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In der Übergangsphase von technologischen Neuerungen kann es zu merklichen Dämpfeffekten auf die Produktivität kommen. Ein Teil der neuen Güter erscheint nicht in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, dort sind aber die negativen Substitutionseffekte sichtbar. Wenn dies ein tatsächliches Marktphänomen ist, dann sollte sich dies auch in einer gemessenen schwächeren Marktproduktion und Produktivität zeigen. Um die mit der digitalen Revolution entstehenden privaten neuen Güter und die damit verbundenen Wohlstandseffekte zu berücksichtigen, bietet sich eine gesonderte Analyse in einer Satellitenrechnung an.

In der aktuellen ökonomischen Diskussion werden auf den ersten Blick zwei zunächst scheinbar widersprüchliche Themen behandelt. Zum einen gibt es eine Reihe von Thesen, die für eine länger anhaltende wirtschaftliche Stagnation – und damit schwache Produktivitätsfortschritte und entsprechend moderate Wohlstandsgewinne – sprechen:1 Das im Gefolge der Staatsschuldenkrisen entstandene Niedrigzinsumfeld begrenzt die geldpolitischen Möglichkeiten bei einer dauerhaften Unterauslastung der Produktionskapazitäten. Die gegenwärtige Neuformierung der Schwellenländer verstärkt das Nachfrageproblem in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Aus angebotsseitiger Perspektive werden die Anpassungslasten infolge der absehbaren demografischen Entwicklung betont. Der Rückgang und die gleichzeitige Alterung der Bevölkerung sorgen für ein schwächer wachsendes Produktionspotenzial. Dies wird möglicherweise durch eine nachlassende Innovationsdynamik wegen fehlender Basisinnovationen verschärft. Gleichzeitig werden aber die hohen wirtschaftlichen Potenziale einer fortschreitenden Digitalisierung des Wirtschaftslebens betont. Die Anwendung digitaler Technologien – z.B. bei der Kommunikation zwischen Maschinen (M2M) und einer intelligenten Ausnutzung von großen Datenmengen (Big Data) – ermöglicht bei der Gestaltung der künftigen Wertschöpfungsprozesse zusätzliche Produktivitätsfortschritte.2

In Deutschland war in den letzten Jahren eine deutliche Verlangsamung des Produktivitätswachstums zu beobachten (vgl. Abbildung 1). Das jahresdurchschnittliche Wachstum der Arbeitsproduktivität lag von 2012 bis 2015 sowohl auf Basis des Kopfkonzeptes (0,2%) als auch des Stundenkonzeptes (0,5%) unter dem langfristigen Durchschnitt. Auf Basis des Stundenkonzeptes beläuft sich dieser im Zeitraum 1995 bis 2015 auf 1,3% pro Jahr. Davon ist die aktuelle Entwicklung weit entfernt.

Abbildung 1
Produktivitätsentwicklung in Deutschland
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts je Erwerbstätigenstunde gegenüber Vorjahr in % und Jahresdurchschnitt 1995 bis 2015 in %
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Quellen: Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Vielfältige Erklärungen für die Produktivitätsschwäche

Die Erklärungen für das gegenwärtig schwache Wachstum der Arbeitsproduktivität in Deutschland sind viel­fältig:3 Beschäftigungserfolge für Geringqualifizierte, Produktmarkt- und Arbeitsmarktregulierungen, Arbeitskräf­te­hortung aus demografischen Erwägungen und aufgrund des Fachkräftemangels, Fehlen von Basisinnovationen und von vormaligen Restrukturierungsgewinnen. Im Kontext der digitalen Revolution ist es darüber hinaus denkbar, dass in den Unternehmen zunächst Arbeitsplätze entstehen, die betriebswirtschaftlich gesehen noch zu keiner marktgängigen Wertschöpfung führen. Unter dieser Perspektive finden etwa vorbereitende Arbeiten (z.B. Forschung) statt, die zwar mit Kosten, aber noch nicht mit Umsätzen verbunden sind. Allenfalls über das entsprechende Arbeitsentgelt schlägt sich der Beschäftigungsaufbau in der Entstehungs- und Wertschöpfungsrechnung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) nieder. Obwohl von der Digitalisierung künftig enorme Wachstumspotenziale erwartet werden, ist in den Anfangsphasen eines neuen technologischen Zeitalters eine schwache Produktivitätsentwicklung in Kauf zu nehmen. Brynjolfsson und McAfee verweisen dazu auf die Erfahrungen mit früheren Basistechnologien, wie z.B. der Elektrizität.4 Um die Produktivitätseffekte neuer Technologien in hohem Maß einzufahren, müssen erst komplementäre Produktionsfaktoren – z.B. das für die neuen Technologien relevante Humankapital – gebildet und oft auch ein organisatorischer Wandel durchlaufen werden.

