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Der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ hat in seiner aktuellen Prognose die Aufkommenserwartungen für die Jahre 2011 bis 2015 abermals nach oben revidiert. Damit eröffnen sich zwar Handlungsspielräume für den Ausgleich heimlicher Steuererhöhungen, nicht aber für substantielle Steuersenkungen. Diese erfordern aufgrund der unbestreitbaren Konsolidierungserfordernisse eine „Gegenfinanzierung“ – am besten durch den Abbau von Finanzhilfen und Steuervergünstigungen.

Der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ (AKS)1 traf sich vom 2. bis 4. November 2011, um die Entwicklung des Steueraufkommens in Deutschland für den Zeitraum der neuen Finanzplanung bis zum Jahr 2016 zu prognostizieren.2 Die Schätzung basiert wie üblich auf den gesamtwirtschaftlichen Eckwerten der Bundesregierung. Zudem bezog der AKS die seit der vergangenen Steuerschätzung beschlossenen Steuerrechtsänderungen in seine Prognose ein.

Nach kräftigem Aufschwung nur vorübergehende Eintrübung der Konjunktur

Die Bundesregierung hat in ihrer Herbstprojektion – wie auch die aktuelle Gemeinschaftsdiagnose3 – ihre Konjunkturprognose für 2011 etwas nach oben revidiert. War sie bei der Steuerschätzung im Mai dieses Jahres noch von einem Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2,6% ausgegangen, so prognostiziert sie nunmehr einen Anstieg von 2,9%. Ausschlaggebend hierfür war, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in der ersten Jahreshälfte schwungvoller expandierte als im Frühjahr erwartet. Allerdings deuten wichtige Stimmungsindikatoren seit August 2011 darauf hin, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion im Schlussquartal dieses Jahres stagnieren wird. Zwar dürfte die Konjunktur im Verlauf des nächsten Jahres wieder Fahrt aufnehmen, doch verringert die Stagnation den für 2012 erwarteten Zuwachs des realen BIP: Er wird mit 1,0% um 0,8 Prozentpunkte geringer veranschlagt als in der Frühjahrsprojektion. Für die Folgejahre wird weiterhin ein Wirtschaftswachstum von 1,6% je Jahr zugrundegelegt (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Wichtige gesamtwirtschaftliche Eckdaten für die Steuerschätzungen von Mai und November 2011
  2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
  Mrd. Euro Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
  Mai 20111
Reales BIP 2 248,1 2,6 1,8 1,6 1,6 1,6  
Nominales BIP 2 498,8 3,5 3,5 3,0 3,0 3,0  
Bruttolöhne und -gehälter 1 020,5 3,1 3,3 2,5 2,5 2,5  
Unternehmens- und Vermögenseinkommen 641,6 4,9 4,1 4,7 4,7 4,7  
Modifizierte letzte inländische Verwendung 2 112,6 3,1 3,1 2,6 2,6 2,6  
  November 20112
Reales BIP 2 368,8 2,9 1,0 1,6 1,6 1,6 1,6
Nominales BIP 2 476,8 3,8 2,4 2,9 2,9 2,9 2,9
Bruttolöhne und -gehälter 1 025,0 4,7 2,8 2,5 2,5 2,5 2,5
Unternehmens- und Vermögenseinkommen 635,0 3,1 2,5 4,8 4,3 4,3 4,3
Modifizierte letzte inländische Verwendung 2 083,9 3,6 2,9 2,9 2,9 2,9 2,9

1 Ist: 2010; Prognose: 2011 bis 2015.

2 Ist: 2010; Prognose: 2011 bis 2016.

Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Wirtschaft/projektionen.html.

