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Der kommunale Finanzausgleich in Hessen wurde zum 1.1.2016 umfassend reformiert. Der folgende Beitrag befasst sich mit der Frage, in welchem Maße die Differenzen zwischen Steuerkraft und Finanzbedarf im neuen System ausgeglichen werden. Die Überlegungen erstrecken sich auf die Schlüsselzuweisungen für finanzschwache und die Solidaritätsumlage für finanzstarke Gemeinden. Hinsichtlich der grundlegenden Tarifeigenschaften lassen sich die Schlussfolgerungen auf andere Bundesländer übertragen.

Mehr als ein Drittel der kommunalen Einnahmen stammt aus Finanzzuweisungen der Länder.1 Dies unterstreicht die enorme Bedeutung des kommunalen Finanzausgleichs für die Finanzierung der Gemeinden und Gemeindeverbände. Das Verfahren ist im Detail länderspezifisch geregelt, doch die Vorgehensweise stimmt prinzipiell überein.2

Basis des kommunalen Finanzausgleichs ist die Verbundmasse (Finanzausgleichsmasse). Die Bundesländer sind nach Art. 106 (7) GG verpflichtet, ihre Gemeinden am Länderanteil an der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer zu beteiligen (obligatorischer Steuerverbund). Zudem können sie die Einnahmen aus den Landessteuern oder aus dem Länderfinanzausgleich einbeziehen (fakultativer Steuerverbund). Der prozentuale Anteil der Gemeinden – die Verbundquote – ist von den Bundesländern unter Beachtung der Aufgaben- und Ausgabenverteilung zwischen Land und Kommunen festzulegen. Aus der Verbundmasse werden allgemeine und zweckgebundene Finanzzuweisungen gezahlt. Allgemeine Finanzzuweisungen, zu denen insbesondere die Schlüsselzuweisungen zählen, sind ungebundene Finanzmittel zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs. Mit ihrer Vergabe sind horizontale Ausgleichswirkungen zwischen den Kommunen verbunden. Durch Zweckzuweisungen werden bestimmte Aufgaben der Kommunen dotiert. Der größte Teil entfällt auf Investitionszuweisungen. Die Mittel hierfür werden in der Regel vorweg aus der Finanzausgleichsmasse entnommen.

Der Stärkung der kommunalen Finanzkraft sowie dem Abbau von Finanzkraftdifferenzen dienen vor allem die Schlüsselzuweisungen. Dotiert werden sie aus der Schlüsselmasse, die sich aus der Verbundmasse nach Abzug der Zweckzuweisungen ergibt. Die Schlüsselmasse wird häufig in einem ersten Schritt nach Quoten auf kreisfreie Städte, kreisangehörige Gemeinden und Landkreise zerlegt. Die Verteilung der Schlüsselzuweisungen auf die einzelnen Kommunen orientiert sich an ihrem Finanzbedarf relativ zu ihrer Finanzkraft. Diese Größen werden durch eine Bedarfs- bzw. Ausgleichsmesszahl sowie eine Steuerkraftmesszahl zum Ausdruck gebracht. Auf der Kreisebene tritt eine Umlagekraftmesszahl (Steuereinnahmen plus Finanzzuweisungen der Gemeinden) an die Stelle der Steuerkraftmesszahl.

Die Ausgleichsmesszahl (AMZ) einer Gemeinde ergibt sich als Produkt aus Gesamtansatz (GA) und Grundbetrag (GB):

(1) AMZ  =  GA x GB

Der Gesamtansatz entspricht der Summe aus Hauptansatz und Ergänzungsansätzen. Der Hauptansatz basiert auf der Einwohnerzahl. Durch eine Hauptansatzstaffel wird versucht, mit der Gemeindegröße steigende Kosten der Leistungserstellung und besondere Bedarfe zentraler Orte zu berücksichtigen. Die Ergänzungsansätze sollen Sonderbedarfe einzelner Gemeinden abbilden (z.B. Soziallasten, Schülerzahl). Die Ausgleichsansprüche werden über den flexiblen, für alle Gemeinden gleichen Grundbetrag an die Schlüsselmasse angepasst.

