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Am 1.5.2004 sind zehn neue Mitgliedstaaten, vor allem Transformationsländer, in die EU aufgenommen worden. Drei Jahre später, am 1.1.2007, kamen Bulgarien und Rumänien hinzu. Während deutsche Unternehmer zunächst die zusätzliche Konkurrenz fürchteten, bewerten sie die Auswirkungen der Osterweiterung inzwischen positiv. Die neuen Mitgliedstaaten haben von ihrem Beitritt grundsätzlich profitiert, sogar in Hinblick auf die Beihilferegelungen konnten sie den strengen Anforderungen der EU entsprechen. Allerdings haben sich flexible Wechselkurse in der Krise für die Länder außerhalb des Euroraums als Vorteil erwiesen. Zudem leiden Rumänien und Bulgarien unter der Instabilität ihrer politischen Systeme.

Positiver Befund zur Osterweiterung

Am 1.5.2014 jährte sich zum zehnten Mal die sogenannte Osterweiterung der Europäischen Union. 2004 traten acht mittel- und osteuropäische Länder (MOE-Länder) der EU bei: Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Tschechische und die Slowakische Republik, Ungarn und Slowenien. Außerdem wurden Malta und Zypern aufgenommen. Gemessen an der Zahl der beitretenden Länder und deren Bevölkerung war diese fünfte Erweiterung nicht nur die bislang umfangreichste. Sie stellte die damalige EU15 auch vor die bis dahin größte Herausforderung, galt es doch acht Länder zu integrieren, die vormals fast alle zum Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) gehörten und erst eine Transformation zu Demokratie und Marktwirtschaft durchlaufen mussten. Der Europäische Rat, der im Juni 1993 in Kopenhagen den Beitrittsprozess eröffnete, machte dies mit seinen Beitrittskriterien auch zur Voraussetzung.

Eine weitere Herausforderung war die geringe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der neuen Mitgliedstaaten und ihr geringes Pro-Kopf-Einkommen. Im Vergleich mit der vorhergehenden Erweiterung um Finnland, Österreich und Schweden waren die acht neuen MOE-Länder arm. 2003, im Jahr vor der Erweiterung, lag das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt und das Bruttonationaleinkommen der zehn Beitrittskandidaten jeweils je Einwohner und in Kaufkraftstandards gemessen bei rund der Hälfte des Mittelwerts der EU15. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Erweiterung nicht nur positiv gesehen wurde. Zwar wurde mit ihr die politische und wirtschaftliche Teilung Europas endgültig überwunden, gleichwohl gab es auch skeptische bis negative Erwartungen. Vor allem wurde befürchtet, dass die großen Einkommensunterschiede massive Wanderungen von Ost nach West auslösen könnten, mit negativen Folgen für Arbeitsmärkte und Sozialsysteme.

Der zehnte Jahrestag bietet nun Anlass zu einer Bestandsaufnahme, wie sich die Erweiterung ausgewirkt hat. Zum einen wird die Erweiterung aus der Perspektive der MOE-Länder beurteilt.1 Dabei steht die Integration in den Binnenmarkt im Mittelpunkt. Zum anderen wird untersucht, ob sich die positiven und negativen Erwartungen aus der Sicht der deutschen Unternehmen bewahrheitet haben.2

Binnenmarkt für Waren

Der Handelsaustausch zwischen den MOE-Ländern und der EU15 war schon lange vor der eigentlichen Erweiterung weitgehend liberalisiert worden. Mit den sogenannten Europaabkommen und im Vorgriff darauf mit den Interimsabkommen beseitigte die EU die Zölle und mengenmäßigen Handelsbeschränkungen für die meisten Industriewaren aus den Abkommensländern.3 In der Folge nahmen die Warenexporte in die EU15 bereits vor der formellen Osterweiterung deutlich zu.4

Aus Gründen der Datenverfügbarkeit beschränkt sich die Darstellung in der Abbildung 1 auf die drei großen Beitrittsstaaten Polen, Tschechische Republik und Ungarn. Dabei zeigt sich ein ähnliches Bild: Von Anfang/Mitte der 1990er Jahre bis Anfang/Mitte der 2000er Jahre entwickeln sich die Gesamtexporte und die Exporte in die EU15 jeweils gemessen in Relation zum BIP in etwa im Gleichlauf. Danach öffnete sich eine Schere zwischen den Gesamtexporten und den EU15-Exporten. Dieses Muster zeigt sich auch in Ungarn, obwohl dort, anders als in Polen und der tschechischen Republik, Anfang der 2000er Jahre ein Rückgang der Exportquoten zu verzeichnen war.

Erklären lässt sich diese scherenartige Entwicklung mit der unterschiedlichen Wachstumsdynamik der Zielländer: Während das Wirtschaftswachstum der Welt ohne EU15 nach der Osterweiterung mit jahresdurchschnittlich gut 3% fast gleich hoch ausfiel wie in der vorhergehenden Dekade, war in den EU15-Staaten eine erhebliche Wachstumsverlangsamung zu verzeichnen: Das reale BIP stieg im Zeitraum 2004 bis 2012 nur um 1% an, zwischen 1993 und 2004 lag das Wirtschaftswachstum dagegen bei 2,5%. Damit war die EU15 nach dem Beitritt für die MOE-Länder ein erheblich schwächerer Absatzmarkt.

Abbildung 1
Exportdynamik
Warenexporte in % des BIP
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Quellen: OECD; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Binnenmarkt für Kapital

Die Direktinvestitionen, eine Form des langfristigen Kapitalverkehrs, waren für die MOE-Länder von besonderer Bedeutung, galt es doch, den unter ganz anderen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entstandenen und vielfach überalterten Kapitalstock zu modernisieren. Hier zeigt sich im Vergleich zum Handel ein etwas anderes Bild (vgl. Abbildung 2). Bezieht man die Direktinvestitionsbestände in den MOE-Ländern mit Herkunft EU15 auf das BIP, so hat sich dieser Quotient nach dem Beitritt noch einmal deutlich erhöht. Während er 1994 bei etwa 10% des BIP lag, stieg er bis 2003 auf etwa 28% an. Seitdem war ein weiterer Anstieg auf 42% im Jahr 2012 zu verzeichnen. Der deutliche Zuwachs nach dem Beitritt kann damit erklärt werden, dass infolge der Übernahme des Acquis communautaire durch die MOE-Länder die Rechtssicherheit für ausländische Investoren anstieg.

Abbildung 2
Direktinvestitionen aus der EU15 in den neuen Mitgliedstaaten
Bestände an Direktinvestitionen1 in % des BIP
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1 Einschließlich Direktinvestitionen von Zweckgesellschaften.

2 Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechische und Slowakische Republik, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern.

3 Ohne Malta und Zypern.

Quellen: Eurostat; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Binnenmarkt für Personen

Eine wichtige Freiheit im Rahmen des Binnenmarktes ist die Freizügigkeit für Arbeitnehmer und für Selbstständige, für Letztere im Rahmen der Niederlassungsfreiheit. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit war beim Abschluss des Beitrittsvertrags umstritten. Manche Altmitgliedstaaten schreckten vor einer sofortigen Einbeziehung der MOE-Länder in diesen Bereich des Binnenmarktes zurück, weil aufgrund der erheblichen Einkommensunterschiede große Zuwanderungen und Störungen auf den Arbeitsmärkten erwartet wurden.5 Vor allem auf Initiative der deutschen Bundesregierung wurde daher eine gestaffelte Übergangsfrist von bis zu sieben Jahren vereinbart,6 während der die alten Mitgliedstaaten die bestehenden Zugangsbeschränkungen für Arbeitnehmer beibehalten konnten (2+3+2-Regelung). Von dieser Regelung machten die Mitgliedstaaten unterschiedlich Gebrauch. Während Irland, Schweden und Großbritannien mit dem Beitritt die Freizügigkeit zuließen, folgten Deutschland und Österreich erst nach Ende der siebenjährigen Übergangsfrist.

Von 2005 bis 2012 hat sich die Zahl der Erwerbstätigen mit Staatsangehörigkeit eines neuen Mitgliedstaates in der EU15 von rund 557 000 auf knapp 1,6 Mio. fast verdreifacht. Die Hälfte des Zuwachses fiel dabei auf Großbritannien (vgl. Tabelle 1). In Deutschland nahm die Zahl nach dieser Statistik von 212 000 auf knapp 400 000 Personen zu. Gemessen an der Gesamtbeschäftigung in der EU15 stieg der Anteil im Zeitraum 2005 bis 2012 von 0,3% auf 0,9% an. Der Zustrom war am stärksten in Irland mit 6,5%. In Großbritannien waren es 2,4% und in Deutschland 1,0%. Diese Werte zeigen, dass die Freizügigkeit in einem überschaubaren Ausmaß genutzt wurde.

Tabelle 1
Freizügigkeit für Erwerbstätige in Europa
Beschäftigte mit Staatsangehörigkeit der zehn neuen Mitgliedstaaten in der EU15
  in 1000 Personen in % aller Beschäftigten
  2005 2012 2005 2012
EU15 556,5 1572,8 0,3 0,9
Belgien 8,5 34,2 0,2 0,8
Dänemark 2,8 20,5 0,1 0,8
Deutschland 211,8 398,7 0,6 1,0
Finnland 5,9 15,5 0,2 0,6
Frankreich 17,5 28,2 0,1 0,1
Griechenland 14,0 8,5 0,3 0,2
Großbritannien 159,3 686,9 0,6 2,4
Irland1 107,6 117,1 5,4 6,5
Italien 27,6 78,2 0,1 0,3
Luxemburg 0,5 3,9 0,3 1,7
Niederlande 7,4 34,1 0,1 0,4
Österreich 48,5 73,1 1,3 1,8
Portugal 0,4 1,0 0,0 0,0
Schweden 11,4 25,2 0,3 0,6
Spanien 41,0 47,7 0,2 0,3

1 Angaben für 2006.

Quellen: Eurostat: Datenbank; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Kohäsionspolitik

Seit ihrem Beitritt sind die neuen Mitgliedstaaten auch über Einnahmen und Ausgaben in die finanziellen Beziehungen mit dem EU-Haushalt eingebunden. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Ausgaben im Rahmen der Kohäsionspolitik. Der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt ist ein wichtiges Förderziel der EU. Im Jahr 2012, dem letzten Jahr, für das Ist-Zahlen vorliegen, waren es 48,5 Mrd. Euro. Werden nur die Ausgaben für die Kohäsionspolitik in den neuen Mitgliedstaaten betrachtet, bleibt ihre finanzielle Beteiligung zur Finanzierung dieser Politik über ihren Beitrag zum Unionshaushalt unberücksichtigt. Es liegt daher nahe, für die Kohäsionsausgaben die Nettopositionen gegenüber dem EU-Haushalt zu berechnen. Dabei wird der Methode gefolgt, die die EU-Kommission ihren Berechnungen der operativen Haushaltssalden der einzelnen Mitgliedstaaten zugrunde legt.7

Der zeitliche Vergleich zeigt, dass die neuen Mitgliedstaaten gut in die Kohäsionspolitik hineingewachsen sind. Dies spiegelt sich in der Entwicklung der aggregierten Salden für die beiden Wirtschaftsräume wider. Aufgrund der Berechnungsmethode addieren sich die Salden zu null, d.h., die Zahlungen an die Nettoempfängerstaaten entsprechen den Beiträgen der Nettozahlerstaaten. Im Jahr 2012 wurden rund 17,8 Mrd. Euro zwischen der Gruppe der EU15 und den neuen Mitgliedstaaten für Zwecke der Kohäsionspolitik umverteilt, das entspricht etwa 2,23% des gemeinsamen Bruttonationaleinkommens der neuen Mitgliedstaaten. Im Jahr 2005 waren es erst 68 Mio. Euro. Ein Grund dafür ist, dass in den Empfängerländern zunächst Programme aufgestellt und Projekte ausgewählt werden mussten, bevor Zahlungen fließen konnten.

Neue Mitgliedstaaten holen auf

Die neuen Mitgliedstaaten haben ihren Abstand beim Bruttonationaleinkommen je Einwohner gegenüber den EU15 inzwischen deutlich verringern können. Kamen sie 1993 erst auf eine Relation von 41%, liegen sie inzwischen bei 61%. Der sich hieran abzeichnende Konvergenzprozess lässt sich auch mit weiteren Indikatoren belegen (vgl. Abbildung 3). Unter den ausgewählten Kenngrößen ist die Entwicklung bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) eindrucksvoll.

Abbildung 3
Konvergenzindikatoren
Angaben für die zehn neuen Mitgliedstaaten in % der Werte für die EU15
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1 Je Einwohner auf Basis von Kaufkraftstandards.

