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25 Jahre nach Abschluss des Maastricht-Vertrages gibt es durchaus Zweifel an dessen Erfolg. Die Autoren zeigen auf, dass nur die Kernländer der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion eine dauerhafte Konvergenz ihrer wirtschaftlichen Entwicklung erlebten. Daher halten sie die gemeinsame Währungspolitik für verfehlt. Zudem werden Reformen, die auf eine intensivere Integration setzen, als kaum durchsetzbar angesehen.

Im Maastricht-Vertrag (1992) und im Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (1997) wurden die grundlegenden institutionellen Rahmenbedingungen für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) festgelegt. Die gemeinsame Währung Euro wurde am 1. Januar 1999 eingeführt und seitdem hat der Euroraum eine einheitliche Geld- und Währungspolitik. Die EWWU und der Euro befinden sich aber seit 2010 in einer Dauerkrise. Nur durch historisch einmalige, umfangreiche Hilfsgelder des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU-Staaten sowie die extrem expansive und unkonventionelle Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) konnte der Euroraum vor einem Zerfall bewahrt werden. Die EZB hilft durch massive Käufe von Staatsanleihen, die Zinsbelastung vieler überschuldeter südlicher Euroländer in erträglichem Maße zu halten und bewegt sich dabei an den äußersten Grenzen ihres Mandats.

Die großen Unterschiede bei Arbeitslosigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Zahlungsbilanz in den Volkswirtschaften des Euroraums haben sich in den vergangenen 18 Jahren nicht verringert.1 Im Gegenteil, die realen wirtschaftlichen Unterschiede nahmen in den letzten Jahren zu. Die von den sogenannten „Monetaristen“ erwartete reale Konvergenz in einer Währungsunion erwies sich damit als Illusion.2 Seit Beginn der Krise hat die EU eine Reihe von Reformen auf den Weg gebracht und weitergehende Reformen, die auf eine tiefere institutionelle Integration abzielen, werden diskutiert. Sind sie geeignet, die Ursachen der realen wirtschaftlichen Unterschiede in den Euroländern zu beseitigen?

Institutioneller Rahmen der EWWU

Der Vertrag von Maastricht folgt in wesentlichen Zügen dem Delors-Bericht und beruht auf zwei Prinzipien. Zum einen sollte die EWWU nicht in einem großen Sprung, sondern in einem Stufenprozess verwirklicht werden. Zum anderen ist der Eintritt eines einzelnen Landes in die Eurozone regelbasiert. Letzteres bedeutet, dass sich ein Beitrittskandidat vier monetären Konvergenzkriterien unterwirft, deren Grad der Erfüllung durch die Europäische Kommission im Rahmen des sogenannten Konvergenzberichts überwacht wird. Die Prinzipien können als Ausfluss einer anhaltenden Diskussion zwischen den sogenannten „Ökonomisten“ und den „Monetaristen“ verstanden werden, die den optimalen Zeitpfad zu einer Währungsunion zum Gegenstand hatte. Die Ökonomisten waren der Ansicht, dass ein hohes Maß an realer Konvergenz erforderlich sei, bevor eine gemeinsame Währung mit einer einheitlichen Geldpolitik eingeführt werden könne. Die EWWU galt den Ökonomisten somit als Krönung eines unter Umständen langanhaltenden Prozesses realwirtschaftlicher Annäherung. Mit Hinweis auf den Zeitfaktor vermuteten die Monetaristen, dass eine derart langwierige und unsichere Strategie keine politische Option sein könne, da für weitreichende internationale Verträge oft nur ein begrenztes Zeitfenster verfügbar sei. Darüber hinaus stellten die Monetaristen immer wieder heraus, dass sich die reale Konvergenz in einer bestehenden Währungsunion ganz automatisch einstellt. Die Hoffnung auf eine sich ex post realisierende Konvergenz beruht dabei auf der Hypothese, dass eine einheitliche Währung über die interregionale preisliche Wettbewerbsfähigkeit so viel Wettbewerbsdruck in den Mitgliedsländern erzeugt, dass eine Anpassung an die europäische Best Practice langfristig alternativlos erscheint. Um beide Positionen zu berücksichtigen einigte man sich auf den spätestmöglichen festen Beginn der Währungsunion, dies war der 1. Januar 1999.

