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Innerhalb des Euroraums haben sich in den letzten Jahren erhebliche Zinsspreads entwickelt. Der Autor vertritt die Auffassung, dass diese Spreads die Entwicklung der wirtschaftlichen Fundamentaldaten nachzeichnen. Auf diese Fundamentaldaten und entsprechend auch auf die Spreads habe die Finanz- und Wirtschaftspolitik einen erheblichen Einfluss.

Die Zinsdifferenz zwischen Bundesanleihen und Anleihen anderer Euroländer ist eine Risikoprämie, die über die relative Stabilität der Volkswirtschaften und ihre Wirtschaftspolitik informiert. Diese Zinsspreads sind verlässlich an fundamental-ökonomische Daten geknüpft. Ihre ungewöhnliche Höhe und Divergenz im Euroraum signalisiert die Tiefe der aktuellen Krise. Entweder kann die Politik die Ursachen dieser hohen Zinsspreads beseitigen oder der Euroraum zerbricht.

Die Europäische Währungsunion (EWU) war immer auch ein politisches Projekt. Sicherlich gibt es gute ökonomische Gründe für die EWU, aber es gibt eben auch ökonomische Gründe dagegen. Vor allem gibt es begründete Zweifel, ob die EWU hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Spielregeln ökonomisch optimal ausgestaltet ist. Vermutlich haben solche Zweifel die Politik in Europa nur begrenzt beeindruckt, wenn es galt und gilt die Vision eines einigen Europas zu verwirklichen. Die EWU setzt diese europäische Vision beispielhaft und direkt erlebbar um. Allerdings, und darum geht es in diesem Beitrag, sollte die Politik auch die Kosten bei der Umsetzung ihrer Vision, hier der EWU, nüchtern abwägen. Die derzeit hohen Zinsspreads senden dabei klare Signale der Märkte an die Politik.

Im Einzelnen sind vier Signale zu erkennen:

  • Erstens zeigt die große Höhe der Spreads die Schwere der Krise in der EWU an, so dass grundlegende Reformen gefordert sind.
  • Zweitens zeigt die enorme Divergenz der Spreads zwischen den Ländern uneinheitliche Entwicklungen an, so dass vermutlich Strukturunterschiede eine Rolle in der Krise spielen.
  • Drittens zeigt sich ein geographisches Muster der Spreads, das bereits in den 1990er Jahren prognostiziert wurde, so dass sich die Frage nach der Lernfähigkeit der Märkte stellt.
  • Viertens zeigt die Rolle Deutschlands als „risikolose Benchmark“ leider nicht an, dass Deutschland in der derzeitigen Krise kein Problem hätte.

Zinsspreads als Marktsignale

Bevor diese vier Signale dargestellt und interpretiert werden, soll die Funktion und Verlässlichkeit von Zinsspreads als Signal für die Politik diskutiert werden. Generell zeigen Spreads auf Staatsanleihen das Länderrisiko an, also den Grad der unzureichenden Bonität eines Landes. Die Spreads errechnen sich als Differenz zwischen dem Zins, den ein Land auf seine Staatsschulden bezahlt, abzüglich eines risikolosen Referenzzinssatzes. Als vergleichsweise risikoloses Land in Europa gilt Deutschland, zumal seine Staatsanleihen aufgrund der Größe der deutschen Volkswirtschaft leicht handelbar sind. Die Zinsspreads der Euroländer geben demnach konkret den Zinsaufschlag im Vergleich zu Deutschland an.

Ökonomisch betrachtet ist der Zinsspread im Wesentlichen der Preis für die Hinnahme eines Bonitätsrisikos der Gegenseite bei Finanzgeschäften. Der Spread ist damit eine Risikoprämie. Das Risiko besteht hier darin, dass das betreffende Land möglicherweise Schwierigkeiten mit der plangerechten Bedienung seiner Staatsschulden bekommt. Über dieses Risiko, wie es an den Finanzmärkten bewertet wird, informiert der Zinsspread alle Interessierten und damit gegebenenfalls auch die Politik. Was ist von dieser Information zu halten, was geht in diese Kennzahl ein und ist sie verlässlich?

