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Der Welthandel ist seit den 1950er Jahren fast regelmäßig schneller gewachsen als die globale Wirtschaftsleistung. China ist inzwischen zum Exportweltmeister aufgestiegen. Möglich wurde dies durch kontinuierliche multilaterale Handelsliberalisierungen, die allerdings seit Beginn dieses Jahrhunderts stocken. Derzeit dominieren regionale Abkommen die globale Handelspolitik. Die Abkehr vom Multilateralismus ist auch als Hinwendung zu einem machtbasierten System zu verstehen. Die Interessen der schwächeren Handelsnationen werden dabei weniger berücksichtigt. Mit dem Handel wächst zudem das Verkehrsaufkommen, was ökologisch unerwünschte Folgen mit sich bringt.

Neue Trends im Welthandel – oder ist alles noch so wie früher?

In der „Exportnation“ Deutschland werden Entwicklungen im Außenhandel als Indikator der Wirtschaftsleistung des Landes häufig und ausgiebig kommentiert. Dieses Thema wurde durch die Diskussionen zu Deutschlands Exportüberschuss, der nicht allen Handelspartnern gefällt, sowie zur „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP), also dem geplanten Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA, in den letzten Monaten noch aktueller. Insgesamt gesehen ist der langfristige Trend klar: Nicht nur Deutschlands Exporte, sondern der gesamte internationale Handel in der Weltwirtschaft, sind kräftig gewachsen – wenn sich auch das Wachstum in den letzten Jahren etwas abgeschwächt hat.

Der Trend zeigt klar nach oben

Im Jahr 2013 wurden, nach Angaben des World Trade Reports 2014 der Welthandelsorganisation, weltweit Güter im Wert von rund 18,8 Billionen US-$ gehandelt.1 Der Handel in Dienstleistungen belief sich im selben Jahr auf rund 4,6 Billionen US-$. Ein Vergleich, der zwar etwas hinkt, aber die Größenordnungen dieser Zahlen gut widerspiegelt: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA wurde im Jahr 2013 von der Weltbank auf rund 16,8 Billionen US-$ geschätzt, das BIP Deutschlands auf 3,7 Billionen US-$ – also fast eine Billion weniger als der gesamte internationale Dienstleistungshandel.2

Hinter dem Handelsvolumen für 2013 verbergen sich massive Wachstumsraten: 2003 war das Gesamtvolumen des Welthandels „nur“ 7,5 Billionen US-$, der Dienstleistungshandel war bei 1,8 Billionen US-$ (siehe World Trade Report 2004).3 Beide Handelsarten sind also über den Zehnjahreszeitraum um etwa das Zwei- bis Dreifache gestiegen. Interessant ist dabei, dass der Anteil des Dienstleistungshandels am gesamten weltweiten Handelsaufkommen (Güter plus Dienstleistungen) in den letzten zehn Jahren relativ konstant bei rund 20% geblieben ist – trotz der beobachteten und viel kommentierten Verschiebung der wirtschaftlichen Aktivitäten in Industrieländern vom verarbeitenden Gewerbe hin zu Dienstleistungen.4

Die langfristige Entwicklung des weltweiten Güterhandels ist in Abbildung 1 genauer dargestellt. Die durchschnittlichen Wachstumsraten zwischen 1950 und 2000 lagen bei knapp über 5%. Nach dem Einbruch des Welthandels 2001, zurückzuführen auf die „Dot-com-Blase“ und den Terroranschlag auf das World Trade Center, stieg das Wachstum wieder rasch an. 2009 gingen die Exporte stark zurück, was durch den Beginn der Finanzkrise, ausgelöst durch den Kollaps von „Lehman Brothers“ im Herbst 2008, erklärt werden kann. Das negative Wachstum wurde jedoch durch positive Rekordraten 2010 und 2011 rasch wieder wettgemacht. 2012 und 2013 war das Wachstum des Welthandels eher bescheiden, bedingt durch die eher langsame Entwicklung der Weltwirtschaft. Die durchschnittliche Wachstumsrate des Handels zwischen 2005 und 2013 wird von der Welthandelsorganisation mit 8% pro Jahr beziffert. Im gleichen Zeitraum stieg der Dienstleistungshandel laut World Trade Report 2014 durchschnittlich ebenfalls um jährlich 8%. Handel in Dienstleistungen ist also ein wichtiger Aspekt des internationalen Handels, es gibt jedoch keinen Anschein, dass diese Art des Handels international ständig schneller steigt als der eher traditionelle Handel in Gütern.

Abbildung 1
Weltweiter Güterhandel und Bruttoinlandsprodukt
jährliche Wachstumsraten, in %
58362.png

Quelle: eigene Berechnungen basierend auf WTO: International Trade Statistics 2011 und 2014.

Gründe für das rasante Wachstum des Handels gibt es viele. Abgesehen vom Abbau von Zollschranken in vielen Ländern im Rahmen der Welthandelsorganisation, und der verstärkten Handelbarkeit von Dienstleistungen durch technischen Fortschritt wie z.B. das Internet sind es zwei weitere wichtige Gründe: erstens, das Wachstum in Schwellenländern, wie beispielsweise China und Indien, die nicht nur wichtige Export-, sondern auch Importländer sind, und, zum Teil damit verbunden, zweitens, die weite Verbreitung von internationalen Wertschöpfungsketten.

Der World Trade Report 2014 der Welthandelsorganisation belegt die wachsende Bedeutung von Entwicklungs- und Schwellenländern für das Wachstum der weltweiten Exporte und Importe. So zeigt sich beispielsweise, dass diese Ländergruppe 2013 für rund die Hälfte des internationalen Handels und der globalen Produktion verantwortlich zeichnete. Im Jahr 2000 lag dieser Anteil nur bei rund 32% bzw. 40%. Dieses Wirtschaftswachstum geht einher mit einer stärkeren Nachfrage nach ausländischen Gütern (Importe) und einem vergrößerten Angebot der eigenen Waren auf dem Weltmarkt (Exporte).

Die Öffnung und das Wachstum dieser Länder führt ebenfalls zu einer besseren Nutzung von internationalen Kostenunterschieden in der Produktion in sogenannten Globalen Wertschöpfungsketten. Die Produktion handelbarer Güter kann nach Kostengesichtspunkten global optimiert und Teile in verschiedenen Standorten produziert werden, was zu vermehrten Importen und Exporten von Vorleistungen und Zwischenprodukten führt. So argumentiert z.B. Kei-Mu Yi in einem vielzitierten Forschungspapier, dass vertikale Spezialisierung – was man also globale Wertschöpfungsketten nennen könnte – in Verbindung mit dem Abbau von Zollschranken in vielen Ländern weltweit rund 50% des rapiden Wachstums des internationalen Handels erklären kann.5

Tabelle 1
Führende Export- und Importländer des weltweiten Warenhandels, 2003 und 2013
in Mrd. US-Dollar
Rang   Exportland 2003 Wert   Exportland 2013 Wert   Importland 2003 Wert   Importland 2013 Wert

1

 

Deutschland

748  

China

2209  

USA

1303  

USA

2329

2

 

USA

723  

USA

1580  

Deutschland

601  

China

1950

3

 

Japan

471  

Deutschland

1453  

China

413  

Deutschland

1189

4

 

China

437  

Japan

715  

Großbritannien

390  

Japan

833

5

 

Frankreich

386  

Niederlande

672  

Frankreich

390  

Frankreich

681

6

 

Großbritannien

304  

Frankreich

580  

Japan

382  

Großbritannien

655

7

 

Niederlande

294  

Korea

560  

Italien

290  

Hongkong

622

8

 

Italien

292  

Großbritannien

542  

Niederlande

262  

Niederlande

590

9

 

Kanada

272  

Hongkong

536  

Kanada

245  

Korea

516

10

 

Belgien

255  

Russland

523  

Belgien

235  

Italien

477
   

Welt insgesamt

7503     18816  

Welt insgesamt

7778     18890

Quelle: World Trade Report 2004 und 2014.

Eine neue Top-Handelsnation: China

Ungeachtet der wachsenden Bedeutung der Schwellenländer haben sich in den Ranglisten der wichtigsten zehn Handelsnationen (die 2013 für rund 50% der Exporte und Importe verantwortlich waren) in den letzten zehn Jahren nur wenige, aber durchaus wichtige Veränderungen ergeben (vgl. Tabellen 1 und 2).

Im Güterhandel war Deutschland lange Zeit der „Exportweltmeister“, dicht gefolgt von den USA. Im Jahr 2003 stammten beispielsweise 10% der weltweiten Exporte aus Deutschland. Dies hat sich 2013 stark geändert. Nun ist China mit Abstand „Klassenbester“ und ist für knapp 12% der weltweiten Exporte verantwortlich. Deutschland liegt auf Platz 3 mit einem ähnlichen Exportvolumen wie die USA (bei natürlich geringerer Wirtschaftsleistung gemessen am BIP). Interessant ist zu beobachten, dass sowohl Deutschland als auch die USA in den zehn Jahren ihr Exportvolumen ungefähr verdoppeln konnten. Im Gegensatz dazu hat China seine Exporte mehr als verfünffacht.

Chinas Aufstieg wurde durch viele Faktoren unterstützt, z.B. durch die Marktöffnung des Landes seit den 1980er Jahren, den Beitritt zur Welthandelsorganisation 2001, den Ablauf des Multifaserabkommens für Textilien 2005, und nicht zuletzt die Förderung von Exportaktivitäten durch die Regierung.6 Bemerkenswert ist ebenfalls, dass China nicht nur relativ billige und arbeitsintensive Produkte exportiert (wie z.B. Bekleidung), sondern auch verstärkt in der Produktion und dem Export hochtechnologischer Erzeugnisse aktiv ist.7

Nicht weniger bedeutsam als Chinas Aufstieg sind jedoch auch andere Veränderungen in der Rangliste der Exporteure. Während 2003 die Plätze fünf bis zehn von europäischen Ländern und Kanada besetzt waren, zeigt sich 2013 die wachsende Bedeutung anderer Beteiligter – allen voran Südkorea und Hongkong, aber auch Russland. Russische Exporte sind jedoch, im Gegensatz zu denen der anderen Länder, hauptsächlich Gas und Öl, nicht Güter des verarbeitenden Gewerbes.8 In den Top 20 der Rangliste finden sich weiterhin noch Singapur, Indien und Taiwan.

