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Lassen sich risikoäquivalente Prämien und Solidarausgleich in der Krankenversicherung miteinander verbinden? Der Beitrag beschreibt einen möglichen Weg dazu, der die ursprüngliche Idee des Gesundheitsfonds konsequent weiterentwickelt.

In der Gesundheitspolitik stehen sich nach wie vor zwei Konzepte gegenüber: die der Kopfpauschale mit Solidarausgleich und die Bürgerversicherung mit steuerähnlichen Gesundheitsbeiträgen für alle. Schon die Rürup-Kommission hatte sich in ihrem Abschlussbericht nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen können.1 Der 2009 eingeführte Gesundheitsfonds war als Kompromisslösung gedacht: Alle Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zahlen seitdem einheitliche Beiträge, die durch den Fonds nach Kriterien des Risikostrukturausgleichs an die einzelnen Kassen verteilt werden. Kommen die Kassen mit den ihnen zugewiesenen Mitteln nicht aus, müssen sie Zusatzbeiträge erheben, was inzwischen auch vielfach der Fall ist.

Der Gesundheitsfonds ging auf eine Idee von Wolfram F. Richter zurück, die auch vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium im Jahr 2005 unterstützt wurde.2 Er verbindet einkommensabhängige Beiträge mit im Prinzip risikoäquivalenten Zuweisungen an die Kassen und hat damit in der Tat zu mehr Wettbewerb innerhalb des GKV-Systems geführt. Allerdings erfolgt der dem Fonds immanente Risikostrukturausgleich nach relativ schematischen, für alle Kassen gleichen Kriterien, welche den tatsächlichen Kosten der einzelnen Versicherten nicht immer gerecht werden. Daraus ergeben sich Fehlanreize für die Krankenkassen, ihre Mitglieder kränker darzustellen, als sie in Wirklichkeit sind.

Zudem besteht nach wie vor die Trennung zwischen dem System der GKV und der Privaten Krankenversicherung (PKV). Die Kosten des Solidarausgleichs werden heute allein von den guten Risiken innerhalb der GKV getragen, also von denjenigen, die relativ viel verdienen, keine Familie haben und/oder relativ jung und gesund sind. Sofern sie nicht selbständig oder beamtet sind und ihr Einkommen nicht oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt, sind sie Zwangszahler für die ungedeckten Kosten der schlechten Risiken in der GKV. Diese Belastung erscheint ungerecht, weil sich z.B. Beamte und Selbständige sowie Arbeitnehmer mit einem Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze nicht daran beteiligen müssen. Dabei ist zwar zu bedenken, dass die privat Versicherten über das progressive Steuersystem bereits überproportional für die Finanzierung des Staates herangezogen werden, eben weil sie in aller Regel Bezieher höherer Einkommen sind.3 Eine problematische Ungleichbehandlung erfolgt aber zumindest zwischen Einkommensbeziehern knapp ober- bzw. unterhalb der Versicherungspflichtgrenze von derzeit 49 950 Euro/Jahr sowie zwischen Beamten und Nicht-Beamten mit vergleichbarem Einkommen.

Das gegenwärtige duale System ist darüber hinaus ineffizient. Zum einen belasten die Kassenbeiträge allein die Arbeitseinkommen und werden dadurch zu Lohnnebenkosten. Zum anderen behindert die Beschränkung des Solidarausgleichs auf das GKV-System auch den Wettbewerb. So kann die GKV die guten Risiken nicht zur PKV abwandern lassen, weil sie dann ihre schlechten Risiken nicht mehr finanzieren könnte. Umgekehrt kann die PKV die schlechten Risiken aus der GKV nicht aufnehmen, weil diese dann den Solidarausgleich verlieren und daher ihre wahren Kosten nicht mehr tragen können.

