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Spätestens mit der Euro-Staatsschuldenkrise ab 2010 ist das Renteneintrittsalter zum europäischen Thema geworden. Mindestens implizit vorausgesetzt wird dabei, dass vor allem die südlichen EU-Länder aufgrund der Krise auch in diesem Politikfeld unter Handlungsdruck stehen. Von deutscher Seite aus werden häufig die eigenen Rentenreformen der vergangenen Dekade(n) als Vorbild für den Rest der EU angeführt. Die Autoren zeigen jedoch auf, dass hierbei die Unterschiede in den demografischen Strukturen der einzelnen Mitgliedsländer entweder übersehen oder zu Unrecht vernachlässigt werden.

Neben dem allgemeinen und trendmäßigen Anstieg der Lebenserwartung (der heutigen und künftigen Rentner) trägt hauptsächlich die Geburtenentwicklung zur Form der Bevölkerungspyramide (bzw. oft eher in Form einer Zwiebel) bei. Bekanntlich hat Deutschland aus diesem Grund weltweit eine der ungünstigsten demografischen Entwicklungen überhaupt. Insofern ist es eine quantitativ etwas komplexere Frage, in welchem Ausmaß (bzw. sogar in welche Richtung) sich die Renteneintrittsaltersgrenzen in den verschiedenen Ländern bewegen sollten, um die Nachhaltigkeit ihrer (umlagefinanzierten) Rentensysteme sicherzustellen.

Für die Untersuchung dieser Frage greifen wir auf Daten der Vereinten Nationen (UN) zurück. Die UN Population Division erstellt Prognosen für die Bevölkerungsstruktur bis weit in die Zukunft (Datenstand 2012 bis ins Jahr 2100).1 Wir betrachten hier die für dieses Thema wichtigsten Länder der Eurozone: Einerseits Deutschland und Frankreich als deren größte Volkswirtschaften, andererseits die von der Krise stark betroffenen „GIIPS-Länder“ (Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien). Mit Ausnahme von Irland werden letztere häufig auch vereinfachend als „Südländer“ tituliert. Auf der Basis dieser Zahlen lässt sich eine vereinfachte Aussage über die Nachhaltigkeit der Rentensysteme treffen. Es ließe sich etwa das Renteneintrittsalter konstant setzen und daraus der Rentnerquotient ermitteln. Zur Beurteilung der Politikimplikationen erscheint es jedoch sinnvoller, das Renteneintrittsalter als endogene Variable zu behandeln. Wir betrachten daher verschiedene Szenarien mit jeweils gleichen und konstanten Rentnerquotienten für alle Länder. Das jeweils erforderliche Renteneintrittsalter ergibt sich dann aus der (sich im Zeitverlauf ändernden) Altersverteilung der Bevölkerung, also der demografischen Struktur.

Natürlich können in einem umlagefinanzierten Rentensystem neben dem Renteneintrittsalter z.B. auch die Rentenhöhe (relativ zum Einkommen) und der Beitragssatz angepasst werden, um die Finanzierung zu sichern. Den grundsätzlichen Einfluss der demografischen Struktur auf die Nachhaltigkeit des Rentensystems ändert dies jedoch nicht. Wir arbeiten daher unter der zusätzlichen vereinfachenden Annahme einer konstanten Rentenhöhe in Relation zum jeweiligen Einkommen. Diese Annahme scheint für eine kurze fokussierte Untersuchung auch deshalb sinnvoll, weil sie dem politisch gewollten Prinzip entspricht, dass die Rentenhöhe nicht unbegrenzt sinken soll. Es handelt sich langfristig also um eine weitere Nachhaltigkeitsbedingung.

Ebenso abstrahieren wir von Unterschieden und längerfristigen Änderungen der jeweiligen Beschäftigungsquoten. Zum einen steht dahinter die theoretische Überlegung, dass eine langfristige Erhöhung (Verringerung) der Beschäftigungsquote lediglich eine mittelfristige Verbesserung (Verschlechterung) der Rentnerquote bedeutet. Denn langfristig wird jeder zusätzliche Beschäftigte später zum zusätzlichen Rentner mit entsprechenden Ansprüchen, soweit die zusätzlich Beschäftigten überhaupt sozialversichert sind.2 Eine trendmäßige demografische Verschiebung kann also durch eine Niveauanpassung der Beschäftigungsquoten nicht dauerhaft kompensiert werden. Zum anderen waren zumindest vor Ausbruch der Krise die um Teilzeiteffekte bereinigten Beschäftigungsquoten in fünf der betrachteten Länder praktisch identisch; nur Italien lag deutlich darunter, während Portugal die übrigen Länder übertraf.3

