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Für den langfristigen Strukturwandel wird erwartet, dass die Dienstleistungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dies war in Deutschland seit 2000 nicht zu beobachten. Der Exportboom hatte vor allem die Industrie begünstigt. Dass dabei aber auch der Dienstleistungssektor profitieren konnte, zeigt der Autor mit Hilfe einer Simulationsanalyse auf der Basis eines Input-Output-Modells. Auch eine verstärkte Konkurrenz durch Vorleistungsimporte trifft nicht allein die Industrie, sondern komplementär die Dienstleistungen.

Wirtschaftswachstum und Strukturwandel sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Eine wachsende Wirtschaft unterliegt permanenten Veränderungen. In einer langen Perspektive kann die Strukturentwicklung mit Hilfe der „Drei-Sektoren-Hypothese“ veranschaulicht werden. Damit hat Fourastié Mitte des vergangenen Jahrhunderts das bis dahin sichtbare Muster des Strukturwandels beschrieben und eine Blüte der Dienstleistungen vorhergesagt. Kern seiner Argumentation ist, dass die Nachfrage nach Dienstleistungen mit zunehmenden Einkommen überproportional wächst.

In den letzten Jahren wirkte die starke Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen auf den internationalen Märkten diesem Tertiarisierungsmuster tendenziell entgegen.1 Industriezweige mit hohen Exportanteilen wiesen ein überdurchschnittliches Wachstum auf. Aber nicht nur diese nachfrageseitigen Veränderungen machten den jüngsten Strukturwandel aus. Die Industrie konzentrierte sich auf ihre Kernkompetenzen und lagerte industrielle Wertschöpfung vermehrt aus:

  • Zum einen wurden industrielle Prozesse und auch Industrieprodukte dienstleistungsintensiver. Bei Industriebranchen mit hohen Exportanteilen war dies besonders ausgeprägt.2 Was schon immer für Handel und Logistik oder für Bankdienstleistungen galt, trifft vermehrt auf Informations- und Kommunikationsdienste, Marketing oder auf Teile der Personalwirtschaft zu. Dieser Trend wird als Tertiarisierung der Industrieproduktion bezeichnet.3 Entlang der industriellen Wertschöpfungskette kristallisierten sich Wachstumscluster heraus, innerhalb derer bestimmte Industriezweige und Teile des Dienstleistungsgewerbes wechselseitig voneinander profitieren.
  • Unter dem Druck des globalen Wettbewerbs schritt zum anderen die Internationalisierung der Produktion voran. Vom Global Sourcing ging tendenziell ein Druck auf die inländischen Einkommen aus. Dabei ist zu betonen, dass die Integration der deutschen Wirtschaft durch die Einfuhr von Materialien und Komponenten letztlich ein normaler wirtschaftlicher Prozess ist, der mit der Integration der mittel- und osteuropäischen Länder in den Europäischen Binnenmarkt und mit dem dynamischen Wachstum in einigen Schwellenländern zusätzliche Impulse erhielt.

Im vorliegenden Beitrag sollen diese Strukturtrends anhand von Simulationsexperimenten näher betrachtet werden. Im Mittelpunkt stehen die Struktureffekte, die auf den wechselseitigen Lieferbeziehungen zwischen Industrie und Dienstleistungsgewerbe beruhen.

Abbildung 1
Anteile zusammengefasster Wirtschaftszweige an der Bruttowertschöpfung 2011
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Quelle: eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes.

Der empirische Befund

Die Entstehungsrechnung zeigt, in welchen Wirtschaftszweigen die Wertschöpfung erwirtschaftet wurde. Demnach trug die Industrie (verarbeitendes Gewerbe) im Jahr 2011 knapp 23% zur gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung bei (vgl. Abbildung 1). Die Wahl des Bezugsjahres 2011 beruht auf der Überlegung, dass das Nachkrisenjahr 2010 noch relativ starken konjunkturellen Verwerfungen unterlag. Im privaten Dienstleistungsgewerbe – also „Handel, Verkehr, Gastgewerbe“, „Information und Kommunikation (I&K)“, „Finanzdienstleister“, „Wohnungswirtschaft“ und „Unternehmensdienstleister“ – entstand fast die Hälfte aller Einkommen. Größter Bereich waren hier die distributiven Dienstleistungen. Der Staat hat nahezu 18% zur Bruttowertschöpfung beigetragen. In den „übrigen Wirtschaftszweigen“ wurden mit der Landwirtschaft, den Versorgungsunternehmen und den übrigen Dienstleistungen schließlich einige kleinere Wirtschaftszweige zusammengefasst.