Zinsspreads auf Staatsanleihen der Euroländer ergeben sich mit jedem neuen Preis auf diese Anleihen (oder ihre derivativen Produkte), insofern verändern sie sich potentiell mit jeder Transaktion. Damit sind diese Spreads im Einzelfall situations- oder gar zufallsbedingt. Über längere Zeiträume ist festzustellen, dass sie sich parallel zu den Länderratings der großen Ratingagenturen entwickeln.1 Die Ratings der drei großen Agenturen wiederum unterscheiden sich zwar im Detail, doch in der großen Linie sind sie sehr ähnlich. Im Wesentlichen lässt sich die Einstufung von Ländern mit einer überschaubaren Anzahl von fundamentalen volkswirtschaftlichen Determinanten erklären, wie Cantor und Packer exemplarisch gezeigt haben.2 Daraus folgt, dass Zinsspreads ebenfalls im Wesentlichen auf eine überschaubare Gruppe von Determinanten zurückzuführen sind.

Dieser Grundzusammenhang wird durch interessante Detailbefunde der akademischen Literatur nicht außer Kraft gesetzt. Beispielsweise sind die Arbitragebeziehungen zwischen den Teilmärkten nicht immer perfekt, so dass sich aufschlussreiche Abweichungen zwischen Zinsspreads und Ratings oder zwischen Zinsspreads bei Bonds und den impliziten Zinsspreads bei Credit Default Swaps ergeben können.3 Ferner lässt sich das Ausmaß von Zinsspreads in seine Bestandteile zerlegen und diese Bestandteile lassen sich einzelnen Determinanten zuweisen. Werden präszise Ergebnisse im empirischen Modell unterstellt, so können Abweichungen der tatsächlichen Zinsspreads am Markt von den geschätzten Werten des Modells interpretiert werden.4 Allerdings zeigen diese Abweichungen keine Ineffizienz der Marktbewertung an, die dann wiederum wirtschaftspolitisches Handeln nahelegen würde.

Trotz dieser Verankerung von Zinsspreads in grundlegenden ökonomischen Daten gibt es grundsätzliche Zweifel an der Brauchbarkeit von Zinsspreads als Signal in drei Richtungen:

  • Erstens wird die Güte von Spreads bzw. Ratings als Frühwarnindikatoren bezweifelt.5 Dies ist hier allerdings kaum relevant, da es ausreicht, wenn Spreads einen Zustand hinreichend korrekt beschreiben.
  • Zweitens wird unterstellt, dass Spreads eine selbsterfüllende Erwartung erzeugen. Dies widerspricht natürlich der Hypothese, dass sie keinen zeitlichen Vorlauf hätten. Unabhängig davon aber ist es das Problem ökonomischer Entscheidungen im Allgemeinen, dass sie – bei begrenzter Voraussicht – immer auch auf Fortschreibungen oder Erfahrungen der Vergangenheit beruhen und insofern gleichgerichtet, sich verstärkend sein können. Die Zinsspreads bilden diese Erwartungsbildung gegebenenfalls ab, aber erzeugen sie nicht.
  • Drittens wird generell kritisiert, dass sich die Wirtschaftspolitik möglicherweise zu stark an den Vorstellungen „der Wirtschaft“ orientiert, statt selbst der Wirtschaft Vorgaben zu machen.6 Eine Reaktion auf Zinsspreads könnte in diesem Sinn als unzulässige Dominanz der Finanzwirtschaft bezeichnet werden.

Was ist von den Zweifeln an der Brauchbarkeit von Zinsspreads für die Politik zu halten? Sie gehen weitgehend am Thema vorbei: Zinsspreads bilden sich aufgrund von Käufen und Verkäufen von Staatsanleihen (bzw. ihrer Derivate) und informieren so über die Einschätzungen der Marktteilnehmer. Sie verdichten damit die verfügbaren Informationen zur Bonität von Volkswirtschaften und deren erwartbarer Entwicklung in einer Kennzahl. Sicher: Die Marktteilnehmer kennen die Zukunft nicht, sie mögen sich irren und vor allem kurzfristigen Trends und Moden folgen und schließlich muss die Politik sich nicht zum Diener der Märkte machen. Aber all dies ändert nichts daran, dass Zinsspreads im Kern eine verdichtete Information über den volkswirtschaftlichen Zustand eines Landes darstellen.

