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Der bundesstaatliche Finanzausgleich muss bis 2019 reformiert werden. Zwei Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen stellen hier dar, warum der heutige Finanzausgleich zu kompliziert, intransparent und ineffizient ist, und machen einen Reformvorschlag, der zu einem ähnlichen Ergebnis wie das bestehende Verfahren führt, aber einfach, transparent und effizient ist. Wesentliche Regelungen ihres Modells sind eine zentrale Finanzverwaltung, die Verteilung des Länderanteils am Gesamtsteueraufkommen nach der Einwohnerzahl (gewichtet mit dem Pro-Kopf-Einkommen des jeweiligen Landes) und Wegfall des heutigen Finanzausgleichs unter den Ländern.

Der bundesstaatliche Finanzausgleich wird derzeit in einem mehrstufi­gen Ver­fahren herbeigeführt. Zunächst werden die Aufkommen der einzelnen Steuern ganz oder teilweise den drei Ebenen im Staatsaufbau zugewiesen (vertikale Zuweisung der Steuerquellen). Dann wird das den Ländern insgesamt zur Verfügung stehende Steueraufkommen nach (für die einzelnen Steuerarten) ganz unterschiedlichen Schlüsseln – z.B. örtliches Aufkommen, Wohnort, Betriebsstätte, Einwohnerzahl, Steuerkraft vor Länderfinanzausgleich – auf die einzelnen Länder verteilt. Im nächsten Schritt wird über den Länderfinanzausgleich zwischen den 16 Bundesländern (horizontaler Finanzausgleich unter den Ländern) umverteilt – mit dem Ziel, die Steuerkraft pro Einwohner anzugleichen. Daran schließen sich (vertikale) Zahlungen von Bundesergänzungszuweisungen (BEZ) an. In der Form der Fehlbetrags-BEZ zahlt der Bund an finanzschwache Länder, um deren nach Länderfinanzausgleich erreichte (und offenbar als nicht hinreichend angesehene) Steuerkraft noch einmal anzuheben. In der Form der Sonderbedarfs-BEZ erhalten einzelne Länder (pauschale) Zuweisungen des Bundes, sofern bei ihnen bestimmte – im Finanzausgleichsgesetz (FAG) im Einzelnen genannte – Sonderlasten (z.B. teilungsbedingte Lasten der neuen Bundesländer) vorliegen.1

Wie vielfach beklagt wird, ist der gesamte Prozess höchst kompliziert und auch für Fachleute kaum transparent. Zudem nimmt das System den einzelnen Bundesländern weitgehend den Anreiz, selbst für Steuer­auf­kommen zu sorgen. Gegenstand immer neuer Auseinandersetzungen ist nicht die Frage, ob ein Finanzausgleich unter den Ländern überhaupt praktiziert werden sollte; er ist durch das Grundgesetz zwingend vor­geschrieben. „Durch Gesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird...“ (Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG). Umstritten sind dagegen die Detailregelungen für den Ausgleich, wie sie insbesondere im Maßstäbegesetz und im Finanzausgleichsgesetz niedergelegt sind.

Umstrittene Fragen

In der endlosen Diskussion um den Länderfinanzausgleich werden z.B. folgende Fragen aufgeworfen:

  • Wie wirkt sich eine bestimmte, prinzipiell Einnahmen generierende politische Maßnahme eines Landes (z.B. in der Strukturpolitik) letztlich auf seine eigenen Einnahmen aus?
  • Wie viel an zusätzlichen Einnahmen verbleiben einem Land, in dem sich z.B. das Aufkommen aus einer bestimmten Steuer um einen Euro erhöht (Verbleibsbeträge)?2
  • Ist ein Finanzausgleich unter den Ländern angemessen, in den zuletzt nur vier Länder einzahlten, aus dem aber zwölf Länder Zahlungen erhielten?3
  • Sollten Sonderbedarfe einzelner Länder (und welche?) überhaupt berücksichtigt werden?
  • Sollten die Einwohner von Stadtstaaten oder von dünn besiedelten Bundesländern besonders gewichtet werden?
  • Sollten die Gemeindesteuereinnahmen bei der Ermittlung der Finanzkraft oder des Finanzbedarfs des jeweiligen Landes berücksichtigt werden?
  • Sollte die Umverteilung eher horizontal auf Länderebene oder über vertikale Zahlungen des Bundes mit horizontaler Wirkung erfolgen?4