Die vom Sachverständigenrat vorgeschlagene Alternativlösung einer Bürgerpauschale4 sieht einkommensunabhängige Versicherungsbeiträge gemäß den Durchschnittskosten der Versicherten für alle Bürger vor, verbunden mit einem steuerfinanzierten sozialen Ausgleich.5 Auch dieses System unterliegt einem Kontrahierungszwang, da keine Risikoäquivalenz der Beiträge gegeben ist.6 Es bleibt offen, welche Steuern zur Finanzierung des Solidarausgleichs erhöht oder gegebenenfalls neu eingeführt werden sollen. Je nachdem, wie dieses Problem gelöst wird, treten ganz unterschiedliche Verteilungswirkungen auf, die im Einzelnen kaum vorhersehbar sind. Nicht zuletzt aus diesem Grund misstrauen viele der Idee, zudem werden Steuererhöhungen politisch weitgehend abgelehnt. Dagegen bestehen in der Bevölkerung und der Politik hohe Präferenzen für „solidarische“, d.h. am Einkommen ansetzende Kassenbeiträge. In entsprechenden Umfragen lehnen regelmäßig zwei Drittel bis 80% der Bevölkerung einheitliche Kassenbeiträge für alle ab.

Im Folgenden wird ein Vorschlag präsentiert, der dies berücksichtigt und wesentliche Elemente der Bürgerversicherung mit dem Grundprinzip eines wettbewerblichen Krankenversicherungsmarktes verbindet. Er kommt ohne Steuererhöhungen sowie ohne Kontrahierungszwang aus und hält dennoch am Prinzip des Solidarausgleichs fest. Der Vorschlag öffnet allen GKV-Versicherten die Wechselmöglichkeit in die PKV und führt zudem für sie im Regelfall zu einer sinkenden Beitragsbelastung gegenüber dem geltenden System. Diese Eigenschaften sollten ihn für die aktuelle politische Debatte zu einer diskussionswürdigen Option machen.

„Solidarische Privatversicherung“

Risikostrukturausgleich und Kontrahierungszwang sind nur notwendig, wenn die Versicherungsbeiträge nicht den (erwarteten) Kosten der betreffenden Versicherten entsprechen. Es liegt also nahe, das Prinzip risikoäquivalenter Beiträge konsequent sowohl in der GKV als auch in der PKV anzuwenden. Zudem ist es verteilungs- und allokationspolitisch sinnvoll, in beiden Systemen einen einheitlichen Solidarausgleich zu haben und damit nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern auch mehr Wettbewerb zwischen GKV und PKV zu schaffen. Die schlechten GKV-Risiken sollten mit anderen Worten ihren Solidarausgleich beim Wechsel in die PKV mitnehmen können, und die guten Risiken sollten auch nach einem Wechsel in die PKV weiter an der Finanzierung des Solidarausgleichs beteiligt bleiben. Im Folgenden wird aufgezeigt, wie eine solche „Solidarische Privatversicherung“ praktisch funktionieren kann, wobei der bereits bestehende Gesundheitsfonds eine zentrale Rolle spielt.

Im ersten Schritt müssen sowohl die Gesetzlichen Krankenkassen als auch die PKV für jeden ihrer Versicherten den risikoäquivalenten Beitrag für das Standardleistungspaket der GKV ausweisen. Entsprechende Berechnungen werden im Prinzip bereits heute, nämlich in der GKV im Rahmen der Zahlungen des Fonds und in der PKV wegen der neuerdings gegebenen steuerlichen Absetzbarkeit des entsprechenden Prämienanteils durchgeführt. Im Unterschied zum gegenwärtigen System sollen aber nach dem hier vertretenen Ansatz die Kassen ihren Zuschussbedarf für jeden Versicherten individuell kalkulieren und beim Fonds anmelden. Sie werden insoweit den privaten Versicherungen gleichgestellt, wobei allerdings der bisherige Nettotransfer aus dem Gesundheitsfonds nicht überschritten werden darf, jedenfalls nicht am Anfang. Dadurch wird sichergestellt, dass der GKV-Beitrag zunächst unverändert bleibt, den wir im Folgenden vereinfachend mit 15% annehmen.