Die Maastricht-Kriterien reflektieren dabei grundsätzlich ein unterschiedliches Verständnis von Konjunkturpolitik: In südeuropäisch geprägten Ländern galt die Inflationssteuer, also die reale Entwertung von Geld und damit auch von Schulden, als probates Mittel der Finanzierung von Staatshaushalten, und die Währungsabwertung war politisch einfacher durchsetzbar als die reale Lohnzurückhaltung, eine Politikauffassung, die z.B. in Deutschland auf wenig Gegenliebe stößt.3 Die Maastricht-Kriterien sollten deshalb signalisieren, dass in einer Währungsunion kein Raum für eine Inflationssteuer ist, und die südeuropäischen Länder die verbleibende Zeit zu nutzen hatten, ihre Steuersysteme umzustellen. Damit erhofften sich die Regierungsvertreter zwar ein gewisses Maß an Politik-Konvergenz bis zum Eintritt in die EWWU, die real­wirtschaftliche Konvergenz der Mitgliedsländer, z.B. die Synchronizität der Konjunkturzyklen, wurde jedoch kaum berücksichtigt.

Im Mai 1998 wurde dann in einer politischen Entscheidung allen potenziellen Beitrittskandidaten (Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien) der Zugang zur EWWU gewährt, wobei die Defizit-Kriterien zum Teil sehr großzügig ausgelegt wurden. Für die Finanzmärkte erschien diese Entscheidung sehr früh als unausweichlich, sahen sie doch bereits Mitte der 1990er Jahre die Staatsanleihen aller potenziellen Mitgliedstaaten mehr oder weniger als perfekte Substitute.

Wirtschaftsentwicklung und Konvergenz in der EWWU

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Staatsschuldenkrise in der EWWU stellt sich die Frage, ob dieser institutionelle Rahmen ausreichend war. Im Folgenden sollen einige einfache Maßzahlen die Konvergenzentwicklung in der Eurozone seit Anfang 1999 beschreiben. Neben einer länderspezifischen Betrachtung der Konjunktursynchronizität sollen insbesondere gruppenspezifische Entwicklungen illustriert werden. Letztere beziehen sich auf die Gruppen der sogenannten GIIPS-Staaten (Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien) und der sogenannten Kernländer (Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich).

Die Konjunktursynchronizität wird als einfache Korrelation nationaler BIP-Wachstumsraten gegenüber der Wachstumsrate des deutschen BIP gemessen (vgl. Tabelle 1). Fasst man die Änderung der Wachstumsraten als BIP-Schock des jeweiligen Landes auf, zeigt der so berechnete Korrelationskoeffizient den durchschnittlichen Anteil der Schocks, den das jeweilige Land mit Deutschland teilt. Hohe Korrelationskoeffizienten dokumentieren eine stark gleichlaufende Entwicklung der beiden Länder im Konjunkturzyklus, weshalb eine gemeinsame Geldpolitik adäquat wäre.

Tabelle 1
Korrelationskoeffizienten der BIP-Wachstumsrate einzelner Länder gegenüber Deutschland
  1995 bis 2001 2002 bis 2008 2009 bis 2015
Finnland 0,46 0,72 0,99
Frankreich 0,75 0,59 0,99
Österreich 0,33 0,91 0,98
Belgien 0,54 0,56 0,97
Slowakei -0,68 0,88 0,96
Italien 0,93 0,64 0,93
Niederlande 0,20 0,93 0,91
Estland 0,42 0,29 0,91
Litauen -0,14 0,17 0,89
Slowenien 0,20 0,90 0,85
Luxemburg 0,70 0,68 0,84
Lettland 0,33 0,35 0,75
Spanien 0,84 0,48 0,55
Portugal 0,08 0,75 0,52
Irland 0,19 0,12 0,52
Zypern 0,76 0,82 0,40
Griechenland 0,49 0,08 -0,17

Der Korrelationskoeffizient wird berechnet als ρ = (Cov(xi; xD))/ 33944.png, wobei xi = ΔInBIP die Wachstumsrate des Brutto­inlandsprodukts des jeweiligen Landes ist.