Die Aufzählung umstrittener Fragen ließe sich leicht fortsetzen. Insofern verwundert es nicht, dass es in der Vergangenheit immer wieder zu Klagen einzelner Länder gegen das System des Finanzausgleichs gekommen ist. Die aufgrund der Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1986, 1992 und 19995 jeweils umgesetzten Reformen haben aber an den grundsätzlichen Problemen nichts geändert, sondern lediglich einige Details angepasst. So war es auch mit der „Sternstunde des Föderalismus“, als welche noch die letzte Reform (2001) von den Politikern überschwänglich gefeiert wurde, schnell vorbei: Gegen das erst ab 2005 gültige und bis 2019 laufende Reformprojekt lagen dem Bundesverfassungsgericht bereits 2013 Klagen der Länder Bayern und Hessen vor. Zutreffender war hier wohl die Einschätzung vieler Wissenschaftler,6 die die Reformen von 1987 und 2001 als „vertane Chancen“ bezeichnet haben. Schlimmer noch: Einige „Reformen“ der vergangenen Jahre haben das Chaos eher noch vergrößert. Das gilt für die Neuregelung der Seehafenlasten ab 2005, das sogenannte Prämienmodell und die Einwohnergewichtung bei den Gemeinde­steuereinnahmen zugunsten der dünn besiedelten Bundesländer.7 Der geringe Erfolg der angestrebten Reformen ist auch damit zu erklären, dass man sich stets bemüht hat, ausschließlich Maßnahmen im Rahmen der derzeitigen grundgesetzlichen Regelungen zur Diskussion zu stellen, Verfassungsänderungen aber grundsätzlich ausgeschlossen hat. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte verlangt aber wohl auch eine geänderte, moderne Finanzverfassung.8

Reformmodell der Bundesländer

Diesen mutigen Schritt wollen die Bundesländer in Ihrem Modell zur Reform des Länderfinanzausgleichs9 nicht gehen, sondern lediglich punktuelle Änderungen des Finanzausgleichsgesetzes vornehmen. Trotz aller unterschiedlichen Positionen sind diese Vorschläge einstimmig verabschiedet worden, was wohl damit zu erklären ist, dass ein Modell erarbeitet worden ist, bei dem sich alle sechzehn Länder finanziell besser als ohne die Neuordnung stehen. Das überrascht allerdings; denn der Finanzausgleich unter den Ländern ist an sich ein Nullsummenspiel: Die empfangenden Länder können Zuweisungen nur in der Höhe erhalten, wie die leistenden Länder Beiträge zahlen. Insoweit muss es also stets Gewinner und Verlierer geben. Wenn das nicht so sein soll, muss von Außen (von Dritten) zusätzliches Geld in den Ausgleich gegeben werden. Und genau das geschieht heute schon und soll nach Vorstellung der Länder sogar ausgeweitet werden. Die vertikalen Zahlungen des Bundes in Form der Fehlbetrags-BEZ sollen entsprechend erhöht werden. Das ist verfassungsrechtlich nicht unproblematisch, denn die dem Bund nach Art. 107 Absatz 2 GG eingeräumte Möglichkeit derartiger Zuweisungen an leistungsschwache Länder hat einen eindeutig subsidiären Charakter. Freilich ist dieser längst abhanden gekommen. Im Ausgleichsjahr 2014 betrugen die horizontalen Zahlungen zwischen den Ländern rund 9 Mrd. Euro, die vertikalen Zahlungen des Bundes dagegen bereits 3,2 Mrd. Euro. Nach den Reformplänen der Länder soll sich diese Relation weiterhin zu Lasten des Bundes verschieben. Zusammen mit Umsatzsteueranteilen, die der Bund an die Länder abtreten soll, wird der Bund mit rund 9 Mrd. Euro belastet.