Im Gefolge der Digitalisierung entstehen möglicherweise auch Arbeitsplätze, um die vielfältigen Sicherheitsaspekte in einer stärker digitalisierten und komplexeren Geschäftswelt zu gewährleisten.5 Für die Unternehmen entstehen zusätzliche Kosten, die möglicherweise nicht in den Preisen oder Umsätzen an die Kunden weitergegeben werden können. Auch hier tragen nur die entsprechenden Arbeitsentgelte dieser Erwerbstätigen im Rahmen der VGR zur Bruttowertschöpfung bei. Ob damit die Produktion und Produktivität ausreichend abgebildet wird, bleibt offen. Diese Probleme bestehen generell in einigen Dienstleistungsbereichen, für die kein ausreichendes statistisches Material über die Produktion und den Marktwert zur Verfügung steht.6 Hier erfolgen oft Hilfsrechnungen über die Arbeitskosten. Dabei wird unterstellt, dass die Leistungen mindestens so viel wert sind, wie die Kosten ihrer Bereitstellung.

Neue Güter und Produktivitätsmessung

Dass neue Güter und insbesondere Basistechnologien zu statistischen Verzerrungen bei der Produktions- und Produktivitätsentwicklung führen können, ist bekannt. Das Problem wurde 1987 prominent von Robert Solow mit dem häufig zitierten Satz „You can see the computer age everywhere but in the productivity statistics“ artikuliert und im Gefolge der Diskussion um die „New Economy“ herangezogen. Die zunehmende Produktion und Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien warfen bereits eine Reihe von statistischen Messproblemen auf.7 In den letzten Jahren hat diese Diskussion neuen Auftrieb infolge der „Digitalen Revolution“ bekommen.8

Neue Güter, die damit verbundene Produktion sowie der damit einhergehende Strukturwandel sind oftmals über einen bedeutsamen Übergangszeitraum mit den herkömmlichen Klassifikationen nicht sichtbar. Besonders bei Informationsgütern mit Netzwerkcharakter kann es zu einem Umkippeffekt kommen.9 Dieser führt dann zu merklichen statistischen Verzerrungen, wenn die neuen Güter nicht (vollständig) erfasst werden. Abbildung 2 veranschaulicht, dass neue Güter in einem ersten Stadium neben den Gütern einer etablierten Technologie entstehen und nachgefragt werden. Dies erfolgt in der Regel mengenmäßig nicht auf gleichem Niveau, sondern die Nachfrage nach den neuen Gütern nimmt oft erst langsam zu. Wird jedoch eine kritische Masse erreicht, dann kann sie explosionsartig ansteigen. Der Verbrauch schwenkt in einem relativ kurzen Zeitraum in hohem Maß von einem bisherigen auf ein neues Gut um und die Nachfrage nach dem bisher etablierten Gut geht genauso schlagartig zurück. Als ein potenzielles Beispiel können die Nutzung eines gebundenen und kostenpflichtigen VGR-Buches einerseits und die kostenlose Nutzung von Internetbeiträgen zur VGR (z.B. Wikipedia-Beiträge) genannt werden. Sobald die technischen Voraussetzungen – z.B. Computer, Smartphones, permanenter Internetzugang – eine entsprechende Verbreitung haben, kann ein solcher Substitutions- und Umkippprozess in Gang kommen.