Unsere Berechnungen zeigen, dass das unter diesen Bedingungen notwendige Renteneintrittsalter in allen von uns betrachteten EU-Ländern steigt – allerdings mit deutlich unterschiedlicher Geschwindigkeit. Zudem liegt das für eine nachhaltige Rentenfinanzierung notwendige Renteneintrittsalter in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten teilweise deutlich höher als in anderen Ländern der Eurozone, insbesondere Frankreich (und ausgenommen Italien). Das notwendige Verrentungsalter steigt grob gesprochen bis 2040, dann sinkt es oder bleibt konstant. Der von verschiedenen Institutionen postulierte Handlungsdruck auf die südlichen und westlichen EU-Staaten ist also zumindest übertrieben, da er sich nicht allein am Vergleich mit dem deutschen Renteneintrittsalter festmachen lässt. Die bereits angedeutete Tatsache, dass etwaige Reformen der Umlagesysteme nicht zwingend am Renteneintrittsalter ansetzen müssen, sondern dass prinzipiell alle Parameter zur Verfügung stehen, bleibt unberührt.

Operationalisierung und Szenarien

Den Rentnerquotienten r definieren wir als Verhältnis von Rentnern R zu (potenziell) Beschäftigten, der Arbeitsbevölkerung („working-age population“) A, somit r = R/A. Ein Wert r = 0,5 bedeutet also, dass einem Altersrentner zwei Personen im arbeitsfähigen Alter gegenüberstehen, und der Anteil der Rentner an der Gesamtbevölkerung ist R/(R+A) = 1/(1+(1/r)). Wir setzen idealtypische Bedingungen voraus, abstrahieren entsprechend von nicht Arbeitenden im arbeitsfähigen Alter (also Arbeitslosigkeit und stiller Reserve), sowie umgekehrt von weiter beschäftigten Rentnern. Weiter wird angenommen, dass alle Menschen ab dem Alter von 15 Jahren beschäftigt sind. Zudem ignorieren wir alternative, private Altersversorgungssysteme, und wir unterscheiden nicht zwischen Männern und Frauen. Migrationsströme sind in dem Maße automatisch berücksichtigt, soweit sie sich in den UN-Prognosen widerspiegeln.

Diese Annahmen sind zum Teil offenkundig unrealistisch, ändern aber nichts am Kern der Aussage. Eine Berücksichtigung von durchschnittlichen Werten von Arbeitslosigkeits- oder Beschäftigungsquoten wäre im Prinzip möglich. Für die Fokussierung auf die demografischen Aspekte allerdings ist es durchaus hilfreich, unterschiedliche Arbeitsmarktstrukturen zu unterschlagen. Üblicherweise wird in langfristigen wirtschaftspolitischen Analysen und Empfehlungen für Europa z.B. nicht davon ausgegangen, dass sich die langfristige Performance (bei Befolgung der Empfehlungen) systematisch zwischen den Ländern unterscheiden wird. Dagegen wird die Demografie zwar nicht als völlig unabänderlich angesehen, aber doch am ehesten als nur sehr begrenzt und langsam veränderbar hingenommen.

Unter diesen Gegebenheiten suchen wir für eine gegebene (bzw. von der UN prognostizierte) Altersverteilung der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade jene Altersschwelle, die die Gesamtbevölkerung R+A so in Rentner R und Arbeitsbevölkerung A aufteilt, dass ein vorgegebener Wert der Rentnerquote r erreicht wird. Statistisch gesprochen suchen wir also das 1/(1+(1/r))-Quantil der Altersverteilung. Diese Renteneintrittsalter vergleichen wir dann über die Länder und über die Zeit hinweg. Als Szenarien betrachten wir vier Werte für diesen so definierten Rentnerquotienten r im Bereich zwischen 0,3 und 0,6. Außerhalb dieses Spektrums ergeben sich meist unplausible Werte für das Renteneintrittsalter. Damit soll nicht gesagt sein, dass Werte außerhalb dieses Spektrums nicht denkbar sind, aber sie sind (auch politisch gesehen) unwahrscheinlich. Tatsächlich liegt der Rentnerquotient beispielsweise in Deutschland derzeit bereits bei knapp 0,31.4 Diese Rentnerquotienten lassen sich bei endogenem Renteneintrittsalter als Indikator für die „Generosität“ des Rentensystems interpretieren. Eine Gesellschaft mit einem hohen Rentnerquotienten „leistet sich“ viele Rentner, wird also ein vergleichsweise niedriges Renteneintrittsalter aufweisen. Ein niedriger Rentnerquotient erreicht ein Rentensystem bei gleicher demografischer Struktur mit einem hohen Renteneintrittsalter.