Wird grundsätzlich die in den Spreads enthaltene fundamentale ökonomische Information über die Bonität einer Volkswirtschaft akzeptiert, dann lassen sich darin Signale der Finanzmärkte an alle Interessierten sehen. Wie jedoch können diese Signale interpretiert werden und was können sie möglicherweise der Politik sagen? Dazu interpretieren wir im Folgenden die Zinsspreads auf Staatsanleihen der Euroländer gegenüber Bundesanleihen in vier Schritten, woraus man dann vier Signale „gelesen“ werden können.

Die Höhe der Spreads

Die Zinsspreads sind hoch: Abbildung 1 zeigt die monatlichen Zinsspreads der wichtigeren Länder der heutigen EWU über die letzten 20 Jahre. Im historischen Vergleich wird unmittelbar zweierlei erkennbar: Zum einen waren die Zinsspreads mit der absehbaren Einführung des Euro als gemeinsamer Währung in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre deutlich kleiner geworden und hatten dann auf diesem niedrigeren Niveau verharrt. Zum anderen sind die Zinsspreads vieler Länder mit der großen Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 wieder deutlich gestiegen, in vielen Fällen auf zuvor nie realisierte Höhen.

Abbildung 1
Zinsspreads einiger Euroländer

in %, monatliche Durchschnittswerte
(10-Jahres-Staatsanleihen, Spreads gegenüber Bundesanleihen)

Menkhoff Abb-1.ai

Wird die Höhe der Spreads als Zeichen für die Größe der Bonitätsprobleme gesehen, dann muss es sich heute innerhalb der EWU um sehr fundamentale Probleme handeln. Solch fundamental ökonomische Probleme von Mitgliedsländern sind grundsätzlich anders zu bewerten als beispielseise Bonitätsprobleme von Unternehmen, weil die Staaten Träger der institutionellen Ordnung sind. Ihre Zahlungsunfähigkeit wird deshalb Ausstrahlungswirkungen auf das gesamte Wirtschaftsleben haben und kann nicht isoliert abgewickelt werden wie beispielsweise die Insolvenz einer Firma. Insofern sind hohe Zinsspreads ein klares Zeichen für erheblichen Handlungsbedarf. Im Fall Europas ist dies grundsätzlich anerkannt.

Divergente Spreads

Die Zinsspreads sind divergent: Auch wenn in größeren Wirtschaftsräumen niemals alle Staaten in gleichem Maß von Problemen betroffen sind, zeigt Abbildung 1 doch sehr große Unterschiede zwischen den EWU-Ländern. Insofern ist auch nicht die Finanzkrise Ursache der hohen Zinsspreads, sondern die Krise hat eher Unterschiede deutlich hervorgehoben bzw. Länder waren den Krisenkräften unterschiedlich ausgesetzt. Abbildung 2 zeigt die Divergenz der Spreads seit 2007, indem neben dem EWU-Durchschnitt auch die Durchschnitte der je drei besten und schlechtesten Länder abgebildet werden.

Abbildung 2
Divergenz der Zinsspreads in der EWU
in %
Menkhoff Abb. 2.ai

Divergenzen zwischen Ländern in einer Währungsunion sind für sich genommen ein potentielles Problem, weil hier ein wirksames wirtschaftspolitisches Instrument fehlt, das der nationalen Wechselkurs- bzw. Geldpolitik. Grundsätzlich stehen andere wirtschaftspolitische Instrumente zur Verfügung, wie die Fiskalpolitik oder die Einkommenspolitik. Deren Einsatz obliegt allerdings in der EWU der nationalen Souveränität. Daraus speist sich die Debatte, ob die EWU ein europäisches Finanzministerium oder andere Vertragsformen braucht, die die Mitgliedsländer zu einer EWU-konformen Fiskalpolitik „zwingen“.