Abbildung 2
Umkippeffekt bei neuen Gütern
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Quellen: Eigene Darstellung in Anlehnung an P. Krugman, R. Wells: Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 2010, S. 699.

Für die Produktions- und Produktivitätsmessung kann dieses Phänomen merkliche Auswirkungen haben, falls aufgrund der statistischen Klassifikationen und von Erhebungsproblemen nur die herkömmlichen Güter erfasst werden. Während einerseits die Nutzung der neuen Güter (z.B. Internetartikel zu den VGR) nicht in den Produktionsstatistiken erscheint, schlägt sich andererseits dort aber der Produktionsrückgang der früher etablierten Güter (VGR-Bücher) vollständig negativ nieder. Mit Blick auf Abbildung 2 erscheint dort nur die untere Linie, nicht aber die obere Linie. Dieser Mess-Bias hat nicht nur Auswirkungen auf das Niveau und die Struktur der Entstehungs-, Verwendungs- und Einkommensseite der gesamtwirtschaftlichen Leistung, also des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch die Wachstumsraten des BIP insgesamt und seiner Teilbereiche können vor allem in den Übergangsphasen solcher technologischer Neuerungen verzerrt werden – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Produktivitätsmessung.

In welchen Geschäftsfeldern sind solche Messprobleme am ehesten und stärksten zu vermuten?

  • Beim marktlichen Leistungsaustausch zwischen Unternehmen, dem sogenannten Business-to-Business (B2B), dürfte eine statistische Messung möglich und somit eine statistische Untererfassung der Produktion generell vermeidbar sein. Als Beispiele können mit Blick auf die Digitalisierung entsprechende IT- oder R&D-Leistungen im Umfeld des betrieblichen Internets der Dinge genannt werden. Für diese Leistungen gibt es Preise und Umsätze. Sie können in den VGR als Wertschöpfung und Vorleistung ausgewiesen werden.
  • Das Gleiche gilt im Prinzip auch für den Leistungsaustausch zwischen Unternehmen und privaten Haushalten, dem sogenannten B2C. Hier wird zwar ein herkömmliches (gebundenes VGR-Buch) durch ein neues Gut (kostenpflichtiger Download des digitalen VGR-Buches) substituiert. Beide Leistungen werden jedoch zu Marktpreisen bewertet und können statistisch als Wertschöpfung und als Konsum erfasst werden.
  • Statistische Probleme entstehen allerdings, wenn Güter – insbesondere Informationen – durch Konsumenten kostenlos für Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Diese C2B-Güter ersetzen zum Teil einen vormaligen Leistungsaustausch zwischen Unternehmen (B2B-Güter). Ein Beispiel wäre, dass private Haushalte wissentlich oder unwissentlich Marktdaten – etwa über Konsumgewohnheiten – den Unternehmen zur Verfügung stellen, die früher über Marktforschungsinstitute erhoben und aufbereitet wurden. Big Data und Cloud Computing ermöglichen diese Substitutionsprozesse.
  • Eine statistische und ökonomische Herausforderung stellt die kostenlose Bereitstellung von Gütern durch Konsumenten für Konsumenten dar. Infolge der Digitalisierung können zum Teil marktgeschäftliche B2C-Güter durch C2C-Güter ersetzt werden. Überspitzt entspricht dies einem Abgleiten von gesamtwirtschaftlichen Leistungen in die Schattenwirtschaft. Als Beispiel kann die kostenlose Nutzung von privat erstellten digitalen Dienstleistungen im Internet (wie z.B. Musik, Spiele, Lexika) genannt werden. Mit der herkömmlichen Messung in den VGR werden die zur Nutzung notwendige (einmalige) Anschaffung der Hardware (z.B. Smartphone oder Computer), die (monatliche) Nutzungsgebühr für den Internetzugang sowie etwa die Ausgaben für die Werbung im Internet erfasst. Die tatsächlich genutzten, meist kostenlosen Daten und Dienste erscheinen jedoch kaum, meistens überhaupt nicht im gemessenen Konsum und entsprechend auf der Entstehungs- und Einkommensseite. In einer Reihe von Fällen werden vielmehr nur die das BIP mindernden Substitutionswirkungen erfasst (vgl. Abbildung 2). Als Beispiel hierfür kann nochmals die Nutzung von privat erstellten kostenlosen Internet-Enzyklopädien genannt werden. Während deren Nutzung nicht in den VGR erscheint, schlägt sich dort aber der Produktionsrückgang von gedruckten Büchern negativ nieder. Des Weiteren kann eine zunehmende Verbreitung der Sharing-economy genannt werden.10 Auf Basis der neuen Kommunikationstechnologien – vor allem des Smartphones – können private Konsumenten erheblich einfacher (langlebige) Gebrauchsgüter gemeinsam nutzen. Für diese Leistungen, die zweifellos für alle Beteiligten eine Wohlfahrtssteigerung bedeuten, werden keine marktmäßige Beschäftigung, Einkommen, Wertschöpfung und Konsum ausgewiesen. Vielmehr kann es dazu kommen, dass aufgrund der effizienteren Nutzung der bestehenden Güterbestände (z.B. Fahrzeugflotte oder Werkzeuge) die Käufe und die Produktion von neuen Gütern (Pkw oder Bohrmaschinen) zurückgehen. Positiv zu Buche schlagen die Käufe von Hardware (z.B. Smartphones) zur Nutzung dieser Dienstleistungen.

