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Individuelle Mobilität und das Auto haben Deutschland geprägt. Am 1. Januar 2017 waren 45,8 Mio. Pkw angemeldet,1 pro 1000 Einwohner sind dies 554 Pkw, so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Nur wenige Staaten, wie etwa die USA oder Monaco, haben eine größere Fahrzeugdichte. Seit der Wiedervereinigung wächst der Pkw-Bestand in Deutschland kontinuierlich mit durchschnittlich 1,5% pro Jahr. Das ist die eine Seite der Medaille. Die Kehrseite: Das Interesse der Privatkunden an Neuwagen sinkt.2 Im ersten Halbjahr 2017 wurden nur noch 34,6% aller Pkw-Neuwagen auf Privatkäufer erstangemeldet. Es gibt im deutschen Automarkt Ermüdungserscheinungen.

Trend 1: Pkw-Bestand mit Altersrekord

Zwar steigt in Deutschland der Fahrzeugbestand, aber in deutlich höherem Tempo klettert sein Alter. Anfang 2017 betrug das Durchschnittsalter der Pkw auf Deutschlands Straßen 9,3 Jahre. Nur in zwei Jahren konnte der Alterungsprozess in den letzten 22 Jahren kurzzeitig aufgehalten werden. Einmal kurz vor dem Crash der Finanzmärkte 2008 sowie danach 2009 durch die staatliche Abwrackprämie. Das von der Autoindustrie damals vorgeschlagene und von der Bundesregierung implementierte Konjunkturprogramm der staatlichen Abwrackprämie bei Verschrottung des Altwagens und Kauf eines Neuwagens hatte zwar einen kurzzeitigen Nachfrageimpuls ausgelöst und das Durchschnittsalter des Fahrzeugbestands leicht auf 8,1 Jahre gesenkt (vgl. Abbildung 1), allerdings kehrte nur ein Jahr später der Trend zum steigenden Fahrzeugalter zurück.

Abbildung 1
Durchschnittsalter des Pkw-Bestands

Quelle: CAR – Universität Duisburg-Essen.

Die gepunktete Gerade in Abbildung 1 illustriert den Langzeittrend eindeutig. Um stattliche 37% „ergrauten“ die Pkw auf Deutschlands Straßen in den letzten 22 Jahren. Hatten die Pkw 1995 noch 6,8 Jahre im Schnitt „auf dem Buckel“, ist das Durchschnittsalter mittlerweile auf 9,3 Jahre angewachsen. Setzt sich der Trend fort, werden um das Jahr 2023 die Autos in Deutschland im Durchschnitt zehn Jahre alt sein. Zwar wächst der Pkw-Bestand kontinuierlich, aber man fährt lieber mit dem alten Auto. Die von den Autobauern laufend vorgestellten Innovationen bei Neuwagen scheinen die Käufer wenig zu überzeugen. Echte Durchbruchsinnovationen – wie das Elektroauto – fehlen. Die Branche bewegt sich in der Welt der kontinuierlichen Verbesserung. Für die Autokäufer scheint das wenig überzeugend, also nutzt man das bisherige Fahrzeug weiter. In anderen Industrien – wie etwa bei Smartphones, Tablets oder Software sieht das anders aus. Dort bewegen neue Produkte die Menschen und lösen Kaufimpulse aus.

Zusätzlich zum Alterstrend gilt, dass seit Jahren die Incentives und Rabatte für Neuwagen stetig anwachsen, wie das am CAR-Center Automotive Research monatlich gemessene Rabattniveau deutlich macht.3 Die Autobauer versuchen, durch Preissenkungen über die sogenannten Eigenzulassungen, den Markt anzuschieben und den Fahrzeugbestand zu verjüngen. In Deutschland gibt es quasi Null-Zinsen, die verfügbaren Einkommen stiegen seit 1995 deutlich, der Immobilienmarkt boomt und neigt stellenweise zur Blasenbildung, aber an neuen Autos haben die Deutschen wenig Interesse.

Trend 2: Alter der Käufer steigt stetig

Das Bild des sinkenden Interesses an neueren Autos verfestigt sich, wenn man die Altersentwicklung der Neu- und Gebrauchtwagenkäufer im Zeitverlauf studiert. Abbildung 2 zeigt, dass sowohl im Neuwagenmarkt als auch im Gebrauchtwagenmarkt das Alter der Fahrzeugkäufer steigt. So ist von 1995 bis 2017 das Durchschnittsalter der Neuwagenkäufer um 14,5% auf 52,8 Jahre gestiegen. Jüngere Neuwagenkäufer werden seltener, aber die Alten kaufen mit steigendem Alter. Waren etwa 2000 nur 17,9% der Neuwagenkäufer 60 Jahre und älter, beträgt deren Anteil in den ersten Monaten 2017 bereits 32,3%, ein neuer Rekord.

Abbildung 2
Alter der Neu- und Gebrauchtwagenkäufer
in Jahren

Quelle: CAR – Universität Duisburg-Essen.

