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Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium betont in seinem aktuellen Gutachten über die „Finanzpolitischen Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System“ die räumlich diskrepante Bevölkerungsentwicklung und deren Herausforderung für die öffentlichen Haushalte. Als Folge des demografischen Wandels müssen nicht nur Wachstumsprozesse, sondern auch Schrumpfprozesse gestaltet werden. Notwendige Entscheidungen sollten außerdem rechtzeitig erfolgen, damit sich Bund und Länder vor den fiskalischen Folgen schützen können. Ein passender Ordnungsrahmen ist dafür unumgänglich.

Der demografische Wandel wird Deutschland verändern. Die Bevölkerung wird deutlich altern. So wird die Gruppe der Hochbetagten bis 2030 um die Hälfte wachsen, während die Gruppe der Jüngeren um mehr als ein Zehntel abnimmt. Dabei wird die Bevölkerung auch zahlenmäßig zurückgehen. Ohne (Netto-)Zuwanderung wird die Einwohnerzahl von derzeit knapp 82 Mio. bis 2060 um fast 24 Mio. Personen abnehmen. Der Rückgang wird dabei anfangs kaum wahrnehmbar sein und erst mit fortschreitender Zeit spürbar. Er wird sich indessen nicht gleichmäßig im Raum auswirken. Als Beispiel mag Niedersachsen dienen. Im Zeitraum 2010 bis 2030 wird dort die Einwohnerzahl durchschnittlich um lediglich 2,4% zurückgehen. Im Kreis Vechta wird sie gar noch um 8,4% zunehmen, während für den Kreis Osterode am Harz schon ein Rückgang von 17,4% prognostiziert wird. Man muss davon ausgehen, dass die diskrepanten Entwicklungen auf der kommunalen Ebene noch extremer ausfallen. Wegen der Prognoseunsicherheit bei der kleinräumigen Entwicklung liegen für diese Ebene jedoch keine offiziellen Vorausberechnungen vor.

Die Politik muss auf die demografischen Veränderungen reagieren. In Teilbereichen wie der sozialen Alterssicherung hat sie das auch schon getan. So steht die Rente mit 67 für eine wichtige Weichenstellung zur Anpassung an den demografischen Wandel. Weniger klar ist hingegen, wie mit räumlich unterschiedlichen Entwicklungen umzugehen ist. In ihrer Demografiestrategie hat die Bundesregierung zwar angekündigt, dort, wo die demografische Entwicklung zu einem Kreislauf aus Abwanderung, sinkender Attraktivität sowie zu einer Verschlechterung der Daseinsvorsorge und der Einkommensmöglichkeiten führt, durch eine Bündelung ihrer Unterstützungsmöglichkeiten gegensteuern zu wollen. Der politische Wille, keine Region zurückzulassen und notwendige Anpassungslasten solidarisch zu schultern, reicht aber nicht und kann sogar problematisch sein. Nicht nur Wachstumsprozesse, sondern auch Schrumpfprozesse müssen vielmehr gestaltet werden, und dafür bedarf es eines passenden Ordnungsrahmens. Andernfalls droht die Gefahr, dass notwendige Entscheidungen unterbleiben oder zu spät erfolgen.

Bund und Länder müssen sich vor den Folgen schützen und mit einer Politik der Eigenverantwortung rechtzeitig gegensteuern. Das ist die Quintessenz eines Gutachtens, das der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen Ende Juni 2013 überreicht hat.1 Das Gutachten mit dem Titel „Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System“ kommt zu dem Ergebnis, dass nur ein sehr geringer Teil der Anpassungslasten, die der demografische Wandel bei den unteren Gebietskörperschaften verursacht, nicht politisch steuerbar ist. Budgetautonomie lasse sich daher auch in Zeiten des demografischen Wandels auf Dauer nur vertreten, wenn diejenigen, die autonom entscheiden, die Verantwortung für die fiskalischen Folgen auch tragen.

Dabei kann gar nicht bestritten werden, dass ein Rückgang der Bevölkerung die betroffenen Städte und Gemeinden vor große Probleme stellt. Die öffentlichen Haushalte reagieren sehr unterschiedlich, was die Einnahmen- und Ausgabenseite angeht. Da im deutschen Fiskalföderalismus die wichtigste Bestimmungsgröße der Einnahmen die Einwohnerzahl ist, drückt sich ein Bevölkerungsrückgang bei ihnen schleichend aus. Die Einnahmen entwickeln sich zunächst unterdurchschnittlich, bevor sie stagnieren oder gar abnehmen. Der Prozess läuft in jedem Fall weitgehend automatisch. Das ist bei den Ausgaben anders. Sie sind stärker als die Einnahmen das Ergebnis vergangener Entscheidungen. Bei einem Bevölkerungsrückgang gehen sie nicht automatisch zurück. Ohne gezielte Maßnahmen der Politik drohen daher dauerhafte Defizite. Die erforderlichen Maßnahmen sind aber nicht leicht durchzusetzen. Denn bei Leistungskürzungen regt sich der Widerstand der Betroffenen. Der Entwicklung versuchen viele Gemeinden durch die vermehrte Attrahierung von Gewerbe und Wohnbevölkerung entgegenzuwirken. Infrastruktur und öffentliche Leistungen werden so noch in Zeiten ausgeweitet, in denen das Gegenteil schon angezeigt wäre. Überfällige Einschnitte unterbleiben. Das Ergebnis sind eine überdimensionierte Infrastruktur und kommunale Haushalte, die nicht tragfähig finanziert sind.