Die Veränderungen der Wertschöpfungsanteile lassen sich mit Hilfe von Kettenindizes zur Entwicklung der sektoralen Bruttowertschöpfung schätzen: trotz der zwischenzeitlichen Bremsspuren durch die Subprime-Krise stieg die industrielle Wertschöpfung zwischen 2000 und 2011 jahresdurchschnittlich um 1,7%, während die reale Wertschöpfung mit einem Plus von 1,3% per annum etwas dahinter zurückblieb.4 Daraus ergibt sich ein erster Hinweis auf eine Pause im Tertiarisierungstrend – der industrielle Wertschöpfungsanteil legte seit 2000 fast um 1 Prozentpunkt zu.

Zur Analyse intersektoraler Multiplikatoreffekte zusätzlicher Exporte bzw. zusätzlicher intermediärer Importe erweist sich die Fokussierung auf die Wertschöpfung allerdings als zu eng. Der Produktionswert als weiter abgegrenzte Messgröße erfasst den Branchenumsatz zuzüglich des Wertes der Vorratsänderungen und der selbsterstellten Anlagen. Den Produktionskonten in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen folgend entspricht der Produktionswert der Bruttowertschöpfung einer Branche plus sämtlichen Lieferungen von Energie, Materialien, Vorprodukten und Dienstleistungen, die in diesem Wirtschaftszweig in die Produktion eingehen.5

Die Industrie gleicht einem Eisberg, bei dem die eigene Wertschöpfung nur der unmittelbar sichtbare Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Einkommen ist. Viele Industriezweige verringerten ihre Wertschöpfungstiefe auf zuletzt ein Drittel. Anders ausgedrückt: zwei Drittel des Produktionswerts dieser Branchen bestehen aus der intermediären Nachfrage. Damit ist die Industrie sehr viel wichtiger als es die Wertschöpfungsanteile vermuten lassen. Ein Teil dieser in der übrigen Wirtschaft induzierten Wertschöpfung liegt – um im Bild zu bleiben – unter der Wasserlinie. Die meisten Dienstleistungsbranchen sind dagegen viel schwächer in die intersektorale Arbeitsteilung eingebunden. Hier macht die Bruttowertschöpfung oft den größeren Teil des Umsatzes aus. Wertschöpfungstiefen von unter 50% finden sich allein in der Informations- und Kommunikations-Branche und bei den Finanzdienstleistern. Wegen dieser unterschiedlichen Grade der intersektoralen Arbeitsteilung eignen sich Produktionswerte zur Analyse intersektoraler Verflechtungen viel besser als die Wertschöpfung. Betrachtet man also die Produktionswerte, dann ergeben sich folgende Trends (vgl. Abbildung 2):

  • Auf dieser Basis ist der Industrieanteil mit rund einem Drittel fast um die Hälfte größer als bei der Betrachtung der Bruttowertschöpfung. Hier wirken sich die von anderen Wirtschaftszweigen bezogenen Waren und Dienstleistungen aus. Zudem stieg der Industrieanteil am Produktionswert seit 2000 um 1 Prozentpunkt.
  • Der Anteil des privaten Dienstleistungsgewerbes am gesamtwirtschaftlichen Produktionswert – also „Handel, Verkehr, Gastgewerbe“, „Finanzdienstleister“, „Information und Kommunikation“, „Wohnungswirtschaft“ und „unternehmensnahe Dienstleistungen“ zusammen – legte ebenfalls etwas zu und lag 2011 bei knapp 42%.
  • Die größten Veränderungen ergaben sich für zwei kleinere Sektoren: der Produktionsanteil des Baugewerbes sackte während der vergangenen Dekade so deutlich ab, weil der Wohnungsbau dramatische und der öffentliche Bau moderate Umsatzeinbußen verkraften musste. Umgekehrt war die I&K-Branche erwartungsgemäß der Gewinner des sektoralen Strukturwandels zwischen 2000 und 2011.
  • Innerhalb des Dienstleistungsgewerbes gewann darüber hinaus nur noch der Sektor „Handel, Verkehr, Gastgewerbe“ Produktionsanteile hinzu. Unterdurchschnittlich entwickelte sich neben den Finanzdienstleistern auch das Grundstücks- und Wohnungswesen. Bemerkenswerter erscheint aber, dass die Unternehmensdienstleister als Gewinner des Strukturwandels der 1980er und der 1990er Jahre zuletzt ebenfalls an Produktionsanteilen einbüßten.

