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Globale Arbeitsteilung mit globalem Handelsaustausch hat es schon immer gegeben. Mittlerweile machen geringe Transportkosten diese Arbeitsteilung intensiver – auch bedingt durch den beispiellosen Abbau von Handelshemmnissen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Wohlfahrtseffekte des internationalen Handels waren und sind allerdings ungleich verteilt, was immer wieder zu Konflikten führt. Aus der Geschichte ist vor allem die Lehre zu ziehen, dass es keine Vorteile bringt, die internationale Arbeitsteilung zu begrenzen. Wenn dies aber doch als nötig angesehen wird, sollte der mögliche Zeitgewinn bei der Anpassung an den internationalen Wettbewerb für Strukturreformen genutzt werden. Ein dauerhafter Ausstieg aus der internationalen Arbeitsteilung hat sich nie als erfolgreich erwiesen.

Die derzeitige Verunsicherung über die neomerkantilistische Wende der US-amerikanischen Wirtschafts- und Handelspolitik hat fundamentale Fragen nach der Zukunft der globalen Weltwirtschaft aufgeworfen. Was bedeutet es, wenn die größte Wirtschaftsnation der Welt den bisher wenig bezweifelten Nutzen der Globalisierung infrage stellt, ja bestreitet und ankündigt, sich in der Zukunft vermehrt auf sich selbst zurückzuziehen und den weltweiten Wirtschaftsaustausch vor allem daran zu messen, welche Vorteile er den USA bringt? Die bisher durchaus lautstarken Globalisierungskritiker müssten eigentlich jubeln, war es doch Donald Trump, der das von ihnen so sehr abgelehnte amerikanisch-europäische Freihandelsprojekt TTIP kurzerhand von der Tagesordnung genommen hat und die Auswirkungen der Globalisierung in den USA ähnlich kritisch sieht, wie es etwa ATTAC bisher vor allem für Afrika und Lateinamerika getan hat. Doch statt sich über die große Bereitschaft der USA, globalisierungskritische Positionen zu übernehmen, zu freuen, macht sich Katzenjammer breit. Die Globalisierungseliten in den USA und Europa sind plötzlich im gleichen Trump-kritischen Lager wie ihre bisherigen Gegner, deren Globalisierungskritik sehr viel leiser geworden ist, seit Donald Trump sie zu teilen scheint.

Eine Art Balle paradoxe wird aufgeführt, eine verkehrte oder doch völlig verschobene Welt entsteht, in deren Hintergrund Angst lauert, die Angst, die USA könnten aus der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung aussteigen, in einen unkalkulierbaren Isolationismus zurückkehren und sich um den Rest der Welt nicht mehr sonderlich scheren. Aber: Selbst wenn das bisher ja vornehmliche Reden und Räsonieren der Trump-Administration ernst gemeint sein sollte, was füglich zu bezweifeln ist, stellt sich doch die Frage, ob das, was vielleicht gewünscht ist, sich auch so ohne weiteres wird realisieren lassen. Daran sind bereits erhebliche Zweifel geäußert worden, die hier um einen wirtschaftshistorischen Blick erweitert werden sollen. Welche Lehren, oder vorsichtiger, welche Botschaften hält die Geschichte der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung bereit? Und wie lassen sich in diesem Rahmen die derzeit weltweit grassierenden neomerkantilistischen Momente beurteilen? Die Antwort ist nicht einfach; sie fällt ambivalent aus. Einerseits ist es für keinen Teilnehmer realistisch vorstellbar, das erreichte Ausmaß weltwirtschaftlicher Kooperation wesentlich einzuschränken, ohne selbst erheblichen Schaden zu nehmen. Andererseits war das, was wir heute Globalisierung im Zeichen des Freihandels nennen, nie unumstritten, weil nicht alle weltwirtschaftlichen Akteure gleichermaßen davon Nutzen ziehen, sondern es Gewinner und Verlierer gibt, deren Stellung zur Weltwirtschaft eng mit deren Ergebnissen zusammenhängen.1 Die jeweilige institutionelle Fassung der Weltwirtschaft war daher stets umkämpft. Sicher ist nur eins: Ein dauerhafter Rückzug aus der Weltwirtschaft war zu keinem Zeitpunkt von Vorteil. Doch betrachten wir das genauer.