Tabelle 2
Führende Export- und Importländer des weltweiten Handels mit Dienstleistungen, 2003 und 2013
in Mrd. US-Dollar
Rang   Exportland 2003 Wert   Exportland 2013 Wert   Importland 2003 Wert   Importland 2013 Wert

1

 

USA

287

 

USA

662

 

USA

228

 

USA

432

2

 

Großbritannien

143

 

Großbritannien

293

 

Deutschland

170

 

China

329

3

 

Deutschland

115

 

Deutschland

286

 

Großbritannien

118

 

Deutschland

317

4

 

Frankreich

98

 

Frankreich

236

 

Japan

110

 

Frankreich

189

5

 

Spanien

76

 

China

205

 

Frankreich

83

 

Großbritannien

174

6

 

Italien

72

 

Indien

151

 

Italien

74

 

Japan

162

7

 

Japan

70

 

Niederlande

147

 

Niederlande

64

 

Singapur

128

8

 

Niederlande

63

 

Japan

145

 

China

54

 

Niederlande

127

9

 

China

46

 

Spanien

145

 

Irland

50

 

Indien

125

10

 

Hongkong

44

 

Hongkong

133

 

Kanada

50

 

Russland

123

   

Welt insgesamt

1795

   

4644

 

Welt insgesamt

1780

   

4381

Quelle: World Trade Report 2004 und 2014.

Ähnlich sieht das Bild bei den Importen aus. Hier sind die USA 2013 zwar immer noch das wichtigste Einfuhrland. China ist jedoch klar das zweitwichtigste Land, wobei sich die Importe von 2003 bis 2013 ebenfalls fast verfünffacht haben. Auch bei den Importen zeigt sich die wachsende Bedeutung Asiens in der Rangliste, insbesondere von Südkorea und Hongkong.

Beim Handel in Gütern gibt es also klare Verschiebungen hinsichtlich der wichtigsten Handelsnationen, hin zu Ländern in Südostasien und dem indischen Subkontinent. Dabei spielen nicht nur die „Großen“, also China und Indien, eine wichtige Rolle, sondern auch kleinere Länder, die sich stark auf den Handel orientieren. Nichtsdestoweniger sind die USA, Japan und europäische Länder aber immer noch wichtige globale Spieler mit großer Wirtschaftsleistung und Handelsvolumina. Diese sollten nicht vernachlässigt werden, wenn es um den internationalen Güterhandel geht.

Die Situation im Dienstleistungshandel zeigt ebenfalls wichtige Veränderungen in der letzten Dekade. Zwar hat sich bei den Top 4 (USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich) nichts verändert – abgesehen davon, dass die USA ihre Stellung als wichtigster Exporteur stark ausgebaut und die Differenz zum zweiten, Großbritannien, klar erweitert hat. Jedoch zeigt sich auch beim Dienstleistungshandel die wachsende Bedeutung Asiens, hier insbesondere von China und Indien, die 2013 die Plätze fünf und sechs der Rangliste belegen. Weiterhin ist Hongkong 2013 in die Liste der Top-10-Exporteure gerutscht.

Ein wichtiger Erklärungsfaktor für die wachsende Bedeutung dieser asiatischen Länder für den Dienstleistungshandel ist, ähnlich wie beim Güterhandel, unter anderem die Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten. Dienstleistungsproduktion kann durch die bessere Handelbarkeit dieser Leistungen, auch über das Internet, stärker in Länder verlagert werden, die diese Leistungen zu geringeren Kosten erbringen können.

China und Indien sind ebenfalls in der Rangliste der wichtigsten Importeure von Dienstleistungen stark aufgestiegen und belegen im Jahr 2013 Rang 2 bzw. Rang 9. Singapur ist als weiterer Vertreter Südostasiens auf Platz 7. Im Jahr 2003 waren diese Länder noch auf Platz 17 (Singapur) und 21 (Indien). Russland ist ebenfalls nun auf der Liste auf Platz 10 vertreten.

Auch im Dienstleistungshandel zeigt sich also die wachsende Bedeutung asiatischer Länder. Die EU stellt mit Großbritannien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Spanien jedoch immer noch fünf der führenden Dienstleistungsexporteure und vier (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande) der wichtigsten -importeure, außerdem sind die USA und Japan wichtige Handelspartner von Dienstleistungen.

Der rasante Aufstieg der Handelsnation China zeigt sich übrigens auch in den aktuellen Handelsstatistiken des statistischen Bundesamtes für Deutschland.9 Dort wird China, nach Frankreich, den USA und Großbritannien, und vor anderen europäischen Ländern, als viertwichtigstes Land für deutsche Exportgüter aufgeführt. 2005 war China noch nicht unter den Top 10 vertreten. Außerdem ist China das zweitwichtigste Land für deutsche Importe, nach den Niederlanden und vor Frankreich und den USA. Andere asiatische Länder sind jedoch für Deutschland (noch) nicht von besonderer Bedeutung – Südkorea war 2013 nur auf Rang 19 der Rangliste der Destinationen deutscher Exporte.

Was wird gehandelt?

Während sich das Verhältnis des Güter- und Dienstleistungshandels in den letzten zehn Jahren kaum verändert hat, gibt es innerhalb der Warengruppen jedoch Verschiebungen. Diese unterliegen aber starken Schwankungen über die Jahre. Insgesamt sind, nach Daten der International Trade Statistics 2014, innerhalb der Güterexporte in den letzten drei Jahren die Exporte des verarbeitenden Gewerbes am stärksten mit durchschnittlich rund 4% zwischen 2011 und 2013 gestiegen.10 Exporte von Landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind in diesem Zeitraum ähnlich um knapp unter 4% gewachsen. Die Warengruppe Brennstoffe und Bergbauerzeugnisse zeigte nur ein sehr geringes Wachstum mit knapp über 1,5%, wobei die Wachstumsrate 2013 bei null lag.

Innerhalb des verarbeitenden Gewerbes waren im Jahr 2013 elektronische Produkte, Textilien, Bekleidung und Haushaltsgüter die wichtigsten Wachstumssektoren mit Zuwachsraten zwischen 7% und 12% im Vergleich zum Vorjahr. Absolut gesehen sind jedoch Brennstoffe, Chemikalien, Nahrungsmittel und Automobile mit Abstand die wichtigsten Exportsektoren.

Es zeigt sich also ein Bild, das auf der einen Seite mit der Erklärung des „traditionellen“ Handels zwischen Ländern mit unterschiedlicher Faktorausstattung konsistent ist. Länder, die reich an Bodenschätzen sind, exportieren diese (z.B. Öl und Gas aus Russland), oder Länder mit einer reichen Ausstattung mit dem Faktor Arbeit und damit einhergehend relativ niedrigen Lohnniveaus exportieren Güter, die relativ arbeitsintensiv sind (wie z.B. Bekleidung aus China). Gerade das Beispiel Bekleidung zeigt aber auch die Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten, in der die Bekleidung kostengünstig in Ländern mit niedrigen Lohnniveaus produziert und dann exportiert wird.

Innerhalb des Dienstleistungshandels sind die kommerziellen Dienstleistungen (ausgenommen Transport und Reisen) das absolut gesehen wichtigste Segment mit knapp 55% des Dienstleistungsexports.11 Innerhalb dieser Kategorie sind wiederum die sogenannten „business services“, also technische, Management oder juristische Beratung, Wirtschaftsprüfung, Marketing oder ähnliche Dienstleistungen die wichtigste Gruppe. Das höchste Wachstum findet sich ebenfalls bei den kommerziellen Dienstleistungen, hier insbesondere im Bereich Computer- und Informationsdienstleistungen, Kommunikation und Finanzdienstleistungen.12 Auch hier zeigt sich also die wachsende Handelbarkeit von Dienstleistungen, unterstützt durch den technischen Fortschritt.

 

Fazit

Der weltweite Handel sowohl mit Gütern als auch mit Dienstleistungen steigt relativ unbekümmert. Einige Aspekte deuten auf „business as usual“: Deutschland und die USA sind bei beiden Handelsarten bei den drei wichtigsten Exporteuren und Importeuren vertreten. Außerdem gibt es keine Anzeichen, dass der Dienstleistungshandel im Vergleich zum Güterhandel in den letzten Jahren überproportional gestiegen ist.

Dieses Bild versäumt jedoch einige wichtige Änderungen. Da ist zum einen die Bedeutung des Dienstleistungshandels. Auch wenn dieser in den letzten Jahren relativ zum Güterhandel nicht stärker gestiegen ist, ist eine wachsende Wichtigkeit dieser Handelsart in Zukunft zu erwarten. Hier spielt der technische Fortschritt eine wichtige Rolle. Außerdem eröffnet der mögliche Abbau von Handelsschranken im Dienstleistungssektor weltweit ein großes Potenzial für den Handel in diesem Bereich.

Zum anderen zeigt sich der rasante Aufstieg Chinas als wichtigster Exporteur und zweitwichtigster Importeur von Gütern. Das ist aber nicht alles, China ist zudem ein wichtiger Spieler im Handel von Dienstleistungen. Außerdem wächst die Bedeutung anderer Länder in Südostasien, sowie Indiens.

Es stellt sich also durchaus die Frage, ob der Aufwand, TTIP zwischen den USA und Europa zu verhandeln, lohnt – oder ob sich die Akteure auf dem Weltmarkt nicht stärker auf den wachsenden asiatischen Markt oder den multilateralen Abbau von Schranken des Güter- und Dienstleistungshandels weltweit konzentrieren sollten.

