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Verschiedene politische Parteien fordern, die Abgeltungsteuer abzuschaffen – selbst Bundesfinanzminister Schäuble scheint dies zu erwägen. Ursprünglich sollte sie dazu dienen, Steuerflucht weniger attraktiv zu machen. Nachdem aber die OECD-Länder Informationen über Kapitaleinkünfte automatisch austauschen werden, fällt diese Begründung weg. Tatsächlich wurde bei ihrer Einführung 2009 das Prinzip einer einheitlichen Besteuerung aller Einkommensarten aufgegeben und Kapitaleinkommen einer proportionalen Besteuerung unterworfen. Die wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen könnte aber ein Argument für eine höhere und progressive Besteuerung von Kapitaleinkommen sein. Darüber hinaus stellt die Abgeltungsteuer Investitionen aus Fremdkapital gegenüber Eigenkapital besser. Die Argumente für und wider eine Abschaffung der Abgeltungsteuer und die Ausgestaltung alternativer Modelle sind Gegenstand dieses Zeitgesprächs.

Abgeltungsteuer: reformieren statt abschaffen

Einkünfte aus Kapitalvermögen wie Zinsen, Dividenden oder Gewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren inklusive Aktien unterliegen in Deutschland der Abgeltungsteuer, einschließlich Solidaritätszuschlag beträgt der einheitliche Steuersatz 26,4%. In zahlreichen anderen Ländern ist die Situation vergleichbar. So erheben neben Deutschland 18 weitere Mitgliedstaaten der EU eine Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte, im Durchschnitt dieser Länder beträgt der Steuersatz 20,7%.1 Damit besteuert Deutschland Kapitaleinkünfte sogar vergleichsweise hoch. Liegt der persönliche Einkommensteuersatz allerdings unter dem Satz der Abgeltungsteuer, kommt ersterer aufgrund der Günstigerprüfung zur Anwendung. Geringverdiener mit einem persönlichen Steuersatz von unter 25% kommen somit in den Genuss der geringeren Progression.

Die Abgeltungsteuer wurde mit der Reform der Unternehmensbesteuerung des Jahres 2008 beschlossen und gilt seit 2009. Vorher wurden Zinseinkünfte wie Einkünfte aus anderen Quellen belastet. Dividenden wurden nach dem Halbeinkünfteverfahren dagegen nur zur Hälfte besteuert, um die bereits erfolgte Gewinnbesteuerung auf Unternehmensebene auszugleichen. Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen, also realisierte Kursgewinne, waren bis einschließlich 2008 sogar vollständig von der Einkommensteuer befreit, falls die Wertpapiere länger als die zwölfmonatige Spekulationsfrist gehalten wurden und die Beteiligungsquote unter 1% lag. Andernfalls kam bei der Veräußerung von Aktien und GmbH-Anteilen ebenfalls das Halbeinkünfteverfahren zur Anwendung. Die Abgeltungsteuer betrifft ausschließlich Kapitalerträge, die im Privatvermögen anfallen. Dagegen werden betriebliche Kapitalerträge weiterhin progressiv besteuert und bei Dividenden sowie Veräußerungsgewinnen wurde das Halb- durch das Teileinkünfteverfahren ersetzt, gemäß dem lediglich 40% der betreffenden Einkünfte steuerfrei sind.

Mit der Einführung der Abgeltungsteuer wurde das Prinzip der einheitlichen Besteuerung des gesamten Einkommens aufgegeben. Als Begründung wurde im Gesetz angeführt, die Abgeltungsteuer mindere „das Interesse privater Anleger, Kapital allein aus steuerlichen Gründen ins Ausland zu verlagern.“ Im Prinzip müssen deutsche Steuerpflichtige auch Zinsen und Dividenden versteuern, die sie im Ausland einnehmen. De facto wurden diese Steuern jedoch häufig hinterzogen. Diese Hinterziehung sollte durch die Abgeltungsteuer unattraktiv werden.

Argumente für eine Abschaffung der Abgeltungsteuer sind irreführend

Derzeit mehren sich Forderungen aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, die Abgeltungsteuer abzuschaffen. Dafür werden zwei Argumente angeführt: Erstens sei es ungerecht, dass auf Kapitalerträge nur 26,4% Einkommensteuer anfallen, Arbeitseinkommen aber einschließlich Solidaritätszuschlag mit bis zu 44,3% – bei Geltung des Spitzensteuersatzes sogar mit 47,5% – belastet werden. Zweitens nehme der internationale Austausch von Informationen unter Steuerbehörden in Europa und weltweit zu. Daher sei nicht mehr zu befürchten, dass private Anleger ihre Bankkonten ins Ausland verlagern und die Steuereinnahmen verschweigen, wenn Kapitaleinkommen in Deutschland wieder höher besteuert werden. Letztlich erhoffen die Befürworter einer Abschaffung der Abgeltungsteuer höhere Steuereinnahmen. Diese Argumentation ist aus mehreren Gründen irreführend:

  • Erstens wird es noch einige Zeit dauern, bis der Informationsaustausch über Kapitaleinkünfte wirklich flächendeckend funktioniert. Dagegen verläuft die Einbehaltung und Abführung der Abgeltungsteuer durch die Kreditinstitute dem Vernehmen nach mittlerweile reibungslos.
  • Zweitens überzeichnet der Vergleich zwischen dem Spitzensteuersatz von 44,3% und dem Abgeltungsteuersatz von 26,4% die tatsächlichen Belastungsunterschiede zwischen Beziehern von Kapitaleinkünften und Arbeitseinkünften. Betrachtet man die Lohnsteuer als Indikator für die Steuerbelastung von Arbeitseinkommen, dann zeigt sich laut Lohnsteuerstatistik eine durchschnittliche Belastung für alle Arbeitnehmer von 17%. Die Gruppe der Besserverdienenden im Einkommensbereich zwischen 50 000 und 100 000 Euro zahlt knapp 22%.
  • Drittens wird oft übersehen, dass der Abgeltungsteuer eine Bruttobesteuerung zugrunde liegt: Ein Abzug von Werbungskosten ist ausgeschlossen. Außerdem sind die Möglichkeiten zur Verlustverrechnung eng begrenzt. So dürfen Verluste nur mit Einkünften verrechnet werden, die ebenfalls der Abgeltungsteuer unterliegen. Deswegen ist die effektive Belastung der Kapitaleinkünfte auch bei Zinsen heute höher als 26,4%. Verluste aus Aktienverkäufen sind gar nur mit Aktienkursgewinnen verrechenbar. Es ist auch zu berücksichtigen, dass mit Einführung der Abgeltungsteuer die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen verschärft worden ist, die zuvor bei Beteiligungsquoten von unter 1% nach einer zwölfmonatigen Spekulationsfrist steuerfrei waren.
  • Viertens ist zu beachten, dass es sich bei einem Großteil der Kapitaleinkünfte um Dividenden handelt. Schätzungen zufolge überstiegen die Dividenden die Zinseinkünfte im Jahr 2013 um nahezu das Fünffache.2 Eine andere Schätzung geht davon aus, dass sich im Jahr 2015 das Steueraufkommen aus Dividenden auf rund 17 Mrd. Euro beläuft und damit mehr als doppelt so hoch ausfällt wie jenes aus Zinsen und Veräußerungsgewinnen (8 Mrd. Euro).3 Dividenden sind ausgeschüttete Unternehmensgewinne, die bereits auf Unternehmensebene einer Besteuerung mit Körperschaftsteuer inklusive Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer von rund 30% unterliegen. In Kombination mit der Abgeltungsteuer beträgt die Belastung heute gut 48%, sie ist also höher als die Höchstbelastung von Arbeitseinkommen. Bei einer Abschaffung der Abgeltungsteuer kann die Belastung ausgeschütteter Unternehmensgewinne bis auf rund 63% ansteigen, wenn der Spitzensatz der Einkommensteuer greift. Man müsste also einen Ausgleich für die Besteuerung auf Unternehmens­ebene vorsehen, beispielsweise durch die Wiedereinführung des 2009 abgeschafften Halbeinkünfteverfahrens. Die Debatte über die Abschaffung der Abgeltungsteuer sorgt damit vor allem bei der steuerlichen Behandlung von Dividenden für erhebliche Unsicherheit. Wie immer das neue Recht aussehen würde, die Steuerzahler würden sich die Frage stellen, wann die nächste Änderung kommt. Ein planbares und verlässliches Steuerrecht sieht anders aus.
  • Die Wiedereinführung des bis einschließlich 2008 geltenden Steuerrechts würde fünftens gleich aus mehreren Gründen die erreichbaren Steuermehreinnahmen aus einer Abschaffung der Abgeltungsteuer begrenzen. Während die Steuereinnahmen auf Zinsen ab einem persönlichen Steuersatz von 25% zunehmen, wird sich bei der Besteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen im Fall der Wiedereinführung des Halbeinkünfteverfahrens kein Mehraufkommen erzielen lassen. Wie aus der Tabelle 1 ersichtlich, ergibt sich beim Halbeinkünfteverfahren selbst bei Geltung des Spitzensatzes der Einkommensteuer von 45% für Dividenden noch eine niedrigere Gesamtsteuerbelastung als bei Geltung der Abgeltungsteuer. Entsprechendes gilt für Veräußerungsgewinne, für die das Halb­einkünfteverfahren ebenfalls Geltung hatte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Dividenden den Großteil der der Abgeltungsteuer unterliegenden Kapitaleinkünfte ausmachen. Hinzu kommt, dass im Fall einer (Wieder-)Einbeziehung der Einkünfte aus Kapitalvermögen in die allgemeine Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer die unter dem Regime der Abgeltungsteuer geltenden Restriktionen im Zusammenhang mit dem Abzug von Werbungskosten (Bruttobesteuerung) sowie der Verrechnung von Verlusten entfallen würden. Insbesondere eine Abschaffung der Verlustverrechnungsbegrenzungen könnte weitere Steuermindereinnahmen nach sich ziehen. Es überrascht daher nicht, dass seitens des Bundesministeriums der Finanzen im Jahr 2014 bei einer Abschaffung der Abgeltungsteuer mit jährlichen Steuermindereinnahmen von bis zu 1 Mrd. Euro gerechnet wurde.4
  • Sechstens ist zu berücksichtigen, dass die Abgeltungsteuer die Besteuerung vereinfacht. Sie erspart es vielen Steuerpflichtigen, Kapitaleinkünfte in der Steuererklärung anzugeben und der administrative Aufwand der Steuererhebung liegt bei den Kreditinstituten. Ein einheitlicher, proportionaler Steuersatz begrenzt zudem Steuerarbitrage, da Abgrenzungsprobleme bei der persönlichen, sachlichen sowie zeitlichen Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben im Grundsatz entfallen. Mit anderen Worten ist es unerheblich, wer Zinsaufwand geltend macht und wer den entsprechenden Ertrag versteuert. Bei einer Abschaffung der Abgeltungsteuer erhöhen sich dagegen die steuerlichen Deklarationskosten bei den Steuerpflichtigen und die Erhebungskosten bei der Finanzverwaltung. Zumindest der Anstieg der Erhebungskosten müsste bei den Steueraufkommensschätzungen ebenfalls berücksichtigt werden.
  • Schließlich trägt die Abgeltungsteuer siebtens der Inflationsanfälligkeit der Zinsbesteuerung Rechnung. Denn falls die Inflationsrate und die Steuerbelastung den realen Ertrag einer Kapitalanlage übersteigen, erfolgt ein Eingriff in die Substanz des Steuerpflichtigen. Zwar kann man dem entgegenhalten, dass die fehlende Inflationsbereinigung beim Abzug von gezahlten Zinsen zu einer Entlastung des betreffenden Steuerpflichtigen führt. Aber das ändert nichts daran, dass individuelle Steuerzahler unfair belastet werden.
Tabelle 1
Vergleich der Gesamtsteuerbelastung bei Abgeltungsteuer und Halbeinkünfteverfahren
  Abgeltung-steuer   Halbeinkünfteverfahren Einkommensteuersatz
45% 40% 35% 30% 25%
Unternehmensebene              
Gewinn vor Steuern 100   100 100 100 100 100
Körperschaftsteuer/Solidaritätszuschlag/Gewerbesteuer -30   -30 -30 -30 -30 -30
Ausschüttungsvolumen 70   70 70 70 70 70
Gesellschafterebene      
Einkommensteuer              
•   Abgeltungsteuer 25% -17,50            
•   Halbeinkünfteverfahren (steuerpflichtig 35)     -15,75 -14,00 -12,25 -10,50 -8,75
Solidaritätszuschlag 5,5% -0,96   -0,87 -0,77 -0,67 -0,58 -0,48
Nettozufluss 51,54   53,38 55,23 57,08 58,92 60,77
Gesamtsteuerbelastung 48,46   46,62 44,77 42,92 41,08 39,23
Vorteil Halbeinkünfteverfahren -   1,84 3,69 5,54 7,38 9,23

Quelle: Eigene Berechnungen.

