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In der Juniausgabe veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Die Solidarische Privatversicherung – Ein Vorschlag zur Gesundheitsstrukturreform“. Dieses Konzept diskutieren Johann Eekhoff und Christine Wolfgramm und stellen dem einen eigenen Vorschlag entgegen. Ulrich van Suntum erläutert seine Sichtweise in einer Erwiderung.

Solidarische Privatversicherung oder Bürgerprivatversicherung? Eine Replik

Von Johann Eekhoff, Christine Wolfgramm

Unter der Überschrift „Solidarische Privatversicherung“ hat Ulrich van Suntum einen Vorschlag zur Gesundheitsreform eingebracht, bei dem risikoäquivalente Prämien und ein Solidarausgleich innerhalb der Krankenversicherung miteinander verbunden werden sollen.1 Der Vorschlag macht neugierig, weil man bei risikoäquivalenten Prämien an die bestehende Private Krankenversicherung denkt, die allerdings keinen sozialen Ausgleich enthält, sondern diese Aufgabe den Kommunen bzw. dem Staat überlässt.2

Im vorliegenden Artikel soll zunächst das Konzept der „Solidarischen Privatversicherung“ diskutiert werden. Anschließend wird die Bürgerprivatversicherung3 als Alternative gegenübergestellt, die ebenfalls für die gesamte Bevölkerung gedacht ist.

Zum Solidarischen

Van Suntum macht es dem Leser nicht leicht, herauszufinden was er unter „solidarisch“ versteht. Er spricht sich zunächst für einen einheitlichen Solidarausgleich in der Gesetzlichen und in der Privaten Krankenversicherung aus und erläutert dies wie folgt: „Die schlechten GKV-Risiken sollten ... ihren Solidarausgleich beim Wechsel in die PKV mitnehmen können, und die guten Risiken sollten auch nach einem Wechsel weiter an der Finanzierung des Solidarausgleichs beteiligt bleiben.“4

Hier wird die Solidarität der Versicherten untereinander angesprochen, also der Gesunden mit den Kranken. Sie gehört zum Wesen jeder Krankenversicherung. Das gleiche Prinzip liegt auch der folgenden Aussage zugrunde: „Der Gesundheitsfonds finanziert ... aus den Solidarbeiträgen der guten Risiken die Beitragslücken der schlechten Risiken ...“5.

Damit ist noch keine Umverteilung zwischen den Versicherten nach sozialen Kriterien verbunden. Der Versicherer bietet dem jeweiligen Versicherten vielmehr an, gegen eine Prämie die Kosten der Gesundheitsleistungen im Krankheitsfall zu übernehmen und ihm damit das Risiko unerwartet hoher Belastungen abzunehmen. Der Versicherte kauft eine Absicherung gegen eine finanzielle Überforderung durch unvorhersehbare Gesundheitsaufwendungen. Die Höhe der Prämie richtet sich nach den zum Zeitpunkt des Eintritts in die Versicherung erwarteten (durchschnittlichen) Aufwendungen für Personen mit gleichen Merkmalen wie Alter, Vorerkrankungen usw. Erst später stellt sich heraus, ob ein Versicherter mehr einzahlt als er herausbekommt, er also für die Versicherung ein gutes Risiko geworden ist, oder ob er umgekehrt überdurchschnittlich hohe Kosten verursacht, also zum schlechten Risiko geworden ist. Aufgabe der Versicherung ist es, die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Belastungen zwischen den Versicherten auszugleichen, die prinzipiell weiterhin alle die gleiche Prämie zahlen.

Diese Versicherungsleistung soll nach van Suntum auch bei einem Wechsel von einer gesetzlichen zu einer privaten Versicherung erhalten bleiben. Die Situation des Versicherten soll sich durch einen solchen Wechsel nicht verschlechtern oder verbessern. Das ist gemeint, wenn van Suntum davon spricht, dass die schlechten Risiken ihren Solidarausgleich mitnehmen können und die guten Risiken weiterhin an der Finanzierung des Solidarausgleichs beteiligt sein sollen. Dieser Ausgleich der Risiken ist innerhalb des Systems der Gesetzlichen Krankenversicherung kassenübergreifend geregelt (Risikostrukturausgleich). In der Privaten Krankenversicherung ist derzeit ein nachteilsfreier Wechsel für die Versicherten aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen nicht möglich. Da die in der Ursprungsversicherung angesparten Altersrückstellungen bei einem Versicherungswechsel zurückgelassen werden müssen, wird der Versicherte von der neuen Versicherung grundsätzlich entsprechend dem aktuellen Risiko neu eingestuft,6 d.h. Versicherte, die zu schlechten Risiken geworden sind, werden bei einem Wechsel mit einer erheblich höheren Prämie konfrontiert, während für gute Risiken wesentlich geringere Zuschläge verlangt werden.

Van Suntum löst dieses Problem, indem er die Privaten Krankenversicherungen zwingt, alle Mitglieder nach den Prinzipien der Gesetzlichen Krankenversicherungen zu behandeln und am Risikostrukturausgleich durch den Gesundheitsfonds teilzunehmen. Den bisher privat Versicherten soll aber aufgrund ihrer angesammelten Altersrückstellungen ein Abschlag auf den einkommensabhängigen Beitrag gewährt werden.7 Das wäre allerdings nur gerechtfertigt, wenn sie in der Zukunft in der Gesetzlichen Krankenversicherung höhere Beiträge zahlen müssten als in der Privaten Krankenversicherung angefallen wären. Formal behalten die Versicherten ihren bisherigen Status als gute oder schlechte Risiken, d.h. diese Einstufung hat keinen Einfluss auf die neue Prämie bzw. auf den Beitrag in der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Der Ausgleich der Risiken und der damit verbundenen Aufwendungen innerhalb einer Versichertengemeinschaft ist konstituierend für den Abschluss eines Versicherungsvertrages sowie für die Existenz einer Versicherung. Selbstverständlich sollte der Risikoausgleich für den einzelnen Versicherten bei einem Wechsel der Versicherung unverändert bestehen bleiben. Das ist eine Version des „Solidarausgleichs“, wie van Suntum ihn verwendet. Den gleichen Begriff verwendet er aber auch für einen völlig anderen Ausgleich, nämlich nicht für den Risikoausgleich, sondern für den Einkommensausgleich zwischen den Versicherten. Üblicherweise wird der Ausgleich der nach Abschluss eines Vertrages auftretenden Risiken als eine selbstverständliche Aufgabe der Versicherungen angesehen und nur dann von einem Sozialausgleich gesprochen, wenn der Staat Regelungen zugunsten der einkommensschwachen bzw. der weniger leistungsfähigen Versicherten innerhalb oder auch außerhalb des Versicherungssystems vorgibt, sei es im Rahmen der Versicherung, sei es im öffentlichen Transfersystem. In dem Zusammenhang wird auch von einer Einkommensumverteilung gesprochen.