Historisch brachte weltwirtschaftliche Isolation nur Nachteile

Die Geschichte der weltwirtschaftlichen Strukturen und Verknüpfungen reicht weit zurück. Im Grunde ist Wirtschaft von Anfang an eine „grenzenlose“ Veranstaltung gewesen, in der politische Barrieren stets künstliche Hindernisse darstellten, denn wirtschaftliche Arbeitsteilung folgt technischen und geografischen Gegebenheiten sehr viel mehr als willkürlich gezogenen politischen Grenzen. Im Gegenteil könnte man sogar mit einem gewissen Recht die Auffassung vertreten, dass sich politische Gebilde nur haben halten können, wenn sie zumindest in längerer Frist die Zwänge interregionaler und internationaler ökonomischer Arbeitsteilung respektierten.2 Diese politisch oder militärisch korrigieren zu wollen oder sich ganz aus der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung zurückzuziehen, war jedenfalls historisch gesehen nie ein Erfolgsrezept.

Der Niedergang Chinas seit dem 17. Jahrhundert hat viel mit seiner selbstgewählten ökonomischen Isolation zu tun,3 und auch die Sowjetunion vermochte es weder in der Zwischenkriegszeit noch im größeren Rahmen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) nach 1945, sich gegen die großen weltwirtschaftlichen Strukturen allein zu behaupten. Der freiwillige oder erzwungene Ausstieg aus der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung hatte stets negative Effekte, sei es, weil die Isolation selbst teuer war, sei es, weil die technologisch günstigsten Lösungen nicht stets erreichbar waren und aufwendig substituiert werden mussten, sei es, weil der eigenen Wirtschaft die Konkurrenzmärkte fehlten, in denen sich zu behaupten ein zentraler Antrieb von Effizienzsteigerungen war und ist.

Die Geschichte der Wirtschaft der DDR ist hierfür ein schlagendes Beispiel. Sie wurde nach 1950 aus ihren weltwirtschaftlichen Zusammenhängen herausgerissen und hatte sich im Export vor allem an den Importbedürfnissen ihrer sozialistischen Partner zu orientieren, eine technologisch überaus regressive Konstellation, deren ganzes Ausmaß nach dem Fall der Mauer offensichtlich wurde. Die DDR-Wirtschaft, bis zum Oktober 1989 als durchaus leistungsfähig geschätzt, hatte auf Wettbewerbsmärkten faktisch keine konkurrenzfähigen Produkte. Ihre weltwirtschaftliche Isolation zwischen 1950 und 1989 hatte in der Summe keinerlei Vorteile, aber sehr viele Nachteile gebracht, von denen nicht zuletzt die dortigen Verbraucher ein Lied zu singen wussten.4 Kurz: Das (dauerhafte) Ausscheiden aus der Weltwirtschaft ist keine ernstzunehmende Option; seine Kosten und ökonomischen Folgen sind zuletzt untragbar. Entsprechend wurden auch die in den 1960er und 1970er Jahren von manchen Entwicklungsökonomen favorisierten Dissoziationskonzepte nicht sehr lange ernsthaft vertreten; heute sind sie im Grunde ohne Bedeutung.5

Für den Freihandel sind deren Profiteure

Gleichwohl ist die globale Wirtschaftsgeschichte keine Geschichte der unproblematischen und sich stets positiv vertiefenden internationalen Arbeitsteilung. Auch wenn die globalen Wirtschaftsdaten insbesondere der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine solche Entwicklung nahelegen und sich im historischen Trend die überregionale Arbeitsteilung vertieft hat und der Handels-, Güter- und Wissensaustausch intensiver geworden ist, so war dieser Prozess doch stets überaus umstritten und entsprechend keineswegs linear. Die großen globalen Ordnungen seit dem hohen Mittelalter waren stets nur von begrenzter Dauer, nicht, weil Vorteile und Nutzen einer derartigen Kooperation grundsätzlich infrage gestellt worden wären, sondern weil die jeweiligen Ordnungen nicht alle Akteure gleichermaßen begünstigten. Die Staaten waren sehr für Austauschbeziehungen, wenn sie daraus den größten Vorteil ziehen konnten. War das nicht der Fall, dann drohten Konflikte, die bis zum bitteren Ende ausgetragen wurden. Denn ökonomischer Erfolg, das wurde sehr schnell klar, ermöglichte größere politische und militärische Handlungsspielräume, die andere Staaten mit geringerem Erfolg nicht hatten. Die historisch gut bekannten Auseinandersetzungen um Struktur und Volumen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung gingen daher zumeist auch weniger um die Frage, ob es so etwas wie grenzüberschreitenden Austausch geben sollte, als vielmehr um die Frage, wer davon in welcher Weise profitierte.

