Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die Bedeutung des EU-Binnenmarktprogramms für das deutsche Verkehrswesen war dramatisch. Wie dramatisch wird erst durch einen Vergleich mit der Situation in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg so richtig klar: Ungeachtet des Erhardschen Liberalisierungsprogramms im Rest der Wirtschaft, blieb der Verkehrsbereich weitgehend von Reformen unberührt. Die dirigistische Vorkriegsordnung des Dritten Reiches wurde fast unverändert übernommen. Dazu gehörten Marktzutrittsbarrieren (z.B. die Konzessionspflicht im Straßengüterverkehr) ebenso wie verkehrsträgerübergreifend koordinierte Tarife. „Ideologischer Unterbau“ dieses im Grunde planwirtschaftlich geprägten Ordnungsrahmens war die sogenannte „Besonderheitenlehre des Verkehrs“, die im 19. Jahrhundert maßgeblich u.a. von Emil Sax (1845 - 1927), einem Vertreter der Gemeinwirtschaftslehre, entwickelt worden war. Kern der Besonderheitenlehre, die nur sehr entfernt etwas mit der modernen Theorie des Marktversagens zu tun hat, waren scheinbare produktionstechnische Spezifika, wie etwa die Unpaarigkeit von Güterverkehrsströmen, die Nicht-Lagerfähigkeit von Transportvorgängen oder das Erfordernis hoher spezifischer Investitionen, die mit einem wettbewerblichen Angebot nicht vereinbar schienen, die in jedem Fall aber eine starke regulierende Rolle des Staates erforderlich machten. Ein wesentliches Element der Besonderheitenlehre bestand auch in der Doktrin von der Daseinsvorsorge, die sich als einziger Teil dieser Lehre bis in die Gegenwart gerettet hat.

In der Praxis war das Kernstück der Verkehrspolitik der Nachkriegszeit der Schutz der Eisenbahn. Die Tarife der konkurrierenden Modi wurden stets so ausgerichtet, dass der Bahn keine zu großen Nachfrageverluste entstanden.1 Die konkurrierenden Verkehrsträger ließen sich dieses staatlich administrierte Kartell gerne gefallen, ging es doch auch in ihren Bereichen mit Marktzutrittsbeschränkungen und Tarifabsprachen einher. Für den Straßengüterverkehr ergab sich noch der zusätzliche Vorteil, dass es ihm ironischerweise gerade die koordinierten Tarife ermöglichten, seine Systemvorteile erst vollends auszuspielen. Bei gleichen Preisen entscheidet sich der Konsument für das qualitativ bessere Produkt. Die Nachkriegspolitik im deutschen Verkehrswesen entsprach somit einem stabilen Interessensgruppengleichgewicht im Sinn der positiven Theorie der Regulierung.2

Deutschland versuchte entschieden, seinen verkehrspolitischen Ansatz auch bei der Gründung der EWG geltend zu machen. Den Geist der deutschen Verhandlungsposition gibt ein amüsantes Zitat von Walter Hallstein wieder, der als deutscher Delegationsleiter an den Verhandlungen um das Verkehrskapital der Römischen Verträge (1957) teilnahm: „Die Verkehrspolitik gehörte zum „harten Kern des Verhandlungsstoffs“, der erst in den letzten Wochen der Konferenz im Schloss von „Val Duchesse“ in Brüssel unter Dach und Fach gebracht werden konnte …. Als ich die Konferenz verließ, hatte ich den Eindruck, eher einem pseudokirchlichen Konzil als einer wirtschaftspolitischen Verhandlung beigewohnt zu haben. Mit einer geradezu religiösen Inbrunst war um dogmatische Positionen (Ist der Verkehr eine Wirtschaftstätigkeit oder ein öffentlicher Dienst?) gerungen worden.“3

Dementsprechend blieben die verkehrspolitischen Vorgaben in den Vertragswerken auf EU-Ebene zunächst undeutlich. Zwar wurden bereits in den Römischen Verträgen eine Gemeinsame Europäische Verkehrspolitik, ein gemeinsamer Regulierungsrahmen und der Abbau aller handelshemmenden Regulierungen gefordert, doch erwies sich in der Folgezeit die Umsetzung dieser Vorsätze als äußerst schwierig. Zu den permanenten Diskussionspunkten gehörten vor allem folgende Fragen:4

  • Sollten die Eisenbahnen eine Sonderrolle in der Verkehrspolitik spielen?
  • Inwieweit sollte freie Preisgestaltung im Verkehr zugelassen werden?
  • Welche Rolle sollte in Zukunft die Konzessionspflicht im Straßengüterverkehr spielen? In welcher Höhe sollten Konzessionen vergeben werden?
  • Wie sollten angesichts der erheblichen nationalen Unterschiede in der fiskalischen Belastung „faire Wettbewerbsbedingungen“ im Straßengüterverkehr hergestellt werden? Sollte nach dem Prinzip „Harmonisierung vor Liberalisierung“ zunächst eine Angleichung der Mineralöl- und Kfz-Steuern erfolgen, bevor der internationale Wettbewerb zuzulassen war oder umgekehrt?
  • Welche Kompetenzen sollten der EU-Kommission im Bereich der Planung und Finanzierung von grenzüberschreitender Verkehrsinfrastruktur eingeräumt werden?
  • Fielen Luftfahrt und Seeschifffahrt in den Kompetenzbereich der EU (im EWG-Vertrag gab es dazu keine Aussage)?

De facto gab es in diesen Fragen bis in die 80er Jahre hinein wenig Fortschritte, mit der Konsequenz, dass die einzelnen EU-Mitgliedstaaten im Großen und Ganzen an ihrer jeweiligen nationalen Verkehrspolitik festhielten. Auch wenn die deutsche Verkehrspolitik, nicht zuletzt unter dem Druck von Verkehrswirtschaftlern wie Aberle, Hamm, Baum u.a., zögernde Liberalisierungsschritte unternahm (etwa in der „Kleinen Verkehrsreform“ von 1961), blieb sie bis in die 80er Jahre eindeutig dirigistisch geprägt.

