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Bei den Überlegungen für das Programm zum Europäischen Binnenmarkt, das auf die Liberalisierung des Austauschs von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit abzielte, spielte der Einzelhandel keine Rolle. Dies erklärt sich wohl daraus, dass zumindest im stationären Einzelhandel der größte Teil der Wertschöpfung lokal, in der Nähe der Kunden, angesiedelt sein muss; es handelt sich also um eine typische In-situ-Dienstleistung, die nicht international gehandelt werden kann. Allenfalls auf der Beschaffungsseite können Aktivitäten grenzüberschreitend verlagert und konzentriert werden. Dies gilt umso mehr als einerseits Lieferanten – unter Umständen in Reaktion auf das Binnenmarktprogramm – ihre Produktionsstrukturen europaweit ausrichten und andererseits viele Konsumgüter wie Bekleidung, Spielwaren oder Elektroartikel zunehmend global, d.h. überwiegend in Asien beschafft werden.

Die Frage, ob Besonderheiten einzelner nationaler Einzelhandelsstrukturen selbst für die grenzüberschreitende Distribution von Waren ein strukturelles Hindernis darstellen können, ist in Europa nie in ähnlicher Weise diskutiert worden wie etwa in den USA. Diese hatten seinerzeit in der kleinteiligen Einzelhandelsstruktur Japans ein Handelshemmnis gesehen und 1990 angesichts ihres wachsenden Handelsdefizits in ihrer Structural Impediments Initiative von Japan auch eine Liberalisierung der Einzelhandelsregulierung gefordert.1

In den letzten Jahrzehnten ist eine deutliche Zunahme der Internationalisierung von Einzelhandelsunternehmen festzustellen, die insgesamt wesentlich später stattfindet als die der verarbeitenden Industrie. Auch innerhalb Europas hat die Verflechtung durch Direktinvestitionen im Einzelhandel deutlich zugenommen. Darüber, ob und wie weit dies mit dem Binnenmarktprogramm zusammenhängt und ob man tatsächlich von der Entstehung eines European retail system sprechen kann, gibt es allerdings unterschiedliche Ansichten.2

Im Folgenden werden zunächst die fortbestehenden Besonderheiten nationaler Einzelhandelssysteme am Beispiel des deutschen Lebensmitteleinzelhandels analysiert und institutionentheoretisch erklärt. Weiterhin werden die Aktivitäten deutscher Einzelhändler im Ausland und ausländischer Einzelhandelsunternehmen in Deutschland untersucht, wobei die These formuliert wird, dass ein wichtiger Treiber dieser Internationalisierung im Bereich der Produktion von Eigenmarken zu suchen ist.

Permanenz struktureller Unterschiede

Zweifellos lassen sich in allen europäischen Ländern ähnlich gerichtete Tendenzen des Strukturwandels im Einzelhandel feststellen: Die Zahl der Geschäfte geht zurück, während die durchschnittliche Größe der Geschäfte zunimmt; durch Verdrängungswettbewerb und Fusionen nimmt die Marktkonzentration zu; durch die Einführung von EDV-Systemen, Barcodes und Scannerkassen wurden Betriebsabläufe rationalisiert.

Trotz dieser allgemeinen globalen Trends unterscheiden sich die Einzelhandelsstrukturen einzelner Länder nach wie vor erheblich. Im Lebensmitteleinzelhandel, dem mit Abstand größten Einzelhandelssegment, haben in Deutschland Discounter wie Aldi und Lidl einen Marktanteil von über 40%. In Frankreich dagegen dominieren die riesigen Hypermärkte von Carrefour, Leclerc oder Auchan, während in Großbritannien die so genannten Superstores von Tesco, Asda oder Sainsbury, eine Art überdimensionierter Supermärkte, den größten Teil der Nachfrage auf sich ziehen. In Italien schließlich behaupten mittlere und kleinere Supermärkte nach wie vor eine starke Stellung.