Die Steuerkraftmesszahl einer Gemeinde (SMZ) ergibt sich im Wesentlichen aus den Einnahmen aus den Gemeindeanteilen an der Einkommen- und Umsatzsteuer sowie dem Aufkommen der Grund- und Gewerbesteuer (nach Abzug der Gewerbesteuerumlage). Allerdings geht nicht das tatsächliche, sondern das mithilfe normierter Hebesätze ermittelte Realsteueraufkommen in die Steuerkraftmesszahl ein. Damit wird gesichert, dass die kommunale Hebesatzpolitik keinen Einfluss auf die Schlüsselzuweisungen hat.

Übersteigt die Ausgleichsmesszahl die Steuerkraftmesszahl (AMZ > SMZ), so wird die Differenz gemäß Ausgleichstarif durch Schlüsselzuweisungen (SZ) abgebaut. Im einfachsten Fall eines proportionalen Ausgleichstarifs mit dem Ausgleichssatz a gilt:

(2) SZ  =  a (AMZ – SMZ)

Oftmals beinhaltet der Tarif neben dem allgemeinen Ausgleichssatz auch eine Mindestfinanzkraftgarantie. Abundante Gemeinden, deren Steuerkraftmesszahl ihre Ausgleichsmesszahl übersteigt (SMZ > AMZ), erhalten keine Schlüsselzuweisungen. Vielfach werden ihre Überschüsse durch eine Finanzausgleichsumlage zum Teil abgeschöpft und der Verbundmasse zugeschlagen.

Bei der Reform des kommunalen Finanzausgleichs in Hessen stand vor allem die Finanzausgleichsmasse und ihre Verteilung auf die kommunalen Gruppen im Fokus.3 Das Verbundsystem wurde durch ein recht komplexes bedarfsorientiertes Verfahren ersetzt, das die Ausgleichsansprüche der Gemeinden im Verhältnis zum Land und untereinander neu ausbalanciert. Darauf wird im Folgenden nicht eingegangen.4 Vielmehr konzentrieren sich die Überlegungen auf die Neuregelung des Ausgleichstarifs unter Einschluss der Solidaritätsumlage.

Schlüsselzuweisungen

Das neue Finanzausgleichsgesetz (FAG) differenziert bei kreisangehörigen Gemeinden (§ 17) und kreisfreien Städten (§ 23) zwischen den Schlüsselzuweisungen A und B:

  • Kommunen, „bei denen der Quotient aus der Steuerkraftmesszahl und dem Gesamtansatz weniger als 65% des Quotienten aus der Summe der Steuerkraftmesszahlen und der Summe der Gesamtansätze … erreicht, erhalten vorweg einen anteiligen Steuerkraftausgleich (Schlüsselzuweisung A). Dieser beträgt 65% des Unterschiedsbetrages zwischen den beiden Quotienten, vervielfacht mit dem Gesamtansatz der ausgleichsberechtigten“ kommunalen Gebietskörperschaft (§ 17.2, § 23.2 FAG).
  • Kommunen, „deren Steuerkraftmesszahl zuzüglich der Schlüsselzuweisung A niedriger ist als ihre Ausgleichsmesszahl, erhalten eine Zuweisung in Höhe von 65% der Differenz (Schlüsselzuweisung B)“ (§ 17.3, § 23.3 FAG).

Die Schlüsselzuweisungen A (SZA) beabsichtigen eine Vorwegauffüllung der Steuerkraft, während die Schlüsselzuweisungen B (SZB) die verbleibenden Differenzen zur Ausgleichsmesszahl zu 65% kompensieren. Für die Ermittlung der aufeinander aufbauenden Ausgleichszahlungen werden allerdings unterschiedliche Bezugsgrößen verwendet: der Gesamtansatz für die Schlüsselzuweisungen A und die Ausgleichsmesszahl für die Schlüsselzuweisungen B. Dies trägt gewiss nicht zur Transparenz des Ausgleichstarifs bei, zumal sich die Bezugsgrößen leicht vereinheitlichen ließen.