Die obengenannten Bevölkerungsprognosen der UN beziehen sich auf alle durch fünf teilbaren Jahre bis 2050. Des Weiteren sind sie nicht jahrgangsspezifisch, sondern fassen die Kohorten jeweils zu Fünf-Jahres-Blöcken zusammen, also z.B. zur Zahl der 30- bis 34-Jährigen insgesamt. Die Altersverteilung zu jedem betrachteten Zeitpunkt wird also gewissermaßen durch ein relativ grobes Histogramm dargestellt. Angesichts der vorhandenen Prognoseunsicherheiten wäre eine feinere Aufschlüsselung letztlich wohl auch nicht wirklich belastbar. Bei unseren Berechnungen der Renteneintrittsaltersgrenzen gehen wir vereinfachend von einer Gleichverteilung innerhalb dieser aggregierten Kohorten aus.

Abbildung 1
Prognose des erforderlichen Renteneintrittsalters bei unterschiedlich gewählten Rentnerquotienten
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Quelle: eigene Berechnungen auf Grundlage der UN-Bevölkerungsprognosen.

Ergebnisse

Insgesamt am deutlichsten wird der Einfluss der unterschiedlichen demografischen Strukturen am Verhältnis zwischen Deutschland und Irland (vgl. Abbildung 1): Bei einer Ziel-Rentnerquote von r = 0,5 etwa beträgt der Unterschied in den implizierten Renteneintrittsaltern im Jahr 2030 fast acht Jahre (knapp 65 gegenüber 57), wobei sich der Abstand bis 2050 auf ca. fünf Jahre verkürzt. Die anderen Länder, deren notwendiges Renteneintrittsalter bei jedem Szenario unterhalb des deutschen bleibt, sind Griechenland und Frankreich. Von den weiteren betrachteten Ländern überholt Italien in jedem Szenario Deutschland als erstes (ausgehend von einer derzeit recht ähnlichen Situation), während es bei Spanien und Portugal im betrachteten Horizont bis 2050 von der Zielquote abhängt.

Interessant beim implizierten Renteneintrittsalter in Deutschland ist die zu beobachtende Abflachung der Kurve im Zeitverlauf, die sich je nach Szenario zwischen 2035 und 2045 einstellt. Danach wäre aufgrund der spezifischen deutschen Altersverteilung eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters nicht länger erforderlich, wenn auch auf je nach Szenario deutlich unterschiedlichen Niveaus. Dabei ist der Fall r = 0,5 hervorzuheben, weil sich das in diesem Szenario in Deutschland maximal notwendige Eintrittsalter von knapp 67 Jahren in etwa mit der Entwicklung laut derzeitiger Gesetzeslage deckt. Eine ähnliche Abflachung beobachten wir sonst nur für Frankreich, dessen demografische Situation aber bekanntlich deutlich besser ist als die Deutschlands, so dass das implizierte mögliche Renteneintrittsalter bis zu mehr als vier Jahren unter dem deutschen liegt.

Wie alle Vorhersagen sind auch die UN-Bevölkerungsprognosen mit Unsicherheit behaftet. Die UN stellen daher neben der wahrscheinlichsten Entwicklung (deren Werte wir bis hierhin durchweg verwendet haben) auch eine „hohe“ und eine „niedrige“ Alternativprognose zur Entwicklung der Bevölkerungen zur Verfügung. Zur Veranschaulichung der sich daraus ergebenden Veränderungen haben wir unsere Berechnungen für Deutschland und Frankreich mit diesen beiden Alternativprognosen wiederholt, wobei wir uns der Knappheit halber auf das Szenario der Zielrentnerquote von r = 0,4 beschränken (vgl. Abbildung 2). Es überrascht nicht, dass sich für lange Horizonte, d.h. ab ca. 2035, eine merkliche Spanne zwischen der niedrigen und der hohen Prognose zeigt. Allerdings ist der Unterschied beim implizierten Renteneintrittsalter zwischen Deutschland und Frankreich so groß, dass selbst bei einer Kombination von günstiger Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und einer ungünstigen in Frankreich dieses Alter in Deutschland weiterhin eindeutig höher bleibt.

Abbildung 2
Alternative Prognosen bei unterschiedlichen Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung
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Quelle: eigene Berechnungen auf Grundlage der UN-Bevölkerungsprognosen.