Im hohen und späten Mittelalter, im Rahmen des durch die Pax Mongolica gesicherten euro-asiatischen Austausches, war dies bereits zu erkennen, weil die militärische Stärke der Mongolen es ihnen ermöglichte, einen Handelsraum zu öffnen, von dessen Nutzung sie wiederum vor allem profitierten. Der Zusammenbruch dieses Handelssystems war allerdings weniger die Folge des Versuchs anderer Kräfte, die mongolische Dominanz zu beseitigen, als der großen Pestkrise der Mitte des 14. Jahrhunderts, als allein in Europa etwa ein Drittel der Bevölkerung starb.6 Die eigentümliche Dialektik von ökonomischem Erfolg und politischer Stärke wurde aber spätestens zu dem Zeitpunkt offensichtlich, als die kleinen Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert nicht zuletzt wegen ihrer wirtschaftlichen Stärke der spanischen Weltmacht erfolgreich die Stirn boten.7

Seither ist ökonomischer Erfolg als politische Ressource im Bewusstsein der Obrigkeiten fest verankert, ihn zu erreichen, durchzusetzen und gegen Konkurrenz dauerhaft zu behaupten, ein entscheidendes Motiv staatlichen Handelns. Und gerade hieraus ergibt sich auch das Auf und Ab in der Frage, wie weit eine offene Weltwirtschaft als hilfreich oder gefährlich angesehen wird. Unstrittig war und ist, dass wirtschaftlicher Erfolg, der mit einer starken Position in der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung korrespondiert, Vorteile bietet, sei es wegen der Zunahme finanzieller Handlungsmöglichkeiten, den mobilisierbaren militärischen Ressourcen oder der Bevölkerungsvermehrung und ihrer sozialen Absicherung, um nur einige Punkte zu nennen. Zumindest jene Staaten, die sich stark genug hierfür fühlten, waren daher frühzeitig Vertreter einer möglichst offenen Weltwirtschaft, allen voran zunächst die von Spanien abgefallene Republik der Niederlande im 17. Jahrhundert, deren Ökonomie mangels eines großen Territoriums und entsprechender Ressourcen gerade von der Offenheit der Weltmärkte abhing, auf denen die Niederländer ihre nautischen und kommerziellen Kenntnisse perfekt nutzen konnten.

Spätestens hier zeigten sich aber die aus politischer Sicht paradoxen Effekte des Freihandels, da der große Erfolg der Niederländer, die selbst die englischen Küstenorte mit frischem Fisch in einer Qualität und zu einem Preis belieferten, den die englische Fischerei nicht bieten konnte, Neider auf den Plan rief, die die Freiheit der Meere gerade deshalb ablehnten, weil sie allein oder doch maßgeblich den Niederländern nützlich sei. Das bestimmte lange Zeit die öffentliche Meinung in Großbritannien und war keineswegs harmlos. London führte im 17. Jahrhundert wiederholt Krieg gegen die im europäischen und Welthandel weit überlegenen Niederlande, ja verfolgte einen aggressiven Wirtschaftsnationalismus (Navigationsakten), bis es schließlich am Ende des 18. Jahrhunderts erfolgreich alle Konkurrenten, von Spanien über die Niederlande bis hin zu Frankreich und der indischen Textilwirtschaft, aus dem Weg geräumt hatte. Erst jetzt wurde Großbritannien ausgehend von einer Position zeitweilig unangreifbar erscheinender ökonomischer und maritimer Stärke zum unbedingten Protagonisten des Freihandels, ein Standpunkt, der zugleich Bedingung, Ausdruck und Folge der sich mit ihm verknüpfenden, weltumspannenden Pax Britannica war.8