Geographisches Muster der Spreads

Die Zinsspreads konzentrieren sich auf Südeuropa: Die Länder mit hohen Zinsspreads liegen geographisch überwiegend in Südeuropa. In erster Linie betrifft dies Griechenland und Portugal, danach – in weitaus geringerem Maß – auch Spanien und neuerdings Italien. Eine Ausnahme in geographischer Hinsicht stellt allein Irland dar (vgl. Abbildung 3). Die südeuropäischen Länder haben einander vergleichbare Probleme, weil sie mit hohen Schuldenständen (Ausnahme Spanien) und hohen laufenden Defiziten (Ausnahme Italien) belastet sind. Ferner waren die Wachstumsraten in den vergangenen Jahren gering und die Wachstumsperspektiven sind limitiert. Die Wachstumsschwäche hat u.a. mit der nachlassenden Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum zu tun, wie die relativen Inflationsraten oder Lohnstückkosten zeigen.7 Im Unterschied zu Südeuropa stammen die irischen Schuldenprobleme aus dem Zusammenbruch vieler nationaler Banken im Zuge der Finanzkrise.

Abbildung 3
Zinsspreads im Euroraum im Juli 2011
10-Jahres-Staatsanleihen
Menkhoff Abb-3.ai

Das Überraschende am Befund zu Südeuropa ist vielleicht die Tatsache, dass er nicht überraschen muss. Tatsächlich ist im Vorfeld der EWU in den 90er Jahren diskutiert worden, welche Länder aus rein ökonomischer Sicht einen „optimalen“ Währungsraum aus deutscher Sicht bilden könnten, und dazu zählten Deutschland, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Österreich, Italien eher nicht und andere südeuropäische Länder, wie beispielsweise Griechenland, sicher nicht.8 Vor der Gründung der EWU hatten die Länder innerhalb dieses kleineren Raums ihre Geldpolitik faktisch eng an der der Deutschen Bundesbank orientiert, während die Länder außerhalb dieses konstruierten optimalen Währungsraums ihre Währungen regelmäßig gegenüber der D-Mark abgewertet hatten. Die Abwertungen waren notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten bzw. die Kaufkraftparität der Währungen zu sichern. Die Einführung des Euro hat diesen Weg versperrt, aber es scheint als wäre dies in seinen Konsequenzen nicht allen Marktteilnehmern voll bewusst.9

Die Lage in Deutschland

Die Zinsspreads lassen Deutschland nur relativ in einem guten Licht erscheinen: In den Krisendebatten steht Deutschland wie ein Musterschüler da. Deutschland weist ein hohes Wachstum auf, die Arbeitslosigkeit sinkt und 2011 ist das Staatsdefizit auch wieder gering. Diese positive Entwicklung wird durch das niedrige Zinsniveau und den zuletzt auch gegenüber beispielsweise Frankreich leicht steigenden Zinsspread unterstrichen. Allerdings handelt es sich bei den Spreads eben um Zinsdifferenzen und die niedrigen Zinsen auf deutsche Staatsschulden sind nicht unabhängig von den hohen Zinsen, die andere Euroländer bezahlen müssen. Diese relativ gute Situation kann leicht als falsches Signal verstanden werden.

Absolut betrachtet liegt die deutsche Schuldenstandsquote so hoch wie nie zuvor. 2010 ist sie mit deutlich über 80% weit von der 60%-Grenze des Maastrichter Vertrags entfernt (vgl. Abbildung 4). Noch beunruhigender mag wirken, dass die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen nicht wirklich zügig voran kommt. Bei einem nominalen BIP-Wachstum von über 5% in diesem Jahr und begünstigt von den niedrigen Zinssätzen müsste die Schuldenquote rasant sinken und die Haushalte sollten Überschüsse aufweisen. Tatsächlich sinkt das laufende Staatsdefizit (Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen) in diesem Jahr wohl auf etwa 1,5% des BIP und damit wieder deutlich unter die 3%-Grenze des Maastrichter Vertrags. Doch zwei Beobachtungen schränken diesen „Erfolg“ ein: Zum einen wirkt ein Staatsdefizit in der Hochkonjunktur – so wird man dieses Jahr aus volkswirtschaftlicher Sicht bezeichnen können – prozyklisch, und zum anderen wird die konjunkturbedingte Normalisierung der laufenden Verschuldung in hohem Maße durch außergewöhnliche Schulden für Hilfsmaßnahmen im Euroraum in Frage gestellt.