Konzepte zur Messung der digitalen Güter

Vor dem Hintergrund einer nicht ausreichenden Erfassung von neuen Gütern infolge der Digitalisierung wurden bereits Verfahren entwickelt, um den Wert dieser Leistungen zu schätzen.11 Zum Beispiel wird eine Konsumentenrente für Internetleistungen ermittelt. Eine Konsumentenrente ist generell die Differenz zwischen dem Preis, den man bereit ist für das Gut zu zahlen und dem tatsächlich zu zahlenden Preis. Oftmals sind digitale Leistungen – insbesondere im Bereich C2C – kostenlos, was bei diesem Messansatz zu einer entsprechend höheren Konsumentenrente und einem entsprechend höheren Konsum- sowie Einkommensäquivalent führt. Ersetzt man z.B. eine gedruckte Tageszeitung, für die man 1 Euro zahlt, durch eine kostenlose Internet-Zeitung, dann steigt die Konsumentenrente um eben diesen Euro.12 Der Wert der digitalen Leistung wird also über den Wert des entsprechenden Substitutionsgutes berechnet. Dieser Ansatz funktioniert vor allem dann, wenn es diese Alternativgüter (noch) gibt.

Bei einem anderen Verfahren wird zum einen die Zeit berücksichtigt, die man freiwillig im Internet verbringt und zum anderen der Arbeitslohn. Daraus wird berechnet, was man anstelle der Internetzeit hätte verdienen können. Auch dieser Opportunitätskostenansatz soll Rückschlüsse auf den Wert der Leistungen und den entsprechenden Konsum liefern.13 Die Untersuchung von Brynjolfsson und Oh aus dem Jahr 2012 zeigte, dass die Internetnutzung und der hierzu geschätzte Konsum in den USA stärker angestiegen sind als das reale BIP.14 Entsprechend wäre das Wachstum des BIP und der Produktivität inklusive der auf Basis unterschiedlicher Ansätze geschätzten digitalen Ökonomie höher ausgefallen – und zwar um 0,3 Prozentpunkte pro Jahr.