Weiterentwicklung in Richtung duale Einkommensteuer

Das Hauptproblem der deutschen Abgeltungsteuer liegt nicht in der unterschiedlichen Belastung von Kapitalerträgen und Arbeitseinkommen, sondern darin, dass sie die Unternehmensfinanzierung verzerrt: Eigenkapital wird gegenüber Fremdkapital diskriminiert. Während Zinsen auf Unternehmensebene abzugsfähig sind, werden Dividenden und Veräußerungsgewinne doppelt besteuert – auf Unternehmensebene und beim Anteilseigner. Das hemmt Investitionen und lädt zu unerwünschten steuerlichen Gestaltungen ein. Durch die Einführung der Abgeltungsteuer 2009 sind die Kapitalkosten einer Investition in Deutschland weit über das Niveau des Jahres 2000 gestiegen, was die verschlechterten steuerlichen Investitionsbedingungen untermauert.5 An diesem Punkt sollte eine Reform ansetzen.

Der Sachverständigenrat für Wirtschaft hat vor einigen Jahren in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen in München und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW in Mannheim mit der dualen Einkommensteuer ein Konzept vorgelegt, das die Diskriminierung des Eigenkapitals beseitigen kann.6 Die Abgeltungsteuer hat dabei große Bedeutung. Denn der einheitliche, proportionale Steuersatz soll nicht nur für private Kapitaleinkommen gelten, sondern gleichzeitig für die Besteuerung der Unternehmensgewinne, d.h. der Steuersatz auf Unternehmensgewinne wäre an den Satz der Abgeltungsteuer anzugleichen. Dividenden und Veräußerungsgewinne würden beim Gesellschafter bis zur Höhe einer „Normalverzinsung“ von der Besteuerung freigestellt, um den Nachteil der Eigen- gegenüber der Fremdfinanzierung auszugleichen und insoweit Finanzierungsneutralität zu gewährleisten. Das würde die Eigenkapitalbasis stärken und der vielfach beklagten Investitionszurückhaltung der Unternehmen in Deutschland entgegenwirken. Der Teil der Dividenden und Veräußerungsgewinne, der beim Gesellschafter die steuerfreie Normalverzinsung übersteigt (der sogenannte Übergewinn), unterliegt hingegen ungemildert dem proportionalen Steuersatz. Legt man einen einheitlichen Steuersatz von 26,4% zugrunde, wie er derzeit bei der Abgeltungsteuer gilt, unterliegen diese Übergewinne einer proportionalen Tarifbelastung von 45,8%.7 Dies entspricht in etwa dem derzeitigen Spitzensatz der Einkommensteuer, weshalb diese Variante einer dualen Einkommensteuer auch nicht dem Vorwurf der Steuerungerechtigkeit ausgesetzt sein sollte.

Die Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung des Eigenkapitals der Unternehmen gegenüber Fremdkapital würde außerdem das Problem der internationalen Gewinnverlagerung durch Fremdfinanzierung entschärfen.

Schlussfolgerungen

In der Debatte über die Abgeltungsteuer werden Argumente vorgetragen, die teilweise nicht tragfähig sind. Das trifft insbesondere zu für die Behauptung, die Abschaffung der Abgeltungsteuer würde zu Steuermehreinnahmen führen. Dabei wird übersehen, dass man bei Dividenden zum Halbeinkünfteverfahren zurückkehren oder andere Maßnahmen zur Reduzierung der Doppelbesteuerung auf Unternehmensebene und auf der Ebene der Anteilseigner ergreifen müsste. Hinzu kommt, dass der internationale steuerliche Informationsaustausch keineswegs flächendeckend umgesetzt ist. Es ist zutreffend, dass durch die Abgeltungsteuer das Prinzip der synthetischen Einkommensbesteuerung durchbrochen wird, und dass diese Durchbrechung in Einzelfällen dazu führen kann, dass Steuerzahler mit hohen Kapitaleinkünften – vor allem hohen Zinseinkünften – dadurch entlastet werden. Man kann aber davon ausgehen, dass gerade Steuerzahler, die vorwiegend von Zinseinkünften leben, international sehr mobil sind; sie können der Besteuerung vergleichsweise leicht entgehen, indem sie ihren Wohnsitz ins Ausland verlagern. Das war ein Grund dafür, die Abgeltungsteuer einzuführen.

Statt die Abgeltungsteuer abzuschaffen, sollte die Politik sie verbessern, indem ein zentraler Makel der geltenden Regelungen – die steuerliche Diskriminierung des Eigenkapitals gegenüber dem Fremdkapital – korrigiert wird.

  • 1 Vgl. O. H. Jacobs: Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl., München 2016, S. 142.
  • 2 Vgl. C. Bartels, K. Jenderny: The Role of Capital Income for Top Income Shares in Germany, WTID Working Paper, Nr. 2015/1, S. 19.
  • 3 Vgl. B. Rürup: Abgeltungsteuer: Besser als ihre Begründung, Handelsblatt Research Institute, 4.12.2015, S. 2.
  • 4 Vgl. http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/abgeltungssteuer-schaeubles-zahlenraetsel/12579576.html.
  • 5 Vgl. C. Spengel, S. Bergner: Investitionswirkungen der deutschen Unternehmensbesteuerung im internationalen Vergleich, Arbeitspapier des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 5/2015, 2015.
  • 6 Vgl. Sachverständigenrat/MPI/ZEW: Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Bd. 79, 2006.
  • 7 45,8% = 26,4% (auf Unternehmensgewinne) + (100% – 26,4%) * 26,4% (auf Übergewinne).

Zurück in die steuerliche Steinzeit?

Vor der Jahrtausendwende beeinträchtigten hohe Steuersätze die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und belasteten den Produktionsfaktor Arbeit stark. Das Steuersystem verzerrte Rechtsformwahl und Finanzierungsentscheidungen. Die seitdem durchgeführten Steuerreformen gingen insgesamt in die richtige Richtung. So wurden Effizienzgewinne durch eine niedrigere Steuerbelastung für Unternehmen und für Arbeitnehmer erzielt sowie die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort gestärkt.

Die aktuelle Debatte um eine Abschaffung der Abgeltungsteuer spielt sich vor allem vor dem Hintergrund politischer Verteilungsdebatten ab. Kapitaleigner sollen wieder stärker zur Kasse gebeten werden. Dabei haben Kritiker der Abgeltungsteuer wohl vor allem passive Anleger im Kopf, deren Geld sich scheinbar „ohne eigenes Zutun“ vermehrt. Eine solche Betrachtung greift jedoch zu kurz. Dieser Beitrag beleuchtet daher die Abschaffung der Abgeltungsteuer aus steuersystematischer Sicht und betont die negativen Auswirkungen dieser Abschaffung auf die Neutralität des Steuersystems, die insbesondere für junge, kapitalbeschränkte Unternehmen von großer Bedeutung sind.

Erster Schritt zur dualen Einkommensteuer

Die Abgeltungsteuer in Höhe von 25% ersetzte im Jahr 2009 das Halbeinkünfteverfahren bei Dividendenausschüttungen und führte eine allgemeine Veräußerungsgewinnbesteuerung sowie eine pauschale und im Vergleich zum Spitzensteuersatz niedrige Besteuerung von Zinseinkünften ein. Wenngleich die Abgeltungsteuer nach offizieller Gesetzesbegründung mit dem Ziel eingeführt wurde, die steuerlich induzierte Verlagerung von Kapital ins Ausland zu mindern und die nicht selten damit verbundene Steuerhinterziehung zu bekämpfen,1 so ist sie aus steuersystematischer Sicht vor allem als ein erster Schritt hin zur dualen Einkommensteuer zu sehen.

Das Ziel einer dualen Einkommensteuer besteht darin, die Neutralitätskriterien des Steuersystems im Hinblick auf Investitionsentscheidungen zu verbessern. Die Kapitalallokation sollte durch die Besteuerung nicht beeinflusst werden, damit die Produktionsfaktoren einer Volkswirtschaft so eingesetzt werden, dass die Produktion eines Gutes nicht mehr gesteigert werden kann, ohne die Produktion eines anderen Gutes zu senken (Produktionseffizienz). Somit wird „so viel Output wie möglich aus dem Unternehmenssektor“ herausgeholt.2 Dies gelingt durch möglichst geringe Verzerrungen des Investitionsvolumens und der Rangfolge von Investitionen, der Finanzierungsentscheidung sowie der Rechtsformwahl.

Investitionsneutralität

Für eine geringe Verzerrung des Investitionsvolumens und der Rangfolge von Investitionen (Investitionsneutralität) ist eine niedrige Zinsbesteuerung essenziell, da diese die Kapitalwerte von Investitionen mit unterschiedlichen Zahlungsströmen verzerrt. Vor diesem Hintergrund ist die niedrigere Zinsbesteuerung durch die Abgeltungsteuer effizienzsteigernd (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Entwicklung der Zinsbesteuerung in Deutschland
Steuersatz inklusive Solidaritätszuschlag in %
53921.png

Anmerkung: Seit 2009 wird die Abgeltungsteuer angewendet, vor 2009 wurde der maximale Einkommensteuersatz angenommen.

Quelle: Sachverständigenrat: Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt, Jahresgutachten 2015/16, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015, eigene Berechnungen.

Beispiel: Eine Investition A generiert in Periode 1 einen Zufluss in Höhe von 101 Euro. Eine alternative Investition B erwirtschaftet zwar 105 Euro, aber erst in Periode 2. Der Barwert beträgt bei einem Zinssatz von 5% 100 Euro und ist damit kleiner als derjenige von Investition A (101 Euro). Bei einem Steuersatz von 30% auf den Rückfluss läge der Barwert von Investition A bei 70,7 Euro und der Barwert von Investition B bei 70 Euro. Die Rangfolge wäre somit unverändert. Werden nun aber Zinsen zudem mit einem Steuersatz von 30% belegt, erhöht sich der Barwert von Investition B auf 71,0 Euro. Durch die Zinsbesteuerung wird also die intertemporale Neutralität verletzt und die Rangfolge der Investitionen ändert sich. Dieses Ergebnis kommt zustande, weil der Diskontierungsfaktor (1 + Nachsteuerzins) durch die Zinsbesteuerung sinkt. Die Sachinvestition mit dem späteren Rückfluss wird im Vergleich zu einer Alternativanlage am Kapitalmarkt zum risikolosen Zins durch die Einführung einer Zinssteuer relativ besser gestellt.