Für 2011 wurden auch das nominale BIP und andere für die Steuerschätzung wichtige Indikatoren gegenüber der Frühjahrsprojektion nach oben revidiert. So hat die Bundesregierung ihre Prognose für das nominale BIP von 3,5% auf 3,8%, für die Bruttolohn- und Gehaltsumme von 3,1% auf 4,7% und für die modifizierte letzte inländische Verwendung – ein Indikator für die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer – von 3,1% auf 3,6% angehoben. Hingegen wurde bei den Unternehmens- und Vermögenseinkommen, die die gewinnabhängigen Steuern maßgeblich beeinflussen, der erwartete Anstieg von 4,9% auf 3,1% gesenkt (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Wichtige Bestimmungsfaktoren des Steueraufkommens
2008 = 100; Ist: 2008 bis 2010; Prognose: 2011 bis 2016
Gebhardt Abb-1.ai

Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie; eigene Berechnungen.

Für 2012 wurde der Zuwachs des nominalen BIP mit 2,4% um 1,1 Prozentpunkte geringer veranschlagt als in der Frühjahrsprojektion. Als Folge davon wurden auch die Bruttolohn- und Gehaltsumme, die Unternehmens- und Vermögenseinkommen und die modifizierte letzte inländische Verwendung nach unten revidiert. Für die Jahre 2013 bis 2016 wird mit jeweils 2,9% ein weiterhin robustes Wachstum des nominalen BIP prognostiziert. Die für die Steuerschätzung relevanten makroökonomischen Indikatoren expandieren damit mittelfristig in etwa mit den bei der letzten Schätzung zugrundegelegten Raten.

Steuerrechtsänderungen mindern das Aufkommen

Der AKS, der das Steueraufkommen stets auf der Grundlage des geltenden Steuerrechts schätzt, musste gegenüber der Schätzung vom Mai 2011 die finanziellen Auswirkungen der zwischenzeitlich verabschiedeten Steuerrechtsänderungen berücksichtigen. Dazu zählen die Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens (Steuervereinfachungsgesetz 2011) und die Stilllegung von acht Atomkraftwerken (13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes). Zudem wurde die Umsetzung der Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) zur steuerlichen Behandlung der Überlassung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte einbezogen (Urteil vom 22.9.2010). Insgesamt schmälern die Steuerrechtsänderungen das Steueraufkommen 2011 um 1,2 Mrd. Euro; 2012 ist mit Mindereinnahmen von 2 Mrd. Euro und in den Folgejahren bis 2016 von knapp 2 Mrd. Euro je Jahr zu rechnen. Die Mindereinnahmen belasten vor allem den Bundeshaushalt (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2
Finanzielle Auswirkungen der Steuerrechtsänderungen1
Steuermehreinnahmen (+) und Steuermindereinnahmen (-) in Mrd. Euro gegenüber 2010
  2011 2012 2013 2014 2015 2016
Steuerrechtsänderungen insgesamt -1,2 -2,0 -1,7 -1,8 -1,9 -2,0
Steuervereinfachungsgesetz 2011 - -0,8 -0,6 -0,6 -0,6 -0,6
13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes -1,0 -1,0 -1,0 -1,0 -1,1 -1,2
BFH-Urteil vom 22.9.2010 -0,2 -0,2 -0,2 -0,2 -0,2 -0,2
Auswirkungen der Steuerrechtsänderungen nach Ebenen
Bund -1,1 -1,9 -1,6 -1,7 -1,8 -1,9
Länder -0,1 -0,1 -0,1 -0,1 -0,1 -0,1
Gemeinden -0,03 -0,03 -0,03 -0,03 -0,03 -0,03

1 Seit der Steuerschätzung vom Mai 2011 beschlossene Steuerrechtsänderungen, ohne Berücksichtigung der Steuerrechtsänderungen von Ländern und Kommunen sowie ohne makroökonomischen Rückwirkungen.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen.