Schlüsselzuweisungen A

Formal hängen die Schlüsselzuweisungen A von der Summe der Steuerkraftmesszahlen (SMZº) und der Summe der Gesamtansätze (GAº) aller kreisangehörigen Gemeinden ab. Eine Empfängergemeinde muss folgende Bedingung erfüllen:

(3) SMZ/GA  <  0,65 SMZº/GAº

Beide Seiten der Ungleichung (3) werden durch den Grundbetrag dividiert. Im Nenner steht dann links die Ausgleichsmesszahl der Gemeinde und rechts die Summe der Ausgleichsmesszahlen aller Gemeinden:

(4) SMZ/AMZ  <  0,65 SMZº/AMZº bzw. SMZ  <  0,65 q AMZ     mit  q = SMZº/AMZº

Schlüsselzuweisungen A werden also gezahlt, wenn die Steuerkraftmesszahl kleiner ist als die Ausgleichsmesszahl multipliziert mit 65% des Quotienten aus der Summe der Steuerkraftmesszahlen und der Summe der Ausgleichsmesszahlen.

Nach den Daten des Hessischen Ministeriums der Finanzen beträgt der Quotient q 2015 etwa 0,734 für kreisangehörige Gemeinden bzw. 0,715 für kreisfreie Städte.5 Bei diesen Werten erhalten die kreisangehörigen Gemeinden Schlüsselzuweisungen A, wenn ihre relative Steuerkraft geringer ist als ca. 47,7% ihrer Ausgleichsmesszahl. Für die kreisfreien Städte liegt der kritische Wert bei ca. 46,5%.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes betragen die Schlüsselzuweisungen A „65% des Unterschiedsbetrages zwischen den beiden Quotienten vervielfacht mit dem Gesamtansatz“. Mit den beiden Quotienten scheinen SMZ / GA und SMZº / GAº gemeint zu sein.6 Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr wird bei der Ermittlung der Schlüsselzuweisungen A die Rechengröße 0,65 zweifach angewandt:

(5) SZA  =  0,65 (0,65 SMZº/GAº – SMZ/GA) GA

Das Hessische Ministerium der Finanzen verweist in diesem Kontext auf die Gesetzesbegründung: „Für besonders steuerschwache kreisangehörige Gemeinden und kreisfreie Städte wird eine neue Vorabzuweisung eingeführt. Unterschreitet ihre Steuerkraft 65% des Landesdurchschnitts ihrer Gruppe …, bekommen sie vorab die Differenz zu 65% ausgeglichen“.7 Nach Gleichung (5) erhält eine Gemeinde keine Schlüsselzuweisungen A, wenn sie genau den Grenzwert SMZ/GA = 0,65 SMZº/GAº erreicht. Zwischen Gemeinden, deren Steuerkraft noch unterhalb bzw. schon oberhalb des Schwellenwertes liegt, ist ein fließender Übergang gesichert.

Aus Gleichung (5) folgt unter Berücksichtigung des Zusammenhangs (1) für 0 < SMZ < 0,65 q AMZ:

(6) SZA  =  0,65 (0,65 q AMZ  –  SMZ)  

=  0,4225 q AMZ – 0,65 SMZ

FKA  =  SMZ + SZA  

=  0,4225 q AMZ + 0,35 SMZ

In dieser Darstellung lässt sich der Charakter der Schlüsselzuweisungen A viel besser erkennen. Gemeinden, deren Relation zwischen Steuerkraft- und Ausgleichsmesszahl kleiner ist als 65% des Durchschnitts, erhalten Schlüsselzuweisungen A. Diese gleichen die Differenz zu 65% des Durchschnitts zu 65% aus.8 Danach verfügt eine steuerschwache Gemeinde über eine Finanzkraft (FKA) in Höhe ihrer Steuerkraftmesszahl zuzüglich der Schlüsselzuweisungen A. Letztere garantieren für sich genommen eine Mindestfinanzkraft in Höhe von 42,25% des Quotienten q multipliziert mit der Ausgleichsmesszahl. Das wären bei q ≈ 0,734 rund 31% der Ausgleichsmesszahl.