Grundsätzlich ist zwar ein idealtypisches Steuersystem denkbar, das Investitionsneutralität auch bei einer Besteuerung von Zinseinkünften herstellt. Eine solche Allgemeine Einkommensteuer unterwirft Rückflüsse aus Investitionen sowie Zinseinkommen einem einheitlichen Steuersatz, gewährleistet Investitionsneutralität allerdings nur bei Anwendung der Ertragswertabschreibung.3 Hierbei wird die Differenz des Ertragswerts (Barwert aller Einnahmen und Ausgaben ohne Berücksichtigung von Steuern) aus der aktuellen und der folgenden Periode abgeschrieben. Die Abschreibung orientiert sich also an den künftigen Rückflüssen. Im Ergebnis wird die Verzinsung des Ertragswerts besteuert. In der Praxis ist dieses Konzept nicht umsetzbar, da der Ertragswert einer Investition immer erst ex post feststeht, sodass Informations­asymmetrien zugunsten der Steuerzahler und zulasten des Gesetzgebers bestehen. Daher ist die Duale Einkommensteuer aufgrund praktischer Erwägungen vorzuziehen.

Fehlendes Element – Zinsbereinigung

Um bei niedriger Zinsbesteuerung Finanzierungsneutralität zu erreichen, müssen Unternehmensgewinne bis zu einer dem marktüblichen, risikolosen Zins entsprechenden Rendite ebenfalls niedrig besteuert werden. Nur darüber hinausgehende Renditen können mit einer höheren Gewinnsteuer belastet werden, ohne dadurch marginale Investitionsentscheidungen zu verzerren. Es kommt also zu einer unterschiedlichen, oder dualen, Einkommensbesteuerung von Normal- und Überrendite. Dies kann mit einer Zinsbereinigung erreicht werden. Der Sachverständigenrat hat dazu das Konzept einer „Zinsbereinigung des Grundkapitals“ vorgeschlagen, bei der Gewinne bis zur Marktverzinsung des Grundkapitals von der Körperschaftsteuer freigestellt werden, sodass nur die Abgeltungsteuer bei Ausschüttung zu entrichten ist.4 Das Grundkapital im Sinne dieses Vorschlags entspricht dem um Beteiligungen verringerten gezeichneten Kapital zuzüglich weiterer Eigenkapitalzuführungen und wird durch einbehaltene Gewinne nicht erhöht. Bereits vor der Einführung der Zinsbereinigung einbehaltene Gewinne zählen ebenso nicht zum Grundkapital, sodass sie vor allem neuen Unternehmen zugutekäme.

Eine solche Zinsbereinigung ist das fehlende Element im deutschen Steuersystem, um die angestoßenen Reformen hin zu einer Dualen Einkommensteuer zu vollenden. Sie beendet die doppelte Besteuerung von Grenzinvestitionen, die gerade noch ihre Kapitalkosten verdienen, und sorgt damit für Finanzierungsneutralität. Eine wie auch immer geartete Abschaffung der Abgeltungsteuer würde hingegen die Effizienzeigenschaften des Steuersystems nicht verbessern, sondern weiter verschlechtern.

Der Status quo

Derzeit ist das deutsche Steuersystem nicht finanzierungsneutral. Dies lässt sich an den theoretischen Kapitalkosten ablesen, die angeben, wie hoch die Vorsteuerrendite einer Investition sein muss, um den Investor nach Steuern indifferent zwischen der Realinvestition und der Alternativanlage am Kapitalmarkt zu stellen. In diesem Beitrag werden ausschließlich Kapitalgesellschaften betrachtet, da die Abgeltungsteuer bei Personengesellschaften keine Rolle spielt. Es zeigt sich, dass Investitionen, die mit neuem Eigenkapital finanziert werden, gegenüber mit einbehaltenen Gewinnen oder Fremdkapital finanzierten Investitionen steuerlich diskriminiert werden (vgl. Abbildung 2).5

Abbildung 2
Theoretische Kapitalkosten bei verschiedenen Finanzierungswegen

in %, bei persönlichem Einkommensteuersatz in Höhe von 45%

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Steuersatz unter Berücksichtigung der Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuer (gewogener Durchschnittshebesatz), des Solidaritätszuschlags sowie bei Ausschüttung der persönlichen Besteuerung auf der Anteilseignerebene.

Quelle: Sachverständigenrat: Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt, Jahresgutachten 2015/16, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015, eigene Berechnungen.

Bei einbehaltenen Gewinnen hängen die Kapitalkosten vom Unternehmenssteuersatz sowie vom Zinssteuersatz ab. Sind beide gleich hoch, entsprechen die Kapitalkosten dem Vorsteuerzinssatz. Bei neuem Eigenkapital kommt der Dividendensteuersatz als Determinante hinzu. Die Doppelbesteuerung aus Unternehmens- und Dividendensteuer führt zu höheren Kapitalkosten als bei einer Finanzierung durch einbehaltene Gewinne. Im Zeitablauf ist die Steuersatzdifferenz zwischen einbehaltenen und ausgeschütteten Gewinnen immer weiter angestiegen (vgl. Abbildung 3).

Beim dritten Finanzierungsweg, der Fremdfinanzierung, hängen die Kapitalkosten nur vom Unternehmenssteuersatz und der Abzugsfähigkeit der Zinsaufwendungen ab. Wären alle Zinsaufwendungen abzugsfähig, ergäben sich Kapitalkosten in Höhe des Vorsteuerzinssatzes. In Deutschland sind sie aufgrund der teilweisen Hinzurechnung von Finanzierungsentgelten bei der Gewerbesteuer etwas höher. Im Ergebnis werden mit einbehaltenen Gewinnen und mit Fremdkapital finanzierte Investitionen in Deutschland steuerlich bevorzugt. Daher ist es kein Widerspruch, dass in den letzten Jahren, in denen die Unternehmen hohe Gewinne ausweisen, trotz steuerlicher Anreize zur Fremdfinanzierung steigende Eigenkapitalquoten zu beobachten sind.

Es haben vielmehr die finanzierungsbeschränkten Unternehmen, die auf neues Eigenkapital angewiesen sind, höhere Kapitalkosten als ihre Konkurrenten. Dies trifft vor allem auf junge, innovationsstarke und wachstumsorientierte Unternehmen zu, die noch keine Gewinne erwirtschaftet haben und für die ungewisse Erfolgsaussichten eine relativ hohe Kredithürde darstellen. Banken fehlt hier oftmals der nötige Einblick in das neue Geschäftsfeld eines solchen Start-ups, sodass sich die Ausfallwahrscheinlichkeit nur schwer bestimmen lässt.

Die relativ niedrigen Kapitalkosten für mit Fremdkapital finanzierte Investitionen stellen zudem einen Anreiz dar, im Falle fehlender Gewinnrücklagen auf diese Finanzierungsform zurückzugreifen. Damit fallen die Verschuldungsgrade der Unternehmen tendenziell höher aus, was wiederum zu Refinanzierungsproblemen und einem höheren Insolvenzrisiko führen kann. Die empirische Literatur zeigt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem steuerlichen Anreiz zur Fremdfinanzierung und der Kapitalstruktur von Unternehmen.6

Mit der Zinsbereinigung des Grundkapitals wären die Kapitalkosten aller drei Finanzierungsarten in etwa gleich hoch, und zwar unabhängig vom persönlichen Einkommensteuersatz des Anteilseigners (vgl. Abbildung 2). Dieses Ergebnis hängt freilich davon ab, inwiefern der Bereinigungszinssatz dem tatsächlichen risikolosen Marktzins entspricht. Allerdings gilt in jedem Fall, dass ein Bereinigungszinssatz von 0% – wie er derzeit weit verbreitet ist – zu niedrig wäre.

Effekte einer Abschaffung der Abgeltungsteuer

Der Vergleich mit Kapitalkosten bei einer Abschaffung der Abgeltungsteuer zeigt, dass sich die Diskriminierung der Finanzierung durch neues Eigenkapital dadurch nicht beheben lassen würde. Vielmehr kann der Unterschied in den Kapitalkosten sogar noch höher werden als nach aktuellem Rechtsstand. Dies hängt von der genauen Ausgestaltung einer „Abschaffung“ ab. Dabei gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten.

Erstens könnte die Abgeltungsteuer nur für Zinseinkünfte durch den persönlichen Einkommensteuersatz ersetzt werden. Für Dividenden und Veräußerungsgewinne wäre weiterhin die pauschale 25%-Steuer anzuwenden.7 In diesem Fall wären die Kapitalkosten bei einbehaltenen Gewinnen und neuem Eigenkapital abhängig vom persönlichen Einkommensteuersatz. Je höher dieser ausfiele, desto stärker würde die Alternativanlage im Vergleich zur Realinvestition belastet und desto niedriger wären die Kapitalkosten. Die Belastung für Finanzierungen mit neuem Eigenkapital wäre aber, unabhängig vom anzuwendenden Steuersatz, immer höher als für Investitionen aus einbehaltenen Gewinnen. Der Vorteil der Fremdfinanzierung wäre zumindest bei hohen individuellen Einkommensteuersätzen niedriger als heute. Bei niedrigeren Steuersätzen bestünde das Problem aber weiterhin.

Eine zweite Alternative streicht die Abgeltungsteuer komplett, sodass auch Dividenden und Veräußerungsgewinne mit dem persönlichen Einkommensteuersatz belastet würden. In diesem Fall wäre der Unterschied zwischen den Kapitalkosten bei einbehaltenen Gewinnen und neuem Eigenkapital zumindest bei hohen Steuersätzen wesentlich höher als heute, weil die Alternativanlage wesentlich höher besteuert würde als eine Investition mit einbehaltenen Gewinnen. Die Diskriminierung der mit neuem Eigenkapital finanzierten Investitionen wäre also noch wesentlich stärker als nach aktuellem Recht. Auch der Vorteil der Fremdfinanzierung bliebe vollständig bestehen. Ein weiteres Problem wäre die höhere Gesamtbelastung von ausgeschütteten Gewinnen bei hohen Einkommensteuersätzen. Der kombinierte Steuersatz aus Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Solidaritätszuschlag und Einkommensteuer läge bei Anwendung des Spitzensteuersatzes bei 64% statt wie derzeit bei 51%.

Die dritte Alternative wäre die Wiedereinführung des Halbeinkünfteverfahrens, das bis zum Jahr 2008 zur Anwendung kam. Damit würde die Doppelbelastung auf ausgeschüttete Gewinne gelindert und der kombinierte Steuersatz läge mit 47,8% sogar niedriger als heute. Somit würden die Kapitalkosten von Investitionen, die mit neuem Eigenkapital finanziert werden, geringer als heute. Die Diskriminierung dieser Finanzierungsart wäre aber nach wie vor nicht beendet, da auch die einbehaltenen Gewinne durch die höhere Belastung der Alternativanlage begünstigt würden. Ähnlich wie bei der Abschaffung der Abgeltungsteuer lediglich auf Zinseinkünfte wäre der Vorteil der Fremdfinanzierung aber abgemildert.

Fazit

Aus steuersystematischer Sicht wäre die Abschaffung der Abgeltungsteuer also im besten Fall ein Rückfall in alte Zeiten. Die Neutralitätseigenschaften würden sich eher verschlechtern als verbessern. Eine Duale Einkommensteuer würde mit einer solchen Maßnahme in weite Ferne rücken. Zudem würde die Steuerbelastung tendenziell steigen und Deutschland im Steuerwettbewerb benachteiligen. Weiterhin wäre zu fragen, wie mit der Veräußerungsgewinnbesteuerung umzugehen wäre, die es, zumindest bei Streubesitz, vor der Einführung der Abgeltungsteuer nicht gab. Für die Attraktivität des Investitionsstandortes und die Innovationskraft der deutschen Volkswirtschaft ist daher von einer Abschaffung der Abgeltungsteuer abzuraten. Stattdessen sollte die Zinsbereinigung des Grundkapitals eingeführt werden.