„Untätigkeitsurteil“ des Europäischen Gerichtshofs

Eine entscheidende Wende brachte erst das sogenannte „Untätigkeitsurteil“ des Europäischen Gerichtshofs im Jahre 1985. In Anbetracht der geringen Fortschritte bei der Verwirklichung der Gemeinsamen Europäischen Verkehrspolitik hatte das Europäische Parlament die EU-Kommission wegen Untätigkeit verklagt. Der EuGH stellte daraufhin klar, dass kein Junktim zwischen Liberalisierung und vorheriger Harmonisierung bestehe und dass somit eine Marktöffnung im Verkehr sofort geboten und möglich sei. Der Ministerrat habe in angemessener Frist in diesem Sinne tätig zu werden. Entscheidungen aus den Jahren 1974 und 1986 stellten klar, dass Luft- und Seeschifffahrt Teil der Gemeinsamen Europäischen Verkehrspolitik seien und dass das Europäische Wettbewerbsrecht in diesen Bereichen anzuwenden sei. Mit diesen Entscheidungen war gewissermaßen der große Befreiungsschlag erfolgt, der es nunmehr ermöglichte, die dirigistischen Ordnungsrahmen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten aufzubrechen. Parallele Entwicklungen in den USA (insbesondere der Staggers Act von 1980) und in Großbritannien taten ein Übriges.

Der europarechtliche Kern der Gemeinsamen Verkehrspolitik findet sich neben den verschiedenen, unten noch zu besprechenden Richtlinien und Verordnungen im EG-Vertrag (seit 1.12.2009 „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ mit neuer Nummerierung, der hier gefolgt wird): Art. 4, g legt zunächst ganz allgemein fest, dass der Verkehr in den mit den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeitsbereich der Europäischen Kommission gehört. Titel VI des Vertrages widmet sich in den Artikeln 90 bis 100 der Gemeinsamen Verkehrspolitik genauer. Im Großen und Ganzen wird festgelegt, dass es innerhalb der EU gemeinsame Regeln für grenzüberschreitende Verkehre geben solle,

  • dass ebenso gemeinsame Regeln für die Zulassung internationaler Transportunternehmen und für die Sicherheit existieren sollen (Art. 90),
  • dass der in einem Land geltende Ordnungsrahmen in- und ausländische Unternehmen gleich behandeln müsse (Art. 92),
  • dass Beihilfen dann zulässig sein können, wenn sie für Leistungen gewährt werden, „die mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängen“ (Art. 93),
  • dass alle gebührenpolitischen Maßnahmen der Gemeinsamen Verkehrspolitik die besondere finanzielle Situation der betroffenen Unternehmen zu berücksichtigen haben (Art. 94),
  • dass Transporttarife nicht nach Herkunfts- oder Bestimmungsland der beförderten Güter diskriminieren dürfen (Art. 95),
  • und schließlich (Art. 100), dass das Europäische Parlament und der Rat „geeignete Vorschriften für die Seeschifffahrt und die Luftfahrt erlassen“ können (nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen).

Interessanterweise enthält der einleitende Art. 91 noch die Formulierung, dass das Europäische Parlament und der Rat ihre gesetzgeberischen Aktivitäten „unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verkehrs“ vornehmen werden. Auch hier haben sich also Spuren der alten Besonderheitenlehre erhalten.

Abgesehen von diesen sehr allgemeinen Bestimmungen des EG-Vertrags hat jedoch die EU die Verkehrspolitik in den einzelnen Ländern vor allem durch verkehrsträgerspezifische Initiativen beeinflusst.

Aus dem bereits Gesagten lässt sich jedoch schon hier festhalten, dass die entscheidenden Impulse zur Liberalisierung der europäischen Verkehrsmärkte nicht von den Mitgliedstaaten, sondern von der EU ausgegangen sind. Knieps hat auf einen ähnlichen Zusammenhang schon im Bezug auf die Telekommunikationspolitik in den USA aufmerksam gemacht.5 Auch dort ging der Impuls zur Deregulierung von der föderal höheren Ebene des US-Bundesstaates aus, nicht von der Ebene der Einzelstaaten. Die impulsgebende Behörde war hier die Federal Communications Commission (FCC), die sich zur Durchsetzung ihrer Ideen des Mittels der sogenannten „federal preemption“, also des Vorranges bundesstaatlicher Regelwerke vor einzelstaatlichen Regelwerken, bedienen konnte. Dies findet im europäischen Bereich eine vollkommene Entsprechung im Vorrang europäischer vor einzelstaatlicher Gesetzgebung. Zu beachten ist hier natürlich, dass die „federal preemption“ sich keineswegs notgedrungen in Richtung Liberalisierung und Marktöffnung auswirken muss. Bei entsprechender Konstellation der Interessengruppen und „ideologischer Stimmung“ könnte sie sehr wohl in die gegenteilige Richtung ausschlagen.

Die europäische Verkehrspolitik hatte vielfältigste Auswirkungen in den verschiedenen Teilbereichen der jeweiligen nationalen Verkehrssysteme, von den Lenk- und Ruhezeiten der Lkw-Fahrer und Fahrgastrechten im Bahn- und Luftverkehr, bis hin zu einem einheitlichen Führerschein für Lokführer und den umfassenden Anstrengungen im Bereich der Standardisierung im Eisenbahnwesen.6 Es ist nicht möglich, im Rahmen einer überblicksartigen Darstellung wie der vorliegenden auf alle diese Teilbereiche einzugehen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich deshalb auf eine zusammenfassende Darstellung der beiden „großen“ Verkehrsträger Schiene und Straße.