Schlüsselzuweisungen B

Freilich sind dabei die Schlüsselzuweisungen B, die eine weitere Aufstockung der Finanzkraft bewirken, noch nicht berücksichtigt. Schlüsselzuweisungen B erhalten Kommunen, deren Steuerkraftmesszahl zuzüglich der Schlüsselzuweisungen A niedriger ist als ihre Ausgleichsmesszahl. Auch diese Differenz wird zu 65% ausgeglichen. Für die Schlüsselzuweisungen B gilt im Fall einer steuerschwachen Gemeinde mit 0 < SMZ < 0,65 q AMZ:

(7) SZB  =  0,65 (AMZ – SMZ – SZA)

=  (0,65 – 0,274625 q) AMZ – 0,2275 SMZ

Die Addition der Schlüsselzuweisungen A und B führt zu den gesamten Schlüsselzuweisungen und zur Finanzkraft einer steuerschwachen Gemeinde:

(8) SZ  =  SZA + SZB  

=  (0,65 + 0,147875 q) AMZ – 0,8775 SMZ

FK  =  SMZ + SZ  

=  (0,65 + 0,147875 q) AMZ + 0,1225 SMZ

Nach Schlüsselzuweisungen A und B verfügt eine relativ steuerschwache Gemeinde über eine Mindestfinanzkraft in Höhe von 65% zuzüglich 14,7875% des Quotienten q multipliziert mit der Ausgleichsmesszahl. Eine extrem finanzschwache kreisangehörige Gemeinde (SMZ = 0) erreicht (bei q ≈ 0,734) in Hessen eine Mindestfinanzkraft von ca. 75,85% der Ausgleichsmesszahl. Die eigene Steuerkraft wird den Gemeinden, die Schlüsselzuweisungen A und B erhalten, nach dem neuen Tarif nicht mehr zu 100% angerechnet. Eine Gemeinde, deren Steuerkraftmesszahl steigt, verliert per Saldo Schlüsselzuweisungen im Umfang von 87,75% des Zuwachses. 12,25% kann sie behalten. Der Ausgleichstarif ist damit deutlich anreizfreundlicher als die herkömmliche Sockelgarantie.

Nach Überschreiten des Grenzwertes werden im Bereich 0,65 q AMZ ≤ SMZ < AMZ nur noch Schlüsselzuweisungen B gewährt:

(9) SZ  =  0,65 (AMZ – SMZ)

FK  =  SMZ + SZ  =  0,65 AMZ + 0,35 SMZ

Gemeinden mit einer Steuerkraft zwischen 0,65 q AMZ und AMZ erhalten demnach eine Aufstockung in Höhe von 65% der Differenz zur Ausgleichsmesszahl. Ein Anstieg der eigenen Steuerkraft führt zu einer Grenzbelastung von 65% durch rückläufige Schlüsselzuweisungen. 35% des Zuwachses kann die Gemeinde vereinnahmen. Damit sind die Vorteile einer Erhöhung der Steuerkraft in diesem Bereich deutlich größer als darunter. Auch der neue Tarif reflektiert das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen Mindestfinanzkraftgarantie und Anreizeffekten des kommunalen Finanzausgleichs.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die „Vorabzuweisung“ einen Teil der gesamten Schlüsselmasse absorbiert. Die Schlüsselzuweisungen A sind zwar gemäß Gleichung (5) unabhängig vom Grundbetrag. Eine höhere Summe der Schlüsselzuweisungen A infolge einer Vergrößerung des Empfängerkreises reduziert aber das Volumen der Schlüsselzuweisungen B und damit den Grundbetrag. Dies trifft nicht nur steuerstarke Gemeinden, sondern mindert bei gegebener Schlüsselmasse auch die gesamten Schlüsselzuweisungen der Gemeinden, die schon zuvor Empfänger von Schlüsselzuweisungen A waren.

Abbildung 1 stellt die Ausgleichseffekte der Schlüsselzuweisungen in Hessen anhand der Finanzkraft nach Finanzausgleich dar. Bezugsgröße ist die Steuerkraft vor Finanzausgleich. Die durchgehende Relativierung mit der Ausgleichsmesszahl erlaubt einen Vergleich von Gemeinden unterschiedlicher Größe und finanziellen Gewichtes.

