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Die an der Gemeinschaftsdiagnose teilnehmenden Institute prognostizieren in ihrer Herbstdiagnose, dass die deutsche Wirtschaft in diesem und im kommenden Jahr um jeweils 1,8% expandieren wird. Damit setzt sich zwar der Aufschwung fort, er dürfte aber moderat bleiben. Bremsend wirkt die Abschwächung des Wachstums in den Schwellenländern. Im weiteren Prognosezeitraum wird der Aufschwung vor allem von den privaten Konsumausgaben getragen. Zwar wurden auch die Sachinvestitionen des Staates ausgeweitet. Für moderne Volkswirtschaften sind Investitionen in Köpfe aber wichtiger als Investitionen in Beton. Im Bereich der Bildung gilt es, Wachstumspotenziale zu heben.

Im ersten Halbjahr expandierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit Raten, die in etwa der Wachstumsrate des Produktionspotenzials entsprechen. Gestützt wurde die Expansion vom privaten Konsum. Dieser profitierte von der spürbaren Ausweitung der Beschäftigung und steigenden Reallöhnen, auch wegen des Kaufkraftgewinns aufgrund des gesunkenen Rohölpreises. Die Investitionstätigkeit nahm hingegen eher verhalten zu. Ungeachtet des mäßigen Tempos der weltwirtschaftlichen Expansion stiegen die Exporte kräftig. Wesentlichen Anteil daran hatten die Erholung im Euroraum und die Abwertung des Euro.

Im dritten Quartal 2015 dürfte das Expansionstempo etwa dem im ersten Halbjahr entsprochen haben. Zwar ist die Erzeugung im Produzierenden Gewerbe wohl nur verhalten ausgeweitet worden, dies dürfte aber die Produktion in den Dienstleistungsbereichen mehr als ausgeglichen haben. Dafür sprechen der deutliche Zuwachs der Einzelhandelsumsätze und die sehr gute Lageeinschätzung der Dienstleister. Auf einen leicht beschleunigten gesamtwirtschaftlichen Produktionsanstieg deuten auch der kräftige Anstieg der Beschäftigung im Juli und August hin sowie die Lageeinschätzung in der gewerblichen Wirtschaft. Alles in allem gehen die Institute davon aus, dass das BIP im dritten Quartal um 0,4% gestiegen ist.

Im weiteren Prognosezeitraum wird der Aufschwung vor allem von den privaten Konsumausgaben getragen. Zwar laufen im Prognosezeitraum die anregenden Wirkungen auf die Realeinkommen aufgrund des gesunkenen Rohölpreises aus. Letztere profitieren aber von einer weiterhin steigenden Beschäftigung, Tariflohnabschlüssen deutlich über der Inflation, einer sinkenden Steuerbelastung und steigenden Transfers. Diese nehmen auch aufgrund der steigenden Flüchtlingsmigration zu, die zudem den Staatsverbrauch beschleunigt wachsen lässt.

Die Anlageinvestitionen werden im Prognosezeitraum bei anhaltend günstigen Finanzierungsbedingungen leicht beschleunigt steigen. Die Bauinvestitionen ziehen an. Insbesondere bleibt die Expansion im Wohnungsbau kräftig, und die öffentlichen Investitionen dürften spürbar zulegen, weil Mittel aus diversen staatlichen Programmen vermehrt abgerufen werden. Auch die Ausrüstungsinvestitionen beleben sich, ihr Anstieg bleibt jedoch weiterhin hinter dem früherer Aufschwungsphasen zurück. Hier wirkt sich aus, dass die Kapazitäten derzeit normal ausgelastet sind und sich daran im Prognosezeitraum nichts ändern wird.

Die Ausfuhren werden von zwei gegenläufigen Einflüssen geprägt: Einerseits setzt sich die Erholung im übrigen Euroraum fort. Andererseits wird die Expansion in den Schwellenländern, insbesondere in China, wohl verhalten bleiben. Vor diesem Hintergrund dürften die Ausfuhren nur mäßig expandieren, zumal die anregende Wirkung der Euro-Abwertung allmählich nachlässt. Bei den Importen ist ebenfalls mit einem nur moderaten Anstieg zu rechnen, nicht zuletzt wegen der wenig dynamischen Investitionen, die durch einen besonders hohen Importgehalt gekennzeichnet sind. Insgesamt gesehen werden die Einfuhren allerdings wohl etwas kräftiger ausgeweitet als die Ausfuhren, so dass der Beitrag des Außenhandels von 0,4 Prozentpunkte (2015) auf 0,1 Prozentpunkte im kommenden Jahr zurückgeht.

