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Für die Eurokrise werden viele Ursachen genannt: etwa, dass aufgrund der Unterschiedlichkeit der Mitglieder, der fehlenden Mobilität von Arbeit und Kapital sowie der zu geringen Flexibilität von Preisen und Löhnen die EWU kein optimaler Währungsraum sei und aus politischen Gründen zusammengeführt wurde, was ökonomisch nicht zusammengehöre; dass eine für 17 Länder gemeinsame Geldpolitik den Notwendigkeiten einzelner Volkswirtschaften nicht Rechnung tragen könne und für die einen zu expansiv, für die anderen zu restriktiv und ein Mittelweg für niemanden passend sei; oder, dass unterschiedliche Mentalitäten die Inflationsgefahren in der einen Gesellschaft über-, in der anderen unterbewerten würden.

Die konzeptionellen Mängel und Schwierigkeiten der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sind an sich, sofern der politische Wille dafür besteht, veränder- und korrigierbar. Zu einer Krise sind sie in der vergangenen Dekade aus einem ganz anderen Grund geworden. Der Euro hat die Dimension der Kapital- und Finanzmärkte europäisiert und damit die Möglichkeiten vergrößert, Risiken zu diversifizieren und zu streuen. Trotzdem blieben Regulierung, Aufsicht und Kontrolle der Kapital- und Finanzmärkte weitestgehend in nationaler Souveränität. Die Europäisierung der Märkte bei einer weiterhin nationalen Regulierungshoheit hat zum einen zu einer gewaltigen Aufblähung einzelner Finanzplätze geführt. In Nikosia oder Luxemburg wickelten Akteure aus allen europäischen Ländern Transaktionen in alle europäischen Staaten ab. Entsprechend liegen in Luxemburg und Zypern, aber auch in Spanien oder Irland die Bilanzsummen des nationalen Bankensektors bei einem Vielfachen der nationalen Wirtschaftsleistung. Zum anderen hat der größere Währungsraum zu sinkenden Risikoprämien und damit günstigeren Kreditzinsen geführt. Er sorgte zudem dafür, dass das nationale Zinsniveau nicht mehr die nationalen Risiken widerspiegelte, sondern europäische, die dann eben weit voneinander abweichen konnten. So wurde es für die südeuropäischen Länder und Firmen möglich, sich im Vergleich zu früheren Zeiten mit dem Euro viel billiger zu verschulden. Die fallenden Zinsen in Südeuropa waren also nicht so sehr die Folgen geringerer realwirtschaftlicher Risiken, sondern der Aufgabe einer nationalen Geldpolitik geschuldet.

Spätestens mit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 schlugen die beiden Entwicklungen – die Europäisierung der Märkte bei national verbleibender und damit unterschiedlicher Zuständigkeit der Regulierung sowie die nicht nationalen Risiken entsprechende Möglichkeit, sich (zu) billig zu verschulden – wie ein Bumerang auf den Euroraum zurück. Einmal drohte an den überdimensionierten Finanzplätzen der Zusammenbruch einzelner Banken mit der Gefahr, alle anderen Finanzinstitute – auch jene anderer Länder – mit in den Abgrund zu reißen. Andernorts erhöhte sich bei nun wieder steigenden Risikoprämien für öffentliche Haushalte die Zinslast der Schuldenberge, und private Schuldner gingen der höheren Zinskosten wegen reihenweise pleite, insbesondere Bauherren und Baufirmen. Das wiederum steckte Banken an, deren Kredite faul wurden. Beides zusammen führte letztlich zu einer „Reise nach Jerusalem“: Wie eine heiße Kartoffel wurden nun Schulden von der einen zur nächsten Stelle weitergereicht. Von den Privaten an die Banken, von den Banken an den Staat, vom Staat an die Europäische Zentralbank oder den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Und niemand konnte und mochte die Schulden halten, weil niemand mehr für sie bürgen wollte.

Die Analyse der Ursachen liefert zugleich eine Lösung der Probleme. Wenn zu hohe Schulden den Euro in die Krise geführt haben, dann muss es zu einer Entschuldung kommen. Und wenn eine Europäisierung der Märkte bei national bleibender Regulierungskompetenz ein Auseinanderfallen von Währungsraum und Regulierungszuständigkeit zur Folge hatte, dann muss es nun auch zu einer Europäisierung der Bankenregulierung kommen. Dabei geht es primär darum, eine Europäische Bankenunion mit gemeinsamer Aufsicht, Kontrolle der Risiken und Kompetenz zur Korrektur zu etablieren, denn nur so wird ein gemeinsamer Währungsraum mit freien Kapitalströmen sinnvoll funktionieren.