2 Preisbereinigt je Einwohner.

3 Preisbereinigt je Erwerbstätigen.

Quellen: Datenbank AMECO; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Überdies ist festzustellen, dass sich der Aufholprozess der neuen Mitgliedstaaten bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, gemessen am BIP je Einwohner in Kaufkraftstandards, in der Periode nach der Erweiterung (2004 bis 2012) gegenüber dem Zeitraum 1993 bis 2003 beschleunigt hat.8 Zu diesem Ergebnis gelangt man, wenn eine Konvergenzrate berechnet wird, die als Mittelwert aus dem Verhältnis der Zuwachsraten des BIP je Einwohner in den beiden Wirtschaftsräumen definiert werden kann.9

Bewertung deutscher Unternehmen

Es wurde gezeigt, dass die MOE-Länder mit ihrer Integration gute wirtschaftliche Erfahrungen gemacht haben. Vor diesem Hintergrund kann auch gefragt werden, wie die Osterweiterung hierzulande bewertet wird. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) hat deshalb die Firmen in Deutschland nach ihren Erfahrungen mit der EU-Osterweiterung gefragt.10 Die Basis bildeten die regelmäßigen IW-Konjunkturerhebungen. Im Rahmen der Zusatzfrage wurden die Unternehmen in Deutschland im Frühjahr 2004, 2005 und 2014 mit den gleichen Antwortkategorien nach ihren Erwartungen und Erfahrungen mit der EU-Osterweiterung gefragt.

Im März und April 2004 wurden die Teilnehmer der IW-Befragung gebeten, aus der Sicht ihres Unternehmens die zu erwartenden Auswirkungen der anstehenden EU-Osterweiterung einzuschätzen. Die deutschen Unternehmen gingen vor zehn Jahren von einem höheren Konkurrenzdruck aus (vgl. Abbildung 4) – zum einen durch Importe aus den MOE-Ländern; zum anderen durch Firmen aus den Beitrittsländern, die selbst nach Deutschland kommen, um hier ihre Leistungen zu erbringen. Rund 30% der Firmen erwarteten davon starke Impulse für ihr Unternehmen. Dagegen sah mehr als ein Drittel der Betriebe hierdurch überhaupt keine Auswirkungen. Das verbleibende Drittel nannte geringe Impulse für ihr Unternehmen. 30% (West) und 37% (Ost) sahen keinen Druck für Rationalisierungen. Dies war aber bei mehr als einem Drittel der westdeutschen und einem Viertel der ostdeutschen Unternehmen in hohem Maß der Fall. Für diesen stärkeren Anpassungsdruck durch Prozessverbesserungen infolge der Osterweiterung sprachen offensichtlich die deutlich niedrigeren Arbeitskosten in den Beitrittsländern.11

Abbildung 4
Erwartungen und Erfahrungen deutscher Unternehmen mit der EU-Ostererweiterung im Vergleich
Angaben in % der befragten Unternehmen1
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1 Unternehmen aller Wirtschaftsbereiche. Rest zu 100: geringe Erwartungen/Erfahrungen.

Quelle: M. Grömling: Erfahrungen deutscher Unternehmen mit der EU-Osterweiterung, IW policy paper, Nr. 7/2014, Köln.

Auch die positiven Erwartungen hinsichtlich der EU-Osterweiterung fielen im Frühjahr 2004 überschaubar aus: Die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen sah keinerlei Impulse durch billigere Vorleistungen und eine stärkere Nachfrage nach ihren Produkten aus den Beitrittsländern. Nur 2% bis 3% der Unternehmen waren der Ansicht, dass sich ein Arbeitskräftemangel in ihrem Betrieb durch die Osterweiterung in hohem Ausmaß vermindern lasse. Weitere rund 20% sahen hier zumindest geringe Impulse. Für gut drei Viertel war dies im Jahr 2004 allerdings überhaupt keine Option. Rund ein Zehntel der befragten Unternehmen glaubte, dass sich nach dem 1.5.2004 starke Impulse für eine Produktionsverlagerung ihres Unternehmens nach Mittel- und Osteuropa ergeben, weitere 20% erwarteten immerhin schwache Impulse. Das galt sowohl in West- als auch in Ostdeutschland hauptsächlich für die Industrie.

Bei der IW-Frühjahrsbefragung 2005 zeigte sich, dass die Erwartungen der Unternehmen hinsichtlich starker Auswirkungen durch die EU-Osterweiterung geringer waren als noch im Frühjahr 2004 (vgl. Abbildung 4). Der Rationalisierungs- und Innovationsdruck infolge der Osterweiterung, der Konkurrenzdruck durch Importe, billigere Vorleistungen oder durch Firmen aus den MOE-Ländern vor Ort wurden im März/April 2005 erheblich schwächer eingeschätzt als im vorhergehenden Frühjahr. Ebenso zeigte sich, dass der Anteil der Unternehmen, die zumindest nach dem ersten Jahr keine Impulse durch die EU-Osterweiterung erfahren hatten, zum Teil erheblich höher war als im Frühjahr 2004 zunächst erwartet.

Im Frühjahr 2014 fielen die Bewertungen der Osterweiterung durch die deutschen Unternehmen nochmals erheblich entspannter aus als im Frühjahr 2005. Der linke Teil von Abbildung 4 zeigt, dass sich vor allem in den Kategorien, in denen vor zehn Jahren die größten Anpassungserwartungen artikuliert worden waren, deutliche Herabstufungen vorgenommen wurden: Erwartete im Jahr 2004 noch rund ein Drittel der Betriebe starke Auswirkungen durch einen höheren Rationalisierungsdruck und mehr Wettbewerb durch Importe und Firmen aus den MOE-Ländern, so gaben im Frühjahr 2014 nur noch 10% der Firmen an, dass sie starke Auswirkungen über diese drei Kanäle erfuhren. Eine ebenfalls erheblich schwächere Evaluierung – im Vergleich zu den ursprünglichen Erwartungen – ist beim Innovationsdruck, den billigeren Vorleistungen und bei der Verlagerung zu beobachten. Hinsichtlich der bereits im Jahr 2004 sehr niedrigen Erwartungen in den Kategorien stärkere Nachfrage aus den MOE-Ländern, geringerer Arbeitskräftemangel und weniger Absatzschwankungen gibt es nun zehn Jahre später kaum merklich andere Bewertungen.

Dieser im Zeitablauf entspanntere Blick auf die Auswirkungen der EU-Osterweiterung zeigt sich schließlich auch anhand der Anteile der Unternehmen, die in den einzelnen Bewertungskategorien überhaupt keine Effekte erwartet und letztlich beobachtet haben. Mit Ausnahme der Kategorie geringerer Arbeitskräftemangel ist der Anteil der überhaupt nicht betroffenen Unternehmen nicht nur gegenüber dem Erwartungsstatus 2004, sondern auch gegenüber der ersten Bestandsaufnahme im Jahr 2005 angestiegen. In einer Reihe von Bereichen – Produktionsverlagerung, Rationalisierung, Importe, Vorleistungen und Innovationsdruck – gab es gegenüber dem Jahr 2005 sogar nochmals eine deutliche Aufwärtskorrektur um mindestens 10 Prozentpunkte.

Keine Angst vor Integration

Die Unternehmen in Deutschland gingen vor zehn Jahren von einem höheren Konkurrenzdruck durch die Osterweiterung aus. Bereits ein Jahr nach der offiziellen Erweiterung hatten sich für die Unternehmen diese Erwartungen bei Weitem nicht bewahrheitet. Diese Entspannung setzte sich bis zum Frühjahr 2014 fort. Die Osterweiterung der EU ging offensichtlich mit keinen großen Umwälzungen in den deutschen Unternehmen einher. Dabei gilt es zu beachten, dass es in einzelnen Firmen durchaus zu erheblichen Anpassungen kam. Die IW-Unternehmensbefragung zeigt deutlich, dass die ökonomischen Folgen der EU-Osterweiterung in den Firmen hierzulande nicht negativ wahrgenommen werden.

Die Umfrageergebnisse machen deutlich, dass sich Befürchtungen, die oftmals mit Marktöffnungen – für Erwerbstätige und Güter – einhergehen, so nicht eintreten müssen. Wirtschaftliche Integration ist kein Nullsummenspiel, sie ist keine Einbahnstraße. Vielmehr belebt sie den Austausch und sie erhöht den Wohlstand aller Beteiligten. Die Ergebnisse stimmen zuversichtlich und sie helfen, die Ängste vor weiteren wirtschaftlichen Integrationsschritten zu relativieren.

  • 1 Vgl. B. Busch: Zehn Jahre Osterweiterung der Europäischen Union, in: IW-Trends, 41. Jg. (2014), Nr. 1, S. 99-116.
  • 2 Vgl. M. Grömling: Erfahrungen deutscher Unternehmen mit der EU-Osterweiterung, IW policy paper, Nr. 7/2014, Köln.
  • 3 H. Kohlmann: Die Europaabkommen zwischen den Visegrád-Staaten und der EU: Grundlagen, Inhalt und Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen und die Wirtschaftsstruktur der Visegrád-Staaten, Köln 1997; H.-D. Kuschel: Die Europaabkommen der EG mit Polen, Ungarn und der CSFR, in: Wirtschaftsdienst, 72. Jg. (1992), H. 2, S. 93-100.
  • 4 M. Grömling, C. Römer: Die Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands mit Mittel- und Osteuropa, in: IW-Trends, 31. Jg. (2004), Nr. 1, S. 9-14; Deutsche Bundesbank: Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf die deutsche Wirtschaft, in: Monatsbericht, Mai 2004, S. 5-23.
  • 5 H. Schäfer: Migrations- und Arbeitsmarktwirkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, in: IW-Trends, 38. Jg. (2011), Nr. 2, S. 5-18.
  • 6 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union, in: Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1100, 2.6.2003, S. 80.
  • 7 Vgl. B. Busch: Auswirkungen der EU-Erweiterung auf die Entwicklung und Verteilung des EU-Haushalts, in: IW-Trends, 35. Jg. (2008), Nr. 3, S. 3-16.
  • 8 Vgl. B. Busch: Zehn Jahre Osterweiterung ..., a.a.O.
  • 9 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2003/2004, Tz. 168.
  • 10 Vgl. M. Grömling, a.a.O.
  • 11 Vgl. C. Schröder: Die industriellen Arbeitskosten der EU-Beitrittskandidaten, in: IW-Trends, 31. Jg. (2004), Nr. 1, S. 45-49.

Die EU-Osterweiterung aus geld- und finanzpolitischer Sicht

Die EU-Erweiterung hat damals viele überrascht: in Bezug auf ihren Umfang, ihre Geschwindigkeit und nicht zuletzt ihre relative Unkompliziertheit. Während man 1995, als Österreich, Schweden und Finnland der EU beitraten, noch Volksabstimmungen abhielt und Überzeugungsarbeit leisten musste, gab es 2004 kaum Skepsis oder kritische Stimmen. Die EU-Erweiterung wurde vor allem als politischer Erfolg gesehen – 15 Jahre nachdem der Eiserne Vorhang zu Fall gebracht worden war, wurden die vier Freiheiten (Warenverkehr, Personenverkehr, Dienstleistungen und Kapitalverkehr) sukzessive auf die ehemaligen kommunistischen Länder ausgedehnt. Nicht nur die Politik, auch die Wirtschaft erhoffte sich eine rasche Angleichung von Ost und West.1

Der Konvergenzprozess war und ist Gegenstand zahlreicher Analysen, wobei man Konvergenz aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachten kann. Neben der Einkommenskonvergenz ist unter Konvergenz auch eine Angleichung im Hinblick auf das zyklische Verhalten von Volkswirtschaften zu verstehen, d.h. Konjunkturaufschwung und Konjunkturabschwung erfolgen weitgehend parallel. Überraschenderweise wurde in den letzten Jahren nicht immer ein Konvergieren, sondern insbesondere in der Erholungsphase der Finanzkrise auch ein Auseinanderdriften der EU-Länder festgestellt. Dies traf sowohl auf die zyklische Entwicklung von Ost- und Westeuropa, als auch auf die Länder innerhalb Zentral- und Osteuropas und jene innerhalb des Euroraumes zu.2

Der Aufholprozess – auf der Zielgeraden oder kein Ende in Sicht?

Für eine Standortbestimmung eines Landes im Vergleich zu anderen Ländern nimmt man hingegen das Einkommen pro Kopf zu Kaufkraftparitäten. Der Quantensprung im Hinblick auf diesen Indikator hat bereits in den Jahren vor dem EU-Beitritt stattgefunden. Ausgangspunkt im Jahr 1995 war ein BIP pro Kopf von 2000 (Baltische Länder, Bulgarien und Rumänien) bis 8000 Euro (Slowenien), das sich bis 2004 in den meisten Ländern vervielfacht hat. In den zehn Jahren nach dem EU-Beitritt haben die neuen EU-Länder weiter aufgeholt. Interessant ist, dass jene mit der besten Ausgangsposition (z.B. Slowenien) dabei gegenüber anderen ins Hintertreffen geraten sind. Konkret gehört Slowenien zu jenen wenigen Ländern, in denen das BIP pro Kopf 2014, also nach der Krise, unter jenem von vor der Krise liegt. Die Slowakei, ursprünglich eher Schlusslicht, aber auch Polen, haben sich in diesem Rennen deutlich besser geschlagen. Die relativ größten Zuwächse verzeichneten ausgangsniveaubedingt Bulgarien und Rumänien (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Pro-Kopf-Einkommen der neuen Mitgliedstaaten
in % des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens der EU28
zu Kaufkraftparitäten
35603.png

Quelle: AMECO Datenbank.

Die Ursachen für diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten sind schwierig zu beurteilen, weil dieser Zeitraum nicht nur vom Aufholprozess, sondern zuerst von der internationalen Finanzmarktkrise und dann von der europäischen Verschuldungskrise geprägt war. Der Aufholprozess selbst hat sich in diesen zehn Jahren fortgesetzt, aber er ging lange nicht so schnell vonstatten wie ursprünglich gedacht. Aus der Prognose, dass es sich dabei um die Dauer einer Generation handelt, wurden mittlerweile drei.