EU Eisenbahnpolitik

Das wegweisende Dokument der EU-Eisenbahnpolitik ist die Richtlinie 91/440, die im Jahr 1991 vom Ministerrat verabschiedet wurde, inzwischen aber durch weitere Richtlinien und Verordnungen aktualisiert und ergänzt wurde7.

Die in der Richtlinie 91/440 geforderte rechnerische und organisatorische Trennung von Netz und Betrieb und die diskriminierungsfreie Öffnung des Netzes wurden in den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU in unterschiedlicher Radikalität umgesetzt.8 Die Umsetzungsmodelle reichen von den sehr weitreichenden Ansätzen in Deutschland und Großbritannien bis zu milderen und sogar nur formalrechtlichen Anpassungen in Frankreich und Griechenland.9

Für die im Jahr 1994 erfolgte deutsche Bahnstrukturreform war die Richtlinie 91/440 eine wichtige Argumentationshilfe. Gegen erheblichen Widerstand brachte die deutsche Bahnreform die Trennung von Netz und Betrieb, die völlige Öffnung des Netzes für Dritte und die Verhinderung (oder zumindest Erschwerung) von Quersubventionen durch die Aufspaltung der Deutschen Bahn in selbständige AGs, die allerdings immer noch unter dem Dach einer straff geführten Holding agieren.

Auch die drei Eisenbahnpakete, die 2001, 2004 und 2007 verabschiedet wurden, haben nennenswerte Veränderungen im eisenbahnpolitischen Ordnungsrahmen Deutschlands angestoßen. Zu erwähnen ist hier in erster Linie die Übertragung der Regulierungsbefugnisse an die Bundesnetzagentur, die im Jahr 2006 erfolgte. Die Bundesnetzagentur wacht insbesondere über den diskriminierungsfreien Zugang zum Netz und, damit natürlich eng verbunden, über die Höhe und Struktur der Trassenpreise. Mit diesem institutionellen Modell befolgt Deutschland die im 1. Eisenbahnpaket geforderte Einrichtung einer nationalen Regulierungsstelle und die Sicherstellung eines diskriminierungsfreien Zugangs zum Netz. Die Bundesnetzagentur sieht ihre Hauptaufgabe zur Zeit in der Einführung einer Anreizregulierung für den Netzbetreiber. Offen ist nach Auffassung des Verfassers auch immer noch die Frage nach der volkswirtschaftlich sinnvollen Höhe und Struktur der Trassenpreise. Beides war und ist Gegenstand kontroverser Diskussionen.

Nachdem das erste Trassenpreissystem TPS 98 nach einer Beschwerde konkurrierender Bahnen von der Deutschen Bahn zurückgezogen wurde, kam mit dem nachfolgenden System ein im Wesentlichen einstufiges Preissystem zum Einsatz, das durch verschiedene Zu- und Abschläge (nach Streckenkategorien, Auslastungsgrad, Trassenqualität u.a.) ergänzt wird. Grundsätzlich wurde damit ein volkswirtschaftlich eigentlich wünschenswertes Tarifmodell, nämlich das eines optionalen zweiteiligen Tarifs, durch einen einstufigen Durchschnittskostentarif ersetzt, der um eine (jedenfalls aus ökonomischer Sicht) unklare Mischung von nachfrage- und kostenseitigen Zuschlagskomponenten ergänzt wird. Die beste Erklärung dieses Systems scheint darin zu bestehen, es als eine Art ingenieurwissenschaftlich-plausiblen Kompromiss zwischen der Deutschen Bahn und ihren Konkurrenten aufzufassen. Dies würde auch erklären, weshalb die dem TPS 98 nachfolgenden Trassenpreissysteme ein relativ geringes Maß an Klagen auf sich zogen. (Die gegenwärtige Kontroverse um die sogenannten „Regionalfaktoren“ geht weniger von den Konkurrenten der Deutschen Bahn aus, als von den Aufgabenträgern im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).

Die Kommission selbst fordert im 1. Eisenbahnpaket die Anwendung des von ihr schon lange befürworteten Prinzips der sozialen Grenzkosten. Auf Grund vielfältiger Kritik an diesem Prinzip, nicht zuletzt aus dem Kreis des deutschen wissenschaftlichen Beirats beim Verkehrsminister10, gestattet sie jedoch marktorientierte Zuschläge (Spitzenlastpreise, Staugebühren, Ramsey-Preise). Die Formulierungen des 1. Eisenbahnpakets sind hier keineswegs klar. Offenbar besteht aber ein Konflikt zwischen dem gegenwärtig in Deutschland angewandten System und der stärker an der ökonomischen Theorie ausgerichteten Grundphilosophie der EU-Kommission. Wie die Bundesnetzagentur sich in dieser Frage positionieren wird, bleibt abzuwarten.

Es verdient angemerkt zu werden, dass die Frage der Trassenpreise weit davon entfernt ist, eine Frage zweiter Ordnung zu sein. Von namhaften Autoren wird der Erfolg der US-amerikanischen Güterbahnen nicht zuletzt auf deren Fähigkeit zurückgeführt, ein sehr fein differenziertes Yield-Management (also eine Bepreisung nach Nachfrageelastizitäten) durchführen zu können.11 (Tatsächlich wird dieser Vorteil sogar als ein wesentliches Argument für die vertikale Integration von Netz und Betrieb angesehen, wie sie bei den amerikanischen Güterbahnen besteht.) Es ist deshalb von hohem Interesse, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob und inwieweit ein listenmäßiges Trassenpreissystem in der Lage ist, den Güterverkehrsgesellschaften auf der Endstufe genügend Flexibilität für ein solches Yield-Management zu lassen.

