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Immer wieder werden Leistungsbilanzungleichgewichte – insbesondere zwischen Deutschland und den Krisenländern – innerhalb des Euroraums für die Krise mitverantwortlich gemacht. Die Defizite der Krisenländer sind gegenüber Deutschland seit 2008 aber deutlich zurückgegangen, während das Ungleichgewicht gegenüber China weiter besteht – vor allem aufgrund der harten Konkurrenz mit den chinesischen Textil-, Bekleidungs- und Schuhproduzenten. Eine Aufwertung des Renminbi und eine stärkere externe Nachfrage aus anderen EU-Ländern würde den Krisenländern helfen.

In der öffentlichen Diskussion werden häufig die Leistungsbilanzungleichgewichte innerhalb des Euroraums für die Krise mitverantwortlich gemacht. Sie werden dabei als ein internes Problem des Euroraums angesehen. Es wird argumentiert, dass der Euroraum insgesamt eine relativ ausgeglichene Leistungsbilanz ausweise und die Überschüsse, insbesondere Deutschlands, den Defiziten der Krisenländer – Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien – entsprechen. Es wird behauptet, dass die internen Ungleichgewichte im Euroraum das Problem seien und durch eine Verbesserung der Wettbewerbsposition der Krisenländer, insbesondere durch interne Abwertungen, gelöst werden müssen, da es innerhalb des Euroraums keine Wechselkurse und damit keine nominelle Abwertung mehr gibt.

Eine genauere Analyse der Handels- und Dienstleistungsbilanzen der Krisenländer zeigt jedoch, dass diese Einschätzung nur bis 2004 zutraf. Im Jahre 2004 hatten Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien in ihren Handels- und Dienstleistungsbilanzen gegenüber der gesamten Welt ein Defizit von insgesamt 40,8 Mrd. Euro, davon 31,4 Mrd. Euro gegenüber dem Euroraum und davon wiederum 22,8 Mrd. Euro gegenüber Deutschland. Sie erzielten 2004 ein Defizit von 9,4 Mrd. Euro mit dem Rest der Welt, wobei das Defizit mit China 13,6 Mrd. Euro betrug, sodass sie einen Überschuss im Handel mit den anderen Ländern hatten. Bereits 2005 war das Defizit der Krisenländer mit dem Euroraum niedriger als mit dem Rest der Welt (vgl. Tabelle 1).

Hier stehen die Handels- und Dienstleistungsbilanzen der Krisenländer im Mittelpunkt und nicht die gesamte Leistungsbilanz, da diese insbesondere durch die EU-Zahlungen, die in hohem Ausmaß den Krisenländern zugutekommen, sowie durch die Zinszahlungen für die hohen privaten bzw. öffentlichen Schulden der Krisenländer, verzerrt ist. Die Handels- und Dienstleistungsbilanzen sind daher ein besserer Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer.

Tabelle 1
Handels- und Dienstleistungsbilanz der Krisenländer1 gegenüber Deutschland und China
in Mrd. Euro
  Welt Euroraum Deutschland Rest der Welt China
2004 -40,8 -31,4 -22,8 -9,4 -13,6
2005 -70,0 -32,8 -24,5 -37,2 -18,0
2006 -104,0 -43,2 -29,0 -60,7 -23,8
2007 -104,1 -48,2 -38,3 -55,9 -30,9
2008 -116,5 -48,2 -31,6 -68,3 -33,8
2009 -41,4 -21,2 -16,2 -20,3 -20,4
2010 -63,8 -23,2 -17,9 -40,7 -33,4
2011 -22,9 -8,3 -13,5 -14,7 -29,2

1 Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Spanien.

Quelle: Eurostat.

Entwicklung der Defizite

2005 betrug das Defizit der Krisenländer gegenüber dem Rest der Welt 37 Mrd. Euro und gegenüber dem Euroraum 33 Mrd. Euro. Dieser Trend hat sich weiter fortgesetzt und das Defizit der Krisenländer gegenüber dem Rest der Welt erreichte 2010 mit 41 Mrd. Euro bereits fast das Doppelte des Defizits gegenüber dem Euroraum. 2008, bevor die Finanzkrise auch in Europa das Wachstum einbrechen ließ, erlitten die Krisenländer ihr höchstes Defizit mit 117 Mrd. Euro, und ihr Defizit mit China von 34 Mrd. Euro überstieg erstmals jenes mit Deutschland von 32 Mrd. Euro. Die Krisenländer konnten 2011 ihr Defizit weiter auf 23 Mrd. Euro verringern. Das Defizit mit China betrug 29 Mrd. Euro. Ohne die hohen Defizite mit China hätten die Krisenländer insgesamt daher bereits 2011 einen Überschuss in ihren Handels- und Dienstleistungsbilanzen gehabt.