Unabhängig von der Krise – warum hat man damals das Tempo so dramatisch überschätzt?

  • Erstens erfolgte die EU-Erweiterung 2004, und das war ein Jahr durchaus hohen Wirtschaftswachstums. Die Prognosen lagen damals bei 4% bis 4,5% BIP-Wachstum mit einem Wachstumsdifferenzial von über 2 Prozentpunkten zu den EU15-Ländern – und bei einer simplen Fortschreibung wäre man eben bereits nach knapp 30 Jahren bei einer völligen Einkommenskonvergenz zwischen Ost- und Westeuropa gelandet (vgl. Abbildung 2).
  • Zweitens hat sich in den letzten zehn Jahren das Globalisierungstempo deutlich beschleunigt. Während man anfangs noch davon ausging, dass die Direktinvestitionen der europäischen Industrieländer in den neuen EU-Ländern für lange Zeit eine neue Destination gefunden hätten, sind viele davon mittlerweile weitergewandert, manche in den Westbalkan, manche in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und andere in die asiatischen Schwellenländer. Ursache für dieses „Weiterwandern“ sind sicherlich die steigenden Lohnstückkosten in den neuen EU-Ländern, aber auch die in der EU einzuhaltenden Bestimmungen. Zusätzlich bietet China einen neuen, boomenden Absatzmarkt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass viele dieser Entwicklungen durchaus positiv zu sehen sind, schließlich kann es kein Ziel eines EU-Landes sein, als Niedriglohnland oder Land ohne Umwelt- und Sicherheitsstandards in die Industriegeschichte einzugehen.
Abbildung 2
Konvergenzsimulation der mittel- und osteuropäischen Staaten zu den alten EU-Mitgliedstaaten (EU12)
in % der EU12
35503.png

Quelle: IWF, eigene Berechnungen.

Die neuen EU-Länder sind – was den Außenhandel betrifft – relativ offen. Die meisten Länder betreiben mehr Handel (in % des BIP) als der Durchschnitt des Euroraumes.3 Gründe dafür sind ihre Kleinheit, aber auch die Tatsache, dass viele der von ausländischen Konzernen angesiedelten Produktionsstätten entweder Zwischengüter oder überhaupt für andere Absatzmärkte produzieren. Dem Höhepunkt der Krise folgte ein überraschend starker Einbruch der globalen Handelsströme. Das Volumen des Welthandels sank 2009 um 20%. Somit führte die ausgeprägte Offenheit der neuen EU-Länder dazu, dass einige von der Krise überdurchschnittlich stark getroffen wurden.

Insgesamt hat die Krise 2008 das Wachstumsdifferenzial zwischen den neuen EU-Ländern und dem Euroraum von 3½ Prozentpunkten auf ½ Prozentpunkt schrumpfen lassen. Seit 2011 hat sich dieses Differenzial wieder vergrößert und beträgt aktuell 1½ Prozentpunkte, ein Wert, der auch in den nächsten Jahren erwartet wird (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3
Wachstumsdifferenziale der mittel- und osteuropäischen Staaten gegenüber der EU/dem Euroraum
in Prozentpunkten
35537.png

2014 bis 2018: Frühjahrsprognose 2014 des IWF. Estland, Lettland, die Slowakei und Slowenien sind in allen drei Aggregaten (EU, Euroraum, mittel- und osteuropäische Staaten) enthalten.

Quellen: Eurostat; IWF.

Erweiterung in Wellen oder alle auf einmal?

Im Vorfeld des EU-Beitritts gab es einige heftige Diskussionen, die wahrscheinlich bei vielen in der Zwischenzeit wieder in Vergessenheit geraten sind. Zum Beispiel war ursprünglich keineswegs angedacht, dass alle zehn (respektive alle zwölf) Länder auf einmal der EU beitreten. Vielmehr war ein sequenzieller Beitritt, also ein Beitritt von Ländergruppen, geplant. Damit wollte die EU dem unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsgrad der Länder Rechnung tragen. Nachdem es allerdings schwierig war, über die Beitrittsreife (oder eben Nicht-Reife) zu entscheiden, und eine solche Entscheidung auch eine Einigung auf gewisse zu erfüllende Kriterien bedingt hätte, gab es letztlich den salomonischen Beschluss, alle Länder auf einmal in die EU aufzunehmen. Allein Rumänien und Bulgarien wurde eine Wartefrist von zwei Jahren auferlegt, vor allem um die institutionellen Rahmenbedingungen zu verbessern und auch die große Korruption in diesen Ländern einzudämmen. Diese Vorgehensweise basierte auf einem politischen Kompromiss, durch das bereits angekündigte Beitrittsdatum war aber natürlich der Anreiz für diese Länder geringer, grundlegende Verbesserungen anzugehen. Wie man heute weiß, sind die institutionellen Rahmenbedingungen bis dato ein Problem, das auch immer wieder von der Europäischen Kommission festgehalten, bemängelt und sogar über die Schiene der Nichtauszahlung von Strukturförderungsmitteln sanktioniert wird.

Der Euro auf dem Weg nach Zentral- und Osteuropa

Unmittelbar vor der EU-Erweiterung gab es in Europa einen der fundamentalsten wirtschaftspolitischen Schritte, den eine Gruppe von Ländern überhaupt machen kann: Am 1.1.1999 wurde der Euro – zuerst als Buchwährung und drei Jahre später als Bargeld – eingeführt. Entgegen vielen kritischen Stimmen lief diese Einführungsphase weitgehend problemlos. Kein Unternehmen konnte nicht bilanzieren, kein Bankomat streikte, keine Bank blieb geschlossen. Allein die inflationserhöhende Wirkung der Währungsumstellung war Dauerthema, die Inflationsrate erhöhte sich aber fast ausschließlich im Dienstleistungssektor. Vielmehr begannen die Menschen die Vorteile einer einheitlichen Währung zu schätzen, um sie kurze Zeit später als Selbstverständlichkeit wahrzunehmen. Die Abwertungswettläufe (allen voran jener Italiens) waren Geschichte, und die einheitliche Geldpolitik wurde mit Entdeckergeist, aber auch großem Enthusiasmus betrieben. Als das Geldmengenaggregat M3 – bei einem ursprünglichen Zielwert von 4,5% – eine zweistellige Wachstumsrate erreichte, wurde die geldpolitische Strategie des Euroraumes neu festgelegt, die wirtschaftliche und die monetäre Säule wurden auf einer Höhe nebeneinander gestellt und das Preisstabilitätsziel wurde neu definiert.

Die Frage, ob die zehn neuen EU-Mitgliedsländer ebenfalls den Euro einführen sollten, stellte sich nicht wirklich. Schließlich legt der Vertrag von Maastricht fest, dass jedes EU-Land der Währungsunion beizutreten hat, wenn es die dafür festgelegten Maastricht-Kriterien erfüllt. Dänemark und Großbritannien, die den Vertrag vor Einführung dieser Bestimmung unterschrieben haben, sind davon ausgenommen bzw. haben die ihnen mögliche Opt-Out-Klausel in Anspruch genommen. Schweden hat damals festgestellt, dass seine Wirtschaft einem deutlich anderen Zyklus folgt und auch viel weniger mit dem restlichen Europa verwoben ist. Schweden erfüllt darum absichtlich die Konvergenzkriterien nicht.

Die neuen EU-Länder (zumindest die „kleinen“) waren jedoch vom ersten Tag an bestrebt, ebenfalls den Euro einzuführen.4 Schließlich galt der Euro als Zeichen wirtschaftlicher Stärke, als Garant für Preisstabilität, und er war ein sichtbares Zeichen „dazuzugehören“, es als Land geschafft zu haben. Im Vorfeld der Gründung der Währungsunion gab es lange Diskussionen über die Voraussetzungen, die von neuen Mitgliedern zu erfüllen waren. Neben den bekannten Maastrichtkriterien (Fiskalkriterien, Inflationskriterium, Zinskriterium) gab es auch eine lange Diskussion über die Ausgestaltung des Wechselkurskriteriums. Unter anderem ging es um die Frage der Verweildauer im Wechselkursmechanismus (WKM II), d.h. wie lange die Länder sich in diesen Bandbreiten zu bewähren und wie sie diesen Zeitraum zu überbrücken hätten. Diese Debatte lief unter „Training Room“ versus „Waiting Room“. Im Nachhinein kamen jene, die diese zwei Jahre als maximale, weil riskante Verweildauer betrachtet haben, der Realität am nächsten. Alle Länder, die bislang den Euro eingeführt haben, haben diesen Zeitraum möglichst kurz gehalten. Dazu gehören Slowenien und die Slowakei. Beide Länder hatten ursprünglich flexible Wechselkurssysteme. Die baltischen Länder befinden sich hier in einer Spezialposition, sind es doch Länder mit einem Currency Board, bei dem der Wechselkurs schon seit langem gegenüber anderen Währungen fixiert und damit keine wirtschaftspolitische Steuerungsgröße mehr war, die es aufzugeben gilt.

Konkret heißt das, dass in diesen zehn Jahren die Hälfte der neuen osteuropäischen EU-Länder den Weg in den Euroraum gefunden hat: Slowenien (2007), Slowakei (2009), Estland (2011), Lettland (2014); Litauen hat zu Jahresanfang 2014 einen Beitrittsantrag gestellt und wird derzeit einer Konvergenzprüfung unterzogen; aus heutiger Sicht erfüllt Litauen alle Kriterien und wird aller Wahrscheinlichkeit nach am 1.1.2015 das 19. Mitglied des Euroraumes werden. War das vorhersehbar?

Fest steht, dass vor zehn Jahren alle Länder sogenannte Euroeinführungspläne hatten. Nachdem die Entscheidung über die Wechselkurspolitik eines Landes und damit die Euroeinführung eine politische Entscheidung ist bzw. dem jeweiligen Finanz- oder Wirtschaftsministerium obliegt, haben sich diese Pläne immer wieder geändert. Die Euroeinführung wanderte in der Prioritätenliste der Regierungen hinauf oder auch hinunter. In manchen Fällen war es eine gemeinsame Entscheidung mit der jeweiligen nationalen Notenbank. In anderen Fällen hatten Finanzministerium und Notenbank voneinander abweichende Pläne. Im Endeffekt waren aber alle diese Pläne Makulatur. Die internationale Finanzmarktkrise im Allgemeinen und die europäische Verschuldungskrise im Besonderen haben einen raschen Euroraumbeitritt in einem anderen Licht erscheinen lassen. Darüber hinaus haben einige der neuen EU-Länder die Krise deutlich besser überstanden als viele westeuropäische Euroraumländer. Spitzenreiter diesbezüglich ist Polen, das als einziges EU-Land 2009 keine negative BIP-Wachstumsrate aufwies. Die Gründe für diese gute Wirtschaftsperformance sind vielfältig und reichen von einem unmittelbar vor der Krise restriktivem fiskalpolitischen Kurs (der in der Krise einen entsprechend großen fiskalpolitischen Spielraum eröffnete) bis zu einem flexiblen Wechselkurs, der in der Krise eine deutliche Abwertung ermöglichte, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit Polens sichergestellt wurde. Ob das eine nachhaltige Strategie war, wird erst die Zukunft weisen. Länder mit fixen Wechselkursen (oder dem Euro) mussten stattdessen größere strukturelle Anpassungen vornehmen, die sich mittelfristig vielleicht doch positiver auswirken werden.

Die Größe eines Landes scheint beim Tempo, mit dem sich das Land in der Vergangenheit in Richtung Euroraum bewegt hat, eine entscheidende Rolle zu spielen. Ganz offensichtlich fällt es den etwas größeren Ländern Polen, Ungarn und Tschechien schwerer, ihre flexible bzw. unabhängige Wechselkurspolitik aufzugeben. „Scheint“ deswegen, weil natürlich die Größe eines Landes in engem Zusammenhang mit der Wahl des jeweiligen Wechselkursregimes steht: Je kleiner das Land, umso eher wird die Wahl auf ein fixes Wechselkursregime fallen, nicht zuletzt um Stabilität zu importieren. Damit haben die baltischen Länder nicht viel an wirtschaftspolitischem Spielraum aufgegeben.

Den Euro verwenden ohne im Euroraum zu sein?