Auch im Bekleidungshandel, dem zweitgrößten Segment, lassen sich deutliche Unterschiede feststellen. In Großbritannien dominieren vertikal integrierte Ketten, die ausschließlich ihre eigenen Marken verkaufen wie Marks & Spencer, Next, Primark und vieler anderer; in Frankreich haben neben diesen vertikal integrierten Ketten die Hypermärkte auch in diesem Segment eine gewisse Bedeutung. In Italien dagegen haben kleine, unabhängige Bekleidungshändler noch einen Marktanteil von beinahe 50%, und auch in Deutschland spielen Bekleidungshäuser, die überwiegend Markenware verkaufen, bis heute eine wichtige Rolle.3

Diese Besonderheiten lassen sich zu einem guten Teil mit den historisch tief verwurzelten Unterschieden in den Institutionensystemen der einzelnen Länder erklären. Dabei scheint für die Entwicklung des Einzelhandels insbesondere die Position des Mittelstands entscheidend zu sein.4 Dies soll hier am Beispiel des deutschen Lebensmitteleinzelhandels näher ausgeführt werden.5

Im deutschen Einzelhandel dominieren bis heute Familienunternehmen – im Lebensmittelhandel etwa Tengelmann sowie Aldi und die Schwarz Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören; auch Metro (Real) ist zwar börsennotiert, befindet sich aber mehrheitlich im Besitz dreier Familien. Die beiden größten deutschen Lebensmitteleinzelhändler, Edeka und Rewe, sind Genossenschaften selbständiger Einzelhändler. Diese traditionell starke Position des Mittelstandes – nicht nur im Einzelhandel sondern insbesondere auch im Handwerk – folgt einer langen Tradition des Mittelstandsschutzes.6 So blieben in Deutschland noch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Reihe von Bestimmungen des Einzelhandelsschutzgesetzes von 1933 bestehen.7

In den 1960er Jahren hatten sich dann aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Einzelhandels bereits tief greifend verändert. Aufgrund der Vollbeschäftigung war der Konkurrenzdruck durch neu eröffnete kleine Geschäfte gering, während die Motorisierung der Konsumenten zur Errichtung der ersten großen Einzelhandelsbetriebe auf der „grünen Wiese“ geführt hatte. Diese wurden sowohl vom mittelständischen Einzelhandel als auch von den Warenhäusern als ernsthafte Bedrohung empfunden. Die wirtschaftlichen Interessen der „traditionellen“ Händler in den Stadtzentren (Fußgängerzonen) und Wohnvierteln trafen zusammen mit denen der Bürgermeister und Stadtplaner, die sich um eine Aushöhlung der Stadtkerne sorgten.

So kam es 1968 zu einer Revision der Baunutzungsverordnung (BauNVO), die nun die Errichtung von Einkaufszentren und großflächigen Geschäften auf die Stadtzentren (Kerngebiete) und so genannte Sonderzonen, deren Einrichtung eines aufwendigen Verfahrens bedurfte, beschränkte. Dieser Schutz wurde in weiteren Revisionen der BauNVO 1977 und 1986 ausgeweitet und präzisiert, wodurch die maximale Verkaufsfläche für die Mehrzahl der neu zu errichtenden Geschäfte schließlich effektiv auf 700-800 m² begrenzt wurde. Ausnahmen bestehen lediglich für so genannte nicht-zentrenrelevante Sortimente wie Möbel, Heimwerker- und Gartenbedarf.

Diese Regulierung hat allerdings den Strukturwandel und die Modernisierung des Einzelhandels in Deutschland nicht verhindert. Die Begrenzung der Verkaufsfläche der einzelnen Filialen hat nicht nur als Schutz für die mittelständischen Einzelhändler gewirkt, sondern auch die Entwicklung und Verbreitung neuartiger kleinformatiger Einzelhandelsformate, wie das der Discounter, befördert. Die erste Aldi-Filiale öffnete 1962.8 In den 1970er Jahren kamen Plus, Penny und Lidl hinzu. Als diese Unternehmen dann zunehmend auch Frischwaren ins Sortiment aufnahmen, wurden sie zu einer ernsthaften Bedrohung für die traditionellen Supermärkte. Heute haben die über 15 000 Filialen von Aldi, Lidl und anderen Discountern einen Marktanteil von über 40%.