Verschiebung der globalen Strukturen

Man kann diese Erfahrungen dahingehend generalisieren, dass die Vorteile globaler Arbeitsteilung unterschiedlich verteilt sind, diese Ungleichverteilung aber keineswegs stabil ist: Das britische Beispiel und die Verdrängung der Konkurrenz sprechen eine klare Sprache. Hier liegt auch der eigentliche Grund für staatliche Interventionen: Staaten, die glauben schlecht wegzukommen, suchen sich zu schützen, überlegene Staaten zielen auf die Durchsetzung von Freihandelsstrukturen. So finden sich im gesamten, vermeintlich freihändlerischen 19. Jahrhundert eben auch Gegenbewegungen gegen die englische Freihandelsdoktrin. Die USA gingen seit den 1820er Jahren zu einer Hochschutzzollpolitik über, an der sie bis zum Zweiten Weltkrieg unbeirrt festhielten, ja ihr wirtschaftlicher Aufstieg wurde stets gegen mögliche externe Konkurrenz abgesichert. Die USA waren dabei auch bereit, ihren Handelspartnern zu schaden, wenn sie sich davon Vorteile versprachen. So erhöhten sie selbst in der Weltwirtschaftskrise 1930 ihre Zollsätze drastisch, und Franklin D. Roosevelt gab wenig später die internationale Währungsordnung, den Goldstandard, preis, um wirtschaftspolitisch größere Handlungsspielräume zu bekommen. Ohne Vorbild ist der Trump’sche Neomerkantilismus daher keineswegs.

Erst nach 1945, als die USA die unstreitig dominante ökonomische Macht geworden waren und mit dem Bretton-Woods-Abkommen den Rahmen des internationalen Handels und des Währungssystems vorgeben konnten, wurden sie zu der Freihandelsgröße, die sie bis in jüngste Vergangenheit waren. Die Pax Americana war freilich ebenso wie die Pax Britannica des 19. Jahrhunderts eine durchaus wandlungsfähige Konstellation, in deren freihändlerischem Rahmen viele Nutzen ziehen konnten.9 Waren das im 19. Jahrhundert vor allem die USA und Deutschland, während Großbritannien in der zweiten Jahrhunderthälfte langsam an Bedeutung verlor, so profitierten im Kontext der Pax Americana schließlich neben Japan und den anderen asiatischen „Tigerstaaten“ schließlich vor allem das sich öffnende China und – ganz traditionell – das exportstarke Deutschland.

Die USA machen gegenwärtig die Erfahrung, die die Briten schon vor 1914 machen mussten, nämlich Garant und Ankermacht einer Ordnung zu sein, deren Nutznießer sie selbst an erster Stelle nicht sind.10 Das erklärt sehr viel von Trumps Rhetorik und seiner Popularität in den USA gerade dort, wo die Verlierer der Globalisierung vermutet werden. Stand Nordamerika 1948 für knapp 30% des Weltexports, so waren es 2007 nur noch weniger als 14%, während die asiatischen Staaten eine proportionale Aufwertung von etwa 14% auf 30% erlebten. Europa konnte seinen Exportanteil, der 1973 bei mehr als 50% lag, zwar nicht halten, lag 2007 mit mehr als 42% aber immer noch deutlich über den Werten von 1948.11 Derartige Verschiebungen schmerzen, zumal wenn sie mit einem erheblichen Strukturwandel, ja einem zumindest subjektiv so wahrgenommenen wirtschaftlichen Niedergang korrespondieren.

Kehren wir noch einmal in das 19. Jahrhundert zurück. Die USA waren keineswegs der einzige Protektionist. Auch die Staaten des europäischen Kontinents folgten dem englischen Vorbild nur zeitweilig; im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden fast überall die Zollsätze erhöht, wenn in der Regel auch nur moderat, aber immerhin: Schutzlos wollten viele Staaten der überlegenen britischen Wirtschaft nicht ausgeliefert sein. Joseph Schumpeter bezeichnete diese Zeit als neomerkantilistische Phase.12 Dass in dieser Zeit unterschiedliche Imperialismuskonzepte (Hobson, Luxemburg, Lenin), in denen ökonomischer Erfolg und politische Expansion zusammengedacht wurden, populär waren, verwundert wenig, zumal selbst Großbritannien vor dem Einsatz von Waffengewalt nicht zurückschreckte, um seine wirtschaftlichen Interessen zur Geltung zu bringen (Opiumkriege, Kolonialkriege, Burenkrieg etc.). Der Erste Weltkrieg und seine Folgen brachten dann die globale Weltwirtschaft der Vorkriegszeit an ihr Ende, ja in gewisser Hinsicht kann er als der Versuch gelten, die Vorkriegsordnung gegen die aufstrebenden ökonomischen Akteure zu stabilisieren. Das war letztlich nicht möglich; Folge des Krieges war trotz Deutschlands Niederlage keine Rückkehr zur Pax Britannica, sondern eine andauernde Auseinandersetzung um Dominanz und Vorteilsgewinnung, die aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch die dann erreichte US-Dominanz und die Zerstörung der deutschen und japanischen Konkurrenz erreicht wurde.13