Quelle: Aktuelle Daten der jeweiligen nationalen Statistischen Ämter nach der Systematik der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESA) von 2010; Bruttoinlandsprodukt zu konstanten Preisen bewertet zu Marktpreisen. Beginn/Ende des Berichtsjahres: Januar/Dezember; Basisjahr: 2010; kettengewichtet; von 1995 an: heimische Währung Euro, Daten zuletzt 08/2016 aktualisiert; eigene Berechnungen.

Tabelle 1 zeigt sehr deutlich, dass im Wesentlichen die Kernländer seit 2008 eine starke Korrelation mit Deutschland aufweisen, und damit ceteris paribus geeignet sind, sich einer gemeinsamen Geldpolitik zu unterwerfen. Für diese Länder kann zudem ein kontinuierlicher Anstieg des Korrelationskoeffizienten über die in der Tabelle dargestellten drei Zeiträume beobachtet werden, was man durchaus als Konvergenzerfolg werten kann. Diese Entwicklung beschränkt sich nicht nur auf die Kernländer, sondern gilt auch für die späteren Beitrittsländer Osteuropas und des Baltikums. Im Gegensatz dazu verharren die Korrelationskoeffizienten der GIIPS-Länder überwiegend auf niedrigem Niveau.4 Damit wird bereits das Dilemma der EZB deutlich, die nicht gleichzeitig für beide Gruppen eine adäquate Geldpolitik betreiben kann.

Die Problematik zeigt sich auch, wenn man den Verlauf der gruppenspezifischen Entwicklung der Arbeitslosenquoten betrachtet. Abbildung 1 zeichnet den Konvergenzprozess nach, der zunächst bis zum Ausbruch der Finanzkrise zu beobachten war. Das gesunkene Zinsniveau und die hohen Kapitalzuflüsse in die GIIPS-Länder führten zu einem Wirtschaftsboom, nicht nur auf dem Immobilienmarkt, der die traditionell hohe Arbeitslosigkeit in diesen Ländern deutlich verminderte. Dass dieser Aufschwung nicht tragfähig war, zeigte sich relativ schnell nach Ausbruch der Finanzkrise. Während die Kernländer nur moderate Zuwächse an Arbeitslosen zu verzeichnen hatten, stieg die Arbeitslosenquote in den GIIPS- Ländern dramatisch an.5

Abbildung 1
Gruppenspezifische Arbeitslosenquoten
in %
Gruppenspezifische Arbeitslosenquoten

Quelle: World Economic Outlook; Durchschnitte auf Basis von BIP-Gewichten berechnet.

Auch aufgrund des Balassa-Samuelson-Effekts, der besagt, dass Länder im Aufholprozess höhere Inflationsraten aufweisen, reflektieren die höheren Inflationsraten in den GIIPS-Ländern den beobachteten Aufholprozess im Pro-Kopf-Einkommen (vgl. Abbildung 2). Was zunächst durch die Konvergenz innerhalb der EWWU intendiert war, führte aber auch zu schneller steigenden Löhnen in den jeweiligen Ländern. Bei einheitlicher Währung geht damit aber eine Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit einher, die den Export von Waren und Dienstleistungen erschwert. Entsprechend zu beobachten waren deshalb auch signifikante Leistungsbilanzdefizite in den betrachteten GIIPS-Ländern.6 Mit der zuletzt unterdurchschnittlichen Lohn- und Preisentwicklung in diesen Ländern konnte dieser Prozess etwas abgemildert werden.