Diese beiden Versionen werden bei van Suntum vermischt, wie das folgende Zitat zeigt: „Die Kosten des Solidarausgleichs werden heute allein von den guten Risiken innerhalb der GKV getragen, also von denjenigen, die relativ viel verdienen, keine Familie haben und/oder relativ jung und gesund sind“8. Anschließend spricht er einerseits davon, dass diese „guten Risiken“ die „Zwangszahler für die ungedeckten Kosten der schlechten Risiken in der GKV“9 sind. Andererseits beklagt er die „Ungleichbehandlung von Einkommensbeziehern knapp ober- bzw. unterhalb der Versicherungspflichtgrenze“. Eindeutig auf den Sozialausgleich im Sinne der Umverteilung bezieht sich seine Definition „‚solidarische‘, d.h. am Einkommen ansetzende Kassenbeiträge“10. In den folgenden Ausführungen wird der Leser hin- und hergerissen zwischen dem Ausgleich der Risiken und dem Einkommensausgleich. Es bleibt bis zuletzt offen, was der Kern der „Solidarischen Privatversicherung“ sein soll.

Zu den risikoäquivalenten Prämien

Im Untertitel des Artikels „Die Solidarische Privatversicherung“ wird behauptet, es gebe einen Weg, „risikoäquivalente Prämien und Solidarausgleich miteinander (zu) verbinden.“ In der Beschreibung des Vorschlags heißt es dann: „Es liegt also nahe, risikoäquivalente Beiträge sowohl in der GKV als auch in der PKV anzuwenden“11. Vielleicht ist es kein Zufall, dass hier schon nicht mehr von Prämien – wie in der PKV –, sondern von Beiträgen gesprochen wird.

Wenn im Gesundheitswesen von risikoäquivalenten Prämien die Rede ist, versteht man darunter die von den Versicherten zu zahlenden Beträge, deren Barwert über die Laufzeit des Versicherungsvertrags, d.h. in der Regel bis zum Lebensende, (mindestens) den Barwert der erwarteten Gesundheitsaufwendungen für den betreffenden Versicherten decken sollen. Das entspricht dem Verfahren in der Privaten Krankenversicherung. Diese Prämien werden ausschließlich auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses erkennbaren Risiken ermittelt, also unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Versicherten. Sind noch keine unterschiedlichen Risiken erkennbar, beispielsweise zum Zeitpunkt der Geburt, zahlen alle Versicherten die gleiche Prämie. Diese bleibt auch bei sich ändernden persönlichen Gesundheitsrisiken für die gesamte Laufzeit des Vertrags prinzipiell real konstant. Da die Prämien in den Anfangsjahren der Versicherung in der Regel höher sind als die Gesundheitsaufwendungen, werden Altersrückstellungen gebildet, mit denen höhere Aufwendungen in späteren Jahren ausgeglichen werden können.

Unter einer risikoäquivalenten Prämie wird aber im Vorschlag der „Solidarischen Privatversicherung“ etwas völlig anderes verstanden. Mit dem „risikoäquivalenten Beitrag“ ist der Bedarf der Versicherung zur Deckung der erwarteten individuellen Gesundheitsaufwendungen für das nächste Jahr gemeint. Es handelt sich lediglich um eine rechnerische Größe als Grundlage für den Risikostrukturausgleich durch den Gesundheitsfonds. Die Versicherten zahlen keine risikoäquivalente Prämie, sondern weiterhin einen einkommensbezogenen Beitrag. Abweichend vom gegenwärtigen Verfahren besteht die einzige Änderung darin, dass die Höhe des Risikostrukturausgleichs nicht vom Gesundheitsfonds, sondern vollständig von den Versicherungen geschätzt werden soll. Aufgrund der fehlenden Altersrückstellungen hängt die Höhe der Beiträge der Versicherten nicht nur von den erwarteten Risiken, sondern auch von der demographischen Entwicklung ab. Es bleibt beim Umlageverfahren mit einer schon heute absehbaren stark steigenden Beitragsbelastung für die jungen und nachkommenden Generationen.

Richtig kompliziert wird das Modell, wenn es um den Wettbewerb geht, also um den Wechsel zwischen Krankenkassen: Der Versicherte soll sich eine Versicherung suchen, die ihn zu einem geringeren rechnerischen „risikoäquivalenten Beitrag“ versichert als die bisherige Versicherung. Wenn das gelingt, soll ihm der Kostenvorteil zugute kommen.12 Der Versicherte kennt diese Kostengröße – die für ihn im nächsten Jahr geschätzten Gesundheitsaufwendungen – nicht, sondern müsste sie bei jeder Versicherung erfragen. Die Versicherungen müssen aber nicht nur die im nächsten Jahr zu erwartenden Kosten schätzen, sondern auch die Höhe der Erstattung bzw. der Abgabe im Rahmen des Risikostrukturausgleichs durch den Gesundheitsfonds kennen.

Zur beitragsfreien Familienmitversicherung

Schließlich wendet sich van Suntum mit dem Argument gegen die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und Ehepartnern, diese sei „offenbar mit versicherungsäquivalenten Prämien unvereinbar“. Deshalb könne es dabei nicht bleiben. Zur Erinnerung: Mit versicherungsäquivalenten Prämien sind bei van Suntum nicht die Beiträge der Versicherten, sondern der Finanzierungsbedarf der Versicherungen gemeint.

Die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern ist grundsätzlich kein Problem, denn bei feststehenden Gesundheitsaufwendungen heißt das lediglich, dass die Erwachsenen entsprechend mehr zahlen müssen, so dass es zu einer anderen intertemporalen Verteilung der Beitragslast kommt. Da alle Erwachsenen den Vorteil in der Kinderphase gehabt haben, ist darin auch kein großes verteilungspolitisches Problem zu sehen. Im Übrigen werden unterschiedliche Kosten von Versicherungen mit überdurchschnittlich vielen und solchen mit relativ wenigen Kindern durch den heutigen Risikostrukturausgleich nivelliert.