Die Staatenkonkurrenz war keineswegs der einzige Grund, der die globalen Strukturen verschob und verschiebt, ja vielleicht nicht einmal der wichtigste. Die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung reflektierte und reflektiert vielmehr fundamentale ökonomische Daten, deren Verschiebung zu einem politischen Problem werden kann. Die Staatenkonkurrenz ist daher nicht unbedingt Ursache, sondern auch Ausdruck des ökonomischen Strukturwandels, der – zumeist vergeblich – aufgehalten, reguliert oder im eigenen Interesse intensiviert werden soll. Die jeweiligen Großordnungen sind so gesehen zugleich Förderer und Opfer von wirtschaftlichem Strukturwandel, der bis in die Gegenwart eine große Rolle spielte und heute noch spielt. Großbritanniens weltwirtschaftliche Dominanz hatte zweifellos mit den militärischen Erfolgen des Landes gegen Spanien, die Niederlande und Frankreich zu tun, sicher auch mit der skrupellosen Nutzung kolonialistischer Mittel, war aber vor allem eine Folge seiner starken Stellung in der Frühzeit der modernen Wirtschaft.

Als Mutterland der Industrialisierung, die nebenher im wesentlichen auf „eigenem Mist“ gewachsen war, stand das Land in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ziemlich konkurrenzlos da und beherrschte die weltwirtschaftlichen Strukturen nach Belieben.14 Aber schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnete sich ab, dass mit den neuen Technologien (chemische, elektrotechnische Industrie, Maschinenbau, Feinmechanik und Optik etc.) und mit der Revolution der Transporttechnik (Eisenbahn, Dampfschifffahrt) sich die Gewichte verschoben. Die USA und in Europa Deutschland waren im Rahmen der zweiten Industriellen Revolution wirtschaftlich erheblich dynamischer, während die englische Dominanz geringer wurde, eine Gewichtsverschiebung, die die Konfliktsituation, die dann in den Ersten Weltkrieg führte, ohne Frage verschärfte.

Ganz ähnlich führte das starke Absinken der Transportkosten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer wesentlichen Verschiebung der globalen Standortstrukturen, wovon gegenwärtig vor allem China und Ostasien profitieren, während es im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die überseeischen Agrarexporteure waren, die sehr zum Ärger ihrer europäischen Konkurrenz die europäischen Märkte mit billigen Produkten (Fleisch, Getreide, Wolle etc.) überschwemmten. Schließlich spielten und spielen regionale Verschiebungen, die sich der unterschiedlichen Ressourcenausstattung verdanken, eine bedeutende Rolle. Europas Aufstieg hat viel mit der leichten Verfügbarkeit von Kohle zu tun; die Bedeutung des Erdöls, vor allem aber die regionale Verteilung seiner Lagerstätten ist für die globalen weltwirtschaftlichen Beziehungen kaum zu überschätzen. Der Zugriff auf derartige Ressourcen ist von eminenter Bedeutung. So konnte sich Großbritannien seine Freihandelsposition und die mit ihr verbundenen Handelsbilanzdefizite in Europa vor 1914 nur deshalb leisten, weil die Leistungsbilanz mit den eigenen Kolonien diese Defizite wegen deren Ressourcenreichtum mehr als ausglich. Verschiebungen in der Kontrolle und der Art der Ressourcennutzung sind daher für die globale Konfiguration von großer, in der Regel aber nur schwer zu berechnender Bedeutung.15

Stärkere Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung

Das Auf und Ab im (institutionellen) Umgang mit den globalen wirtschaftlichen Strukturen hat mithin vor allem politische Ursachen, da die Stellung in der Weltwirtschaft über politische Handlungsmöglichkeiten entscheidet, die Weltwirtschaft mithin – obwohl selbst sehr viel mehr wirtschaftlich, technisch und geografisch bestimmt – entsprechend immer ein Politikum war und ist. Während unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten fast alles für eine Vertiefung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung spricht, spätestens seit den außenhandelstheoretischen Überlegungen von David Ricardo ist das auch wissenschaftlich gut begründet,16 wiesen die politisch bedingten Pendelschläge häufig in die gegenteilige Richtung. Abschluss wie Öffnung der Weltwirtschaft hingen daher stets mit politischen Entscheidungen zusammen. Gerade die großen Globalisierungswellen im 19. Jahrhundert und seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren immer auch Ausdruck spezifischer politischer Dominanzverhältnisse: Pax Britannica und Pax Americana. Davon war die Rede.