Der Gesundheitsfonds finanziert somit wie bisher aus den Solidarbeiträgen der guten Risiken die Beitragslücken der schlechten Risiken, indem er den Krankenkassen den entsprechenden Differenzbetrag als Zuschuss überweist. Da die Nettotransfersummen und der Beitragssatz zunächst unverändert bleiben, reichen die Fondsmittel für diesen Solidarausgleich im Prinzip exakt aus. Tatsächlich wird der Beitragssatz nach dem hier vertretenen Ansatz aber sogar sinken, denn auch die PKV-Versicherten werden nun in gleicher Weise in den Solidarausgleich einbezogen. Grundlage dafür sind die Kosten für eine Krankenversicherung im Umfang der üblichen GKV-Leistungen (vgl. Abbildung 1): Wer für dieses Standardpaket bisher z.B. 8% seines Einkommens als PKV-Beitrag aufgebracht hat, zahlt nun die Differenz zum GKV-Beitrag (im Beispiel also 7%) an den Gesundheitsfonds. Umgekehrt erhalten solche PKV-Versicherten, deren Kosten für das Standardpaket über 15% (im Beispiel bei 40%) liegen, analog zu entsprechenden GKV-Versicherten einen Zuschuss aus dem Gesundheitsfonds, so dass ihre Belastung letztlich ebenfalls nur 15% ihres Einkommens beträgt.

Abbildung 1
Grundprinzip der „Solidarischen Privatversicherung“
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Sowohl bei den Privatversicherten als auch bei den GKV-Versicherten soll der Beitrag im Konzept der „Solidarischen Privatversicherung“ künftig nicht mehr nur vom Lohn, sondern vom Gesamteinkommen berechnet werden. Somit fällt die Belastung speziell der Arbeitseinkommen im Endeffekt deutlich geringer aus als bisher, wobei die früheren GKV-Versicherten gewinnen, die PKV-Versicherten dagegen im Durchschnitt belastet werden. Dies ist die logische Konsequenz davon, dass Letztere nun ebenfalls voll in den Solidarausgleich integriert sind.

Allerdings muss hier eine Beitragsbemessungsgrenze greifen, ähnlich wie sie derzeit in der GKV (in Höhe von derzeit 45 000 Euro/Jahr) besteht. Andernfalls würden extreme und kaum zu rechtfertigende Umverteilungseffekte entstehen. Die Beitragsbemessungsgrenze würde sich in dem neuen System ebenfalls auf das Gesamteinkommen beziehen. Die bisherige Versicherungspflichtgrenze entfällt dagegen.

In Abbildung 2 sind die Umverteilungswirkungen der „Solidarischen Privatversicherung“ gegenüber dem geltenden System am Beispiel eines Alleinstehenden mittleren Alters und Gesundheitszustandes skizziert. Dabei ist vereinfachend angenommen, dass durchgehend über alle Einkommensklassen 70% des Einkommens beitragspflichtiges Lohneinkommen sind.7 Die gestrichelte Linie gibt den Durchschnittssteuersatz nach der Grundtabelle an, der mit zunehmendem Einkommen kontinuierlich steigt. Die durchgezogene Linie gilt für GKV-Mitglieder und berücksichtigt zusätzlich zum Durchschnittssteuersatz den Solidarausgleich innerhalb der GKV. Die dadurch bewirkte Zusatzlast der höheren Einkommen (bis zur Versicherungspflichtgrenze) entspricht demjenigen Anteil des GKV-Beitrages, der über einen entsprechenden, kostenäquivalenten PKV-Beitrag hinausgeht.8 Unter diesen Annahmen profitieren derzeit GKV-Versicherte bis zu einem Jahreseinkommen von 34 286 Euro von dem Solidarausgleich, während die darüber liegenden Einkommen bis zum Erreichen der Versicherungspflichtgrenze (hier bei 72 000 Euro Gesamteinkommen9) zunehmend belastet werden.