Die bei der Steuerschätzung im Mai 2011 unterstellten Steuerausfälle in der Rechtssache Meilicke (zur Berücksichtigung ausländischer Körperschaftsteuerzahlungen bei der Besteuerung von Dividenden im 2001 abgeschafften Anrechnungsverfahren), die damals von der Bundesregierung auf 3,5 Mrd. Euro für 2011 und auf 1,2 Mrd. Euro für 2012 veranschlagt wurden, dürften nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 30. Juni 2011 deutlich niedriger ausfallen. Nunmehr wird nur noch von Rückzahlungen in Höhe von 0,5 Mrd. Euro verteilt auf 2012 und 2013 ausgegangen.

Steueraufkommen erreicht neues Höchstniveau

Auf Basis der gesamtwirtschaftlichen Eckdaten der Bundesregierung und unter Berücksichtigung des geltenden Steuerrechts prognostizierte der AKS für dieses Jahr ein Steueraufkommen von 571,2 Mrd. Euro – ein Plus von 7,7% bzw. 40,6 Mrd. Euro gegenüber dem Vorjahr. Dieser kräftige Anstieg ist der guten Konjunktur, den positiven Wirkungen der Einkommensteuerprogression und den Steuerrechtsänderungen, wie die Einführung der Kernbrennstoffsteuer und der Luftverkehrsteuer, die Anhebung der Tabaksteuer, die Einschränkung von Begünstigungen bei der Strom- und der Energiesteuer, das Auslaufen der Eigenheimzulage und in vielen Ländern auch die Erhöhung der Grunderwerbsteuer, zu verdanken. In den Folgejahren wird sich der Zuwachs der Steuereinnahmen dann wegen der schwächeren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abflachen, voraussichtlich auf 3,6% (2012) und auf durchschnittlich 3,5% in den Jahren 2013 bis 2016. Damit wird das Steueraufkommen 2016 das Niveau von 2010 um 150 Mrd. Euro übertreffen (vgl. Tabelle 3).

Tabelle 3
Ergebnisse des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ vom November 20111
  2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
Steuern insgesamt (Mrd. Euro) 530,59 571,20 591,99 613,15 635,75 658,47 680,04
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 1,3 7,7 3,6 3,6 3,7 3,6 3,3
Steueraufkommen nach Ebenen              
Steueraufkommen des Bundes2 (Mrd. Euro) 225,81 246,65 249,92 257,21 268,33 276,75 287,16
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % -1,0 9,2 1,3 2,9 4,3 3,1 3,8
Steueraufkommen der Länder2,3 (Mrd. Euro) 210,05 223,62 232,70 241,20 249,84 258,46 266,96
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 1,4 6,5 4,1 3,7 3,6 3,4 3,3
Steueraufkommen der Gemeinden4 (Mrd. Euro) 70,36 76,34 80,08 83,62 87,20 90,81 94,29
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 2,9 8,5 4,9 4,4 4,3 4,2 3,8
Steueraufkommen der EU (Mrd. Euro) 24,37 24,59 29,28 31,13 30,38 32,45 33,63
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 18,9 0,9 19,1 6,3 -2,4 6,8 -2,5
Steueraufkommen nach Steuerarten Mrd. Euro Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
Lohnsteuer 127,90 9,6 4,4 5,5 5,3 5,2 5,1
Veranlagte Einkommensteuer 31,18 0,7 9,6 11,9 8,4 7,1 5,6
Kapitalertragsteuern 21,70 19,8 -6,2 4,0 5,5 5,2 5,3
Körperschaftsteuer 12,04 23,1 29,8 3,4 4,2 4,3 3,4
Gewerbesteuer 35,71 11,7 5,9 3,8 4,0 3,9 3,5
Steuern vom Umsatz 180,04 5,7 2,6 2,8 3,0 3,0 3,1
Sonstige Steuern 122,02 5,4 1,3 0,3 0,9 0,7 0,0
Steuerquote (in % des nominalen BIP) 21,4 22,2 22,5 22,6 22,8 23,0 23,0

1 Ist: 2010; Prognose: 2011 bis 2016.

2 Nach Ergänzungszuweisungen, Umsatzsteuerverteilung und Finanzausgleich.

3 Ohne Gemeindesteuereinnahmen der Stadtstaaten.

4 Mit Gemeindesteuereinnahmen der Stadtstaaten. Abweichungen in den Summen durch Rundung der Zahlen.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen: Ergebnisse der Steuerschätzung vom 2. bis 4. November 2011, Monatsbericht des BMF, November 2011.