Mit der starken Intensivierung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung seit den 1970er Jahren aber ist ein weiteres Moment hinzugetreten, das die Situation noch einmal grundlegend beeinflusst hat. Nimmt man die Steigerung des globalen Handelsvolumens und der entsprechenden Austauschbeziehungen, die durch die Liberalisierung des Welthandels sowie die dramatische Absenkung der Transportkosten möglich geworden sind, so ist die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung mittlerweile derart intensiv, dass die jeweiligen Staatsgrenzen wirtschaftlich gesehen im Grunde ihre Bedeutung verloren haben. Nur sind die Folgen dieser weltwirtschaftlichen Integration heute weitaus dramatischer als früher, denn die Bedeutung ganzer Regionen ist plötzlich zur Disposition gestellt.

Die Weltwarenproduktion hat zwischen 1960 und 2012 um knapp 460% zugenommen, der Warenexport im gleichen Zeitraum aber um 1570%, also um mehr als das Dreifache der Güterherstellung selbst.17 Die Deindustrialisierung vieler Gegenden Westeuropas seit den 1970er Jahren hat insofern nichts damit zu tun, dass weniger Industrieprodukte konsumiert würden, im Gegenteil, deren preiswerte und qualitativ zufriedenstellende Herstellung erfolgt nur jetzt eben in Asien, das über den schlagenden standortvorteil niedriger Lohnkosten verfügte und noch verfügt, ein Faktor, der angesichts marginaler Transportkosten, ausschlaggebende Standortbedeutung gewonnen hat.

Für die europäischen und amerikanischen Konsumenten von gewerblichen Gütern war und ist das ein eminenter Vorteil, da sie an den geringen Lohnkosten in Asien so unmittelbar teilhaben. Die mit der Standortverlagerung verbundenen Verluste an Arbeitsplätzen wurden lange Zeit durch genau diese Vorteile der Globalisierung überdeckt, doch momentan, bei schwachen Produktionszuwächsen und weiterhin stark wachsendem Welthandel, werden dessen Folgeprobleme zu ernsthaften Herausforderungen der für ihre Standorte ja weiterhin verantwortlichen Regierungen. Dass neomerkantilistische Stimmen insbesondere in den USA, deren eigener Wirtschaftsraum ja groß genug ist, um die Illusion erfolgreicher Alleingänge zu nähren, aufkommen, ist wenig verwunderlich, zumal es dort wie gesehen eine lange Tradition entsprechender Maßnahmen gibt. Dabei sind die entsprechenden Ankündigungen der Trump-Administration im eigenen Land höchst umstritten, denn die Tatsache, dass die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung Nutznießer und Verlierer kennt, unterscheidet weniger zwischen den beteiligten Staaten als in diesen selbst. Während industrielle Arbeitsplätze verschwinden und ganze Regionen in einen Abwärtssog geraten können, sind die billigen Importe für viele Konsumenten ein Vorteil und gesamtwirtschaftlich zweifellos ein wichtiger Faktor. Der Umgang mit der ambivalenten Seite der Globalisierung ist daher keineswegs einfach.18

Entfaltung der produktiven Kräfte erforderlich

So einfach, wie sich manche Programmatiker das vorstellen, ist die Sache jedenfalls nicht. Der gegenwärtige Status der Weltwirtschaft ist ja nichts Arbiträres, das sich einfach auch anders machen ließe. Dazu sind Volumen und Struktur der weltweiten Arbeitsteilung zu ausdifferenziert, dazu ist auch die Bedeutung der weltwirtschaftlichen Integration nicht nach Vor- und Nachteilen einfach zu separieren. Es kann gut sein, ja ist sogar wahrscheinlich, dass eine sich abschottende Volkswirtschaft einen größeren gesamtwirtschaftlichen Schaden erleidet, als hieraus an regionalen oder sozialen Vorteilen resultiert. Zudem: historisch gesehen waren (neo-)merkantilistische Maßnahmen immer nur dann hilfreich, wenn sie als zeitweiliger Schutz gegen eine überlegene ausländische Konkurrenz das Aufkommen der eigenen Wirtschaft ermöglichen sollten, um dann zu verbesserten Bedingungen in den Freihandel zurückkehren zu können. Solange es nicht gelingt, im Rahmen derartiger „Erziehungszölle“ die eigenen „produktiven Kräfte“ (Friedrich List) zu entfalten,19 ist die Bedeutung protektionistischer Maßnahmen in der Regel kontraproduktiv, da sie die eigenen Verbraucher straft, ohne den Herstellern wirklich zu helfen.