  • 1 Deutscher Bundestag, Drucksache 16/4841.
  • 2 Siehe S. Homburg: Allgemeine Steuerlehre, 7. Aufl., München 2015.
  • 3 Siehe P. A. Samuelson: Tax deductibility of economic depreciation to insure invariant valuations, in: Journal of Political Economy 72 (1964), S. 604-606; S.-E. Johansson: Income taxes and investment decisions, in: Swedish Journal of Economics 71 (1969), S. 104-110.
  • 4 Siehe Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Stabile Architektur für Europa – Handlungsbedarf im Inland, Jahresgutachten 2012/13, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2012; D. Rumpf: Finanzierungsneutrale Integration der Abgeltungsteuer durch eine Zinsbereinigung des Grundkapitals, in: Steuer und Wirtschaft, Nr. 4, 2009, S. 333-345.
  • 5 Berechnung der Kapitalkosten unter Berücksichtigung der Gewerbesteuer (gewogener Durchschnittshebesatz, siehe K. Andrae: Grundsteuer und Gewerbesteuer: Update 2014 – Entwicklung der Hebesätze der Gemeinden mit 20 000 und mehr Einwohnern im Jahr 2014 gegenüber 2013, ifst-Schrift, Nr. 504, Berlin 2015), des Solidaritätszuschlags sowie der persönlichen Besteuerung auf der Anteilseigner­ebene. Von Regelungen zur Bemessungsgrundlage wird abstrahiert. Es wird ein nominaler Zinssatz in Höhe von 1,5% und ebenfalls ein Bereinigungszins in Höhe von 1,5% für die Modellierung der Zinsbereinigung des Grundkapitals unterstellt.
  • 6 Siehe Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt, Jahresgutachten 2015/16, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015, Kasten 26; sowie L. P. Feld, J. H. Heckemeyer, M. Overesch: Capital structure choice and company taxation: A meta-study, in: Journal of Banking & Finance 37 (2013), S. 2850-2866.
  • 7 Siehe für diese Idee P. Bofinger: Minderheitsvotum zum Kapitel Öffentliche Finanzen, Jahresgutachten des Sachverständigenrates 2015/16, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015.

Gute Gründe für eine substanzielle Kapitalbesteuerung

Mit der zunehmenden Bedeutung verteilungspolitischer Fragestellungen in der wirtschaftspolitischen wie akademischen Diskussion sind in den letzten Jahren auch Verteilungsfunktion und -wirkungen der Besteuerung wieder stärker in den Fokus gerückt. Insbesondere zieht angesichts der in vielen Ländern zunehmenden Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung generell, besonders aber der steigenden Konzentration im Bereich der Top-Einkommen und -Vermögen die Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen zunehmende Aufmerksamkeit auf sich. Neben einer wachsenden Zahl von akademischen Beiträgen weisen verschiedene aktuelle Publikationen aus den internationalen Organisationen auf die in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende merkliche steuerliche Entlastung hoher Einkommen und Vermögen und die sinkende generelle Progressivität der Steuersysteme bei gleichzeitig steigender Einkommens- und Vermögensungleichheit hin.1 In Deutschland hat Finanzminister Wolfgang Schäuble jüngst mit seinen Überlegungen, die erst 2009 eingeführte Abgeltungsteuer für Kapitaleinkünfte ab 2017 wieder abzuschaffen, die Diskussion um die Zukunft der Besteuerung von Kapitaleinkünften neu belebt.

Langfristige Trends der Kapitaleinkommensbesteuerung in der EU

In der Tat ist seit Anfang der 1980er Jahre ein genereller Trend zur steuerlichen Entlastung von Vermögen sowie von hohen Einkommen in den meisten EU-Ländern festzustellen.2 Im Bereich der Kapitaleinkommen schlägt sich dieser zunächst in sinkenden Einkommensteuerspitzensätzen und Körperschaftsteuersätzen nieder.3 So wurde zwischen 1998 und 2008 im Durchschnitt der gesamten EU28 der Einkommensteuerspitzensatz von 46% auf 38% reduziert (von 52% auf 47% in den alten und von 39% auf 28% in den neuen EU-Ländern).4 Mit den Konsolidierungserfordernissen im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise kehrte sich aufgrund der teilweise temporären Erhöhung der Spitzensteuersätze beziehungsweise der Einführung zusätzlicher Spitzensteuersätze für sehr hohe Einkommen diese Entwicklung wieder leicht um: So stieg im Durchschnitt der EU28 der Einkommensteuerspitzensatz bis 2014 wieder auf 40%, lag damit aber immer noch deutlich unter dem Wert von 1998. Der wesentlich ausgeprägtere Abwärtstrend der Körperschaftsteuersätze wurde durch die Krise lediglich verlangsamt, nach wie vor gehen die Sätze tendenziell nach unten. 2014 betrug der Durchschnitt in der EU28 25%, gegenüber 34% 1998. Besonders stark war der Rückgang in den neuen EU-Ländern (von 32% 1998 auf 19% 2014), aber auch die alten EU-Länder wiesen eine deutliche Abwärtsdynamik auf (von 35% 1998 auf 27% 2014).

Hinzu kommen strukturelle Veränderungen in der Ausgestaltung der Einkommensteuersysteme, die eine mäßige Besteuerung von Kapitaleinkommen beziehungsweise deren Besserstellung gegenüber den Arbeitseinkommen bewirken. In den 1990er Jahren ersetzten die skandinavischen Länder ihre bis dahin globalen durch duale Einkommensteuersysteme. Diese besteuern Kapitaleinkünfte mit einem moderaten einheitlichen Steuersatz, während Einkünfte aus unselbständiger und selbständiger Arbeit weiterhin einem progressiven Steuertarif unterliegen. Auch die meisten anderen EU-Länder haben inzwischen ihre Einkommensteuersysteme dualisiert und wenden auf alle oder einen Teil der Kapitaleinkünfte einen Proportionalsteuersatz an. Die Flat-Tax-Systeme, die derzeit in sieben der neuen EU-Länder gelten, besteuern Kapitaleinkünfte ebenso wie alle anderen Einkommensarten mit relativ geringen proportionalen Steuersätzen.

Entsprechend ist der maximale (für Höchsteinkommensbezieher geltende) Steuersatz auf Zinseinkünfte von 1998 bis 2008 in der EU28 von 24% auf 18% gesunken (in den alten EU-Ländern von 35% auf 24%, in den neuen EU-Ländern von 12% auf 10%). Als Teil der steuerlichen Konsolidierungsmaßnahmen haben die Hälfte der alten EU-Länder und auch einige neue EU-Länder in den letzten Jahren ihre Zinssteuersätze teilweise deutlich erhöht, sodass im Durchschnitt der EU28 der Zinssteuersatz 2014 wieder auf 22% (in den alten EU-Ländern auf 29%, in den neuen EU-Ländern auf 14%) angestiegen ist. Die Einkommensteuersätze auf Dividendeneinkünfte (ohne Vorbelastung durch die Körperschaftsteuer auf Unternehmens–ebene) wurden zwischen 1998 und 2008 noch deutlicher reduziert: von 26% auf 18% im EU28-Durchschnitt. Sie wurden allerdings jüngst in noch mehr alten EU-Ländern und wiederum einigen neuen EU-Ländern wieder angehoben: auf durchschnittlich 22% in der Gesamt-EU (28% in den alten und 14% in den neuen EU-Ländern) bis 2014.

Eine etwas andere Entwicklung ist bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen festzustellen: Im Durchschnitt der alten EU ist von 1998 bis 2014 der Steuersatz von 16% auf 25% gestiegen, in den neuen EU-Ländern dagegen von 18% auf 12% zurückgegangen; im Durchschnitt der EU28 war somit ein leichter Anstieg von 17% auf 19% zu verzeichnen.

In 16 EU-Ländern werden 2014 Zinseinkünfte höher oder zumindest nicht niedriger besteuert als 1998; bei den Steuersätzen auf Dividendeneinkünfte (ohne Vorbelastung mit Körperschaftsteuer) bzw. auf Veräußerungsgewinne trifft dies für elf bzw. 13 EU-Länder zu. Generell sind die Kapitalsteuersätze in den neuen EU-Ländern im Durchschnitt geringer als in den alten: erstens, weil eine (wenn auch kleiner werdende) Gruppe von Ländern ausgewählte Kapitaleinkommen jeweils völlig steuerfrei lässt; zweitens wegen generell geringerer Steuersätze, wenn Kapitaleinkommen besteuert werden. Bemerkenswert ist schließlich, dass die Kapitalsteuersätze trotz der jüngsten Erhöhungen 2014 im Durchschnitt der EU28 nur etwa die Hälfte des Einkommensteuerspitzensatzes für Arbeitseinkommen betragen.

In Deutschland wurde zwischen 1998 und 2014 der Spitzensteuersatz von 55,9% auf 47,5%, der Körperschaftsteuersatz von 56,5% auf 30,95% gesenkt. Mit der Einführung der Abgeltungsteuer 2009 wurde das Einkommensteuersystem im EU-Vergleich erst spät dualisiert. Die Steuersätze auf Zins- und Dividendeneinkünfte (ohne Körperschaftsteuervorbelastung) betragen 2014 mit 26,38% weniger als die Hälfte des Niveaus von 1998 (55,9%), mit Einführung der Abgeltungsteuer wurden sie aus der progressiven Besteuerung herausgenommen. Veräußerungsgewinne dagegen, die zuvor nach Ablauf der einjährigen Spekulationsfrist steuerfrei waren, unterliegen seit 2009 einem proportionalen Satz von 26,38%. Der Steuersatz für Zins- und Dividendeneinkommen liegt leicht unter dem Durchschnitt der alten EU-Länder, jener für Veräußerungsgewinne leicht darüber.

Gründe für Besteuerungstrends

Die skizzierten langfristigen Trends in der Besteuerung von Kapitaleinkommen haben mehrere Gründe. Sie sind sicherlich nicht unbeeinflusst geblieben von der aus den optimalsteuertheoretischen Ergebnissen der 1970er und 1980er Jahre abgeleiteten Empfehlung einer Nullbesteuerung von Kapitaleinkommen.5 Der Abwärtsdruck auf die Besteuerung von mobilem Kapital als Resultat des sich intensivierenden internationalen Steuerwettbewerbs spielte eine weitere wesentliche Rolle: auch deshalb, weil eine mangelhafte internationale Koordination die effektive Durchsetzung von Kapitalsteuern und die Bekämpfung von Steuerflucht in Niedrigsteuerländer zunehmend erschwerte.

In den letzten Jahren wird allerdings die Rolle der Steuerpolitik allgemein und der Besteuerung von Kapitaleinkommen im Besonderen nicht zuletzt vor dem Hintergrund der erwähnten zunehmenden Einkommens- und Vermögensungleichheit differenzierter diskutiert. So zeigt ein neues IWF-Papier,6 dass der lang angenommene negative Trade-off zwischen umverteilender Fiskalpolitik und Wachstum nicht notwendigerweise auftreten muss, sondern dass im Gegenteil Umverteilung – auch über die Steuerpolitik – positive Rückwirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben kann. Auch die OECD argumentiert, dass von einer Reduktion der Einkommens- und Vermögensungleichheit positive ökonomische Effekte – wie etwa die bessere Ausschöpfung von Talenten – erwartet werden können.7 Aber auch negative soziale und politische Externalitäten eines hohen Ausmaßes an Ungleichheit8 können durch eine progressivere Fiskal- bzw. Steuerpolitik eingedämmt werden.