Man kann hier sogar einen Schritt weitergehen und kritisch fragen, ob der einheitliche Ansatz der EU-Kommission einer Trennung von Netz und Betrieb nicht schon zu weit geht und dem Wettbewerb verschiedener Organisationsmodelle zu wenig Spielraum gewährt. Diese Fragen sollten hier jedoch nur erwähnt werden. Sie verdienen eine eingehendere Untersuchung.12

Schließlich ist noch der schienengebundene ÖPNV (SPNV) zu erwähnen, der in der Verordnung (EG) 1370/2007 im 3. Eisenbahnpaket angesprochen wird. Die Verordnung legt fest, dass öffentliche Verkehrsdienste „grundsätzlich“ im Rahmen von Ausschreibungen an öffentliche oder private Unternehmen vergeben werden. Es gibt jedoch Ausnahmeregelungen, die nach wie vor Direktvergaben ermöglichen. Am wichtigsten ist die Bestimmung in Artikel 5, dass eine kommunale Behörde beschließen kann, öffentliche Personenverkehre selbst zu erbringen oder an ein Unternehmen direkt zu vergeben, sofern sie über dieses Unternehmen eine Kontrolle ausübt und sofern dieses Unternehmen nicht an Vergabeverfahren außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der kontrollierenden Behörde teilnimmt. Eine Ausschreibungspflicht entfällt auch dann, wenn der Umsatz des zu vergebenden Dienstes weniger als 1 Mio. Euro beträgt oder die Anzahl der betreffenden Personenkilometer unter 300 000 liegt. Im Nahbereich kann Schienenpersonenverkehr allerdings nur bis zu maximal 15 Jahren ohne eine Ausschreibung vergeben werden.

Wettbewerb intensiviert

Im Ergebnis der von der EU angestoßenen Liberalisierungspolitik im Eisenbahnwesen hat sich der Wettbewerb in Deutschland deutlich intensiviert. Dies wird auch von all jenen nicht bestritten, die auf immer noch bestehende Defizite im Bereich des Zugangs zu Infrastruktureinrichtungen und auf wettbewerbswidriges Verhalten der Deutschen Bahn hinweisen. Im Schienengüterverkehr erreicht der Marktanteil der Wettbewerber heute fast 20% (in Tonnenkilometern). Getrieben wird diese Entwicklung in starkem Maße vom Wachstum grenzüberschreitender Verkehre. Immer mehr ausländische Bahnen werden in Deutschland tätig. Dementsprechend sind die Beförderungstarife in Deutschland unter Druck geraten.

Im ÖPNV ist das Ausmaß in dem von Ausschreibungen Gebrauch gemacht wird, von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. „Ausschreibungsfreundlichen“ Ländern wie Hessen oder Schleswig-Holstein stehen deutlich konservativere Länder gegenüber. Im Jahre 2009 werden insgesamt 25% der Zugkilometer des derzeitigen Geschäfts von DB-Regio vergeben. Die Wettbewerber der Deutschen Bahn sind in Ausschreibungen zunehmend erfolgreich und halten mittlerweile einen Marktanteil von um die 18%, in einigen Ländern aber deutlich mehr. Im Jahr 2008 hat die Deutschen Bahn nur 30% der öffentlichen Ausschreibungen gewinnen können. Über die Ursachen wird kontrovers diskutiert. Argumentiert die Bahn mit den geringen Gehältern und Sozialstandards der Wettbewerber, stellen diese Effizienzvorteile in den Vordergrund. Wettbewerbliches Sorgenkind ist der Personenfernverkehr, in dem der Marktanteil der Wettbewerber unter 1% liegt. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass die Marktzutrittsbarrieren und das Risiko des Geschäfts deutlich höher liegen als bei den beiden bereits genannten Geschäftsfeldern.

Straßengüterverkehr

Vor dem Untätigkeitsurteil von 1985 war der europäische Straßengüterverkehr durch zwei wesentliche Elemente geprägt:

  • durch stark voneinander abweichende nationale Regulierungen in den einzelnen Mitgliedstaaten und
  • durch die Vereinbarung bilateraler Kontingente für grenzüberschreitende Verkehre.

Kontingente waren natürlich nur schwer mit dem Binnenmarktprogramm vereinbar (sie stellen insbesondere eine Diskriminierung Dritter dar) und gerieten deshalb folgerichtig als erstes in die Schusslinie der Kommission. In der sich daraus ergebenden Debatte zerfielen die Mitgliedstaaten in zwei Gruppen. Die erste Gruppe (Beneluxstaaten und Großbritannien, beide mit traditionell starkem Güterverkehrsgewerbe) befürworteten eine rückhaltlose Marktöffnung und die Anwendung des EG-Vertrages auf alle straßengebundenen EU-Binnentransporte. Die zweite Gruppe (unter Führung von Deutschland und Frankreich) berief sich auf die Besonderheiten des Verkehrs und lehnte eine Marktöffnung weitgehend ab. Gefordert wurde ein schrittweises Vorgehen unter Berufung auf das Junktim zwischen Harmonisierung und Liberalisierung (siehe oben). Die Kommission schlug im Jahr 1963 dem Rat schließlich vor, die bilateralen Kontingente durch ein einheitliches EU-Kontingent zu ersetzen. Dieser Vorschlag wurde in der Richtlinie 1018/68 umgesetzt, jedoch in stark verwässerter Form, da neben dem EU-Kontingent die bilateralen Kontingente bestehen blieben.

Nach dem Untätigkeitsurteil änderte sich jedoch das Bild und die EU verstärkte ihre Anstrengungen in Richtung Liberalisierung und Harmonisierung. Auch hier diente die Deregulierung der US-amerikanischen Transportmärkte, insbesondere der Motor Carrier Act von 1980, als Vorbild. Die hauptsächlichen Veränderungen bezogen sich Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre auf drei Gebiete:

  1. Die Freigabe der Preisbildung im grenzüberschreitenden Güterverkehr (VO (EWG) 4058/89),
  2. die Deregulierung grenzüberschreitender Verkehre (VO (EWG) 881/92) und
  3. die Liberalisierung des Kabotageverkehrs13 (VO (EWG) 3118/93, geändert durch VO (EWG) 3315/94).

