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Die Attraktivität und Vielfalt der kulturellen Landschaft sind Aspekte der Lebensqualität, die die Wohn- und Arbeitsortwahl von Menschen und damit die Position von Städten im Wettbewerb um Fachkräfte beeinflussen.1 Insbesondere für hochqualifizierte Fachkräfte stellt das Kulturangebot einer Stadt ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl des Wohnsitzes dar.2 Unternehmen, die qualifiziertes Personal beschäftigen, sind aufgrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels gut beraten, sich an Orten niederzulassen, die ein attraktives und kulturell vielseitiges Umfeld bieten. „People follow jobs“ wird zunehmend durch „jobs follow people“ ersetzt werden müssen.3

Qualität von Kultur statistisch erfassen

Um kulturelle Profile von Städten zu erstellen, muss zunächst festgelegt werden, was unter Kultur zu verstehen ist. Die Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ definiert Kultur als „die Gesamtheit der zahlreichen Sitten und Gebräuche, die in allen Bereichen des täglichen Lebens ihren Ausdruck finden“4. Ein Kulturgut wird als Resultat einer künstlerischen Betätigung, also einer „freie(n) schöpferische(n) Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden“, gesehen. Aus diesen beiden Definitionen lässt sich der Kulturbegriff offensichtlich nicht eindeutig und allgemeingültig für eine statistische Erfassung abgrenzen. Da Kultur nicht nur die Traditionen und Ideale einer Gesellschaft, sondern auch deren jeweiligen Lebensstil widerspiegelt, ist sie im Zeitablauf Wandlungen unterworfen. Und auch die Qualität und Bedeutung eines Kulturguts kann nicht zufriedenstellend erfasst werden, da allgemeingültige, verbindliche, anerkannte, unveränderbare Maßstäbe zur Kategorisierung und Beurteilung künstlerischer Betätigungen fehlen. Eine rein objektive Interpretation der geschaffenen Kultur ist somit unmöglich.

Mit dem HWWI/Berenberg-Kulturstädteranking wurde das kulturelle Angebot (Kulturproduktion) und die kulturelle Nachfrage (Kulturrezeption) für die 30 größten Städte Deutschlands anhand quantitativ messbarer Aspekte beleuchtet. Bei der Kulturproduktion werden Elemente und Grundlagen einbezogen, die für die Entstehung von Kunst und Kultur erforderlich sind. Die Kulturrezeption umfasst die Aufnahme und Nachfrage des kulturellen Angebotes durch die Bewohner und Besucher der Städte. Über die Qualität von Kultur sowie deren geschichtliche oder kulturelle Identität und Symbolik werden dabei keine Aussagen getroffen. Einbezogen in das Ranking wurden nur Kriterien, für die Daten für alle untersuchten Städte vorliegen.5 Um die Breite des Kulturbegriffs und dessen Wandel im Zeitverlauf umfassender abzubilden, wurde das diesjährige Ranking gegenüber dem des Jahres 2012 um drei Indikatoren auf jetzt insgesamt 15 Kriterien erweitert.6

Im Vergleich ergeben sich deutliche Unterschiede bezüglich der angebotenen und gelebten Kultur in den deutschen Städten. Die vorderen Plätze im Kulturstädteranking nehmen Stuttgart, München und Dresden ein. Berlin folgt auf Rang vier, Hamburg landet auf Rang sieben und Köln auf Rang acht. Essen, Europas Kulturhauptstadt 2010, belegt den 13. Platz. Schlusslichter sind Mönchengladbach, Gelsenkirchen, Wuppertal und Duisburg.7 Die Wertung einer Stadt im Gesamtindex – und damit die kulturelle Attraktivität – hängt stark von der Konzentration der ansässigen Kulturwirtschaft ab.8 Da Kultur überwiegend in Form von Dienstleistungen angeboten wird, die meist unmittelbar vor Ort nachgefragt werden, begünstigen hohe Anteile von Unternehmen und Beschäftigten in der Kulturwirtschaft, eine hohe Künstlerdichte und hohe Umsätze der Kulturwirtschaft je Einwohner die kulturelle Attraktivität von Standorten.