Die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten ist technisch gesehen ebenfalls kein Problem für die Gesetzliche Krankenversicherung. Die Versicherungsmitglieder müssen eben einen entsprechend höheren Beitrag zahlen. Zwischen den Versicherungen können unterschiedliche Anteile von beitragsfrei Mitversicherten wieder über den Risikostrukturausgleich korrigiert werden. Das Problem liegt nicht auf der Seite der Versicherungen, die auch in diesem Fall „versicherungsrisikoäquivalente Prämien“ nach der Van-Suntum-Definition erhalten, sondern auf der Seite der Versicherten, weil zu bezweifeln ist, dass die Nichterwerbstätigkeit eines Ehepartners ein guter Indikator für die Bedürftigkeit des Ehepaares ist: Im Ergebnis kann die beitragsfreie Mitversicherung der Ehepartner zu zweifelhaften Umverteilungsströmen führen, weil auch gut situierte Ehepaare von Versicherten subventioniert werden, die wirtschaftlich weniger leistungsfähig sind, so dass beide Partner arbeiten und versichert sein müssen. Insoweit ist van Suntum zu unterstützen, wenn er hier eine Änderung fordert.

Die wesentlichen Elemente der „Solidarischen Privatversicherung“ lassen sich somit wie folgt charakterisieren:

  • Alle privat Versicherten werden zwangsweise in die Gesetzliche Krankenversicherung einbezogen, sie müssen das Standardleistungspaket der Gesetzlichen Krankenversicherung zu den Bedingungen der Gesetzlichen Krankenkassen versichern. Das gilt nicht nur für neu Versicherte, sondern auch für alle bisher schon privat Versicherten. Die Bezeichnung „Solidarische ‚Privatversicherung‘“ ist irreführend, denn der Kern der Privaten Krankenversicherungen wird abgeschafft.
  • Alle Bürger zahlen einkommensbezogene – statt bisher lohnbezogene – Beiträge für die GKV-Standardversicherung, d.h. sie zahlen keine risikoäquivalenten Prämien wie sie grundsätzlich von den Privaten Krankenversicherungen verlangt werden.
  • Die Versicherungen sollen „risikoäquivalente Beiträge“ für jeden einzelnen Versicherten erhalten, damit sie die Gesundheitsaufwendungen finanzieren können. Mit den „risikoäquivalenten Beiträgen“ sind die jeweils erwarteten jährlichen Aufwendungen für einen Versicherten gemeint, die sich laufend ändern können. Der erwartete jährliche Bedarf an Gesundheitsaufwendungen je Versicherten soll von den Versicherungen geschätzt werden.
  • Die genannten Bedingungen setzen voraus, dass der Risikostrukturausgleich erhalten bleibt, allerdings in der ursprünglichen Variante, d.h. der Gesundheitsfonds finanziert nur die rechnerischen Defizite und fordert die Überschüsse von den anderen Krankenversicherungen ein.

Der Vorschlag läuft letztlich auf eine Variante oder eine spezielle Konkretisierung der Bürgerversicherung hinaus. Alle vier Elemente sind Bestandteil der Bürgerversicherung, wie sie von der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN seit mehreren Jahren gefordert wird.

Die Alternative: Bürgerprivatversicherung

Dem Vorschlag von van Suntum liegt die richtige Idee zugrunde, dass mehr Wettbewerb in der Krankenversicherung durch eine stärkere Orientierung der Prämien an den Risiken zu erreichen ist. In einer Marktwirtschaft muss es den Anbietern von Leistungen möglich sein, ein äquivalentes Entgelt für ihre Leistungen von den Nachfragern zu verlangen. Auf die Krankenversicherung bezogen bedeutet dies, dass die Versicherungen für ihre Risikoübernahme entsprechend von den Versicherten entlohnt werden müssen. Gleichzeitig müssen die Versicherten die Möglichkeit haben, ihren Anbieter nachteilsfrei und unabhängig von ihrem Risiko zu wechseln.

An zwei Stellen erwähnt van Suntum das Konzept der Bürgerprivatversicherung, das in den letzten Jahren im Otto-Wolff-Institut für Wirtschaftsordnung und im Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln entwickelt worden ist.13 Beide Verweise lassen aber vermuten, dass ihm die vollständige Beschreibung des Konzepts nicht vorlag: Wenn er das Konzept in die Nähe des Vorschlags der „Bürgerpauschale“ des Sachverständigenrats rückt14, wird übersehen, dass eine Gesundheitspauschale bei der Bürgerprivatversicherung allenfalls ein Zwischenschritt zu einer Versicherung mit risikoäquivalenten Prämien ist. Seine Anmerkung, die Bürgerprivatversicherung enthalte keinen Vorschlag, wie bei der Einführung risikoäquivalenter Prämien mit dem heutigen Versichertenbestand umgegangen werden soll15, ist nicht nachvollziehbar. Das Umstellungskonzept ist im Original beschrieben worden.16 Das sind aber marginale Punkte im Vergleich zu den grundlegenden Unterschieden zwischen der Solidarischen Privatversicherung und der Bürgerprivatversicherung.

In der Bürgerprivatversicherung zahlt jeder Versicherte eine monatliche risikoäquivalente Prämie wie in der Privaten Krankenversicherung. Diese Prämie bezieht sich nicht auf die erwarteten Aufwendungen des nächsten Jahres, sondern auf die Gesamtlaufzeit des Vertrages. Der jeweilige Versicherer ermittelt eine grundsätzlich real konstante Prämie auf der Grundlage seiner Risikoeinschätzung und seiner besonderen Bedingungen.

Die Prämie wird im Wettbewerb bestimmt und ist unmittelbar vom Versicherten zu zahlen. In der Bürgerprivatversicherung gibt es also keinen Unterschied zwischen der Prämie, die der Versicherer erhält, und dem Beitrag, den der Versicherte zahlt, wie es in der Solidarischen Privatversicherung und in der Gesetzlichen Krankenversicherung der Fall ist. Versicherte, die eine übliche risikoäquivalente Prämie für den gesetzlich vorgegebenen Mindestleistungskatalog nicht zahlen können, erhalten einen sozialen Ausgleich aus Steuermitteln. Versicherungsleistung und sozialer Ausgleich werden – entsprechend der allgemeinen ordnungspolitischen Regel in der Sozialen Marktwirtschaft – voneinander getrennt. So kann die Unterstützung wirtschaftlich Bedürftiger treffsicher und effizient in einem einheitlichen Verfahren gestaltet werden. Ein paralleles Umverteilungssystem über Versicherungsbeiträge und einen Risikostrukturausgleich wie in der Solidarischen Privatversicherung sind nicht erforderlich. Der Gesundheitsfonds mit allen Versuchungen für politische Eingriffe wird entbehrlich.