Abbildung 2
Gruppenspezifische Inflationsraten
in %
Gruppenspezifische Inflationsraten

Quelle: World Economic Outlook; Durchschnitte auf Basis von BIP-Gewichten berechnet.

Als Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass trotz anfänglicher Aufholprozesse vieler Beitrittsländer große realwirtschaftliche Unterschiede in der EWWU fortbestehen oder neu aufgebrochen sind. Damit gibt es auf der einen Seite Länder mit schwachem Wachstum und hoher Verschuldung und auf der anderen Seite Länder mit höherem Wachstum, höherer Wettbewerbsfähigkeit und tragfähigerer Verschuldung. Diese Spaltung stellt nicht nur die EZB sondern das gesamte Regelwerk der EWWU vor enorme Herausforderungen.

Reformvorschläge für die EWWU

Seit Beginn der Krise im Euroraum wurde eine Reihe von institutionellen Reformen beschlossen und zum Teil umgesetzt, weitere Reformvorschläge werden auf politischer Ebene diskutiert. Die Ursachen der oben aufgezeigten realen Unterschiede und damit vor allem die notwendigen Reformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wachstums der Krisenländer wurden in den vergangenen sieben Jahren nur unzureichend adressiert.

Eingeleitete und zum Teil umgesetzte Reformen

Im Jahr 2012 wurde mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ein dauerhafter finanzieller Rettungsschirm für Länder der Eurozone geschaffen, der die 2010 aufgestellten befristeten Hilfsmechanismen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ablöste. Der ESM kann einzelne Euroländer mit großen Finanzierungsproblemen mit Hilfsgeldern unter der Auflage eines makroökonomischen Anpassungsprogramms unterstützen, wenn die finanzielle Stabilität der Eurozone als Ganzes gefährdet ist. Die dauerhafte Rettung von Krisenstaaten wird damit perpetuiert und die der Währungsunion zugrundeliegende No-Bail-out-Regelung ist damit obsolet, obwohl sie in den Verträgen nicht gänzlich gestrichen wurde.

Zur Vermeidung einer Krise koordinieren die Euroländer seit 2011 im Rahmen des sogenannten „Europäischen Semesters“ ihre Wirtschaftspolitik in drei Bereichen stärker (Strukturreformen, Fiskalpolitik und makroökonomische Überwachung). Die Europäische Kommission identifiziert seitdem in einem aufwendigen Prozess „makroökonomische Fehlentwicklungen“ in den einzelnen Teilnehmerländern und gibt Empfehlungen zu ihrer Beseitigung, auf die die einzelnen Länder mit Stellungnahmen reagieren müssen. Damit ist ein sehr umfangreicher Überwachungs- und Prüfprozess in Gang gekommen, der aber im Endeffekt bislang zu keinen Maßnahmen („excessive imbalance procedure“) oder Sanktionen geführt hat, obwohl die EU-Kommission z.B. zu Beginn des Europäischen Semesters 2016 bei 19 EU-Ländern die Gefahr makroökonomischer Ungleichgewichte sah.

Zudem hat die EU 2011 den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder verschärft, der 2005 vor allem auf Betreiben von Deutschland und Frankreich aufgeweicht wurde. Ergänzend trat Anfang 2013 der Fiskalpakt in Kraft. Er verlangt von den 25 teilnehmenden EU-Staaten einen weitgehend ausgeglichenen Staatshaushalt in normalen Zeiten. Leider sind diese beiden wichtigen Reformen nicht glaubwürdig. In den vergangenen Jahren wurde kein Land wegen eines Verstoßes gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt oder gegen den Fiskalpakt verurteilt, obwohl die Defizitgrenzen in vielen Fällen nicht eingehalten wurden. Im Gegenteil, es gelang allen Ländern, ihre Haushaltspolitik durchzusetzen. Im Sommer 2016 wurden beispielsweise Portugal und Spanien trotz erneuter Verletzung der Defizitregeln keine Geldstrafen auferlegt, was der zuständige EU-Kommissar Moscovici mit einer „intelligenten“ Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes erklärte.7