Immer wieder werden die Länder Zentral- und Osteuropas mit dem Phänomen der Euroisierung in Verbindung gebracht. Darunter ist (ähnlich wie bei der Dollarisierung) zu verstehen, dass der Euro verwendet wird, ohne dass er offizielles Zahlungsmittel in diesem Land wäre. In den Ländern Südosteuropas ist dieses Phänomen nicht nur weit verbreitet, es betrifft auch sämtliche Funktionen des Geldes (Zahlungsfunktion, Wertaufbewahrungsfunktion). Die Gründe sind vielfältig und reichen vom fehlenden Vertrauen in den Bankensektor (ausgelöst durch zahlreiche Enteignungen von Devisenkonten und einigen Bankenkrisen in der Vergangenheit) bis zum fehlenden Vertrauen in die Werthaltigkeit der jeweiligen nationalen Währung.5

Die neuen EU-Länder haben dieses Phänomen hinter sich gelassen, d.h., die Bevölkerung hält Euro nur insoweit, als sie diese für Einkaufsfahrten oder den Urlaub in den angrenzenden Euroraum benötigt. Auffallend ist hingegen das Phänomen der Fremdwährungskredite, die in diesen Ländern über viele Jahre einen hohen Anteil ausmachten. Dahinter liegt die ökonomische Vorstellung, dass bei steigenden Wechselkursen (und ein aufholendes Land sollte einen solchen angesichts der Produktivitätsfortschritte haben) die Kreditrückzahlung tendenziell geringer wird. Zusätzlich wurde ein Zinsvorteil angenommen, denn die Zinsen im Euroraum lagen (und liegen) angesichts der Größe des Eurowährungsgebietes deutlich unter jenen so mancher nationaler zentral- und osteuropäischer Währung. Im Zuge der Krise haben sich diese Relationen oft umgedreht und viele Erwartungen haben sich nicht realisiert. Insbesondere die Erwartung einer Währungsaufwertung ging nicht in Erfüllung, die vor der Krise mit Leichtigkeit aufgenommenen (und vergebenen) Kredite wurden plötzlich um ein Vielfaches teurer. In der Folge kamen zahlreiche Haushalte in finanzielle Schwierigkeiten, und die Banken sahen sich mit stetig steigenden Non-Performing-Loan-Raten (NPL-Raten) konfrontiert. Ein zusätzlich belastender Faktor war auch die krisenbedingt steigende Arbeitslosigkeit, die bei vielen Haushalten einen Einkommensausfall verursachte.

Die Lehren wurden gezogen und die Banken haben ihre Fremdwährungskreditvergaben weitgehend zurückgefahren. In vielen Ländern ist die Vergabe von Fremdwährungskrediten sogar verboten, wenn der Kreditnehmer keine Einnahmen in der jeweiligen Fremdwährung vorweisen kann. Mittelfristig könnte diese für manche sehr kostspielige Erfahrung auch zu einem Umdenkprozess führen: Neben all den Schwierigkeiten im Euroraum ist das Problem der (falschen) Wechselkurserwartung weitgehend eliminiert. Insofern könnten die Euroeinführungspläne durchaus ein Revival erleben.

Ein Europa ohne Grenzen

Die europäische Idee hat sich „ein Europa ohne Grenzen“ zum Ziel gesetzt. Diese Grenzen betreffen Kapital, Arbeit, Güter und Dienstleistungen. Während im alten Europa diese Freiheiten in der Zwischenzeit existieren, hat die EU-Erweiterung diese Freiheiten nicht unbedingt an die neue EU-Außengrenze verschoben. Der freie Warenverkehr und auch der freie Kapitalverkehr sind zwar in der Zwischenzeit weitgehend umgesetzt, der freie Personenverkehr hat jedoch in einigen Ländern durchaus zehn Jahre gebraucht. Befürchtungen um die nationalen Arbeitsmärkte haben hier einige westliche Länder veranlasst das Recht, die Grenzen vorübergehend geschlossen zu halten bzw. Arbeitsbewilligungen nur sehr restriktiv zu vergeben, in Anspruch zu nehmen. Diese Länder bestimmen sich weitgehend durch ihre geografische Lage bzw. durch das Vorhandensein einer gemeinsamen Grenze. Auch Deutschland und Österreich haben diese Möglichkeit genutzt; für Österreich hat es bedeutet, dass Arbeitskräfte aus Rumänien und Bulgarien erst seit dem 1.5.2013 einen freien Zugang zu den jeweiligen Arbeitsmärkten erhalten haben.

Einerseits ist diese restriktive Haltung nachvollziehbar, andererseits betrifft es zwei Länder, deren Arbeitslosenquoten weit unter dem EU-Durchschnitt liegen und die in einzelnen Segmenten durchaus unter Arbeitskräftemangel leiden. Umgekehrt bedeutet es für die neuen EU-Länder einen Brain Drain, den diese nur schwer verkraften und den sie mit niedrigeren Wachstumsraten und einem länger dauernden Aufholprozess bezahlen werden. Insbesondere für gut ausgebildete Arbeitskräfte ist der Einkommensunterschied enorm. Ein Spiegelbild dieser Entwicklung sind auch die Geldströme, die in diese Länder rücküberwiesen werden (sogenannte Remittances). Legendär wurden die vielen polnischen Arbeitskräfte, die unmittelbar nach dem EU-Beitritt nach Großbritannien aber auch nach Irland ausgewandert (manchmal auch gependelt) sind. Als am Höhepunkt der Krise die Arbeitschancen im Heimatland wieder deutlich besser wurden, haben sich diese Wanderungsströme umgekehrt. Diese Entwicklung lässt erahnen, was an Wanderungspotenzial in Europa vorhanden ist und in Zukunft wahrscheinlich auch realisiert werden wird.

Die Zukunft Europas

Die Liste der zehn osteuropäischen Mitgliedsländer hat sich bereits um ein Land verlängert: Kroatien ist am 1.7.2013 der EU beigetreten. Die EU hat damit ein großes, relativ gut entwickeltes Land dazubekommen, dessen Beitrittsprozess sich vor allem aus politischen Gründen verzögert hatte. Mit diesem Beitritt wurden aber auch einige der bereits erwähnten Besonderheiten der Region verstärkt: Kroatien ist ein Land mit einem besonders hohen Euroisierungsgrad. Nicht nur Kredite, sondern auch Spareinlagen und Zahlungen von größeren Beträgen (z.B. für Immobilienkäufe oder dauerhafte Konsumgüter) sind in einem großen Umfang in Euro. Das hat viel mit dem mangelnden Vertrauen aufgrund früherer Bankenkrisen zu tun, ist aber auch Erbe eines Jugoslawiens, in dem sich der Fremdenverkehr in Deutscher Mark abgespielt hat und die in Österreich lebenden Gastarbeiter Schillinge in ihr Land transferiert haben. Kroatien hat in den letzten Jahren – ähnlich wie Griechenland – einen Strukturwandel verabsäumt, was sich in Krisenzeiten negativ bemerkbar macht. Das Land hat zwar aus dem Tourismus relativ hohe Deviseneinnahmen, industrielle oder gewerbliche Betriebe mit einer höheren Produktivität sind hingegen kaum vorhanden. Aus diesem Grund ist Kroatien auch eines jener Länder, das derzeit neuerlich schrumpfen wird.

Den neuen EU-Ländern aus der vorherigen Erweiterungsrunde werden für 2014 und 2015 hingegen durchwegs positive Wachstumsraten vorhergesagt. Dabei macht sich das Wiederanspringen der Konjunktur im Euroraum bemerkbar, womit der wichtigste Absatzmarkt für Güter aus der Region wieder in Schwung kommt. Gleichzeitig wird die inländische Nachfrage anziehen, wobei sowohl den Investitionen als auch dem privaten Konsum eine wichtige Rolle zukommen wird. Nachdem voraussichtlich einige Länder aus der Excessive Deficit Procedure (EDP) entlassen werden, ist auch von Seiten des öffentlichen Konsums der eine oder andere Wachstumsimpuls zu erwarten.

Die Bedeutung Europas wird nicht zuletzt von den bevorstehenden EU-Wahlen bzw. der Wahlbeteiligung positiv oder negativ unterstrichen werden. Obwohl – so wie bei vielen Dingen wird auch der Wert einer EU-Mitgliedschaft eines Landes erst dann so richtig sichtbar, wenn andere sie gerne hätten. So wie die Ukraine, die viel für dieses Ausmaß an wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Stabilität zu geben bereit wäre.

  • 1 Oesterreichische Nationalbank: 1989-2009: Twenty Years of East-West Integration: Hopes and Achievements, Focus on European Economic Integration, Special Issue, 2009.
  • 2 M. Gächter, A. Riedl, D. Ritzberger-Grünwald: Business cycle convergence or decoupling? Economic adjustment in CESEE during the crisis, Bank of Finland Institute for Economies in Transition (BOFIT), Discussion Papers 03, 2013.
  • 3 E. K. Polgar, J. Wörz: No Risk and Some Fun: Trade and Wages in the Enlarged European Union, in: Empirica, 37. Jg. (2010), H. 2, S. 127-164.
  • 4 D. Ritzberger-Grünwald: Der Euro in einem erweiterten Europa – Wechselkursregime in der Krise? Österreichs Außenwirtschaft 2010, Forschungsschwerpunkt Internationale Wirtschaft FIW, Dezember 2010, S. 235-255.
  • 5 H. Stix: Why Do People Save in Cash? Distrust, Memories of Banking Crisis, Weak Institutions and Dollarization, OeNB Working Paper, Nr. 178, 2012.

Konvergenz oder Divergenz in Ostmittel- und Südosteuropa infolge der EU- und WWU-Mitgliedschaft?

Es ist ein zentrales Ziel der europäischen Wirtschaftsintegration, dass die weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten durch aufholendes Wachstum ihren Einkommensrückstand zu den altindustrialisierten Mitgliedern überwinden. Die Wirtschaftstransformation der früheren Länder des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) sowie ihre Aufnahme in die EU zielten genau darauf ab – ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Arbeitsproduktivität und ihren Lebensstandard binnen einer Generation spürbar anzuheben. In der Tat ist die Wohlstandslücke zwischen den alten und zehn neuen Mitgliedstaaten der EU geringer geworden – das Pro-Kopf-Einkommen in den neuen Mitgliedstaaten hat sich seit Mitte der 1990er Jahre dem Durchschnitt der alten Mitgliedstaaten angenähert.

Positive Wirtschafts- und Einkommenskonvergenz, aber auch Krisenanfälligkeit

Die Hoffnung, dass ein Systemwechsel in Ostmittel- und Südosteuropa für die Länder eine höhere Produktivität sowie wachsende Einkommen mit sich bringen würde, hat sich bislang als berechtigt erwiesen. Während die Wirtschaftleistung des Kernlandes der alten EU, Deutschlands, seit 2000 um etwa 45% gewachsen ist, hat sie sich in den meisten neuen Mitgliedstaaten teilweise verdoppelt. Die neuen Mitgliedstaaten aus Ostmittel- und Südosteuropa schafften es als Ganzes den Abstand zum westeuropäischen Einkommensniveau zu verkürzen (vgl. Tabelle 1), wobei im Einklang mit der Wachstumstheorie die bereits wohlhabendere Tschechische Republik weniger dazugewonnen hat als beispielsweise die Slowakei, deren Einstiegsniveau geringer war. Auch Polen und die Baltischen Staaten haben ihre Einkommenslücke zu Deutschland klar verkleinert. Rumänien und Bulgarien sind ebenfalls schneller gewachsen als die EU15, kämpfen aber mit noch verbreiteter absoluter Armut.

Tabelle 1
Pro-Kopf-Einkommen der neuen Mitgliedstaaten 2013
in % des EU15-Durchschnitts zu Kaufkraftstandards
  2000 2013   2000 2013
Slowenien 70 72 Polen 42 61
Tschechien 62 72 Ungarn 47 60
Slowakei 43 68 Lettland 32 59
Litauen 34 67 Rumänien 23 46
Estland 39 65 Bulgarien 25 44
nachrichtlich: Portugal 70 67 Griechenland 72 66

Quelle: Europäische Kommission.

Bekanntlich müssen Kandidaten für eine Mitgliedschaft in der EU laut Kopenhagener Kriterien funktionierende Marktwirtschaften sein, um dem Wettbewerbsdruck auf den Märkten der Union standzuhalten. Die neuen Mitgliedstaaten sind relativ gut durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen. Auf dem Höhepunkt des EU-weiten BIP-Rückgangs im Jahr 2009 erzielte Polen als einziger Mitgliedstaat sogar Wachstum. Die Wirtschaftsleistung der neuen Mitgliedstaaten insgesamt ging im gewogenen Durchschnitt um 3,7% , und damit weniger als das BIP der alten Mitgliedstaaten (-4,1%, vgl. Abbildung 8), zurück.

Bereits 2010 sind praktisch alle neuen Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Rumäniens und Lettlands, wo die Wirtschaftsleistung ein weiteres Jahr leicht negativ war) zum Wachstum zurückgekehrt. Die schnelle Erholung verdankten die neuen Mitgliedstaaten dem hohen Verflechtungsgrad ihres realen Sektors mit dem realen Sektor der Kernländer der EU – insbesondere Deutschlands. Die in den Jahren 2009 bis 2010 rückläufige Nachfrage aus Deutschland nach Zwischenprodukten für die Automobilindustrie – fast alle neuen Mitgliedstaaten sind Anbieter von solchen Produkten – hat sich negativ auf den Zustand ihrer Wirtschaft ausgewirkt. Zum Glück ist Deutschland schnell zum Wachstum zurückgekehrt. Das Erfolgsmodell der neuen Mitgliedstaaten, das auf vertiefte Arbeitsteilung innerhalb der EU- und der Weltwirtschaft, auf Liberalisierung der Güter- und Kapitalmärkte und auf Wettbewerbsvorteile durch sektorale Spezialisierung beruht, erweist sich in Krisenzeiten als anfällig: Exportanteile von drei Vierteln des BIP in den meisten neuen Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Polens – ca. 40% und Rumäniens – ca. 30%) sind im Aufschwung vorteilhaft, werden aber zum Problem in Krisenzeiten. Dann treffen eine schrumpfende Exportnachfrage und eine reduzierte externe Finanzierung die kleinen osteuropäischen Volkswirtschaften schwerer als große und weniger offene Volkswirtschaften.