Die Bedeutung (neo-)merkantilistischer Maßnahmen hat ja auch niemals wirklich lange angehalten. Großbritannien hat sich hiervon im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts verabschiedet, als sich das Land hierfür stark genug fühlte, und auch die USA brachen nach 1945 mit der eigenen protektionistischen Tradition ziemlich konsequent, als man sich von ihr keinen Nutzen mehr versprach. Die Vorteile des Freihandels wollten weder London noch Washington aufgeben, sie wollten nur für sich selbst eine vorteilhafte Position, die sie aber, und das ist der entscheidende Punkt, nur sehr eingeschränkt ihrem Protektionismus verdankten.

Das Geheimnis des britischen Aufstiegs im 18. Jahrhundert und des Aufstiegs der USA im 20. Jahrhundert lag ja nur bedingt in der politischen und militärischen Dominanz, die half, aber selbst Ausdruck einer überlegenen Produktivität der jeweiligen Volkswirtschaft war. Wenn die Wirtschaftsgeschichte eines lehrt, dann, dass ökonomischer Erfolg weniger eine Frage der Gewalt als der Entfaltung der eigenen „produktiven Kräfte“ ist. Das muss nicht heißen, die Globalisierung einfach geschehen zu lassen und auf jede politische Gestaltung zu verzichten. Mit Friedrich List20 gesprochen lägen aber eine Entfaltung der „produktiven Kräfte“ etwa durch Bildungsanstrengungen und ein Schutz der Globalisierungsverlierer durch sozialstaatliche Maßnahmen sehr viel näher, als die Bekämpfung einer globalen Arbeitsteilung, deren positive Effekte insgesamt unstrittig sind.

Die Wirtschaftsgeschichte hat Friedrich List weitgehend bestätigt, der ja für eine offene Weltwirtschaft eintrat, aber eben wünschte, dass die jeweiligen Volkswirtschaften hierauf gut vorbereitet waren.21 Die deutsche Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass das gut funktioniert. Die Hauptprotagonisten der hiesigen Schutzzollpolitik vor 1914 und in den 1920er Jahren waren stets die Branchen, die im ökonomischen Strukturwandel Probleme hatten, die sie auf Kosten der Allgemeinheit zu lösen suchten. Die Schwerindustrie, das Textilgewerbe und vor allem die Landwirtschaft forderten bereits seit den 1870er Jahren Schutzzölle, um die überlegene ausländische Konkurrenz nicht auf den deutschen Markt zu lassen, bürdeten mithin den deutschen Verbrauchern höhere Preise als nötig auf, schreckten selbst aber vor Dumpingexporten ins Ausland nicht zurück. Um diese Sonderinteressen durchzusetzen, betrieben diese Industriezweige zudem einen rüden Wirtschaftsnationalismus, der den „Schutz der nationalen Arbeit“ auf dem Banner, aber doch nur das eigene Portemonnaie im Sinn hatte.

Diese „alten“ Industrien wünschten Bestandsgarantien gegen den überlegenen Wettbewerb, die ihren Niedergang nicht aufhielten, aber den Strukturwandel verzögerten und das innenpolitische Klima vergifteten. Man kann es polemisch zuspitzen: Die Strukturprobleme des Ruhrgebietes sind bis in die Gegenwart so groß, weil das Revier politisch aufgepeppelt und danach mit Subventionen, vor allem also Zollschutz, auf einem Niveau gehalten wurde, das sich bei freien Weltmärkten nie hätte etablieren können. Umso härter waren die Folgen, als der Schutz dann entfiel und gigantische Industrieruinen zurückließ.22 Und auch die Geschichte der Industriebetriebe der DDR nach 1990, besser ihre Abwicklung, war ja vor allem nachholender Strukturwandel, der durch die Abschottung vom Weltmarkt nötig geworden ist.23 Hier handelte es sich nicht um überlegenswerte List’sche Erziehungszölle, sondern um einen im Ergebnis desaströsen Sozialprotektionismus. Das sollte in den USA bedacht werden. Denn die erfolgreichen Industrien, und hierfür gibt es ja gerade in Deutschland zahlreiche Beispiele, stellten sich auf die weltweite Konkurrenz ein, mit der sie seither gut zurechtkommen. Schutzzollforderungen von hier sind nicht bekannt.