Die Funktionsfähigkeit der Eurozone basiert auf der No-Bail-out-Regel und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt. Beide Grundfesten wurden in der Eurokrise und im Zuge der Rettungsmaßnahmen schwer beschädigt. Die Rettungsschirm-Programme für die Krisenländer konnten nur durch Ergänzung von Art. 136 AEUV auf rechtssicheren Boden gestellt werden, wonach Hilfen unter strengen (!) Auflagen möglich sind, wenn die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt bedroht ist. Mit Blick auf die hohen ausstehenden Staatsschulden in einigen Euroländern, die vor allem im griechischen Fall nicht nur vom IWF als untragbar angesehen werden, müsste geklärt werden, wie die EU mit der No-Bail-out-Regel, auf die vor allem die deutsche Regierung beharrt, in Zukunft umgehen soll. Griechenland hat in den 16 Jahren seiner Mitgliedschaft in der EWWU nicht ein einziges Mal die Fiskalkriterien des Paktes erfüllt, auch in den Jahren von 2001 bis 2009, also vor Beginn der Krise, und bei günstiger Konjunkturlage sowie großen Zuflüssen von EU-Transfers nicht. Ein Austritt oder ein Ausschluss eines Landes muss in Zukunft in solch einem Fall möglich sein, er würde die Stabilität des übrigen Euro-Währungsgebiets langfristig erhöhen und die Gefahr von Ansteckung oder Herdeneffekten an den Finanzmärkten mindern. In der Durchsetzung und Befolgung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts und des Fiskalpakts läge ein Schlüssel für die Abkehr von der Rettungspolitik und für die Einleitung struktureller Reformen in den einzelnen Ländern der Eurozone. Die Befolgung der Regeln und die Wiedereinführung der No-Bail-out-Klausel zusammen mit der Möglichkeit eines Austritts oder eines Ausschlusses einzelner Teilnehmerländer aus der Währungsunion könnte einige Länder unter Druck setzen, Reformen durchzuführen.

Reformen sind zu Beginn immer schmerzhaft, zahlen sich aber langfristig aus. Der Vorteil eines selbständigen Handelns besteht für Krisenländer darin, dass sie den günstigsten und politisch durchsetzbaren Reformweg ohne Bevormundung durch die Europäische Kommission oder die Troika im Rahmen der Hilfsprogramme gehen. Die externe Aufsicht hat in vielen Ländern zu einem Europaver­druss geführt. Es hat sich vor allem auch gezeigt, dass einige Regierungen nicht hinter den Reformvorschlägen der Troika standen. Entscheidend sind der Wille und die innere Kraft zu Reformen, die von der Bevölkerung und den politischen Entscheidungsträgern im jeweiligen Land mitgetragen werden müssen. In einer neuen Forschungsarbeit von EZB-Mitarbeitern hat sich zudem gezeigt, dass die Qualität der Institutionen in den Ländern der Eurozone zu einem beträchtlichen Teil die realen Wachstumsunterschiede erklären kann.8 Daraus leitet sich ab, dass Strukturreformen im Allgemeinen notwendig sind, aber vor allem solche, die die öffentliche Verwaltung und Regulierung effizienter gestalten, das Recht auch wirklich anwenden sowie Rent-Seeking bekämpfen und Kooperation verbessern. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass Länder, deren öffentliche Verschuldung zu Beginn des Untersuchungszeitraums über den betrachteten Grenzen von 60% und 70% lagen, besonders unter einer schlechten Qualität ihrer Institutionen litten.