Abbildung 2
Verteilungswirkungen der „Solidarischen Privatversicherung“1

Verteilungswirkungen der „Solidarischen Privatversicherung“

1 In dem der Grafik zugrundeliegenden Beispiel wurde der kostenäquivalente PKV-Beitrag mit 3600 Euro pro Jahr angenommen. Ein GKV-Versicherter zahlt jedoch bis zu 6750 Euro Jahresbeitrag (= 15% der Beitragsbemessungsgrenze von 45 000 Euro). Die Differenz von 3150 Euro entspricht seiner impliziten Steuerbelastung durch die Zwangsmitgliedschaft in der GKV. Bei einem zu versteuernden Einkommen von z.B. 70 000 Euro sind dies 4,5% Zusatzsteuer, die zu dem bei diesem Einkommen fälligen Durchschnittssatz der Einkommensteuer von 30,7% noch hinzukommt. Für privat Versicherte wird ein vergleichbar hoher Durchschnittssteuersatz von über 35% erst bei einem Einkommen von etwa 118 000 Euro erreicht. 2 „Solidarische Privatversicherung“.

Klar erkennbar ist, dass die Grenzeinkommensbelastung bei Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze negativ wird, was verteilungspolitisch kaum vertretbar erscheint. Allerdings werden privat Versicherte mit deutlich höherem Einkommen (hier ab einem Jahreseinkommen von 118 000 Euro) bereits heute insgesamt stärker zur Umverteilung herangezogen werden als selbst die bestverdienenden GKV-Versicherten. Umgekehrt würden solche PKV-Versicherte, die weniger als 34 286 Euro Jahreseinkommen erzielen, von der Einbeziehung in den Solidarausgleich der GKV sogar profitieren. Eine Benachteiligung der GKV-Versicherten im Gesamtsystem des Solidarausgleichs besteht daher keineswegs generell, sondern nur innerhalb einer begrenzten Einkommensspanne um die Versicherungspflichtgrenze.10

Die gestrichelte Linie in Abbildung 2 skizziert die Durchschnittsbelastung mit Steuern und solidarischen Gesundheitsabgaben im hier vorgeschlagenen System der „Solidarischen Privatversicherung“. Dabei ist berücksichtigt, dass wegen der Einbeziehung aller Einkommen der Beitragssatz niedriger liegt als im bisherigen System.11 Es ergibt sich jetzt eine kontinuierlich steigende Durchschnittsbelastung mit steigendem Einkommen, der unlogische Sprung bei Erreichen der (dann wegfallenden) Versicherungspflichtgrenze verschwindet.

Die GKV-Versicherten profitieren durchweg von dem Systemwechsel, außer sie haben in nennenswertem Umfang Nicht-Lohneinkommen, das ja nun ebenfalls in den Solidarausgleich einbezogen wird.12 Eine zusätzliche Last tragen vor allem diejenigen PKV-Versicherten, die in der oben angesprochenen Einkommensspanne um die (bisherige) Versicherungspflichtgrenze liegen. Der Belastungsanstieg kann aber für alle Betroffenen vergleichsweise moderat ausfallen, da der Solidarausgleich jetzt eben auf einer insgesamt breiteren Einkommensbasis beruht. Vor allem fügt er sich jetzt widerspruchsfrei ein in das Belastungsprofil der Einkommensteuer als eigentlichem Umverteilungsinstrument des Sozialstaates.

Allokationswirkungen des neuen Systems

Obwohl alle Versicherten im neuen System einen einheitlichen, einkommensbezogenen Beitrag in Höhe von 15% ihres Einkommens zahlen, ist der Solidarausgleich von der eigentlichen Versicherungsfunktion getrennt. Echter Wettbewerb auch zwischen PKV und GKV wird damit möglich, denn durch den übergreifend organisierten Solidarausgleich verursacht der Wechsel von Versicherten kein dysfunktionales Finanzierungsproblem mehr für die abgebende Versicherung bzw. Kasse.

Der Wettbewerb findet deshalb nicht mehr nur um die guten Risiken, sondern um alle Versicherten statt. Er sorgt gleichzeitig dafür, dass die vom Gesundheitsfonds übernommenen Solidarkosten auf dem geringst möglichen Niveau gehalten werden. Nehmen wir beispielsweise an, die risikoäquivalenten Kosten für einen Versicherten seien von seiner Versicherung mit einer Prämie von 40% seines Einkommens kalkuliert worden. Dann muss der Gesundheitsfonds erst einmal monatlich die Differenz zum Einheitsbeitrag, also im Beispiel 25% des Einkommens der betreffenden Person, an die Versicherung überweisen. Der Versicherte hat aber jederzeit die Möglichkeit, einen anderen Anbieter zu suchen, der ihn günstiger versichert. Gründe für solche Kalkulationsunterschiede gibt es viele: Eine andere Einschätzung der Risiken, Einsatz von Managed-care-Systemen, unterschiedliche Honorierungssysteme und/oder Vertragsärzte, Einsatz von Selbstbeteiligungen des Patienten etc. Die gesamte Palette des Preis- und Leistungswettbewerbs kann hier zum Einsatz kommen, was z.B. in der Schweiz zu einem regen Wechsel der Kasse durch die Versicherten geführt hat.13