  • 1 Der World Trade Report 2014 ist online verfügbar unter www.wto.org/english/res_e/publications_e/wtr14_e.htm.
  • 2 http://databank.worldbank.org/data/download/GDP.pdf.
  • 3 www.wto.org/english/res_e/booksp_e/anrep_e/world_trade_report04_e.pdf.
  • 4 Im Jahr 2007 machten Dienstleistungen einen Anteil von rund 74% des Bruttoinlandsprodukts von hochentwickelten OECD-Ländern aus, siehe J. Francois, B. Hoekman: Services Trade and Policy, in: Journal of Economic Literature, 48. Jg. (2010), H. 3, S. 642-692.
  • 5 K.-M. Yi: Can Vertical Specialization Explain the Growth of World Trade?, in: Journal of Political Economy, 111. Jg. (2003), H. 1, S. 52-102.
  • 6 Zur staatlichen Förderung siehe z.B. H. Görg: Sind Subventionen der Motor chinesischer Exporterfolge?, 2010, verfügbar auf www.oekonomenstimme.org/autoren/holger-goerg/.
  • 7 Vgl., z.B. P. K. Schott: The relative sophistication of Chinese exports, in: Economic Policy, 23. Jg. (2008), S. 5-49; und S. Girma, Y. Gong, H. Görg, Z. Yu: Can production subsidies explain China‘s export performance? Evidence from firm level data, CEPR Discussion Paper 6052 2007.
  • 8 Siehe hierzu K. Schrader, C.-F. Laaser: Der deutsch-russische Außenhandel: Eine Bestandsaufnahme, Kiel Policy Brief, 73, Institut für Weltwirtschaft, 2014.
  • 9 www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Aussenhandel/Handelspartner/Tabellen/RangfolgeHandelspartner.html.
  • 10 www.wto.org/english/res_e/statis_e/its2014_e/its14_highlights2_e.pdf.
  • 11 Vgl. World Trade Report 2014.
  • 12 www.wto.org/english/res_e/statis_e/its2014_e/its14_highlights3_e.pdf.
 

Internationalisierung ohne Ende? Wir dürfen vom Welthandel nicht zu viel erwarten

Europa ist in der Krise. Durch Innovation will es sich neu erfinden und seine Zukunft zurückgewinnen. Internationalisierung ist dabei zum Schlüsselbegriff geworden. Wachstumspotenziale auf den Weltmärkten erschließen, sich öffnen für den globalen Wettbewerb, Innovation und Internationalisierung: so lautet die Devise in der Europäischen Union und in ihren Mitgliedsländern, bis hinunter auf die regionale Ebene. Der Mittelstand ist zum besonderen Ziel dieser Bemühungen geworden. Dies ist verständlich, denn nicht nur in Deutschland ist er Quelle vieler Innovationen. Gleichzeitig sind die Hürden für den Zugang zu Auslandsmärkten für mittelständische Unternehmen relativ höher als für Großunternehmen. In einem ausführlichen Bericht hat die Europäische Kommission detailliert die Chancen und Wachstumspotenziale ebenso wie die Schwierigkeiten kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Internationalisierung dargestellt.1 Die Bundesregierung und die Bundesländer setzen in ihrer gemeinsamen „Offensive Mittelstand“ starke Akzente bei der Verbindung von Innovation und Internationalisierung.2 Gerade die Neuen Bundesländer sind bestrebt, ihren Rückstand bei der Internationalisierung wettzumachen, um im innerdeutschen Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren. Auch in Mittel- und Osteuropa werden die Chancen für kleine und mittlere Unternehmen in der Internationalisierung gesehen.3

Kann der Welthandel die vielfältigen Erwartungen erfüllen, die durch die Internationalisierung auf ihn gerichtet sind? Oder wird möglicherweise zu viel erwartet?

Unaufhaltsames Wachstum des Welthandels?

Seit Jahrzehnten wächst der Welthandel schneller als das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP). Abbildung 2 illustriert dies anhand von Indizes des Welt-BIP und der Weltexporte. Die Weltexporte wachsen im Vergleich zum Welt-BIP nahezu mit der doppelten Zuwachsrate, allerdings auch mit einer viel höheren Volatilität.

Es liegt nahe, hinter diesen stilisierten Fakten eine Systematik zu sehen. In der Tradition von Adam Smith würde man diagnostizieren, dass weltweiter wirtschaftlicher Fortschritt (Wachstum, Innovation) durch fortschreitende Arbeitsteilung und zunehmende Spezialisierung von Nationen vorangetrieben wird, und dass dies nur durch freien und beständig wachsenden internationalen Handel möglich ist. Doch muss dafür der weltweite Handel stärker steigen als die weltweite Wertschöpfung? Dean et al.4 sind dieser Frage nachgegangen. Als hauptsächliche Erklärungsfaktoren identifizieren sie die relative Verbilligung handelbarer Güter durch Produktivitätswachstum und den Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen. Es sieht also so aus, als liege hinter den einfachen stilisierten Fakten von Abbildung 2 ein systematischer wirtschaftlicher Trend.

Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass das Wachstum des Welthandels nicht zu allen Zeiten gleich hoch war. Hier geht es nicht um die Volatilität, sondern darum, dass der Welthandel zwei deutliche Expansionsphasen durchgemacht hat, während derer er weit überdurchschnittliche Zuwachsraten verzeichnete. Das Verhältnis zwischen Weltexporten und Welt-BIP wurde dadurch jeweils auf ein neues Niveau gehoben. Außerhalb dieser Expansionsphasen ist das Verhältnis zwischen Welthandel und Welt-BIP zwar volatil, aber ohne klaren Trend. Die erste Expansionsphase (in der hier betrachteten Zeitspanne, also von 1960 bis 2013) waren die Jahre 1972 bis 1974. Das Verhältnis zwischen Weltexporten und Welt-BIP hat sich damals fast verdoppelt. Die nächste Expansionsphase kam in den Jahren 2003 bis 2007, und führte wieder fast zu einer Verdoppelung des Welthandels im Vergleich zum Welt-BIP.

Treiber der Handelsexpansion der frühen 1970er Jahre war der Ölpreisschock dieser Zeit. Binnen weniger Jahre verteuerten sich die kurzfristig kaum substituierbaren Rohölimporte der Industrieländer. Die realen Exportwerte der OPEC-Länder stiegen an. Mittelfristig stiegen (aufgrund gestiegenen Einkommens) auch die Importe dieser Länder, wodurch wieder die Exportwerte der Industrieländer anstiegen. Die Handelsexpansion in der Mitte der 2000er Jahre wurde durch den Aufschwung Chinas vorangetrieben, der seinerseits durch Chinas Exportboom angetrieben wurde, welcher dann wieder über einen Einkommenseffekt zu vermehrten Exporten nach China führte. Man sieht: eine einfache Trendextrapolation könnte zu irreführenden Erwartungen über die Zukunft des Welthandels führen, denn die entscheidenden Verschiebungen in der Relation zwischen Welt-BIP und Weltexporten traten in konkreten historischen Umständen ein. Was also können wir von der Zukunft des Welthandels wirklich erwarten? Was kann uns die ökonomische Theorie des internationalen Handels zu dieser Frage sagen?

Abbildung 2
Welthandel und weltweites Bruttoinlandsprodukt
59002.png

Wachstumsraten Welt-BIP Weltexporte
Mittelwert in % 3,5 6,1
Standardabweichung in % 1,7 9,3
Variationskoeffizient 0,48 1,54
59013.png

Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Daten der Vereinten Nationen, Exporte nach Daten der Welthandelsorganisation. Beide Größen sind in realen US-Dollar gerechnet. Zur Deflationierung der Exporte wurde der Verbraucherpreisindex (urban consumers) des U.S. Bureau of Labor Services verwendet. Die schwarze Linie zeigt den exponenziellen Trend der Exporte.

Quellen: UN; WTO.

Grenzen des Welthandels

Es mag überraschen, doch der internationale Handel kommt in den gängigen ökonomischen Theorien des internationalen Handels nicht vor. Er wird nur als abstrakte Annahme eingeführt. Er tritt in diesen Theorien dadurch in Erscheinung, dass er es den beteiligten Ländern ermöglicht, mehr (bzw. weniger) eines Produkts herzustellen, als sie intern verbrauchen. Das Überschussangebot (bzw. die Überschussnachfrage) wird dann per Export an andere Länder abgesetzt (bzw. als Import von diesen zugekauft). Der tatsächliche weltweite Warenhandel, z.B. in Gestalt des Schiffsverkehrs auf den Weltmeeren, der 90% der internationalen Transporte abwickelt,5 dieser tatsächliche internationale Handel ist nicht Gegenstand der Theorie des internationalen Handels. Und hier liegt das Problem. Eine Theorie, die die physische Realität des Welthandels komplett ausblendet, kann keine Aussagen zu seiner langfristigen Zukunft oder zu seinen Grenzen machen. Wir müssen uns dafür anderswo orientieren.