Abbildung 4
Schuldenkennziffern für Deutschland
in %
Menkhoff Abb. 4.ai

Es ist aus heutiger Sicht unsicher, ob die Gelder zur Stützung Griechenlands und im Rahmen des europäischen Stabilitätsfonds EFSF (voll) zurückgezahlt werden und ob nicht die Europäische Zentralbank wegen ihrer Staatsanleihekäufe und fragwürdigen Sicherheiten bei Krediten an Banken erneut mit zusätzlichem Kapital ausgestattet werden muss. Sollten diese Fälle eintreten, beispielsweise weil Griechenland umschuldet, so sinken die griechischen Schulden zulasten der deutschen. Nur bezogen auf Griechenland geht es zur Zeit um eine unmittelbare Größenordnung von 10 bis 70 Mrd. Euro für den deutschen Staatshaushalt.10 Je nach Szenario und je nach Ansteckungseffekten auf andere Länder und Akteure können die bisherigen Konsolidierungserfolge teilweise kompensiert, wenn nicht gar überkompensiert, werden.

Spreads und Politik in den vergangenen zehn Jahren

Wie hat die Politik agiert und wie hat sich dies in den Spreads widergespiegelt? Im Grunde sind dabei zwei Phasen zu unterscheiden: In den rund zehn Jahren bis zur Finanzkrise von 2007/08 sind die Märkte offensichtlich von einer Konvergenz der wirtschaftspolitischen Entwicklung der Euroländer ausgegangen. Aufgrund der unabhängigen Zentralbank mit ihrem sehr moderaten Inflationsziel von unter 2% p.a. und der fiskalischen Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts schien der Euroraum ein Gebiet geld- und fiskalpolitischer Stabilität. Aus dieser Perspektive sahen weder Märkte noch Politik wirklichen Handlungsbedarf. Diese Einschätzung hat sich in den letzten Jahren offensichtlich radikal gewandelt.

Die große Finanz- und Wirtschaftskrise hat Schwächen in den Euroländern aufgedeckt und die teilweise geringen Spielräume der Länder bei ihrer Behebung aufgezeigt. Ende 2008 schien es noch, als hätte allein Griechenland ernsthaftere Schwierigkeiten, doch 2009 wurden dann auch Portugal, Irland und mit Abstrichen Spanien zu Problemfällen.

  • Die Politik reagierte zuerst mit Kreditzusagen an Griechenland, verbunden mit wirtschaftspolitischen Stabilisierungsauflagen, dann mit der Gründung des Rettungsfonds EFSF, der durch die Beschlüsse vom Juli 2011 kräftig aufgestockt wird.
  • Die EZB hat diese Stabilisierungsbemühungen in den letzten Monaten mit einem Tabubruch unterstützt, indem sie Anleihen der Krisenländer direkt am Sekundärmarkt kauft, was nicht der Intention ihrer Satzung entspricht.
  • Indirekte Hilfen an die Krisenländer ergeben sich aus Stabilisierungsmaßnahmen des Finanzsektors: Indem die EZB Papiere fraglicher Qualität als Sicherheit akzeptiert und einen unbegrenzten Zugang zur Zentralbankliquidität zulässt, sammelt sie sozusagen die schlechten Risiken ein und entlastet damit den europäischen Finanzsektor.

Relation von Gebern und Nehmern

Im September 2011 hat diese Krise eine neue Qualität erhalten, weil nun Italien die Einstufung in die beste Bonitätsklasse Triple-A verliert und daraufhin die Einstufung Frankreichs in Frage gestellt wird. Auf den ersten Blick scheint die kritische Diskussion um Italien und erst recht Frankreich weit überzogen, aber im Grunde ergibt sie sich logisch aus dem Verhältnis von Stabilität gebenden zu nehmenden Staaten. So lange alle Euroländer Griechenland stützen müssen, geht es auf Basis des jeweiligen BIP um eine Relation von ca. 97% Gebern zu 3% Nehmern, also um eine Quote von 37. Rechnet man nun Portugal und auch Irland zu den Nehmern, so sinkt der Zähler und steigt der Nenner auf eine neue Quote von 14. Spanien bringt schon enorme Dramatik in das Bild, denn die Quote sinkt weiter auf 4. Käme Italien hinzu, ergäbe sich eine Quote von 1,5 und damit endgültig eine politisch nicht mehr tragbare Größenordnung (vgl. Abbildung 5).11 Das Verhältnis von Gebern und Nehmern sollte nicht zu klein werden. Was determiniert nun den Status als Geber und Nehmer bzw. was entscheidet über einen Wechsel von einem ehemaligen Geber zu einem Nehmer?