Gegen Schwankungen der externen Nachfrage und eine Verschiebung der Produktivitätsniveaus schützen sich Nationen üblicherweise über eine Anpassung der Wechselkurse ihrer Währungen. Unter den neuen Mitgliedstaaten verdanken vor allem Polen und die Tschechische Republik ihr gutes Abschneiden bzw. ihre relativ schnelle Erholung im Zeitraum 2009 bis 2010 der nominalen Abwertung ihrer Währungen. Die Baltischen Staaten und Bulgarien haben dagegen eine interne Abwertung durchgeführt, die jedoch sozial und volkswirtschaftlich teuer war: Diese Länder haben ihren Produktivitätsrückstand relativ zu den wettbewerbsstarken Kernländern der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) hauptsächlich über Entlassungen wieder verringert. Sie konnten wegen der festen Wechselkursbindung ihrer Währungen zum Euro nicht nominal abwerten. Gleiches gilt für die WWU-Mitglieder Slowakei und Slowenien. Sloweniens Leistungsbilanzdefizite hatten sich nach der Euroeinführung deutlich ausgeweitet. Im Ergebnis der internen Abwertung haben sich in allen neuen Mitgliedstaaten mit Euro-Währung oder mit festen Wechselkursen die Arbeitslosenraten verdoppelt bzw. verdreifacht. Ungarn und Rumänien haben nominal abgewertet, wurden aber aufgrund spezifischer Verwerfungen von der Krise schwerer getroffen als Polen und die Tschechische Republik, die anderen beiden neuen Mitgliedstaaten mit flexiblem Wechselkursregime. Ungarns Staatsschuld war bereits Mitte der 2000er Jahre hoch; ferner hatte sich der Privatsektor in Rumänien und Ungarn in der Vorkrisenzeit in Fremdwährungen verschuldet und geriet aufgrund der nominalen Abwertung in Zahlungsschwierigkeiten – mit gesamtwirtschaftlichen Folgen für die Länder.

Die Implikationen fester Wechselkurse

Die Ereignisse von 2009 bis 2010 geben einen Hinweis darauf, dass die Wechselkurspolitik in den neuen Mitgliedstaaten von herausragender Bedeutung für ihre Produktivitätsfortschritte und für die Aufrechterhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit geworden ist, und weiterhin bleiben dürfte. Auch die Erfahrungen mit der Krise in der Südperipherie des Eurogebiets deuten auf die Bedeutung der Wechselkurspolitik hin. Das folgt unter anderem aus der Tatsache, dass die Kapitalmärkte/Finanzindustrien der alten und neuen Mitgliedstaaten inzwischen stark verflochten sind. Aus der lang anhaltenden Rezession in der Südperipherie der EU bzw. des gemeinsamen Euro-Währungsraumes kann die Lehre gezogen werden, dass der Wettbewerbsverlust der Südperipherie relativ zum wirtschaftsstarken Norden wohl eine Folge der Einheitswährung ist. Die Einheitswährung ermöglicht lediglich reale Wechselkursverschiebungen, und das bedeutet für die Teilnehmerstaaten, dass bei divergierender Wirtschaftsentwicklung – bei abweichenden Inflations- und Wachstumsraten, Arbeitslosenquoten, national unterschiedlichen Spielräumen der Fiskalpolitik usw. – die Anpassung nicht mehr monetär, sondern realwirtschaftlich als Preis-Mengenanpassung erfolgt. Die WWU-Kandidaten müssen das berücksichtigen, wenn sie für eine WWU-Mitgliedschaft optieren. Sie müssen berücksichtigen, dass sowohl die empirische Erfahrung mit Währungsverbünden, als auch die Währungstheorie darauf hinweisen, dass der reale Anpassungsprozess hauptsächlich von den Krisenländern selbst getragen werden muss. Die empirische Beobachtung wurde bereits zur Zeit des sogenannten Goldstandards gemacht. Die Wirtschaftstheorie begründet dies sowohl mikro- als auch makroökonomisch.

Mikroökonomisch gilt, dass Firmen, die nicht wettbewerbsfähig sind, ihre Kosten und damit Preise senken müssen; wenn viele bzw. die meisten Firmen das tun, sinkt das nationale Preisniveau. Dagegen kann nicht erwartet werden, dass wettbewerbsfähige Firmen in einem Partnerland aus Gründen der Euro-Solidarität ihre Preise anheben. Firmen in Deutschland und im Norden der WWU würden ihre Produkte nicht teurer machen, damit die Volkswirtschaften der neuen Mitgliedstaaten an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen.

Makroökonomisch spiegeln Leistungsbilanzdefizite in einem WWU-Mitgliedsland eine Geldverknappung in der Volkswirtschaft wider, weil mehr Geld für Importe ausgegeben worden ist, als Geld aus Exporten ins Land geflossen ist. Wenn die Defizite nicht mehr durch Kapitalzufluss ausgeglichen werden können, müssten die Preise im Defizitland sinken, um ein neues Gleichgewicht zwischen verknappter Geldmenge und Preisniveau herzustellen. Die WWU-Mitgliedschaft bedeutet, dass zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit Reallohnsenkungen in Krisenländern relativ zu den wett­bewerbsstarken Partnern immer eine herausragende Rolle spielen.1

Die Entwicklung der Reallöhne beeinflusst das gesamte Preisniveau einer Volkswirtschaft, daher sind die Inflationsdifferenziale ein guter Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit in einer Währungsunion. Das Inflationsdifferenzial zwischen den wertstabilen alten Mitgliedstaaten und den neuen Mitgliedstaaten müsste idealerweise Null oder nahezu Null sein. In den 2000er Jahren meldeten insbesondere Rumänien, Bulgarien, die Baltischen Staaten und Ungarn große Inflationsdifferenziale zu Deutschland, den Niederlanden, Österreich und Finnland. Entsprechend defizitär waren die Leistungsbilanzen dieser Länder – bis zu einem Viertel des BIP in Bulgarien, ca. 20% in Lettland und zweistellig in den anderen genannten Ländern. Diese Ungleichgewichte wurden unter dem Druck der Marktkräfte abgebaut, allerdings zu einem hohen sozialen und ökonomischen Preis; er war besonders ausgeprägt in den Baltischen Ländern und Bulgarien.

Alternativ dürfen sich die Lohnstückkosten der teilnehmenden Länder nicht auseinanderdividieren. Idealerweise müssten sie langfristig in allen Mitgliedstaaten unverändert bleiben. In den neuen Mitgliedstaaten mit Euro bzw. Wechselkursbindung sind die nominalen Lohnstückkosten gestiegen, was ihre Wettbewerbsposition zum kostenstabilen WWU-Norden verschlechtert hat (vgl. Abbildung 1). Der Wettbewerbsverlust war überall sehr ausgeprägt, insbesondere in den schnell wachsenden „Baltischen Tigern“ Lettland und Estland, aber auch in Bulgarien.

Abbildung 1
Reales BIP in der EU15 und den neuen Mitgliedstaaten
Veränderung 2009 gegenüber 2008 in %, EU15 und neue Mitgliedstaaten gewogene Durchschnitte
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Quelle: Europäische Kommission.

Der Wettbewerbsverlust hat in allen genannten Mitgliedstaaten Mechanismen in Gang gesetzt, die eine Rückkehr zur Wettbewerbsfähigkeit erzwingen. Als erstes sind in allen diesen Ländern die Zinsspreads zu den preisstabilen Partnern wie Deutschland gestiegen – die langfristigen Nominalzinsen, die sich Mitte der 2000er Jahr angeglichen hatten, schossen wieder auseinander. Wegen der immanenten Verbindung zwischen Wechselkursschwankungen und Zinsdifferenzialen darf es aber in einem System fester Wechselkurse bzw. in einer Währungsunion keine Zinsdifferenziale geben. Die Marktkräfte erzwingen ihre Rückbildung, was in den genannten neuen Mitgliedstaaten von 2009 bis 2010 auch geschehen ist. Das erfolgt über den Zusammenhang zwischen Zins- und Inflationsdifferenzial, wobei gilt, dass auch die Inflationsdifferenziale verschwinden müssen, weil langfristig keine Zinsdifferenziale auftreten dürfen. Die Marktkräfte eliminieren das höhere Preisniveau, und damit die reale Aufwertung. Dabei haben die hohen Zinssätze wenig mit der öffentlichen Schuldenquote zu tun. Die öffentliche Schuldenquote der hier betrachteten Länder war (und ist) unter Kontrolle. Vielmehr erweiterten die Finanzmärkte ab 2009 bis 2010 die Zinsspreads wegen der rückläufigen Wettbewerbsfähigkeit der Länder. Das hat sich ab Mitte der 2000er Jahre in den bereits erwähnten hohen Leistungsbilanzdefiziten (mit Ausnahme Sloweniens) und einer verschlechterten Nettoauslandsposition niedergeschlagen.

Abbildung 2 deutet darauf hin, dass die neuen Mitgliedstaaten mit Euro-Währung bzw. mit festen Wechselkursen eine signifikante reale Aufwertung erlebt haben. In einer solchen Situation hört die private Finanzierung anhaltender Leistungsbilanzdefizite auf, wenn die jährlichen Ausgaben für den Auslandsschuldendienst über den jährlichen BIP-Zuwächsen liegen. Dann ist das betreffende Land aus der Sicht der Finanzmärkte, die ihm nun eine Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite versagen, überschuldet. Das ist Griechenland, Irland, Portugal, Zypern und teilweise Spanien widerfahren. Diese Länder gerieten in die Austeritäts-Falle, weil sie ihre Kostenniveaus nicht rechtzeitig anpassen konnten. Dagegen konnten die betrachteten neuen Mitgliedstaaten einem Finanzierungsstopp entgehen.

Abbildung 2
Wettbewerbsindizes1 der neuen Mitgliedstaaten mit Euro-Währung/mit Wechselkursbindung
Deutschland = 100
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1 Unter Zugrundelegung der nominalen Lohnstückkosten; größere Indizes stehen für einen höheren Wettbewerbsverlust.

Quelle: Europäische Kommission.

Euroübernahme nicht überstürzen

Die Erfahrung der WWU-Südperipherie und der neuen Mitgliedstaaten mit dem Euro bzw. mit festen Wechselkursen gibt Hinweise auf die Optionen der vier neuen Mitgliedstaaten mit flexiblem Wechselkursregime. Sie genießen kein Opt-Out und sind vertraglich verpflichtet, den Euro langfristig einzuführen. Die Projektionen von Eurostat geben Aufschluss über das vorteilhaftere Wechselkursregime, das den Ländern mittelfristig empfohlen werden sollte, nämlich die Beibehaltung der flexiblen Wechselkurse. In allen vier Ländern dürften die nominalen Lohnstückkosten weiter deutlich steigen, während Eurostat einen rückläufigen realen effektiven Wechselkurs projiziert. Das deutet auf weitere kräftige nominale Abwertungsschritte hin. Sie sind auch notwendig, wenn berücksichtigt wird, dass die Nettoauslandsposition der vier Länder mit flexiblen Wechselkursen, bis auf die Tschechische Republik, im Jahr 2012 (neueste Statistik)2 etwa auf dem Niveau der Krisenländer der WWU-Südperipherie lag. Allerdings erwartet Eurostat deutlich verbesserte Leistungsbilanzen in den kommenden Jahren, die wohl über nominale Abwertung zustande kommen dürften. Würden die vier genannten Länder eine schnelle Euroeinführung beschließen, müssten sie die Vorteile der nominalen Kostenanpassung aufgeben.

Die Erfahrung der Südperipherie lehrt deutlich, dass reale Kostenanpassungen unvergleichlich schwieriger und volkswirtschaftlich kostspieliger sind. Im Falle Polens und teilweise Rumäniens kommt hinzu, dass sie relativ große und weniger offene Ökonomien sind. Solche Ökonomien kommen im Unterschied zu kleinen offenen Volkswirtschaften schlechter mit festen Wechselkursen zurecht und neigen zur realen Überbewertung. Da die vier Länder mit flexiblen Wechselkursen noch ein bis zwei Jahrzehnte brauchen werden, um ihren Wohlstandsrückstand zum EU-Kern zu eliminieren, sollten sie Wachstumsverluste vermeiden. Gegenüber dem Süden der WWU haben sie den Vorteil eines deutlich höheren Industrialisierungsgrades – zwischen 18% des BIP (Polen) und 25% (Tschechien). Der industrielle Kapi­tal­stock ist für die Wettbewerbsfähigkeit insofern wichtig, als er ein erstrangiger Träger von Innovation und technischem Fortschritt ist, was wiederum Produktivitätsfortschritte begünstigt. Eine schnelle Euroübernahme könnte – wie in der Südperipherie – eine schleichende Deindustrialisierung nach sich ziehen. Mit geringer oder abnehmender industrieller Leistungsfähigkeit haben es Volkswirtschaften schwerer, Konvergenz zu ihren industrialisierten Partnern zu erreichen.

Schließlich ist es auch im Interesse des Nordens der WWU, dass die neuen Mitgliedstaaten nicht in einer anhaltenden Anpassungskrise verharren. Es ist schwer vor­herzusagen, wie sich das Instrument der internen Abwertung später auf weitere WWU-Mitglieder auswirken und inwieweit es von den dortigen Gesellschaften mitgetragen wird. Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien und andere künftige WWU-Teilnehmer können in die Situation der Südmitglieder geraten und zu einer weiteren Last für den Kern des Eurogebiets werden. Nichtanpassungsfähige WWU-Mitglieder würden nach einer Fiskal- bzw. Transferunion im großen Stil verlangen. Dies dürfte den Norden finanziell überfordern und die WWU sprengen.