  • 1 Generell hierzu A. Iriye, J. Osterhammel (Hrsg.): Geschichte der Welt, bisher 4 Bände, München 2013-2016.
  • 2 R. C. Allen: Global Economic History. A Very Short Introduction, Oxford 2011.
  • 3 P. Vries: Ursprünge des modernen Wirtschaftswachstums. England, China und die Welt in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2013.
  • 4 A. Steiner: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004.
  • 5 Typisch D. Senghaas: Weltwirtschaftsordnung und Entwicklungspolitik. Plädoyer für Dissoziation, Frankfurt a.M. 1977.
  • 6 J. L. Abu-Lughod: Before European Hegemony. The World system A.D. 1250-1350, New York 1989.
  • 7 J. de Vries, A. van der Woude: The First Modern Economy. Success, Failure and Peserverance of the Dutch Economy 1500-1850, Cambridge 2007.
  • 8 Als Überblick C. Kleinschmidt: Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit. Die Weltwirtschaft 1500-1850, München 2017.
  • 9 S. L. Engerman, R. E. Gallman (Hrsg.): The Cambridge Economic History of the United States, Bde 2. und 3, Cambridge 2000.
  • 10 T. ten Brink: Kooperation oder Konfrontation? Der Aufstieg Chinas in der globalen politischen Ökonomie, PPIFG working paper, Nr. 2011.7, Köln 2011.
  • 11 W. Fischer: Die Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Göttingen 1979; WTO: World Trade Report 2015.
  • 12 C. Torp: Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860-1914, Göttingen 2005.
  • 13 R. Findlay, K. H. O’Rourke: Power and Plenty. Trade, war, and the World economy in the Second Millennium, Princeton 2007, Kap.7-9.
  • 14 R. C. Allen: The British Industrial Revolution in Global Perspective, Cambridge 2009.
  • 15 T. Ballantine, A. Burton: Imperien und Globalität, in: E. S. Rosenberg (Hrsg.): 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege, Bd. 4 der Geschichte der Welt, hrsg. von A. Iriye, J. Osterhammel, München 2012, S. 287-432.
  • 16 Generell hierzu P. Krugman, M. Obstfeld, M. Melitz: Internationale Wirtschaft. Theorie und Politik der Außenwirtschaft, 9. Aufl., München 2012.
  • 17 WTO: International Trade Statistics 2013.
  • 18 T. Straubhaar: Globalisierung, Technologie, Deindustrialisierung, in: Zeitenwende auf dem Arbeitsmarkt, Bonn 2013, S. 62-85.
  • 19 F. List: Das nationale System der Politischen Ökonomie. Nach der französischen Handschrift übersetzt und eingeleitet von G. Fabiunke, Berlin 1961.
  • 20 Zu Friedrich List siehe E. Wendler: Friedrich List (1789-1846): A Visionary Economist with Social Responsibility, Berlin, Heidelberg 2015.
  • 21 K. Tribe: Die Vernunft des List. National economy and the Critique of Cosmopolitan Economy, in: K. Tribe: Strategies of economic Order. The German Economic Discourse 1750-1950, Cambridge 1995, S. 32-65.
  • 22 W. Plumpe: Subventionsruine Ruhrgebiet? Eine Polemik, in: P. Friedemann, G. Seebold (Hrsg.): Struktureller Wandel und kulturelles Leben. Politische Kultur in Bochum 1860-1990, Essen 1992, S. 439-449.
  • 23 K.-H. Paqué: Die Bilanz. Eine wirtschaftliche Analyse der Deutschen Einheit, München 2009.

Title:Globalisation – a Reversible History?

Abstract:A global labour division with a corresponding exchange in trade has always existed, ultimately for reasons of pragmatism; the volume and structure of this labour division did particularly depend on technical and economic conditions. Today, low haulage makes the division of labour exceedingly intense, supported by the unprecedented reduction of trade barriers in the Post-War period. The latter phenomenon had always been controversial, as impacts of global trade on welfare were, and still are, unequally distributed. The winners seek to secure their advantages, while the losers try to defend themselves against competitors. There are two lessons to be learned from historic experience: On the one hand, that a limitation of global labour division is altogether unfavourable; first, that the costs resulting from an occasional limitation are only acceptable under the premise that the time gained is used for structural reforms that allow the return to the global division of labour. A permanent exit from global economy, however, has (thus far) never turned out to be successful.

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DOI: 10.1007/s10273-017-2140-3

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