Abbildung 1
Schlüsselzuweisungen A und B
Angaben in %
31300.png

Quelle: eigene Darstellung.

Der aus den Schlüsselzuweisungen A und B insgesamt resultierende Ausgleichstarif sorgt erwartungsgemäß für eine Aufstockung der Finanzkraft aller Gemeinden, deren Ausgleichsmesszahl ihre Steuerkraftmesszahl übersteigt. Die Ausgleichseffekte liegen in der ersten Tarifzone über denen eines linearen Tarifs mit einem Ausgleichssatz von 65%, wie er ohne Schlüsselzuweisungen A gelten würde. Die Differenz zwischen der hell- und dunkelblauen Linie zeigt den Nettoeffekt der Schlüsselzuweisungen A. Deren Gewicht variiert mit der Relation zwischen der Summe aller Steuerkraftmesszahlen und Ausgleichsmesszahlen q.

Hierbei ist zu beachten, dass die formale Regelung der Schlüsselzuweisungen für finanzschwache Gemeinden den Auffülleffekt der Schlüsselzuweisungen A überzeichnet. Diese reduzieren das Volumen der „anschließend“ gewährten Schlüsselzuweisungen B. In einer Welt ohne Schlüsselzuweisungen A würden finanzschwache Gemeinden jedoch die vollen Schlüsselzuweisungen B erhalten. Aus dieser Sicht schrumpft die Vorweganhebung der Steuerkraft faktisch auf 35% der formal gewährten Schlüsselzuweisungen A.9

Insgesamt ist der neue hessische Ausgleichstarif für die Schlüsselzuweisungen positiv zu bewerten. Es handelt sich um einen gebrochen-linearen Tarif mit zwei Zonen (Gleichung 8 und 9). Der marginale Ausgleichssatz beträgt in der ersten Zone 87,75% und sinkt in der zweiten Zone auf 65%. Dies ist kein schlechter Kompromiss zwischen Anreizaspekten und horizontalen Ausgleichszielen. Weniger überzeugen kann allerdings die komplizierte Formulierung der gesetzlichen Bestimmungen.

Solidaritätsumlage

Neben der Neuregelung der Schlüsselzuweisungen sieht das neue FAG in den §§ 22 und 28 eine Solidaritätsumlage auf abundante Steuerkraft vor. Die Auffüllung der Steuerkraft für Gemeinden, deren Steuerkraftmesszahl ihre Ausgleichsmesszahl unterschreitet, wird damit ergänzt durch eine partielle Abschöpfung der Steuerkraft oberhalb der Ausgleichsmesszahl. Auch dieser Sachverhalt wird im Gesetzestext ungeschickt formuliert. Dort heißt es: Von Gemeinden, „deren Steuerkraftmesszahl zuzüglich der Schlüsselzuweisung A höher ist als ihre Ausgleichsmesszahl, wird eine Umlage erhoben, die … als Schlüsselzuweisung B verteilt wird. Die Umlage beträgt 15% des die Ausgleichsmesszahl um nicht mehr als 10% überschreitenden Anteils der Steuerkraftmesszahl und 25% des übrigen die Ausgleichsmesszahl überschreitenden Anteils der Steuerkraftmesszahl“. Schlüsselzuweisungen A fließen jedoch nur an Gemeinden mit SMZ < 0,65 q AMZ. Solche Gemeinden können nicht abundant sein.10 Infolgedessen erstreckt sich die Solidaritätsumlage (SU) einfach nur auf Gemeinden, deren Steuerkraftmesszahl höher ist als ihre Ausgleichsmesszahl.