Waren die Transporttarife vor 1989 noch staatlich reguliert, konnten (nach einem kurzen Interregnum von Empfehlungspreisen) ab 1990 nunmehr die Entgelte für grenzüberschreitende Transporte zwischen Anbietern und Nachfragern vertraglich frei vereinbart werden. In Deutschland selbst wurde am 1.1.1993 die Tarifbindung im Straßengüterverkehr außer Kraft gesetzt. Mit Beginn des Jahres 1994 trat das sogenannte Tarifaufhebungsgesetz in Kraft. Die vereinbarten Tarife müssen den zuständigen Behörden auf Verlangen lediglich angezeigt werden, sie unterliegen nicht mehr der Genehmigungspflicht.Der Marktzutritt ist seit 1992 auf Basis einer unkontigentierten Gemeinschaftslizenz möglich, für deren Erwerb lediglich subjektgebundene Kriterien angewandt werden (fachliche Eignung, personelle Zuverlässigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit, Niederlassungen in einem Mitgliedsland). Die Gemeinschaftslizenz gilt zunächst für fünf Jahre, eine Verlängerung ist möglich.

Kabotage

Die Kabotage ist bei allen Verkehrsträgern traditionell ein kontroverses Diskussionsthema.14 Eine Zulassung entspricht einerseits natürlich der Logik des Binnenmarktes. Andererseits wird von den jeweiligen nationalen Anbietern „Rosinenpicken“ befürchtet, insbesondere dann, wenn ausländische Anbieter auf ihren Rückfahrten ins eigene Land leeren Laderaum dazu ausnutzen, lukrative Binnentransporte zu Grenzkostenpreisen durchzuführen (Anschlusskabotage). Die EU hatte sich auf Grund derartiger und anderer Bedenken dazu entschlossen, 1990 zunächst ein Kabotagekontingent einzuführen. Dieses Kontingent wurde jedoch schrittweise jährlich erhöht, bis 1998 die mengenmäßig unbeschränkte Regelkabotage zugelassen wurde.15

Auch gegenwärtig ist die Kabotage nicht gänzlich von Regulierungen befreit. In Deutschland setzt die „Verordnung über den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr und Kabotageverkehr (GüKGrKabotageV)“ dem Ausmaß der Kabotage gewisse Grenzen. Führt ein ausländischer Anbieter einen grenzüberschreitenden Transport nach Deutschland durch, darf er im Anschluss an die erste Entladung seiner Fracht nur bis zu drei Kabotagebeförderungen mit demselben Fahrzeug vornehmen, und auch dies nur innerhalb einer Frist von sieben Tagen. Die EU hat in ihrer neuen Verordnung 1072/2009 die gleiche Regelung getroffen. Kommt es trotz dieser Regelung in einem Mitgliedsland zu einer „ernsten Marktstörung“, kann der betroffene Mitgliedstaat bei der EU eine zusätzliche Einschränkung der Kabotage beantragen („Krisenmechanismus“). Die Kriterien für das Vorliegen einer ernsten Marktstörung bleiben allerdings vage. Zu erwähnen ist auch, dass nach der EU-Osterweiterung für die Beitrittsländer Tschechien, Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn und Polen zunächst Übergangsfristen bis zum 30.4.2009 galten. Seit dem 1. Mai 2009 können auch Anbieter aus diesen Ländern rein innerdeutsche Transporte ausführen. Für Bulgarien und Rumänien ist eine Freigabe Anfang 2012 vorgesehen. Nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Güterverkehr sind die Auswirkungen der Freigabe auf den deutschen Güterkraftverkehrsmarkt derzeit noch relativ gering.16 Auch für den Werkverkehr gilt seit 1994 die Regelkabotage. Damit können ausländische Frachtführer nunmehr weitgehend frei im innerdeutschen Güterverkehr tätig werden.

Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen

Das zentrale Dauerthema der Liberalisierung des Straßenverkehrs ist die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen, vor allem in den Bereichen Sicherheit, Arbeitsbedingungen (Sozialvorschriften, Lenk- und Ruhezeiten), sowie Steuern, Abgaben und Wegeentgelte. Im Brennpunkt standen zunächst die unterschiedlichen Mineralöl- und Kfz-Steuern in den Mitgliedstaaten, die deutlich voneinander abwichen und deshalb als Haupthindernis für einen „fairen“ Wettbewerb galten. Deutschland, das die höchsten Steuersätze hatte, verweigerte eine Absenkung mit dem Hinweis auf die Schutzwürdigkeit der Eisenbahn.

Die Kommission hat in verschiedenen Anläufen versucht, diese Disparitäten zumindest einzuebnen. Seit Oktober 1992 gibt es immerhin Mindeststeuersätze bei der Kfz- und Mineralölsteuer (für Vergaser- und Dieseltreibstoff), doch keine einheitlichen Steuersätze für die gesamte EU. Das Haupthindernis für eine fiskalische Harmonisierung besteht in der Tatsache, dass Steuerfragen im Rat der EU einstimmig zu beschließen sind. Für Gebühren ist dies nicht der Fall, was mit ein Grund dafür sein dürfte, dass die EU seit geraumer Zeit in der Verkehrspolitik stärker auf das Instrument der Gebühren setzt. (Selbstverständlich gibt es dafür auch gute wirtschaftstheoretische Gründe.) Ein erster Schritt in Richtung des Abbaus der fiskalischen Disparitäten bestand in der Einführung der sogenannten Eurovignette im Jahr 1995 in Dänemark, Deutschland und den Beneluxländern, zu denen ab 1998 auch Schweden stieß (RL (EWG) 93/89). Da annähernd zeitgleich als Ausgleich für die Eurovignette in Deutschland die Steuersätze für die Kfz-Steuer abgesenkt wurden, kam es zumindest in einem gewissen Maß zu einer Angleichung der fiskalischen Sonderbelastungen. Die nach wie vor bestehenden Unterschiede und die Möglichkeit, Deutschland ohne Tankvorgang zu durchqueren und somit die deutsche Mineralölsteuer zu umgehen, waren unter anderem Gründe, die im Jahr 2005 zur Einführung einer Maut für Lkw ab 12 t auf Deutschlands Autobahnen führten, die die Eurovignette ersetzte.17 In- und ausländische Lkw zahlen nunmehr auf deutschen Autobahnen die gleiche kilometerbezogene Gebühr und werden damit in gleicher wettbewerbsneutraler Weise zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur herangezogen.18