Angenommen nun, der Versicherte findet in unserem Beispiel einen Anbieter, der ihn für einen Beitrag von 39% seines Einkommens (statt der bisherigen 40%) versichert. Dann sollte ihm der daraus resultierende Kostenvorteil von einem Prozentpunkt voll zugutekommen, d.h. er zahlt dann nur noch einen Beitrag von 14% statt wie bisher 15%. Diese Option gibt allen Beteiligten sinnvolle Anreize, nach kostengünstigen Lösungen zu suchen, und belässt gleichzeitig den Versicherten die volle Entscheidungsfreiheit über die Annahme solcher Optionen. Sie hindert zudem die Anbieter daran, die risikoäquivalenten Beiträge zu hoch anzusetzen. Denn damit würden sie zwar erst einmal relativ viel Geld aus dem Fonds bekommen, müssten aber über kurz oder lang mit dem Weggang der Versicherten rechnen.14

Ein Problem dieses Vorgehens besteht darin, dass es bei Einführung offenbar die Versicherten der bisher ineffizienten Kassen begünstigt. Im derzeitigen Risikostrukturausgleich der GKV wird das dadurch verhindert, dass der Fonds für jeden Risikotyp durchschnittliche anstelle der tatsächlich notwendigen Kosten erstattet. Die daraus entstehende Notwendigkeit, Ineffizienzen von echten, im abweichenden Risikoprofil der Versicherten liegenden Kosten zu unterscheiden, führt aber zu den oben angesprochenen Informationsproblemen und Fehlanreizen. Besser ist es daher, individuell von den Kassen berechnete Kosten zu erstatten. Den anfänglichen Effizienzunterschieden zwischen den Kassen könnte durch pauschale Ab- oder Zuschläge in der Umstellungsphase Rechnung getragen werden: Liegt eine Kasse über alle Risikoklassen gerechnet mit ihren Kosten über dem Durchschnitt, so erhält sie für jede Risikoklasse entsprechend weniger Zuschuss, liegt sie unter dem Durchschnitt, erhält sie entsprechend mehr. Dann wirken sich die Anfangsunterschiede folgerichtig auf die Versichertenbeiträge aus, ohne dass der Fonds die Effizienz für jeden einzelnen Versicherten prüfen müsste.

Verzicht auf Altersrückstellungen

Eine wichtige Frage betrifft die Behandlung der Altersrückstellungen in der PKV. Angenommen etwa, der Standardtarif für einen 50-Jährigen bei Neueintritt in die PKV entspreche 13% seines Einkommens, seine tatsächliche Beitragslast liege aber aufgrund der von ihm gebildeten Altersrückstellungen nur bei 10%. Bei einem angenommenen Durchschnittsbeitrag von 15% gibt es dann für die Berechnung des von diesem Versicherten zu zahlenden Solidarbeitrags zwei Möglichkeiten:

  1. Entweder es sind 2% Solidarbeitrag abzuführen (15% ./. 13%), d.h. der PKV-Versicherte zahlt faktisch nicht 15%, sondern nur 12% Krankenversicherungskosten. Dann profitiert er von seiner früheren Sparleistung und ist insoweit gegenüber vergleichbaren GKV-Versicherten begünstigt, für die keine Altersrückstellungen bestehen.
  2. Oder es werden 5% Solidarbeitrag fällig (15% ./. 10%), d.h. die Altersrückstellungen nützen dem PKV-Versicherten nichts mehr. Stattdessen fließen sie faktisch in den Solidarfonds, so dass jetzt alle Versicherten von der Sparleistung innerhalb der PKV profitieren.