Für abundante Gemeinden gilt ein gebrochen-linearer Abschöpfungstarif. In der ersten Zone wird die abundante Steuerkraft nur mit 15% belastet:

(10) SU  =  0,15 (SMZ – AMZ)

FK  =  0,85 SMZ + 0,15 AMZ

für AMZ < SMZ ≤ 1,1 AMZ

An der Obergrenze dieser Zone gilt SMZ = 1,1 AMZ und SU = 0,015 AMZ. Die Finanzkraft nach Finanzausgleich beläuft sich auf FK = SMZ – SU = 1,085 AMZ. In der darauf folgenden Abschöpfungszone erhöht sich die Belastung auf 25% der Steuerkraft oberhalb von 1,1 AMZ. Insgesamt gilt dort für die Solidaritätsumlage:11

(11) SU  =  0,25 SMZ – 0,26 AMZ

FK  =  0,75 SMZ + 0,26 AMZ

für  1,1 AMZ < SMZ

Abbildung 2 illustriert die Ausgleichseffekte der Solidaritätsumlage anhand der Finanzkraft nach Finanzausgleich in Bezug zur Steuerkraft vor Finanzausgleich, jeweils relativiert mit der Ausgleichsmesszahl. Die partielle Abschöpfung der abundanten Steuerkraft schließt sich unmittelbar an den Bereich an, bis zu dem Schlüsselzuweisungen gezahlt werden. Allerdings wird den steuerstarken Gemeinden viel weniger Steuerkraft entzogen als den finanzschwachen Gemeinden zugeführt wird. Der Abstand zwischen der schwarzen und hellblauen Linie zeigt oberhalb der Abundanzgrenze die Differenz im Vergleich zu einem linearen Tarif mit einer identischen Zuweisungs- und Abschöpfungsquote von 65%.

Abbildung 2
Schlüsselzuweisungen und Solidaritätsumlage
Angaben in %
31346.png

Quelle: eigene Darstellung.

Die Solidaritätsumlage erweitert den zweistufigen Zuweisungstarif durch einen ebenfalls zweistufigen Abschöpfungstarif zu einem vierstufigen Ausgleichstarif, der nicht nur Gemeinden mit einem ungedeckten Finanzbedarf einbezieht, sondern auch solche mit einer den Bedarf übersteigenden Finanzkraft. Die Ausgleichseffekte sind asymmetrisch, aber sie können im Vergleich mit einem kommunalen Finanzausgleich ohne Abundanzumlage durchaus als gerechter angesehen werden, zumal das Umlageaufkommen die Schlüsselmasse verstärkt. Erkauft wird die erweiterte Nivellierung durch eine höhere Grenzbelastung der abundanten Gemeinden, die bei einem Steuerkraftgewinn in der Spitze 25% davon durch die Umlage verlieren. Gemessen an den Grenzbelastungen der ausgleichsberechtigten Gemeinden, die zwischen 87,75% und 65% bei den Schlüsselzuweisungen verlieren, wenn ihre Steuerkraft steigt, ist dieser Effekt jedoch gewiss nicht zu beanstanden.

Eine Reformoption

Der hessische KFA-Tarif 2016 kann in seiner Grundstruktur durchaus überzeugen. Er ist aber recht kompliziert und seine Ausgleichseffekte bleiben intransparent. Dieser Befund geht wesentlich auf die (implizite) Verwendung des Quotienten aus der Summe der Steuerkraftmesszahlen und der Summe der Ausgleichsmesszahlen zur Abgrenzung der Schlüsselzuweisungen A und B zurück. Es ist keineswegs ersichtlich, warum die Grenze zwischen Gemeinden, die eine zusätzliche Aufstockung ihrer Finanzkraft via SZA erhalten sollen, und solchen, die dem normalen Ausgleich via SZB unterliegen, abhängig von q = SMZº / AMZº sein soll. Die Grenze ist dadurch variabel und unterscheidet sich zwischen den kommunalen Gebietskörperschaftsgruppen der kreisfreien Städte und der kreisangehörigen Gemeinden.