Wie in der heutigen Privaten Krankenversicherung werden die risikoäquivalenten Prämien in der Bürgerprivatversicherung mit dem Aufbau von Altersrückstellungen verbunden: In jüngeren Jahren wird eine Prämie verlangt, die über den erwarteten Ausgaben für den Versicherten liegt. Aus dem Überschuss werden Altersrückstellungen aufgebaut, um die später höheren Kosten zu decken. Aufgrund dieser Kapitaldeckung wird die Krankenversicherung weitgehend unabhängig von der demographischen Entwicklung. In der Solidarischen Privatversicherung bleibt es beim Risikostrukturausgleich und wohl auch beim Umlageverfahren.

Im Vorschlag zur Bürgerprivatversicherung ist der Umstieg auf ein vollständig privates und kapitalgedecktes Krankenversicherungssystem zu einem Stichtag vorgesehen. Die bisherigen Gesetzlichen Krankenversicherungen werden zu privaten Krankenversicherungen. Der Übergang vom Umlagesystem zum Kapitaldeckungssystem wurde bislang für nicht finanzierbar gehalten. Es lässt sich aber zeigen, dass die Umstellung kein prinzipielles Finanzierungsproblem aufwirft.17

Übertragung individueller Altersrückstellungen

Im Gegensatz zur heutigen Ausgestaltung der gegenwärtigen PKV ist in der Bürgerprivatversicherung die Übertragbarkeit der Altersrückstellungen vorgesehen, die individualisiert und damit an das jeweilige Morbiditätsrisiko angepasst werden. Versicherte mit Vorerkrankungen brauchen bei gleicher Prämie eine entsprechend höhere Altersrückstellung als relativ gesunde Versicherte. Durch die Übertragung individueller Altersrückstellungen wird vermieden, dass Versicherte mit hohen Risiken bei einem Versicherungswechsel mit erheblichen Prämiensteigerungen konfrontiert werden: Die Altersrückstellungen nivellieren für die aufnehmende Versicherung das Kostenrisiko, wodurch Versicherte mit hohem Risiko und hoher Altersrückstellung trotz etwa gleich bleibender Prämie für die Versicherungen genauso attraktive Kunden sind wie gesunde Versicherte mit geringer Altersrückstellung. Für die Versicherungen besteht kein Anreiz, Risikoselektion zu betreiben.

Die Bemerkung von van Suntum, eine volle Portabilität der individuellen Altersrückstellungen würde an den Schwierigkeiten scheitern, die Risiken zu bewerten18, darf inzwischen als gegenstandlos angesehen werden. Denn mehrere Akteure und Versicherungen haben nicht nur nachgewiesen, dass die Altersrückstellungen individuell zurechenbar sind, sondern haben dies auch im Praxistest durchgespielt. Das ist eine vergleichsweise neue Entwicklung. Sie wird unterstützt vom Bedarf einer internen Kostenkontrolle, nämlich bei der Frage, wie ein Versicherter einzustufen ist, wenn er den Tarif bei der gleichen Versicherung wechselt.

Ein häufiger Einwand gegen das Konzept der übertragbaren individuellen Altersrückstellungen lautet, dass die Versicherungen sich nicht über die Höhe der mitzugebenden Rückstellung verständigen könnten. Die abgebende Versicherung habe grundsätzlich ein Interesse daran, die Altersrückstellungen systematisch zu niedrig anzusetzen, um Versicherte am Wechsel zu hindern oder einen hohen Gewinn aus dem Wechsel zu ziehen. Die aufnehmende Versicherung hingegen fordere möglichst hohe Altersrückstellungen. In der Regel käme es deshalb nicht zu einer Einigung und der Versicherte müsse bei einem Wechsel kräftige Prämiensteigerungen hinnehmen oder auf den Wechsel verzichten. Daraus wurde vielfach gefolgert, die Höhe der individuellen Altersrückstellung müsse im Streitfall von einer unabhängigen Stelle objektiv festgestellt werden.

Ein einfaches Zahlenbeispiel soll zeigen, dass die Versicherungen auch ohne weitere Regulierungen ein betriebswirtschaftliches Interesse daran haben, korrekte Altersrückstellungen mitzugeben: Angenommen, die abgebende Versicherung habe die für einen Versicherten notwendige individuelle Altersrückstellung auf 80 000 Euro geschätzt und gebildet. Die aufnehmende Versicherung schätze das Risiko des Versicherten hingegen geringer ein und kalkuliere daher bei unveränderter Prämie mit einer erforderlichen Altersrückstellung von 75 000 Euro. Die unterschiedliche Kalkulation der Altersrückstellungen kann beispielsweise dadurch zustande kommen, dass die aufnehmende Versicherung auf die vorliegenden Krankheitsbilder des Versicherten spezialisiert ist oder günstigere Verträge mit den Leistungserbringern geschlossen hat.

Einigen sich die beiden Versicherungen auf eine übertragbare Altersrückstellung zwischen 75 000 und 80 000 Euro, erzielen beide einen Vorteil aus dem Wechsel des Versicherten. Für die abgebende Versicherung ist die Abgabe des Risikos solange interessant, wie sie etwas weniger als die kalkulierten und gebildeten Altersrückstellungen in Höhe von 80 000 Euro mitgeben muss. Umgekehrt profitiert die aufnehmende Versicherung von der Übernahme des Risikos, wenn sie etwas mehr als 75 000 Euro erhält. Liegt die übertragene Altersrückstellung deutlich über dem als notwendig erachteten Betrag, kann die aufnehmende Versicherung mit verringerten Prämien um entsprechende Versicherte werben.

Die abgebende Versicherung wird hingegen aus eigenem Interesse keine Altersrückstellung anbieten, die weit hinter den 80 000 Euro zurückbleibt, weil sie ansonsten damit rechnen muss, dass der Versicherte nicht wechselt. Dies wäre aus betriebswirtschaftlicher Sicht wenig sinnvoll, da sie in diesem Fall die gesamte gebildete Altersrückstellung für künftige Gesundheitsaufwendungen des Versicherten aufwenden müsste und sich den Vorteil aus einem Wechsel entgehen ließe.