Während diese Defizite der Krisenländer gegenüber den anderen Handelspartnern, auch Deutschland, signifikant zurückgingen, blieben sie gegenüber China hoch.1 Einen Überblick gibt Abbildung 1. Was sind die Ursachen dieser hohen Defizite der Krisenländer gegenüber China? Wesentlich ist der Wechselkurs. Die starke Aufwertung des Euro gegenüber dem Renminbi, insbesondere von 2002 bis 2005, sowie ihre Wirtschaftsstruktur brachte die Krisenländer in direkte Konkurrenz zu China.

Abbildung 1
Handels- und Dienstleistungsbilanz der Krisenländer1 gegenüber Deutschland und China
31883.png

1 Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Spanien.

Quelle: Eurostat.

Wechselkurs

Der Eurokurs stieg von 7,4 Renminbi im Jahresdurchschnitt 2001 auf 10,4 Renminbi im Jahresdurchschnitt 2007, wobei die Euroaufwertung zwischen 2002 und 2005 besonders stark war. Erst danach kam es wieder zu einer graduellen Abwertung. Im August 2012 wurde, auch bedingt durch die damals akute Krise im Euroraum, ein Tiefstand mit einem Eurokurs von 7,8 Renminbi erreicht. Danach war im Gefolge der Stabilisierung der Krise im Euroraum durch die Ankündigung des Outright-Monetary-Transaction-Programms (OMT-Programms) wieder eine Aufwertung des Euro zu beobachten. Ursache dieser Entwicklung war, dass der Renminbi-Wechselkurs dem US-Dollar folgte und der Euro gegenüber dem US-Dollar stark aufwertete (vgl. Abbildung 2). Der Euroraum war zwar an den weltweiten Ungleichgewichten nicht beteiligt – seine Leistungsbilanz war weitgehend ausgeglichen – er war jedoch unter anderem dadurch negativ betroffen, dass er weltweit stark aufwertete, während der US-Dollar, auch wegen der hohen US-Leistungsbilanzdefizite (vor allem mit China), abwertete. Dies verschlechterte die internationale Wettbewerbsposition des Euroraums.

Insbesondere die Krisenländer, die angetrieben durch hohe Kapitalzuflüsse von 2002 bis 2005 einen Wirtschaftsboom mit hohen Lohnsteigerungen erlebten, verschlechterten ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit dramatisch. Die Defizite in ihren Handels- und Dienstleistungsbilanzen mit China explodierten, wie Tabelle 1 zeigt.

Abbildung 2
Wechselkurs des Euro gegenüber dem US-Dollar und dem Chinesischen Renminbi Yuan (CNY)
30671.png

Quelle: WM/Reuters.

Wirtschaftsstruktur

Neben der Aufwertung hatten insbesondere die südlichen Krisenländer jedoch noch ein weiteres Problem. Ihre Wirtschaftsstruktur basiert vor allem auf Branchen wie z.B. der Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie. Sie stehen daher intensiv mit China, das genau diese Waren exportiert, im Wettbewerb und waren daher der chinesischen Konkurrenz viel intensiver ausgesetzt als z.B. Deutschland oder Österreich, weil in diesen Ländern andere Branchen, z.B. Investitionsgüter und Pkw, die nicht so stark mit China konkurrieren, eine große Bedeutung haben oder die sogar von der Nachfrage Chinas profitieren. Die jüngste Abwertung der japanischen Währung wird die deutsche Wirtschaft jedoch stärker treffen, da Japan in vielen Industrien ein direkter Wettbewerber Deutschlands ist. Ein IWF Working Paper,2 das die Auswirkungen des chinesischen Wachstums auf die Handelsbilanz mit dem Euroraum untersucht, kommt zu dem Ergebnis, dass durch Chinas Exportstärke im Textilbereich insbesondere Portugal, Italien, Griechenland und etwas schwächer Spanien betroffen sind. Diese Länder erleiden dadurch hohe Handelsbilanzdefizite, sie stiegen um fast 1,5% im Falle von Spanien, um 1,5% bei Griechenland, fast 3% bei Italien und 3,5% in Portugal. Der Kern des Euroraums ist davon wesentlich schwächer betroffen.