Zur Zukunft der Kapitaleinkommensbesteuerung

Zur Stärkung der Progressivität der Besteuerung und zur höheren Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen bieten sich verschiedene Instrumente an.9 Neben der allgemeinen Vermögensteuer, der Erbschaft- und Schenkungsteuer und der Grundsteuer wird auch eine Rolle für die Besteuerung von Kapitaleinkommen gesehen. So können diese zunächst eine gangbare Alternative zu einer allgemeinen Vermögensteuer darstellen. Sie mögen nicht nur politisch leichter durchsetzbar sein, sondern vermeiden zwei zentrale Probleme einer allgemeinen Vermögensteuer: die Gefahr einer Substanzbesteuerung für Unternehmen bzw. private Haushalte in Phasen von sehr geringen Kapitalerträgen oder gar Verlusten einerseits und die einer Vermögensteuer inhärenten Bewertungsprobleme andererseits.10 Kapitaleinkommensteuern wirken darüber hinaus wie eine indirekte Bildungssubvention.11 Ihre Erhebung bzw. Erhöhung verringert die Realkapitalrendite und damit die Opportunitätskosten von Bildungsinvestitionen als enges Substitut. Die solchermaßen bewirkte Stärkung der Anreize für Investitionen in das Humankapital lässt positive ökonomische Effekte erwarten. Diamond und ­Saez12 nennen einige weitere Argumente für positive Kapitaleinkommensteuern: Sie ermöglichen die Senkung der Steuern auf Arbeitseinkommen für liquiditätsbeschränkte Steuerpflichtige in den unteren Einkommensbereichen mit entsprechenden Effizienzgewinnen. Bei Unsicherheit bezüglich künftiger Einkommensmöglichkeiten stärkt eine Kapitaleinkommensteuer, die Vorsorgesparen steuerlich verteuert, die Anreize dafür, möglichst lange erwerbstätig zu sein. Nicht zuletzt ist wegen der starken Konzentration der Kapitaleinkommen das Umverteilungspotenzial einer Einkommensteuer, die ausschließlich Arbeitseinkommen progressiv besteuert, Kapitaleinkommen aber steuerfrei lässt, begrenzt.

Einige neuere Beiträge erörtern darüber hinaus Argumente für eine progressive Besteuerung der Kapitaleinkommen, die in der finanzwissenschaftlichen Literatur der vergangenen Jahrzehnte nur wenige Befürworter fand.13 Zugunsten einer umfassenden progressiven Einkommensteuer ohne Unterscheidung zwischen Arbeits- und Kapitaleinkommen bringen Piketty, Saez und Zucman vor, dass vor allem im Bereich der oberen Einkommen die Abgrenzung zwischen Arbeits- und Kapitaleinkommen oft verschwimmt.14 Die Rückkehr zu einem globalen Einkommensteuersystem würde Möglichkeiten der Steuergestaltung in Form der Umdeklaration von Arbeits- zu Kapitaleinkommen beseitigen. Zudem würde eine progressive Kapitaleinkommensbesteuerung die Ungleichverteilung der Möglichkeiten der Haushalte, Ersparnisse zu bilden, abmildern.15 Atkinson16 schlägt für die unteren Einkommen einen geringeren Einkommensteuersatz für Arbeitseinkommen gegenüber Kapitaleinkommen vor. Farhi et al.17 zeigen, dass eine progressive Kapitaleinkommensteuer ein geeignetes steuerliches Instrument für eine Regierung sein kann, die ihre zukünftige Glaubwürdigkeit demonstrieren will, wenn diese von einer Eindämmung der Ungleichheit abhängt. Mit der zunehmenden Abschaffung von allgemeinen Vermögensteuern und der Senkung von Erbschaftsteuern, die in vielen Ländern zu beobachten ist, verliert schließlich das Argument, diese reduzierten die Notwendigkeit einer progressiven Kapitaleinkommensbesteuerung zur Begrenzung der Vermögensungleichheit,18 an Zugkraft.

Was sind die Implikationen dieser aktuellen akademischen Diskussion für die Zukunft der deutschen Kapitalertragsbesteuerung?

  • Erstens ist eine Erhöhung der Kapitaleinkommensteuersätze durchaus diskussionswürdig – zumal dann, wenn die zusätzlichen Steuereinnahmen zur Senkung anderer Steuern und Abgaben verwendet werden: Effizienzgewinne sind insbesondere durch die Senkung jener Abgaben zu erwarten, die (wie Sozialversicherungsbeiträge, Lohnsteuer oder Mehrwertsteuer) die Arbeitnehmer in den unteren Einkommensbereichen, deren Arbeitsangebot besonders sensibel auf die Besteuerung reagiert, stark belasten.
  • Dabei können diese höheren Kapitaleinkommensteuern zweitens durchaus als Substitut für die umstrittene Wiedereinführung einer allgemeinen Vermögensteuer dienen, da sie deren wichtigste Ziele gleichermaßen erfüllen können.19
  • Drittens sollte eine höhere Kapitaleinkommensbesteuerung zumindest insofern progressiv ausgestaltet werden, als die Ersparnisse von kleinen und mittleren Anlegern begünstigt werden, um deren langfristiges Vorsorgesparen nicht zu beeinträchtigen. Dies kann etwa durch die Gewährung ausreichender Freibeträge oder die Möglichkeit zur individuellen Einkommensteuerveranlagung geschehen.

Jedenfalls gibt es nicht nur gute verteilungspolitische, sondern auch ökonomische Gründe für eine substanzielle Kapitalbesteuerung. Und auch dafür, wie von der OECD angeregt,20 perspektivisch Optionen für eine Angleichung der Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkommen gründlich zu prüfen.

Die institutionellen Voraussetzungen für die effektive Durchsetzung von Kapitaleinkommensteuern haben sich in den letzten Jahren insbesondere auf der internationalen Ebene merklich verbessert. Der Spielraum für Steuerhinterziehung durch die Nutzung von Steueroasen bzw. die Verlagerung von mobilen Finanzanlagen in Länder mit geringen oder fehlenden Quellensteuern auf die Kapitaleinkünfte von Nicht-Gebietsansässigen hat sich mit der Erweiterung von Auskunftsverpflichtungen sowie der zunehmenden Zahl der Länder, die am System des grenzüberschreitenden automatischen Informationsaustausches über Kapitaleinkünfte Nicht-Gebietsansässiger teilnehmen, deutlich verringert. Entsprechend ist der Spielraum für die Besteuerung von Kapitaleinkommen entsprechend der länderspezifischen Präferenzen gestiegen – auch wenn diese etwa in Richtung einer progressiveren Besteuerung von Kapitaleinkommen gehen.21

  • 1 Vgl. z.B. IMF: Taxing Times, Washington DC 2013; M. Förster, A. Llena-Nozal, V. Nafilyan: Trends in Top Incomes and their Taxation in OECD Countries, OECD Social, Employment and Migration Working Paper, Nr. 159, 2014; A. Iara: Wealth Distribution and Taxation in EU Members, European Commission Taxation Paper, Nr. 60, 2015.
  • 2 Die hier für die EU-Länder zusammengefassten Entwicklungen gelten im Wesentlichen auch für die Gruppe der OECD-Länder; vgl. M. Förster, A. Llena-Nozal, V. Nafilyan, a.a.O.
  • 3 Vgl. zu den im Folgenden genannten Steuersätzen ZEW: Effective Tax Levels. Using the Devereux/Griffith Methodology, Mannheim 2014.
  • 4 Die alten EU-Länder sind der EU bis 1995 beigetreten; die neuen EU-Länder umfassen jene 13 mittelosteuropäischen Länder, die seit 2004 beigetreten sind.
  • 5 Vgl. für einen knappen Überblick N. G. Mankiw, M. Weinzierl, D. Yagan: Optimal Taxation in Theory and Practice, in: Journal of Economic Perspectives, 23. Jg. (2009), Nr. 4, S. 147-174.
  • 6 IWF: Fiscal Policy and Income Inequality, IMF Policy Paper, 2014; vgl. auch J. Ostry, A. Berg, C. G. Tsangarides: Redistribution, Inequality, and Growth, IMF Staff Discussion Note, Nr. SDN 14/02, 2014.
  • 7 Vgl. OECD: In it Together. Why Less Inequality Benefits All, Paris 2015.
  • 8 Vgl. für Überblick und aktuelle Literatur S. Bach: „Reichensteuer“-Diskussion: Hintergrund und Perspektiven, DIW Roundup, 2014.
  • 9 Vgl. für einen Überblick M. Schratzenstaller: Besteuerung höherer Einkommen und Vermögen – Internationale Entwicklungstendenzen, Möglichkeiten und Grenzen, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 82. Jg. (2013), Nr. 1, S. 13-34.
  • 10 Vgl. S. Bach, A. Thiemann: Hohes Aufkommenspotential bei Wiedererhebung der Vermögensteuer, in: DIW Wochenbericht, 93. Jg. (2016), Nr. 4, 2016, S. 79-89.
  • 11 Vgl. D. Schindler, H. Yang: Catalysts for Social Insurance: Education Subsidies vs. Real Capital Taxation, CESifo Working Paper, Nr. 3278, 2010.
  • 12 Vgl. P. Diamond, E. Saez: The Case for a Progressive Tax: From Basic Research to Policy Recommendations, in: Journal of Economic Perspectives, 25. Jg. (2011), Nr. 4, S. 165-190.
  • 13 Vgl. beispielhaft für eine ausführliche Behandlung der Argumente für proportionale statt progressiver Kapitaleinkommensteuern D. M. Radulescu: CGE Models and Capital Income Tax Reforms: The Case of a Dual Income Tax for Germany, Berlin, Heidelberg 2007.
  • 14 Vgl. T. Piketty, E. Saez, G. Zucman: Rethinking Capital and Wealth Taxation, Working Paper, 2013.
  • 15 Vgl. A. Iara, a.a.O.
  • 16 Vgl. A. B. Atkinson: After Piketty?, in: British Journal of Sociology, 65. Jg. (2014), Nr. 4, S. 619-638.
  • 17 E. Farhi, C. Sleet, I. Werning, S. Yeltekin: Nonlinear Capital Taxation without Commitment, in: Review of Economic Studies, 79. Jg. (2012), Nr. 4, S. 1469-1493.
  • 18 Vgl. R. Boadway: The Dual Income Tax System: An Overview, CESifo DICE Report, 2. Jg. (2004), Nr. 3, S. 3-8.
  • 19 Vgl. S. Bach, A. Thiemann, a.a.O.
  • 20 Vgl. M. Förster, A. Llena-Nozal, V. Nafilyan, a.a.O.
  • 21 Vgl. M. Mathé, G. Nicodème, S. Ruà: Tax Shifts, European Commission Taxation Paper, Nr. 59, 2015.

Abgeltungsteuer adieu: eine Frage des Anstands und gut für alle

Deutschland hätte ohne die über Jahrzehnte ständig dringlicher lockenden Sirenenrufe der Steuerparadiese heute keine Abgeltungsteuer. Dies gilt auch für die meisten anderen Länder, die das Prinzip der synthetischen, alle Einkommen gleich behandelnden Einkommensteuer zugunsten einer dualen Behandlung von Arbeits- und Kapitaleinkommen aufgegeben hatten. Und es gilt wohl für die globale Steuerlandschaft insgesamt.

Gradmesser unseres Demokratieverständnisses

Wenn aber die Einführung der Abgeltungsteuer zum Jahresbeginn 2009 eine Notwehrreaktion der damaligen Regierung auf den zunehmenden Aderlass der Staatsfinanzen Richtung Steueroasen war, ein erzwungener, alternativloser Schritt, um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden,1 dann müsste diese Steuer konsequenterweise mit dem Wegfall der Notsituation auch wieder zurückgenommen werden. Wird nun der von der OECD erarbeitete globale Standard zum automatischen Informationsaustausch, den auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU aufnimmt, ab 2017 in seiner Substanz umgesetzt und nicht wieder durch neue kreative Ideen der Finanzbranche ausgehöhlt, fällt ein wesentlicher Teil der Steuerautonomie an die nationalen Regierungen zurück.2 Dann sollte die Rückkehr auf „Start“, die Revision des Abwehrdispositivs, in erster Linie und diskussionslos eine Frage des politischen Anstands sein, des grundsätzlichen Demokratieverständnisses – losgelöst davon, wie man die Meriten der Abgeltungsteuer beurteilt und die verschiedenen Ziele staatlicher Steuerpolitik gewichtet. Die Abschaffung der Abgeltungsteuer wäre nicht mehr und nicht weniger als der Weg zurück zur ursprünglich von den Wählern doch offensichtlich gewünschten Gleichbehandlung von Arbeits- und Kapitaleinkommen bei der Finanzierung öffentlicher Aufgaben, einschließlich der Möglichkeit, gerade auch Kapitalerträge bei der Verfolgung verteilungspolitischer Ziele heranzuziehen.