Auf Fourastiés drei Sektoren zurückkommend war der in den letzten Jahren zu beobachtende Strukturwandel also eher intra-sektoral als intersektoral. Es reichte nicht mehr aus, Teil des Dienstleistungsgewerbes zu sein, um sich im Strukturwandel zu behaupten. Der Strukturwandel ging zudem auch quer durch das verarbeitende Gewerbe: während die Konsumgüterindustrie tendenziell unter Anpassungsdruck stand, konnten sich die Grundstoffindustrie behaupten und Teile der Investitionsgüterindustrie sogar glänzen.

Abbildung 2
Anteile zusammengefasster Wirtschaftszweige am preisbereinigten Produktionswert
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Quelle: eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes.

Das Input-Output-Modell: ein Beispiel

Wie das Input-Output-Modell funktioniert, wird in Kasten 1 dargestellt, zum besseren Verständnis hier ein Beispiel, das an die Input-Output-Tabelle 2008 angelehnt ist. Unterschieden werden die Produktionsbereiche

  1. Grundstoffindustrie,
  2. Investitionsgüterindustrie,
  3. Dienstleistungsgewerbe und
  4. alle sonstigen Produktionsbereiche.
Kasten 1
Das Input-Output-Modell

Input-Output-Modelle basieren auf Input-Output-Tabellen. Diese Tabellen bilden die gütermäßige Verflechtung zwischen den Branchen einer Volkswirtschaft ab. Sie stellen in den Zeilen die Absatzstruktur einer Vielzahl von Produktionsbereichen und in den Spalten ihre Kostenstruktur dar (vgl. Abbildung). Da jeder Wirtschaftszweig prinzipiell Vorleistungen an alle übrigen Wirtschaftszweige liefert, eignen sich die Tabellen ideal zur Analyse der wechselseitigen Lieferbeziehungen zwischen Branchen. Der Nobelpreisträger Wassilly Leontief hat das nachfolgende Modell entwickelt und in den 1940er Jahren erstmals zu Strukturanalysen der amerikanischen Volkswirtschaft eingesetzt.1

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Zwei Identitäten bestimmen das Input-Output-Modell: gesamtwirtschaftlich entspricht die Summe der Wertschöpfung der gesamtwirtschaftlichen Endnachfrage. Dies kennt man von der Ermittlung des Bruttoinlandsprodukts über die Entstehungsseite und über die Verwendungsseite. Wichtiger in diesem Zusammenhang ist aber, dass der Produktionswert eines Produktionsbereichs der Güternachfrage bei dieser Branche entsprechen muss. Die Nachfrage nach Gut i besteht aus der Zeilensumme der Vorleistungslieferungen Vij und der Endnachfrage ƒi:


wobei die ƒi für jede Gütergruppe i die Lieferungen an die privaten Haushalte (privater Konsum), an den Staat (öffentlicher Konsum), an das Ausland (Exporte minus Importe) und die Vermögensänderungen (Investitionen) zusammenfasst. Zudem macht die Spaltensumme aus Vorleistungen und Wertschöpfung wj jeweils den Produktionswert eines Produktionsbereichs j aus.


Die Inputkoeffizienten geben Auskunft über das Beschaffungsverhalten der Produktionsbereiche und sind als Anteil der Vorleistungen der Gütergruppe i im Produktionsbereich j am Produktionswert dieses Produktionsbereiches definiert:2

aij = Vij /xj

Teilt man Gleichung (2) durch den Produktionswert xj dann folgt


mit vj als Anteil der Bruttowertschöpfung am jeweiligen sektoralen Produktionswert. Die Input-Koeffizienten beschreiben die Kostenstruktur unterteilt nach den Vorleistungen und der Wertschöpfung. Im Jahr 2008 waren beispielsweise im Baugewerbe bei einem Produktionswert von 230 Mrd. Euro Vorleistungen von insgesamt 133 Mrd. Euro notwendig. Als Wertschöpfung verblieben 97 Mrd. Euro. Der Wertschöpfungsanteil betrug damit 42% – entsprechend war der Vorleistungsanteil 58%.3 Während sich die meisten Industriezweige durch deutlich kleinere Vorleistungsanteile auszeichnen, dominieren im Dienstleistungsgewerbe meist die Wertschöpfungsanteile.