Alles in allem steigt das BIP im Verlauf des Prognosezeitraums etwa in gleichem Maße wie das Produktionspotenzial, womit die Produktionslücke ab dem Jahr 2015 geschlossen sein dürfte. Die Institute prognostizieren für 2015 und für 2016 einen Zuwachs um jeweils 1,8% (vgl. Tabelle 1). Das 68%-Prognoseintervall, das aus den Fehlern früherer Prognosen abgeleitet wurde, reicht für 2015 von 1,6% bis 2,0%. Für 2016 ist es mit einer Spanne von 0,3% bis 3,3% erheblich breiter.

Tabelle 1
Eckdaten der Prognose für Deutschland
  2011 2012 2013 2014 2015 2016
Reales BIP (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) 3,7 0,4 0,3 1,6 1,8 1,8
Erwerbstätige1 (1000 Personen) 41 577 42 060 42 330 42 703 42 940 43 195
Arbeitslose (1000 Personen) 2 976 2 895 2 950 2 898 2 800 2 875
Arbeitslosenquote2 (in %) 7,1 6,8 6,9 6,7 6,4 6,5
Verbraucherpreise3 (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) 2,1 2,0 1,5 0,9 0,3 1,1
Lohnstückkosten4 (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) 0,5 3,1 2,0 1,6 1,6 1,5
Finanzierungssaldo des Staates5
in Mrd. Euro -25,9 -2,0 -3,0 8,9 23,0 13,0
in % des nominalen BIP   -0,1 -0,1 0,3 0,8 0,4
Leistungsbilanzsaldo
in Mrd. Euro 164,6 187,3 179,7 215,4 256,0 260,0
in % des nominalen BIP 6,1 6,8 6,4 7,4 8,5 8,3

1 Im Inland. 2 Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß der Bundesagentur für Arbeit). 3 Verbraucherpreisindex (2010 = 100). 4 Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde. 5 In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.

Quellen: Statistische Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2015 und 2016: Prognosen der Institute.

Angesichts der aufwärts gerichteten Produktion wird die Zahl der Erwerbstätigen im kommenden Jahr um 0,6% oder 255 000 Personen steigen, nach einer Zunahme in ähnlicher Größenordnung in diesem Jahr. Zusätzliche Arbeitskräfte werden weiterhin in hohem Maße aus der Stillen Reserve oder aus dem Kreis der Zuwanderer rekrutiert. Vor diesem Hintergrund ist auch der Rückgang der Arbeitslosigkeit in den vergangenen Monaten zum Erliegen gekommen. Im Verlauf des Prognosezeitraums dürfte die Zahl der Arbeitslosen leicht zunehmen, weil in zunehmendem Maße Asylbewerber dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Im vierten Quartal 2016 dürfte die Zahl der Arbeitslosen um rund 170 000 über der des Vorjahres liegen. Im Jahresdurchschnitt nimmt die Arbeitslosenquote nur leicht von 6,4% auf 6,5% zu.

Die Kerninflation, die zuletzt 1,2% betrug, wird sich nur wenig beschleunigen. Zum einen bleibt die Kapazitätsauslastung unverändert, zum anderen sind von den Importpreisen aufgrund der schwachen Weltkonjunktur keine Schübe zu erwarten. Allerdings laufen die dämpfenden Wirkungen der gesunkenen Rohstoffpreise auf die Teuerung allmählich aus. Vor diesem Hintergrund erwarten die Institute für 2016 eine Inflationsrate von 1,1% nach 0,3% in diesem Jahr.