Die Ausprägung der regionalen Konzentration der Kulturwirtschaft kann mit Hilfe eines Lokationsquotienten gemessen werden. Da sich die Kulturwirtschaft durch geringe Umsätze, die von relativ vielen Beschäftigten erwirtschaftet werden, auszeichnet, konzentriert sich die Analyse allein auf die Bedeutung der Kulturwirtschaft für die Beschäftigung vor Ort. Der Lokationsquotient wird gebildet, indem der Anteil der Beschäftigten in der Kulturwirtschaft einer Stadt zum entsprechenden durchschnittlichen Anteil in allen betrachteten Städten in Bezug gesetzt wird. Ein Lokationsquotient von eins entspricht somit dem Durchschnitt der 30 Städte. Ein Wert größer eins zeigt eine höhere Konzentration und eine stärkere regionale Spezialisierung auf die Kulturwirtschaft an, als dies im Durchschnitt der betrachteten 30 Städte der Fall ist. Umgekehrt ist die Kulturwirtschaft unterproportional vertreten.

Abbildung 1
Lokationsquotienten der Kulturwirtschaft für die 30 größten Städte Deutschlands
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Quelle: HWWI.

Stuttgart, München und Köln weisen die höchste Konzentration der Kulturwirtschaft in der Beschäftigung auf (vgl. Abbildung 1). In Stuttgart ist der Beschäftigtenanteil im Bereich der Kulturwirtschaft um 60%, in München um 41% und in Köln um 39% höher als im Durchschnitt der 30 Städte. In Berlin, das von vielen als besonders kreative und kulturelle Stadt wahrgenommen wird, liegt, der Anteil der Beschäftigten in der Kulturwirtschaft nur um 9% über dem Durchschnitt. Schaut man jedoch auf die absoluten Zahlen, erreicht Berlin mit 61 754 Beschäftigten in der Kulturwirtschaft den höchsten Wert im Städtevergleich. Es reicht also nicht aus, allein den Lokationsquotienten zu betrachten, wenn es um eine Einordnung der Attraktivität des in Städten gebotenen kulturellen Umfeldes geht. Neben der Konzentration der Beschäftigung wird diese auch von der absoluten Zahl der Beschäftigten geprägt. So erleichtert die Ballung der Kulturbranche in Berlin den persönlichen Kontakt vor Ort, vereinfacht die lokale Interaktion und fördert die Spezialisierung, so dass raumabhängige externe Skalenerträge, die kulturwirtschaftliche Aktivitäten begünstigen, entstehen. Dennoch gilt, dass Städte mit einem Lokationsquotienten über 1,09 eine größere regionalökonomische Wirkung durch die Spezialisierung auf die Kulturwirtschaft verzeichnen, als dies in Berlin der Fall ist.

Einige Städte haben sich stark spezialisiert

Der nach Branchen differenzierte Lokationsquotient der Kulturwirtschaft zeigt, dass einige Städte besonders auf einzelne Branchen spezialisiert sind. So dominiert in Köln die Rundfunk- und Filmwirtschaft mit Lokationsquotienten von 5,87 bzw. 4,53. Während in diesen beiden Branchen im Durchschnitt aller 30 Städte 12,5% aller Beschäftigten in der Kulturwirtschaft angestellt sind, wird der Anteil in Köln mit 47% um fast das Vierfache übertroffen. Diese starke Fokussierung birgt Chancen, aber auch Risiken, da die weitere Entwicklung der Kulturwirtschaft in der Rheinmetropole von den Zukunftsaussichten dieser beiden Branchen abhängig ist. Auch Chemnitz weist mit einem Lokationsquotienten von 4,70 eine starke Spezialisierung auf Designbüros und Fotografie auf. 16% aller Beschäftigten der Kulturwirtschaft in Chemnitz arbeiten in diesem Bereich, während es im Durchschnitt aller Städte nur 3% sind. In Dresden ist die Konzentration bei den Museen und Bibliotheken (3,37) sowie den künstlerischen und kreativen Aktivitäten (2,06) am stärksten ausgeprägt. In beiden Bereichen sind insgesamt 27% aller Beschäftigten der Kulturwirtschaft der sächsischen Metropole beschäftigt. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Durchschnitt über alle 30 Städte (13%). Hamburg weist im Vergleich eine Konzentration in der Musikinstrumentenproduktion (3,16) und im Kulturhandel (1,65) auf. Die Beschäftigten dieser beiden Branchen stellen jedoch nur 13% aller Beschäftigten der Kulturwirtschaft der Hansestadt (Durchschnitt über alle Städte 9%). Stuttgart, Gewinner des Kulturstädterankings, nimmt bei den Architekturbüros und im Verlagsgewerbe mit Lokationsquotienten von 1,81 bzw. 1,77 den Spitzenplatz ein. Statt etwa 57% aller Beschäftigten über alle 30 Städte (Durchschnitt), arbeiten in Stuttgart 64% der Beschäftigten in diesen beiden Branchen. Damit fällt die Spezialisierung hier, wie auch in Hamburg, geringer aus als beispielsweise in Köln, Dresden oder Chemnitz.9