Abbildung 5
Größenverhältnis von Geber- zu Nehmerländern in der EWU
Quote BIP-gewichtet in %
Menkhoff Abb. 5.ai

Lesebeispiel: das BIP aller EWU-Länder ohne Griechenland (und Portugal usw.) zu dem BIP von Griechenland (und Portugal usw.) beträgt das 37-fache (das 21-fache usw.); BE, MT, LU, SK, CY und EE nicht berücksichtigt.

Das Beispiel Italien mag hier illustrativ sein. Bislang zählte Italien aufgrund seiner vergleichsweise soliden wirtschaftlichen Daten zu den Geberländern, also denjenigen Ländern, die die Krisenländer im Notfall mit Kredit und Kreditsicherheiten stützen. Im Juli und August ist diese Rolle Italiens in Zweifel geraten. Warum? Anlass ist der Haushaltsentwurf mit der fortgeschriebenen mittelfristigen Finanzplanung. Demzufolge wollte Italien auch 2012 das laufende Defizit nicht auf eine Quote von unter 3% zurückführen, sondern die Haushaltskonsolidierung auf die Jahre 2013 und vor allem 2014 verschieben. Da dann aber bereits ein neues Parlament verantwortlich ist und es kein Instrument wie die deutsche Schuldenbremse gibt, bedeutet ein Plan dieser Art, dass die Lösung des Problems in die Zukunft verschoben wird und dies bei einem überhöhten laufenden Defizit und einer überhöhten Schuldenstandsquote.

Solch eine Politik ist langfristig unverantwortlich.12 Schlimmer noch, solch eine Politik demonstriert durch Wiederholen von „Fehlern“ die Geringschätzung, wenn nicht gar Wertlosigkeit der geschlossenen Verträge auf europäischer Ebene, die auf langfristige Stabilität zielen.13 Zu der Tatenlosigkeit kommt noch der ungünstige Trend des wirtschaftlichen Umfelds: Italien wächst kaum noch in einer schwächelnden Weltwirtschaft und die Lasten der Stabilisierung im Euroraum addieren sich zu den Binnenproblemen hinzu.14 Erst massiver Druck aus Europa hat die italienische Regierung im August 2011 zu einer begrenzten Modifikation ihrer Pläne und etwas ehrgeizigeren Reformbemühungen gebracht. Der Zinsspread für italienische Staatsanleihen zeigt diese Entwicklungen genau nach und liegt folglich immer noch auf einem erhöhten Niveau. Es bleibt abzuwarten, ob Italien mittelfristig zu den „Gebern“ zählt oder eher zu den „Nehmern“. Historisch gesehen sind die Erfahrungen mit der langfristigen Umsetzung von Stabilisierungsprogrammen auch in Industrieländern häufig ernüchternd.15

Lehren für die Politik

Die Politik kann also durch ihr Tun bzw. Unterlassen den Zinsspread stark beeinflussen. Die Regierungen können die Verträge und die sich daraus ergebenden Ziele in entsprechende Wirtschaftspolitik umsetzen, dann honorieren dies die Kreditgeber. Oder sie machen verhängnisvolle Fehler, die Vertrauen zerstören: geschönte statistische Angaben (Griechenland), eine Kreditblase (Irland), Strukturschwächen die mit Kredit (Portugal) oder einem Immobilienboom (Spanien) überdeckt werden und eine Verschiebung unangenehmer Problemlösungen in die entferntere Zukunft (Italien).