In Hinblick auf den tatsächlichen internationalen Handel kommt es auf die reale Logistik (Schifffahrt, Flugverkehr, Schienen- und Straßenverkehr) an, und den Ressourcenverbrauch, den Verbrauch von fossilen Treibstoffen, Umweltprobleme, die Vermüllung der Weltmeere, den Klimawandel, die Endlichkeit unserer Biosphäre und die unveränderlichen Gegebenheiten unserer natürlichen Umwelt, wie z.B. die kritischen Engpässe der Weltschifffahrtswege. Seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, nimmt dieser Handel zu: Mehr Schiffe und größere Schiffe6, mehr Häfen und mehr Schifffahrten7. Nicht alle diese langjährigen Trends lassen sich beliebig in die Zukunft extrapolieren. Häfen lassen sich nicht beliebig vermehren, Schiffe lassen sich nicht beliebig vergrößern. Was im Schiffsbau technisch möglich wäre, ist ökonomisch nicht unbedingt sinnvoll. Häfen und Schifffahrtswege setzen Schiffsgrößen Grenzen. Die Zahl der Schifffahrten wird weltweit weiter zunehmen. In diesem Bereich zeigt der Welthandel eine deutliche Verlagerung nach Asien. Der Anteil europäischer und nordamerikanischer Häfen am Weltschiffsverkehr schrumpft seit den 1970er Jahren, der Anteil Asiens steigt.8 Mehr Schifffahrten in teilweise rechtsfreien Räumen bedeuten aber auch mehr Vermüllung, mehr Verschmutzung in den Weltmeeren, mehr Schiffshavarien und mehr Unfälle mit teilweise dramatischen Folgen für die Umwelt. Selbst wenn solche Unfälle seltene bzw. unwahrscheinliche Ereignisse sind, über hinreichend lange Prognosezeiträume werden selbst Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit zu Gewissheiten. Diese negativen Folgen des Wachstums werden bei Trendextrapolationen meist übersehen.

Auch der Klimawandel kann den Welthandel beeinträchtigen. Ein Beispiel bietet der Panamakanal, bei dem Wetterextreme und Wassermangel zu den größten Sorgen gehören.9 Eine Vergrößerung des Kanals soll ihn für größere Schiffe passierbar machen, doch dies erfordert mehr Wassereinleitung durch das Betreiberland Panama, um den Kanal tatsächlich schiffbar zu halten. Die Wasserversorgung könnte zum zentralen Problem der Kanalbetreiber werden. Und im Gegenzug bedrohen extreme Regenfälle durch Überschwemmungen die Infrastruktur des Kanals.

Die Grenzen des Welthandels sind nicht durch klar sichtbare, unüberschreitbare Demarkationslinien gekennzeichnet. Sie werden sich dadurch bemerkbar machen, dass das Verhältnis zwischen Nutzen und Kosten des Handels für die beteiligten Gesellschaften zunehmend ungünstiger wird. Lange bevor wir an tatsächliche harte Grenzen stoßen (z.B. durch Engpässe der Logistik oder Zerstörung der Ökosphäre) werden sich politische und soziale Probleme bemerkbar machen. Während in den Entwicklungsländern eher politische Instabilität und ex­treme Armut die Risikofaktoren sind, gehen dem Welthandel in den Industrieländern die gesellschaftliche Akzeptanz und die politische Unterstützung verloren. Michael Pettis meint deshalb,10 dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das gegenwärtige System des Welthandels kollabiert. Sein zentrales Argument ist, dass die USA derzeit in doppelter Weise für das Funktionieren des Systems einstehen, einerseits als politischer Bürge und Agendasetter für den freien Welthandel und die Welthandelsordnung, andererseits als Absatzmarkt der letzten Zuflucht (Market of last resort), der allen offensteht und der durch die dominierende Rolle des US-Dollar als Weltreservewährung stets ausfinanziert und kaufkräftig ist. Über Jahrzehnte, so Pettis, haben die USA so die Volatilität des Welthandels absorbiert, doch ihre Bereitschaft dazu geht zu Ende, weil die Kosten-Nutzen-Rechnung ungünstiger wird. Wenn dieses Argument zutrifft, dann wird der zentrale Garant des Welthandels in Zukunft ausfallen.

Internationalisierung ohne Welthandel?

Die oben skizzierten Überlegungen führen zu Schlussfolgerungen über die natürlichen, politischen und sozialen Grenzen des Welthandels. Beginnen wir mit den natürlichen Grenzen. Der internationale Handel wird sich der Debatte über nachhaltige Entwicklung im Rahmen der endlichen planetarischen Biosphäre („Planetary Boundaries“) nicht entziehen können.11 Je stärker die endliche Biosphäre ausgelastet ist, desto mehr werden sich Umweltprobleme und -krisen häufen. Diese Themen werden in der öffentlichen Debatte über die Folgen der Globalisierung einen immer prominenteren Raum einnehmen. Die früher klar gezogenen Grenzen zwischen Handels- und Umweltpolitik werden porös. Umweltpolitisch motivierte handelspolitische Maßnahmen („border taxes“) werden zunehmen; von einer tolerierten Ausnahme könnten sie zur neuen Normalität werden. Die internationale Logistik (Schifffahrt, Luftverkehr) wird wegen der von ihr verursachten Umweltschäden immer stärker in die Kritik geraten.

Um die positiven Aspekte der Internationalisierung vor dem wachsenden ökologisch motivierten Protektionismus und der politischen Einflussnahme zu retten, besteht ein möglicher Ausweg darin, weniger zu handeln, will heißen: weniger Waren tatsächlich physisch um die Welt zu bewegen. Dies ist die Lösung, die Johan Rockström und Jeffrey Sachs in ihren Empfehlungen an die Vereinten Nationen befürworten.12 Neue Technologien insbesondere im IT-Bereich bieten die Möglichkeit, Informationen und Technologie vor Ort zu bringen, wodurch der Bedarf an Warenbewegungen abnehmen sollte. Auch wenn diese Vision tatsächlich zu einem signifikanten Rückgang der weltweiten Logistik führt, so bleibt doch die Tatsache, dass sie für die Industrieländer beträchtliche Risiken birgt. Sie wären in dieser neuen Welt die Geber; anstelle von Industriegütern würden Technologien, Designs und Kapital in Schwellen- und Entwicklungsländer fließen. Anreizkompatibel wäre dies nur dann, wenn es ein belastbares und vertrauenswürdiges internationales System zum Schutze materiellen und immateriellen (geistigen) Eigentums geben würde. Doch seit Beginn der Doha-Runde im Jahre 2001 gehört dies innerhalb der WTO zu den ungelösten Streitpunkten.

Damit sind die zwei neuralgischen Punkte der europäischen und vor allem der deutschen Debatte zur Zukunft des Welthandels angesprochen: Investitionsschutz und Regionalisierung. Angesichts der Stagnation der Verhandlungen bei der WTO bietet die Regionalisierung der Welthandelsordnung einen Ausweg. Dies jedenfalls ist die erklärte Absicht der Verhandlungen über regionale Freihandelsabkommen, die zwischen Europa (TTIP) bzw. Asien (TPP) und den USA geführt werden. Es ist gerade der Investitionsschutz, dem hier besondere Bedeutung zukommt, denn Direktinvestitionen können ganz entscheidend dazu beitragen, Handelsströme und damit physische Güterlogistik zu reduzieren. Sie dienen dazu, Produktion vor Ort zum Verbraucher hin zu verlagern, Entwicklungsländer in globale Wertschöpfungsketten einzubinden und ihnen dadurch die Chance zu geben, an moderner Technologie zu partizipieren. Direktinvestitionen bieten also viel bessere Möglichkeiten für nachhaltiges Wachstum, das – wie Rockström und Sachs fordern – die „Planetary Boundaries“ respektieren muss. Der Investitionsschutz in TTIP ist also der Knackpunkt, den die Debatte zwischen Politik und Zivilgesellschaft überwinden muss, wenn Deutschland einen konstruktiven Beitrag zur Weiterentwicklung der Welthandelsordnung leisten will. Wenn die Bereitschaft der USA abnimmt, als Garant für den freien Welthandel einzustehen, dann wird Deutschland in zunehmendem Maße gestalterische und wirtschaftliche Verantwortung übernehmen müssen, wenn es weiterhin die Vorteile der fortschreitenden Internationalisierung für sich nutzen will. Doch dies wird nur gelingen, wenn Deutschland seine inneren Blockaden überwindet.

Damit kommen wir am Ende zu der Frage zurück, ob wir von der Internationalisierung und vom Welthandel nicht zu viel erwarten? Eine vorläufige Antwort könnte lauten: Anlass für Skepsis besteht, Grund für Pessimismus nicht. Internationalisierung kann weiterhin gerade für den Mittelstand ein wichtiger Innovationstreiber sein, doch sie darf nicht auf eine neo-merkantilistische Exportorientierung reduziert werden. Statt Güter müssen in Zukunft noch mehr als bisher Know-how und Kapital über die Grenzen fließen. Der Welthandel muss sich neu erfinden. Ohne eine proaktive internationale Ordnungspolitik wird dies nicht gelingen.

  • 1 European Commission: Opportunities for the Internationalisation of European SMEs, Final Report 2011.
  • 2 Vgl. dazu: Offensive Mittelstand, http://www.offensive-mittelstand.de/.
  • 3 Association of Chartered Certified Accountants (ACCA): SME internationalisation in central and eastern Europe, 2012.
  • 4 M. Dean et al.: Why has world trade grown faster than world output?, Bank of England, Quarterly Bulletin, Herbst 2004.
  • 5 Vgl. dazu Shipping and World Trade, http://www.ics-shipping.org/shipping-facts/.
  • 6 H. Haralambides: The Role of Ports as Potential Bottlenecks in Global Supply Chains, Konferenzbeitrag: United Nations Economic Commission for Europe, Conference on Hinterland Connections of Seaports, 17.-18.9.2008, Piräus, Griechenland.
  • 7 C. Ducruet: Global maritime connectivity: long-term perspective, in: Port Technology International, Ausgabe 65, Februar 2015.
  • 8 Vgl. ebenda, S. 35 f.
  • 9 A. Spanne: Climate change may 'bottleneck' the Panama Canal and disrupt world trade, in: The Guardian vom 14.8.2014.
  • 10 M. Pettis: Will the AIIB one day matter?, in: China Financial Markets: Global Imbalances and the Chinese Economy, 2015, http://blog.mpettis.com/2015/04/will-the-aiib-one-day-matter/.
  • 11 Planetary Boundaries, http://www.stockholmresilience.org/21/research/research-programmes/planetary-boundaries.html.
  • 12 J. Rockström, J. Sachs et al.: Sustainable Development and Planetary Boundaries, Background paper for the High-Level Panel of Eminent Persons on the Post-2015 Development Agenda, 2013.
 