Schätzt hingegen die aufnehmende Versicherung die erforderliche Altersrückstellung für den wechselwilligen Versicherten höher ein als die abgebende Versicherung, im Beispiel auf 85 000 Euro, kommt es in aller Regel nicht zu einer Einigung zwischen den Versicherungen. Falls beide Versicherungen die Risiken sorgfältig kalkuliert haben, wäre ein Wechsel auch nicht sinnvoll, da die aufnehmende Versicherung den Versicherten nur teurer versorgen könnte. Will der Versicherte trotzdem wechseln, beispielsweise weil ihn das Versorgungsangebot der neuen Versicherung mehr überzeugt, muss er den Differenzbetrag in Höhe von 5000 Euro über höhere Prämien finanzieren. Nur dann erhält die aufnehmende Versicherung den kalkulierten Betrag von 85 000 Euro. Im Gegensatz zur heutigen Situation in der PKV, in der die Übertragung von individuellen Altersrückstellungen nicht möglich ist, stellt sich der Versicherte erheblich besser, da er nur den Differenzbetrag von 5000 Euro über höhere Prämien finanzieren muss und nicht die gesamten 85 000 Euro.

Die Übertragung individueller Altersrückstellungen als Kernelement des Konzepts der Bürgerprivatversicherung ermöglicht einen nachteilsfreien Wechsel für alle Versicherten unabhängig von ihrem Risiko und führt somit zu einem tatsächlichen Leistungswettbewerb zwischen den Versicherungen, ohne auf die Fiktion eines perfekten Risikostrukturausgleichs angewiesen zu sein. Im Gegensatz zum heutigen System werden die Anreize erheblich stärker, die Versicherten qualitativ hochwertig und zu günstigen Konditionen zu versorgen.

Schlussbemerkung

Von der Zielsetzung scheinen die Vorschläge „Solidarische Privatversicherung“ und „Bürgerprivatversicherung“ auf den ersten Blick sehr ähnlich zu sein. Leider wird aber die ineffiziente Vermischung zwischen Versicherungsleistung und Umverteilung im System der Solidarischen Privatversicherung aufrechterhalten. Ebenso bleibt es beim Umlageverfahren sowie beim Risikostrukturausgleich. Der Vorteil, alle Bürger in den Sozialausgleich einzubeziehen, wird nicht konsequent genutzt, da die Beitragsbemessungsgrenze bestehen bleiben muss, und er wird nur um den Preis der Auflösung der Privaten Krankenversicherung als Vollversicherung erreicht.

Mit der Bürgerprivatversicherung werden die Probleme der Gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlicher und konsequenter angegangen. Sie ist systematischer bezüglich der Frage der Solidarität im Sinne der sozialen Absicherung und konsistenter in der generellen Einführung von risikoäquivalenten Prämien, also von Marktpreisen für Versicherte und Versicherungen, sowie in der Eindämmung der demographischen Einflüsse. Außerdem kann die bürokratische Einrichtung des Gesundheitsfonds aufgegeben werden. Da hierfür kräftige Reformschritte notwendig sind, während es politisch am einfachsten ist, am Status quo festzuhalten, erscheint es besonders wichtig, dass die Wirkungen der unterschiedlichen Konzepte unter den Wissenschaftlern ausgiebig behandelt und möglichst geklärt werden. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass es durchaus Erkenntnisfortschritte gegeben hat. Der Weg von neuen Erkenntnissen bis zur praktischen Umsetzung ist allerdings beschwerlich.

  • 1 U. van Suntum: Die Solidarische Privatversicherung – Ein Vorschlag zur Gesundheitsstrukturreform, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 6, S. 410-415.
  • 2 Mit dem 2009 eingeführten Basistarif ist der Privaten Krankenversicherung ein unsystematischer sozialer Ausgleich aufgezwungen worden, der allerdings für das Gesamtsystem nur eine marginale Bedeutung hat.
  • 3 J. Eekhoff, V. Bünnagel, S. Kochskämper, K. Menzel: Bürgerprivatversicherung, Tübingen 2008.
  • 4 U. van Suntum, a.a.O., S. 411. Die Abkürzung GKV steht für Gesetzliche Krankenversicherungen, die Abkürzung PKV für Private Krankenversicherungen.
  • 5 U. van Suntum, a.a.O., S. 411.
  • 6 Eine Ausnahme und zugleich einen Fremdkörper bildet der Basistarif, der aber bisher nur einen geringen Anteil am Gesamtversichertenbestand ausmacht: Laut PKV-Dachverband waren im ersten Halbjahr 2010 lediglich 0,18% (16 000) der privat Versicherten im Basistarif versichert.
  • 7 Wenn noch keine Altersrückstellungen angesammelt wurden, wie beispielsweise bei erst kurz vorher eingetretenen Versicherten, kann der allgemein übliche einkommensabhängige Beitrag verlangt werden.
  • 8 U. van Suntum, a.a.O., S. 410.
  • 9 Ebenda.
  • 10 Ebenda, S. 411.
  • 11 Ebenda.
  • 12 Ebenda, S. 413.
  • 13 Ausführlich dargestellt in J. Eekhoff et al., a.a.O. Vgl. auch O. Arentz, C. Wolfgramm, S. Kochskämper: In Zukunft kapitalgedeckt – Umstellung der europäischen Gesundheitssysteme auf eine nachhaltige und effiziente Finanzierung, in: W. Gellner, M. Schmöller (Hrsg.): Gesundheitsforschung, Aktuelle Befunde der Gesundheitswissenschaften, Baden-Baden 2009.
  • 14 U. van Suntum, a.a.O., S. 410, Fußnote 4.
  • 15 Ebenda, S. 411, Fußnote 6.
  • 16 J. Eekhoff et al., a.a.O., S. 146 ff.
  • 17 Vgl. J. Eekhoff et al., a.a.O.; oder O. Arentz et al., a.a.O.
  • 18 Ulrich van Suntum, a.a.O., S. 414, Fußnote 15.