Soweit zu den Identitäten – nun zum Modell. Unterstellt man, dass die Inputkoeffizienten aij gegeben und konstant sind, dann gilt für
die Produktion eines Gutes i


Für alle Produktionsbereiche gilt das lineare Gleichungssystem x = Ax + ƒ mit der Lösung in Matrixschreibweise

formel(3)

x: Produktionsvektor

E: Einheitsmatrix

A: Matrix der Inputkoeffizienten

f: Endnachfragevektor

Bei konstanten Inputkoeffizienten hängt die Produktionsstruktur allein von der Endnachfragestruktur ab. Die Matrix [E-A]-1 wird nach dem Pionier der Input-Output-Analyse als Leontief-Inverse bezeichnet. Sie gibt an, in welchem Umfang die Produktion in den Zulieferbereichen zunimmt, wenn die Endnachfrage eines Gutes um eine Einheit steigt.

1 W. Leontief: Die Methode der Input-Output-Analyse, in: Allgemeines Statistisches Archiv, Bd. 36, 1952, S. 153 ff.

2 Statistisches Bundesamt: Die Input-Output-Rechnung im Überblick, Wiesbaden 2010, S. 29 (im Internet unter www.destatis.de verfügbar).

3 Eigene Berechnungen auf Basis der aktuellen Input-Output-Tabelle für 2008 (Statistisches Bundesamt: Fachserie 18, Reihe 2 – Input-Output-Rechnung 2008, Wiesbaden 2012).

Nun wird angenommen, dass die Endnachfrage nach Investitionsgütern um 1 Mrd. Euro steigt. Dies ist der direkte Effekt. Der Endnachfragevektor ändert sich damit in der zweiten Zeile um Eins. Die Rechenregeln der linearen Algebra machen deutlich, dass nachfolgend nur die zweite Spalte der Leontief-Inversen berücksichtigt werden muss:

Die Investitionsgüterindustrie benötigt zur Herstellung der zusätzlichen Endnachfrage intermediäre Güter und Dienstleistungen. Im obigen Beispiel sind dies 0,2 Mrd. Euro aus der Grundstoffindustrie, weitere 0,3 Mrd. Euro intermediärer Nachfrage aus der Investitionsgütergewerbe selbst, 0,4 Mrd. Euro Handels- und Transportleistungen sowie unternehmensnahe Dienste und schließlich 0,1 Mrd. Euro aus allen sonstigen Produktionsbereichen.

Der kumulierte Leontief-Multiplikator als Spaltensumme ist in diesem vereinfachten Beispiel 2. Um eine zusätzliche Endnachfrage von 1 Mrd. Euro zu liefern, kommt einschließlich aller Vorleistungslieferungen ein zusätzlicher Produktionswert von 2 Mrd. Euro zustande. Die Differenz zum direkten Effekt von 1 Mrd. Euro sind die indirekten Effekte – also die bei anderen Produktionsbereichen induzierte Produktion. Wie eingangs dargestellt, müssen sich die Veränderungen der Endnachfrage und der Bruttowertschöpfung gesamtwirtschaftlich entsprechen. Im Investitionsgütergewerbe fällt bei einem Wertschöpfungsanteil v2 von 0,4 eine zusätzliche Wertschöpfung in Höhe von 0,5 Mrd. Euro an. Im privaten Dienstleistungsgewerbe entstehen knapp 0,3 Mrd. Euro, der Rest verteilt sich auf alle anderen Branchen.6

Produktionsstrukturwirkungen der Exportnachfrage

Oben wurde gezeigt, dass der Tertiarisierungstrend seit 2000 deutlich gebremst wurde. Ein Grund dafür ist, dass Deutschland die Weltmärkte noch immer vor allem mit Industrieprodukten beliefert. Etwa 40% aller Exporte stammen aus der Investitionsgüterindustrie und ein weiteres Viertel aus der Grundstoffindustrie. Dagegen liefert das private Dienstleistungsgewerbe insgesamt nur gut ein Sechstel der Exporte.7

In einem Input-Output-Modell wirft dies die Frage auf, welche Produktionsbereiche über die Vorleistungsverflechtung – also indirekt – von der Exportnachfrage abhängen. In einer ersten Modellrechnung wird unterstellt, die nach Gütergruppen unterschiedene Exportnachfrage würde um 10% höher als tatsächlich ausfallen. Ein solcher Anstieg steigert den Wert der gesamtwirtschaftlichen Exportnachfrage um 97 Mrd. Euro. Exakt um diesen Wert nimmt auch die Endnachfrage zu. Da der private Konsum, der öffentliche Konsum und die Investitionen aber unverändert bleiben, macht die prozentuale Steigerung gesamtwirtschaftlich nur 3,5% aus. Wenn die Inputkoeffizienten aij unverändert bleiben, sind Gleichung (3) folgend durchweg steigende Produktionswerte zu erwarten. Sämtliche Berechnungen erfolgen auf Basis der 73 Produktionsbereiche der Input-Output-Tabelle 2008.