Die in der Diskussion zugunsten der Abgeltungsteuer und gegen eine synthetische Einkommensteuer vorgebrachten Argumente wären anschließend in den demokratischen Diskurs einzubringen, unter Einhaltung der für normale Zeiten vorgesehenen institutionellen Abläufe. Wer sich an den Zufallsgeschenken aus der aufgezwungenen privilegierten steuerlichen Behandlung von Kapitaleinkommen festzukrallen versucht, die Deutschlands Vermögenden durch Bankgeheimnis, Stiftungen und andere Steuervermeidungsmodelle in den Schoß gefallen waren, der würde sich vermutlich auch weigern, eine gefundene Brieftasche ihrem Eigentümer zurückzugeben.

Die Kluft zwischen Reich und Arm

Aus ökonomischer Sicht ist die Ausgestaltung des Steuersystems einerseits für die Effizienz der Wirtschaft von Bedeutung oder, etwas griffiger ausgedrückt, für das Niveau und das Wachstum des Volkseinkommens. Zum anderen haben Steuern einen wesentlichen Einfluss auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen.

Die weltweit in vielen Ländern immer ungleicher werdende Verteilung der Einkommen und Vermögen wird schon längst nicht mehr nur in links der Mitte stehenden Medien und Organisationen thematisiert.3 Der letzte Paukenschlag kam von Oxfam, einem 1942 gegründeten unabhängigen Verbund von Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, deren Ziel eine gerechtere Welt ohne Armut ist. In einer parallel zum Weltwirtschaftsforum in Davos vorgestellten Studie berichtet Oxfam, dass 2015 die 62 reichsten Individuen der Welt gleich viel Vermögen besaßen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.4 Was diese Nachricht besonders erschreckend macht, ist die dahinter stehende, ungebrochene Dynamik. Die Zahl der Reichsten, die gleich viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit besitzen, scheint sich alle zwei Jahre zu halbieren: Von 388 auf 159 zwischen 2010 und 2012. Und auf 80 im Jahr 2014. Auch die Credit Suisse, über jeden Verdacht linkslastiger Voreingenommenheit erhaben, kam im letzten Jahr zu dem Schluss, dass sich die Hälfte der globalen Haushaltsvermögen in den Händen von nur 1% der reichsten Haushalte befindet.5 1% besitzt also gleich viel wie die restlichen 99%!

In Deutschland ist die Situation weniger dramatisch, aber der Trend ist auch hier eindeutig. Besaßen 1998 die reichsten 10% der Haushalte noch 45,1% aller Vermögen, war dieser Anteil bis 2013 auf 51,9% gewachsen. Das Spiegelbild hierzu stellt die ärmere Hälfte aller Haushalte dar. Deren Anteil am Nettovermögen schrumpfte in der gleichen Zeit von 2,9% auf nur noch 1% im Jahre 2013.6 Vergleichbares beobachtet man auch beim Einkommen. Vor 30 Jahren verdienten die einkommensstärksten 10% der Bevölkerung fünfmal so viel wie die schwächsten. Inzwischen liegt die Relation bei 7 zu 1.7

Das fortschreitende Auseinanderklaffen von Arm und Reich, das von der Globalisierung, Jahrzehnten der Deregulierung und einem falsch verstandenen Steuerwettbewerb begünstigt wurde, wird inzwischen von einem breiten Spektrum an Organisationen und Persönlichkeiten als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit angesehen. Dieses reicht von vielleicht parteiischen und ideologisch eher links stehenden Stimmen wie Oxfam und The Guardian über die wichtigsten internationalen Organisationen bis hin zum Papst.

An vorderster Front stehen der Internationale Währungsfond und die OECD, die beide angesichts ihrer Leistungsausweise kaum als linkslastig abgestempelt werden können.8 Angel Gurría, der Generalsekretär der OECD, hatte angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich schon vor zwei Jahren neben dem gezielten Einsatz von Erbschaftsteuern die stärkere Besteuerung von Vermögen und die Harmonisierung der Besteuerung von Kapital- und Arbeitseinkommen vorgeschlagen.9

Womit wir wieder bei der Forderung nach Abschaffung der Abgeltungsteuer wären. Natürlich wird dieser Schritt allein den Umverteilungstrend in Deutschland nicht brechen können. Dies bedarf weiterer, längst überfälliger Maßnahmen. Ein Teil kann nur auf internationaler Ebene implementiert werden. Immerhin scheint sich auch hier endlich etwas zu bewegen, wie der Vorstoß der EU-Kommission zeigt, der den Steuersparmodellen multinationaler Unternehmen endlich ein Ende machen soll. Bei anderen Begleitmaßnahmen, wie etwa der Reaktivierung der Vermögensteuer, liegt der Ball dagegen bei der Bundesregierung allein.

Abgeltungsteuer und Wirtschaftswachstum

Die gängige Meinung, die auch jetzt wieder als Warnschuss gegen Wolfgang Schäubles Pläne auftaucht,10 ist, eine weniger ungleiche Verteilung sei nur zum (inakzeptabel hohen) Preis eines geringeren Wohlstands zu erhalten: Wenn jeder ein gleich großes Kuchenstück erhält, will niemand mehr mithelfen, einen möglichst großen Kuchen zu backen. Nur wenn Einsatz, Risiko und Kreativität auch finanziell honoriert werden, schaffen wir Wohlstand und Wachstum. Angesichts eines solchen Trade-offs zwischen gleicherer Verteilung und gesamtwirtschaftlichem Wohlstand hängen steuerpolitische Positionen von der relativen Gewichtung dieser beiden Ziele ab, über die man selbstverständlich trefflich streiten kann.

Nun wird kaum jemand infrage stellen, dass eine völlige Gleichverteilung der Einkommen und Vermögen jede Wirtschaft zentraler Anreize beraubt und dem materiellen Wohlstand nicht förderlich sein kann. Wenige werden aber auch bezweifeln, dass es ein Maß an Verteilungsungleichheit gibt, ab dem sich ein weiteres Auseinanderklaffen der Schere kontraproduktiv auswirkt, und zwar nicht nur bezüglich der gesellschaftlichen Kohärenz, sondern auch für die materielle Wohlfahrt eines Landes.11 Wo diese Schwelle liegt, bleibt letztlich eine empirische Frage. Die schon genannte Studie des IWF kommt zu dem Schluss, dass die globalen Vermögensungleichgewichte inzwischen ein Ausmaß erreicht haben, bei dem jedes weitere Auseinanderklaffen das Wirtschaftswachstum dämpft. Im Umkehrschluss: Machen wir in dieser Situation die Kuchenstücke gleicher, wächst gleichzeitig auch der Kuchen. In Zahlen: Steigt der Anteil der mittleren und niedrigen Einkommen am Volkseinkommen um 1 Prozentpunkt, so erhöht sich das Wachstum während der nächsten fünf Jahre um 0,38 Prozentpunkte. Dagegen hat eine Erhöhung des Einkommens der oberen Einkommen um einen Prozentpunkt mit -0,08% einen marginal negativen Einfluss.12 In den Worten von IWF-Chefin Christine Lagarde: „(C)ontrary to conventional wisdom – the benefits of higher income are trickling up, not down. This, of course, shows that the poor and the middle class are the main engines of growth.“13

Für die Diskussion um die deutsche Abgeltungsteuer ist wichtig, dass dieser Zusammenhang nicht nur für ärmere Länder gilt, sondern auch für die Industrieländer mit ihren im Vergleich deutlich weniger ungleich verteilten Vermögen und Einkommen. Dies unterstreicht auch die OECD. Deren Experten kommen zu dem Schluss, dass das Volkseinkommen in Deutschland heute 6% höher wäre, wenn die Politik das seit den 1980er Jahren festzustellende weitere Auseinanderklaffen von Arm und Reich mit geeigneten Maßnahmen verhindert bzw. nicht noch provoziert hätte. Wichtig ist weiter, dass erst eine Abschaffung der Abgeltungsteuer, die ja kurioserweise noch vor kurzem unter Federführung des deutschen Finanzministers in einem Steuerabkommen mit der Schweiz festgeschrieben werden sollte, den Weg freimacht für einen Rückgriff auf Kapitalerträge für verteilungspolitische Ziele und die damit ermöglichten positiven Wachstumseffekte.

Vermögen- und Unternehmenssteuern

Die Abschaffung der Abgeltungsteuer wird nicht alle steuerpolitischen Probleme lösen. Aber es ist nicht sinnvoll, mit Hinweisen auf ungelöste Probleme etwa im Bereich der Unternehmenssteuern, auf unzulässige Doppelbesteuerung oder die steuerliche Bevorzugung der Fremdkapitalfinanzierung von Unternehmen für die Beibehaltung der Abgeltungsteuer als notwendigem Übel zu plädieren. Diese Fragen können und müssen separat diskutiert und gelöst werden.

Auch die etwa von Bert Rürup14 dem Sachverständigenrat zugeschriebene Überlegung, Staaten müssten Arbeit höher und das scheue Reh namens Kapital bevorzugt niedrig besteuern, wenn sie erfolgreich um mobile Produktionsfaktoren konkurrieren wollen, trifft aus zwei Gründen nicht (mehr) zu:

  1. Wenn der automatische Informationsaustausch eingeführt ist und funktioniert, werden Kapitalerträge deutscher Anleger immer in Deutschland und nach deutschen Steuersätzen versteuert, gleich in welchem Land ihre Vermögen angelegt sind.
  2. Wenn Vermögen von einem in Land A ansässigen Finanzinstitut verwaltet wird, bleibt völlig offen, in welchem Land daraus Produktivkapital wird. In diese Entscheidung fließt ein Spektrum anderer Faktoren ein, in das natürlich auch die Unternehmenssteuer gehört.

Die Abschaffung der Abgeltungsteuer ist nicht nur ein aus verteilungspolitischer Sicht unumgänglicher Schritt. Sie wird, ergänzt durch weitere Maßnahmen (Vermögensteuern, Schlupflöcher für multinationale Unternehmen), ihren Beitrag bei der Bewältigung weiterer staatlicher Herausforderungen leisten. Genannt sei die bröckelnde Infrastruktur, die jüngst zu Tage getretenen personellen und ausstattungsmäßigen Defizite bei Bundeswehr und Polizei, die Flüchtlingskrise und der internationale Terrorismus.

Fazit

Es ist störend genug, dass anscheinend jeder wirtschaftlichen und politischen Herausforderung so begegnet wird und jede Krise so gelöst werden muss, dass ein unverhältnismäßiger Teil der Last auf den Schultern der weniger privilegierten Einkommens- und Vermögensschichten landet. Angesichts lang überfälliger erster Schritte bei der Bekämpfung der globalen Steuerhinterziehung ist es schlicht eine Frage des politischen Anstands, die Abgeltungsteuer nun wieder abzuschaffen. Nur das böte weiter die Möglichkeit, den auch in Deutschland spürbaren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufs Spiel setzenden Trend eines immer weiteren Auseinanderklaffens zwischen Arm und Reich zunächst zu stoppen und vielleicht unterstützt durch weitere Maßnahmen umzukehren. Anstatt der von Abschaffungsgegnern behaupteten inakzeptablen Kosten eines solchen Schrittes ist eher mit einem Bonus in Form von mehr Wachstum sowie höheren Steuereinnahmen zu rechnen und damit mit positiven Effekten im Bereich der zerbröselnden Infrastruktur und bei den vielen anderen heutigen und künftigen Herausforderungen für Deutschland.

