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Für die Medien waren die Koalitionsverhandlungen ein gefundenes Fressen: Lange Verhandlungen, SPD-Urabstimmung, Kabinettsbildung – alles konnte in aller Breite und Tiefe berichtet werden. Eher kurz gekommen sind dagegen die wirtschaftlichen Folgen des Koalitionsvertrags. Dabei ist der Koalitionsvertrag für Deutschlands Zukunft durchaus wichtig, auch im Zusammenhang mit der weiter schwelenden Eurokrise und dem anlaufenden EU-Verfahren zu makroökonomischen Ungleichgewichten. Drei Aspekte sind dabei zentral: Was bedeuten die geplanten Politiken kurzfristig für das Wirtschaftswachstum, was für Deutschlands weiter enormen Leistungsbilanzüberschuss und was für das langfristige Wirtschaftswachstum?

Kurzfristig – also über die kommenden vier Jahre – sind zwei Faktoren zentral: Die Entwicklung der Staatsausgaben und die Wirkung des beschlossenen Mindestlohns. Bei den Staatsausgaben addieren sich die Versprechungen zu Mehrausgaben bei öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, Bildung, Kinderbetreuung und Forschung und Entwicklung auf 23 Mrd. Euro, fast 1% des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Beachten muss man hier allerdings, dass diese Zahl für den ganzen Zeitraum des Koalitionsvertrags gilt, also für vier Jahre. Pro Jahr bleibt so ein Plus von 6 Mrd. Euro (0,2% des BIP). Auch dieses Plus dürfte allerdings den tatsächlichen Effekt überzeichnen, denn es gilt gegenüber der bislang bestehenden mittelfristigen Finanzplanung des Bundes. Nach dieser sollten die Investitionsausgaben des Bundes nominal über die kommenden Jahre sogar leicht zurückgehen. Ein beträchtlicher Teil der versprochenen Mehrausgaben dürfte deshalb einzig zum Inflationsausgleich dienen und die Investitionsquote des Staates nicht erhöhen. Allerdings könnte ein anderer Faktor für die Staatsausgaben wichtig werden: Die Verteilung der Mittel zwischen den Ebenen des deutschen Föderalismus. Die Koalitionäre haben versprochen, den Kommunen jährlich 6 Mrd. Euro mehr zufließen zu lassen. Da die Kommunen in Deutschland für den Großteil der staatlichen Infrastruktur zuständig sind, besteht Hoffnung, dass hier zumindest ein kleines Plus übrig bleibt. Insgesamt dürfte aber die Wirkung steigender öffentlicher Investitionen auf das BIP kaum messbar bleiben.

Der zweite wichtige Effekt kommt vom Mindestlohn. Die Koalitionsvereinbarungen sind so gestrickt, dass dieser erst 2017 wirklich greift, dann könnte er aber eine beträchtliche Gruppe von Arbeitnehmern betreffen. Grundsätzlich dürfte dabei der Mindestlohn den Privatkonsum positiv beeinflussen: Da er eine Umverteilung von Unternehmergewinnen und (bei Preissteigerungen für einfache Dienstleistungen) von Beziehern höherer Einkommen zu Beziehern niedriger Einkommen ist, und Niedrigeinkommenshaushalte erfahrungsgemäß praktisch ihr gesamtes Einkommen für den Konsum aufwenden, ist ein Anstieg der Konsumnachfrage zu erwarten.

Allerdings besteht gleichzeitig die Gefahr, dass Arbeitsplätze verloren gehen, was die Verteilungswirkung abschwächen würde. Relativ unplausibel sind Warnungen, der jetzt beschlossene Mindestlohn werde bis zu 1,5 Mio. Arbeitsplätze kosten. 8,50 Euro im Jahr 2017 entsprechen wegen der zu erwarteten Inflation nur 7,85 Euro in heutigen Preisen – ein Niveau, was von den Unternehmen weitgehend zu verkraften sein sollte. Zudem würden im Dienstleistungssektor ja auch die Lohnkosten aller (inländischen) Konkurrenten steigen, sodass die Kostensteigerung relativ leicht in höhere Preise abzuwälzen sein dürfte. Und eine höhere Konsumnachfrage kommt zum Teil auch den Unternehmen mit Niedriglohnbeschäftigten zugute. Geht man also davon aus, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein Fünftel der Beschäftigten betrifft (da es auch zu einem Lohnanstieg in den Gruppen leicht oberhalb der 8,50-Euro-Marke kommen dürfte), dass der Stundenlohn um im Schnitt 1,50 Euro steigt, dass die Betroffenen im Schnitt 20 Stunden pro Woche arbeiten, und dass sich der Arbeitsplatzverlust in Grenzen hält, würde der Mindestlohn die jährliche Lohnsumme um rund 10 Mrd. Euro erhöhen. Da diese Summe eine Umverteilung darstellt und zudem ein Teil in höhere Sozialabgaben und Steuern fließen dürfte, mag vielleicht die Hälfte in einem Zuwachs des Privatkonsums enden und damit kurzfristig das Wirtschaftswachstum leicht ankurbeln.

