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Frankreich: Ringen um die Zukunft

Von Daniela Schwarzer

Frankreich ist ein Sorgenkind der Eurozone. Die zweitgrößte Volkswirtschaft kämpft um ihre Wettbewerbsfähigkeit, gegen Deindustrialisierung und hohe Arbeitslosigkeit. Paris ringt mit hohen Defiziten und versucht parallel überfällige Strukturreformen umzusetzen. Der innenpolitische Kontext hierfür ist schwierig. Hollandes Zustimmungsraten liegen mit gut 20% sehr niedrig. Die Bevölkerung gehört zu den pessimistischsten in Europa, eine Mehrzahl der Franzosen sieht die nationale Identität, den Sozialstaat, die Zukunft ihrer Kinder bedroht. Populistische Bewegungen, allen voran der rechtsextreme Front National, schüren Ängste und propagieren ein unrealistisch-nostalgisches Bild des „alten Frankreichs“ als vermeintliches Zukunftsmodell. Aus den Kommunalwahlen im März und den Europawahlen im Mai 2014 ging der Front National als stimmstärkste Partei hervor. Durch den Terroranschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo Anfang Januar 2015 ist die gesellschaftspolitische Situation noch schwieriger geworden. Frankreich ist der EU-Mitgliedstaat mit dem größten Anteil muslimischer und jüdischer Bevölkerung. Eine Spaltung der Gesellschaft durch einen aufkommenden Anti-Islamismus, eine weitere Polarisierung und Delegitimierung der Regierung durch den Front National, all dies wären Entwicklungen, die Reform­erfolge erschweren könnten.

Kurz vor Weihnachten 2014 legte die Regierung ein Reformpaket vor, das die Arbeitsmärkte flexibilisieren soll, aber keinen Abschied von der 35-Stunden-Woche bedeutet. Der Symbolwert, um internationale Investoren von der Reformfähigkeit Frankreichs zu überzeugen, ist dennoch hoch. Gleichzeitig sollen einige Sektoren liberalisiert werden, gegen die Proteste der betroffenen Gruppen zu erwarten sind. Weder die Regierung, noch Hollande haben allerdings eine politische Vision für die weitere Entwicklung Frankreichs skizziert und damit die Bevölkerung mobilisiert. So sind also eher Reformen zu erwarten, die niemandem viel abverlangen. Aus Angst vor Protest des Transportgewerbes suspendierte die Regierung bereits die geplante Ökosteuer. Einmal allerdings beschritt Hollande erfolgreich andere Wege: Die Sozialpartner erarbeiteten Anfang 2013 einen Kompromiss zu einer ersten Arbeitsmarktliberalisierung, die dann in ein Gesetz gegossen wurde. Dies war neu in einer politischen Kultur, die traditionell von sozialen Konflikten und staatlichem Durchregieren geprägt ist.

Erschwert wird die Reformpolitik durch die Aufgabe, das öffentliche Defizit unter die Grenze von 3% des BIP zu bringen. Nach jetzigem Stand soll der Zielwert 2017 erfüllt werden, zwei Jahre später als geplant. Hollande hat wenig politischen Spielraum, um mehr als 50 Mrd. Euro einzusparen. Mehr dürfte in der Parti Socialiste für Spannungen sorgen und könnten den Front National stärken. Im Frühjahr 2017 wird in Frankreich neu gewählt – es ist unwahrscheinlich, dass die Sozialisten just dann einen härteren Sparkurs anstreben werden, zumal Ausgabenkürzungen den Binnenkonsum belasten, der traditionell einen großen Anteil am französischen Wachstum hat.

Bei der Analyse der Herausforderungen darf nicht vergessen werden, dass das Land über wichtige Stärken verfügt, hochwettbewerbsfähige Großkonzerne, eine gute Infrastruktur, auch im Bereich der Kommunikation, und eine preiswerte Energieversorgung. Die geplanten Reformen würden die Bedingungen für Unternehmen weiter verbessern. Mittelfristig profitiert Frankreich auch von seiner Demografie: Die Bevölkerung nimmt zahlenmäßig zu, während die deutsche schrumpft. Wenn sich Prognosen bestätigen und es 2050 ebenso viele Franzosen wie Deutsche gibt, wird der Erfolg der notwendigen Erneuerung Frankreichs für Europa noch wichtiger sein, als er heute schon erscheint.