Für Bund und Länder ist diese Thematik deshalb relevant, weil unterlassene Anpassungen nachgeordneter Gebietskörperschaften ihre eigenen Handlungsspielräume einengen. Wenn die Bevölkerung abnimmt, verteilen sich die bereits aufgetürmten Schulden auf immer weniger Köpfe. Werden darüber hinaus die Anpassungen bei den Ausgaben vernachlässigt, steigen die Schulden schnell in Bereiche, in denen sie aus eigener Kraft nicht mehr bedient werden können. Für Kommunen ist aber die Insolvenzfähigkeit praktisch ausgeschlossen. Unlösbare Schuldenprobleme der Gemeinden werden daher zu Problemen der übergeordneten Gebietskörperschaften. Letztere sehen sich zunehmend mit Forderungen nach Entschuldungsprogrammen, Aufstockung von Finanztransfers und Neuordnung der Finanzausgleichsbeziehungen konfrontiert.

Eng begrenzte Maßnahmen statt Demografiehilfen

Bund und Länder müssen auf solche Entwicklungen steuernd einwirken. Zuviel Laissez-faire könnte sich jedenfalls im Nachhinein als verhängnisvoll erweisen. Für die fiskalisch notwendige Anpassung an den demografischen Wandel bedarf es allerdings eines Ordnungsrahmens. Das jüngste Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats gibt entsprechende Hinweise. Vielleicht am wichtigsten ist die Erkenntnis, dass sich die meisten kommunalen Leistungen einer zurückgehenden Einwohnerzahl ohne Qualitätseinbuße anpassen lassen. Statt zwei Grundschulen gibt es dann nur noch eine. Damit steigen die Kosten je Einwohner nicht, und die Qualität der Versorgung kann gehalten werden. Daher sind allgemeine Demografiehilfen, sei es als Subvention oder als Sonderansatz im kommunalen Finanzausgleich, nicht erforderlich.

Eine Ausnahme von der Regel bilden einige Fälle von netzförmiger Infrastruktur, vor allem die Wasserversorgung und das Abwassersystem. Hier lassen sich proportionale Verkleinerungen nicht durchführen, wenn die Zahl der Nutzer zurückgeht, so dass wegen der annähernd gleichbleibenden Fixkosten die Kosten je Einwohner steigen. Hier können zeitlich begrenzte und auf den speziellen Verwendungszweck beschränkte Anpassungshilfen angemessen sein. Unerwünschte Anreize treten nicht auf, weil die Ursache der Misere in der Vergangenheit liegt.

Anders liegt die Anreizproblematik, wenn Bund und Land wegen der aufgelaufenen kommunalen Schulden Entschuldungsprogramme auflegen. Solche Bailout-Programme lockern die kommunale Ausgabendisziplin und tendieren dazu, notwendige Anpassungsprogramme hinauszuzögern. Stattdessen ist es richtig, kommunale Anstrengungen zur Anpassung der Infrastruktur zu unterstützen, etwa wenn spezielle Angebote mit Nachbargemeinden zusammengelegt werden oder gar kleine Gemeinden fusionieren wollen.

Eine besondere Rolle spielt die Einordnung einer Gemeinde in das zentralörtliche System. Eine Herabstufung innerhalb dieses Systems zieht beispielsweise den Verlust möglicher Investitionszuweisungen des Landes nach sich, wenn der Gemeinde die entsprechende Infrastruktur, etwa ein Gymnasium, nicht mehr zugesprochen wird. Daher wäre es besser, die Mittelvergabe nicht an diese Einordnung zu knüpfen, sondern die Einwohnerwertung im kommunalen Finanzausgleich zu stärken. Dann sinken die Zuweisungen automatisch bei abnehmender Bevölkerungszahl, und es bedarf keiner besonderen Entscheidungen der Politik, gegen die sich schnell der massive Widerstand der Betroffenen regt.