  • 1 Ein „Race to the bottom“ kann unter Umständen vermieden werden, indem die Mitgliedstaaten nur relative, nicht jedoch absolute Reallohnsenkungen erzielen. Die Löhne können sogar steigen, wenn die Produktivität im betreffenden Land ebenfalls steigt und zwar so, dass die Lohnstückkosten im Krisenland kleiner sind als in den wettbewerbsstarken Mitgliedstaaten.
  • 2 Alle Zahlen aus: European Commission: European Economy Series, Statistical Annex Herbst 2013, http://ec.europa.eu/economy_finance/publications/european_economy/2013/pdf/2013_11_05_stat_annex_en.pdf.

Musterknabe Osteuropa: Subventionskontrolle und staatliche Beihilfen

Der Zusammenbruch der Wirtschaftssysteme in den europäischen Nachbarstaaten Mittel- und Osteuropas1 und der sich auf den wirtschaftsliberalen Washingtoner Konsensus anschließende Transformationsprozess ließ dort zwar die staatliche Einflussnahme dramatisch zurückgehen, doch die Intensität der Subventionierung maroder Unternehmen war doch wesentlich höher als im Westen. Der tiefgreifende Umstrukturierungsprozess im Osten wurde durch teils massive staatliche Finanzhilfen unterstützt. Im Rahmen der Vorbereitung der unmittelbaren Anrainerstaaten auf die Mitgliedschaft in der EU und der damit verbundenen Übernahme des rechtlichen Besitzstandes (acquis communautaire) musste das Ausmaß staatlicher Finanzhilfen auf europäisches Normniveau heruntergefahren werden. Nunmehr sollten die staatlichen Beihilferegelungen bei den neuen Mitgliedern im Osten genauso durchgesetzt werden wie bereits im Westen.

Ob dies tatsächlich der Fall ist, ob die staatliche Beihilfepolitik in den neuen Mitgliedsländern in die 2005er Strategie der EU „weniger aber gezieltere Hilfe“ (State Aid Action Plan: SAAP) passt, wird in diesem Beitrag untersucht. Der Beitrag prüft, ob die gegenwärtige Wirtschafts- und Industriepolitik im Osten von Pfadabhängigkeiten geprägt ist und damit einen SAAP notwendig macht. Des Weiteren werden die Praktiken staatlicher Beihilfepolitiken zwischen Ost und West anhand von offiziellen Statistiken und Fallbeispielen verglichen.

Bereits die Gründungsverträge von Rom enthielten Regelungen zur Ausgestaltung nationaler Industriepolitik und die Gewährung staatlicher Beihilfen. Heute ist dies in Art. 107 (1) AEUV geregelt. So „sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

Demzufolge sind staatliche Beihilfen zunächst grundsätzlich verboten. Hierdurch soll ein gemeinsames „level playing field“, dem alle Mitgliedsländer verpflichtet sind, garantiert werden. Absatz 2 und 3 des Artikels listen jedoch zahlreiche Ausnahmen von diesem grundsätzlichen Verbot auf. So können ökonomische und soziale Gründe die Wettbewerbsverfälschung rechtfertigen bzw. aufheben.

Staatsbeihilfen und die Osterweiterung der Europäischen Union

Zwar führten einige osteuropäische Staaten die Subventionen schon in den 1980er Jahren zurück, der große Schnitt fand jedoch erst mit dem Beginn der Transformation zur Marktwirtschaft in den 1990er Jahren statt. Neben diesem generellen Schnitt wurden aber auch neue Initiativen wie der Aufbau einer zuvor kaum vorhandenen mittelständischen Industrie in erster Linie mit steuerlichen Anreizen gefördert. Außerdem wurde der Versuch gemacht, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen und den Export zu fördern. Diese Neuorientierung führte zu einem Anstieg der horizontalen Maßnahmen. Parallel zu dieser Entwicklung zogen die Schwierigkeiten der Transformation in der Anfangsphase allerdings auch einen Anstieg der staatlichen Beihilfen nach sich. Hier handelte es sich vornehmlich um Rettungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen, die ad hoc gewährt wurden, um Arbeitsplätze und Unternehmen zu erhalten. Damit fehlte diesen Maßnahmen allerdings jegliche langfristige Entwicklungsperspektive. Es handelte sich im Wesentlichen um die Gewährung von Steuerrückständen,2 die einen graduellen Übergang zur Gewinnung der Wettbewerbsfähigkeit im neuen marktwirtschaftlichen Umfeld ermöglichen sollte. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass das Niveau der staatlichen Beihilfen in Osteuropa trotz eines anfänglichen Rückgangs im Durchschnitt deutlich über dem Niveau in der Europäischen Union lag (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Staatliche Beihilfen insgesamt1, 2000 bis 2011
in % des Bruttonationaleinkommens
33248.png

1 Ohne Landwirtschaft, Fischerei, Transport und Krisenmaßnahmen.
2 Mittel- und osteuropäische Länder. Bulgarien und Rumänien ab 2002.

Quellen: State Aid Scoreboard, Herbst 2011; Croatian Competition Agency: Annual Report 2011.

Dies änderte sich mit den Beitrittsverhandlungen der Osteuropäer zur Europäischen Union. Nach der ersten Phase der Reduzierung von Subventionen, die durch die Transformation zur Marktwirtschaft und damit in Unabhängigkeit von externer Kontrolle weitgehend in nationaler Eigenregie angetrieben worden war, sind die neuen Beitrittsländer nun gezwungen, sich der Gesetzgebung und dem Institutionengefüge der Europäischen Union anzupassen. Im Hinblick auf die Beihilfenkontrolle musste die bisherige Industriepolitik umorientiert und die Staatsausgabenpolitik transparent gemacht werden. Nahezu gleichzeitig zu den Beitrittsverhandlungen mit den osteuropäischen Staaten veröffentlichte die Europäische Kommission 2005 ihren SAAP mit dem Ziel der weiteren Konsolidierung und Umsetzung des Ziels „less and better targeted aid“. Dieser Aktionsplan sollte die Vision des Vertrages von Lissabon, der Europa zur wettbewerbsstärksten Wirtschaftsmacht in der Welt machen sollte, unterstützen.

Abbildung 1 zeigt, dass die osteuropäischen Betrittsländer ihren Beihilfeanteil am Bruttonationaleinkommen (BNE) drastisch reduziert haben. Allerdings übertraf dieser Anteil immer noch das Doppelte dessen, was im Durchschnitt in der „alten“ Europäischen Union an Staatsbeihilfen gezahlt wurde. Dort hält sich der Anteil bei etwa 0,5% über die Jahre bis 2011. Kurz vor dem Beitritt stieg der Anteil in Osteuropa jedoch noch einmal stark an. Dies kann als „letzte Chance“ interpretiert werden, noch einmal Staatsbeihilfen zu vergeben, bevor es der endgültige Betritt mit der Übernahme des Acquis communitaire unmöglich machen würde. Der SAAP hatte sich hingegen nicht auf das Niveau der Beihilfen ausgewirkt, im Gegenteil, ab 2007 steigen die Staatsbeihilfen wieder an, im Osten etwas stärker als im Westen.

Abbildung 2
Staatliche Beihilfen insgesamt1 nach Ländern, 2004 bis 2011
in % des Bruttonationaleinkommens
33267.png

1 Ohne Landwirtschaft, Fischerei, Transport und Krisenmaßnahmen.

Quellen: State Aid Scoreboard, Herbst 2009; Croatian Competition Agency: Annual Report 2011.

Allerdings dürfen die osteuropäischen Länder nicht als homogener Block angesehen werden (vgl. Abbildung 2). So hat Estland im gesamten Beobachtungszeitraum so gut wie keine Staatsbeihilfen vergeben, während der Anteil in Ungarn auch nach dem EU-Betritt weiter ansteigt. Polen und die Tschechische Republik haben ihren Anteil auf EU-Durchschittsniveau reduziert. Insgesamt können im Hinblick auf Osteuropa zwei Phasen der Rückführung staatlicher Subventionen unterschieden werden: erstens die Transformationsphase und zweitens die Beitrittsphase. Allerdings muss beachtet werden, dass das Gesamtniveau staatlicher Ausgaben zugunsten nationaler Industrien in der erweiterten EU (EU27) im Jahr 2010 immer noch bei 55 Mrd. Euro lag – trotz reformierter Förderungspolitik.

Die Reform der Beihilfepolitik ist dem zweiten Element des „action plan“ untergeordnet: „better targeted aid“. Um den Zielen der Lissabon-Agenda und sukzessiv der Europa-2020-Strategie gerecht zu werden, sind die nationalen Regierungen aufgefordert, ihre Beihilfen in horizontale Maßnahmen umzustrukturieren. Subventionen sollen nicht mehr an bestimmte Sektoren und einzelne Unternehmen vergeben, sondern sektorübergreifend ausgeschrieben werden. Dies entspricht dem ökonomischen Kalkül, nach dem sektorspezifische Industriepolitik den Wettbewerb verzerrt, unrentablen Unternehmen den Marktaustritt verwehrt und die effiziente Allokation von Ressourcen verhindert. In Abbildung 3 zeigt sich in der Tat eine deutliche Verschiebung von einer sektorspezifischen Förderung hin zu horizontalen Maßnahmen in West- und Osteuropa. Die Anteile sind jedoch noch immer unterschiedlich.

Abbildung 3
Beihilfen in der EU15 und in den mittel- und osteuropäischen Ländern1
in % der gesamten Beihilfen
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1 Bulgarien und Rumänien ab 2002.

Quellen: European Commission: State Aid Scoreboard, eigene Kalkulationen.

Aus einer gesamteuropäischen (EU27) Perspektive ist jedoch auffallend, dass nicht die Ost-West-Diskrepanz gravierend ist, sondern die zwischen Nord- und Südeuropa. So entsprechen die horizontalen Beihilfen in den baltischen Staaten eher dem Anteil in Skandinavien (nahezu 100%), während Polen, Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Slowenien eher den südeuropäischen Proportionen vergleichbar sind. Generell haben sich die Ziele der Beihilfen an den Vorgaben der Lissabon-Agenda bzw. der Europa-2020-Strategie ausgerichtet, im Süden Europas allerdings nur in geringem Maß.

Tabelle 1
Formale Prüfverfahren in den mittel- und osteuropäischen Ländern1
  2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Insgesamt
Staatliche Beihilfeverfahren 46 113 124 80 95 103 88 41 632
Keine Einwände 9 72 115 55 72 112 92 64 591
Formale Prüfverfahren 14 6 13 7 10 9 5 1 65
Anteil formaler Prüfverfahren 30% 5% 10% 9% 11% 9% 6% 2% 9%

1 Nur Verfahren der Generaldirektion Wettbewerb; ohne Landwirtschaft und Fischerei.

Quelle: State Aid Register (Online Database), eigene Kalkulationen.

Im Hinblick auf eine unabhängige Beihilfenkontrolle durch die Wettbewerbsbehörde der Europäischen Union ist jedoch Niveau und Proportion weniger aussagefähig als die tatsächlichen Prüfverfahren und Entscheidungen (vgl. Tabelle 1). Der Höchststand des Anteils formaler Prüfverfahren lag im Beitrittsjahr 2004 und hat sich inzwischen gegen null reduziert. Die Zahl einfacher Verfahren hat sich allerdings verdreifacht, wobei in den meisten Fällen kein Einwand erhoben wurde. Wiederum ist auch hier eine differenzierte Betrachtung angebracht, da es in Estland und Litauen gar keine Verfahren gab, während Spitzenreiter Rumänien einen Anteil von 28% vorzuweisen hat und auch Polen und Ungarn mit 10% deutlich über dem Durchschnitt liegen.

Am aussagefähigsten ist ein Vergleich der negativ entschiedenen Prüfverfahren, bei dem die neuen Mitgliedsländer wesentlich besser abschneiden als die alten Mitgliedsländer. Tabelle 2 zeigt, dass der Anteil der negativen Entscheidung in Osteuropa lediglich einem Drittel des Anteils der westlichen Länder entspricht und in der Tat fast immer positiv entschieden wird. Auch der Anteil aufgedeckter unangemeldeter Beihilfen beträgt in den neuen nur zwei Drittel des Anteils in den alten Mitgliedstaaten. Da die Verfahren recht langwierig sind, ist auch darauf hinzuweisen, dass von den 55 noch offenstehenden Verfahren lediglich vier Fälle in Osteuropa angesiedelt sind und die Hälfte der Fälle Italien und Spanien betreffen. In den vorgestellten Statistiken erscheinen die neuen EU-Mitgliedstaaten im Vergleich zu den EU15-Staaten als „Musterknaben“.

Tabelle 2
Positive und negative Entscheidungen, 2000 bis 2011
in %
  Positive1 Entscheidungen Negative Entscheidungen Nicht gemeldete Beihilfen
EU15 94,5 5,5 13,6
Mittel- und osteuropäische Länder 97,4 2,6 9,1

1 Diese Daten beinhalten nicht nur „positive Entscheidungen“, sondern auch Entscheidungen mit einem positiven Ausgang („keine Einwände“).