An der Höhe des Zinsspreads ist abzulesen, auf welcher Seite ein Land steht. Die klaren Geberländer liegen in einer kleinen Spanne von bis zu 0,5-Prozentpunkten oder auch einmal etwas stärker über den deutschen Zinsen: Dies sind aus ökonomischer Sicht tendenziell problemlose Mitglieder eines gemeinsamen Währungsraums. Die klaren Nehmerländer haben Spreads von 5% und mehr. Solch hohe Spreads sind bei den gegebenen hohen Schuldenständen nicht tragbar: Weder können die Nehmerländer die sich aus hohen Realzinssätzen ergebende Schuldendynamik langfristig bewältigen noch können wenige Geberländer diese Niveaus durch Hilfen subventionieren. Insofern entscheiden die Länder in der Zone mit den „mittelhohen“ Spreads über die Zukunft des Euroraums. Den Erfolg einer glaubwürdigen Stabilisierungspolitik wird man an den Zinsspreads dieser Euroländer wie an einem Thermometer ablesen können.

  • 1 Vgl. beispielseise früh R. Cantor, F. Packer: Determinants and Impact of Sovereign Credit Ratings, in: FRBNY Economic Policy Review, Oktober 1996, S. 37-53; oder A. N. R. Sy: Emerging Market Bond Spreads and Sovereign Credit Ratings: Reconciling Market Views with Economic Fundamentals, in: Emerging Markets Review, 3. Jg. (2002), Nr. 4, S. 380-408.
  • 2 R. Cantor, F. Packer, a.a.O.
  • 3 Vgl. A. N. R. Sy, a.a.O.; oder A. Fontana, M. Scheicher: An Analysis of Euro Area Sovereign CDS and their Relation with Government Bonds, ECB Working Paper 1271, 2010.
  • 4 Vgl. D. Haugh, P. Ollivaud, D. Turner: What Drives Sovereign Risk Premiums?, OECD Economics Department Working Papers Nr. 718, 2009; oder K. Bernroth: Zinsspreads auf europäische Staatsanleihen: Implikationen und Lehren aus der europäischen Schuldenkrise, in: DIW Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 79. Jg. (2010), H. 4, S. 103-118.
  • 5 Vgl. die abwägende Diskussion unterschiedlicher Befunde bei C. M. Reinhart: Default, Currency Crises, and Sovereign Credit Ratings, in: World Bank Economic Review, 16. Jg. (2002), H. 2, S. 151-170; oder bei A. N. R. Sy: Rating the Rating Agencies: Anticipating Currency Crises or Debt Crisis?, in: Journal of Banking and Finance, 28. Jg. (2004), Nr. 11, S. 2845-2867.
  • 6 Vgl. den sehr prononcierten Beitrag von T. Brun: Die Welt ist aus den Fugen geraten, in: Tagesspiegel vom 21.8.2011.
  • 7 Beispielhaft für Griechenland siehe O. Gloede, L. Menkhoff: Griechenlands Krise: Das währungspolitische Trilemma im Euroraum, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 2, S. 172-177.
  • 8 Vgl. beispielsweise L. Menkhoff, F. L. Sell: The Advantages of a Small European Monetary Union, in: Intereconomics, 26. Jg. (1991), H. 2, S. 64-67.
  • 9 Dies gilt nicht für manche osteuropäische Länder mit harten Anpassungsprogrammen, vgl. C. Tenbrock: Glück, Geschick und harte Reformen, in: Die Zeit vom 16.6.2011.
  • 10 A. Belke: Griechenland-Krise: Schnelle Umschuldung günstiger als neue Kredite, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 40. Jg. (2011), H. 8, S. 391.
  • 11 Vgl. T. Mayer: Dann steigen die Deutschen aus dem Euro aus, Interview mit Hendrik Müller, in: Manager Magazin vom 25.7.2011.
  • 12 Vgl. die grundsätzlichen Überlegungen zur Schuldendynamik bei M. Baumgarten, H. Klodt: Die Schuldenmechanik in einer nicht-optimalen Währungsunion, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 6, S. 374-379.
  • 13 Vgl. T. Piller: Neue und alte Versprechen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.8.2011.
  • 14 Implizit unterstellen die Befürworter von Hilfsmaßnahmen für Italien, dass „Ansteckung“ bei der Spreadausweitung eine zentrale Rolle spielt. Genauso gut kann man es aber auch als Neubewertung des Reformwillens im Lichte der schlechten Erfahrungen mit Griechenland interpretieren.
  • 15 Vgl. P. Mauro (Hrsg.): Chipping away at Public Debt: Sources of Failure and Keys to Success in Fiscal Adjustment, Chichester 2011.


DOI: 10.1007/s10273-011-1299-2

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