Quo vadis Welthandel?

Um die Welthandelsorganisation (WTO) ist es still geworden. In Europa, vor allem in Deutschland, erhitzen sich die Gemüter an der geplanten transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP zwischen den USA und den Ländern der EU. In den USA ist die öffentliche Debatte aktuell mehr noch von der Transpazifischen Partnerschaft TPP geprägt, die die USA mit elf Pazifikanrainern verbinden soll und für die sich Präsident Obama derzeit ein erweitertes Verhandlungsmandat zu sichern versucht. Regionale Handelsabkommen, vor allem die beiden „Megaregionalen“, haben in der handelspolitischen Praxis gegenüber multilateralen Verhandlungen auf WTO-Ebene unstrittig die Oberhand gewonnen.

Wo stehen wir?

Der Abschluss der Uruguay-Runde und die Schaffung der WTO liegen bereits 20 Jahre zurück. Im Angesicht der 2001 in Doha gestarteten, noch immer nicht abgeschlossenen ersten Welthandelsrunde nach Uruguay, könnte man leicht versucht sein, eine Totgeburt zu diagnostizieren. Das wäre aber verfehlt. Die WTO und der Multilateralismus-Gedanke leben und konnten in den letzten beiden Dekaden beachtliche Erfolge erzielen:1

  • Der Welthandel ist seit Gründung der WTO freier geworden: der Abbau von Zöllen und nicht-tarifären Hemmnissen, vor allem bei Industriegütern, aber auch im Agrarbereich, ist weiter vorangeschritten; die weltweiten Handelsströme sind, mit Ausnahme eines Einbruchs im Zuge der Finanzkrise 2008/2009, stark angestiegen – stärker als die Weltproduktion.
  • Seit Gründung der WTO wurden 38 neue Mitglieder aufgenommen, darunter Russland und China.
  • Die Finanz- und Weltwirtschaftskrise hat zwar zu protektionistischen Reflexen, nicht aber zu größeren Verwerfungen wie in der Großen Depression der 1930er Jahre geführt.
  • Die in der Uruguay-Runde geschlossenen Abkommen wurden umgesetzt. Die Bereiche Textil, Agrar und Dienstleistungen wurden multilateralen Regeln unterworfen, durch das TRIPS-Abkommen gelang eine Einbeziehung Intellektueller Eigentumsrechte. Insbesondere der neue Streitschlichtungsmechanismus hat sich bewährt.

Diese positiven Aspekte können jedoch über das Dahinsiechen der Doha-Runde nicht hinwegtäuschen. Im Dezember 2013 wurde in Bali ein sehr begrenztes Abkommen beschlossen, das insbesondere einen Abbau bürokratischer Handelshemmnisse, aber auch Verbesserungen für Entwicklungsländer sowie eine zunächst temporäre Akzeptanz von Lagerprogrammen für Lebensmittel vorsieht. Die zentralen Doha-Themen, der Abbau von Protektion bei Agrarprodukten im „Norden“ und bei Industriegütern im „Süden“ blieben jedoch außen vor.

Demgegenüber sind regionale Initiativen auf dem Vormarsch. So sind seit Abschluss der Uruguay-Runde pro Jahr im Durchschnitt zehn neue Präferenzabkommen dazugekommen.2 Die bekanntesten sind die beiden „Megaregionalen“, TPP mit Verhandlungsbeginn 2005, das die USA, Kanada, Mexiko, Japan, Chile, Peru, Australien, Neuseeland und vier ASEAN-Staaten einbindet und damit ungefähr 40% der globalen Produktion sowie ein Drittel des Welthandels umfasst, sowie TTIP mit Verhandlungsbeginn 2013, das für ungefähr die Hälfte der globalen Wertschöpfung und ein weiteres Drittel des Welthandels steht. Beide Initiativen exkludieren China, das aber Teil der RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) geworden ist, und dort die Federführung von Japan übernommen hat. An diesem Abkommen wären die zehn ASEAN-Staaten und ihre Freihandelspartner beteiligt. Daneben gibt es auch Initiativen, wie jene zwischen der EU und Kanada (CETA).

Präferenzabkommen dominieren

Offensichtlich dominieren Präferenzabkommen zurzeit die globale Handelspolitik. Warum ist das so? Eine wichtige Ursache für die schleppende Entwicklung der multilateralen Handelsgespräche war und ist der starke Einfluss, den Partikularinteressen (vor allem im Agrarbereich) in den wirtschaftlich hochentwickelten Ländern auf die Handelspolitik ausüben. Dazu kommt, dass die WTO von der Idee eines „single undertaking“ geleitet ist. Eine Einigung gilt erst dann als hergestellt, wenn Konsens über alle Verhandlungsgegenstände herrscht. Ein Dissens in einer Frage bedeutet, dass die Verhandlungen platzen.

In den letzten beiden Dekaden sind wichtige neue strukturelle Entwicklungen in der Weltwirtschaft und neue Fragen hinzugekommen, die Fortschritte bei der Doha-Runde erschwert und dazu geführt haben, dass der regionale Weg als Ventil benutzt wurde:

  • Die WTO verzeichnet heute 161 Mitglieder, die nach dem Prinzip „ein Land, eine Stimme“ agieren können. Die Zivilgesellschaft bringt sich in Form von Nichtregierungsorganisationen in verstärktem Maße in den öffentlichen Diskurs ein, was unter anderem zur Folge hat, dass auch kleinere Länder leichter Gehör bekommen.
  • Die Gewichte in der Weltwirtschaft haben sich massiv verändert.3 So sind die Anteile Chinas, Indiens, Russlands, Brasiliens (BRICs) und anderer Schwellenländer an der Weltproduktion und den globalen Handels- und Direktinvestitionsströmen dramatisch angestiegen und haben auch zu einem politischen Bedeutungszuwachs dieser Länder geführt. Einher damit gehen wachsende Ansprüche, eigene Interessen (z.B. bei Industriegütern) durchzusetzen.
  • Die Entwicklungsländer können immer weniger als einheitlicher Block gesehen werden, ihre Interessen sind heute heterogener als zum Abschluss der Uruguay-Runde. Neben den schnell wachsenden Schwellenländern gibt es ärmere Lebensmittelexporteure und -importeure, die sehr unterschiedliche Erwartungen an eine Reform der Agrarpolitiken des „Nordens“ haben.
  • Die klassische Aufgabe der WTO – der Zollabbau – ist zwar noch nicht umfassend eingelöst. So gibt es immer noch Zollspitzen im Agrarbereich. Eingedenk eines Durchschnittszolls von 4% am Ende der Uruguay-Runde ist man aber schon sehr weit. Dadurch rücken nicht-tarifäre Handelshemmnisse in den Vordergrund: hier geht es um Industrie-, Sicherheits-, Gesundheits-, Umwelt- und Arbeitsstandards, die nationale Sicherheit, den Dienstleistungsbereich und die öffentliche Auftragsvergabe.
  • Wir beobachten, dass Produktionsprozesse in immer feinere Einzelschritte aufgespalten werden, die an die kostengünstigsten Standorte weltweit verlagert werden („Offshoring“). Da sich diese Prozesse häufig innerhalb von multinationalen Unternehmen abspielen, sind die Interessen an Investitionsschutzabkommen weiter gestiegen. Die zunehmende internationale Aufspaltung von Wertschöpfungsketten macht überdies eine Aneignung von technologischem Wissen leichter und daher den Schutz geistigen Eigentums bedeutsamer.

Diese neuen Felder bedeuten nichts weniger, als dass das Regelwerk der Weltwirtschaft weiter entwickelt werden muss.

Wie geht es weiter?

Bisher haben das GATT und die WTO dem multilateralen Weg den Vorzug vor dem Regionalismus gegeben und letzteren nur in Ausnahmefällen vorgesehen. In der Forschung sind die Gefahren des Regionalismus umfassend beschrieben:

  • Präferenzzonen erhöhen zwar den Handel zwischen den beteiligten Ländern, lenken ihn aber von den ökonomisch effizientesten Anbietern auf Anbieter innerhalb der Zone um. Dies verhindert eine effiziente Allokation und schadet Drittländern.
  • Freihandelszonen lassen (im Gegensatz zu Zollunionen) unterschiedliche Außenzölle zu. Um zu verhindern, dass das Land mit dem geringsten Außenzoll als Einfallstor genutzt wird, müssen Ursprungslandregeln eingeführt werden, die immensen bürokratischen Aufwand verursachen.
  • In der Praxis tendieren Präferenzzonen dazu, wie Pilze aus dem Boden zu schießen, so dass ein undurchsichtiges Geflecht an Abkommen („Spaghetti-Schüsseln“) entsteht, was ebenfalls hohen bürokratischen Aufwand verursacht.
  • Lobbies haben es leichter, ihre Partikularinteressen in Präferenzabkommen zur Geltung zu bringen, als in einem multilateralen System, da weniger Belange miteinander konkurrieren.
  • Die Erfahrungen zeigen, dass das Einschlagen des regionalen Wegs politische Energie bindet, die damit nicht für multilaterale Verhandlungen zur Verfügung steht.
  • Eine Abkehr vom Multilateralismus und die Hinwendung zum Regionalismus bedeuten einen Wechsel von einem regelbasierten zu einem machtbasierten System. Das ist einerseits für die kleineren und weniger entwickelten Länder von Nachteil. Es birgt überdies aber auch die Gefahr einer Verhärtung von Handelsblöcken.

Skeptiker des Multilateralismus sind sich der klassischen Argumente gegen den Regionalismus sehr wohl bewusst. In der aktuellen Diskussion machen sie allerdings geltend, der multilaterale Weg sei politisch (derzeit) nicht realisierbar. Sie argumentieren weiter, dass dies nicht problematisch sein müsse, denn die Präferenzzonen könnten offen gestaltet werden, so dass weitere Länder einfach beitreten könnten. Der Regionalismus würde dadurch gewissermaßen „multilateralisiert“. Letztlich würde freier Welthandel einfach auf einem anderen Weg erreicht als durch den klassischen Multilateralismus.