Quelle: State Aid Register; eigene Kalkulationen.

Staatliche Beihilfen in der Schiffbauindustrie

Da viele Beschäftigte auf den Werften arbeiten, lassen sich auch in strukturschwachen Regionen durch eine Beihilfe viele Arbeitsplätze sichern, sodass hier häufig politische Interessen vermutet werden und sich somit gerade an dieser Stelle die Frage der Unabhängigkeit der Kontrollinstanz stellt. Die Schiffbauindustrie bietet sich als Beispiel an, da es bereits Fälle aus den mittel- und osteuropäischen Ländern gibt, die mit den alten Mitgliedsländern verglichen werden können.

Seit den 1970er Jahren versuchte die Europäische Kommission jedoch die Beihilfe-Regeln für die europäische Schiffbauindustrie kontinuierlich zu verschärfen. Die Überkapazitäten stellten viele Werften in Europa vor massive wirtschaftliche Probleme, sodass nun auch zunehmend Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen gezahlt wurden. Hinzu kamen ab den 1990er Jahren die Werften der sozialistischen Planwirtschaften, vor allem in Ostdeutschland und Polen, die im Zuge der Transformation grundsätzliche Umstrukturierungsmaßnahmen auch mithilfe staatlicher Beihilfen durchliefen.

Im Zuge der Transformation und der Privatisierung der zahlreichen Staatsunternehmen wurden in den mittel- und osteuropäischen Länder sehr viele Beihilfen gezahlt. Mit dem Beitritt übernahm jedoch die EU-Kommission die Kontrolle über deren Rechtmäßigkeit. Und auch wenn sich die mittel- und osteuropäischen Länder gut vorbereitet sahen (Übergangsregelungen etc.), dauerte es nicht lange, bis die erste negative Entscheidung über eine nicht rechtmäßige Beihilfe erging.

Der Fall der drei polnischen Schiffswerften bekam auch nicht zuletzt aufgrund der politischen Implikationen sehr viel Aufmerksamkeit. Bereits ein Jahr nach dem EU-Beitritt, am 1.6.2005, veröffentlichte die EU-Kommission ihre Entscheidung bezüglich der staatlichen Beihilfen zugunsten der Werften in Danzig, Stettin und Gdingen das förmliche Prüfverfahren einzuleiten. Bereits seit 2002 hatten die drei Werften von zahlreichen Beihilfen profitiert, unter anderem Bürgschaften, Kredite, Steuerabschreibungen und Kapitalzuführungen, insgesamt summierten sich die Beihilfen auf mehrere Milliarden Euro. Im Gegensatz zu anderen Industriezweigen bzw. anderen Mitgliedsländern hatte Polen trotz der Größe und Bedeutung der polnischen Schiffbauindustrie keine Übergangsregelungen für diesen Sektor ausgehandelt. Die Untersuchungen dauerten schließlich mehr als drei Jahre, bis die Kommission im November 2008 ihre Entscheidung veröffentlichte: Die Beihilfen für die Werften in Stettin und Gdingen waren rechtswidrig und mussten zurückgezahlt werden.

Abbildung 1
Europäische Schiffbauindustrie, 2007 bis 2011
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Quelle: Community of European Shipyard Associations (CESA): Annual Report 2011/2012, Brüssel; eigene Präsentation.

Auch Kroatien hat eine bedeutende Schiffbauindustrie mit 8500 Beschäftigten (vgl. Abbildung 1). In der Tat war sie der kritische Sektor bei den Beitritts- und Übergangsverhandlungen. Die EU-Kommission verlangte die Restrukturierung und Privatisierung der Schiffbauindustrie und ein Ende der staatlichen Beihilfen zum Beitrittstermin. Zur allgemienen Überraschung gelang dies pünklich: Im Fall der 3.Maj Werft exakt am 1.7.2013, dem offiziellen Beitrittstermin. Die Subventionen wurde bereits zuvor reduziert (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Staatliche Beihilfen an die kroatische Schiffbauindustrie
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Quellen: Croatian Competition Agency: Annual Report 2009 und 2011, Zagreb.

Schluss

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Beihilfenkontrolle der Europäischen Union von staatlicher Einflussnahme weitgehend unabhängig ist. Dies trifft vor allem im Hinblick auf die neuen Mitgliedstaaten in Mittel-und Osteuropa zu. Allerdings konnte eine Asymmetrie zwischen Nord und Süd festgestellte werden, die ebenfalls der monetären Nord-Süd-Asymmetrie entspricht.

Das Europäische Parlament scheint keine nennenswerte Kontrollfunktion auszuüben und die fortlaufende Modernisierungs der Beihilfenkontrolle läuft eher auf eine weitere Konzentration in der Hand der Kommission hinaus. Auf diese Weise wird zwar ein EU-weites „level playing field“ geschaffen, es entzieht sich jedoch weitgehend demokratischer Kontrolle. Die neuen Mitgliedstaaten in Mittel-und Osteuropa stehen im Hinblick auf die Abstinenz von staatlichen Beihilfen als Musterknaben da.

Der Beitrag geht auf eine ausführlichere Studie zurück: J. Hölscher, N. Nulsch, J. Stephan: Ten years after Accession: State Aid in Eastern Europe, European Sate Aid Law, 2014, im Erscheinen.

  • 1 Mittel- und Osteuropäische Länder: in der ersten und zweiten Osterweiterungswelle beigetreten. Kroatien als letztes Beitrittsland wird gesondert betrachtet.
  • 2 Die Betriebe zahlten einfach keine Steuern, und dies wurde von den staatlichen Finanzbehörden toleriert.

Gesellschaften mit beschränktem Zugang: Bulgarien und Rumänien sieben Jahre nach dem EU-Beitritt

Sieben Jahre nach ihrem Beitritt sind Bulgarien und Rumänien noch immer EU-Mitglieder zweiter Klasse. Denn noch immer ist der Kooperations- und Überprüfungsmechanismus (Cooperation and Verification Mechanism – CVM) in Kraft, im Rahmen dessen die EU-Kommission alljährlich über die Fortschritte beider Länder im Bereich Rechtstaatlichkeit und Verwaltung berichtet. Auch der jüngste dieser Berichte ist, wie der britische Botschafter in Sofia treffend bemerkte, ein „depressing reading“1. Es mag einen Unterschied machen, ob es zur Korruptionsbekämpfung in Bulgarien heißt, dass „overall progress has not yet been sufficient and remains fragile“, während Rumänien immerhin bescheinigt wird, man habe „some significant steps“ unternommen, die von einem „real commitment to reform“2 zeugten. Aber: Hier werden sieben Jahre nach dem EU-Beitritt Reformschritte diskutiert, deren Erfüllung eigentlich Voraussetzung für einen Beitritt sind.

Wir möchten im Rahmen unseres Beitrages eine polit-ökonomische Erklärung dafür liefern, warum der Integrationsprozess in Bulgarien und Rumänien weniger erfolgreich verlaufen ist als in den Ländern, die zum 1.5.2004 beigetreten sind. Nur wenn man, so lautet unsere These, konsequent auf die Interdependenz wirtschaftlicher und politischer Faktoren abstellt, lässt sich verstehen, welche strukturellen Faktoren die Wirksamkeit der EU-Konditionalität eingeschränkt haben. Und nur wenn man sich vergegenwärtigt, dass Bulgarien und Rumänien noch heute extraktive Gesellschaften mit beschränktem Zugang sind, versteht man auch, dass der Zufluss von EU-Struktur- und Kohäsionsfondsmitteln weitere Fortschritte sogar zu behindern drohen.

Reformen schwer durchsetzbar

Die Politische Ökonomie lehrt grundsätzlich, dass konsequente marktliche Reformen auch in post-sozialistischen Gesellschaften politisch nur schwer durchzusetzen sind.3 Denn dem Reformprozess stehen sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite des politischen Marktes Hindernisse im Weg: Die strategischen Akteure der Nachfrageseite sind die Wähler. Bei tiefgreifendem strukturellem Wandel kommt es zunächst zu einer Verschlechterung der makroökonomischen Daten, vor allem einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Vor dem Schleier der Unwissenheit – kein Individuum weiß sicher, ob es zu den Gewinnern oder Verlierern der Transformation gehören wird – und bei fehlender sozialer Absicherung entsteht für die Wähler ein Anreiz, sich für langsamere Reformen auszusprechen. Hieraus resultierte in den 1990er Jahren in fast allen post-sozialistischen Ländern ein politischer Zick-Zack-Kurs zwischen eher marktliberalen und post-sozialistisch-/sozialdemokratischen Regierungen.

Um zu verstehen, was in der Transformation auf der Angebotsseite des politischen Marktes geschieht, muss man sich vergegenwärtigen, dass die Planwirtschaften Musterbeispiele für „Ordnungen mit beschränktem Zugang“ (limited access orders) im Sinne von North, Wallis und Weingast4 waren: Während die Nicht-Elite politisch und wirtschaftlich ausgeschlossen war, extrahierte ein Netzwerk von „roten Direktoren“ und politischen Amtsinhabern Renten in Form von monetärem Einkommen, Luxusgütern und anderen Privilegien – und verteilte sie untereinander.5 Für diese Netzwerke war die Privatisierung genau in dem Maße attraktiv, wie sie ihnen ermöglichte, die erzielbaren Renten zu vergrößern, ohne den Zugang für Outsider zu weit zu öffnen.

Aufgrund dieser einfachen Überlegungen lassen sich die Unterschiede in den Transformationsverläufen besser verstehen.6 Der entscheidende Grund ist ein politischer: In allen Ländern der 2004er-Gruppe hat es um 1989/1990 „echte“ friedliche Revolutionen gegeben. Sie brachten Gruppen an die Macht, die vorher in der Opposition gewesen waren. Durch die Einführung der Demokratie (die Öffnung des politischen Zugangs) und die zumindest teilweise Zerschlagung der alten Seilschaften durch den Eintritt politischer Newcomer wurden die angebotsseitigen Beschränkungen des Reformprozesses weitgehend überwunden. Entsprechend war der Reformverlauf vor allem von der Nachfrageseite des politischen Markts bedroht. Genau hier setzte die EU-Konditionalität an. Durch sie wurde das von den Bevölkerungen der ostmitteleuropäischen Länder sehnlich erwünschte Ziel der „Rückkehr nach Europa“ fest an die Durchführung marktlicher Reformen geknüpft. Das bedeutete: Auch jene Regierungen, die im Wahlkampf eine deutliche Verlangsamung der Reformen angekündigt hatten, konnten dieses Versprechen nicht umsetzen.

Fortschritte Bulgariens und Rumäniens

Ganz anders in Bulgarien und Rumänien: Hier waren die Reformen sowohl von der Nachfrage- als auch von der Angebotsseite her beschränkt. Die politischen Eliten, in denen wegen der lediglich inszenierten Revolutionen 1989/1990 nach wie vor die alten sozialistischen Seilschaften den Ton angaben, trieben die marktlichen Reformen nur in dem Maße voran, wie es ihnen half, ihre Renteneinkommen zu vergrößern. Gleichzeitig versicherten sie der Bevölkerung, das langsamere Reformtempo gefährde keineswegs das auch in diesen Ländern höchst populäre Ziel des EU-Beitritts. Möglich war diese gezielte Desinformation deshalb, weil in Bulgarien und Rumänien auch große Teile der neu entstandenen Medienlandschaft von den alten Seilschaften dominiert wurden – eine weitere Folge des Umstandes, dass es dort keine echten demokratischen Umbrüche gegeben hatte.

Die EU-Konditionalität lässt sich in eine „weiche“ und eine „harte“ Phase unterteilen. Zwar waren die Konvergenzkriterien als Voraussetzung des Beitritts 1992 festgelegt worden, ihre Einhaltung wurde aber zunächst nicht überprüft („weiche“ Konditionalität). Die „harte“ Phase setzte erst 1997 ein, als die EU begann, die Fortschritte der beitrittswilligen Länder Jahr für Jahr zu bewerten. Während die „weiche“ Konditionalität in der 2004er-Gruppe ausreichte, um die nachfrageseitigen Beschränkungen des Reformverlaufs zu überwinden, blieb sie in Bulgarien und Rumänien weitgehend wirkungslos. Erst die ersten EU-Monitoring-Berichte legten offen, wie hoffnungslos Bulgarien und Rumänien bei ihren Reformbemühungen zurückgeblieben waren – was zum Ausschluss beider Länder aus der Luxemburg-Gruppe führte, mit der ab Dezember 1997 Beitrittsverhandlungen aufgenommen wurden. Dieser externe politische Schock und interne Krisenerscheinungen hatte 1996 (Rumänien) bzw. 1997 (Bulgarien) Wahlsiege liberal-konservativer Parteien zur Folge, die als Regierungen endlich jene Reformen in Angriff nahmen, die ihre Vorgängerinnen über Jahre verzögert hatten.

Unter den Bedingungen „harter“ EU-Konditionalität schienen nun beide Länder die Entwicklung der 2004er-Gruppe zu wiederholen: Zwar wurden die Reformregierungen bald abgewählt, aber auch weniger reformorientierte Regierungen blieben nun „auf Kurs“, so dass von 1997 bis 2006 sowohl ein stetiges Wachstum des Bruttonationaleinkommens als auch eine stetige Verbesserung des Institutionengefüges zu beobachten war. Die Abbildung 1 verdeutlicht dies: Gehörten Bulgarien und Rumänien 1996 eindeutig in die Gruppe der Nachzügler, so nahmen sie am Vorabend ihres Beitritts zum 1.1.2007 (über den erst Ende September 2006 entschieden wurde) eine Zwischenstellung zwischen der Nachzügler-Gruppe und der 2004er-Gruppe ein.