Die Analyse des deutschen Automarkts zeigt, dass in allen wesentlichen Teilmärkten – dem klassischen Neuwagenmarkt der Privatkunden, dem Gebrauchtwagenmarkt sowie dem Fahrzeugbestand – das Alter der Autokäufer steigt. Die Autos werden länger gefahren, weil neue „jüngere“ Autokäufer und Besitzer weniger Interesse zeigen. Ergebnis: Sowohl das Durchschnittsalter der Neu- als auch der Gebrauchtwagenkäufer steigt und zwar schneller als die demografische Altersentwicklung. Am gravierendsten ist die Entwicklung unter den Gebrauchtwagenkäufern. Dieser Trend ist überraschend, wurde doch immer wieder behauptet, dass den jungen Autokäufern die „Preise“ davon laufen und sie deshalb weniger Neuwagen kaufen. Auch das Argument, dass die Jüngeren verstärkt die Eigenzulassungen kaufen, also die jungen Gebrauchtwagen, ist bei der Altersanalyse der Gebrauchtwagenkäufer nicht wahrzunehmen.

Abbildung 2 illustriert die Entwicklung: Von 1995 bis April 2017 ist das Durchschnittsalter der Gebrauchtwagenkäufer um 19,4% von 37,5 Jahren auf 44,8 Jahre gestiegen. Der klassische Neuwagenkäufer ist zwar ebenfalls gealtert, aber eben nicht ganz so stark: Von 46,1 Jahren 1995 auf 52,8 Jahre bis April 2017. Der demografische „Vergrauungseffekt“ verläuft dabei deutlich langsamer. Hatte 1995 der Bundesbürger ein Durchschnittsalter von 40,0 Jahren ist es bis 2016 auf 44,2 Jahre, also um 10,5% angestiegen. 1995 war der Gebrauchtwagenkäufer noch jünger als der Bundesschnitt. Jetzt ist er älter. Die Jüngeren halten sich beim Autokauf – gleichgültig ob Neu- oder Gebrauchtwagen – stärker zurück. Dem eigenen Auto könnten längerfristig die Kunden wegfallen. Es sieht ganz danach aus, als würden die jungen Menschen die Lust am eigenen Auto verlieren.

Trend 3: Alterung der Fahrzeughalter

Dieser Trend wird auch an Abbildung 3 deutlich. Fast ein Drittel der Autobesitzer – exakt 31,8% – sind in Deutschland über 60 Jahre alt. Zwar steigt der Pkw-Bestand kontinuierlich aber die Älteren besitzen eben die Autos.

Strukturänderungen und neue Geschäftsmodelle

Abbildung 3
Alter der Autobesitzer

Quelle: CAR – Universität Duisburg-Essen.

 

Die Daten zeigen, dass sich im Automarkt signifikante Strukturänderungen ergeben. Insbesondere in Großstädten ist der Trend zum Verzicht auf das eigene Auto bei jüngeren Menschen erkennbar.

Sharing Economy liefert nur Teilerklärung

Teilweise können die Modelle der Ökonomie des Teilens (Sharing Economy) die Entwicklung erklären. Individuelle Mobilität mit und ohne Autobesitz ist durch zwei Geschäftsmodelle umsetzbar: einerseits durch die Angebote der klassischen Autovermieter, wie etwa bei den großen nationalen Vermietern Sixt, Avis, Europcar oder Hertz, und andererseits durch das sogenannte Carsharing. Mittlerweile sind in Deutschland 1,7 Mio. Menschen bei Carsharing-Organisationen als Nutzer registriert.4 Insgesamt zählt der Bundesverband CarSharing lediglich 17 200 Fahrzeuge, die in Carsharing-Systemen im Einsatz sind. Das sind nur 0,04% aller Pkw in Deutschland, also ein vernachlässigbarer Anteil. Da der Fahrzeugbestand in Carsharing-Organisationen nur sehr langsam wächst, scheint die Auslastung der Carsharing-Fahrzeuge „überschaubar“ zu sein. Unterstellt man in einer Plausibilitätsbetrachtung, dass ein Durchschnittsnutzer von Carsharing-Systemen ein Fahrzeug pro Woche sechs Stunden ausleiht und die Fahrzeuge pro Tag im Mittel sieben Stunden in der Ausleihe sind (was hoch wäre), würden die 17 200 Fahrzeuge gerade einmal für 140 000 Menschen reichen. Unter den registrierten 1,7 Mio. Nutzern scheinen also auch „Karteileichen“ oder „Schaltjahr-Nutzer“ gemeldet zu sein. Bei den Vermietern, die wesentlich mehr Fahrzeuge im Bestand haben, stellen das Hauptgeschäft Firmenkunden, Touristen oder Unfallersatzfahrzeuge. Die privaten Nutzer sind die Minderheit. Die Ökonomie des Teilens erklärt das Wegbleiben der jungen Käufer nur zu einem geringen Teil, auch wenn der Trend zum Carsharing positiv verläuft.