Ironischerweise hat die Politik einer Begrenzung der Verkaufsfläche, die ursprünglich als Schutz für den traditionellen Einzelhandel gedacht war, als nicht-intendierte Folge eine Nische geschaffen, in der sich die Discounter entfalten konnten. Diese Entwicklung hatte Tietz9 vorhergesehen, der argumentiert hatte, dass der Versuch, den mittelständischen Einzelhandel durch planungsrechtliche Regelungen zu schützen, zur Entwicklung neuer Formate führen würde, die dem traditionellen Einzelhandel gefährlicher würden als großflächige Betriebe „auf der grünen Wiese“.

Als Ergebnis dieser Entwicklung unterscheidet sich der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland erheblich von dem in anderen westeuropäischen Ländern.10 Die Abbildung zeigt die starke Stellung von Betrieben mittlerer Größe – insbesondere Discounter und Supermärkte – in Deutschland. In Großbritannien aber auch in Frankreich hatten mittelständische Unternehmen dagegen traditionell eine wesentlich schwächere Position. So entstanden Einkaufsgruppen hier weitgehend erst als Reaktion auf die neuen großflächigen Betriebe in den 1960er Jahren. Während in Großbritannien die generell sehr restriktive Flächennutzungspolitik die Entstehung von Hypermärkten behinderte,11 so dass etwas kleinere (2500-5000 m²) auf Lebensmittel spezialisierte Superstores hier heute dominieren, war die in den 1970er Jahren in Frankreich eingeführte Regulierung nicht geeignet, die Ausbreitung des 1963 von Carrefour eingeführten Formats der Hypermarchés (heute 5000-20 000 m²) aufzuhalten.

Marktanteile im Lebensmitteleinzelhandel nach Betriebsfläche (2006)

(in %)
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Quelle: The Nielsen Company: Shopper Trends Europe 2007; eigene vorsichtige Schätzung für kleine Geschäfte (< 400 m²) in Frankreich, da die Orginaldaten von Nielsen hier traditionelle Geschäfte (< 100 m²) nicht erfassen.

Italien dagegen besitzt eine lange Tradition des Sozialprotektionismus für den Mittelstand, die sogar noch stärker ist als in Deutschland.12 Eine in den 1920er Jahren eingeführte restriktive Einzelhandelsregulierung hatte bis in die späten 1990er Jahre Bestand. Einzelhändler benötigten eine Lizenz für ihre Verkaufsflächen, auf denen dann nur bestimmte Produktgruppen verkauft werden durften. Dieses Quotierungssystem hat jeden Strukturwandel des italienischen Einzelhandels erheblich verlangsamt, indem nicht nur die Verbreitung großflächiger Betriebe behindert wurde, sondern – anders als in Deutschland – auch die Entwicklung neuartiger Betriebsformen. Im Ergebnis wurde die traditionelle Einzelhandelsstruktur in Italien weitgehend bewahrt.13

Internationalisierung

Die Internationalisierung des deutschen Einzelhandels hat seit den 1980er Jahren erheblich zugenommen – dies gilt sowohl für das Wachstum deutscher Unternehmen im Ausland, als auch für das ausländischer Unternehmen in Deutschland. Und tatsächlich handelt es sich bei dieser Internationalisierung weitgehend um eine Europäisierung.