Abbildung 1
Fortschritte Bulgariens und Rumäniens
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Albanien (ALB), Armenien (ARM), Belarus (BEL), Bosnien und Herzegowina (BOS), Bulgarien (BUL), Kroatien (CRO), Tschechische Republik (CZE), Estland (EST), Ungarn (HUN), Lettland (LAT), Litauen (LIT), Mazedonien (MAC), Republik Moldau (MOL), Montenegro (MOT), Polen (POL), Rumänien (ROM), Serbien (SER), Slowakische Republik (SLK), Slowenien (SLV), Ukraine (UKR).

Quelle: A. Ahrens, J. Zweynert: Conditionality or Specificity? Bulgaria and Romania’s Economic Transition Performance in Comparative Perspective, in: Post-Communist Economies, 24. Jg. (2012), Nr. 2, S. 296 ff.

Insgesamt hat die EU-Konditionalität also auch in Bulgarien und Rumänien Wirkungen gezeigt. Entscheidend aber ist: Die EU-Konditionalität konnte zwar den Reformverlauf stützen, sie vermochte es aber nicht, die politischen Strukturen signifikant zu verändern. Dies verdeutlicht ein vergleichender Blick darauf, was in den Beitrittsländern nach dem Beitritt geschehen ist. Um dies kurz zu halten: Auch in den Ländern der 2004er-Gruppe kam es zu einer „post-accession reform fatigue“7 – einer Verringerung der politischen Stabilität (etwa: häufigeren Machtwechseln) und einer Verlangsamung der Reformen.

In Bulgarien und Rumänien aber zeigte sich nun, dass die dortigen Regierungswechsel der Jahre 1996 bzw. 1997 keineswegs ein strukturelles Äquivalent zu den friedlichen Revolutionen der Jahre 1989/1990 bedeuteten: Noch immer bleiben die Bevölkerungen politisch wie wirtschaftlich weitgehend exkludiert, und noch immer werden politische Ämter, wirtschaftliche Schlüsselpositionen und die Verteilung der so generierten Renten innerhalb einer Elitenkoalition geregelt. Dieses Phänomen wird in der Öffentlichkeit zumeist unter dem Stichwort „Korruption“ thematisiert, aber dieser Begriff ist unserer Auffassung nach in höchstem Maße irreführend. Denn „Korruption“ setzt immer voraus, dass gegen das in einer Gesellschaft herrschende Gefüge geltender formeller und informeller Regelwerke verstoßen wird. Das so bezeichnete Phänomen ist aber – unabhängig davon, wie man solche Ordnungen normativ beurteilen mag – gerade essenzieller Bestandteil des Ordnungsgefüges von Gesellschaften mit beschränktem Zugang. Auch wenn sich die Werte von Bulgarien und Rumänien beim Corruption Perception Index von Transparency International in den letzten Jahren etwas verbessert haben, rangiert Bulgarien 2013 auf Rang 77 und Rumänien auf Rang 69 von 177 Ländern. Dies deutet daraufhin, dass die Bevölkerung das Phänomen nach wie vor als omnipräsent wahrnimmt, gerade wenn man dieses Abschneiden etwa mit den Werten der baltischen Staaten oder auch des jüngsten EU-Mitglieds Kroatien (Rang 57) vergleicht.8

Unrechtmäßige Bereicherung an EU-Zuweisungen

Das entscheidende Problem des Umgangs der EU mit Bulgarien und Rumänien war von Anfang an, dass man den grundlegenden strukturellen Unterschied zwischen diesen beiden Gesellschaften einerseits und den Ländern der 2004er-Gruppe andererseits übersehen hat. Man kann nicht genug betonen, dass es im Hinblick auf die Wirkung von Kohäsions- oder Strukturfondsmitteln einen himmelweiten Unterschied macht, ob eine Gesellschaft über inklusive Institutionen verfügt oder es sich um eine extraktive Ordnung mit beschränktem Zugang handelt. Denn im letzteren Fall muss man davon ausgehen, dass diese Mittel von der Elitenkoalition als Renteneinkommen extrahiert werden. Es wimmelt in Bulgarien und Rumänien von medialen Skandalen unterschiedlichen Ausmaßes, bei denen besonders bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eklatante Versäumnisse begangen werden – auch die EU-Kommission stellt dies immer wieder in ihren Anti-Korruptionsberichten fest.9 Dabei ist bei guter Kenntnis der lokalen Elitenetzwerke nur allzu leicht erkennbar, dass es sich oft schlicht um unrechtmäßige Bereicherung von Personen handelt, die exponierten Mitgliedern der jeweiligen Regierung familiär und/oder geschäftlich nahestehen. Auch wenn die nationalen Behörden nicht imstande sind, alle zur Verfügung stehenden EU-Mittel abzurufen und auch wenn die Pro-Kopf-Flüsse deutlich niedriger sind als bei den EU-Zuweisungen an die Länder der 2004er-Gruppe, so handelt es sich doch um ganz erhebliche Ausgabebeträge: im EU-Budget waren in der Haushaltsperiode 2007 bis 2013 für Bulgarien etwa 7 Mrd. Euro und für Rumänien etwa 23 Mrd. Euro vorgesehen.10

So sehr man die Verschwendung dieser Mittel beklagen mag – aus Sicht des hier vertretenen Ansatzes ist sie nicht einmal das entscheidende Problem. Bereits vor dem EU-Beitritt warnten einflussreiche Ökonomen, wie etwa Krassen Stanchev vom Institute for Market Economics in Sofia, eindringlich vor der Gefahr solcher Geldzuflüsse: Denn sie können die alten Seilschaften und Strukturen fundamental und nachhaltig verfestigen. Dafür, so Stanchev, reiche selbst eine temporäre Partizipation an der Regierung, um „die Weichen richtig zu stellen“11. Eine Bevorzugung sowohl von direkten Auftragnehmern als auch von abwickelnden Banken lässt sich bei Großprojekten wie dem Bau von Autobahnen oder Flughäfen nur schwer nachweisen – und wenn überhaupt, so nur dann, wenn ein unparteiischer Rechtsstaat bestünde.

Ist die Situation demnach hoffnungslos? Die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass doch zwei Hebel existieren, deren Betätigung – am besten in Kombination miteinander – Stück für Stück Abhilfe bringen könnte. Der erste Hebel ist der Druck der EU von außen – ganz in der Tradition der oben beschriebenen Beitrittskonditionalitäten. Die EU wird heutzutage häufig als zahnloser Tiger beschrieben, dem nach dem Beitritt keine Mittel mehr zur Verfügung stehen, um die gravierenden Fehlentwicklungen wirkungsvoll zu sanktionieren. Der eingangs erwähnte Kooperations- und Überprüfungsmechanismus erzeugt zwar alle sechs Monate Berichte und spricht Mahnungen aus, diese verhallen aber zunehmend unbemerkt. Und auch das temporäre Einfrieren von EU-Mitteln für Bulgarien im Jahre 2008 zeigte keine erkennbaren Wirkungen. Vachudova und Spendzharova12 nennen allerdings ein anderes äußeres Druckmittel der EU, das tatsächlich gewirkt hat – die Nicht-Zulassung beider Länder in den Schengen-Raum. Damit haben die „alten“ EU-Länder in den vergangenen Jahren ein deutliches Signal gesetzt, das von den Bürgern Bulgariens und Rumäniens verstanden wird, weil es ihre individuelle Mobilität einschränkt. Zu diesem ersten, auf die politische Nachfrage hinwirkenden Hebel kann sich ein zweiter hinzugesellen, nämlich innere politische Angebotsprozesse, die den Reformdruck wieder entfachen und die Macht der alten Seilschaften entschieden ins Visier nehmen. Immer wieder hat es in beiden Ländern „politische Unternehmer“ gegeben, die genau das zum obersten Motto ihres Regierungshandelns machen wollten – erinnert sei etwa an die Kampagne von Traian Basescu bei den rumänischen Präsidentschaftswahlen 2004 oder an diejenige von Bojko Borissov bei den bulgarischen Parlamentswahlen 2009.

Die Instabilität der politischen Systeme beider Länder in den letzten Jahren, besonders Bulgariens, ist zwar auch eine Gefahr für deren europäische Zukunft, weil zunehmend nationalistische und antiwestliche Parteien aufkommen; sie kann aber auch als Chance gesehen werden, dass genuin neue Gesichter auf dem politischen Horizont auftauchen, die den Transformationsprozess weg von der alten „limited access order“ hin zu neuartigen inklusiven Institutionen lenken wollen. Momentan scheint Rumänien, sowohl in seiner ökonomischen Dynamik als auch in der Entwicklung seiner institutionellen Qualität, einige Schritte weiter zu sein. Dass, neben mehreren Ministern, sogar ein ehemaliger Ministerpräsident wie Adrian Nastase wegen Bestechlichkeit zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt wird, obwohl seine Parteifreunde zeitgleich an der Macht sind und für ihn Partei ergreifen, darf immerhin als Zeichen der Hoffnung interpretiert werden.

  • 1 The Economist: Romania and Bulgaria: Depressing Reading, 22.1.2014, http://www.economist.com/blogs/easternapproaches/2014/01/romania-and-bulgaria (28.4.2014).
  • 2 Ebenda.
  • 3 Y. Heiniger, T. Straubhaar, H. Rentsch, S. Flückiger, T. Held: Ökonomik der Reform. Wege zu mehr Wachstum in Deutschland, Zürich 2004.
  • 4 D. C. North, J. J. Wallis, B. Weingast: Violence and Social Orders. A Conceptual Framework for Interpreting Recorded Human History, Cambridge 2009.
  • 5 In diesem Sinne handelte es sich gleichzeitig um hochgradig „extraktive“ institutionelle Ordnungen (im Gegensatz zu „inklusiven“ Ordnungen) im Sinne von D. Acemoglu, J. A. Robinson: Why Nations Fail. The Origins of Power, Prosperity, and Poverty, New York 2012. In der Tat bestehen so starke Parallelen zwischen den Konzepten der limited/open access orders und der extraktiven/inklusiven Ordnungen, dass wir im Rahmen dieses Beitrages beide Terminologien synonym verwenden.
  • 6 Unsere Analyse folgt hier im Wesentlichen M. A. Vachudova: Europe Undivided. Democracy, Leverage, and Integration after Communism, Oxford 2005, die wir durch grundlegende Einsichten der Public-Choice-Theorie ergänzen. Für eine ausführlichere Darstellung vgl. A. Ahrens, J. Zweynert: Conditionality or Specificity? Bulgaria and Romania’s Economic Transition Performance in Comparative Perspective, in: Post-Communist Economies, 24. Jg. (2012), Nr. 2, S. 291-307.
  • 7 World Bank: EU8+2 Regular Economic Report, Mai 2007, http://siteresources.worldbank.org/INTECA/Resources/EU8_2_RER_May_2007_Main_Report_Full.pdf, S. 2 (28.4.2014).
  • 8 Transparency International: Corruption Perception Index 2013, http://cpi.transparency.org/cpi2013/ (28.4.2014).
  • 9 European Commission: Anti-Corruption Report 2014, http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/policies/organized-crime-and-human-trafficking/corruption/anti-corruption-report/index_en.htm (28.4.2014).
  • 10 KPMG: EU Funds in Central and Eastern Europe, Progress Report 2007-2012, http://www.kpmg.com/CEE/en/IssuesAndInsights/ArticlesPublications/Documents/eu-funds-in-central-and-eastern-europe-2012.pdf (28.4.2014).
  • 11 K. Stanchev: European Subsidies from an Economic Point of View, in: Dnevnik Daily Newspaper vom 16.12.2006, http://ime.bg/pr_en/index.html (28.4.2014).
  • 12 M. A. Vachudova, A. Spendzarova: The EU’s Cooperation and Verification Mechanism: Fighting Corruption in Bulgaria and Romania after EU Accession, European Policy Analysis, Nr. 1/2012, Swedish Institute for European Policy Studies.

Title:Eastward Enlargement of the EU: Ten Years On

Abstract:Ten years after the biggest enlargement in the history of the EU, the integration of the new member states is assessed positively. It is considered an economic success when looking at the income levels. However, due to overly optimistic assumptions and the crisis, economic integration and the catching-up process will take much longer for the new EU member states than originally expected. Moreover, new challenges are looming, especially as the Central and Eastern European accession countries adopt the euro. Smaller countries introduced the euro as quickly as possible, whereas larger countries have been much more hesitant, thinking twice not only because of several unsolved problems in the euro area but also because they use the exchange rate tool much more intensively. All new member states have to make sure they continue to increase their productivity and competitiveness. Findings suggest that after having entered the EU, the new eastern member states appear to have been developing rather stringent competition cultures. Bulgaria and Romania’s transition performance significantly differs from the pattern in the 2004 accession countries, both in terms of quantitative growth and institutional quality. These countries show that EU funds can be highly counter-productive since they help to conserve old structures.

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DOI: 10.1007/s10273-014-1675-9