Für die öffentlichen Haushalte zeichnet sich für dieses Jahr ein Überschuss ab, der mit 23 Mrd. Euro deutlich über dem des Vorjahres liegt. Allerdings haben Sonderfaktoren den Überschuss im vergangenen Jahr gemindert und ihn in diesem Jahr erhöht.1 Bereinigt um diese wäre der Überschuss in diesem Jahr nur wenig höher gewesen als 2014. Im kommenden Jahr dürfte sich der Überschuss deutlich verringern, zum einen aufgrund eines etwas höheren Expansionsgrades der Finanzpolitik, zum anderen aufgrund zusätzlicher Ausgaben im Zusammenhang mit der Flüchtlingsmigration. Gleichwohl weist der öffentliche Haushalt voraussichtlich einen Überschuss von 13 Mrd. Euro auf.

Zuwanderung von Asylsuchenden zeigt Wirkungen am Arbeitsmarkt

Ein beherrschendes Thema im Herbst 2015 ist die dramatisch steigende Zuwanderung von Asylsuchenden. Deren Effekte treten an verschiedenen Stellen dieser Gemeinschaftsdiagnose zutage. Konjunkturell schlagen die zusätzlichen Ausgaben des Staates zur Bewältigung der Flüchtlingsmigration und wachsende Transfers an Asylsuchende zu Buche, die ihr Pendant in höheren Konsum­ausgaben finden. Die Wirkungen für den Arbeitsmarkt werden in diesem und im kommenden Jahr erst nach und nach sichtbar, haben aber erhebliche Konsequenzen für die Wachstumsaussichten auf mittlere Sicht. Allerdings ist die Abschätzung all dieser Wirkungen sehr stark von Annahmen getrieben.

Von Januar bis August 2015 wurden in Deutschland mit 257 000 mehr als doppelt so viele Asylanträge gestellt wie im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge liegt allerdings deutlich höher, weil es zu Verzögerungen zwischen der Anmeldung von Asylgesuchen und deren Registrierung als Asylanträge bei den zuständigen Stellen gekommen ist. Allein im August dürften ausweislich der Zahlen des sogenannten EASY-Systems, das die Verteilung ankommender Asylsuchender auf die Bundesländer regelt, rund 100 000 Flüchtlinge in Deutschland angekommen sein – bei nur rund 38 000 Asylanträgen. Der Großteil der bis August registrierten Flüchtlinge stammte aus den nicht zur EU gehörenden Balkanländern (45%), dahinter rangierten Asylsuchende aus Vorderasien (31%). Nach Nationalitäten stellten Syrer die zahlenmäßig bedeutendste Gruppe. Deren Zahl hat von Monat zu Monat mit hohen Raten zugenommen, was insofern bedeutsam ist, als Syrer eine hohe Chance haben, als Flüchtlinge anerkannt zu werden, während dies bei vom Balkan stammenden Asylsuchenden nicht der Fall ist. Von den von Januar bis August 2015 bearbeiteten 153 000 Asylanträgen wurden 38,7% positiv beschieden. Diese Schutzquote ist im Jahresverlauf stetig gestiegen und betrug im Durchschnitt der Monate Juni bis August 46%.

Der Zugang von Asylsuchenden zum deutschen Arbeitsmarkt sowie ihre Ansprüche auf Transfers hängen von ihrem Aufenthaltsstatus ab (vgl. Tabelle 2). Personen, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Asylberechtigte und Flüchtlinge anerkannt wurden, haben grundsätzlich unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt.2 Asylbewerber mit einer Aufenthaltsgestattung für die Dauer des laufenden Asylverfahrens dürfen nach drei Monaten Aufenthalt unter bestimmten Voraussetzungen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Potenzielle Arbeitgeber müssen vor Einstellung Genehmigungen bei der Ausländerbehörde und der örtlichen Arbeitsagentur einholen. Die Zustimmung hängt von zwei Kriterien ab: der Arbeitsmarktprüfung und der Vorrangprüfung. Bei ersterer werden die Arbeitsbedingungen, d.h. der Verdienst und die Arbeitszeiten, geprüft. Dies soll Diskriminierungen vermeiden. Bei der Vorrangprüfung wird kontrolliert, ob die Stelle auch mit einem arbeitssuchend gemeldeten Deutschen, EU-Bürger oder Ausländer mit bevorrechtigtem Aufenthaltsstatus besetzt werden kann. Diese Prüfung entfällt nach 15-monatigem Aufenthalt in Deutschland. Gleiche Regelungen gelten für Personen mit Duldungsstatus, deren Antrag auf Asyl abgelehnt worden ist, bei denen aber die Abschiebung ausgesetzt wurde.