  • 1 Ob dieser Schritt, der ja nur eine zweitbeste Lösung sein konnte, tatsächlich alternativlos war, muss man aus zwei Gründen bezweifeln: Zum einen, weil beispielsweise die USA schon vor Jahren gegenüber der Schweiz durchsetzen konnten, dass Konten von Kunden mit Steuerpflicht in den USA den US-Steuerbehörden zu melden waren. Die Schraube wurde in der Folge weiter und weiter angezogen, so dass viele Schweizer Banken sogar bestehende Konten von US-Bürgern kündigten. Zum anderen zeigen die Entwicklungen nach der Finanzkrise, dass die Duldung des Bankgeheimnisses durch die internationale Gemeinschaft bei vorhandenem politischen Willen durchaus nicht der einzige Weg war.
  • 2 Eine Beibehaltung der Abgeltungsteuer ohne diese durch den in normalen Zeiten gesetzlich vorgegebenen politischen Prozess zu schicken, wäre ja nur zu rechtfertigen, wenn man davon ausgeht, dass die Notsituation weiter bestehen bleibt.
  • 3 Einen neuen Schub und viele neue empirische Einsichten brachte dieser Diskussion natürlich T. Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2016.
  • 4 Oxfam: An economy for the 1%. How privilege and power in the economy drive extreme inequality and how this can be stopped, Oxfam Briefing Paper, Nr. 210, 18. Januar 2016, http://oxfamilibrary.openrepository.com/oxfam/bitstream/10546/592643/39/bp210-economy-one-percent-tax-havens-180116-en.pdf (27.1.2016).
  • 5 Credit Suisse Research Institute: Global Wealth Report 2015, Oktober 2015, https://publications.credit-suisse.com/tasks/render/file/?fileID=F2425415-DCA7-80B8-EAD989AF9341D47E.
  • 6 O.V.: Soziale Ungleichheit: Vermögen in Deutschland immer ungleicher verteilt, Zeit Online, http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-01/ungleichheit-vermoegen-reichtum-armut (25.1.2016).
  • 7 F. Cingano: Trends in Income Inequality and its Impact on Economic Growth, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, Nr. 163, OECD Publishing, 2014, http://dx.doi.org/10.1787/5jxrjncwxv6j-en (1.2.2016).
  • 8 Vgl. unter anderem E. Dabla-Norris et al.: Causes and Consequences of Income Inequality: A Global Perspective, IMF Staff Discussion Note, Juni 2015; und OECD: Divided We Stand: Why Income Inequality Keeps Rising, OECD Publishing, 2011.
  • 9 Vgl. auch M. Förster, A. Llena-Nozal, V. Nafilyan: Trends in Top Incomes and their Taxation in OECD Countries, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, Nr. 159, http://dx.doi.org/10.1787/5jz43jhlz87f-en (Mai 2014).
  • 10 Z.B. B. Rürup: Warum die Abgeltungsteuer besser ist als ihr Ruf, in: Handelsblatt vom 7.12.2015.
  • 11 Man kann davon ausgehen, dass der Einfluss der Einkommens- und Vermögensverteilung auf das Volkseinkommen grafisch durch eine buckelförmige Kurve dargestellt werden kann. Mehr Ungleichheit schafft zunächst Anreize und erhöht das Volkseinkommen. Wird eine (theoretisch nicht bestimmbare) Schwelle überschritten, drückt weiter steigende Ungleichheit auf das Volkseinkommen. Dies erinnert an die Laffer-Kurve. Sie war in den 1980er Jahren ein wichtiger Baustein der Reaganomics und wurde benutzt, um massive Reduktionen der Spitzensteuersätze durchzusetzen. Das damit verbundene Versprechen steigender Steuereinnahmen blieb allerdings unerfüllt. Aus heutiger Sicht kann die Laffer-Kurve, bzw. deren Interpretation, als Startschuss für anschwellende Staatsdefizite und akzelerierende Einkommens- und Vermögensungleichheit angesehen werden. Und, was den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Wohlstand angeht, geht es heute wie bei der Laffer-Kurve wieder um die Frage, auf welcher Seite einer buckelförmigen Kurve wir uns befinden.
  • 12 M. Förster et al., a.a.O.
  • 13 C. Lagarde: Lifting the Small Boats, Vortrag, Grandes Conferences Catholiques, Brüssel, 17. Juni 2015, https://www.imf.org/external/np/speeches/2015/061715.htm (9.2.2016).
  • 14 B. Rürup, a.a.O.

Die Abgeltungsteuer löst keine Probleme, sondern ist selbst ein Problem

Die Abgeltungsteuer war schon von Anfang an verfehlt. Sie hat ökonomisch eine unerwünschte Lenkungswirkung und verschärft die Ungleichheit. Die Hoffnungen auf eine massive Vereinfachung der Besteuerung von Kapitalerträgen hat sie nicht erfüllen können. Obendrein ist sie verfassungswidrig. Höchste Zeit, sie abzuschaffen!

Die Hoffnung „lieber 25 von x als 42 von nix“ wurde nicht erfüllt

Die Abgeltungsteuer war bei ihrer Einführung 2009 ein Beitrag Deutschlands zum internationalen Steuerwettbewerb und kann als Konzession gegenüber der Finanzbranche gewertet werden, die bereits seit Jahren in diese Richtung lobbyierte. Das Hauptargument für die Aufgabe des Prinzips der synthetischen Einkommensbesteuerung war, dass eine Senkung des Steuersatzes für Kapitalerträge auf 25% die Bereitschaft der Kapitalanleger erhöhen würde, Erträge in Deutschland zu versteuern. Das brachte der berühmte Satz von Peer Steinbrück „lieber 25 von x als 42 von nix“ treffend zum Ausdruck. Doch die Belege dafür, dass tatsächlich mehr Anleger ihr Kapitaleinkommen in Deutschland versteuern, gibt es nicht. Die vorhandenen Daten sprechen vielmehr dafür, dass dieser Effekt nicht eingetreten ist, sondern es zu einem Rückgang der Steuereinnahmen aus Kapitalerträgen kam (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 3
Einnahmen der Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge
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Quelle: Daten: Bundesministerium der Finanzen, Monatsberichte 2008-2015; eigene Darstellung

Wäre 2009 das Argument „lieber 25 von x als 42 von nix“ zutreffend gewesen, hätte sich die Bemessungsgrundlage der Abgeltungsteuer ceteris paribus deutlich erhöhen müssen, dies insbesondere auf Zins- und Veräußerungserträge, deren Besteuerung tatsächlich drastisch reduziert wurde.1 Dass dem zumindest anfangs nicht so war, schreibt sogar das Bundesministerium der Finanzen (BMF) 2009 selbst: „Bei der Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge wurde das Vorjahresergebnis um -18,1% unterschritten [...]. Berücksichtigt man die Senkung des Steuersatzes von 30% auf 25%, so wird deutlich, dass sich die Bemessungsgrundlage nur wenig reduziert hat.“2 Von der Erhöhung der Bemessungsgrundlage war Deutschland im Jahr eins nach der Einführung also weit entfernt. Die Einnahmen sanken 2010 nochmals um 30% gegenüber 2009 und haben sich seither nie wieder erholt. Die sinkenden Einnahmen lassen sich teilweise durch die niedrigeren Zinsen sowie die im Zuge der Finanzkrise gefallenen Wertpapierkurse erklären. Diese Erklärung ist aber höchstens partiell, denn sowohl die gesamtwirtschaftliche Leistung Deutschlands als auch der DAX ist seither im Verhältnis zu 2008 deutlich gestiegen. Jedenfalls gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Bemessungsgrundlage sich dank der Einführung der Abgeltungsteuer vergrößert hätte.3

Dass die vorgebrachte Logik der Regierung in Wirklichkeit nicht Bestand hielt, könnte unter anderem daran liegen, dass 25% Steuersatz auf hohe Kapitalerträge immer noch sehr viel Geld ist – bei 1 Mio. Euro sind es 250 000 Euro. Zudem kommt eine Studie4 der EZB zu dem Schluss, dass sogar im Steuerregime vor der Einführung der Abgeltungsteuer die Steuern auf Kapitalerträge noch um zwei Prozentpunkte hätten erhöht werden können, bevor eine weitere Erhöhung zu Mindereinnahmen geführt hätte.5 Da wir im Falle der aktuellen Kapitalbesteuerung weit von diesen Steuersätzen entfernt sind, scheint es eher am Durchsetzungswillen zu liegen, also am unzulänglichen Engagement für die Unterbindung von Steuervermeidung und -hinterziehung.

Doch genau diese Schwierigkeit verstärkt die Abgeltungsteuer weiter. Denn sie bewirkt, dass die Finanzämter keine Informationen über die Kapitalerträge der meisten steuerpflichtigen Personen haben. Somit können sie nicht mehr nachvollziehen, bei welchen Individuen aufgrund von verdächtigen Bewegungen der Kapitalerträge eine Prüfung der Steuererklärung gegebenenfalls sinnvoll wäre.

Die Abgeltungsteuer hat eine unerwünschte Verteilungswirkung

Die Privilegierung von Kapitalerträgen gegenüber Lohneinkommen bei der Besteuerung ist verteilungspolitisch nicht neutral, sondern führt zu mehr Ungleichheit. Denn Kapital und somit die daraus fließenden Einkommen sind in Deutschland ungleich verteilt. Über 25% der erwachsenen Personen in Deutschland verfügen über gar kein Vermögen, das Kapitalgewinne abwerfen könnte, während der Großteil des Kapitals und somit dessen Erträge in den Händen des reichsten Prozentanteiles der Bevölkerung liegen.6 Entrichtet also ein Arbeitnehmer mit einem steuerbaren Einkommen von ca. 49 000 Euro pro Jahr 25% seines Lohnes als Einkommensteuer an den Staat plus über 19% Abgaben, zahlt eine Kapitalbesitzerin, die 1 Mio. Euro pro Jahr an Kapitaleinkünften verdient nur 25% Steuern auf diese Einkünfte. Die niedrige Besteuerung von Kapitalerträgen entlastet somit überproportional Personen mit sehr hohem Einkommen und verstärkt die Ungleichheit. Verteilungspolitisch hat die Abgeltungsteuer somit einen regressiven, also unerwünschten Effekt. Dies ist nicht nur aus Gerechtigkeitserwägungen heraus problematisch, sondern auch schädlich für die wirtschaftliche Entwicklung.7

Die Abgeltungsteuer verkompliziert die Besteuerung, statt sie zu vereinfachen

Geworben wurde für die Sonderbehandlung von Kapitalerträgen neben dem Argument der höheren Erträge für den Fiskus auch mit dem Argument der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens. Doch dieses Argument wurde ebenfalls widerlegt. Die Abgeltungsteuer ist so kompliziert, dass es selbst Jahre nach der Einführung noch keine zuverlässige EDV-technische Unterstützung in der Finanzverwaltung für sie gab. Die Einbeziehung der Kirchensteuer hat unzählige Verhandlungsrunden mit den Kirchen erfordert. Erst zum Jahresbeginn 2015 erfolgte die Umstellung vom komplizierten und datenschutzrechtlich problematischen Antragsverfahren auf ein automatisiertes Verfahren zum Abzug der Kirchensteuer.

Die Ungleichbehandlung von Einkünften aus unterschiedlichen Einkommensarten zog in der Praxis außerdem zahlreiche unerwünschte Nebeneffekte nach sich. Abgrenzungsprobleme, Ausnahmeregelungen und Ausgestaltungsschwierigkeiten haben dazu geführt, dass sich allein im Jahressteuergesetz 2010 fast ein Drittel der Änderungen auf die Abgeltungsteuer bezogen.