Der den Ländern zufallende Anteil am Umsatzsteueraufkommen soll nach dem Modell nur noch nach der Einwohnerzahl verteilt werden. Das wird sicher in der wissenschaftlichen Diskussion große Unterstützung finden; denn es wäre das Ende der sogenannten Ergänzungsanteile: Bisher können bis zu 25% des Länderanteils an der Umsatzsteuer vorweg an bedürftige Bundesländer gezahlt werden (Ergänzungsanteile), der Rest, also mindestens 75%, muss dagegen nach der Einwohnerzahl verteilt werden. Seit mindestens 30 Jahren wird gegen die Zahlung von Ergänzungsanteilen in der wissenschaftlichen Diskussion Sturm gelaufen, weil sie sachlich nicht zu vertreten ist. Der Wegfall wäre – für sich gesehen – sicher ein positiver Beitrag des Reformmodells.

Einen Finanzausgleich unter den Ländern soll es nicht mehr geben. Auch das wird sicher viel Zustimmung finden; denn der heutige horizontale Ausgleich ist kompliziert, undurchsichtig und vor allem ineffizient. Wie so oft steckt der Teufel aber im Detail: Der Umsatzsteueranteil der Ländergesamtheit wird nach dem Modell nicht nach der Einwohnerzahl verteilt, wie sie das Statistische Bundesamt für jedes Ausgleichsjahr (§ 2 Abs. 3 FAG) ermittelt, sondern nach einer gemäß der Finanzkraft der Länder gewichteten Einwohnerzahl. Bei dieser Gewichtung werden aber die besonders problematischen Aspekte des heutigen Länderfinanzausgleichs (Einwohnergewichtung zugunsten der Stadtstaaten und der dünn besiedelten Flächenländer sowie prozentuale Berücksichtigung bestimmter Gemeindesteuereinnahmen) herangezogen. Deshalb kann man auch kaum behaupten, das Ländermodell sehe die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs vor. Ganz im Gegenteil: Der horizontale Ausgleich zwischen den Ländern wird in die Umsatzsteuerverteilung hinein gezogen und damit noch undurchsichtiger und komplizierter. Auch an den Effizienzmängeln des heutigen Ausgleichs ändert sich nichts.

Es bleibt dabei: Das heutige System des Finanzausgleichs ist intransparent und anreizfeindlich. Dabei verwundert insbesondere, dass sich am Ende aller unterschiedlichen Verteilungsvorgänge und Feinanpassungen eine Finanzausstattung der einzelnen Länder ergibt, die sich, gemessen an der Einwohnerzahl des jeweiligen Landes, gar nicht so sehr unterscheidet.10 Auch deshalb muss man fragen, ob sich die ganze weitgehend undurchsichtige Rechnerei überhaupt lohnt oder ob man dieses Ergebnis nicht auch einfacher haben kann.

Günstiger Moment für eine Reform

Die Antwort darauf ist ein eindeutiges Ja. Dabei ist der Moment für eine Reform günstig: Da Ende 2019 das Finanzausgleichsgesetz, das Maßstäbegesetz und der Solidarpakt II auslaufen, steht ohnehin eine Neuregelung an und da obendrein – zum wiederholten Male – eine Verfassungsklage gegen das geltende System anhängig ist, sollte endlich dem bisher veranstalteten Unfug11 der Garaus gemacht werden. Wenn das wesentliche Ziel des Länderfinanzausgleichs in einer nahezu gleichmäßigen Pro-Kopf-Ausstattung aller Länder liegt, dann kann man von vorneherein auf eigene Ländersteuern oder Ländersteueranteile (an den Gemein­schaft­steuern) verzichten. Das setzt freilich voraus, dass die Regeln des Grundgesetzes über die Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 105 und 106 GG) geändert werden.