Abbildung 3
Endnachfrage- und Produktionswirkungen bei einer simulierten Exportnachfragesteigerung
Abweichungen der simulierten Werte bei einer Exportnachfragesteigerung von 10% von den Werten für 2008 in Mrd. Euro
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Quelle: Statistisches Bundesamt: Fachserie 18, Reihe 2 – Input-Output-Rechnung 2008, Wiesbaden 2012, eigene Berechnungen.

Abbildung 3 stellt die direkten und die indirekten Nachfrageeffekte im Input-Output-Modell als Abweichungen der simulierten von den tatsächlichen Werten dar. Anhand der oberen Balken wird der direkte Struktureffekt sichtbar: die exportstarken Produktionsbereiche aus der Grundstoff- und der Investitionsgüterindustrie profitieren vom simulierten Exportboom überdurchschnittlich. Die Dienstleister weisen meist schwache direkte Impulse auf. Die Bauwirtschaft und der Staat exportieren überhaupt nicht. Das private Dienstleistungsgewerbe profitiert vor allem von den indirekten Nachfrageeffekten. Die Vorleistungsbeziehungen nivellieren die ursprünglichen Effekte etwas. Viele Dienstleister beliefern das Ausland zwar selbst nicht allzu intensiv, aber sie beliefern die exportstarken Industriezweige in überdurchschnittlichem Maße und in zunehmendem Umfang.8

Der simulierte Exportboom führt insgesamt zu einem Anstieg des Produktionswertes von 188 Mrd. Euro. Die indirekten Effekte machen 91 Mrd. Euro aus und sind damit fast genauso groß wie der direkte Nachfrageeffekt. Gut 60% des gesamtwirtschaftlichen Effekts fallen in der Industrie an: der Produktionswert der Investitionsgüterindustrie steigt um 57 Mrd. Euro, in der Grundstoffindustrie beträgt der Zuwachs 47 Mrd. Euro und in der Konsumgüterindustrie sind es 13 Mrd. Euro. In der Grundstoffindustrie halten sich die direkten und die indirekten Nachfrageeffekte die Waage, während die privaten Dienstleistungen überdurchschnittlich von der zunehmenden Vorleistungsnachfrage profitieren. Im „Handel, Verkehr, Gastgewerbe“ steigt der Produktionswert um 27 Mrd. Euro und bei den Unternehmensdienstleistern um 18 Mrd. Euro. Diese Ergebnisse verdeutlichen: zwischen der Industrie und dem Dienstleistungssektor bestehen aufgrund der Vorleistungsbeziehungen starke komplementäre Beziehungen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sichert über die Vorleistungsverflechtung in erheblichem Maße Wertschöpfung und damit auch Arbeitsplätze im Dienstleistungsgewerbe.

Produktionsstrukturwirkungen intermediärer Importe

Binnenmarkt und Globalisierung bedeuten nicht nur neue Absatzmärkte, sondern auch mehr Wettbewerb auf den Beschaffungsmärkten. Dass der deutsche Exportmotor nicht losgelöst von der Integration internationaler Beschaffungsmärkte betrachtet werden kann, wurde vor einigen Jahren unter dem Schlagwort „Basar-Ökonomie“ diskutiert.9 Einige Volkswirte schienen zu befürchten, die Wertschöpfungsketten könnten so schlank werden, dass „Made in Germany“ überwiegend importiert würde und dass Importe damit die inländische Wertschöpfung weitgehend ersetzten. Zwar ist unstrittig, dass durch den Außenhandel gesamtwirtschaftlich Wertschöpfung entsteht, solange die Exporte größer als die Importe sind. Dennoch hat die Substitution von Vorleistungen aus inländischer Produktion durch Importe Auswirkungen auf den Strukturwandel. Ersetzen nämlich importierte Komponenten und Halbfertigwaren solche aus heimischer Produktion, dann geraten die Zuliefererbranchen zunehmend unter Druck.