Option (2) verstößt offenbar gegen den Eigentumsschutz und würde zudem jeden Anreiz vernichten, künftig noch Altersrückstellungen zu bilden. Stattdessen würden dann auch in der PKV die Beiträge mit dem individuellen Lebensalter ansteigen. Vorzuziehen ist daher Option (1), in der Altersrückstellungen für den zu zahlenden Solidarbeitrag keine Rolle spielen. Somit erhöhen sie in jungen Jahren die Beitragslast der Versicherten über den Einheitsbeitrag hinaus, führen dafür aber im Alter auch zu entsprechenden Entlastungen. Der Markt wird zeigen, ob die Versicherten dies wünschen oder nicht. Auf jeden Fall muss aber die Mitnahme der Altersrückstellungen beim Versicherungswechsel – auch in eine frühere Krankenkasse – gewährleistet werden.15

Umsetzung in der Praxis

Für die praktische Umsetzung dieses Systems sind noch einige Fragen zu klären. Was etwa die Arbeitgeberbeiträge zur GKV betrifft, so können diese im Prinzip entfallen. Genauer gesagt sind sie als normaler Lohnbestandteil an die Arbeitnehmer auszuzahlen, wobei die steuerliche Behandlung dieses Vorgangs hier nicht problematisiert werden soll.16

Die Beamtenbeihilfe sollte – auch unabhängig von dem hier vorgeschlagenen Systemwechsel – abgeschafft werden. Die entsprechenden Finanzmittel könnten auch hier als Lohnbestandteil ausgezahlt werden. Die Beamten hätten dann im Gegenzug den vollen Krankenversicherungsbeitrag selbst zu tragen. Damit würde ihre Sonderbehandlung gegenüber anderen Arbeitnehmern insoweit enden, zudem würden die Bürokratiekosten des Nebeneinanders von Beihilfe und privater Versicherung erspart.

Dass sich Kassenbeiträge und Solidarabgaben am Gesamteinkommen der Versicherten bemessen sollen, erleichtert sogar den Übergang in das neue System. Denn das Gesamteinkommen wird für die meisten Versicherten ohnehin bereits von den Finanzämtern ermittelt, eine gesonderte Feststellung durch die Krankenkassen oder den Gesundheitsfonds ist somit entbehrlich. Da das zu versteuernde Einkommen erst nach Ablauf des betreffenden Jahres endgültig feststeht, bei Abgabe einer Einkommensteuererklärung sogar oft noch beträchtlich später, wird man hier zweckmäßigerweise mit vorläufigen Pauschalierungen auf Basis der Vorjahreswerte arbeiten. Analog zu Einkommensteuer-Vorauszahlungen sollte auf begründeten Antrag davon nach unten abgewichen werden können, um Härtefälle zu vermeiden.

Technisch würde ein entsprechender Festsetzungsbescheid vom Finanzamt an den Versicherten gehen, der auf dieser Grundlage die 15%-Prämie an seine Versicherung abzuführen hat. Damit ist für ihn der Fall erledigt.17 Die Versicherung wiederum führt von dieser Prämie gegebenenfalls den Solidaranteil an den Gesundheitsfonds ab. Gilt für den Versicherten eine Prämienreduktion, z.B. aufgrund von Altersrückstellungen oder Selbstbeteiligungen, so erstattet die Versicherung ihm diese zurück bzw. verrechnet sie zweckmäßigerweise sofort mit dem Beitrag. Das System der „Solidarischen Privatversicherung“ lässt sich auf diese Weise mit einem Minimum an bürokratischem Aufwand für die Versicherten in die Praxis umsetzen.

Die bisher beitragslose Mitversicherung von Kindern und Ehegatten ist offenbar mit versicherungsäquivalenten Prämien unvereinbar. Ihre Beibehaltung würde zudem die Versicherten in der PKV benachteiligen und somit sowohl die angestrebte Angleichung der Systeme als auch den Wechsel von der GKV in die PKV für Familien verhindern. Dabei kann es daher nicht bleiben.