Dafür sind zwei Entscheidungen zu treffen:

  • Erstens ist festzulegen, wie das Gesamtsteueraufkommen nach Abzug des Anteils der Gemeinden (prozentual) auf Bund und Länder aufgeteilt werden soll. Dabei ist wie bei der heute nach Art. 106 Abs. 3 Nr. 1 GG vorgeschriebenen vertikalen Verteilung des Umsatzsteueraufkommens zu beachten, dass Bund und Länder „gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben“ haben. Natürlich gibt es dafür keinen ob­jek­tiven Maßstab.12 Insofern würde sich auch nichts an der Not­wendigkeit einer „politischen“ Entscheidung ändern.
  • Zweitens ist der auf die Ländergesamtheit entfallende Teil des Steuer­aufkommens auf die einzelnen Länder nach deren Einwohnerzahl aufzuteilen. Zu entscheiden ist, ob dabei die ungewichteten Ein­woh­ner­zahlen (so wie sie das Statistische Bundesamt für das jeweilige Ausgleichsjahr feststellt) zugrunde gelegt oder ob die Einwohner in bestimmter Weise gewichtet werden sollen. So oder so ließe sich die vertikale und die horizontale Finanzverteilung einfach und transparent gestalten.

Bei einem derartigen Modell könnte die Finanzverwaltung anders als heute ohne weiteres zentral, also vom Bund wahrgenommen werden; denn es bedarf keiner Ermittlung eines speziellen Ländersteueraufkommens. Damit würden auch mögliche Fehlanreize beseitigt, die heute immer wieder im geltenden System der Landessteuerverwaltungen vermutet werden: Die Länder hätten derzeit wenig Interesse daran, ihre Steuerverwaltungen personell und sachlich gut auszustatten, da sie vom erzielbaren Mehrauf­kommen kaum profitieren, eine mehr oder weniger strenge Steuerverwaltung aber durchaus ein Standortfaktor sein könnte.13

Verteilungsmaßstab Pro-Kopf-Inlandsprodukt

Natürlich bleibt zu prüfen, ob die Verteilung des Länderanteils am Gesamtsteueraufkommen nach der Einwohnerzahl ökonomisch sinnvoll ist. Die Frage ähnelt dem aus der Debatte um die personelle Verteilung bekannten Dilemma der angemessenen Umverteilung. Wer sich dem Egalitätsziel verpflichtet fühlt, mag die Gleichverteilung als Verteilungsziel anstreben. Ökonomen sind aber gewohnt, mit effizienztheoretischen Argumenten dagegen zu halten. Was nutzt es, den Kuchen gleich verteilen zu wollen, wenn am Ende nur ein kleiner oder gar kein Kuchen zustande kommt?

Auf das hier zu erörternde Problem bezogen heißt das: Wenn alle Länder, unabhängig von ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik stets die gleichen Pro-Kopf-Einnahmen erzielen, werden sie jedenfalls die Auswir­kungen ihrer Politik auf die Höhe des Steueraufkommens nicht berücksichtigen; denn dazu besteht kein Anreiz. Sie werden deswegen aber nicht unbedingt eine völlig desolate Wirtschaftspolitik betreiben. Für die Bürger ist nämlich die persönliche Einkommensperspektive von heraus­ragendem Interesse. Und darauf hat die Landespolitik durchaus Einfluss. Aber auch die öffentlichen Leistungen sind den Bürgern wichtig und damit auch die Höhe der Mittel, über die ein Land verfügen kann. Insofern ist es sicher von Vorteil, wenn gute Landespolitik auch zu höheren Steuer­einnahmen eines Landes führt.