Viel einfacher wäre es, die erste Tarifzone von der zweiten durch einen festen Prozentsatz der Ausgleichsmesszahl zu separieren. Dies lässt sich anhand einer 50%-Regel illustrieren, die nahe bei der heutigen Lösung liegt. Der 65%-Tarif würde dann für alle Gemeinden gelten, deren Steuerkraftmesszahl größer oder gleich 50% ihrer Ausgleichsmesszahl ist. Im Bereich darunter muss festgelegt werden, wie weit die zusätzliche Aufstockung gehen soll. Hierzu bedarf es einer Vorstellung über die Mindestfinanzkraft, die selbst einer mittellosen Gemeinde zugestanden werden soll. Sie wird mit 75% der Ausgleichsmesszahl angesetzt, was ebenfalls nahe bei dem heutigen Wert liegt.12

Aus den Determinanten 0,75 AMZ als Mindestfinanzkraft, 0,5 AMZ als Grenze der Aufstockungszone und 0,65 als normaler Ausgleichssatz lässt sich ein gebrochen-linearer Tarif konstruieren, der beide Tarifzonen fließend verbindet (vgl. Abbildung 3). Eine modifizierte Abundanzumlage mit einem durchgehenden Abschöpfungssatz von 25% könnte diesen Schlüsselzuweisungstarif ergänzen und würde das System weiter vereinfachen. Dementsprechend kurz und prägnant ließen sich die gesetzlichen Tarifbestimmungen fassen:

  • Gemeinden, deren Steuerkraftmesszahl 50% ihrer Ausgleichsmesszahl unterschreitet, erhalten Schlüsselzuweisungen in Höhe von 75% der Ausgleichsmesszahl abzüglich 85% der Steuerkraftmesszahl;
  • Gemeinden, deren Steuerkraftmesszahl zwischen 50% und 100% ihrer Ausgleichsmesszahl liegt, erhalten Schlüsselzuweisungen in Höhe von 65% der Differenz zwischen Ausgleichsmesszahl und Steuerkraftmesszahl;
  • Gemeinden, deren Steuerkraftmesszahl ihre Ausgleichsmesszahl übersteigt, zahlen eine Solidaritätsumlage in Höhe von 25% der Differenz zwischen Steuerkraftmesszahl und Ausgleichsmesszahl.
Abbildung 3
Vorschlag für eine Tarifreform
Angaben in %
31006.png

Quelle: eigene Darstellung.

Fazit

Das hessische Finanzausgleichsgesetz ist hinsichtlich der tarifären Komponente ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Lösung. Bei der Vergabe der Schlüsselzuweisungen werden die Anreize der Kommunen zur Pflege der eigenen Steuerquellen gestärkt, ohne die Ausgleichsintensität spürbar einzuschränken. Mit der Solidaritätsumlage werden die finanzstarken Kommunen besser in den Finanzausgleich integriert, so dass insgesamt eine ausgewogenere Balance zwischen Anreiz- und Gerechtigkeitsaspekten zustande kommt. Ein Manko der Reform ist freilich ihre unnötig komplizierte und für den Außenstehenden schwer nachvollziehbare Umsetzung. In dieser Hinsicht besteht Verbesserungspotenzial, das bei einer Überarbeitung des Gesetzes genutzt werden sollte.