Ebenso wie im Eisenbahnbereich waren die Auswirkungen der EU-Liberalisierung auch im deutschen Straßengüterverkehr dramatisch. Das deutsche Straßengüterverkehrsgewerbe ist mit über 50 000 Anbietern überwiegend durch klein- und mittelständische Unternehmen charakterisiert. Die Anbieterstruktur reicht von global operierenden internationalen Speditionen bis zu kleinen Selbstfahrern, die den weitaus größten Teil der Unternehmen ausmachen (58%). Die großen Spediteure, ebenso wie Kurier-, Express und Paketdienste (KEP-Dienste), die ihren Schwerpunkt zumeist bei der Organisation und Koordination von Gütertransporten haben, bedienen sich für den reinen Transportvorgang häufig der kleinen Unternehmen als Subunternehmer oder Marktpartner. Diese reinen Frachtführer bieten aus Sicht der Spediteure ein nahezu homogenes Produkt an und konkurrieren demgemäß fast ausschließlich über den Preis. Die Marktstruktur in diesem Segment kommt somit dem Modell des vollständigen Wettbewerbs sehr nahe. In diesem Modell sind die Unternehmen bekanntermaßen Preisnehmer. Preissenkungen müssen sie hinnehmen oder aber den Markt verlassen. Wie im Modell prognostiziert, führte die Freigabe der Frachttarife denn auch zunächst zu einer Senkung des Frachtpreisniveaus. Im Jahr 1994, dem Jahr des Inkrafttretens des Tarifaufhebungsgesetzes lagen die Tarife um durchschnittlich 24% unter den Mindestentgelten des früher geltenden Güterverkehrstarifs. Außerdem kam es zu einer beachtlichen Zahl von Insolvenzen. Mit dem vollständigen Wegfall der Kontingentierung verschärfte sich der Wettbewerbsdruck dann noch einmal.

Ungeachtet der bekannt schwierigen Lage des Gewerbes kam es zum Marktzutritt einer großen Zahl neuer Anbieter und damit zu einem Überangebot an Ladekapazität, mit der Konsequenz weiterer Preissenkungen. Die EU-Osterweiterung mit einer Vielzahl von vor allem im Personalbereich kostengünstig operierenden Anbietern erhöhte den Druck zusätzlich. Zwar ist das Transportaufkommen zwischen den neuen Beitrittsländern und Deutschland deutlich gestiegen, doch profitieren von diesem Marktwachstum bislang die osteuropäischen Transporteure stärker als die deutschen.19 Deutsche Unternehmen haben auf den Kostenwettbewerb der osteuropäischen Anbieter teilweise dadurch reagiert, dass sie in den neuen Mitgliedsländern Niederlassungen gründen oder sich an dortigen Unternehmen beteiligen. Kleineren Transporteuren bleibt dieser Weg jedoch überwiegend verschlossen.

Ausweichstrategien bestehen für die kleineren Unternehmen u.a. in der Spezialisierung (z.B. auf bestimmte Branchen, wie etwa Bau, Telekommunikation, Chemie, Mineralölindustrie, Automobilindustrie oder auf bestimmte Transportarten, wie etwa Möbel oder (Tief-)Kühltransporte) und der Expansion in komplexere Logistikleistungen. Beide Wege erfordern aber häufig Investitionen, die vor allem die kleineren Unternehmen aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks aus eigenen Mitteln kaum schultern können. Kredite sind angesichts der schwierigen Branchensituation oft nur sehr schwer oder mit sehr hohen Zinsen zu erlangen. Viele Unternehmen sehen deshalb als einzigen verbleibenden Ausweg nur die engere Bindung an die größeren Speditionen. Die damit einhergehende Tendenz zu einer stärkeren vertikalen Integration im Straßengüterverkehr trifft sich mit dem Wunsch der Verlader nach umfassenden logistischen Dienstleistungen aus einer Hand und dürfte deshalb ein dominierender Trend der nächsten Jahre sein. Auch die großen Speditionen sind jedoch ihrerseits hohem internationalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Sofern es sich dabei um Preiswettbewerb handelt, geben sie diesen Druck an die Subunternehmen weiter. Aktuell ist die Lage des Gewerbes auch von der Kostenseite her äußerst angespannt. Zu nennen sind hier in erster Linie hohe Treibstoffkosten und die Belastung durch die Lkw-Maut. Der gegenwärtige Nachfragerückgang auf den Transportmärkten im Zusammenhang mit der von den Finanzmärkten ausgelösten Rezession tut ein Übriges.