Wenn die erforderlichen Anpassungen an die geringere Einwohnerzahl nicht erfolgen, so hat dies also nicht immer technische Gründe, sondern die Gründe sind häufig politischer Art. Wenn man lange genug wartet, gibt vielleicht die Nachbargemeinde die Grundschule auf, die eigene Schule ist dauerhaft gesichert und dies hält die Attraktivität der Gemeinde für Einwohner und Gewerbe hoch. Dieses strategische Verhalten, in der Ökonomie als Wartespiel bekannt, ist für die einzelne Gemeinde rational. Insgesamt ergibt sich aber daraus eine überdimensionierte Infrastruktur mit entsprechend überhöhten Kosten. Dem müssen Bund und Land begegnen, indem sie auf allgemeine Demografiehilfen verzichten und allenfalls im begrenzten Fall netzgebundener Infrastruktur gezielt und zeitlich begrenzt helfen.

Im Übrigen ist nicht zu leugnen, dass Schrumpfungsprozesse in peripheren Räumen erhebliche persönliche Härten hervorrufen können. Wie in allen historischen Wanderungsprozessen machen sich die jungen, wagemutigen und gut qualifizierten Einwohner auf den Weg, und die älteren, verzagten und wenig ausgebildeten bleiben zurück. Soweit die Politik hier Hilfen für notwendig erachtet, sollten diese aber so gewährt werden, dass sie die Adressaten möglichst zielgenau erreichen. Schließlich sind sie es, die unter der Entwicklung leiden, und nicht etwa die Regionen.

Fazit: Nur dezentral können die richtigen Lösungen gefunden werden

Den aufgezeigten Problemen in Gemeinden, die von Abwanderung bedroht sind, werden offenkundig pauschale Lösungen, wie etwa bundesweit vergebene Demografiehilfen, nicht gerecht. Vielmehr sind passgenaue Lösungen gefragt. Weil der Rückgang der Bevölkerung räumlich äußerst differenziert verläuft, muss entsprechend differenziert reagiert werden. In einer urbanen Region müssen andere Maßnahmen ergriffen werden als in den besonders problematischen peripheren und dünn besiedelten Räumen.

Wichtig ist, dass die erforderlichen Anpassungen auf kommunaler Ebene, vor allem der Rückbau vorhandener und zu groß gewordener Infrastruktur, nicht dadurch behindert wird, dass pauschale Hilfen für die betroffenen Gemeinden gewährt werden. Andernfalls erhöhen sich die Kosten und vor allem die Verschuldungsgrade, und dann werden sie unter politischem Druck auf Land und Bund abgewälzt, ohne dass die Probleme vor Ort behoben sind.

Wie der Wissenschaftliche Beirat abschließend ausführt: „Die Anpassung an den demografischen Wandel muss daher dezentral erfolgen. Diese Forderung stellt indessen die übergeordneten Gebietskörperschaften vor besondere Herausforderungen. Bund und Länder müssen darauf achten, dass die Kosten vernachlässigter Anpassung nicht zunehmend und schleichend auf sie abgewälzt werden. Ist es erst einmal akzeptierte Politik, notleidende Gemeinden mit großzügig bemessenen Hilfen zu unterstützen, könnte dies auf lokaler Ebene die Budgetdisziplin schwächen.

Umso wichtiger ist vorbeugende Politik. Die fiskalpolitische Governance des demografischen Wandels muss das Interesse aller Gebietskörperschaften wachhalten, die längerfristigen Konsequenzen politischer Entscheidungen gebührend zu berücksichtigen.“ Oben, d.h. auf Bundes- und Landesebene, müssen Anreize gesetzt werden, dass auf der lokalen Ebene früh ein Abbau der Infrastruktur in Angriff genommen wird. Unten, also bei Städten und Gemeinden, müssen die schmerzhaften Entscheidungen früh vorbereitet und kommuniziert werden. Jedenfalls ist die Autonomie bei laufenden Budget­entscheidungen nicht ohne Eigenverantwortung für die sich daraus ergebenden Folgen zu rechtfertigen.

Alle Autoren sind Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen.

Title:Fiscal Accountability in Times of Declining Population

Abstract:Demographic change is a particular challenge for fiscal federalism, because the decline of population is expected to affect the various regions within a country unequally. Population growth and shrinkage co-exist, thus requiring both upward and downward adjustments in physical and social infrastructure. A recent report by the Scientific Advisory Board to the German Federal Ministry of Finance discusses the potential implications for the governance of budget policy. The present article reviews this report, which pleads in favour of tight budget constraints and clear-cut fiscal accountability at the local level. Rules have to be enforced which ensure the timely adjustment of local public expenditures to shrinking revenues. The state and federal levels have to protect themselves against the risk of having to bail out those local jurisdictions which have missed or delayed the necessary measures against growing deficits.

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DOI: 10.1007/s10273-013-1560-y

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