Wir schlagen daher vor, die den Ländern zustehenden Steuereinnahmen zwar grundsätzlich nach der Ein­woh­­nerzahl zu verteilen, aber die Einwohner mit dem von
ihnen pro Kopf erzielten Inlandsprodukt zu gewichten. Je höher das in einem Bundesland anfallende Pro-Kopf-Inlandsprodukt, desto höher sollte auch dessen Ausstattung mit Steuereinnahmen pro Kopf sein.

Für eine derartige Gewichtung lassen sich außer dem effizienztheoretischen Argument noch weitere Gründe anführen. So tragen Länder, deren Pro-Kopf-Inlandsprodukt höher als der Durchschnitt ist, auch überdurchschnittlich zum Gesamtsteueraufkommen bei. Deshalb ist es auch nur fair, wenn sie bei der Zumessung des eigenen Steueraufkommens überdurchschnittlich beteiligt werden.

Ein überdurchschnittliches Inlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung fällt üblicherweise in stark verdichteten Räumen an. Das bedeutet aber auch, dass dies meist mit einem entsprechend höheren Bedarf an öffentlichen Leistungen einhergeht. Dieser höhere Bedarf gilt sowohl für die Infrastruktur als auch in der Regel für die öffentliche Unterstützung jener Bürger, die vom höheren Inlandsprodukt nicht profitieren. Man müsste wohl an der Sinnhaftigkeit eines Systems zweifeln, bei dem das Niveau der öffentlichen Leistungen von der Höhe privat verfügbarer Güter vollständig abgekoppelt würde. Schließlich ist auch damit zu rechnen, dass in dicht be­siedelten Regionen ein überdurchschnittlich hohes Preisniveau herrscht. Wenn die betreffenden Länder an dem monetären Steueraufkommen nicht überdurchschnittlich beteiligt werden, können sie real nur geringere Leistungen als im Durchschnitt anbieten.

Zusammengefasst spricht also einiges dafür, bei der grundsätzlichen Pro-Kopf-Verteilung des der Ländergesamtheit zustehenden Steueranteils eine Gewichtung der Bürger mit dem Pro-Kopf-Inlandsprodukt des jeweiligen Landes vorzunehmen. Im Ergebnis wären also die einem Land zufließenden Steuereinnahmen pro Kopf umso höher, je höher das Pro-Kopf-Inlandsprodukt des Landes ist.

Eine Verteilung des Ländersteueraufkommens nach den so gewichteten Einwohnern wird dem Einwand ausgesetzt sein, dass ein Land umso mehr erhält, je mehr es bereits hat. Wer hat, dem wird gegeben! Wie die angeführten Argumente belegen, ist dieses Ergebnis aber durchaus ange­messen. Der Zusammenhang zwischen der Produktivität und dem Finanzbedarf stark verdichteter Räume war auch stets ein Argument zugunsten der Einwohnergewichtung der Stadtstaaten im geltenden Finanz­ausgleich. Mit dem hier unterbreiteten Vorschlag einer generellen Gewich­tung würde aber die – immer wieder kritisierte14 und in der Tat schwer zu rechtfertigende – Sonderbehandlung der Stadtstaaten in ein generelles System eingebettet. Entsprechend käme die vorgeschlagene Neuregelung auch den Stadtstaaten zugute, soweit bei ihnen die Pro-Kopf-Einkommen tatsächlich über dem Durchschnitt liegen.15

Steuerautonomie aufgeben?

Gegen den hier unterbreiteten Vorschlag könnte noch ein weiterer Einwand erhoben werden: In einem System zentraler Steuererhebung und Steuer­verteilung, in dem es keine Ländersteuern und Länderanteile an Gemein­­­schaftsteuern mehr gibt, müssten auch die in der Wissenschaft weithin geteilten Vorstellungen über eine stärkere bzw. überhaupt erst einmal zu etablierende Steuerautonomie der Länder aufgegeben werden. Für landes­spezifische Steuersatzdifferenzierungen (etwa in der Ein­kommensteuer) bliebe jedenfalls kein Raum.