Besonders problematisch ist die Abgeltungsteuer für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen sowie geringen Zinseinkünften. Diese müssen heute zunächst 25% Abgeltungsteuer zahlen, auch wenn ihr persönlicher Einkommensteuersatz geringer ist. Nur wer die Kosten und Mühen für die Abgabe einer Steuererklärung auf sich nimmt, erhält am Ende des Jahres die zu viel gezahlten Steuern zurück. Viele verzichten auf diesen Aufwand. Andere wissen nicht einmal, dass sie zu viel Steuern gezahlt haben. Hinzu kommt, dass Kleinsparer Steuern zahlen, weil sie vergessen haben, ihrer Bank ihren persönlichen Freibetrag zu melden. Millionen von Kleinsparern zahlen also entweder zu hohe Steuern oder werden mit Bürokratie belastet, während Spitzenverdiener milliardenschwere Entlastungen geschenkt bekommen. Aus der Verkomplizierung für den Kleinsparer entsteht so in der Praxis eine zusätzliche Ungerechtigkeit.

Die Abgeltungsteuer verschärft die wirtschaftspolitischen Fehlentwicklungen

Die Abgeltungsteuer führt dazu, dass Gewinne, die mit Eigenkapital erzielt werden in der Regel höher besteuert werden als Gewinne aus Fremdkapital. Dass das wirtschaftspolitisch verfehlt ist, wird besonders leicht sichtbar bei Banken und Versicherungen: Während der Gesetzgeber auf der einen Seite bei der Regulierung eine Mindestausstattung an Eigenkapital erzwingt, um die Stabilität der Finanzdienstleistungsunternehmen sicherzustellen, setzt er steuerpolitisch den gegenteiligen Anreiz, möglichst wenig Eigenkapital einzusetzen. Diese Inkonsistenz gilt auch für die Wirtschaft insgesamt. Während immer wieder besorgt auf die zu geringe Eigenkapitalausstattung insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen geschaut wird, setzt der Steuergesetzgeber mit der Abgeltungsteuer genau den gegenteiligen Anreiz.

Dies ist eine der Ursachen, die in den letzten Jahren zur Steigerung der Gesamtverschuldung der Volkswirtschaft und damit insgesamt zur Destabilisierung beigetragen haben. So stieg in den Industrieländern die gesamtwirtschaftliche Verschuldung von 167% (1980) auf 314% (2010), in Deutschland von 136% auf 241%.8 Der Zusammenhang dieser Entwicklung mit der Finanzkrise wird deutlich, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass Staaten wie Irland oder Spanien, die in besonderer Weise von der Finanzkrise getroffen wurden, diejenigen Staaten sind, in denen der Schuldenhebel am stärksten anstieg. Die Privilegierung von Fremdkapital fördert die Bildung von Kreditblasen und ist vor diesem Hintergrund wirtschaftspolitisch schwer begründbar.

Fehlanreize gibt die Abgeltungsteuer aber auch im Vergleich zwischen reinen Finanzinvestitionen und realen Investitionen. Wenn der Steuersatz auf die Zinsen von Anleihen niedriger ist als der Steuersatz auf eine unternehmerische Investition, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die realen Investitionen schwächeln und stattdessen das Geld in Finanzanlagen wie Anleihen fließt. Genau das ist aber seit Jahren in Deutschland der Fall. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schreibt: „Deutschland weist im Zeitraum zwischen 1999 und 2012 eine hohe durchschnittliche Investitionslücke von 2,5% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt auf.“9 Wenn man sich nun auf europäischer wie deutscher Ebene Gedanken darüber macht, wie die realwirtschaftlichen Investitionen gestärkt werden können, dann muss die Abgeltungsteuer abgeschafft werden.

Die Abgeltungsteuer ist verfassungswidrig

Die inhaltlichen Gründe wiegen schwer genug, um baldmöglichst wieder zur synthetischen Einkommensbesteuerung zurückzukehren. Besondere Dringlichkeit entfaltet außerdem die rechtliche Beurteilung, wie ein Gutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen 2015 darlegt.10 Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Abgeltungsteuer verfassungswidrig ist.

  • Die Abgeltungsteuer verstößt gegen die Gleichbehandlung aller Einkünfte: Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“) findet auch Anwendung im Steuerrecht. Er gebietet die Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und die gleichmäßige Besteuerung nach der individuellen Einkommensleistungsfähigkeit. Gesetze, die dagegen verstoßen, unterliegen besonderen Rechtfertigungsanforderungen. Die Abgeltungsteuer verstößt gegen diesen Grundsatz, denn durch die Einführung wurde eine gravierende Ausnahme in der synthetischen Besteuerung von Einkommen verankert. Während ein Jahreseinkommen eines Arbeitnehmenden von über 53 000 Euro mit 42% bis 45% besteuert wird, werden Kapitalerträge mit nur 25% besteuert. Einkommen aus Arbeit über dem genannten Grenzwert werden also um 68% bis 80% mehr besteuert als Kapitaleinkommen.
  • Die Abgeltungsteuer verstößt gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip: Auch das mit der Gleichbehandlung verbundene Leistungsfähigkeitsprinzip wird von der Abgeltungsteuer missachtet. Dieses Prinzip erfordert, dass die Besteuerung im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen des Steuerpflichtigen zu erfolgen hat.11 Die gleichmäßige Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip führt dazu, dass die Steuergerechtigkeit in zwei Dimensionen verwirklicht wird: horizontal, indem von Steuerpflichtigen mit gleicher Leistungsfähigkeit auch die gleiche Steuer bezahlt wird, vertikal, indem bei höherer Leistungsfähigkeit auch verhältnismäßig höhere Steuern zu entrichten sind.

Die Abgeltungsteuer verstößt augenscheinlich gegen das Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit und somit gegen die Steuergerechtigkeit. Die Kapitalerträge konzentrieren sich wie oben beschrieben im wohlhabenden Teil der Bevölkerung. Die niedrige Besteuerung von Kapitalerträgen entlastet somit überproportional Personen mit sehr hohem Einkommen.

Eine Abweichung von den genannten Prinzipien verlangt hohe Rechtfertigungsanforderungen. Die Abgeltungsteuer hat aber keine positiven Folgen in einem Ausmaß, das diesen Anforderungen genügen würde. Vor allem aber hat sich genau in diesem Bereich seit 2009 Entscheidendes geändert. Die internationale Kooperation beim Vorgehen gegen Steuerhinterziehung wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert, sodass von „nix“ nicht mehr die Rede sein kann. Die Möglichkeiten einer effektiven Durchsetzung des Steuerrechts sind aufgrund der internationalen Kooperation, die quasi zum Ende des Bankgeheimnisses führt, deutlich gestiegen. Wer heute sein Geld vor der Steuer verstecken will, muss immer aufwendigere und somit kostenintensivere Strukturen wählen. Das Gesetz zum automatischen Informationsaustausch von Konteninformationen wurde Mitte November 2015 vom Bundestag verabschiedet. Für die Jahre ab 2016 wird Deutschland zum einen Informationen über deutsche Konten an betreffende ausländische Staaten melden. Zum anderen erhalten die deutschen Finanzbehörden automatisch sämtliche Informationen über ausländische Konten von in Deutschland ansässigen und steuerpflichtigen Personen. Eine effektive Besteuerung von Kapitalerträgen ist damit jetzt auch ohne Abgeltungsteuer möglich. Eine Rechtfertigung für die Verletzung von Gleichheitsgrundsatz und Leistungsfähigkeitsprinzip ist spätestens jetzt nicht mehr gegeben.

Sogar der Initiator bedauert inzwischen – jetzt ist rasches Handeln erwünscht

Peer Steinbrück, der als Finanzminister die Abgeltungsteuer eingeführt hatte, räumte bereits 2012 ein, dass diese Privilegierung von Kapitalerträgen ein Fehler sei.12 Sein Nachfolger, Wolfgang Schäuble, zeigt sich offen für eine Abschaffung in der nächsten Legislaturperiode.13 Natürlich werden die Banken und ihre Freunde in Politik, Wissenschaft und Medien dagegen Sturm laufen. Denn es gehen nicht nur liebgewonnene Privilegien verloren. Auch administrativ wird die Rückkehr der einheitlichen Besteuerung der verschiedenen Einkünfte für die Finanzdienstleister eine große Herausforderung sein, wie es auch schon die Einführung der Abgeltungsteuer war. Übergangszeiträume werden nötig sein. Aber das Mitleid mit den Banken sollte sich in Grenzen halten. Schließlich haben sie jahrelang aus Eigeninteresse für die Abgeltungsteuer geworben und zwar mit falschen Versprechungen, die nicht eingelöst wurden.

  • 1 Mit der Einführung der Abgeltungsteuer wurde die Besteuerung von Dividenden nicht in gleichen Maße reduziert, wie die Besteuerung anderer Kapitalerträge, weil auf diese Einkünfte vor 2009 das Halbeinkünfteverfahren angewendet wurde.
  • 2 Bundesministerium der Finanzen: Monatsberichte 2008-2015, http://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Service/Monatsbericht/monatsbericht.html.
  • 3 Korrekterweise müsste diese Frage mit einem Modell berechnet werden. Die ersten Indizien zeigen jedoch nicht in die Richtung, dass heute ein größerer Teil der Kapitaleinkünfte besteuert wird, als vor der Einführung der Abgeltungsteuer.
  • 4 M. Trabandt, H. Uhlig: How far are we from the slippery slope? The Laffer curve revisited, National Bureau of Economic Research, Nr. w15343, 2009, S. 5.
  • 5 Das Argument, dass die Steuern gesenkt werden sollen, damit sie einfacher einzutreiben sind, hat sicherlich in bestimmten Höhen eine Berechtigung. Das Verhältnis von Steuersatz und Steuereinnahmen wird in den Wirtschaftswissenschaften mit der sogenannten „Laffer- Curve“ beschrieben. Die genaue Form dieser Kurve ist umstritten und von Land zu Land verschieden.
  • 6 M. Grabka, C. Westermeier: Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland, in: DIW Wochenbericht, Berlin 2014, Nr. 9, S. 151-164.
  • 7 OECD: Mehr Ungleichheit trotz Wachstum? Einkommensverteilung und Armut in OECD-Ländern, Paris 2009, S. 291.
  • 8 S. G. Cecchetti, M. S. Mohanty, F. Zampolli: The real effects of debt, Bank for International Settlements, Monetary and Economic Department 2011, http://www.bis.org/publ/othp16.pdf (1.10.2013).
  • 9 G. Baldi, F. Fichtner, C. Michelsen, M. Rieth: Schwache Investitionen dämpfen Wachstum in Europa, in: DIW Wochenbericht, Berlin 2014, Nr. 27, S. 369.
  • 10 Gutachten zur Abgeltungsteuer im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/finanzen/18-0535_Gutachten_Abgeltungsteuer.pdf.
  • 11 Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/apuz/155703/gerechtigkeits-prinzipien-des-deutschen-steuer­systems?p=all.
  • 12 P. Steinbrück: Gleichgewichtsstörungen, in: Die Zeit vom 6.4.2012.
  • 13 Spiegel Online vom 11.11.16, http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/steuern-wolfgang-schaeuble-will-Abgeltungsteuer-abschaffen-a-1061995.html.

Title:Abolition of the Withholding Tax – Fairer and Systematically More Consistent?

Abstract:There is a rising political discussion in Germany around abolishing the final withholding tax on capital income. The German tax reforms that introduced this tax lowered tax rates, in particular on interest income. According to some authors, the growing inequality of income and property is a strong argument for the higher taxation of capital income. However, other authors argue that the neutrality aspects concerning private investment are inadequate. An abolishment of the final withholding tax would not solve these problems and, moreover, would turn back the achieved improvements. Therefore, the German Council of Economic Experts suggests complementing the previous reforms by introducing an allowance for corporate equity.


DOI: 10.1007/s10273-016-1932-1

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