Familienpflegezeit: Pflegebedürftigkeit bleibt privat

Von Steffen J. Roth

Am 1. Januar 2015 ist das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf in Kraft getreten. Neu ist nicht die bis zu zehntägige Freistellung von der Arbeit bei akutem Hilfebedarf pflegebedürftiger Angehöriger, sondern lediglich das „Pflegeunterstützungsgeld“, eine Lohnersatzleistung. War das nötig? Wer einen verständnisvollen Arbeitgeber hat, dessen Betriebsabläufe das spontane Fernbleiben einzelner Arbeitnehmer verkraften, der kann in solchen Notfällen vermutlich Überstunden abbauen, spontan Urlaub nehmen oder andere Lösungen finden, falls er die Lohneinbuße nicht hinnehmen will oder kann. Wer hingegen damit rechnen muss, dass die Inanspruchnahme der Freistellung negative Konsequenzen haben könnte, dem hilft auch der Anspruch auf Lohnfortzahlung wenig.

Außerdem können Berufstätige, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern, nun ein zinsloses Darlehen erhalten, um Verdienstausfälle zu überbrücken. Wer braucht das? Der finanzielle Vorteil der Zinslosigkeit hält sich beim aktuellen Zinsniveau in sehr engen Grenzen. Helfen kann dies demjenigen, bei dem das Pflegegeld nicht zur Kompensation der Gehaltseinbußen genügt, der über keine eigenen Ersparnisse verfügt und der von niemandem sonst einen Kredit bekommt. Ob sich der administrative Aufwand des mit diesem Bankgeschäft beauftragten „Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben“ rechtfertigen lässt, darf jedenfalls bezweifelt werden.

Schließlich erhalten Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 25 Angestellten einen Rechtsanspruch auf eine bis zu 24-monatige Reduzierung ihrer Arbeitszeit, sofern sie sich um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern. Was ändert dies?

Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten haben bereits seit Jahrzehnten einen Anspruch auf Teilzeitarbeit, dem der Arbeitgeber nur im Einzelfall aus betrieblichen Gründen widersprechen kann. Übrigens ohne eine Höchstdauer von 24 Monaten, die bei einer durchschnittlichen Pflege durch Angehörige von acht Jahren unpassend erscheint. Solche Ansprüche laufen allerdings überall dort ins Leere, wo eine Reduzierung der Arbeitszeit eben nicht folgenlos bleibt. Dass die Schwierigkeiten der Anpassung von Betriebsabläufen und der Einarbeitung von Vertretungen in kleineren Betrieben naturgemäß größer sind, versucht das Gesetz mit dem Schwellenwert von mehr als 25 Mitarbeitern zu berücksichtigen. Allerdings wirkt diese Ausnahme aus Sicht des Pflegebedürftigen diskriminierend: Nicht derjenige erhält mehr Hilfe, der die größere Pflegebedürftigkeit aufweist, sondern derjenige, dessen Angehörige bei großen Arbeitgebern arbeiten.

Die Frage nach dem Anspruch auf Teilzeit betrifft in der Praxis aber ohnehin nur wenige Menschen. Aufgrund der herrschenden Rollenmuster handelt es sich bei den allermeisten pflegenden Angehörigen im Erwerbsalter um die Töchter und Schwiegertöchter der Pflegebedürftigen. Und diese arbeiten schon bislang meist in Teilzeit: Nur ein Viertel aller erwerbstätigen Frauen zwischen 55 und 60 Jahren und nur 10% der 60- bis 65-jährigen Frauen ist vollzeiterwerbstätig.

Die Pflegebedürftigkeit von nahen Angehörigen ist und bleibt Privatsache. Sie belastet die Pflegenden, weil sie sich ihren Angehörigen verpflichtet fühlen und zur Erfüllung dieser körperlich und mental schwierigen Aufgabe ihren gesamten Lebensalltag umstellen müssen. Das Gesetz zur Familienpflegegezeit ändert daran so gut wie nichts. Der Wohlfahrtsstaat kann den Familien diese Belastungen nicht abnehmen. Er sollte dann aber auch nicht großzügig tun.

