Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Das Bundesverfassungsgericht hat im Dezember 2014 Teile des Erbschaftsteuergesetzes für verfassungswidrig erklärt. Im Zentrum der höchstrichterlichen Kritik steht die unverhältnismäßige Privilegierung des Betriebsvermögens. Laut Fristsetzung des Gerichts muss der Gesetzgeber bis zum 30. Juni 2016 eine verfassungskonforme Lösung verabschiedet haben. Die monierten Begünstigungen waren bei der letzten Erbschaftsteuerreform im Jahr 2008 eingeführt worden. Weil damals befürchtet wurde, dass bei voller Besteuerung die Fortführung vererbter Betriebe und damit Arbeitsplätze gefährdet sein könnten, wurden sehr weitreichende Verschonungsregeln für das Betriebsvermögen in die Erbschaft- und Schenkungsteuer eingebaut. Eingeführt wurden Verschonungsabschläge von 85% (Regelverschonung) oder sogar 100% (Optionsverschonung), wenn als Bedingung über einen gewissen Zeitraum nach Erwerb des Vermögens eine „Mindestlohnsumme“ erreicht wurde. De facto waren die Regeln so großzügig angelegt, dass es zu einer weitgehenden Verschonung der Betriebsvermögen im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer kam.

Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) entgeht dem Fiskus wegen der Privilegien für das Betriebsvermögen mittelfristig rein rechnerisch ein Aufkommen von jährlich 8 Mrd. Euro. Laut Statistischem Bundesamt wurde von 2009 bis 2014 insgesamt ein Betriebsvermögen im Wert von 171 Mrd. Euro steuerfrei übertragen. Die hieraus resultierenden Steuerausfälle beliefen sich auf 43,5 Mrd. Euro. Der größte Teil geht dabei auf Schenkungen zurück, die aus Angst vor einer bevorstehenden Gesetzesverschärfung vorgezogen wurden, nachdem der Bundesfinanzhof die Verschonungsregeln 2012 als verfassungswidrig bewertet und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt hatte. Dabei zeigte sich eine massive Konzentration der Begünstigungen im allerhöchsten Vermögensbereich, wodurch die eigentlich eindeutig auf eine überproportionale steuerliche Belastung hoher Vermögenswerte abzielende Belastungsstruktur der Erbschaftsteuer komplett unterlaufen wurde.

Unter dem erheblichen Druck der Unternehmensverbände – allen voran der Lobby der Familienunternehmen –, die die Angst vor Arbeitsplatzverlusten schürten, tat sich die Politik von Anfang an schwer mit der unvermeidlichen Reform. Schon die ursprünglichen Vorschläge aus dem Bundesfinanzministerium strebten lediglich eine „minimalinvasive“ (Wolfgang Schäuble) Lösung an. Immerhin jedoch enthielten sie als Kernelement die Einführung einer Bedürfnisprüfung des Erwerbers. Eine Steuerverschonung des Betriebsvermögens bei großen Erwerben sollte nur noch möglich sein, wenn bis zu 50% des vorhandenen oder mitübertragenen Privatvermögens zur Steuerzahlung eingesetzt würden. Nur für den Fall, dass kein oder kein hinreichendes Privatvermögen vorhanden ist, wäre es im Rahmen der Bedürfnisprüfung zum teilweisen oder vollen Erlass der Steuerpflicht gekommen.

Der daraufhin verschärfte Druck der Lobby ließ das Finanzministerium jedoch einknicken, so dass der im September 2015 in den Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf eine ganze Reihe von Vorkehrungen enthielt, die de facto einen weitgehenden Fortbestand der Privilegien für das Betriebsvermögen bedeutet hätte. Entsprechend groß waren die Zweifel, dass der Gesetzentwurf verfassungskonform ist. Der zwischen den Regierungsfraktionen vereinbarte Kompromissvorschlag entfernte einige offensichtlich verfassungsrechtlich problematische Elemente.

Die Familienunternehmen sollen nun jedoch durch einen Wertabschlag von 30%, die Ausnahme geplanter Investitionen von der Besteuerung in Todesfällen sowie die Absenkung des Kapitalisierungsfaktors, der durch die Niedrigzinspolitik deutlich gestiegen ist, entlastet werden. Das Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen rechnete bereits anhand von Beispielfällen vor, dass viele Unternehmenserben sich nach der Reform besser stellen würden als im – ja bereits extrem großzügigen – geltenden Recht. Dennoch kam es bislang nicht zu einer abschließenden Einigung, weil die CSU Forderungen nach noch weitreichenderen Entlastungen stellte. Noch ist nicht klar, ob es überhaupt zu einer Einigung kommen wird. Sollten sich die Parteien einigen, ist jedoch völlig sicher, dass Erben von Betriebsvermögen weiter extrem privilegiert sein werden. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die Erbschaftsteuer wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landet.

Der gesamte Reformprozess krankt daran, dass die Politik sich von den Schreckensszenarien der Lobbyisten hat einschüchtern lassen. Deshalb wurde die Frage nach dem ökonomisch sinnvollen Ausmaß einer Privilegierung des Betriebsvermögens gar nicht erst rational diskutiert. Hätte man es versucht, hätte man eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Anders als bei vielen anderen politischen Streitfragen besteht in der Wissenschaft nämlich weitgehend Einigkeit darüber, dass eine sehr weitreichende Verschonung des Betriebsvermögens nicht notwendig ist, und dass den Unternehmenserben – selbst bei Fehlen von bestehendem oder mitgeerbtem Privatvermögen – durchaus eine spürbare Steuerlast auferlegt werden kann.

Selbst wirtschaftsliberale oder konservative Beratungsgremien wie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium haben in ihren eigenen Reformvorschlägen betont, dass eine moderate Besteuerung des Betriebsvermögens von etwa 10% bis 15%, wie sie sich z.B. bei einer aufkommensneutralen Erbschaftsteuerreform mit einheitlichem Steuersatz auf alle Erbschaften und Schenkungen ergibt, unter Belastungsgesichtspunkten unproblematisch wäre, sofern sie mit großzügigen Möglichkeiten der Steuerstundung kombiniert würde. Die Erbschaftsteuer auf das Betriebsvermögen kann dann aus den laufenden Erträgen gezahlt werden, ohne dass die Fortführung des Betriebes und damit Arbeitsplätze gefährdet würden.

Hätte die Politik ein solches – von Wissenschaftlern, die nicht im Verdacht ausgeprägter unternehmerfeindlicher Umtriebe stehen – für unproblematisch gehaltenes Belastungsniveau zur Richtschnur für die Reform genommen, hätte die Chance für einen großen steuerpolitischen Fortschritt bestanden. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer spielt für die Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit eine ganz wesentliche Rolle. Sie erfasst leistungslose Vermögenszuwächse und ist damit unter dem Gesichtspunkt der Leistungsgerechtigkeit besonders legitimiert.

Es wäre ohne die Gefährdung von Arbeitsplätzen möglich gewesen, die Erbschaftsteuer wieder näher an die im geltenden Recht eigentlich beabsichtigte progressive Verteilungswirkung heranzuführen. Ihr Aufkommen und damit die Finanzausstattung der Länder hätte sich langfristig erheblich erhöht, und die Erbschaftsteuer würde wieder einen deutlich größeren Beitrag zur Steuergerechtigkeit leisten. Die Politik hat diese Chance leichtfertig vergeben und stattdessen munter weiter an der Demontage der Erbschaftsteuer gearbeitet.


DOI: 10.1007/s10273-016-1986-0