäfts oder zumindest lebensfähiger Bereiche eröffnen. So produziert beispielsweise das Solarunternehmen Q-Cells bislang trotz Insolvenz nahezu ohne Einschränkungen weiter. Im US-amerikanischen Insolvenzrecht ist diese Herangehensweise schon länger vorgesehen. Die Sanierung von Unternehmen geht im Insolvenzfall vor, eine Liquidierung kann oft vermieden werden.

Die Insolvenzrechtsreform von 1999

Auch in Deutschland ist bereits seit 1999 das so genannte Insolvenzplanverfahren im Insolvenzrecht, bei dem der Sanierung überlebensfähiger Unternehmen Vorrang vor einer Liquidation eingeräumt wird, verankert. Dabei bietet ein Insolvenzverfahren eine Chance zum Neuanfang, wenn es eine gesunde Substanz gibt. Ähnlich den Chapter-11-Regelungen des US-amerikanischen Insolvenzrechts können die Geschäfte in der Insolvenz unter Gläubigerschutz weitergeführt werden, während sich der Insolvenzverwalter um Sanierung oder Verkauf von Unternehmensteilen bemüht. Zudem muss seit der Rechtsreform, die auch das bis 1998 noch divergierenden west- und ostdeutsche Insolvenzrecht vereinheitlichte, schon bei drohender Überschuldung eine Insolvenz angemeldet werden. Andernfalls liegt eine Insolvenzverschleppung vor, die mit bis zu drei Jahren Haft geahndet wird. Dies war eine Reaktion darauf, dass nach altem Insolvenzrecht immer mehr Konkurse mangels Masse abgelehnt werden mussten. Die Wirkung der Reform scheint aber begrenzt zu sein, da sich noch immer in vielen Insolvenzfällen herausstellt, dass keine verwertbare Substanz mehr verfügbar ist.

Neben dem aufgezehrten Unternehmenswert kann sich auch der rigide deutsche Kündigungsschutz als Sanierungshürde erweisen. Dieser überdauert das Insolvenzverfahren und trifft auch den Neueigentümer. So konnte für Schlecker offenbar auch deshalb kein Investor gefunden werden, weil Filialschließungen und damit verbundene Entlassungen unvermeidlich waren. Kein potenzieller Übernehmer wollte jedoch das Risiko tausender Kündigungsschutzklagen auf sich nehmen, so dass letztlich alle Arbeitsplätze weggefallen sind.

Die Unternehmensinsolvenzen sind nur ein Ausschnitt aus dem gesamten Insolvenzgeschehen, und sie bilden nur einen Teil der Unternehmensschließungen ab. 70% aller Firmen in Deutschland sind Einzelunternehmen, bei denen der Unternehmer persönlich für sein Geschäft haftet. Hier sind Betriebsschließungen ohne Insolvenzantrag und -verfahren eher die Regel als die Ausnahme. Legt man die Statistik der Gewerbean- und -abmeldungen zugrunde, so sind 2011 ca. 383 000 Unternehmen liquidiert worden,3 also fast zwölfmal mehr, als Insolvenzverfahren eingeleitet wurden. Gleichzeitig verbergen sich unter den „übrigen“ Insolvenzfällen in der Statistik viele Pleiten von ehemals Selbstständigen, deren Vermögen nicht zur Begleichung der Verbindlichkeiten ausreicht. 2011 waren dies 21 560 zusätzliche Fälle.

Sektorale und regionale Entwicklung

Bezogen auf die Wirtschaftssektoren sind es Dienstleistungen und Handel, in denen der Großteil der Unternehmensinsolvenzen stattfindet, und die die zahlenmäßige Entwicklung bestimmen. 2011 stellten diese beiden Sektoren drei Viertel aller Insolvenzfälle. Dienstleistungen und Handel sind überwiegend kleinbetrieblich strukturiert. Bei den Kleinbetrieben ist zwar die Konjunkturreagibilität höher als bei Großunternehmen, die aufgrund üblicherweise höherer Reserven auch bei problematischer Geschäftslage länger durchhalten können, bis sie Insolvenz anmelden müssen. Doch gleichzeitig sind diese Sektoren weniger stark dem Konjunkturzyklus ausgesetzt als das Verarbeitende Gewerbe, dessen Wirtschaftsleistung 2009 um ein Fünftel sank.