Rentenreformziele in Europa vor dem demografischen Hintergrund

Das Ziel der Nachhaltigkeit der Rentenpolitik an sich ist unstrittig. Wie schon angesprochen spielen neben dem Renteneintrittsalter dabei eine Reihe weiterer Faktoren eine Rolle: Dazu zählen insbesondere die Rentenhöhe, meist relativ zum letzten Einkommen („replacement rate“) definiert. Ein niedrigeres Renteneintrittsalter lässt sich theoretisch vollkommen durch entsprechend niedrigere Rentenhöhen sowie gegebenenfalls höhere Beitragszahlungen kompensieren. In der Praxis ist diese komplette Substituierbarkeit politisch-wohlfahrtsökonomisch jedoch eingeschränkt, was sich in der besorgten Debatte um die sogenannte Altersversorgungslücke zeigt. In unserem Ansatz wird vereinfacht unterstellt, dass sich die in den jeweiligen Ländern vorherrschenden (relativen) Rentenhöhen und Beitragssätze im Zeitverlauf nicht ändern und insofern die Nachhaltigkeit allein von der Altersschwelle abhängt. Diese Annahme dient vor allem der Fokussierung auf die demografischen Unterschiede zwischen den Ländern, erscheint aber langfristig auch dadurch gerechtfertigt, dass die Lebenserwartung die einzige sich trendmäßig entwickelnde Variable ist. Andere Variablen wie Beitragssätze und Renten-Lohn-Relationen dagegen sollten nicht beliebig wachsen oder schrumpfen können. So existiert zwar z.B. in Deutschland der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor in der deutschen Rentenanpassungsformel seit der Reform von 2004, es scheint aber wahrscheinlich, dass dieser Faktor letztlich wieder außer Kraft gesetzt würde, falls er zu einem zu niedrigen Renten-Lohn-Verhältnis führen sollte.

Bereits heute klafft das Renteneintrittsalter zwischen den Ländern in der EU einige Jahre auseinander. Das gilt sowohl für das gesetzliche Renteneintrittsalter als auch für das faktische. In den Institutionen der EU hat sich inzwischen auch ein Konsens gebildet, dass das Renteneintrittsalter an der jeweiligen demografischen Situation der einzelnen Länder auszurichten ist. Die Rentenpolitik ist in der geltenden Aufgabenteilung nach dem Subsidiaritätsprinzip zwar kein originäres EU-Thema. Dennoch ist sie im Zuge der Euro-Schuldenkrise in den Fokus gerückt. In Deutschland wurden griechische Rentner oder die französische Rentenreform vom Sommer 2012 Gegenstand der öffentlichen Debatte. So haben z.B. auch die öffentlichen Gläubiger Griechenlands, die sogenannte Troika, im Jahr 2012 der griechischen Regierung die Erhöhung des nominellen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre mehr oder weniger unverhohlen zur Bedingung weiterer Kredite gemacht.5

In einer Reihe von offiziellen Dokumenten verweist die EU-Kommission auf die Notwendigkeit einer Reform der Rentensysteme, und immer wieder taucht dabei die Forderung nach einer Orientierung an der Lebenserwartung auf. Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Beschluss zum Euro-Plus-Pakt vom März 2011, mit dem sich die 17 Staaten der Eurozone sowie sechs weitere Staaten zu bestimmten wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen verpflichtet haben. In diesem Pakt wird eine Ausrichtung der Rentensysteme an die jeweilige demografische Situation vorgeschlagen, „for example by aligning the effective retirement age with life expectancy or by increasing participation rates“6. Im Folgejahr unterstrich die Kommission diese Forderung erneut: „Linking the pensionable age to life expectancy could then help stabilise the balance between working years and years in retirement. This is of key importance for future sustainability.“7

Damit haben die EU-Institutionen wiederholt signalisiert, die Lebenserwartung sei ein brauchbarer Indikator für die Nachhaltigkeit der Rentensysteme. Wir bezweifeln das, denn tatsächlich liegen die Lebenserwartungen in Europa teilweise sehr nahe beieinander. Laut UN Population Division liegt sie für Frankreich und Deutschland bei 78 Jahren bei den Männern fast gleich. Frauen leben in Frankreich zwar zwei Jahre länger, nämlich 85 Jahre statt 83 Jahre, und die UN-Prognosen sagen, dass dieser Unterschied konstant bleiben wird, bei steigender Lebenserwartung in beiden Ländern. Aber demnach müsste Frankreich also sein Renteneintrittsalter schneller erhöhen als Deutschland, und möglicherweise ein späteres Renteneintrittsalter festsetzen. Das widerspricht unseren Ergebnissen vollkommen. Die EU-Kommission vermittelt hier irreführenderweise den Eindruck, Frankreich stehe vor einem größeren Anpassungsbedarf als Deutschland.