Abbildung 2
a. Kulturstädteranking und Bevölkerungswachstum
b. Kulturstädteranking und tertiärer Bildungsabschluss
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in %
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Quelle: HWWI.

Kulturelle Attraktivität erhöht die Zukunftsfestigkeit

Untersuchungen zeigen, dass Städte mit einem breiten kulturellen Spektrum eine hohe Anziehungskraft auf junge hochqualifizierte Menschen entfalten. In diesen Städten ist das Bevölkerungswachstum stärker und der Anteil Hochqualifizierter höher als im Durchschnitt.10 Die Analysen auf Basis des Kulturstädterankings bestätigen diesen Befund. Städte mit einem guten Ergebnis im Kulturstädteranking haben eine wachsende Bevölkerung (vgl. Abbildung 2a) und weisen einen hohen Bevölkerungsanteil mit hohem formalen Berufs- und Bildungsabschluss auf (vgl. Abbildung 2b). Beides macht diese Städte als Standorte für Unternehmen, die auf gut ausgebildetes Personal angewiesen sind, attraktiv. Angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels werden sich Unternehmen vermehrt an den Orten ansiedeln müssen, an denen die potenziellen Beschäftigen auch leben möchten.11 Damit wird sich der Effekt verstärken, dass Städte, die kulturell gut aufgestellt sind, weiter an Wettbewerbsfähigkeit hinzugewinnen werden. Dass dem schon jetzt so ist, kann am Beispiel des HWWI/Berenberg-Städterankings illustriert werden. Dort werden, analog zum Kulturstädteranking, die 30 größten deutschen Städte hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Entwicklungspotenziale bewertet. Städte, die im Kulturstädteranking 2012 eine hohe Platzierung erzielten,12 schnitten auch im Städteranking 2013 durchschnittlich besser ab.13

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Investitionen in ein vielfältiges kulturelles Spektrum positive ökonomische Entwicklungstendenzen fördern können. Dies gilt unabhängig von der Größe der Stadt – gemessen an deren absoluter Bevölkerungszahl bzw. an der Bevölkerungsdichte. Dies zeigt das Ergebnis des Kulturstädterankings, in dem Städte wie Stuttgart und Dresden vor Berlin und Hamburg rangieren. Für die Stärkung des Wirtschaftsstandortes ist vielmehr die Breite des kulturellen Spektrums sowie die Angebots- und Nachfragedichte, die die Intensität der Wechselwirkungen zwischen Kulturproduktion und -rezeption bestimmt, entscheidend. Somit ist für alle Großstädte die Pflege der Kultur eine zielführende Strategie, wenn es darum geht, Städte zukunftsfest aufzustellen. Denn wenn Städte als Wohnort für Fachkräfte attraktiv sind, profitierten davon alle Branchen – und nicht nur die Kulturwirtschaft vor Ort.


Der Artikel basiert auf Ergebnissen von D. Nitt-Drießelmann, J. Wedemeier: HWWI/Berenberg Kulturstädteranking 2014, Hamburg 2014.