Ein etwas anderes, etwas weniger düsteres Bild zeigt sich auf der Ebene der großen international tätigen Logistikkonzerne. Diese Konzerne erbringen ihr Angebot auf der Basis großer internationaler Netzwerke, die sie durch den kontinuierlichen Zukauf in- und ausländischer Unternehmen kontinuierlich ausbauen. Gestützt wird diese Entwicklung ganz wesentlich durch die schon erwähnte Tendenz zu integrierten („End-to-End“) Logistiklösungen aus einer Hand. Da der Aufbau solcher Netze bedeutende Investitionen in Anlagevermögen, sowie Hard- und Software erforderlich macht, geht er mit dem in allen Netzwerkindustrien zu beobachtenden Phänomen der Größenvorteile einher. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass sich die Konzentrationstendenzen in diesem Marktsegment verstärken werden.

Schmerzhafter Anpassungsprozess

Insgesamt hat die Öffnung der Märkte für das Straßengüterverkehrsgewerbe zu einem äußerst schmerzhaften Anpassungsprozess geführt. Vor allem in Ländern mit einem vormals sehr restriktiven Regulierungsrahmen fand und findet ein sehr drastischer Marktbereinigungsprozess statt. Vor allem die Einführung der Regelkabotage und die Freigabe der Tarife zwangen Unternehmen, die bislang nur aufgrund der Regulierung überleben konnten, den Markt zu verlassen oder sich durch innovative Strategien eigene Nischen zu schaffen. Teil des umfassenden Strukturwandels ist auch die Öffnung der Märkte für Konkurrenz aus den neuen Beitrittsländern. Langfristig ist zwar zu erwarten, dass sich die heute bestehenden Kostenunterschiede ausgleichen werden, doch ist nicht zu übersehen, dass auf dem Weg zu einem neuen internationalen Marktgleichgewicht auch Unternehmen ausscheiden werden, deren Effizienz eigentlich hoch ist und deren Überleben volkswirtschaftlich sinnvoll wäre. Die oben erwähnten Übergangsfristen bei der Kabotage durch Anbieter aus den Beitrittsländern, die jetzt ausgelaufen sind, hatten nicht zuletzt den Zweck, diesen Effekt in Grenzen zu halten.

Aus Sicht des verladenden Gewerbes ergab sich aus der Liberalisierung des Straßengüterverkehrs eine reale Verbilligung des Transports über die Straße, was wesentlich zum Wachstum dieser Transporte beigetragen haben dürfte.

Damit ist der Zusammenhang zum vorherigen Abschnitt über die Eisenbahnen hergestellt. Aus Sicht der Eisenbahnen ist der hohe modale Anteil des Straßengüterverkehrs vor allem der Tatsache geschuldet, dass der Straßengüterverkehr nicht in ausreichendem Maße mit den von ihm verursachten externen Kosten belastet wird. Die Bahnen unterstützen deshalb die Initiative der EU, die externen Kosten des Güterverkehrs über die Anlastung der sozialen Grenzkosten zu internalisieren. Instrument dieser Initiative ist die sogenannte Eurovignetten-Richtlinie (Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 1999/62 EG zur Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge). Diese Richtlinie, die seit geraumer Zeit beraten wird, sieht eine Internalisierung der drei Externalitäten Luftverschmutzung, Lärm und Staukosten vor.

Interessanterweise ermittelt eine Studie von IWW/NESTEAR unter Führung von Prof. Werner Rothengatter, die im Auftrag des Interessensverbandes der Europäischer Bahnen, CER, angefertigt wurde, nur geringe Modal-Split-Änderungen bis 2020, wenn die Internalisierung in der von der Kommission vorgeschlagenen Weise erfolgt. Würden hingegen weitere Externalitäten, inbesondere der CO2-Ausstoß und Unfälle, berücksichtigt, könnte die Bahn zum dominanten Verkehrsträger über lange Entfernungen werden und einen Modal-Split-Anteil von über 30% erreichen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Bahn ihre Produktivität und die Qualität ihrer logistischen Dienstleistungen erheblich steigern. Voraussetzung dafür sind wiederum erhebliche Investitionen. Die Verabschiedung der Richtlinie steht jedoch einstweilen noch in den Sternen. Hinzu kommt, dass die neue Bundesregierung von dem ursprünglichen Konzept des Richtlinienvorschlags abgerückt ist und jetzt davon absehen will, Stau- und Unfallkosten in die Internalisierung einzubeziehen. Auch die Kommission selbst hat sich vorgenommen, ihre gesamte Internalisierungsphilosophie im Jahr 2013 noch einmal grundlegend auf den Prüfstand zu stellen.

Fazit

Die Auswirkungen des EU-Binnenmarktprogramms auf die deutschen Verkehrsmärkte waren radikal. Im Rahmen dieses Beitrags konnten nur die Konsequenzen für die beiden Verkehrsträger Schiene und Straße behandelt werden. Ebenso dramatisch waren die Auswirkungen im Bereich des Luftverkehrs und der Binnenschifffahrt. Entgegen dem dirigistischen Ruf der EU kam es in allen Bereichen zu einer umfassenden Liberalisierung. Die wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Untenehmen waren durchweg drastisch, im Fall der Eisenbahn aber weniger schmerzhaft als im Straßengüterverkehr. Gestützt auf die umfassende Bahnreform des Jahres 1994 ist die deutsche Eisenbahnpolitik der europäischen Eisenbahnpolitik teilweise sogar vorausgeeilt, insbesondere bei der Öffnung der Netze. Der Straßengüterverkehr hingegen, als bisher hochregulierter Bereich mit einer vermutlich künstlich verzerrten Branchenstruktur in Richtung kleiner und kleinster Unternehmen, wurde durch gleich mehrere Strukturbrüche getroffen: die Freigabe der Preisgestaltung und des Marktzutritts, die EU-Osterweiterung mit einer Fülle neuer Wettbewerber und die Einführung der Lkw-Maut. Hinzu kommen könnte in naher Zukunft die Internalisierung der externen Kosten.