Steuerautonomie der Länder passt nur in ein System mit eigenen Länder- und Gemein­schaftsteuern, die nach anderen Kriterien als der Einwohnerzahl verteilt werden. Es macht aber auch keinen Sinn, aus diesem Grund das derzeitige, ineffiziente System beizubehalten. Jeder Vorschlag für mehr Steuer­autonomie der Länder stieß bisher auf die nahezu einhellige Ablehnung der Politiker. Sie wollen es einfach nicht – ob aus berechtigten Sorgen vor den möglichen Folgen der „Steuerkonkurrenz“ oder nicht, sei dahingestellt. Also wiegt es wohl auch nicht so schwer, wenn der mögliche Weg zu einem derartigen Konkurrenzsystem erst einmal16 verbaut würde.

Ein einfaches und transparentes Verfahren

Das hier vorgeschlagene System ist einfach, ohne dass es – verglichen mit dem Ergebnis des bisherigen Länderfinanzausgleichs – zu sehr verein­fachen würde; denn auch das heute praktizierte Verfahren kommt am Ende zu einer starken Nivellierung. Unser Vorschlag hat aber den Vorteil, dass er vollständig transparent und damit leicht nachvollziehbar ist. Die Verteilung der Steuereinnahmen erfolgt gewissermaßen in einem Guss. Einen horizontalen Finanzausgleich zwischen den Ländern, wie er heute in §§ 4-10 FAG geregelt ist, gibt es in unserem Reformmodell nicht mehr. Da es keiner Fehlbetrags-BEZ mehr bedürfte, wäre auch mit der Vermischung von ver­tikaler und horizontaler Umverteilung weitgehend Schluss. Sonder­bedarfs-BEZ sollten auf wenige Fälle begrenzt und auch nur dann gewährt werden, wenn ungebundene Zuweisungen des Bundes für die Kompen­sation von Sonderlasten wirklich geeignet sind.17 Zudem hätte die vorge­schlagene Übertragung der Landessteuerverwaltungen auf den Bund die bereits oben erwähnten Vorteile.

Allerdings: Ohne hier entsprechende Rechnungen anzustellen ist klar, dass ein Übergang vom geltenden zum vorgeschlagenen System Gewinner und Verlierer schaffen würde. Viel hängt von der Gestaltung der Gewichtung ab. Je stärker das Pro-Kopf-Inlandsprodukt berücksichtigt wird, desto stärker sind die erhofften Anreize für eine die wirtschaftliche Entwicklung fördernde Landespolitik und zugleich aber auch die Nachteile für Länder, deren Wirtschaftskraft gegenüber dem Durchschnitt zurückfällt.

Das vorgeschlagene System ist also auch in dem Sinne transparent, dass es den jeder Verteilungspolitik inhärenten Konflikt zwischen Effizienz und Egalität offenkundig macht. Über die Stärke der Gewichtung ist dann in der Tat politisch zu entscheiden. Rein technisch ließe sich ein Teil x (ausgedrückt in Prozent) des der Ländergesamtheit zustehenden Steueraufkommens nach den ungewichteten Einwohnerzahlen und ein Teil 1-x nach den mit dem Pro-Kopf-Inlandsprodukt gewichteten Einwohnern verteilen.18 Die dann wichtigste Stellschraube, nämlich x, ist sicherlich im Hinblick auf mögliche Ergebnisse vorzunehmen und den im Zeitablauf gewonnenen Erfahrungen anzupassen.