Solidarische Privatversicherung oder Bürgerprivatversicherung? Eine Erwiderung

Von Ulrich van Suntum

In ihrer Replik auf meinen Beitrag verweisen Johann Eekhoff und Christine Wolfgramm auf ihr Reformkonzept einer Bürgerprivatversicherung. Dieses Konzept erscheint auf den ersten Blick viel einfacher, klarer und stringenter als die von mir vorgeschlagene Konzeption. Ich habe es früher selber vertreten und die Idee bereits 2006 publiziert.1 Auch die von Eekhoff und Wolfgramm vorgeschlagene Lösung für das Portabilitätsproblem der Altersrückstellungen findet sich dort bis ins Detail in identischer Form. Damals argumentierte die Versicherungswirtschaft allerdings, die Berechnung individueller, prospektiver Altersrückstellungen sei technisch nicht mit vertretbarem Aufwand möglich. Wenn dies inzwischen widerlegt sein sollte, wie Eekhoff und Wolfgramm (leider ohne weitere Belege) nun schreiben, würde damit in der Tat ein wichtiges Argument gegen die Bürgerprivatversicherung entfallen.

Leider lässt sich das Konzept dennoch kaum umsetzen, und zwar vor allem aus politischen Gründen:

  • Erstens erfordert die Bürgerprivatversicherung einen steuerfinanzierten Solidarausgleich, für den es derzeit weder politische Mehrheiten noch praktikable Finanzierungsvorschläge gibt.
  • Zweitens muss man sich fragen, ob ein Solidarausgleich innerhalb des Systems nicht in der Tat praktikabler und konsensfähiger ist als der quasi nachträgliche Ausgleich unzumutbarer Beitragslasten aus den Sozialkassen.
  • Drittens und vor allem erfordert die Bürgerprivatversicherung den Aufbau von Altersrückstellungen für jene 90% der Bevölkerung, die bisher nicht privat versichert waren. Dies bedeutet unvermeidlich eine Doppelbelastung der Generation in der Übergangszeit, da gleichzeitig auch die Ansprüche der Altversicherten in der GKV weiterfinanziert werden müssen.

Einbahnstraße Umlagesystem

Nur wenn wir in einer Stunde Null anfangen könnten, wäre der Vorschlag von Eekhoff und Mitautoren problemlos realisierbar. Es gäbe dann weder Altansprüche noch die politische Gewöhnung der Bevölkerung an eine gesetzliche Krankenversicherung, deren wahre Kosten systematisch durch Umverteilung verschleiert werden.

Aber in einer solchen Welt leben wir nicht, und das hat nicht nur politische, sondern auch handfeste ökonomische Konsequenzen. Denn wenn man erst einmal in einem Umlagesystem wie der GKV ist, dann gibt es keinen Pareto-effizienten Weg mehr zurück zum Kapitaldeckungssystem, wie Fenge, Sinn u.a. nachgewiesen haben.2 Versucht man es trotzdem, dann entsteht sogar eine Zusatzbelastung gegenüber dem Verbleib im Umlagesystem. Diese kann bestenfalls auf mehrere Generationen verteilt, aber definitiv nicht vermieden werden. Das liegt daran, dass ein Teil des zukünftig zu erwirtschaftenden Sozialprodukts durch das Umlageverfahren bereits vorab verteilt wurde, im Fall der GKV eben an die Altversicherten. Nur deswegen funktioniert das Umlageverfahren selbst nach völliger Zerstörung eines Landes vom ersten Tage an. Die Kehrseite ist aber, dass die so verteilten Zukunftsansprüche zwangsläufig auf Kosten der späteren Generationen gehen, ganz gleich wie viel Kapital diese bilden.

Aus diesem fundamentalen Zusammenhang führt kein noch so raffiniert gestrickter Finanzierungsplan heraus. So richtig es deswegen ist, dass ein Kapitaldeckungssystem im Prinzip Demografie-fester ist und auch höhere Renditen ermöglicht als ein Umlagesystem, so problematisch ist die Schlussfolgerung, diese Vorteile würden auch für die Rückkehr zur Kapitaldeckung aus einem einmal installierten Umlagesystem gelten. Eine solche Rückkehr hat nicht nur ökonomische Kosten, sie ist vor allem auch für die Politiker unattraktiv. Warum sollten sie ihre Wähler mit vermeidbaren Zusatzkosten belasten? Hier liegt meines Erachtens das Hauptproblem der Argumentation von Eekhoff und Koautoren, jedenfalls soweit dieser Aspekt ihres Vorschlages betroffen ist.

Vereinbarkeit von Wettbewerb und Solidarausgleich

Die von mir vorgeschlagene Solidarische Bürgerversicherung ähnelt in der Tat in vieler Hinsicht der von der SPD und den Grünen vertretenen Bürgerversicherung. Das allein muss aber ja noch kein K.O.-Kriterium sein. Der Gesundheitsfonds, der im Zentrum meines Vorschlages steht, ist im Übrigen weder von mir noch von der SPD, sondern von Wolfram Richter und dem Wissenschaftlichen Beirat beim Finanzministerium erfunden worden. Zudem gibt es auch wichtige Unterschiede der Solidarischen Privatversicherung zu dem, was im politischen Raum unter Bürgerversicherung verstanden wird. So werden in meinem Konzept die Krankenkassen zu Privatversicherungen umgewandelt und nicht umgekehrt. Auch bleiben bereits gebildete Altersrückstellungen erhalten, und kein privat Versicherter muss seine bisherige Versicherung verlassen.

Offenbar ist nicht klar geworden, dass das Konzept zwar einkommensabhängige Beiträge für die Versicherten, aber gleichzeitig risikoäquivalente Beiträge für die Versicherungen vorsieht. Das ist die Grundidee des Gesundheitsfonds, der hier gewissermaßen als Clearingstelle für die Finanzströme fungiert. Auf diese Weise lässt sich in der Tat Wettbewerb zwischen den Versicherungen mit einem Solidarausgleich innerhalb des Systems kombinieren.