In Anbetracht der Gefahren des regionalen Wegs und der Errungenschaften der WTO ist eine Abkehr vom multilateralen Weg gut zu prüfen. Verwehren sich die aktuellen Entwicklungen einer multilateralen Lösung und erzwingen sie eine Regionalisierung des Welthandelssystems? Die folgenden Überlegungen zu den obigen Punkten zeigen, dass dies keineswegs der Fall sein muss:

  • Wachsende Mitgliederzahl: Wird die WTO bei wachsender Mitgliederzahl handlungsunfähig? Befürworter eines offenen Regionalismus argumentieren, dass es einfacher ist, Probleme zu lösen, wenn eine kleine Gruppe vorangeht, als wenn viele Teilnehmer am Tisch sitzen. Dieser Gedanke ist auf den ersten Blick einleuchtend. Allerdings ist er weder notwendig noch hinreichend dafür, dass am Ende eine „Multilateralisierung“ gelingt. Er ist nicht notwendig, weil sich auch in multilateralen Verhandlungskontexten Interessen in Gruppen bündeln lassen und daher selbst bei vielen Mitgliedern eine Abstimmung nicht ausgeschlossen ist – bei den GATT-Verhandlungen waren solche Interessenbündelungen gang und gäbe. Der offene Regionalismus ist aber auch nicht hinreichend für eine Multilateralisierung, weil die Ausgestaltung der regionalen Verbünde gemäß den Wünschen ihrer Mitglieder einen Beitritt für weitere Länder nicht notwendigerweise attraktiv macht.
  • Neue Kräfteverhältnisse: Wie können die wirtschaftlich aufstrebenden Länder in das Welthandelssystem eingebunden werden? Ein Vorteil des multilateralen Systems besteht darin, dass sich Länder im Zuge der Aufnahme in die WTO deren Regelwerk und somit nicht zuletzt dem zwischenstaatlichen Streitschlichtungsverfahren unterwerfen. Regelverletzungen können vor der WTO eingeklagt und geahndet werden. Der Verhandlungsprozess stellt sicher, dass Forderungen, auch wirtschaftlich und politisch mächtiger Länder, nur durch wechselseitige Konzessionen erreicht werden und somit auch die Integration starker Partner zum Wohle aller geschieht. Diese Regelbindung der WTO-Mitglieder scheint heute unterschätzt zu werden: Die USA und die Europäische Union setzen derzeit vor allem auf Präferenzabkommen, um den neuen Kräfteverhältnissen zu begegnen. TTIP und TPP sollen Normen und Regeln etablieren, die dann auch für die Weltwirtschaft, und insbesondere für China, maßgebend werden.
  • Heterogenität der Entwicklungsländer: Aus der wachsenden Heterogenität der Gruppe der Entwicklungsländer lässt sich kein Argument gegen einen multilateralen Prozess ableiten. Im Gegenteil, mit Ausnahme der wirtschaftlich schnell wachsenden Länder, erscheint den Entwicklungsländern auch bei unterschiedlicher Interessenlage mehr gedient, wenn sich die Welthandelsordnung im Rahmen multilateraler, regelgebundener Prozesse und nicht über regionale, machtgebundene Abkommen entwickelt.
  • Neue Aufgaben: Die Abwägung zwischen Multilateralismus und offenem Regionalismus ist hinsichtlich der „neuen Aufgaben“ die sich durch unterschiedliche Regulierungen, Investorenschutz und „Offshoring“ ergeben sicherlich am kontroversesten. Ein zentrales Motiv für die Bildung der „Megaregionalen“ besteht in dem Wunsch, ein Regelwerk für diese Aufgaben zu schaffen, das Vorbildfunktion für die Weltwirtschaft erlangen soll. Das klingt zunächst einleuchtend, wirft aber weitere und wichtige Fragen auf. Wird dieses Regelwerk im TPP oder im TTIP geschaffen? Können die Vorstellungen der Amerikaner und Pazifikanrainer kongruent sein mit den Regeln, auf die sich Europäer und Amerikaner einigen? Können die Europäische Union und die USA beispielsweise in Themen des Verbraucherschutzes überhaupt einen Konsens finden, wo sie sich genau in diesen Fragen schon seit Jahren verkeilt haben? Warum sollten sich andere Länder diese Normen zu eigen machen? Diese Fragen deuten an, dass es völlig unklar ist, ob auf regionalem Wege überhaupt Regeln für die Welthandelsordnung geschaffen werden können. Fundamental ist auch die Frage, in welchen Bereichen gemeinsame Normen überhaupt notwendig sind – eine Ländervielfalt, wenn nichtdiskriminierend ausgeübt, ist nicht negativ zu bewerten.

Entwicklung der „Megaregionalen“

Wirft man einen Blick auf den Prozess der Herausbildung der „Megaregionalen“, so zeigen sich bereits die klassischen Nachteile des regionalen Weges.

  • Negative Drittländereffekte: Die meisten Studien zu den ökonomischen Effekten von TTIP zeigen, dass sich – bei aller Unsicherheit über deren letztliche Ausgestaltung – negative Handelsumlenkungseffekte zulasten von Drittstaaten einstellen würden.4 Negativ betroffen sind insbesondere die mit den USA und der EU eng verflochtenen Handelspartner. Negativ betroffen wären aber auch ärmere Entwicklungsländer. Um solche negativen Effekte zu minimieren, müsste TTIP entwicklungsländerfreundlich ausgestaltet sein. Eine aktuelle Studie für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat entsprechend einen 10-Punkte-Plan vorgelegt, der sich allerdings in weiten Teilen wie ein multilaterales Arbeitsprogramm liest und auf eine starke WTO setzt.5 Warum dann nicht gleich den multilateralen Weg einfordern?
  • Macht- statt Regelbasierung: An drei Beispielen lässt sich veranschaulichen, wie sich bei den „Megaregionalen“ Machtaspekte manifestieren. Erstens, Politiker in Europa sind von der Vorstellung geleitet, durch TTIP könnte gemeinsam mit den USA ein vorbildhaftes Regel- und Wertesystem für den Welthandel geschaffen werden. Die USA gehen hingegen zweigleisig vor: bei den – schon weiter vorangeschrittenen – TPP-Verhandlungen der USA mit den Pazifikanrainern geht es ebenfalls zentral um die Schaffung eines Regelsystems. Es ist daher völlig unklar, wo und wie letztendlich die Regeln gesetzt werden. Die USA sind allerdings in der stärkeren Position, dies zu beeinflussen. Zweitens, die Studie von Krebs und Pflüger zeigt, dass die USA verglichen mit der EU einen viel größeren Wohlfahrtsgewinn durch TTIP als aus einem multilateralen Abkommen erzielen.6 Das korrespondiert mit der These des Hegemons, der Präferenzabkommen multilateralen Abkommen vorzieht.7 Drittens, das wirtschaftlich wichtige China ist weder in TTIP noch in TPP eingebunden, aber federführend beim konkurrierenden RCEP. Diese Entwicklung könnte eine Verhärtung der Handelsblöcke, mit bekannten ökonomischen und politischen Nachteilen andeuten.
  • Unterminierung der WTO: Die zwischenstaatliche Streitschlichtungsplattform der WTO hat sich bislang als sehr leistungsfähig erwiesen. Es ist unklar, ob im System der „Megaregionalen“ die WTO im Konfliktfall als Streitschlichtungsplattform herangezogen würde, oder ob alternative Plattformen gewählt würden. Dadurch würde der Streitschlichtungsprozess der WTO entwertet und die WTO geschwächt.

Fazit

Der Multilateralismus ist in den letzten Jahren ins Hintertreffen geraten. Unsere Überlegungen legen nahe, dass dies nicht angezeigt ist. Hinsichtlich der anstehenden Fragen bietet die multilaterale Plattform der WTO – bei geeigneter Weiterentwicklung – Vorteile gegenüber dem Regionalismus. Auch zeigt der kritische Blick, dass die bisherige Entwicklung der „Megaregionalen“ klassische Probleme des regionalen Weges aufweist.

Die WTO hat daher nicht ausgedient, sondern wird weiterhin dringend gebraucht. Der Multilateralismus muss aber gestärkt werden, um den „neuen Aufgaben“ gerecht zu werden. Konkret ist zunächst ein schneller Abschluss der Doha-Runde notwendig – entlang der Linien, die mit dem Bali-Paket abgesteckt wurden. Die in diesem Paket enthaltenen Regelungen zur Handelserleichterung zeigen, dass das multilaterale System keineswegs einer Harmonisierung von Standards in sinnvollen Bereichen im Wege steht. Auch bieten sich mit dem TRIPS-Abkommen Anknüpfungspunkte, um den Schutz geistigen Eigentums voranzutreiben. Das Thema Investitionsschutz, das im Rahmen von TTIP für viel Aufregung sorgt, verlangt in letzter Konsequenz wohl die Etablierung eines internationalen Gerichts, wodurch auch der Wildwuchs bilateraler Investitionsschutzabkommen ein Ende finden sollte. Wegen der tiefen und noch immer wachsenden internationalen Vernetzung der Produktion wird sich auch die WTO intensiver mit Fragen internationaler Investitionen auseinandersetzen müssen. Um diese Aufgaben zu schultern und Ziele erreichen zu können, muss aber wieder mehr politisches Kapital in den multilateralen Weg investiert werden.

Wie weiter mit den „Megaregionalen“? Unsere Überlegungen deuten an, dass hier viele Probleme lauern. Ob sie die gestalterische Kraft haben, weithin akzeptierte, gute und konsistente Regeln für das Welthandelssystem zu formen, erscheint höchst fraglich. Für Deutschlands und Europas Positionierung zu TTIP bedeutet dies: Lieber eine kleinste Lösung oder ein Platzen der Gespräche riskieren, als einen faulen Kompromiss.