Die Internationalisierung deutscher Einzelhandelsunternehmen wird nach wie vor von einer relativ kleinen Zahl großer Unternehmen dominiert: Metro ist mit seinen Cash+Carry-Märkten in 25 europäischen und sechs außereuropäischen Ländern vertreten. Dieses Format nimmt allerdings eine gewisse Sonderstellung ein, da es eigentlich dem Großhandel zuzurechnen ist. Zwei der großen Supermarktketten haben sich vorwiegend durch selektive Großübernahmen internationalisiert: Tengelmann mit seiner Beteiligung am US-amerikanischen Konzern A&P, Rewe mit der österreichischen Tochter Billa. Die Hypermarktketten Kaufland (zur Schwarz-Gruppe) und Real (zu Metro) expandierten ausschließlich in Osteuropa oder der Türkei. Im Non-food-Bereich sind insbesondere MediaMarkt/Saturn (zu Metro) und OBI (zu Tengelmann) europaweit tätig – nämlich in elf bzw. drei westeuropäischen und vier bzw. neun osteuropäischen Ländern. Unter den Drogeriediscountern ist Schlecker mit Filialen in neun west- und drei osteuropäischen Ländern am stärksten europäisiert. Die bedeutendste Gruppe international tätiger deutscher Unternehmen sind jedoch die Discounter, insbesondere Aldi und Lidl.

In vielen Ländern waren es deutsche Unternehmen, die das Discountformat erstmals einführten.14 Die Internationalisierung von Aldi begann bereits 1967, als Aldi (Süd) die kleine österreichische Kette Hofer übernahm und anschließend zügig zu einer dem eigenen Betriebsmodell angeglichenen Kette ausbaute. In den 1970ern expandierte Aldi in die Niederlande, nach Belgien und Dänemark. Ende der 1980er Jahre kamen Großbritannien, Frankreich und Luxemburg hinzu. In den letzten zehn Jahren erschloss Aldi neben der Schweiz und Irland auch süd- und osteuropäische Länder: Spanien, Portugal und Griechenland, sowie Slowenien, Polen und Ungarn. Insgesamt besitzt Aldi (Nord und Süd) heute außerhalb Deutschlands etwa 4000 Filialen in 16 europäischen Ländern. Als einziger deutscher Discounter ist Aldi auch außerhalb Europas aktiv: in den USA und Australien.

Lidls Expansion ins Ausland begann wesentlich später als die von Aldi, wobei der Auslandsumsatz von Lidl den von Aldi seit den frühen 2000er Jahren übertrifft. Der erste Auslandsmarkt war 1988 Frankreich, wo Lidl mit über 1300 Läden zum Marktführer im Discountsektor geworden ist. Heute ist Lidl mit insgesamt knapp 6000 Filialen (ohne Deutschland) in nahezu allen westeuropäischen Ländern (17) sowie in fünf osteuropäischen Ländern vertreten.

Die Internationalisierung der anderen deutschen Discounter ist deutlich schwächer oder gar rückläufig. Norma expandierte 1989 zunächst nach Frankreich, und später auch nach Tschechien und Österreich. Penny betrat 1994 zuerst den italienischen Markt und besitzt heute über 1000 Filialen in Italien, Österreich, Ungarn, Tschechien, Rumänien und Bulgarien. Tengelmann hat 2007/8 parallel zum Verkauf der deutschen Plus-Filialen an Edeka auch die meisten Plus-Filialen im Ausland an verschiedene Wettbewerber verkauft. Edeka konzentriert sein Discountgeschäft – als Netto Markendiscount – in Deutschland.

Die deutschen Discounter verfolgen eine Internationalisierungsstrategie, die in der internationalen Managementliteratur als „global“15 bezeichnet wird,16 d.h. eine Strategie, die auf Vereinheitlichung und grenzüberschreitende Synergien und weniger auf eine Anpassung an spezifische Bedingungen der Gastländer setzt. Das Format der Geschäfte wird im Ausland kaum verändert und die Verkaufsfläche der Filialen liegt – obwohl es dort keine entsprechenden Regulierungen gibt – ebenfalls bei etwa 800 m². Eine globale Strategie wird typischerweise mittels internen Wachstums umgesetzt, d.h. indem neue Filialnetze im Ausland errichtet werden, anstatt bereits bestehende Unternehmen aufzukaufen. Dabei werden jedoch in einzelnen Fällen zum Markteintritt kleine Unternehmen übernommen (seed acquisitions), die anschließend intern ausgebaut werden.