Um diesen Aspekt näher untersuchen zu können, bietet es sich an, in einer Simulation die Anteile der Importe an den Vorleistungsbeziehungen zu erhöhen. Unterstellt man der Einfachheit halber eine proportionale Erhöhung aller Importanteile um 20%,10 dann sinken die Inputkoeffizienten aij für Vorleistungen aus inländischer Produktion. Das bedeutet beispielsweise für die Lieferungen von Metallerzeugnissen an den Maschinenbau, dass von den 16,4 Mrd. Euro an Lieferungen aus inländischer Produktion und Importen im Jahr 2008 per Simulationsannahme nicht 13% (tatsächlich), sondern rund 16% (simuliert) aus dem Ausland kommen. Der auf die inländische Produktion bezogene Inputkoeffizient a21,25 würde dann von 0,064 auf 0,062 sinken. Finden wie bei vielen Dienstleistungslieferungen kaum intermediäre Importe statt, dann fällt die Reduktion der Inputkoeffizienten dort nicht allzu stark ins Gewicht. Diejenigen Inputkoeffizienten, bei denen gar keine Importe stattfinden, bleiben unverändert. Von den 5329 Feldern der 73x73 Matrix A sind das im Jahr 2008 mit 2867 immerhin mehr als die Hälfte.

Durch die Veränderungen der Matrix der Inputkoeffizienten verändern sich sämtliche Felderwerte der Leontief-Inversen (E-A)-1 und wegen

Δx = [E-ΔA]-1 f

auch sämtliche Produktionswerte. Den Berechnungen liegen wiederum 73 Produktionsbereiche zugrunde, die für die nachfolgenden Erläuterungen aggregiert werden. Steigen die Importanteile der intermediären Lieferungen und Leistungen um 20%, dann sinkt der Wert der im Inland hergestellten Vorleistungen um 162 Mrd. Euro. Die Vorleistungsimporte nehmen erwartungsgemäß zu – unter den skizzierten Bedingungen um 57 Mrd. Euro, so dass der Wert der Vorleistungen insgesamt um 105 Mrd. Euro sinkt. Ferner gilt der Logik der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen folgend, dass die Einbußen bei der Bruttowertschöpfung dem Verdrängungseffekt durch die Vorleistungsimporte entsprechen, während der Produktionswert um die inländischen Vorleistungen sinkt.

Die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen sind das Ergebnis der Veränderungen von Vorleistungsimporten und inländischer Produktion von Vorleistungen in den einzelnen Produktionsbereichen. Der direkte Effekt – also der Anstieg der Vorleistungsimporte um 57 Mrd. Euro – beeinträchtigt vor allem die Industrieproduktion. In Abbildung 4 zeigen die oberen Balken, dass mit zusammen rund 40 Mrd. Euro etwa 70% des direkten Effektes in der Industrie zu verzeichnen sind. Mit je rund 6 Mrd. Euro werden „Handel, Verkehr, Gastgewerbe“ und „Unternehmensdienstleister“ ebenfalls überdurchschnittlich belastet.

Abbildung 4
Produktionswirkungen bei einer simulierten Steigerung der Anteile intermediärer Importe
Abweichungen der simulierten Werte bei einer Steigerung der Importanteile von 20% von den Werten für 2008 in Mrd. Euro
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Quelle: Statistisches Bundesamt: Fachserie 18, Reihe 2 – Input-Output-Rechnung 2008, Wiesbaden 2012, eigene Berechnungen.

Die indirekten Effekte sind in der zweiten Simulationsrechnung stärker ausgeprägt als in der ersten. Hier liegt der gesamtwirtschaftliche Leontief-Multiplikator gemessen als Verhältnis von Gesamteffekt zu direktem Impuls bei 2,8 (=162/57). Zum Vergleich: in Bezug auf den Export­anstieg ergab sich ein Multiplikator von 1,9. Es kommt also darauf an, in welchem Maße der direkte Impuls in anderen Branchen indirekte Effekte induziert. Aufgrund eines geringeren Wertschöpfungsanteils mobilisiert die hier hauptsächlich von Vorleistungsimporten betroffene Grundstoffindustrie in größerem Umfang intermediäre Lieferungen und Leistungen als die stärker involvierte Investitionsgüterindustrie. Zudem kommt es gerade bei Grundstoffen zu einer besonders hohen Nachfrage nach importierten Vorleistungen – gemessen am Produktionswert beträgt der Anteil der Vorleistungsimporte in der Grundstoffindustrie knapp 26%. Dieser Anteil liegt damit um den Faktor 2,5 höher als im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt.