Die EU-Politik hat in der Verkehrspolitik die Rolle eines Büchsenöffners in Richtung Marktöffnung gespielt. Dies lag in der Logik des Binnenmarktprogramms. Es wäre jedoch illusorisch zu glauben, dass diese Stoßrichtung der EU-Politik zwangsläufig war oder wäre. Sie entsprach in der Situation der 80er Jahre einer Art von spieltheoretischem Interessensgruppengleichgewicht der Mitgliedstaaten und auch dem deregulatorischen Zeitgeist der 80er. Die kommenden Diskussionen (insbesondere über die Methodik der Wegekostenberechnung, die Gestaltung von Infrastrukturnutzungsgebühren20 oder die Internalisierung der negativen externen Effekte des Verkehrs) könnten sich womöglich in eine andere Richtung bewegen.

  • 1 Der Fairness halber verdient hier allerdings angemerkt zu werden, dass Deutschland damit keineswegs allein stand. Sogar in traditionell eher wettbewerbsorientierten Ländern, etwa den USA, wurde im Bereich des Gütertransports noch bis in die 70er Jahre hinein eine ähnliche Politik verfolgt.
  • 2 Zur modernen Theorie der Interessensgruppen vgl. G. Grossman, E. Helpman: Special Interest Politics, Cambridge, Mass. 2001.
  • 3 W. Hallstein: Der unvollendete Bundesstaat, Düsseldorf 1969, S. 180.
  • 4 Die umfassende Standardreferenz zur Europäischen Verkehrspolitik ist das dreibändige Werk von Frerich und Müller: J. Frerich, G. Müller: Europäische Verkehrspolitik, von den Anfängen bis zur Osterweiterung der Europäischen Union, München, Wien 2004. Meine Darstellung folgt an diesem Punkt G. Aberle: Transportwirtschaft, 5. Aufl., München 2009.
  • 5 G. Knieps: Entstaatlichung im Telekommunikationsbereich, Tübingen 1985.
  • 6 Für eine umfassende Darstellung sei wieder auf das Werk von J. Frerich, G. Müller, a.a.O., verwiesen.
  • 7 1. Eisenbahnpaket: RL 2001/12-14/EG; 2. Eisenbahnpaket: RL 2004/49-51/EG und VO(EG) 881/2004; 3. Eisenbahnpaket: RL 2007/58-59/EG und VO(EG) 1370-1371/2007.
  • 8 Überblicke geben J. Gomez-Ibanez, G. de Rus: Competition in the Railway Industry, An International Comparative Analysis, Cheltenham/Northhampton 2006; CER (Hrsg.): Eisenbahnreformen in Europa – Eine Standortbestimmung, Hamburg 2005.
  • 9 Zum Stand der Liberalisierung in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU wird regelmäßig der sogenannte Liberalisierungsindex Bahn vorgelegt. Vgl. www.db.de/liberalisierungsindex.
  • 10 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Faire Preise für die Infrastrukturbenutzung, in: Internationales Verkehrswesen, Vol. 51, 10/99, S. 436-446. W. Rothengatter: Die Maßnahmenpakete der EU: Der richtige Weg für mehr Wettbewerb auf der Schiene, in: R. Heinisch (Hrsg.): Liberalisierung und Harmonisierung der Eisenbahnen in Europa, Darmstadt 2003, S. 30-36.
  • 11 Vgl. R. Gallamore, J. Panzar: When is Competition not good? The Case of Compelled Access and Maximum Rate Regulation for „Captive Shippers“, Manuskript, 2004.
  • 12 Der Verfasser hat auf die Problematik schon früher hingewiesen, etwa auf einer vom TÜV veranstalteten Forschungskonferenz in Berlin im Jahr 2004.
  • 13 Kabotage liegt vor, wenn ein Anbieter aus Land A einen gänzlich innerhalb der Grenzen von Land B stattfindenden Transport vornimmt.
  • 14 Zur EU-Liberalisierung der Kabotage im Einzelnen vgl. T. Donner: Kabotage im europäischen Straßengüterverkehr unter besonderer Berücksichtigung der EU-Osterweiterung, Diplomarbeit an der TU Dresden, Professur für Verkehrswirtschaft und internationale Verkehrspolitik, 2001.
  • 15 Zu Einzelheiten vgl. T. Donner, a.a.O.
  • 16 Vgl. Bundesamt für Güterverkehr: Marktbeobachtung, Bericht Herbst 2009, S. 26, als Download verfügbar.
  • 17 Zur politischen Ökonomie der Einführung der Maut vgl. B. Wieland: The German HGV Toll, in: European Transport/Trasporti Europei, Vol. IX, Nr. 31, Dezember 2005, S. 118-128.
  • 18 C. Evangelinos: Mauteinführung, Mauterhöhung und Nutzerreaktionen in Deutschland, in: Wirtschaftsdienst, 89. Jg. (2009), H. 8, S. 558-564; A. Martino, D. Chiffi, E. Boscherini, S. Suter, M. Hajdul, P. Bonsall, C. Evangelinos, B. Wieland: Report of Charge Differentiation for HGV and Motorway Toll Differentiation to Combat Time Space Congestion. Deliverable 8.3 - 9.2, DIFFERENT – User Reaction and Efficient Differentiation of Charges and Tolls, Milano, Bern, Poznan, Dresden, Leeds 2008.
  • 19 Für Einzelheiten vgl. die Berichte des Bundesamtes für Güterverkehr, hier insbesondere den Bericht „Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf den Modal Split“, 2009, der als Download zur Verfügung steht.
  • 20 Zu dieser Thematik vgl. B. Wieland: The Risk of Regulatory Self-
    Defeat: Optimal Policies in The Presence of Special Interest Groups: The Example of Transport Pricing, in: U. Blum (Hrsg.): Regulatorische Risiken, Das Ergebnis staatlicher Anmaßung oder ökonomisch notwendiger Intervention?, Schriften des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Bd. 29, Baden-Baden 2009, S.111-137.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-010-1033-5

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.