Ein weiteres IWF Working Paper,3 das die externen Ungleichgewichte innerhalb des Euroraums untersucht, stellt fest, dass vor allem die Importe aus China, die Integration der zentral- und osteuropäischen Länder und hohe Ölpreise zur Entwicklung der großen externen Ungleichgewichte im Euroraum beitrugen. Insbesondere die Exporte einiger südlicher Euroländer seien durch die Konkurrenz Chinas negativ betroffen. Die Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite in den Krisenländern erfolgte im Wesentlichen durch die Kernländer des Euroraums. Die Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen außerhalb des Euroraums, z.B. China, finanzierten ihre Exporte nicht in die Euroraum-Peripherie. Die Ungleichgewichte würden sich verringern, wenn der Euro abwerten und damit die externe Nachfrage zunehmen würde.

Deutschland hat einen Handelsbilanzüberschuss mit China, obwohl der Rest des Euroraums insgesamt ein hohes Defizit aufweist. Das Außenhandelsdefizit der EU mit China ist mittlerweile höher als jenes der USA mit China. Mit handelsbeschränkenden Maßnahmen ist diesem Problem allerdings wohl nicht beizukommen. Die EU-Kommission hat jüngst, gegen den Widerstand Deutschlands, Antidumping-Zölle für Importe von Solarpanelen aus China verhängt. Sie argumentiert, dass sie damit die europäische Industrie gegen unfaire Handelspraktiken verteidigt.

Portugal hat in den letzten Jahren einen Großteil seiner Textilindustrie verloren, die verbliebenen Reste sind wohl mit dem wieder gefallenen Wechselkurs und der Restrukturierung nunmehr wettbewerbsfähig. Es wäre sicherlich lohnend dies in weiterführenden Studien zu untersuchen.

Schlussfolgerungen

Wenn sich jetzt die Diskussion einseitig auf die Lohnentwicklung in den Krisenländern konzentriert, mag dies zwar für die Defizite innerhalb des Euroraums zentral sein, es ist aber für das eigentliche Problem, das Defizit mit China, weniger relevant als der Eurowechselkurs. Eine Euroabwertung hat für den Euroraum insgesamt, aber insbesondere für die Krisenländer, den Vorteil expansiv zu wirken. Demgegenüber dämpfen Lohnsenkungen in den Krisenländern erst einmal die Inlandsnachfrage und verstärken damit die Rezession, bevor sie über den Außenbeitrag expansiv wirken. Nachdem die Geld- und Fiskalpolitik bei schon extrem niedrigen Zinsen, hohen Budgetdefiziten und Staatsschulden wenig Potenzial hat, expansiv zu wirken, ist eine Euroabwertung eine der wenigen verbliebenen Optionen für eine expansive Wirtschaftspolitik im Euroraum.

Der Außenbeitrag ist schon derzeit praktisch die einzige Wachstumsstütze in der rezessiven Phase im Euroraum. Gerade ein starker Nachfrageimpuls durch den Außenbeitrag könnte der restriktiven Fiskalpolitik in den Krisenländern entgegenwirken und eine wachstumsfreundliche Budgetkonsolidierung ermöglichen, bei der die Auslandsnachfrage die durch die restriktive Fiskalpolitik sinkende Inlandsnachfrage ersetzt und es damit zu keinem Schrumpfen der Wirtschaft kommt. Die Krisenländer würden damit dem Modell folgen, mit dem Deutschland von 2004 bis 2008 sein Budget konsolidierte – sinkende Budgetdefizite wurden durch steigende Außenbeiträge kompensiert.4

Martin Feldstein hat bereits Mitte 2012 festgestellt,5 dass die Abwertung des Euro zentral für das Überleben des Euroraums ist. Auch Zsolt Darvas hat im August 2012 die Auffassung vertreten,6 dass der Euro vor der Krise überbewertet war, in jüngster Zeit abgewertet hat, jedoch weitere Abwertungen notwendig sind, um die Exporte der südlichen Euroländer außerhalb des Euroraums zu fördern. Der Euro sollte abwerten und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Euroraums insgesamt, insbesondere jedoch die der Krisenländer, stärken. Nachdem der Euro jetzt viele Jahre überbewertet war, wäre sogar eine Phase der Unterbewertung, die zur Lösung der Krise im Euroraum beiträgt, international akzeptabel. Zumindest sollte jedoch der Renminbi gegenüber dem Euro aufwerten. Der Außenhandel würde damit, wie vom Europäischen Rat Ende Juni 2012 gefordert, zu einem Motor für Wachstum werden. Mit verstärktem Wachstum wäre die Krise im Euroraum wesentlich leichter zu bewältigen.