Das wirft aber kein besonderes Problem auf, denn Versicherte mit Familie gehören im Sinne des neuen Systems eben zu den schlechten Risiken und sind dementsprechend wie oben beschrieben zu behandeln. Das bedeutet, dass jedes Familienmitglied im Prinzip einzeln versichert werden muss, ähnlich wie dies in der obligatorischen Grundversicherung der Schweiz der Fall ist.18 Allerdings zahlen nach dem hier vertretenen Konzept die betreffenden Haushalte wiederum nur maximal 15% ihres (Haushalts-)Einkommens als Versicherungsprämie, alle darüber hinausgehenden Kosten übernimmt der Gesundheitsfonds. Bisher privat versicherte Familien mit niedrigem oder mittlerem Einkommen können also durchaus zu den Gewinnern der Systemumstellung gehören.

Für Arbeitslose kann es bei der Übernahme des Beitrages durch die Bundesagentur bleiben. Ihre Behandlung vereinfacht sich durch den Systemwechsel sogar, da ein zwangsweises Ausscheiden aus der PKV nun nicht mehr nötig ist. Das Gleiche gilt für die Krankenversicherung der Rentner. Für sie ändert sich insoweit wenig, als auch heute schon ihr gesamtes Einkommen (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) beitragspflichtig ist, so wie es im neuen System der „Solidarischen Privatversicherung“ generell für alle Versicherten gelten soll.

Schlussbemerkungen

Bei steigenden Durchschnittsausgaben muss der von den Versicherten zu zahlende Durchschnittsbetrag (von 15% im Beispiel) entsprechend angehoben werden, womit automatisch auch die Solidarbeiträge an den Gesundheitsfonds anzuheben sind. Auch der hier vorgeschlagene Systemwechsel kann und soll somit nicht verhindern, dass die Gesundheitsausgaben in Zukunft weiter steigen werden. Letzteres ist unvermeidlich, weil das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt und weil der medizinisch-technische Fortschritt zusätzliche Kosten verursacht. Allerdings ist zu erwarten, dass der nunmehr unbeschränkte Wettbewerb im neuen System den Kostenanstieg dämpfen wird. Vor allem aber gibt es, ähnlich wie heute bereits in den Niederlanden,19 in der „Solidarischen Privatversicherung“ letztlich keinen Unterschied mehr zwischen PKV und GKV, alle haben die gleichen Ansprüche und Pflichten, zumindest soweit es die Standardversorgung betrifft. Wer mehr Leistungen haben möchte, kann dafür natürlich nach wie vor Zusatzversicherungen abschließen oder selbst bezahlen.