Damit verliert die Grundstoffindustrie durch die simulierte Importkonkurrenz überdurchschnittlich. Allein hier sinkt der Produktionswert um 55 Mrd. Euro. Weitere nennenswerte Einbußen finden sich bei den Investitionsgütern (-30 Mrd. Euro) und bei den Vorleistungslieferanten im Dienstleistungsgewerbe. Sowohl der Handel und der Verkehr also auch die Unternehmensdienstleister büßen jeweils knapp 20 Mrd. Euro ein. Der Zusammenhang ist hier der gleiche – wenn auch in die umgekehrte Richtung – wie bei der Steigerung der Exporte – die Dienstleister verlieren, weil bei ihnen Aufträge aus der Industrie ausbleiben. Der Vergleich von Importimpuls und Gesamteffekt zeigt, dass im Dienstleistungsgewerbe erhebliche indirekte Effekte zu verzeichnen sind. Mit anderen Worten: nicht nur durch den Exportboom, sondern auch durch das Auslagern von Produktion entsteht in fühlbarem Umfang Strukturwandel.

Globalisierung und Produktionsstruktur

Aus Sicht der Unternehmen bedeutet eine stärkere Konzentration auf die internationalen Absatzmärkte, dass sie auch einen leichteren Zugang zu den Beschaffungsmärkten im Ausland erhalten. Gesamtwirtschaftlich erfordert eine Exportorientierung, wie sie die deutsche Wirtschaft verfolgt, eine hohe Konkurrenzfähigkeit. Das bedeutet auch, dass sie günstigere internationale Beschaffungsmärkte intensiver nutzen müssen. Zusätzliche Exporte erhalten oder schaffen Produktion und Wertschöpfung, während die Internationalisierung der Produktion Wertschöpfung kostet.

Obwohl die unterstellten Auslöser des Strukturwandels in den beiden Simulationsexperimenten recht holzschnittartig angelegt sind, lassen sich einige der eingangs aufgeworfenen Fragen im Rahmen des Input-Output-Modells beantworten. Zunächst fällt auf, dass sowohl innerhalb der Industrie als auch innerhalb des Dienstleistungsgewerbes Gewinner und Verlierer zu erwarten sind. Offensichtlich wird eher ein intra-sektoraler als ein intersektoraler Strukturwandel ausgelöst. Eine auf internationale Wettbewerbsfähigkeit abzielende wirtschaftspolitische Orientierung favorisiert die Investitionsgüterindustrie – also den Fahrzeugbau, den Maschinenbau und die elektrotechnische Industrie. Diese Produktionsbereiche profitieren am deutlichsten vom Exportboom und leiden weniger als andere Industriezweige unter der Konkurrenz importierter Vorleistungen. Dagegen halten sich die Produktionszuwächse und -verluste in der Konsumgüterindustrie weitgehend die Waage, während die Grundstoffindustrie unter den skizzierten Bedingungen leichte Einbußen erlitten hätte. Innerhalb der Grundstoffindustrie wird insbesondere die Metallindustrie belastet, während die übrigen Grundstoffproduzenten gleichermaßen durch die Exporte profitieren und unter den Vorleistungsimporten leiden.

Wer aufgrund überdurchschnittlicher Industrieaktivitäten auf wirtschaftliche Rückständigkeit schließt, der ignoriert nicht nur die komparativen Kostenvorteile Deutschlands bei der Produktion von Investitionsgütern. Gleichfalls übersehen werden die wechselseitigen Beziehungen zwischen Industrie und Dienstleistungsgewerbe. Die intermediären Lieferbeziehungen zwischen sekundärem und tertiärem Sektor sorgen eher für ein Miteinander als für ein Gegeneinander von Industrie und Dienstleistungen. Sobald man die Vorleistungsverflechtung in die Analyse einbezieht, lässt sich die Komplementaritätshypothese nicht von der Hand weisen.

Insbesondere der Groß- und Außenhandel sowie Teile der Logistik profitieren per Saldo von den analysierten Strukturtrends. Dort, wo überdurchschnittlich viele intermediäre Dienstleistungen importiert werden, sind die Wirkungen, die aus dem Konkurrenzdruck durch Importe entstehen, größer als die aus den industriellen Exportbranchen herüberschwappenden Nachfragezuwächse. Dies gilt aber nicht nur für Schifffahrts- und Luftverkehrsleistungen, sondern mittlerweile auch für Ingenieurleistungen, F&E-Leistungen sowie für Werbung und Marktforschung.