Anmerkungen zur Weiterentwicklung der VGR

Wenn infolge von neuen Gütern, die statistisch nicht oder nur unzureichend erfasst werden können, das Niveau, die Struktur und die Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Leistungen nicht mehr adäquat in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen wiedergegeben werden, dann handelt es sich auf den ersten Blick um ein ernstes statistisches Problem. Das BIP und andere VGR-Größen verlieren dadurch offensichtlich als wichtige Bezugsgrößen an ökonomischer Aussagekraft. Konjunktur-, Struktur- und Verteilungsanalyse wären auf Basis der VGR nur noch eingeschränkt möglich. Nach der breit angelegten Diskussion „Beyond GDP“ würde dies erneut die VGR als die wichtigste Basisstatistik für makroökonomische Analysen schwächen.

Dies spricht zunächst für die Anwendung von neuen Konzepten, um den Wert der digitalen Güter zu schätzen. Auf Basis von Modellrechnungen kann wie erwähnt eine Konsumentenrente für die Internetleistungen ermittelt werden. Oder es wird die Zeit bewertet, die man freiwillig im Internet verbringt, um damit Rückschlüsse auf den Wert der Leistungen und den entsprechenden Konsum (Verwendungsseite des BIP) zu erhalten. Im Systemzusammenhang der VGR wären damit gleichzeitig Einkommensäquivalente (Einkommensseite) und eine entsprechende Wertschöpfung (Entstehungsseite) verbunden – mit den jeweiligen Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Einkommens- und Wertschöpfungsstruktur. Brynjolfsson und McAfee betonen ausdrücklich, dass digitale Leistungen zweifellos die Wohlfahrt in einem Land steigern, was jedoch in den VGR nicht (vollständig) sichtbar wird.15 Dementsprechend dürfen diese Leistungen unter Wohlfahrtsgesichtspunkten nicht ignoriert werden.

Bei der Integration der digitalen Ökonomie – vor allem der auf der Konsumentenebene stattfindenden Leistungen – in die VGR und das BIP sind aber folgende Argumente zu beachten:

  1. Die Modellschätzungen können als eine Annäherung an die wahrgenommene Realität verstanden werden. Bei ihrer Integration in die VGR gilt allerdings zu bedenken, dass damit das Gewicht der modellbasierten VGR-Komponenten und der Modellgehalt der VGR insgesamt weiter ansteigen. Tatsächliche Beobachtungen und Informationen über messbare Marktaktivitäten verlieren relativ an Bedeutung. Dies war bei einer Reihe von bisherigen Revisionspunkten der Fall und führte dazu, dass die VGR teilweise an Aussagekraft für Konjunkturanalysen einbüßten.16 Der Konjunkturverlauf wurde infolge dieser Revisionen auch für weit zurückliegende Jahre glatter. Der VGR-Nutzer ist folglich mit einem Trade-off zwischen zeitkonsistenten Datenreihen und echtzeitakuraten Daten konfrontiert.