Zum Erfolg von Aldi und Lidl im europäischen Ausland trägt aber vermutlich noch ein weiterer Faktor bei: Die in den verschiedenen europäischen Ländern angebotenen Sortimente überschneiden sich häufig stark; viele der Eigenmarken-Produkte werden identisch in mehreren Ländern verkauft. Eine Untersuchung von KPMG17 stellte bei den Sortimenten von Aldi in Deutschland und Spanien eine Überschneidung von 70% fest. Eine solche Strategie erlaubt erhebliche Kosteneinsparungen bei der Beschaffung, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit in allen Ländern – einschließlich Deutschlands – erhöht wird. Sie erlaubt es auch, in ausländischen Märkten mit einem relativ kleinen Marktanteil profitabel zu operieren, da man nicht auf große Einkaufsvolumina in den einzelnen Märkten angewiesen ist, um günstige Konditionen zu erhalten (vgl. auch unten).

Aldi und Lidl sind bis heute die einzigen wirklich auf gesamteuropäischer Ebene operierenden Lebensmitteleinzelhändler. Der historische Verlauf der Internationalisierung deutet allerdings nicht darauf hin, dass das Binnenmarktprogramm hier eine besondere Rolle spielte. Andere große internationalisierte Lebensmittelhändler – insbesondere die französischen Hypermarktketten sowie Tesco aus Großbritannien – sind wesentlich stärker weltweit ausgerichtet,18 und ihre Expansion in Europa beschränkt sich auf die Märkte Osteuropas und auf die ebenfalls noch von traditionellen Handelsstrukturen bestimmten Länder Südeuropas. Versuche ausländischer Hypermarktketten wie Carrefour, Promodès oder auch Wal-Mart, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen, sind immer wieder gescheitert. Und auch das Engagement der französischen Supermarkt-Gruppe Intermarché bei der deutschen Spar dauerte nicht lange.

Insgesamt ist die Präsenz ausländischer Unternehmen im deutschen Einzelhandel heute äußerst begrenzt. Die Tabelle gibt einen Überblick über die größten ausländischen Einzelhandelsunternehmen in Deutschland mit einem Umsatz von mindestens 300 Mio. Euro. Anders als bei den deutschen im Ausland tätigen Unternehmen finden sich in dieser Gruppe insbesondere Unternehmen aus verschiedenen Nonfood-Bereichen: mehrere Bekleidungshändler, drei der größten Möbelhändler, ein Brillenhändler; diese Unternehmen kommen aus verschiedenen europäischen Ländern und haben den deutschen Markt zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten betreten. Das einzige außereuropäische Unternehmen ist der US-amerikanische Spielwarenhändler Toys”R”Us. Der einzige Lebensmittelhändler ist der dänische Discounter Netto.

Die größten ausländischen Einzelhändler in Deutschland

(Umsatz in Mio. Euro)

      Markteintritt Umsatz 2007/08 Filialen
Bekleidung C&A NL 1911 2954 445
  H&M SE 1980 2476 339
  Vögele CH 1979 337 326
  Orsay/Pimkie FR 1975 336 418
  Inditex (Zara) ES 1999 309 71
Möbel Ikea SE 1974 3200 43
  Lutz AT 1990 1750 36
  Dän.Bettenlager DK 1984 683 700
Spielwaren Toys”R”Us US 1987 324 58
Optik Apollo Optik NL 1998 350 650
Lebensmittel Netto (Nord) DK 1990 990 250

Anmerkung: Nur Mehrheitsbeteiligungen; teils Schätzwerte.

Quelle: Unternehmensangaben, TextilWirtschaft, EHI, wer-zuwem.de; eigene Zusammenstellung.