Warum soll nun aber der Solidarausgleich über den scheinbaren Umweg des Gesundheitsfonds stattfinden und eben nicht über das schon bestehende Steuersystem, wie Eekhoff und Koautoren (und auch die Vertreter von Pauschalprämien) es vorschlagen? Dafür gibt es aus meiner Sicht mehrere Gründe:

  • Zum einen sind die Verteilungswirkungen eines steuerfinanzierten Solidarausgleichs unklar, und dieser ist deswegen politisch schwer durchsetzbar. Wird z.B. die Mehrwertsteuer erhöht, so zahlen die Begünstigten ihren Solidarausgleich teilweise selbst. Erhöht man aber die Einkommensteuer, so läuft dies auf eine progressive Umverteilung hinaus. Dagegen impliziert die Umverteilung durch den Gesundheitsfonds faktisch eine Proportionalsteuer, für die verteilungspolitisch ohnehin vieles spricht.
  • Zum zweiten existiert der Solidarausgleich über den Gesundheitsfonds bereits für 90% der Bevölkerung, er braucht also ebensowenig neu erfunden zu werden wie das Steuersystem.
  • Drittens und vor allem erscheint die Einbeziehung auch der restlichen 10% der Bevölkerung, nämlich der privat Versicherten in den Gesundheitsfonds, politisch leichter konsensfähig als alle anderen Vorschläge. Denn für die GKV-Versicherten ändert sich dadurch erst einmal nichts, und die Verteilungswirkungen zulasten der privat Versicherten sind im Zweifel sogar milder als bei einer Anhebung der Einkommensteuer.

Diese Argumente sind zugegebenermaßen eher pragmatisch. Aber irgendwann muss ja einmal der Gordische Knoten des seit Jahrzehnten schwelenden Gesundheitsstreits durchschlagen werden. Zudem sind in der Schweiz und in den Niederlanden ähnliche Systeme eingeführt worden, an denen man sich in vielen Fragen orientieren kann.

Wettbewerb mit oder ohne Altersrückstellungen?

Eekhoff und Wolfgramm kritisieren, dass in meinem Konzept die Versicherungsprämien immer nur für ein Jahr kalkuliert werden, nicht aber für die gesamte Lebenszeit des Versicherten. Das stimmt, aber man kann es durchaus auch anders machen. Die Kernfrage dabei ist, ob die Absicherung gegen das Altersrisiko innerhalb der Krankenversicherung gut aufgehoben ist oder nicht doch besser außerhalb. Wenn wir einmal mit Eekhoff und Wolfgramm unterstellen, dass das Portabilitätsproblem auch praktisch in der von ihnen beschriebenen Weise gelöst werden kann, dann spricht in der Tat manches für den ersteren Weg.

Um die verschiedenen Optionen besser zu verstehen, möge ein einfaches Beispiel helfen. In der Tabelle 1 ist eine altersmäßig ungleich verteilte Versichertenpopulation angenommen, wobei die Kosten mit zunehmendem Alter stark steigen. Zur Vereinfachung unterstellen wir, dass Zinssatz und Wachstumsrate der Volkswirtschaft Null sind und alle Versicherten ein gleich hohes Einkommen von 100 haben. Von medizinischem Fortschritt und Inflation sehen wir ab.

  Population Kosten pro Person in Geldeinheiten GE) Kosten pro Jahrgang in Geldeinheiten (GE)
Junge 18 5 90
Mittleres Alter 36 7,5 270
Alte 45 25 1125
Summe bzw. Durchschnitt 99 15 1485

Trotz dieser extremen Vereinfachungen gibt es bereits hier einen systematischen Unterschied zwischen dem implizierten Beitragssatz in GKV und PKV. In der GKV müsste der Beitragssatz nämlich 15% betragen, was den Durchschnittskosten über alle Versicherten entspricht. In der PKV würde die Beitragsbelastung dagegen nur 12,5% betragen und wäre damit trotz identischer Versichertenstruktur niedriger als in der GKV!3 Der Grund liegt darin, dass in der PKV die (relativ zahlreichen) Alten für ihre (relativ hohen) Kosten mit dem Beitrag von 12,5% bereits Altersrückstellungen gebildet haben. Dagegen müssen in der GKV die Kosten der älteren GKV-Versicherten durch die Jüngeren mit gedeckt werden.4 Selbst wenn man von Einkommensunterschieden zwischen den Versicherten absieht, enthält der GKV-Beitrag somit einen impliziten Solidarbeitrag, nämlich zulasten der Jüngeren und zugunsten der Älteren.5

Welche Konsequenzen sind nun daraus für eine Angleichung der Solidarlasten in beiden Systemen zu ziehen?

  • Eine Möglichkeit wäre, die impliziten Alterslasten der GKV aus Steuermitteln zu tragen und den GKV-Beitragssatz insoweit auf die versicherungsäquivalente Höhe (im Beispiel von 12,5%) zu senken. Das wäre allerdings aus den oben genannten Gründen teuer und politisch schwer durchsetzbar.
  • Die zweite Möglichkeit besteht darin, von den privat Versicherten einen Zusatzbeitrag in Höhe der Differenz zwischen PKV-Prämie und GKV-Beitrag (2,5% im Beispiel) zu erheben. Da dieser für die Deckung der laufenden Kosten nicht benötigt wird, könnte er entweder für eine Senkung des – nunmehr beiden Systemen gemeinsamen – Beitragssatzes verwendet werden oder für den allmählichen Aufbau einer Altersrückstellung auch in der GKV.6

Eekhoff und Wolfgramm fragen, was mit Risikoäquivalenz bzw. Solidarausgleich in meinem Vorschlag genau gemeint sei. Natürlich geht es dabei nicht um den normalen Risikoausgleich, der jeder Versicherung immanent ist. Aber die Kritik ist insofern berechtigt, als man in der Tat genauer sagen muss, ob die jährlichen Kosten oder die „lebenslangen Wartungskosten“ des Versicherten dabei zugrunde gelegt werden. Dies hängt wiederum von der Behandlung der Alterskosten ab und kann alternativ wie folgt gehandhabt werden:

  • Legt man – wie in der derzeitigen Praxis des Gesundheitsfonds – die jährlichen Kosten zugrunde, dann hat man im Prinzip einen kurzfristigen Risikostrukturausgleich: Im Beispiel würde jede Versicherung von dem Fonds die in der Tabelle 1 ausgewiesenen Kosten pro Person erhalten, für einen jungen Versicherten also 5 GE, für einen alten dagegen 25 GE. Das Gleiche würde auch für die in das System einbezogenen privaten Versicherungen gelten. Deren Neuversicherte müssten denselben Beitrag wie die GKV-Versicherten (15% im Beispiel) zahlen, neue Altersrückstellungen würden nicht mehr gebildet.7 Lediglich die bisher schon privat Versicherten würden einen Bonus bekommen, der dem Wert ihrer bereits angesparten Altersrückstellungen entspricht,8 da sie sonst enteignet würden. Dies ist das System, das ich in meinem Beitrag beschrieben habe.
  • Man kann es aber durchaus auch anders machen und trotz Einbeziehung der PKV in den Gesundheitsfonds weiterhin Altersrückstellungen bilden. Dann braucht die PKV wie bisher nur 12,5% des Durchschnittseinkommens als Prämie zur langfristigen Deckung ihrer Kosten zu erheben, die übrigen 2,5% stehen für den allmählichen Aufbau eines Kapitalstocks in der GKV zur Verfügung. Nachdem dieser erfolgt ist, könnte schließlich der gemeinsame Beitragssatz von 15% auf 12,5% im Beispiel sinken.