Zu den umfangreichsten Reformen der EU gehört schließlich die 2014 beschlossene Bankenunion. Seitdem gibt es eine gemeinsame Banken- und Finanzaufsicht und einen einheitlichen Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus für insolvente Banken, und die EZB wurde mit der Aufgabe der Aufsicht über die großen systemrelevanten Banken betraut. Diese Maßnahme soll die Krisenfestigkeit der Banken im Euroraum stärken und erschien sinnvoll, um das Problem der engen internationalen Verflechtung der großen Banken und einer nur nationalen Aufsicht zu lösen. Sie beinhaltet auch eine zunehmende Vergemeinschaftung der Kosten zukünftiger Bankenrettungen.9 Allerdings steht die Bewährungsprobe noch aus. Im Euroraum leiden viele Banken, vor allem in den südlichen Ländern, unter einer sehr hohen Belastung durch notleidende Kredite. In Italien werden beispielsweise nahezu ein Fünftel der Kredite des Bankensystems als notleidend klassifiziert. Im Gegensatz zu den USA, wo der Bankensektor durch Eingriffe der Aufsicht und die Schließung von zahlreichen Banken in einer besseren Verfassung ist, sind die Probleme in der EWWU noch nicht gelöst und eine neuerliche staatliche Rettung von Banken durch den Steuerzahler kann nach Aussagen von Bundesbankpräsident Weidmann im Krisenfall nicht ausgeschlossen werden.10 Über einen weiteren Baustein der Bankenunion, eine gemeinsame Einlagensicherung, gibt es keine Einigung. Hier wehren sich vor allem die deutschen Banken, aber auch die deutsche Politik. Eine Vergemeinschaftung der Risiken und ein Moral-Hazard-Problem werden befürchtet. Zudem kann eine gemeinsame Einlagensicherung im Fall einer größeren Bankenkrise im Euroraum unmöglich die Mittel garantieren und bereitstellen, die dafür benötigt würden. Hier kann nur die Regierung des betroffenen Landes eine Garantie aussprechen.

Weitergehende Reformvorschläge

Häufig wird die Entwicklung der EWWU zu einer weitergehenden Fiskalunion gefordert. Hierbei ist allerdings nicht ganz klar, wie weit die Staatshaushalte vergemeinschaftet werden sollen. Ein gemeinsames Budget der EWWU, gespeist aus neuen einheitlichen EWWU-Steuern, aus denen verschiedene neue gemeinschaftliche Aufgaben finanziert werden, die weit über das hinausgehen, was der EU-Haushalt derzeit finanziert, erscheint illusorisch. Die Verabschiedung des EU-Haushalts, der weitgehend aus Transfers der Mitgliedstaaten besteht, da die EU keine eigenen Steuern und Abgaben erheben kann, wird seit Jahren von großen politischen Streitigkeiten über die Anteile der einzelnen Mitgliedsländer begleitet.

Daher wird oft eine abgeschwächte Integration in Form eines europäischen Länderfinanzausgleichs gefordert. Das Europäische Vertragswerk sieht einen Länderfinanzausgleich zwischen den Mitgliedstaaten aber nicht vor, und aus dem Bundesstaatsprinzip kann er auch nicht abgeleitet werden, da die EU nur eine mit Rechtsfähigkeit ausgestattete internationale Organisation im Sinne des Völkerrechts ist. Die Einführung eines Bundesstaatsprinzips auf europäischer Ebene, die einen europäischen Länderfinanzausgleich rechtfertigen würde, wurde dem Wähler bislang nicht zur Entscheidung vorgelegt. Von einem solchen Länderfinanzausgleich, wie er beispielsweise in Deutschland praktiziert wird, sollte man allerdings auch nicht viel erwarten. Im deutschen Verfahren fließen nur geringe Summen. Angesichts der hunderte von Milliarden Euro, die in der Eurokrise als Hilfsgelder eingesetzt wurden, erscheint diese Diskussion wenig hilfreich und lenkt nur von den eigentlichen Problemen ab. Ein solcher Finanzausgleich würde eine Vereinheitlichung der Steuersätze, eine überall gleiche und durchsetzungsfähige Finanzverwaltung und eine einheitliche Bekämpfung der Schwarzarbeit voraussetzen. Auch dies erscheint völlig unrealistisch, man denke nur an den schon Jahre anhaltenden Kampf der Troika in Griechenland gegen Steuerhinterziehung und eine Reform der Finanzverwaltung.