  • 1 Vgl. R. Florida: The rise of the creative class and how it’s transforming work, leisure, community, and everyday life, New York 2002; sowie J. M. Shapiro: Smart cities: Quality of life, productivity, and the growth effects of human capital, in: The Review of Economics and Statistics, 88. Jg. (2006), H. 2, S. 324-335.
  • 2 Vgl. R. Boschma, M. Fritsch: Creative class and regional growth: Empirical evidence from seven European countries, in: Economic Geography, 85. Jg. (2009), H. 4, S. 391-423; O. Falck, M. Fritsch, S. Heblich: Bohemians, human capital, and regional economic growth, CESifo Working Paper, Nr. 2715, München 2009.
  • 3 Vgl. K. Geppert, M. Gornig: More people, more jobs: Urban renaissance in Germany, in: DIW Wochenbericht, 6. Jg. (2010), Nr. 22, S. 173-181; J. Wedemeier: Germany’s Creative Sector and its Impact on Employment Growth, Frankfurt a.M. 2012.
  • 4 Vgl. Enquête-Kommission: Kultur in Deutschland, Berlin 2007, S. 252.
  • 5 Ergebnis der Analyse sind je ein Index zur Kulturproduktion und zur Kulturrezeption, die aus dem arithmetischen Mittel der Standardabweichungen gebildet werden. Das Gesamtranking ergibt sich aus der Zusammenführung beider Indizes mit einer Gewichtung von je 50%.
  • 6 Hinzugekommen sind „Festivalbesucher“ und „Institutionen des Kunstmarktes (Auktionshäuser/Galerien/Kunsthändler)“. Weiterhin wurde der „Anteil der Unternehmen der Kulturwirtschaft an den Unternehmen insgesamt“ zusätzlich berücksichtigt, um die regionalwirtschaftliche Bedeutung der Kulturwirtschaft stärker einfließen zu lassen.
  • 7 Zusammengenommen erreichen die Ruhrgebietsstädte Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen und Gelsenkirchen den 21. Platz im Index Produktion und Rang 24 im Index Rezeption. Im Gesamtranking würden die großen Städte des Ruhrgebiets auf Platz 24 (von 26) gelistet.
  • 8 Zur Kulturwirtschaft zählen die Musik-, Film-, Rundfunk- und Design­wirtschaft, der Kunst-, Buch-, Architektur- und Pressemarkt sowie der Markt für Darstellende Künste, vgl. M. Söndermann: Leitfaden zur Erstellung einer statistischen Datengrundlage für die Kulturwirtschaft und eine länderübergreifende Auswertung kulturwirtschaftlicher Daten, Endfassung für die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Kulturwirtschaft der Wirtschaftsministerkonferenz, Köln 2009.
  • 9 Wirtschaftszweige der Kulturwirtschaft (Dreisteller-Ebene): Verlagsgewerbe, Filmwirtschaft/Tonträgerindustrie, Rundfunk, Architekturbüros, Designbüros, Fotografie, künstlerische/kreative Aktivitäten und Ähnliches, Museen, Bibliotheken und Ähnliches, Schmuck- und Musikinstrumentenproduktion sowie Kulturhandel und Ähnliches. Software/Games und Werbung gehören hingegen nicht zur Kulturwirtschaft, sondern zur Kreativwirtschaft. Vgl. M. Söndermann: Statistische Anpassung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland, Köln 2012.
  • 10 Vgl. R. Boschma, M. Fritsch, a.a.O.; O. Falck, M. Fritsch, S. Heblich, a.a.O.; J. Wedemeier, a.a.O.
  • 11 Vgl. R. Florida, a.a.O.; sowie J. M. Shapiro, a.a.O.
  • 12 J. Wedemeier, S. Stiller: HWWI/Berenberg Kulturstädteranking 2012, Hamburg 2012.
  • 13 J. Wedemeier, M. Teuber: HWWI/Berenberg Städteranking 2013. Die 30 größten Städte Deutschlands im Vergleich, Hamburg 2013.


DOI: 10.1007/s10273-014-1768-5

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