Es ist besorgniserregend, dass nach den erfolgreichen Schritten zur Krisenbewältigung im Euroraum durch das Eurosystem mit dem OMT-Programm Ende Juli und Anfang September 2012 der Euro stark, von 7,8 auf über 8,2 Renminbi pro Euro aufwertete. Dies wirkt für die Krisenländer negativ und konterkariert für sie das durch das OMT-Programm ermöglichte Sinken der Zinssätze. Es wird daher darauf zu achten sein, dass die Krisenbewältigung im Euroraum nicht zu einer Aufwertung des Euro führt.

Eine stärkere externe Nachfrage für die Krisenländer könnte darüber hinaus zusätzlich durch die Nutzung von expansiven Spielräumen in den Euro-Kernländern, z.B. durch eine expansiv wirkende Fiskal- und Lohnpolitik gestützt werden. Österreich ist hier Anfang Juli 2013 mit einem Konjunkturpaket,7 das 1,5 Mrd. Euro (etwa 0,5% des BIP) umfasst und schwerpunktmäßig für Investitionen zur Ankurbelung in der Bauwirtschaft, insbesondere im Wohnbau, eingesetzt wird, mit gutem Beispiel vorangegangen.


Die im Artikel vertretenen Positionen stellen die persönliche Meinung des Autors dar.

  • 1 Siehe auch G. Erber: Irrungen und Wirrungen mit der Leistungsbilanzstatistik, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 7, S. 465-470, der zeigt, dass auf die Krisenländer nur ein geringer Teil der deutschen Überschüsse, die seit 2007 bereits deutlich abnahmen, entfiel.
  • 2 Vgl. U. Mikkelsen, E. P. Ruiz: The Trade Impact of China on EMU: Is It Even Across Members?, IMF Working Paper, WP/12/221, 2012.
  • 3 Vgl. R. Chen, G. M. Milesi-Ferretti, T. Tressel: External Imbalances in the Euro Area, IMF Working Paper, WP/12/236, 2012.
  • 4 F. Nauschnigg: Growth-friendly fiscal consolidation, ETUI Policy Brief, Issue 4/2010, www.etui.org/research/Media/Files/EEEPB/2010/4-2010.
  • 5 M. Feldstein: A rapid fall in the euro can save Spain from collapse, in: Financial Times vom 25.7.2012.
  • 6 D. Zsolt: Intra-Euro Rebalancing Is Inevitable; But Insufficient, Bruegel Policy Contribution, August 2012.
  • 7 Vgl. F. Nauschnigg: Konjunkturpaket in Österreich, in: Wiener Zeitung vom 11.7.2013.

Title:Imbalance in the Euro Area – China is the Major Problem for the Countries in Crisis

Abstract:The internal imbalances in the euro area are often cited as one of the main reasons for the crisis there. The surpluses, especially those of Germany, correspond to the deficits in the euro area problem countries – Greece, Italy, Ireland, Spain and Portugal. An analysis of the trade and services balances of the problem countries, however, shows that this was only true up to 2004. Since 2005 their deficits with the rest of the world have been bigger, especially with China. Now the imbalances with China, not Germany, are the main concern for euro area problem countries. The reasons for this development were the strong appreciation of the euro and the structure of the economies of the euro area problem countries, which brought them into direct competition with China. Revaluation of other currencies, especially the renminbi, would enable the euro area crisis countries to pursue growth-friendly fiscal consolidation in which stronger external demand replaces internal demand. This was how Germany consolidated its budget – lower fiscal deficits were compensated by external demand contributions. The problem countries could simultaneously shrink both their fiscal and external deficits. Internal devaluation through wage moderation, however, dampens domestic demand and is recessionary in the short term.


DOI: 10.1007/s10273-013-1612-3

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