Die Eurokrise und ihre schmerzhaften Folgen hätten abgemildert werden können, wenn der Euroraum ein einheitliches Sozialsystem mit entsprechenden Umverteilungsmechanismen hätte. In einem Europäischen Bundesstaat könnten z.B. die Belastungen durch die stark auseinanderlaufenden Arbeitslosenquoten auf alle Schultern verteilt werden. Die deutsche Arbeitslosenversicherung hätte danach z.B. für die stark ansteigenden Arbeitslosenzahlen in Griechenland und Spanien zahlen können. Diese Vision für Europa ist jedoch völlig unrealistisch und in weiter Ferne. Die Krisenländer in Südeuropa und auch Frankreich, die Profiteure einer solchen weitestgehenden europäischen Integration, sind nicht bereit, nationale Souveränität abzugeben und ihre Sozialsysteme nachhaltig zu reformieren. Arbeitnehmer in Deutschland müssten dadurch zusätzliche Belastungen tragen, und die Ablehnung der EU würde auch hierzulande noch weiter zunehmen.

Schließlich wird eine politische Union als Lösung für die anhaltende Krise im Euroraum gefordert, wie schon zu Beginn der Währungsunion.11 Die politische Union wurde als Endziel, als für das langfristige Gelingen der EWWU unabdinglich gesehen. Eine politische Union würde das Ende des Nationalstaats bedeuten. Die Wahl einer europäischen Regierung und eines repräsentativen Europäischen Parlaments, ausgestattet mit allen notwendigen Rechten, wären erforderlich. Die maßgeblichen Entscheidungen über Steuern und öffentliche Ausgaben müssten dann dem Europäischen Parlament und einer EU-Regierung übertragen werden. Ein solcher Integrationsschritt erscheint derzeit und in absehbarer Zukunft undenkbar. Auch die möglichen Hauptprofiteure eines gemeinsamen Haushalts und damit verbunden einer gemeinschaftlichen Verschuldungspolitik, wie Italien und Frankreich, werden ihre nationale Souveränität nicht abgeben. Kleinere Länder des Euroraums würden dadurch wahrscheinlich sehr stark an politischem Einfluss verlieren, und sind daher auch nicht an einer politischen Union interessiert. Otmar Issing, früher ein Befürworter, bezweifelt inzwischen, dass diese in absehbarer Zeit verwirklicht werden könnte und warnt davor, dass eine vage Vision einer solchen Union die Einhaltung der beschlossenen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts und eine glaubhafte Rückkehr zur No-Bail-out-Klausel verhindert.12

Fazit

Auch nach 18 Jahren des Bestehens der EWWU hat sich im Euroraum noch keine ausreichende realwirtschaftliche Konvergenz eingestellt. Die einheitliche Geldpolitik der EZB ist damit überfordert und passt nicht zur unterschiedlichen Konjunkturlage der einzelnen Teilnehmerländer. Der Krisenmechanismus mit den Hilfsmitteln und die durchgeführten institutionellen Reformen für den gesamten Euroraum haben die Probleme einzelner Länder nicht ausreichend an der Wurzel gepackt, sondern führten nur zu einer starken Umverteilung und gemeinsamen Haftung. Die strukturellen und konjunkturellen Probleme der südlichen Krisenländer sind persistent und auch Ausdruck einer unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Philosophie. Während Deutschland und einige andere Kernländer des Euroraums den Schwerpunkt auf die längerfristige Begrenzung und den Abbau der öffentlichen Verschuldung sowie angebotsorientierte strukturelle Reformen setzen, verfolgen die südlichen Länder weiterhin eher die Idee eines aktiven Krisenmanagements mit einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik keynesianischer Art, die auf Inflationierung und das Herauswachsen aus der Krise setzt.