Dies sorgt letztlich dafür, dass die Unternehmensdienstleister zwar einerseits von der Vorleistungsnachfrage der Exportindustrien profitieren. Andererseits fallen durch die konkurrierenden Importe Teile der Vorleistungsnachfrage aus der Grundstoffindustrie aus. Zudem fragte die Industrie zunehmend Unternehmensdienstleistungen im Ausland nach. Insbesondere dieser letztgenannte Trend führt dazu, dass die Unternehmensdienstleister in den letzten Jahren tendenziell eher belastet als begünstigt wurden.

Wenn die Wirtschaftspolitik auf ein exportorientiertes Leitbild setzt, dann weist die deutsche Volkswirtschaft einen relativ großen Industrieanteil auf. Mit dieser Entwicklung sind zweifelsfrei Chancen verbunden. Immer, wenn die Weltwirtschaft anzieht, profitiert Deutschland davon in besonderem Maße. Die rasche wirtschaftliche Erholung Deutschlands nach 2009 beruhte zu einem großen Teil auf den wieder einsetzenden Impulsen der Weltwirtschaft. Umgekehrt ergeben sich stärkere Risiken, wenn sich die Konjunktur international abkühlt. Die Abhängigkeiten nehmen zu, wenn Deutschland den Weltmarkt mit Investitionsgütern beliefert und die Komponenten dafür zunehmend auf internationalen Märkten beschafft.

  • 1 Vgl. dazu eine sektorale Analyse der Wachstumsbeiträge des Exports für 1996 bis 2006 bei M. Grömling, J. Matthes: Wächst die deutsche Industrie nur durch den Export?, Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge Universität Würzburg, Nr. 110, 2010.
  • 2 Vgl. A. Schmidt: Industrie und Dienstleistungen heute: Eine Strukturanalyse für die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, Studie im Auftrag der Chemie-Stiftung Sozialpartner-Akademie, Wiesbaden 2012, S. 14 f.
  • 3 Vgl. U. Ludwig, H.-U. Brautzsch, B. Loose: Dienstleistungsverbund stärkt Bedeutung der Industrie, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 9, S. 650.
  • 4 Vgl. Statistisches Bundesamt: Fachserie 18, Reihe 1.4, Inlandsproduktberechnung – detaillierte Jahresergebnisse, Tabelle 2.2.2, Wiesbaden 2012.
  • 5 Vgl. D. Brümmerhoff, M. Grömling: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, 9. Aufl., München 2011, S. 56.
  • 6 Vergleichbare Berechnungen hat beispielsweise die Deutsche Bundesbank angestellt, um die gesamtwirtschaftlichen Folgen eines Rückgangs der Automobilnachfrage während der Subprime-Krise zu schätzen. Sie geht in ihren Berechnungen für den Produktionsbereich „Kraftwagen und Kraftwagenteile“ von einem kumulierten Leontief-Multiplikator von 2,2 aus und kommt zu einer ähnlichen sektoralen Verteilung der induzierten Wertschöpfung (vgl. Deutsche Bundesbank: Monatsberichte, Nr. 2, 2009, S. 49).
  • 7 Eigene Berechnungen auf Basis der aktuellen Input-Output-Tabelle für 2008 (Statistisches Bundesamt: Fachserie 18, Reihe 2 – Input-Output-Rechnung 2008, Wiesbaden 2012).
  • 8 Vgl. A. Schmidt, a.a.O., S. 14 f.
  • 9 Vgl. H.-W. Sinn: Die Basar-Ökonomie, Düsseldorf 2005.
  • 10 Bei einigen Felderwerten wird die gesamte Vorleistung importiert – etwa bei den intermediären Lieferungen von Erdöl und Erdgas an einige Produktionsbereiche. Deshalb wurde für alle Importanteile sichergestellt, dass sie nach der unterstellten Erhöhung um 20% den Wert 1 nicht überschreiten.

Title:Structural Change in Germany Since 2000

Abstract:According to Fourastie’s predictions, long-term growth tends to support the service sector. Since the millennium, the service share of production has not changed much, and Germany’s competitiveness in international trade clearly has favoured manufacturing rather than the service sector. Two results have to be pointed out: on the one hand, an intra-industry structural change within manufacturing is taking place which favours producers of investment goods and burdens the producers of basic materials – especially metals. Internationalisation of production, on the other hand, means that competing intermediate imports harm the basic material services as well as parts of enterprise-oriented services. In an input-output context, manufacturing and the private service sector are complementary rather than competing.

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DOI: 10.1007/s10273-013-1518-0

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