Klar ist auch: Der weitere Weg des Welthandelssystems hängt entscheidend von den USA ab, die nach wie vor die unumstrittene Führungsmacht sind. Die USA sollten nicht aus den Augen verlieren, welche Stabilität und welchen Wohlstand das von ihnen maßgeblich geprägte multilaterale Handelssystem gebracht hat, auch den USA selbst.

  • 1 K. Bagwell, C. P. Bown, R. Staiger: Is the WTO Passé? in: Journal of Economic Literature, im Erscheinen; J. Bhagwati, P. Krishna, A. Panagariya: The World Trade System: Trends and Challenges, Paper presented at the Conference on Trade and Flag: The Changing Balance Of Power in the Multilateral Trade System, 7.-8.4.2014, International Institute for Strategic Studies, Bahrain.
  • 2 World Trade Report 2011.
  • 3 P. Ehrl, M. Pflüger: Asien, Lateinamerika: Verschiebt der Aufstieg der neuen Wachstumsmärkte das Kräfteverhältnis auf dem Weltmarkt?, in: ifo Schnelldienst, 66. Jg. (2013), Nr. 4, S. 6-10.
  • 4 O. Krebs, M. Pflüger: How Deep is Your Love? A Quantitative Spatial Analysis of the Transatlantic Trade Partnership, IZA Discussion Paper, Nr. 9021, 2015.
  • 5 G. Felbermayr, W. Kohler: TTIP und die Entwicklungsländer: Gefahren, Potentiale und Politikoptionen, in: ifo Schnelldienst, 68. Jg. (2015), Nr. 2, S. 26-36.
  • 6 O. Krebs, M. Pflüger, a.a.O.
  • 7 J. Bhagwati: Threats to the World Trading System: Income Distribution and the Selfish Hegemon, in: Journal of International Affairs, Frühjahr 1994.

Regelsetzung im Welthandel: Schutz für die Starken

Die Gründung der multilateralen Welthandelsorganisation (WTO) 1995 kann aus mindestens drei Gründen als großer Erfolg für die reichen Industriestaaten und die transnationalen Konzerne gewertet werden.

  • Erstens wurde der Grundsatz „gleiche Regeln für alle“ („single undertaking“) im internationalen Handel verankert, d.h. Ausnahmen von den vereinbarten Liberalisierungsstandards für nachholende Industrieländer sollte es im Prinzip nicht mehr geben. Natürlich konnte dies nicht sofort umgesetzt werden, aber im Zuge der Beitrittsverhandlungen neuer Mitglieder (darunter Schwergewichte wie China und Russland) näherte sich die WTO diesem Prinzip Schritt für Schritt an. Am 26. April 2015 wurden die Seychellen als 161. Mitglied der WTO aufgenommen, so dass heute fast alle Länder WTO-Mitglieder sind.
  • Zweitens kam das neue Allgemeine Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (GATS) unter das Dach der WTO. Dieses Abkommen verschaffte den großen Dienstleistungskonzernen vor allem in den Bereichen Versicherungen, Banken und Versorgungswirtschaft Zugang zu vielen Märkten, allerdings nicht zu allen, denn um überhaupt die Zustimmung für ein Dienstleistungsabkommen zu erhalten, musste den WTO-Mitgliedsländern erheblicher Spielraum bei der Entscheidung gelassen werden, welche Sektoren sie für die internationale Konkurrenz in welchem Umfang öffnen.
  • Drittens konnte ein Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS) vereinbart werden, womit ein lang gehegter Wunsch der Pharma- und Softwareindustrie in Erfüllung ging.

Die bilaterale Machtprojektion

Beflügelt von diesem Erfolg hofften die Unterhändler der reichen Nationen im Rahmen der WTO weitere Forderungen der transnationalen Unternehmen durchsetzen zu können. Doch bereits in der ersten Ministerrunde der WTO, 1996 in Singapur, wurde deutlich, dass insbesondere die großen industriellen Schwellenländer nicht bereit waren, zumindest nicht ohne substanzielle Gegenleistungen, den Investitionsschutz zu stärken, das öffentliche Beschaffungswesen für die internationale Konkurrenz zu öffnen und den Handlungsspielraum für staatliche Unternehmen sowie für Subventionen einzugrenzen (die so genannten Singapur-Themen1). Für diese Gegenleistungen, insbesondere für eine Öffnung der Agrarmärkte Europas, Japans und der USA, bestand keine Bereitschaft, so dass es sich bald abzeichnete, dass auch die 2001 ausgerufene neue WTO-Handelsrunde (Doha-Runde), nicht genutzt werden konnte, um die Singapur-Themen durchzusetzen. In dieser Situation entschieden sich zunächst die USA, ihre Interessen über Handelsabkommen mit einzelnen oder einer kleineren Gruppe von Ländern (bi- oder plurilaterale Abkommen) zu verfolgen, zumal sie mit dieser Strategie bereits zuvor schon gute Erfahrungen gemacht hatten. Das 1994 in Kraft getretene Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) stellte in vieler Hinsicht die Blaupause für die WTO dar. Die Europäische Union folgte 2006 dieser bilateralen Strategie.2 Gegenüber der multilateralen WTO bieten bilaterale Verhandlungen für die reichen Länder die Chance, sich gegenüber einzelnen Ländern besser durchzusetzen. Weil es bei Handelsverhandlungen vor allem um Marktzugang geht, befinden sich die reichen Länder in einer starken Position, da deren Märkte wesentlich attraktiver für Exportinteressen sind als die kleiner armer Länder. Die Verhandlungsmacht hängt vom Anteil am Welthandel, der relativen Abhängigkeit vom Außenhandel und von der absoluten Kaufkraft ab. Kleinen armen Ländern fehlen die Ressourcen, um bei allen Verhandlungen präsent zu sein und sich die Kompetenz teurer Experten fürs komplexe Handelsrecht einzukaufen. Sie sind auch dem Einfluss der reichen Länder auf anderen Ebenen ausgesetzt, z.B. bei der Entwicklungshilfe. Dies erklärt das starke Gewicht der USA und der Europäischen Union, aber auch die zunehmende Macht aufstrebender Marktökonomien wie Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC).

Gegenüber den aufstrebenden Ökonomien wollen sich die Europäische Union und die USA mit Hilfe der derzeit parallel angestrebten Abkommen im transatlantischen (TTIP) und pazifischen (TPP) Raum durchsetzen. Wenn es in diesem atlantisch-pazifischen Wirtschaftsraum gelänge, die sogenannten Singapur-Themen auf hohem Niveau zu vereinbaren, so die Strategie, dann könnten sich die BRIC-Länder dem nicht entziehen.3

Die Singapur-Themen stärken die Starken

Inwiefern läuft die Vereinbarung der Singapur-Themen auf den Schutz der Starken hinaus? Beginnen wir mit dem Investitionsschutz. Um ausländische Direktinvestitionen in für die eigene Entwicklung förderliche Bahnen zu lenken, erlassen viele nachholende Länder Auflagen, unter anderem Bestimmungen über die Höhe ausländischer Beteiligungen, Quoten für die Einstellung einheimischer Arbeitskräfte oder die Verwendung inländischer Vorprodukte. Solche Auflagen sollen unterbunden werden. Als Standards für die Behandlung ausländischer Anbieter strebt die EU im TTIP an, insbesondere die Prinzipien der Inländerbehandlung und Meistbegünstigung festzuschreiben und „unzumutbare“, willkürliche sowie diskriminierende Formen der Behandlung auszuschließen. Darüber hinaus soll sich der Investitionsschutz auf Formen einer direkten und indirekten Enteignung, einschließlich des Rechts auf „angemessene“ Entschädigung, und ungehinderte Kapitalflüsse erstrecken. Der für alle staatlichen Ebenen verbindliche Investitionsschutz soll durch ein unabhängiges, umfassendes Investor-Staat- und ein (nicht konkurrierendes) zwischenstaatliches Streitschlichtungssystem sichergestellt werden. Insbesondere das Investor-Staat-Schlichtungssystem soll die Unternehmen vor „ungerechtfertigten“ Ansprüchen schützen.4 Ferner wird eine Stillhalteklausel angestrebt, die zukünftige Regulierungen unterbinden soll.

In den meisten Nationen stellt die staatliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen einen erheblichen Anteil dar (nahezu 20% am EU-BIP), der für industriepolitische, ökologische und soziale (z.B. Mindestlohn) Zwecke genutzt werden kann. Dieser durchaus auch missbräuchlich genutzte Spielraum der Staaten soll durch die neuen Abkommen erheblich eingeengt werden. Der wechselseitige Marktzugang im öffentlichen Versorgungsbereich soll auf allen Ebenen ausgebaut werden. Ausländische Anbieter sollen den lokalen gleichgestellt und Zugangsbarrieren, wie z.B. lokale Wertschöpfungsanteile und Produktionsvorgaben, abgebaut und die Schwellenwerte für öffentliche Ausschreibungen gesenkt werden. Regeln, die über die bestehenden WTO-Bestimmungen hinausgehen, sollen einen Demonstrationseffekt auf andere Länder ausüben und entsprechende globale Regelungen voranbringen.

Zur Förderung der heimischen Industrie und zur Sicherung des allgemeinen Zugangs zu Infrastrukturleistungen nutzen nicht nur arme Länder Steuermittel. Entsprechend soll das TTIP wettbewerbspolitische Regelungen bezüglich staatlicher Beihilfen, Monopole, Staatsbetriebe und anderer exklusiver Vergünstigungen beinhalten. Um staatliche Beeinflussungen des Wettbewerbs zu minimieren, sollen Formen staatlicher Einflussnahme oder der Privilegierung einzelner Firmen, Branchen oder Regionen weit ausgelegt und schwer zu umgehen bzw. umgekehrt legitime Ausnahmen eng definiert werden. Staatliche Unternehmen und solche mit gewährten Vergünstigungen sollen jenseits der diesbezüglichen Aufgaben auf kommerzielle Orientierungen verpflichtet und Querfinanzierungen in nicht-monopolisierten Märkten untersagt werden.5

Alternativen?