  • 1 Vgl. Europäische Zentralbank: Real Convergence in the Euro Area: Evidence, Theory and Policy Implications, ECB Economic Bulletin, Nr. 5/2015, S. 30-45.
  • 2 Bei den Verhandlungen über die Regelungen und den Beginn der Währungsunion setzten sich die Ideen der „Monetaristen“, die vor allem von Frankreich vertreten wurden, gegenüber der von deutscher Seite meist vertretenen Ansicht der „Ökonomisten“ durch, die die einheitliche Geldpolitik und Währung erst am Ende einer realen wirtschaftlichen Konvergenz der beteiligten Länder einführen wollten. Vgl. M. Brunnermeier, H. James, J.-P. Landau: The Euro and the Battle of Ideas, Princeton, Oxford 2016.
  • 3 Vgl. M. Brunnermeier, H. James, J.-P. Landau, a.a.O.
  • 4 Eine Ausnahme hiervon ist Italien, das von Anfang an einen hohen Gleichlauf mit Deutschland aufweist.
  • 5 In abgeschwächter Form lässt sich diese Entwicklung auch an den gruppenspezifischen BIP-Wachstumsraten ablesen.
  • 6 Vgl. Deutsche Bundesbank: Der Einfluss alternativer Indikatoren der preislichen Wettbewerbsfähigkeit auf den realen Güterexport, Monatsbericht, Januar 2016, S. 13-32.
  • 7 Vgl. European Commission: Stability and Growth Pact – Council adopts Recommendations on Spain and Portugal, Pressemitteilung 9.8.2016, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-2761_en.htm (3.2.2017).
  • 8 Vgl. K. Masuch, E. Moshammer, B. Pierluigi: Institutions, Public Debt and Growth in Europe, ECB Working Paper Series, Nr. 1963, September 2016.
  • 9 Vgl. H.-W. Sinn: Der Euro – Von der Friedensidee zum Zankapfel, München 2015.
  • 10 Vgl. o.V.: Weidmann schließt staatliche Bankenrettung in Italien nicht aus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.12.2016.
  • 11 „Man kann dies nicht oft genug sagen. Die Politische Union ist das unerlässliche Gegenstück zur Wirtschafts- und Währungsunion.“ H. Kohl: Regierungserklärung am 6.11.1991, 53. Sitzung des Deutschen Bundestages, Bonn 6.11.1991, Plenarprotokoll 12/53, S. 4367, http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/12/12053.pdf (7.2.2017).
  • 12 Issing merkte bereits 2012 an: „Die Politische Union kommt, wenn überhaupt erst nach vielen Jahren. Schon allein aus diesem Grund taugt sie nicht als Mittel zur Bekämpfung der Krise der Währungsunion.“ O. Issing: Jeder muss sich selbst helfen. Der Plan einer Politischen Union soll die Eurokrise lösen – eine gefährliche Illusion, in: Die Zeit vom 9. 8.2012.

Title:25 Years of the Maastricht Treaty: Real Divergence and Institutional Reform in the Eurozone

Abstract:The paper argues that 18 years after the introduction of the Euro, the European Monetary Union has yet been unable to achieve sufficient real economic convergence among its member economies. As a result, the European Central Bank (ECB) still faces a dilemma in the sense that the common monetary policy is unable to meet current policy requirements in both boom and recession countries. Of course, the extensive asset purchase programmes of the ECB in the aftermath of the Euro crisis provided the necessary time for policy reforms, but deep­rooted structural problems in a number of member countries and a divergent understanding of macroeconomic policy have remained and will lead to sustained high tensions in the eurozone in the foreseeable future.

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DOI: 10.1007/s10273-017-2094-5

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