  • 1 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung: Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission, 2003.
  • 2 Vgl. Wolfram F. Richter: Gesundheitsprämie oder Bürgerversicherung? Ein Kompromissvorschlag, in: Wirtschaftsdienst, 85. Jg. (2005), H. 11, S. 693-697; Wissenschaftlicher Beirat beim BMF: Zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung: Ein Konsensmodell, Stellungnahme vom 8.10.2005.
  • 3 Zudem zahlen die Privatversicherten auch insoweit Solidarbeiträge, als die PKV für gleiche Leistungen höhere Honorare zahlt als die GKV und damit diese indirekt subventioniert. Der Umfang dieser indirekten Solidarbeiträge ist aber schwer zu quantifizieren und in der öffentlichen Diskussion deshalb auch kaum zu vermitteln.
  • 4 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2006/07. Ein ähnliches Konzept vertritt der Kronberger Kreis, vgl. J. Eekhoff, V. Bünnagel, S. Kochskämper, K. Menzel: Nachhaltigkeit und Effizienz für das deutsche Gesundheitssystem, Otto-Wolff-Institut, Discussion Paper 1/2008.
  • 5 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2004/05, S. 397 ff. und Jahresgutachten 2006/07, S. 216 ff.
  • 6 J. Eekhoff u.a. umgehen dieses Problem, indem sie auf Neuversicherte abstellen, die ab Geburt versichert werden und darum im Prinzip alle die gleiche – risikoäquivalente – Prämie zahlen. Offen bleibt aber, wie mit dem heutigen Versichertenbestand umgegangen werden soll, der durchaus unterschiedliche Risiken mit sich bringt.
  • 7 Das entspricht in etwa der Lohnquote im langfristigen Durchschnitt. Für eine genauere Analyse wäre zu berücksichtigen, dass der Anteil des Lohneinkommens mit zunehmendem Gesamteinkommen abnimmt.
  • 8 Letzterer wurde hier mit 300 Euro pro Monat angenommen.
  • 9 Dies ergibt sich aus der Versicherungspflichtgrenze von 49 500 Euro bezogen auf das Lohneinkommen, welches hier annahmegemäß aber nur 70% des Gesamteinkommens ausmacht.
  • 10 Die hier genannten Zahlen dazu gelten nur für Alleinverdiener und nur unter den hier getroffenen, vereinfachenden Annahmen. Eine umfassende Analyse müsste neben dem Familienlastenausgleich auch das Alter und den Gesundheitszustand einbeziehen, würde aber an der Grundaussage nichts ändern.
  • 11 Im Beispiel wurde eine Beitragsbemessungsgrenze von 35 000 Euro und ein Beitragssatz von 14% – jeweils bezogen auf das Gesamteinkommen – angenommen.
  • 12 In der Abbildung 2 ist dies vereinfachend für alle GKV-Versicherten angenommen worden, daher liegt die neue Durchschnittsbelastung für niedrige Einkommen hier höher als im alten System. In der Realität ist davon aber nur in Ausnahmefälle auszugehen.
  • 13 Vgl. dazu näher Gerhard Kocher, Willy Oggier (Hrsg.): Gesundheitswesen Schweiz 2007-2009. Eine aktuelle Übersicht, Bern 2007.
  • 14 Als Sicherheit könnte man dem Fonds zusätzlich die Möglichkeit einräumen, anstelle des von der Kasse kalkulierten Zuschussbedarfs die tatsächlich anfallenden (über den 15%-Beitrag hinausgehenden) Kosten des betreffenden Patienten zu übernehmen. Dies bietet sich vor allem für Extremfälle wie z.B. schwere Krebserkrankungen an, die versicherungsmathematisch kaum kalkulierbar sind.
  • 15 Seit der Gesundheitsreform sind die Altersrückstellungen zwar im Prinzip portabel, jedoch nur beim Wechsel innerhalb der PKV und auch nur bezogen auf den Basistarif. Eine volle Portabilität scheitert bisher vor allem an der Schwierigkeit, die Rückstellungen zu bewerten, da diese bisher nicht für einzelne Versicherte, sondern nur für Gruppen von Versicherten im gleichen Tarif (sogenannte Kollektive) gebildet wurden.
  • 16 Der Sachverständigenrat schlägt in seinem Konzept der Bürgerpauschale vor, die Einnahmen aus der Versteuerung des (ausgezahlten) Arbeitgeberbeitrages zur Finanzierung des Solidarausgleichs zu verwenden, wobei jedoch unklar bleibt, wie und warum dies geschehen soll, vgl. Sachverständigenrat: Jahresgutachten 2006/07, S. 227.
  • 17 Ähnlich funktioniert die Abführung des einkommensabhängigen Teils der Beiträge in den Niederlanden seit der dortigen Reform von 2006, die dem hier gemachten Vorschlag in vieler Hinsicht entspricht. Allerdings wird in den Niederlanden etwa die Hälfte der Gesundheitskosten durch einkommensunabhängige Pauschalbeiträge gedeckt, so dass dort weiterhin Kontrahierungszwang und ein Risikostrukturausgleich notwendig sind, vgl. dazu im Einzelnen Geert Jan Hamilton: Die Niederländische Gesundheitsreform 2006 – ein Modell für Deutschland?, in: Recht und Politik im Gesundheitswesen, 2006.
  • 18 18 Allerdings sind in der Schweiz die Prämien pauschaliert, zudem gibt es einen (von Kanton zu Kanton unterschiedlichen) Solidarausgleich, vgl. dazu G. Kocher, W. Oggier, a.a.O.
  • 19 19 Vgl. dazu Geert Jan Hamilton, a.a.O., S. 3-13.

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DOI: 10.1007/s10273-010-1089-2