Auffallend ist, dass alle diese Unternehmen einen guten Teil ihres Umsatzes mit Eigenmarken machen. Alle fünf Bekleidungshändler sowie Ikea verkaufen sogar ausschließlich Eigenmarken. Es handelt sich um vertikal integrierte Unternehmen, die ihre eigenen Produkte entwerfen und bei Kontraktfertigern in der ganzen Welt produzieren lassen. Das Dänische Bettenlager vertreibt weit überwiegend Eigenmarken, und Lutz baut den Anteil der Eigenmarken im Sortiment systematisch aus;19 die Pearl-Gruppe, zu der Apollo Optik gehört, hat enge Beziehungen zum italienischen global operierenden Luxottica-Konzern, der sowohl Brillengläser als auch -gestelle fertigt. Beim dänischen Discounter Netto ist der Anteil der Eigenmarken am Umsatz zwar niedriger als bei Aldi (90%) oder Lidl (70%), mit 54% ist er aber dennoch bedeutsam.20

Die Beobachtung, dass sowohl bei den ausländischen Einzelhändlern in Deutschland als auch bei den deutschen Discountern die Eigenmarken eine so bedeutende Rolle im Sortiment spielen, legt die Vermutung nahe, dass die Internationalisierung dieser Unternehmen zu einem guten Teil produktgetrieben ist. Diese Einzelhändler scheinen über ein Produktspektrum zu verfügen, dass auch außerhalb ihres jeweiligen Heimatlandes attraktiv ist. Indem sie identische Produkte zugleich in mehreren Ländern vertreiben, können sich diese Einzelhändler grenzüberschreitende Synergieeffekte in der Beschaffung sichern; diese können aus einer Bündelung der Einkaufsmacht resultieren oder auch aus einer genzüberschreitenden Konzentration der Produktion, die aufgrund von economies of scale zu niedrigeren Produktionskosten und weiter zu niedrigeren Beschaffungspreisen für den Einzelhändler führen. Solche beschaffungsseitigen Wettbewerbsvorteile, die multinationale Unternehmen für ihre Tochtergesellschaften im Ausland bereithalten können, bezeichnet Dunning21 in seiner Direktinvestitionstheorie als „transaction based ownership-specific advantages“ oder Ot-Vorteile. Er stellt diesen „asset based ownership-specific advantages“ oder Oa-Vorteile gegenüber: im Einzelhandel könnten dies etwa besonders attraktive Ladenformate, effiziente Geschäftsabläufe oder ähnliche Kompetenzen sein, die Auslandsgesellschaften gegenüber lokalen Wettbewerbern einen Vorteil sichern. Nun ist es eine allgemein verbreitete Erkenntnis, dass sich solche Vorteile im Einzelhandel nur schwer vor einer Nachahmung durch Wettbewerber schützen lassen: innovative Einzelhandelsformate und ihre einzelnen Komponenten können nicht wie die meisten Produkte der verarbeitenden Industrie patentiert werden; wichtige Teile des Betriebsablaufs sowie Preisstrukturen sind für jedermann leicht einsehbar.22

Vor diesem Hintergrund wäre es nicht verwunderlich, wenn sich die Internationalisierung des Einzelhandels in Deutschland und von Deutschland aus zu einem guten Teil durch Besonderheiten im Produktionsbereich erklären ließe, die sich Einzelhändler bei einer grenzüberschreitend organisierten Beschaffung von Eigenmarken-Sortimenten zunutze machen können. Originär im einzelhandelsspezifischen Bereich der Distribution liegende Besonderheiten der sich internationalisierenden Einzelhandelsunternehmen selbst spielen dabei eine untergeordnete Rolle.23

Zusammenfassung

Auch heute ist der Feststellung von Tordjman, die dieser kurz nach Vollendung des Binnenmarktes machte, zuzustimmen, dass im europäischen Einzelhandel „… substantial differences continue to survive, each country preserving the fruits of its history and culture. The single European market is not therefore uniform and, compared with manufacturing industry, remains localized.“24 Die Gründe für diese Differenzen können in unterschiedlichen historisch tief verwurzelten Institutionensystemen und Traditionen der Regulierung der einzelnen Länder gesehen werden; sie werden sich daher wohl auch in absehbarer Zukunft erhalten.