Die so genannte Mütterrente, ein Rentenaufschlag, der Müttern gewährt werden soll, deren Kindern vor 1992 geboren sind, hat unklarere Konsequenzen. Zwar werden die betroffenen Personen ab Mitte 2014 ihren Rentenzuschlag erhalten, was an sich den Konsum der Rentner erhöhen dürfte. Allerdings wird im Gegenzug der Beitragssatz in der Rentenversicherung nicht gesenkt. Die Mütterrente ist damit eine Umverteilung von der arbeitenden Bevölkerung zu den Rentnern. Da die Rentenbeiträge wegen der Beitragsbemessungsgrenze regressiv wirken und gleichzeitig die betroffenen Rentnerinnen nicht unbedingt zu den ärmeren Haushalten gehören, ist der Nettoeffekt auf den Konsum unklar.

Folgen dürften die Vereinbarungen aber für Deutschlands Leistungsbilanzsaldo haben. Zum einen steigert der (kleine) Anstieg der öffentlichen Investitionen und der private Konsumzuwachs die deutschen Importe. Zum anderen verliert Deutschland durch die höheren Lohn- und Lohnnebenkosten etwas von seiner preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Da beide Effekte aber moderat sind, dürfte auch der Leistungsbi­lanzüberschuss nur wenig zurückgehen. Deutschland liegt derzeit knapp über der Warnmarke der EU-Kommission mit einem Überschuss von 6%. Die versprochenen Maßnahmen könnten reichen, um das Land unter die Schwelle zu drücken und damit etwas internationalen Druck von Deutschland zu nehmen.

Langfristig sieht die Bilanz des Koalitionsvertrages dagegen weit problematischer aus: Der magere Zuwachs bei den öffentlichen Investitionen bedeutet, dass sich an der kritischen Lage der Infrastruktur in Deutschland nichts ändert. Seit 2003 sind die Nettoinvestitionen der öffentlichen Hand negativ. Das dürfte auch unter dem Koalitionsvertrag so bleiben.

Auch für eine weitere Komponente des Potenzialwachstums ist der Koalitionsvertrag bedenklich: Er könnte mittelfristig die Zahl der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte senken. Erstens wurde das von der alten Koalition eingeführte Betreuungsgeld beibehalten, was einen Anreiz für Frauen schafft, nach der Geburt der Kinder über mehrere Jahre zu Hause zu bleiben. Zweitens könnte die abschlagsfreie Rente mit 45 Beitragsjahren dazu führen, dass ältere Arbeitnehmer sich aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen. Dabei kommt es stark auf die tatsächliche Umsetzung an: Sollten tatsächlich Zeiten der Arbeitslosigkeit voll angerechnet werden, so könnten praktisch alle Männer, die keine Akademiker sind, nach den neuen Regeln mit 63 Jahren in Rente gehen. Wie viele davon Gebrauch machen, ist allerdings schwer abzuschätzen: So ist durch die Absenkung des Nettorentenniveaus der frühe Renteneintritt im Vergleich zu den 1990er Jahren deutlich unattraktiver geworden, sodass sich möglicherweise mehr Menschen für einen späteren Renteneintritt entscheiden, und die makroökonomischen Folgen begrenzt bleiben.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Koalitionsvereinbarungen kurzfristig durchaus minimale positive Konsequenzen für Deutschlands Wirtschaftswachstum haben dürften, die langfristigen Bedingungen für Wachstum aber nicht verbessert werden.


DOI: 10.1007/s10273-014-1617-6