Selbstverständlich wären aber Übergangsregeln zu schaffen, die geeignet sind, die Situation derjenigen Länder abzufedern, die vielleicht zunächst, d.h. bevor sich positive Anreizwirkungen entfalten, zu starke Einnahmeverluste erleiden. Übergangsprobleme dürfen aber kein Grund sein, auf eine grund­legende und nachhaltige Reform zu verzichten. Jedenfalls halten wir es aller Mühen wert, Deutschland von einem Länderfinanzausgleich zu befreien, der ob seiner Intransparenz, Kompliziertheit und inneren Widersprüchlichkeit bei Politik und Wissenschaft eher zum Gegenstand von Spott denn von Anerkennung taugt.

  • 1 Zu Einzelheiten des Systems und zur quantitativen Bedeutung der einzelnen Maßnahmen siehe Bundesministerium der Finanzen: Bund/Länder-Finanzbeziehungen auf der Grundlage der Finanzverfassung, Ausgabe 2015, S. 16 ff.
  • 2 Vgl. dazu Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen: Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, 2015, Tabelle 3, S. 23. Danach unterscheiden sich die von 1 Mio. Euro Steuermehreinnahmen einem Bundesland verbleibenden Einnahmen ganz wesentlich sowohl nach den einzelnen Steuern als auch nach den einzelnen Bundesländern. So verbleiben z.B. Bayern bei der Lohnsteuer 266 000 Euro, Bremen aber nur 66 000 Euro. Bei der Erbschaftsteuer liegt Hamburg mit Mehreinnahmen von 525 000 Euro vorn, während wiederum Bremen mit 13 000 Euro das Schlusslicht bildet.
  • 3 Seit einiger Zeit ist das Bundesland Bayern der größte Einzahler, das Bundesland Berlin der größte Empfänger.
  • 4 Die Bundesländer versuchen mit ihrem jüngsten Vorschlag zur Reform des Finanzausgleichs, den Bund über die Fehlbetrags-BEZ stärker in den horizontalen Finanzausgleich einzubeziehen, während das Bundespolitiker eher skeptisch sehen. Vgl. R. Brinkhaus, C. Schneider: Vom brüderlichen zum väterlichen Finanzausgleich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.2.2016, S. 18.
  • 5 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Tübingen, BVerfGE 72, 330; 86, 148; 101, 158.
  • 6 Vgl. R. Peffekoven: Reform des Finanzausgleichs – eine vertane Chance, in: Finanzarchiv, NF. 51, 1994, S. 281 ff.; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2001/02, Anhang IV, S. 326 ff.
  • 7 Vgl. dazu R. Peffekoven: Notwendige Reformen nur über Verhandlungen möglich, in: ifo Schnelldienst, 66. Jg. (2013), H. 9, S. 8 ff. und die dort angegebene Literatur.
  • 8 Vgl. F. Kirchhof: Jetzt eine moderne Finanzverfassung wagen!, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.1.2014, S. 7.
  • 9 Beschlussvorlage für die Ministerpräsidentenkonferenz am 3.12.2015 zur Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen.
  • 10 Vgl. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats, a.a.O., S. 16, Abb.3. Danach erreicht nach horizontalem Finanzausgleich und allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen kein Bundesland weniger als (knapp) 98% der durchschnittlichen Finanzkraft, und nur vier Länder erreichen eine mit maximal 106% (Bayern) den Durchschnitt leicht übersteigende Finanzkraft.
  • 11 Ministerpräsident Kretschmann, dessen Bundesland Baden-Württemberg zu den im Finanzausgleich leistenden Ländern zählt, bezeichnet die derzeit geltenden Regelungen als „ein absolut bescheuertes System“. Zitiert nach W. Börnsen: Länderfinanzausgleich: Zahlmeister gegen Kirchenmäuse, http://www.tagesschau.de/inland/laenderfinanzausgleich 130-mobil.html (14.2.2013).