  2. Jeder – möglicherweise gut begründbare Eingriff in eine Teilrechnung – erfordert entsprechende Anpassungen in den anderen Teilrechnungen der VGR. Mit einem zusätzlichen digitalen Konsum entstehen im Systemzusammenhang auch entsprechende VGR-Einkommen, die möglicherweise in der Realität nicht leicht zu interpretieren sind. Bei der VGR-Generalrevision von 2005 wurde z.B. ein neues Konzept zur Messung von Finanzserviceleistungen, das FISIM (Financial Intermediation Services Indirectly Measured) eingeführt.17 Der größte Teil der FISIM wird als Dienstleistungsentgelt den privaten Konsumausgaben zugerechnet.18 Entsprechend wurden die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte sowie deren Vermögenseinkommen angehoben – mit merklichen Auswirkungen auf die statistisch dargestellte funktionelle Einkommensverteilung und ihre Interpretation.19 Eine künftige Einarbeitung von digitalen Leistungen, unabhängig davon, ob ihnen tatsächliche Beobachtungen oder Modellberechnungen zugrunde liegen, kann mit vergleichbaren Effekten auf die Einkommensrechnung einhergehen und für entsprechende Irritationen bei der Einkommensinterpretation sorgen. Definition und Höhe der makroökonomischen Einkommen entfernen sich dann möglicherweise weiter von der Realität.
  3. Inlandsprodukt und Nationaleinkommen sind explizit keine Maßstäbe für den Wohlstand, sondern weitgehend für die gesamtwirtschaftliche Marktproduktion und die damit verbundenen Markteinkommen.20 Sicherlich ist das Nationaleinkommen ein wichtiger Bestandteil einer Wohlstandsanalyse.21 Zudem wurde auch in der Vergangenheit immer wieder die Produktionsgrenze der VGR in den Bereich der Nichtmarktproduktion verschoben, mit entsprechenden Messproblemen.22 Ein umfassender Produktionsbegriff trägt dem Tatbestand Rechnung, dass nicht nur bei der Marktproduktion eine (besteuerbare) Entlohnung in Geld für die Arbeitsleistungen stattfindet. Entsprechende Bereiche der Nicht-Marktproduktion – z.B. beim Staat und den privaten Organisationen ohne Erwerbszweck – werden deshalb als gesamtwirtschaftliche Produktion gewertet. Auch mit Blick auf die Einarbeitung der digitalen Ökonomie in die VGR sollte die Entlohnung in Geld und die damit verbundene Marktorientierung dominieren. Letztlich sind nur die faktisch entstandenen Einkommen für viele wirtschaftspolitische Fragestellungen – z.B. im Bereich der Besteuerung oder Schuldentragfähigkeit – relevant. Das Gleiche gilt für das Abstecken von makroökonomischen Verteilungsspielräumen. Letztlich stehen nur die Produktion, die Produktivität und die Einkommen, die im marktlichen und marktnahen Bereich realisiert werden, zur Disposition. Konsum-, Wertschöpfungs- und Einkommensäquivalente, die in Ermangelung von tatsächlichen Informationen über Modelle berechnet werden, werfen vermutlich zusätzliche Probleme auf. So wichtig gute und umfassende Informationen über einen möglicherweise wachsenden Teil der digitalen Ökonomie für die Belange der Wohlfahrtsmessung sind, so problematisch können sie für wirtschaftspolitische Analysen und Schlussfolgerungen sein.