  • 1 Im Jahr 2014 lag der Anteil der Zuweisungen an den Gesamteinnahmen der Gemeinden in den Flächenländern bei 36,6%. In den alten Ländern war der Anteil mit 33,8% deutlich geringer als in den neuen Ländern mit 52,1%. Vgl. zu den Ausgangsdaten: Bundesministerium der Finanzen: Eckdaten zur Entwicklung und Struktur der Kommunalfinanzen 2005 bis 2014, Berlin 2015.
  • 2 Die Darstellung entspricht weitgehend den Ausführungen von W. Scherf: Kommunalfinanzen und Finanzausgleich, in: Das Wirtschaftsstudium (WISU), Nr. 2/2013, S. 230-232.
  • 3 Vgl. Gesetz zur Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Land und Kommunen vom 23.7.2015, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen Nr. 19, 3.8.2015, S. 298-314.
  • 4 Vgl. zur Bewertung des neuen Modells des kommunalen Finanzausgleichs: Stellungnahme der IHK Arbeitsgemeinschaft Hessen, Reform des kommunalen Finanzausgleichs in Hessen, Juni 2015, S. 15 ff.
  • 5 Die Angaben dienen der Illustration. Infolge der veränderten Bedarfsmessung dürften sich für 2016 etwas andere Werte ergeben. Die Systematik der weiteren Überlegungen bleibt davon unberührt.
  • 6 Eine Berechnung gemäß SZA = 0,65 (SMZº/GAº – SMZ/GA) GA würde der Limitierung des Empfängerkreises widersprechen. Gemeinden, die den Grenzwert erreichen, erhielten dennoch SZA. Hierdurch käme es in Verbindung mit den Schlüsselzuweisungen B zu einer Sprungstelle im Ausgleichstarif mit der Folge einer vom Landesgesetzgeber gewiss nicht beabsichtigten Übernivellierung zwischen Gemeinden, die noch Schlüsselzuweisungen A erhalten, und solchen, die knapp über dem kritischen Wert liegen.
  • 7 Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Land und Kommunen, Hessischer Landtag, 19. Wahlperiode, Drucksache, Nr. 19/1853, S. 94.
  • 8 Um Missverständnisse zu vermeiden und die tatsächlich angewandte Formel sowie die Ausgleichsfunktion der Schlüsselzuweisungen A im Gesetz klarer zu verankern, könnten die §§ 17.2 und 23.2 FAG passender formuliert werden: „Gemeinden, deren Quotient aus Steuerkraftmesszahl und Ausgleichsmesszahl kleiner ist als der Quotient aus 65% der Summe der Steuerkraftmesszahlen und der Summe der Ausgleichsmesszahlen, erhalten eine Schlüsselzuweisung A. Die Schlüsselzuweisung A beträgt 65% der Differenz zwischen den beiden Quotienten, vervielfacht mit der Ausgleichsmesszahl der ausgleichsberechtigten Gemeinde.“
  • 9 Formal gilt SZB = 0,65 (AMZ – SMZ) – 0,65 SZA. Ohne SZA wäre SZB’ = 0,65 (AMZ – SMZ). Für die tatsächliche Aufstockung gilt daher SZA’ = SZA – (SZB’ – SZB) = SZA – 0,65 SZA = 0,35 SZA.
  • 10 Die Voraussetzungen für Abundanz (AMZ < SMZ) und Schlüsselzuweisungen A (SMZ < 0,65 q AMZ) wären theoretisch unter der Bedingung AMZ < SMZ < 0,65 q AMZ zugleich erfüllt. Dies impliziert jedoch q > 1/0,65. Die Summe der Steuerkraftmesszahlen müsste dann die Summe der Ausgleichsmesszahlen um ca. 54% übersteigen, was praktisch ausgeschlossen werden kann. Im Übrigen wäre die Zahlung von Schlüsselzuweisungen an Gemeinden, deren Steuerkraft ihren Finanzbedarf übersteigt, finanzausgleichspolitisch widersinnig. Dieser Befund lässt die Orientierung am Durchschnittswert q prinzipiell fraglich erscheinen.
  • 11 Gleichung (11) ergibt sich aus SU = 0,015 AMZ + [0,25 (SMZ – 1,1 AMZ)]. Der erste Wert stellt die Belastung in Zone 1 und der Wert in der eckigen Klammer die zusätzliche Belastung in Zone 2 dar.
  • 12 Wenn die Relation q im neuen System 2016 von den Daten für 2015 gravierend abweicht, ändern sich auch die Eckwerte eines theoretisch äquivalenten Ausgleichtarifs. Die hier verwendeten „griffigen“ Werte wären dennoch problemlos realisierbar, da der flexible Grundbetrag zu jedem Tarif eine Ausschöpfung der vorhandenen Schlüsselmasse ermöglicht.

Title:The Compensation Tariff in the Hessian Municipal Financial Equalisation Scheme

Abstract:The municipal financial equalisation scheme in Hesse was reformed in 2016. This article discusses to what extent the new scheme levels the disparities between municipalities’ revenue-raising abilities and their financing needs. Special consideration is given to the financial grants paid to financially weak municipalities as well as the solidarity levy paid by financially strong municipalities. The new compensation tariff is a good compromise between efficiency goals and distributive goals.

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DOI: 10.1007/s10273-016-1958-4