Die Verflechtung durch international tätige Einzelhandelsunternehmen zwischen den Ländern Europas, insbesondere zwischen den nordwesteuropäischen Ländern einschließlich Deutschlands mit ihren relativ weit entwickelten oder „modernen“ Einzelhandelssturkturen, ist bis heute – verglichen mit der Verflechtung in der verarbeitenden Industrie – relativ schwach entwickelt. Schließlich wurde die Vermutung geäußert, dass die treibenden Kräfte der Einzelhandelsinternationalisierung, zumindest was Deutschland angeht, nicht allein im Bereich des Einzelhandels selbst, sondern auch im Bereich der Produktion von Private-Label-Sortimenten zu suchen sind.

  • 1 M. Matsushita: Structural Impediments Initiative: An Example of Bilateral Trade Negotiation, The Commentary on the Structural Impediments Initiative, in: Michigan Journal of International Law, Jg. 12, 1991, Nr. 2, S. 436-449.
  • 2 N. Alexander: International retail expansion within the EU and NAFTA, in: European Business Review, Jg. 96, 1996, Nr. 3, S. 23-35; E. Colla: The outlook for European grocery retailing: Competition and format development, in: International Review of Retail, Distribution and Consumer Research, Jg. 14, 2004, Nr. 1, S. 47-69; J. Dawson, S. Burt: European retailing dynamics, restructuring and development issues,
    in: D. Pinder (Hrsg.): The New Europe: Economy, Society and the Environment, Chichester 1998, S. 157-176; S. Howe (Hrsg.): Retailing in the European Union. Structures, Competition and Performance, London 2003; H. Myers: The changing process of internationalisation in the European Union, in: Service Industries Journal, Jg. 15, 1995, H. 4, S. 42-56; H. Myers, N. Alexander: The role of retail internationalisation in the establishment of a European retail structure, in: International Journal of Retail & Distribution Management, Jg. 35, 2007, Nr. 1, S. 6-19; A. Tordjman: European Retailing. Convergences, Differences and Perspectives, in: International Journal of Retail & Distribution Management, Jg. 22., 1994, Nr. 5, S. 3-19.
  • 3 MINTEL: Clothing Retailing – Europe , September 2008.
  • 4 Da die meisten komparativ-institutionalistisch ausgerichteten Konzepte, etwa das der Varieties of capitalism (P. Hall, D. Soskice: An Introduction to varieties of capitalism, in: P. Hall, D. Soskice (Hrsg.): Varieties of Capitalism. The Institutional Foundations of Comparative Advantage, Oxford University Press, Oxford 2001, S. 1-68), vorrangig für die Untersuchung der verarbeitenden Industrie entwickelt wurden, können sie nur bedingt auf den Einzelhandel übertragen werden.
  • 5 Zum deutschen Bekleidungshandel vgl. M. Wortmann: Hersteller, Einzelhändler und Importeure. Formen der Globalisierung im Bekleidungssektor, in: A. Sorge (Hrsg.): Internationalisierung: Gestaltungschancen statt Globalisierungsschicksal, Berlin 2009, S. 77-103.
  • 6 H. A. Winkler: Zwischen Marx und Monopolen. Der deutsche Mittelstand vom Kaiserreich zur Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1991.
  • 7 H. Soldner: West Germany, in: J. J. Boddewyn, S. C. Hollander (Hrsg.): Public Policy toward Retailing, Lexington 1972, S. 405-429; L. Berekoven: Geschichte des deutschen Einzelhandels, Frankfurt am Main 1986; A. Scheybani: Handwerk und Kleinhandel in der Bundesrepublik Deutschland. Sozialökonomischer Wandel und Mittelstandspolitik 1949-1961, Oldenburg, München 1996.
  • 8 Zur Entwicklung des Geschäftsmodells von Aldi vgl. insbesondere D. Brandes: Konsequent einfach. Die ALDI-Erfolgsstory, Frankfurt am Main 1998.