Transaktionssteuer: Einführung ist ein politisches Signal

Von Christian Dreger, Alexander Kritikos

Seit über 40 Jahren wird die Einführung einer Steuer auf Finanzmarkttransaktionen diskutiert. Ursprünglich als Tobin-Steuer bezeichnet, wird diese Abgabe als ein In­strument gesehen, mit dem jeder Handel mit Finanzprodukten – Aktien, Anleihen, Devisen und Derivate – mit einem Steuersatz im Promillebereich belastet wird. Mit der Besteuerung werden Arbitragegeschäfte mit Finanzprodukten unrentabel, wenn die Kursdifferenzen die Kosten der Steuer nicht decken. Transaktionen bei kleinen Gewinnmargen wären weniger attraktiv.

Mit der Steuer verbinden sich folglich zwei Ziele: Die Eindämmung von Instabilitäten auf den Finanzmärkten und eine zusätzliche Einnahmequelle für den Staat aus allen weiterhin getätigten Transaktionen, die dazu verwendet werden soll, die Marktteilnehmer an den Kosten der von ihnen verursachten Finanzkrisen zu beteiligen. Schätzungen sprechen allein für Deutschland von jährlichen Steuereinnahmen von mehr als 17 Mrd. Euro, wenn eine Transaktionssteuer von 0,5‰ des Kaufpreises erhoben würde, vorausgesetzt die Bemessungsgrundlage ist wirklich breit und die Markttransaktionen werden nicht in andere Länder verschoben.

Und damit sind wir mitten in der Kritik an diesem Instrument. Führen Länder die Steuer im Alleingang ein, sind Ausweichreaktionen zu erwarten. Die Geschäfte würden auf Finanzplätze verlagert, an denen keine solche Abgabe fällig ist. Die Erfolgsaussichten dieser Steuer sind daher umso größer, je mehr Länder sich beteiligen. Derzeit streben zehn EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, die Einführung der Steuer für Anfang 2016 an. Auf ihre Ausgestaltung hat man sich nach Jahren der Diskussion nicht geeinigt. Zwischen den beteiligten Regierungen wird noch immer heftig diskutiert, welche Finanztransaktionen überhaupt besteuert und nach welchem Prinzip die Steuern erhoben werden. Nach aktuellem Stand wären nur Aktien und einige Derivate betroffen. Die ursprünglich vor allem von Deutschland geplante umfassende Besteuerung von Finanzmarktprodukten steht nicht mehr zur Debatte. Damit werden auch die Steuermehreinnahmen geringer ausfallen, man rechnet nur noch mit 2,5 Mrd. statt mit 17 Mrd. Euro.

Und es gibt Zweifel an der Wirksamkeit der Steuer im Hinblick auf den erhofften Abbau von Instabilitäten auf Finanzmärkten, weil Arbitragegeschäfte Märkte auch stabilisieren können. Zudem wäre die letzte Finanzkrise durch diese Steuer nicht verhindert worden, denn die Abgabe macht das Risiko von Finanzinnovationen wie Derivaten oder verbrieften Finanzprodukten nicht transparenter. Schließlich bleibt unklar, wer am Ende die Kosten der Steuer trägt, die Finanzakteure selbst oder deren Kunden, an die die Kosten über höhere Sollzinsen weitergereicht würden. Andere wie Schwedens Finanzminister warnen sogar vor Arbeitsplatzverlusten.

Die langfristigen Wirkungen sind folglich nicht absehbar. Darüber hinaus bleibt die Notwendigkeit bestehen, die Regeln auf den Finanzmärkten so zu überarbeiten, dass Finanzkrisen wie im Jahr 2009 nicht erneut eintreten. In diesem Sinne wäre die rasche Einführung der Transaktionssteuer in den zehn EU-Staaten in erster Linie als politisches Signal zu verstehen, dass die Regierungen es weiterhin ernst meinen mit der Regulierung dieser Märkte. Langfristig sinnvoll kann die Steuer nur werden, wenn die Bemessungsgrundlage verbreitert und möglichst viele Staaten für ihre Einführung gewonnen werden.