Die Europäische Bankenunion muss zudem den Teufelskreis, in dem einige Länder des Euroraums gefangen sind, zerschlagen. Einmal geht es um zu hohe Staatsschulden. Dann drohen die Risiken unterkapitalisierter Banken. Das Problem vervielfacht sich, weil die beiden Stränge eng verknüpft sind. Einzelne Länder sind überschuldet, weil sie für die Refinanzierung von Banken, die letztlich aus nationaler Sicht, oft aber auch aus gesamteuropäischer Perspektive systemrelevant sind, einstehen müssen. Umgekehrt droht in einigen Ländern Finanzinstituten der Kollaps, weil sie in (zu) großem Umfang Schuldverschreibungen ihrer eigenen Staaten halten. Da letztere aufgrund der steigenden Risiken an Wert verlieren, entsteht für die Banken ein entsprechender Abschreibungsbedarf. Den wiederum können sie nicht bewältigen, weil sie selber zu wenig Eigenkapital haben, was zusätzliche staatliche Hilfe notwendig macht. Und damit schaukeln sich Staatsschulden und Bankenkrise gegenseitig höher und höher, bis am Schluss beiden die Pleite droht, so wie es in Spanien schon lange und nun in Zypern der Fall war. Mit dramatischen Folgen auch für an sich gesunde Finanzinstitute und die reale Wirtschaft – also für Wachstum und Beschäftigung. Bei der Entschuldungsstrategie sind zunächst die einzelnen nationalen Regierungen gefordert. Sie müssen dafür sorgen, dass Staatshaushalte ins Gleichgewicht kommen und dort bleiben. Das ist nicht kurzfristig möglich, sondern wird bestenfalls langfristig zu schaffen sein. Lassen die Märkte oder die Politik dem Abbau von Altschulden nicht so viel Zeit, bis Reformen umgesetzt werden, bedarf es einer rascheren Form der Umschuldung. Im Falle Griechenlands wurden die Gläubiger öffentlicher Schuldner mit einem gewichtigen Schuldenerlass zur Kasse gebeten. In Zypern wurde ein anderer Weg beschritten, der für die Zukunft in der Tat, wie es der holländische Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem formulierte, zu einer Blaupause für ähnlich gelagerte Fälle werden könnte: Schulden wurden nicht sozialisiert, sondern privatisiert.

Das zyprische Vorbild kann dann zu einer klugen europäischen Entschuldungsstrategie werden, wenn zunächst einmal die Eigentümer überschuldeter Banken enteignet werden, indem alle Aktionäre ihre Anteile total abzuschreiben haben und ihre Ansprüche erlöschen. Dann müssen andere Gläubiger – insbesondere die Besitzer von Bankanleihen – ihre Forderungen vollständig abschreiben. Und schließlich sollen Spareinlagen jenseits der durch eine Einlagen(ver)sicherung geschützten Grenze von 100 000 Euro mehr oder weniger weitgehend beigezogen werden. Genügt das alles nicht, um Banken zu sanieren oder abzuwickeln, muss die europäische Ebene ins Spiel kommen. Denn ein Zusammenbruch des Bankwesens im einen Euroland wird automatisch auch zum Problem der anderen Mitgliedstaaten. Deshalb benötigt eine europäische Bankenaufsicht einen gemeinsamen Restrukturierungsfonds. Mit seiner Hilfe sollen nationale Finanzinstitute mit systemischer Relevanz für den gesamten Euroraum entweder gegen Auflagen oder das Abtreten von Aktien rekapitalisiert, verstaatlicht oder abgewickelt werden können.

Wenn sich nationale Banken unabhängig von der finanziellen Situation des jeweiligen Staates bestenfalls refinanzieren oder über den Restrukturierungsfonds rekapitalisieren oder schlimmstenfalls abgewickelt werden könnten, dann hätte eine Schuldenkrise des Staates keine direkten Auswirkungen auf die Kreditversorgung. Und wenn Staaten nicht mehr Banken retten müssten, die von systemischer Relevanz für den gesamten Euroraum sind, würden einzelne Länder nicht immer stärker von den privaten Kreditmärkten abgestraft. Deshalb sind eine Entkopplung von Staatsfinanzen und Kreditversorgung der erste und eine Enteignung von Aktionären maroder Finanzinstitute der zweite Schritt, um den Teufelskreis zwischen nationalen Schulden und Bankenkrisen zu durchbrechen.


DOI: 10.1007/s10273-013-1511-7