  • 9 B. Tietz: Der Handelsbetrieb. Grundlagen der Unternehmenspolitik, 2. neubearbeitete Auflage, München 1993.
  • 10 Vgl. auch M. Wortmann: Globalization of European Retailing, in: G. Hamilton, M. Petrovich, B. Senauer (Hrsg.): The Global Market Makers, Oxford University Press (im Erscheinen 2010); M. Wortmann: Aldi und das „deutsche Modell“ – zur Entwicklung des deutschen Lebensmittelhandels im internationalen Vergleich, in: U. Jürgens (Hrsg.): Discounter – interdisziplinäre Betrachtungen zu einem fast unbekannten Bereich der Handelsforschung, Schriftenreihe Geographische Handelsforschung (im Erscheinen 2010).
  • 11 J. Sumner, K. Davies: Hypermarkets and superstores. What do planning authorities really think?, in: International Journal of Retail and Distribution Management, Jg. 6, 1978, Nr. 4, S. 8-15.
  • 12 J. Morris: Contesting retail space in Italy: competition and corporatism 1915–1960, International Review of Retail Distribution and Consumer Research, Jg. 9, 1999, Nr. 3, S. 291-305.
  • 13 P. Potz: Die Regulierung des Einzelhandels in Italien. Grundlagen und Einfluss auf die Handelsstruktur, WZB Discussion Paper, Berlin 2002, S. 102-104. In den letzten Jahren haben sich jedoch Hypermärkte, insbesondere auch der französischen Konzerne Carrefour und Auchan, stark ausgebreitet.
  • 14 E. Colla: International expansion and strategies of discount grocery retailers: the winning models, in: International Journal of Retail & Distribution Management, Jg. 31, 2003, Nr. 1, S. 55-66.
  • 15 Der Begriff „global“ bezieht sich hier auf die Art der Internationalisierung und nicht auf die geographische Reichweite (vgl. auch M. Wortmann: Komplex und Global – Strukturen und Strategien multinationaler Unternehmen, Wiesbaden 2008).
  • 16 M. Porter: Competition in Global Industries: A Conceptual Framework, in: M. E. Porter (Hrsg.): Competition in Global Industries, Harvard Business School Press, Boston 1986, S. 15-60; M. Wortmann, ebenda; spezifisch zum Einzelhandel W. J. Salmon, A. Tordjman: The internationalisation of retailing, in: International Journal of Retailing, Jg. 4, 1989, Nr. 2, S. 3-16..
  • 17 P. Gurdjian, G. Kerschbaumer, M. Kliger, J. Waterous: Bagging Europe’s groceries, in: The McKinsey Quarterly, 2000, Nr. 2, S. 68-75.
  • 18 Näher hierzu M. Wortmann: Globalisation of European Retailing, a.a.O.
  • 19 Wirtschaftsblatt vom 5.2.2004.
  • 20 Angaben bei J.-B. E. M. Steenkamp, N. Kumar: Don‘t be undersold! in: Harvard Business Review, Jg. 87, H. 12, S. 90-95.
  • 21 J. H. Dunning: Market power of the firm and international transfer of technology, in: International Journal of Industrial Organisation, Nr. 1, 1983, S. 333-351; J. H. Dunning: Multinational Enterprises and the Global Economy, Wokingham 1993.
  • 22 Handelsunternehmen, die Eigenmarken vertreiben, bauen häufig ganz neue Oa-Vorteile auf, indem sie sich in der Produktentwicklung engagieren, also in einem Bereich, der originär nicht dem Handel zuzurechnen ist.
  • 23 Dies mag bei internationalen Hypermarktketten anders sein. Deren Expansion in die weniger entwickelten (Einzelhandels-)Märkte Ost- und Südeuropas oder auch außerhalb Europas dürfte eher durch einzelhandelsspezifische Oa-Vorteile bestimmt sein.
  • 24 A. Tordjman, a.a.O.

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DOI: 10.1007/s10273-010-1036-2

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