Netzneutralität: Schwammige Abgrenzung

Von Lukas Wiewiorra

Netzneutralität bedeutet, dass Daten unabhängig von ihrem Ursprung, ihrem Ziel und ihrem Inhalt bei dem Transport durch die Netzinfrastruktur gleich behandelt werden. Die Bundesregierung möchte in ihrem Vorschlag für die „Digital Single Market“-EU-Verordnung dieses Prinzip für das „offene Internet“ festschreiben, auf der anderen Seite aber Ausnahmen für „Spezialdienste“ gestatten. Die Daten eines Spezialdienstes sollen über logisch getrennte Kapazitäten im Netz bevorzugt transportiert und damit ein performanter Betrieb sichergestellt werden. Gleichzeitig soll politisch gewährleistet werden, dass weiterhin genügend Kapazität für das offene Internet zur Verfügung steht, Spezialangebote kein Substitut für offene Internetzugänge werden und Netzbetreiber nicht zwischen Nutzern oder funktional gleichwertigen Diensten diskriminieren. Die Kontrolle darüber soll der Regulierungsbehörde zufallen, die ex post prüft, ob die Angebote missbräuchlich sind.

Im Zuge der Diskussion wird der Bundesregierung eine Aufweichung der ursprünglichen Idee von Netzneutralität zugunsten wirtschaftlicher Interessen der Netzbetreiber vorgeworfen. Die Netzneutralität werde durch das definitorische Konstrukt des Spezialdienstes de facto ausgehebelt. In der Tat beinhaltet der aktuelle Vorschlag alle Komponenten, die von Netzbetreibern lange gefordert wurden. Die Einführung von Qualitätsklassen wird nicht mehr ausgeschlossen und einzelne Dienste können von der Anrechnung auf Datenvolumina der Endkunden ausgeschlossen werden. Die Netzbetreiber wiederum können Dienstanbietern gegen eine Gebühr diese Arten der Bevorzugung zusprechen, was sich letztlich hinter dem Begriff Spezialdienst verbirgt. Aus ökonomischer Perspektive ist eine effiziente diskriminierungsfreie Allokation von Qualität durch differenzierte Angebote sinnvoll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bevorzugung bestimmter Dienste, bei gleichbleibender Gesamtkapazität, die Qualität für das verbleibende offene Internet notwendigerweise senkt. Um die aktuelle Qualität des offenen Internets zu erhalten, müssten die Kapazitäten entsprechend erhöht werden.

Es ist aber fraglich, wie groß die Zahl von Diensten ist, die eine gesteigerte Qualität überhaupt benötigen. Daraus resultiert die Befürchtung, dass Netzbetreiber bei immer weiter steigendem Datenaufkommen die Nachfrage nach einer kostenpflichtigen höheren Qualitätsklasse durch zu geringe Kapazitätsinvestitionen steigern. Es hängt nach der Einführung von einer erfolgreichen Kontrolle durch die Bundesnetzagentur, möglichen Mindestqualitätsstandards und einem funktionierenden Wettbewerb zwischen den Netzbetreibern ab, ob sich diese Besorgnis zerstreut.

Die Maßnahme, den Datenverbrauch einzelner Dienste von der Anrechnung auf monatliche Datenvolumina von Kunden auszunehmen, ist im Mobilfunk bereits Realität. Ein Vorstoß der Deutschen Telekom, dieses Tarifmodell 2013 auch für DSL/VDSL-Anschlüsse durchzusetzen, verlief erfolglos. Solange aber der Großteil der Festnetzkunden weiterhin Flatrate-Tarife nutzt, ist eine solche kostenpflichtige Ausnahme für Dienstanbieter nicht attraktiv. Es bleibt abzuwarten, ob Netzwerkbetreiber zukünftig einen neuen Anlauf unternehmen, die Flatrate als den dominanten Tarif in kabelgebundenen Netzen abzulösen und so die Attraktivität von Spezialdiensten zu steigern. Abschließend erscheint die inhaltliche Abgrenzung eines Spezialdienstes von einem Internetdienst sehr schwammig. Jedes verfügbare DSL/VDSL-basierte TV-Produkt eines Netzwerkbetreibers ist technisch als Spezialdienst zu bezeichnen, steht aber in Konkurrenz zu anderen TV-Diensten im Internet und damit einem diskriminierungsfreien Betrieb funktional gleichwertiger Dienste entgegen.


DOI: 10.1007/s10273-015-1771-5

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