Tabelle 2
Aufenthaltsrechtlicher Status und Arbeitsmarktzugang der Asylsuchenden
Flüchtlingsstatus Aufenthaltsrechtlicher Status Arbeitsmarktzugang Anspruch auf Sozialleistungen
Asylbewerber Aufenthaltsgestattung für die Dauer des Asylverfahrens 3 Monate Beschäftigungsverbot, danach Vorrangprüfung (entfällt nach 15 Monaten Aufenthalt) nach Asylbewerberleistungsgesetz
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG) oder Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG u. Familienasyl) zunächst befristete Aufenthaltserlaubnis, nach drei Jahren unbefristete Niederlassungserlaubnis unbeschränkt wie deutsche Staatsangehörige
Gewährung von subsidiärem Schutz (gemäß § 4 Abs. 1 AsylVfG) oder Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 5 o. 7 AufenthG) zunächst befristete Aufenthaltserlaubnis, nach sieben Jahren unbefristete Niederlassungserlaubnis unbeschränkt wie deutsche Staatsangehörige
Ablehnung des Asylantrags Ausreiseaufforderung oder Aussetzung der Abschiebung (Duldung) 3 Monate Beschäftigungsverbot, danach Vorrangprüfung (entfällt nach 15 Monaten Aufenthalt – Zeiten im Asylverfahren zählen mit) nach Asylbewerberleistungsgesetz: wenn befristete Aufenthaltserlaub-nis vorliegt und Aussetzung der Abschiebung 18 Monate zurückliegt, dann Leistungen nach SGB II oder SGB XII

Quellen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; Bundesministerium des Inneren.

In welchem Maße sich die asylbedingte Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt auswirkt, hängt von mehreren Einflussgrößen ab. Zentral ist dabei die Annahme, wie sich die Zahl der Asylbewerber entwickelt. Die Institute unterstellen, dass die Zahl der Asylsuchenden in diesem Jahr bei 900 000 liegen wird (vgl. Tabelle 3).3 Längst nicht alle Gesuche werden aktuell zeitnah als Asylanträge erfasst; unterstellt wird hier aber, dass der Stau bei der Registrierung der Bewerber allmählich abgebaut wird. Auch wird davon ausgegangen, dass die asylbedingte Zuwanderung abebbt – zumal weitere Länder als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden und das Dubliner Verfahren konsequenter umgesetzt werden soll. Daher liegt der Gemeinschaftsdiagnose eine ab der Jahreswende schwächere Zuwanderung von nur 600 000 Asylsuchenden zugrunde. Überdies wird erwartet, dass die Asylverfahren beschleunigt bearbeitet werden. So wurde beschlossen, die Zahl der Bearbeiter in den zuständigen Behörden aufzustocken. Weil voraussichtlich weitere Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, dürfte sich die Zusammensetzung der Asylsuchenden hinsichtlich ihrer Nationalität verändern. Daher wird vermehrt über Personen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Asylgewährung entschieden werden; deshalb steigt die Schutzquote. Die Institute unterstellen, dass sie sich im Verlauf des Prognosezeitraums auf 56% erhöht.

Tabelle 3
Auswirkungen der Fluchtmigration auf das Erwerbspersonenpotenzial
in 1000 Personen
     2015 2016
Asylbewerber insgesamt
Anträge im EASY-System (1) 900 600
Registrierte Asylanträge (2) 629 696
Laufende Asylverfahren (3) 325 671
Asylbewerber im laufenden Asylverfahren
erfahrungsmäßige Erwerbsquote (in %) (4) 15 20
Personen in Qualifizierungsmaßnahmen1 (5) 5 19
Erwerbspersonen (6) = (3)*(4) - (5) 44 115
Entscheidungen durch das BAMF
Entscheidungen über Asylanträge (7) 275 650
Gesamtschutzquote2 (in %) (8) 38 56
Positive Entscheidungen (9) = (7)*(8) 103 366
Asylbewerber mit positivem Bescheid
Anteil der 14- bis 64-Jährigen3 (in %) (10) 77 76
Personen im erwerbsfähigen Alter (11) = (9)*(10) 79 278
Erwerbsquote (in %) (12) 78 78
Erwerbsfähige Personen (13) = (11)*(12) 61 216
davon in Qualifizierungsmaßnahmen (14) 16 36
Erwerbspersonen (15) = (13) - (14) 45 180
Gesamteffekt auf das Erwerbspersonenpotenzial (16) = (15) + (6) 89 295