Emotionale Komponente sinkt

Deutlich wichtiger scheint ein anderes Argument für die Alterung des Fahrzeugbestandes und der Käufer zu sein. In den letzten 40 Jahren hat die Autoindustrie durch kontinuierliche Verbesserung, d.h. inkrementelle Innovationen, versucht, Kunden-Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das Ergebnis: Der Dieselantrieb ist nach wie vor das Maß der Dinge, der sportliche Geländewagen (SUV) die überwältigende Innovation. Fast 25% aller Neuwagen sind mittlerweile SUV. Vor 40 Jahren lag der SUV-Anteil bei weniger als 2%. Ansonsten haben die permanent vorgestellten neuen Modelle immer ein paar PS mehr, eine bessere Innenausstattung, ein netteres Design, eine bessere Sicherheitsausstattung – eben kontinuierliche Verbesserungen. Die früheren Emotionen und die Einzigartigkeit von Autos gehen im Wettbewerb mit anderen Produkten mit höherem Innovationsgrad verloren. Das Auto büßt scheinbar ein. Radikale oder disruptive Innovationen sieht man kaum. Das Auto bleibt im Großen und Ganzen was es immer war, nur eben ein bisschen besser. Der Vertrieb läuft in den alten Bahnen, das Autohaus sitzt im Gewerbegebiet, Internet im Autovertrieb ein Fremdwort, die Automessen der Welt zeigen die bekannten Konzepte. Es sieht so aus, als würde der emotionale Kick zum Autobesitz stärker abhandenkommen.

Disruptive Innovationen durch Tesla

Dass Autos durchaus neues emotionales Potenzial aufweisen können, zeigt der junge Autobauer Tesla. Während die deutschen Konzerne im Dieselchaos versinken, baut Elon Musk mit Tesla das Auto der Zukunft. Elon Musk hat es geschafft, ähnlich wie Steve Jobs bei Apple, einen Kult um das Unternehmen und seine Produkte aufzubauen. Das Image von Musk als dem Superhelden, der die Welt vor dem Klimawandel rettet und gleichzeitig die revolutionärsten Autos baut, verbreitet sich. Im Juli 2017 hat die Firma aus Kalifornien die Serienproduktion eines neuen Volumen-Modells, des Tesla Model 3, gestartet. Ende Juli nahmen die ersten 30 Kunden, allesamt Mitarbeiter von Tesla, ihr Model 3 in Empfang. Tesla verspricht mindestens 350 Kilometer Reichweite, über 300 PS und ein Panorama-Glasdach. Der rein elektrisch betriebene Wagen fährt schon heute auf Autobahnen weitgehend autonom, Software-Aktualisierungen lassen sich per Funkverbindung ohne Werkstattbesuch direkt herunterladen. Super-Charger, also Schnellladestationen, über Europa verteilt, erlauben auch länderübergreifend elektrisch zu fahren. Der Tesla-Vertrieb ist eigenständig mit sogenannten Stores in den Herzen der Metropolen angesiedelt und nicht in Gewerbegebieten wie der traditionelle Autohandel.5 Kunden können die Fahrzeuge online kaufen. Es ist ein neues Geschäftsmodell, das mehr bietet als eine kontinuierliche Verbesserung der bestehenden Konzepte, sondern, wie etwa der Übergang vom Tastenhandy zum Smartphone, mit den traditionellen Konventionen bricht und neue Emotionen erzeugt. Innerhalb von nur zwei Wochen hatte Elon Musk ein Jahr vor Produktionsbeginn 400 000 Aufträge für sein Model 3 mit jeweils 1000 US-$ Anzahlung erhalten. Das Fahrzeug war nur in einer Animation, nicht in echt zu sehen. Eine reine Internet-Präsentation des Fahrzeugs hatte weltweit bei 400 000 Menschen spontane Kaufimpulse ausgelöst.

Bereits mit der Markteinführung des Oberklasse-Tesla- Modells S 2012 hat Musk das Elektroauto aus der Öko-Müsli-Ecke geholt. Für 100 000 US-$ konnten sich Besserverdiener die sportliche Limousine mit mehr als 500 Kilometern Reichweite und 320 PS bestellen. Musk hatte gezeigt, dass Elektroautos zu mehr taugten, als nach langen Ladezeiten mühsam wenige Kilometer zu kriechen. Tesla-Fahrer treffen sich an Super-Chargern wie in einer Kult-Gemeinde. Was Porsche vor 70 Jahren war, ist Tesla heute. Das Prinzip Tesla – neue Emotionalität mit elektrisierender Dynamik und Intelligenz – schafft es, Autos für junge Menschen wieder begehrlicher zu machen.

Das junge Unternehmen Tesla wird in seinem Wert mittlerweile höher eingestuft als Unternehmen wie BMW, General Motors oder Ford. Während BMW mehr als 2 Mio. Autos baut und verkauft, hatte Tesla im letzten Jahr gerade 50 000 gebaut. Obwohl Tesla bisher keine Gewinne macht, könnte die Börsenkapitalisierung von Tesla in ein paar Jahren den Wert von Daimler, Toyota oder VW übersteigen. Der Grund dafür ist die hohe Innovationsfähigkeit und die extreme Emotionalität, die das junge Unternehmen an den Tag legt.


DOI: 10.1007/s10273-017-2183-5