Insbesondere die Übergangsphase von technologischen Neuerungen, vor allem in Zeiten von sogenannten Umkippeffekten, kann mit merklichen Dämpfeffekten auf die Produktion und die Produktivität einhergehen. Während ein Teil der neuen Güter nicht in den VGR erscheint, sind dort aber vor allem die negativen Substitutionseffekte voll sichtbar. Wenn dies ein tatsächliches Marktphänomen ist, dann sollte sich dies auch entsprechend in der schwächeren Marktproduktion und der darauf basierenden Produktivität zeigen. Um die mit den neuen Gütern verbundenen Wohlstandseffekte zu berücksichtigen, bietet sich eine gesonderte Analyse in einer Satellitenrechnung zu den VGR an. Diese würde versuchen, den im Nicht-Marktbereich entstehenden Wohlstand zu quantifizieren. Die Kombination beider Betrachtungsweisen würde dann differenziert die gesamte Wohlstandsposition ergeben.

  • 1 Vgl. C. Teulings, R. Baldwin: Secular Stagnation: Facts, Causes and Cures, Brüssel 2014.
  • 2 Vgl. OECD – Organisation for Economic Cooperation and Development, OECD Digital Economy Outlook 2015, Paris 2015; K. Lichtblau et al.: Industrie 4.0-Readiness, Studie für die Impuls-Stiftung des VDMA, Köln, Aachen 2015.
  • 3 Siehe hierzu z.B. SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt, Jahresgutachten 2015/2016, Wiesbaden 2015, S. 283 ff.
  • 4 Vgl. E. Brynjolfsson, A. McAfee: The Second Machine Age. Work, Progress, and Prosperity in a Time of Brilliant Technologies, New York 2014, S. 102 ff.
  • 5 Vgl. OECD, a.a.O., S. 209 ff.
  • 6 Vgl. D. Brümmerhoff, M. Grömling: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, 10. Aufl., München 2015, S. 51.
  • 7 Vgl. B. van Ark: Measuring the New Economy: An International Comparative Perspective, in: Review of Income and Wealth, 48. Jg. (2002), Nr. 1, S. 1-14; T. Bresnahan, R. Gordon: The Economics of New Goods, Chicago 1996.
  • 8 Vgl. M. Mandel: Beyond Goods and Services: The (Unmeasured) Rise of the Data-Driven Economy, Washington DC, 2012; D. Coyle: GDP: A Brief But Affectionate History, Princeton, Oxford 2014, S. 126 ff.; E. Brynjolfsson, A. McAfee, a.a.O., S. 107 ff.
  • 9 Vgl. P. Krugman, R. Wells: Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 2010, S. 698 ff.
  • 10 Vgl. V. Demary: Mehr als das Teilen unter Freunden – Was die Sharing Economy ausmacht, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 2, S. 95-98.
  • 11 Vgl. A. Goolsbee, P. Klenow: Valuing Consumer Products by the Time Spent Using Them: An Application to the Internet, in: American Economic Review, 96. Jg. (2006), Nr. 2, S. 108-113; H. Varian: The Economics of Internet Search, in: Rivista di Politica Economica, Nov./Dec. 2006, S. 177-191; E. Brynjolfsson, J. Oh: The Attention Economy: Measuring the Value of Free Digital Services on the Internet, MIT-Working Paper, Cambridge, MA 2012.
  • 12 Vgl. E. Brynjolfsson, A. McAfee, a.a.O., S. 114.
  • 13 Eine Orientierung über den Zeitaufwand kann z.B. durch die Zeitbudget­erhebungen des Statistischen Bundesamts gewonnen werden. Bislang liegen hierfür drei Erhebungen – 1991/1992, 2001/2002 und 2012/2013 – vor (vgl. Statistisches Bundesamt: Wie die Zeit vergeht. Ergebnisse zur Zeitverwendung in Deutschland 2012/2013, Wiesbaden 2015).
  • 14 Vgl. E. Brynjolfsson, J. Oh, a.a.O.
  • 15 Vgl. E. Brynjolfsson, A. McAfee, a.a.O., S. 111 ff.
  • 16 Vgl. J. Richter: Kategorien und Grenzen der empirischen Verankerung der Wirtschaftsforschung, Stuttgart 2002; D. Brümmerhoff, M. Grömling: Ökonomische Auswirkungen von VGR-Revisionen, in: AStA – Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv, 6, 2012, H. 3-4, S. 133-148.
  • 17 Zu den Hintergründen siehe D. Brümmerhoff, M. Grömling: Volkswirtschaftliche ..., a.a.O., S. 106 ff.; F. Lequiller, D. Blades: Understanding National Accounts, 2. Aufl., Paris 2014, S. 124 f.
  • 18 Vgl. N. Räth, A. Braakmann et al.: Vergleichbare Zeitreihen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Revidierte Ergebnisse 1970 bis 1991 für das frühere Bundesgebiet, in: Wirtschaft und Statistik, 2006, H. 10, S. 1003-1020.
  • 19 Vgl. D. Brümmerhoff, M. Grömling: Ökonomische ..., a.a.O.
  • 20 Vgl. D. Brümmerhoff, M. Grömling: Volkswirtschaftliche ..., a.a.O., S. 329 ff.
  • 21 Vgl. Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages: Schlussbericht: Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft, Berlin 2013.
  • 22 Vgl. D. Brümmerhoff, M. Grömling: Volkswirtschaftliche ..., a.a.O., S. 99 ff.; F. Lequiller, D. Blades, a.a.O., S. 103 ff.

Title:Digital Revolution – New Challenges for National Accounting?

Abstract:In the transition periods between new technologies, marked setbacks in productivity growth are possible. Whereas new private goods are not fully visible in national accounts, often only their negative substitution effects turn up. If this is a market phenomenon, it should be reflected in weaker market production and productivity. In order to capture new private digital goods and their welfare effects, separate documentation in a satellite account is recommended.

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DOI: 10.1007/s10273-016-1938-8