Die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Handels trägt zur Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung bei. Wie seit Adam Smith bekannt ist, entsteht materieller Reichtum durch Effizienzgewinne der Spezialisierung. Wie aber auch seit Alexander Hamilton und spätestens seit Friedrich List bekannt ist,6 entstehen nicht nur im Anpassungsprozess an die jeweiligen Liberalisierungsniveaus, sondern auch in der langen Frist Gewinner und Verlierer. Deshalb kann es kein objektiv optimales Handelsregime geben. Die Vorstellung eines Pareto-optimalen Handelsregimes, das die Verlierer aus den Effizienzgewinnen des Gesamtsystems kompensiert,7 übersieht, dass erstens selbst ex post die Gewinne und Verluste der Liberalisierung gegenüber anderen Faktoren wirtschaftlicher Entwicklung nicht eindeutig identifiziert werden können. Beispielsweise kann manche Spezialisierung zur Entdeckung von Schlüsseltechnologien führen, die über Cluster-Bildung ein rasches Wirtschaftswachstum befördern, während andere Spezialisierungen solche Spill-over-Effekte nicht zeitigen.8 Manche haben auch militärtechnische Implikationen, die Machtasymmetrien zwischen Nationen begünstigen können, die wiederum wirtschaftliche Auswirkungen haben.

Zweitens unterschätzt das Kompensationsmodell die konkreten Umsetzungsprobleme. Einige US-amerikanischen Handelsabkommen wurden bei ihrer Verabschiedung im Kongress mit einem Gesetz zur Auszahlung von Arbeitslosengeld für die von der Liberalisierung freigesetzten Arbeitskräfte gekoppelt. Inwieweit diese Mittel tatsächlich in Anspruch genommen werden konnten, hing stark vom Organisationsgrad der Lohnabhängigen ab.9

Mit anderen Worten, die Kriterien für ein optimales Handelsregime sind abhängig von der jeweiligen Interessenlage. Vom Standpunkt der nachholenden Entwicklung ist das heutige Handelssystem weitgehend abzulehnen. Die Grundlagen für die bisher wohl erfolgreichen nachholenden Länder wurden durch das Beherzigen der Lehren von Friedrich List gegen die von David Ricardo gelegt. Der größte Erfolgsfall, die Volksrepublik China, hat sich gegenüber dem Weltmarkt gezielt selektiv geöffnet und nimmt es auch heute noch, trotz TRIPS, wenn man den Klagen der deutschen Industrie trauen darf, nicht so genau mit dem geistigen Eigentum. Aber so hat sich auch die deutsche Industrie verhalten, bevor sie am Ende des 19. Jahrhunderts in einigen Branchen Weltführerschaft erreichte.10 Zu den Verlierern zählen Länder wie Ghana, die unter dem Druck der vom IWF verordneten Strukturanpassungsprogramme ihre Märkte gegenüber der ausländischen Konkurrenz stark geöffnet haben. Ohne Schutz vor der ausländischen Konkurrenz und der Möglichkeit staatlicher Subventionen, beides nun für Ghana nicht mehr zugänglich, gelingt es dem Land beispielsweise nicht, seine großen Tomatenernten industriell zu verarbeiten. Stattdessen beherrscht italienisches Tomatenmark den Markt.11 Ein Handelsregime der nachholenden Entwicklung würde den betroffenen Ländern mehr Spielraum zur Förderung der eigenen Industrie lassen.

Ganz anders würde ein Handelsregime aussehen, das ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt. Die tatsächlichen Kosten der Produktion und des Transports, also der Kosten, die bei der Beseitigung der durch diese Aktivitäten verursachten Umweltschäden entstehen, müssten in die Verbraucherpreise internalisiert werden.12 Dies läuft sicherlich auf einen geringeren Handel und damit auch eine geringere Tiefe der globalen Arbeitsteilung hinaus.

In demokratisch verfassten Staatswesen, wie es die Mitgliedsländern der EU und die USA sind, herrscht jedoch der Konsens, dass politische Entscheidungen nicht nur im Sinne einer einzelnen gesellschaftlichen Gruppe erfolgen sollen. Im Falle einer Entscheidung, die die Interessen anderer tangiert, sollten zumindest diese anderen die Chance erhalten, angehört zu werden. Gegen dieses demokratische Grundprinzip wurde jedoch auf beiden Seiten des Atlantiks bei der Initiierung der Verhandlungen über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) verstoßen. Bei der Aufstellung des Forderungskatalogs wurden fast ausschließlich nur Unternehmensverbände angehört. Die EU-Kommission weigerte sich sogar lange, offen zu legen, wer an diesen Anhörungen teilgenommen hat.13 Nun kann eingewendet werden, dass das europäische Parlament, und falls das TTIP ein gemischtes Abkommen wird (d.h. Elemente enthält, die die Kompetenzen der EU überschreiten), auch die Parlamente der Mitgliedstaaten über das ausgehandelte Abkommen abstimmen können. Somit wären die Grundsätze einer repräsentativen Demokratie eingehalten. Dieses Argument übersieht allerdings zweierlei. Erstens wird die Richtung der Verhandlungen durch die jeweilig aufgestellten Forderungskataloge bestimmt, und bei dieser Aufstellung wurden eben andere gesellschaftliche Gruppierungen nicht angehört. Zweitens wird es für die Parlamente schwierig sein, einzelne Elemente des Abkommens abzulehnen, weil dann das Abkommen ja neu verhandelt werden müsste. Die Mitglieder der Parlamente stehen deshalb unter starkem Druck, ein solches Abkommen in seiner Gänze zu verabschieden.

Angesichts der heterogenen Interessenlage setzt eine Annäherung an ein inklusiveres Handelsregime, in dem auch die Interessen der „Schwachen“ mitberücksichtigt werden, eine Demokratisierung des Handelsregimes voraus. Dies bedeutet im zwischenstaatlichen Verhältnis eine Rückkehr zum multilateralen Dialog innerhalb der Welthandelsorganisation. Innerstaatlich bedeutet dies eine breitere gesellschaftliche Diskussion über die Inhalte der Forderungen sowie Konzessionen gegenüber anderen Ländern.

  • 1 M. Khor: How the South is Getting a Raw Deal at the WTO, in: R. Broad (Hrsg.): Global Backlash: Citizen Initiatives for a Just World Economy, Lanham, Maryland 2002, Kap. 36.
  • 2 P. Fuchs: Global Europe – die neue EU-Politik im Wahn der Wettbewerbsfähigkeit, Bonn 2007.
  • 3 L. J. Eliasson: Problems, Progress and Prognosis in Trade and Investment Negotiations: The Transatlantic Free Trade and Investment Partnership, in: Journal of Transatlantic Studies, 12. Jg. (2014), H. 2, S. 119-139.
  • 4 Zur Kritik vgl. S. Beck, C. Scherrer: Investitionsschutzklauseln: Privilegierung von Konzernen auf Kosten der Demokratie, in: ifo Schnelldienst, 67. Jg. (2014), H. 12, S. 17-19.
  • 5 Für eine Analyse des TTIP-Vorhabens vgl. S. Beck: TTIP: Possible Negotiating Outcomes and Consequences, in: C. Scherrer (Hrsg.): The Transatlantic Trade and Investment Partnership: Implications for Labor, Mering 2014, S. 10-40.
  • 6 S. Pryke: Economic Nationalism: Theory, History and Prospects, in: Global Policy, 3. Jg. (2012), H. 3, S. 281-291.
  • 7 M. Rauscher: International Trade, Factor Movement, and the Environment, Kiel 1997.
  • 8 P. Krugman: Strategic Trade Policy and the New International Economics, Cambridge MA 1986.
  • 9 C. Scherrer: Globalisierung wider Willen? Die Durchsetzung liberaler Außenwirtschaftspolitik in den USA, Berlin 1999.
  • 10 H. Chang: Bad Samaritans: The Myth of Free Trade and the Secret History of Capitalism, New York 2008.
  • 11 A. Britwum: Market Queens and the Blame Game in Ghanaian Tomato Marketing, in: C. Scherrer, D. Saha (Hrsg.): Food Crisis: Implications for Labour, Mering 2013, S. 53-72.
  • 12 R. Thayer: LifePlace: Bioregional Thought and Practice, University of California Press, Berkeley 2003.
  • 13 CEO – Corporate Europe Observatory: Who Is Scripting EU-US Trade Deal, 2013, http://corporateeurope.org/trade/2013/06/who-scripting-eu-us-trade-deal.

Title:The Future of World Trade

Abstract:Since the 1950s, world trade has grown much faster than global economic production. Meanwhile, China has surpassed Germany as the leading export nation. Continuing trade liberalisation on a multilateral level has made this increasing global integration possible. Regional initiatives, such as the Transatlantic Trade and Investment Partnership and the Trans-Pacific Partnership, have attained dominance in the world trading system in recent years. Some of the well-known weaknesses of regionalism are already cropping up in the formation of these “megaregionals”. These problems and the current challenges posed to the world trading system require a strengthening of the WTO’s multilateral system. But the current bilateral and regional trade negotiations (TTIP, TPP, TiSA, etc.) aim at strengthening the already powerful, i.e. investors and transnational corporations, and they limit developing countries’ possibilities for catching up. Great hopes have been invested internationalisation as a driver of innovation in Europe. If this means ever-increasing trade orientation, then these hopes are probably misplaced. The continuing expansion of world trade has ecological, social and political limits. New solutions will have to be found to hold on to the benefits of internationalisation in the context of stagnating or even shrinking international trade.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1825-8