1 Annahme: Asylbewerber mit einer hohen Anerkennungswahrscheinlichkeit können schon während des laufenden Verfahrens an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen. 2 Durchschnittliche Schutzquote; im Jahresverlauf 2015 und 2016 steigt sie und liegt im Dezember 2016 bei 62,4%. 3 Durchschnittliche Quote.

Quellen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF); Annahmen und Berechnungen der Institute.

Ferner wird angenommen, dass diejenigen Asylsuchenden, die einen Aufenthaltstitel erhalten, sich in ihrer Altersstruktur nicht nennenswert von denjenigen Personen unterscheiden, die im bisherigen Verlauf des Jahres 2015 um Schutz gebeten haben; demnach wären ungefähr drei Viertel im erwerbsfähigen Alter. Bei den anerkannten Asylsuchenden wird eine Erwerbsquote von 80% unterstellt. Darüber hinaus ist unterstellt, dass ein Teil der Asylbewerber bereits während des Verfahrens dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Gemindert wird die Erwerbsbeteiligung von Asylsuchenden dadurch, dass ein wesentlicher Teil von ihnen zunächst Sprach- und Qualifizierungsmaßnahmen durchlaufen wird. Unter diesen Annahmen ergibt sich für das laufende Jahr – nicht zuletzt wegen der starken Verzögerung bei der Bearbeitung der Asylanträge – eine asylbedingte Zunahme des jahresdurchschnittlichen Erwerbspersonenpotenzials um 89 000 Personen, im kommenden Jahr beträgt sie 295 000.

In Abhängigkeit vom Stand des Asylverfahrens haben Asylsuchende in unterschiedlichem Maße Anspruch auf Sozialleistungen. Ankommende Flüchtlinge leben zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen und können dort maximal drei, ab November voraussichtlich maximal sechs Monate bleiben. Die derzeitigen Verzögerungen bei der Aufnahme der Verfahren dürften die Aufenthaltsdauer in den Einrichtungen verlängern. Solange die Asylsuchenden in den Einrichtungen wohnen, entstehen für ihre Unterbringung vor allem Sachaufwendungen; zudem fallen Betreuungs- und Gesundheitskosten an. Sie erhalten aber auch ein Taschengeld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Verlassen die Asylbewerber die Erstaufnahmeeinrichtungen, besteht die Möglichkeit, in eine eigene Wohnung oder in eine Gemeinschaftsunterkunft zu ziehen. Die Asylbewerber erhalten dann weiterhin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die zum Teil als Sachzuwendungen oder Wertgutscheine ausgegeben werden können. Einige Bundesländer sind in der Vergangenheit allerdings dazu übergegangen, den gesamten Betrag als Geldleistung zu gewähren. In dieser Prognose ist unterstellt, dass dies so bleibt. Zudem besteht ein Anspruch auf weitere Leistungen, z.B. auf die Erstattung der Kosten für Miete und Nebenkosten.

Nach Abschluss des Asylverfahrens haben anerkannte Flüchtlinge unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und mithin Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Es besteht weiterhin ein Anspruch auf Hilfen in besonderen Lebenslagen und für Wohnkosten, wenn die persönlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Abgelehnte, aber geduldete Asylbewerber haben weiterhin einen Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Neben den Transferleistungen sind zusätzliche Ausgaben des Staates für Vorleistungskäufe, Investitionen und Arbeitnehmerentgelte zu berücksichtigen. Insgesamt könnten sich die Mehraufwendungen für Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen in diesem Jahr auf eine Größenordnung von 4 Mrd. Euro und im kommenden Jahr von rund 11 Mrd. Euro belaufen, jeweils verglichen mit den Aufwendungen im Jahr 2014. Für die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen ist es dabei sekundär, in welchem Maße Sachleistungen und in welchem Geldleistungen gewährt werden. In erstem Fall steigt aber der Staatskonsum, im zweiten der private Konsum. Den Ausgaben des Staates stehen Einnahmen gegenüber, etwa aus der Umsatzsteuer und anderen Verbrauchsteuern.

Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik durch die Flüchtlingsmigration

Wie bereits die europäische Schulden- und Vertrauenskrise zeigt auch die aktuelle Flüchtlingskrise, dass auf europäischer Ebene in Krisensituationen die nationale Lastenverteilung im Vordergrund der Diskussion steht und nicht die sachorientierte Problemlösung. Auf Dauer ist die derzeitige Konzentration der Flüchtlinge auf wenige EU-Mitgliedsländer nicht durchzuhalten. Daher sind gemeinsame und verbindliche Standards bezüglich der Asylgewährung und der Leistungen an Asylsuchende erforderlich. Für die lange Frist sollte erwogen werden, die Kompetenz für die Durchführung von Asylverfahren auf die europäische Ebene zu übertragen.

In der öffentlichen Diskussion verschwimmt mitunter die Unterscheidung zwischen der Reaktion auf die Fluchtmigration und einer langfristig orientierten Einwanderungspolitik, die primär an wirtschaftlichen Interessen der Zielländer ausgerichtet ist. Die fluchtbedingte Migration ist kein Ersatz für eine vernünftige Zuwanderungspolitik. Sie ist allerdings durchaus mit Chancen für die Zielländer verbunden.

Auch im Interesse der Flüchtlinge ist die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt der wichtigste Hebel. In dem Maße, in dem es gelingt, die Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt zu integrieren, nimmt zudem ihre Abhängigkeit von Transferleistungen ab und sie tragen zur Wertschöpfung in Deutschland bei. Ohne Zweifel sind Sprachkenntnisse eine zentrale Voraussetzung für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Aus diesem Grund ist es hilfreich, dass Asylbewerbern schon während des laufenden Asylverfahrens Sprachkurse angeboten werden sollen. Auch ist erforderlich, dass Flüchtlinge in Form von Praktika oder eines frühzeitigen Einstiegs ins Berufsleben Berufserfahrungen sammeln können. Aber nicht nur mit Blick auf die Asylsuchenden sollte Bildung und Ausbildung eine hohe Priorität eingeräumt werden. Moderne Volkswirtschaften wachsen in abnehmendem Maße durch Investitionen in Beton und in zunehmendem Maße durch Investitionen in Köpfe. Hier gilt es, Wachstumspotenziale zu heben.

  • 1 Aus zwei Urteilen des Bundesfinanzhofs von 2014 resultieren Steuererstattungen von knapp 8 Mrd. Euro, die den Unternehmen voraussichtlich in diesem und dem kommenden Jahr zufließen werden. Sie werden in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen im Jahr der Urteilsverkündung als Vermögensübertragungen an Unternehmen gebucht. Andererseits erbrachte die Versteigerung von Mobilfunklizenzen in diesem Jahr Einmalerlöse von 5,1 Mrd. Euro.
  • 2 Eine Ausnahme gilt für Asylbewerber, für die ein Abschiebungsverbot vorliegt; für sie erteilen die Ausländerbehörden ihre Arbeitserlaubnis gesondert.
  • 3 Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Gemeinschaftsdiagnose gab es noch keine amtlichen Angaben zur Zuwanderung von Asylsuchenden im September 2015. Pressemeldungen deuten darauf hin, dass die Zuwanderung im laufenden Jahr deutlich höher liegen könnte als hier unterstellt.

Title:Joint Forecast: Migration of Refugees will Challenge Economic Policy

Abstract:According to the Autumn 2015 Joint Forecast German GDP will grow by 1.8% in this year and in the next year also. Thus the business cycle upswing will continue to be moderate. Lower growth in the emerging markets will show a dampening effect on exports whereas private consumption will gain momentum, given a strong labor market and an increase in real wages. However, new workers are increasingly recruited from the non-active population and among immigrants, leaving unemployment more or less unchanged. In the next year, the huge current inflow of refugees will increasingly influence the number of unemployed. For economic policy the challenge is to integrate refugees into the labour market as soon as possible.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1889-5

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