Ich räume ein, dass mir dieser zweite Gedanke erst nach der Kritik von Eekhoff/Wolfgramm gekommen ist und dass er zudem in vieler Hinsicht attraktiver erscheint als das zunächst ins Auge gefasste, reine Umlagesystem. Eine genauere Analyse unter realistischeren als den hier getroffenen Annahmen steht allerdings noch aus und kann an dieser Stelle auch nicht geleistet werden.9

Fazit

Fassen wir zusammen: Das von Eekhoff u.a. präferierte System einer rein privaten Krankenversicherung mit steuerfinanziertem Sozialausgleich dürfte aus politischen und ökonomischen Gründen nur schwer zu realisieren sein. Insbesondere wurde die Problematik des Übergangs von der bisherigen Umlagefinanzierung hin zur Kapitaldeckung bisher nicht befriedigend gelöst. Hier ergibt sich jedoch eine interessante Schnittmenge zum Vorschlag der Solidarischen Privatversicherung. Denn die Einbeziehung der privat Versicherten in den Gesundheitsfonds beseitigt nicht nur offenkundige Ungerechtigkeiten, sondern schafft zugleich Finanzierungsspielräume für den allmählichen Aufbau eines Kapitalstocks in der GKV. Dazu sind weder Steuererhöhungen noch eine radikale Umgestaltung der bereits bestehenden Strukturen notwendig: Die Zusatzeinnahmen aus dem Solidarbeitrag der privat Versicherten werden einfach dazu verwendet, die fehlenden Altersrückstellungen der GKV zu bilden. Am Ende steht dann ein Versicherungssystem, das vollständig den Prinzipien einer wettbewerblich organisierten, kapitalgedeckten Privatversicherung folgt und gleichzeitig den Solidarausgleich über den Gesundheitsfonds löst. Trotz vieler noch ungelöster Detailfragen könnte dies ein ökonomisch und politisch gangbarer Weg sein, die Ideen der Bürgerprivatversicherung und der Solidarischen Privatversicherung zu kombinieren und damit zu einem für alle einheitlichen, gleichzeitig effizienten und gerechten Krankenversicherungssystem zu kommen.

  • 1 Vgl. U. van Suntum: Masterplan Deutschland. Mit dem Prinzip Einfachheit zurück zum Erfolg, München 2006, S. 97 ff.
  • 2 Vgl. R. Fenge: Pareto-Efficiency of the Pay-As-You-Go Pension System with Intergenerational Fairness, in: Finanzarchiv, Nr. 52 (1995), S. 357-363; H.-W. Sinn: Why a funded pension system is useful and why it is not useful, in: International Tax and Public Finance, Nr. 7 (2000), S. 389-410.
  • 3 Der PKV-Beitrag (für den Normalfall des Eintritts in jungen Jahren) errechnet sich hier einfach aus der Summe der Kosten in jeder Altersstufe, geteilt durch drei, also als (5+7,5+25)/3 = 12,5.
  • 4 Nur wenn die Population in allen Altersklassen gleich stark wäre, würde sich in der GKV der gleiche Beitragssatz von 12,5% wie in der PKV ergeben. Der fehlende Kapitalstock in der GKV entspricht hier der Differenz im Beitragsaufkommen von GKV und PKV, das sind im Beispiel 1485./.1237,5 = 247,5 GE.
  • 5 Wären die jüngeren Jahrgänge in der Überzahl, so ergäbe sich in der GKV ein niedrigerer Beitrag als in der PKV. Dabei wäre dieser Vorteil an den Kosten gemessen für die Älteren immer noch größer als für die Jüngeren.
  • 6 Im Beispiel ergäbe sich bei einem Anteil der privat Versicherten von 10% an der Gesamtbevölkerung ein Zusatzbeitragsaufkommen von 27,5 GE pro Jahr, was einer Beitragssenkung für alle Versicherten von 27,5/110 = 0,25 bzw. 0,25% des angenommenen Einkommens von 100 GE entsprechen würde. Alternativ könnte der oben errechnete fehlende Kapitalstock in der GKV mithilfe der Zusatzbeiträge in 247,5/27,5 = 9 Jahren aufgebaut werden.
  • 7 Auf Dauer wäre dieser höhere Beitrag auch nötig, um die Kosten in der – nun umlagefinanzierten – Privatversicherung zu decken.
  • 8 Der Wert der individuellen Altersrückstellung ergibt sich hier aus der Differenz zwischen den bereits gezahlten PKV-Beiträgen und den tatsächlichen Kosten pro Person. Für einen durchschnittlichen privat Versicherten, der jung eingetreten ist und jetzt an der Schwelle zum mittleren Alter steht, wären das im Beispiel 12,5./.5 = 7,5. An der Schwelle zum Seniorenalter ergeben sich 2*12,5./.(5+7,5) = 12,5. Zum Zeitpunkt des Erreichens des durchschnittlichen Lebensalters sind die Altersrückstellungen gerade aufgebraucht.
  • 9 Die Berücksichtigung ungleicher Einkommen wirft keine besonderen Probleme auf. Angenommen etwa, die Hälfte der Versicherten hätte ein Einkommen von 80 und die andere Hälfte ein Einkommen von 120. Dann ergeben sich in der PKV prozentuale Prämienbelastungen von 16,63% bzw. 10,42% des Einkommens (jeweils für jung eingestiegene Versicherte), in der GKV wäre der Beitragssatz nach wie vor 15%. Die Einbeziehung der PKV in den Solidarausgleich würde dann für deren einkommensschwächere Mitglieder eine Beitragsentlastung von 0,5 GE erbringen, während die einkommensstärkeren PKV-Versicherten 5,5 GE mehr bezahlen müssten. In der Summe ergäben sich die gleichen finanziellen Auswirkungen auf die GKV wie in Fußnote 9 beschrieben.


DOI: 10.1007/s10273-010-1136-z