  • 12 Vgl. Sachverständigenkommission zur Vorklärung finanzverfassungsrechtlicher Fragen für die künftige Neufestsetzung der Umsatzsteueranteile: Maßstäbe und Verfahren zur Verteilung der Umsatzsteuer nach Art. 106 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, 1981, H. 30. Vgl. auch Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.): Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen. Gutachten und Stellungnahmen 1999-2008 des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, Stellungnahme zum Entwurf des Maßstäbegesetzes der Bundesregierung vom 21.2.2001, S. 99 ff.
  • 13 Die Einrichtung einer Bundessteuerverwaltung ist in einer gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat diskutiert worden. Die Effizienzgewinne in Form von (jährlichen) Steuermehreinnahmen wurden auf über 11 Mrd. Euro für Bund, Länder und Gemeinden geschätzt. Vgl. dazu Die gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen: Die Bera­tungen und ihre Ergebnisse, Berlin 2010, S. 222 ff.
  • 14 Vgl. z.B. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten zum Länderfinanzausgleich in der Bundesrepublik Deutschland, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, H. 47, 1992, S. 69 ff. Zur Kritik des heutigen Stadtstaatenprivilegs vgl. auch BVerfGE 101, 158 [205 ff.].
  • 15 Profitieren würde insbesondere das einkommensstarke Hamburg. Es gäbe also erst recht keinen Grund dafür, etwa noch irgendwelche mit dem Hafen in Zusammenhang stehenden Sonderlasten zu berücksichtigen.
  • 16 Immer noch möglich wäre es, einzelne Ländersteuern von der Vergemeinschaftung auszunehmen und die Länder hierbei (wie bisher schon bei der Grunderwerbsteuer) mit einer Autonomie bei der Festsetzung der Steuersätze auszustatten. Dann müsste man bei der heutigen vertikalen Zuweisung von Steuerquellen nach Art. 106 Abs. 1 GG (zumindest partiell) bleiben und die vertikale Steuerverteilung auf das Aufkommen aus den Gemeinschaftsteuern beschrän­ken. Das daraus auf die Länder entfallende Steueraufkommen könnte auch dann noch nach der (gewichteten) Einwohnerzahl verteilt werden. Was die Länder darüber hinaus an Einnahmen aus Ländersteuern erzielen, bliebe nicht nur jedem einzelnen Land überlassen, sondern würde sich – pro Einwohner – sicherlich auch von Land zu Land unterscheiden. Dass sich die Politik darauf einließe, wäre allerdings kaum wahrscheinlicher als bei den Vorschlägen für eine Steuerautonomie der Länder im geltenden System.
  • 17 Vgl. dazu R. Peffekoven: Finanzausgleich und Sonderbedarf – Thema und vier Variationen, in: F. X. Bea, W. Kitterer (Hrsg.): Finanzwissenschaft im Dienste der Wirtschaftspolitik, Tübingen 1990, S. 323 ff.
  • 18 Bezeichnet man das an die Länder zu verteilende Steueraufkommen mit T, erhält Land i : Ti = x T (Ei /E) + (1-x) T (E*i /E), wobei Ei /E den Einwohneranteil und E*i /E den mit dem Pro-Kopf-Inlandsprodukt gewichteten Einwohneranteil des Landes bezeichnet. E*i = Ei (Yi /Ei /Y/E), Y = Inlandsprodukt, Yi = Inlandsprodukt des Landes i.

Title:Towards a simple, transparent and efficient allocation of state tax revenues

Abstract:Tax revenues are allocated to the “Länder”-budgets in a very complicated process which lacks any transparency and unsurprisingly has been (and is currently) the subject of numerous legal suits at the Federal Constitutional Court. But the most striking feature of the whole system is its final outcome: a nearly equal distribution (per head) of tax revenues among all 16 states. If that is the aim, the process could be achieved much more easily. The authors suggest a central tax administration, a political determination of the state’s tax share and a distribution of that share among the single states according to the population, partly weighted with the states domestic product per head. Such a system is simple and transparent and apt to fulfill distributional as well as allocational purposes.

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DOI: 10.1007/s10273-016-1969-1