Schaut man auf das Insolvenzgeschehen in den Bundesländern, so sticht Nordrhein-Westfalen durch besonders hohe Insolvenzzahlen heraus – nicht nur absolut, was angesichts der Größe des Landes zu erwarten wäre, sondern auch relativ bezogen auf den Unternehmensbestand. Mit 11 215 Insolvenzen entfielen 2011 37% aller Fälle auf das westliche Flächenland. 150 Insolvenzen je 10 000 Unternehmen bedeuteten eine gegenüber dem Bundesdurchschnitt um fast 80% erhöhte Insolvenzwahrscheinlichkeit ((vgl. Abbildung 2). Mit 47 Insolvenzen je 10 000 Unternehmen war die Wahrscheinlichkeit für eine Firma in Baden-Württemberg, insolvent zu werden, nicht einmal ein Drittel so groß. Zwar ist das südwestdeutsche Land ebenso wie Bayern wirtschaftsstark und hat eine geringe Arbeitslosigkeit, trotzdem sind die Unterschiede in der Insolvenzhäufigkeit überraschend groß und durch die Wirtschaftslage und -struktur kaum zu erklären. So weist Thüringen die drittniedrigste Insolvenzhäufigkeit auf. Die Arbeitslosigkeit ist hier zwar mit ca. 8% die geringste Ostdeutschlands, gleichzeitig ist das Bundesland aber sehr kleinbetrieblich strukturiert und hat gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern, das ebenfalls eine geringe Insolvenzhäufigkeit aufweist, die schwächste Wirtschaftsleistung je Einwohner in Deutschland. Generell ist die Zahl der Insolvenzen in den neuen Ländern zuletzt stark gesunken, die Insolvenzwahrscheinlichkeit unterschreitet inzwischen sogar den westdeutschen Durchschnitt.

Abbildung 2
Insolvenzhäufigkeit nach Bundesländern
Röhl Abb-2.ai

Insolvenzhäufigkeit: Insolvenzfälle 2011 pro 10 000 Unternehmen (Unternehmensregister, Stand 2009).

Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

Entwicklung am aktuellen Rand

In den ersten fünf Monaten 2012 war die Insolvenzzahl weiter rückläufig, mit 12 680 Fällen wurde der Vorjahreswert um 1,2% unterschritten. Der Ausblick auf das zweite Halbjahr 2012 ist derzeit allerdings schwierig. Während die Eurozone bereits in eine Rezession eingetreten sein dürfte, meldeten die deutschen Unternehmen bis zum Frühjahr weiterhin gute Geschäfte. Inzwischen weisen die wirtschaftlichen Indikatoren aber auch für Deutschland nach unten. Allerdings haben viele Firmen ihr Eigenkapital so weit aufgestockt, dass ausreichende Polster für eine milde Rezession vorhanden sind. Die Unternehmen erreichten zuletzt eine historisch hohe Eigenmittelquote von durchschnittlich 27,5%.4 Die Zahl der Firmeninsolvenzen könnte daher im weiteren Jahresverlauf selbst dann auf niedrigem Niveau verharren, wenn das Wachstum zum Erliegen käme. Größere Unternehmen dürften erst nach einem längeren Abschwung in Schwierigkeiten geraten, während kleinere Betriebe überwiegend binnenmarktorientiert sind und von dem Rekordniveau der Erwerbstätigkeit in Deutschland profitieren. Kreditversicherer wie Euler-Hermes oder Atradius rechnen denn auch für das Gesamtjahr 2012 mit einer Stagnation auf Vorjahresniveau bis zu einer maximal 5%igen Zunahme der Insolvenzfälle. Trübt sich das Umfeld nicht weiter ein, wäre in Anbetracht des bisherigen Rückgangs auch ein leichtes Unterschreiten des Vorjahresniveaus möglich.

  • 1 Vgl. Creditreform: Insolvenzen, Neugründungen, Löschungen, Jahr 2011.
  • 2 Ebenda, S. 18.
  • 3 Vgl. Institut für Mittelstandsforschung: Gründungs- und Liquidationsstatistik, Ergebnisse für das Jahr 2011, Bonn 2012, http://www.ifm-bonn.org/index.php?id=612.
  • 4 Deutsche Bundesbank: Ertragslage und Finanzierungsverhältnisse deutscher Unternehmen im Jahr 2010, in: Monatsbericht, Dezember 2011, S. 47.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1431-y