Mit dem Fokus auf die Lebenserwartung hat die EU-Kommission nur einen der möglichen demografischen Parameter ausgewählt. Erweitert man wie in der vorliegenden Untersuchung die Perspektive um die deutlich divergierenden Entwicklungen bei den jüngeren Kohorten, so kommt man zu teilweise konträren Ergebnissen. Die Lebenserwartung allein ist als Maß für die Nachhaltigkeit des Rentensystems relativ unbrauchbar, weil sie nichts über die Masse der nötigen und (potenziell) verfügbaren Zahlungsströme aussagt. Am Beispiel von Frankreich: Die Franzosen werden zwar etwas älter als die Deutschen, sie haben aber mehr Kinder, was für die Nachhaltigkeit des Rentensystems viel entscheidender ist.

Vollkommen in die Irre führen daher leider auch Äußerungen wie die von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai 2011: „Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann, als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen – das ist wichtig.“8 Unsere Ergebnisse haben dagegen gezeigt, dass eine Vergleichbarkeit von Griechenland mit Deutschland in dieser Hinsicht gar nicht, und von Spanien und Portugal erst nach dem Jahr 2040 erreicht würde; bis dahin müssten deutsche Rentner weiter wesentlich später in Rente gehen, da die demografischen Daten für Deutschland wesentlich schlechter sind als für die meisten anderen Staaten der EU.

  • 1 United Nations Department of Economic and Social Affairs: Population Division: World Population Prospects: The 2012 Revision, Juni 2013.
  • 2 Natürlich spielen andere Sozialtransfers wie z.B. eine Altersgrundsicherung, die mit höheren Beschäftigungsquoten tendenziell einfacher zu finanzieren sind, hierbei ebenfalls eine Rolle. Wir beschränken uns hier aber bewusst auf die Betrachtung einer typisierten beitragsfinanzierten Rentenversicherung im Umlageverfahren und können nicht das gesamte Steuer- und Transfersystem der jeweiligen Länder berücksichtigen.
  • 3 So im 2. Quartal 2008: Deutschland 59,6%, Frankreich 60,2%, Griechenland 60,5%, Irland 61,5%, Spanien 60,8%; deutlich darüber lag Portugal mit 65,4%, darunter Italien mit 55,0%. Quelle: eigene Berechnungen mit Eurostat-Daten (Labour Force Survey), bezüglich der Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren.
  • 4 Laut OECD Labour Force Statistics gab es 2012 rund 53,9 Mio. 15- bis 64-jährige Einwohner in Deutschland, bei rund 16,7 Mio. Menschen ab 65 Jahren.
  • 5 Agenturmeldungen (Reuters, dpa) vom 21.9.2012, z.B. im Handelsblatt.
  • 6 Vgl. http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/ec/120296.pdf, S. 18. Etwas bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang ein offenbarer Übersetzungsfehler des englischen Vertragstextes ins Deutsche. Der Vorschlag „increasing participation rates“ wurde übersetzt mit „Erhöhung der Beitragssätze“ (statt Erhöhung der Erwerbsquote), was die erklärten Absichten der Bundesregierung ins Gegenteil verkehren würde. Zur ökonomischen Bedeutung der „participation rates“ vgl. unsere Diskussion der Rolle der Beschäftigungsquoten weiter oben.
  • 7 European Commission: An Agenda for Adequate, Safe and Sustainable Pensions (WHITE PAPER), 16.2.2012, Brüssel, S. 10.
  • 8 Zitiert laut dpa-Meldung z.B. auf Spiegel online vom 18.5.2011.

Title:Europe’s Looming Pension Divide

Abstract:There is a significant variation in demographic development among European Union (EU) member states. Using the UN’s Population Prospects, we examine how different retirement ages in selected EU countries would lead to comparable relations between the working-age population and pensioners in the future. In the coming decades, it seems that the French would be able to take retirement roughly four years earlier than Germans. There is, therefore, no apparent economic justification for the suggested alignment of retirement ages in accordance with the current German regulation, as is sometimes suggested. Even the EU Commission has prioritised life expectancy in its recommendations for greater sustainability in the pension system, despite the fact that it is an insufficient indicator.


DOI: 10.1007/s10273-014-1680-z

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