Die gesamtwirtschaftliche Steuerquote, die in den beiden Vorjahren aufgrund von rezessionsbedingten Mindereinnahmen und umfangreichen Steuerentlastungen4 um 1,3 Prozentpunkte auf 21,4% gesunken ist, wird im Projektionszeitraum wieder zulegen. Insbesondere 2011 zeichnet sich ein kräftiger Anstieg auf 22,2% ab, zumal das Steueraufkommen wie in früheren Aufschwungphasen merklich stärker expandiert, als es allein aufgrund der konjunkturellen Entwicklung, der Einkommensteuerprogression und der Steuerrechtsänderungen zu erwarten ist. In den Folgejahren wird das Steueraufkommen voraussichtlich etwas stärker als das nominale BIP expandieren (vgl. Abbildung 2), so dass die Steuerquote 2016 auf 23% zunehmen dürfte; sie läge damit um 0,4 Prozentpunkte über dem vor der Wirtschafts- und Finanzkrise erreichten Niveau.

Abbildung 2
Nominales BIP und Steueraufkommen
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
Gebhardt Abb-2.ai

1992 bis 2010: Ist-Ergebnis; 2011 bis 2016: Schätzung.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen; Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie; Statistisches Bundesamt.

Aufschwung beschert Steuermehreinnahmen

Bund, Länder und Kommunen können nach dieser Prognose ihre Aufkommenserwartungen für 2011 zum dritten Mal in Folge nach oben revidieren5 – diesmal um 16,2 Mrd. Euro gegenüber der vorangegangenen Steuerschätzung (vgl. Abbildung 3). Der Bund kann mit Mehreinnahmen von 9,3 Mrd. Euro rechnen, von denen 1,9 Mrd. Euro auf niedrigere Abführungen an den EU-Haushalt zurückzuführen sind. Bei den Ländern dürfte sich das Plus auf 6,3 Mrd. Euro und bei den Gemeinden auf 2,6 Mrd. Euro belaufen. Entscheidend für dieses Mehraufkommen ist die bessere konjunkturelle Entwicklung. Zudem fallen in diesem Jahr – anders als bislang erwartet – keine Steuererstattungen im Zusammenhang mit dem Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Meilicke an.

Abbildung 3
Ergebnisse ausgewählter Steuerschätzungen
in Mrd. Euro
Gebhardt Abb-3.ai

Quelle: Bundesministerium der Finanzen.

2012 beläuft sich das Mehraufkommen gegenüber der vorangegangenen Steuerschätzung lediglich auf 7,4 Mrd. Euro und in den Folgejahren auf 4,5 Mrd. Euro (2013), 5,2 Mrd. Euro (2014) und 6,2 Mrd. Euro (2015).6 Für den gesamten Projektionszeitraum erwartet der AKS somit Mehreinnahmen in Höhe von insgesamt fast 40 Mrd. Euro. Davon profitieren insbesondere der Bund und die Länder, die allein ein Plus von 19,6 bzw. 20,4 Mrd. Euro erwarten. Die Gemeinden dürften lediglich ein Mehraufkommen von 3,2 Mrd. Euro erzielen, zumal sie in den Jahren 2013 bis 2015 mit geringen Mindereinnahmen kalkulieren müssen (vgl. Tabelle 4).

Von den über den gesamten Planungszeitraum hinweg erwarteten Mehreinnahmen entfallen allein 22,9 Mrd. Euro (58%) auf die Lohnsteuer. Hier schlägt zu Buche, dass in diesem Jahr im Zuge der wirtschaftlichen Erholung die Beschäftigung kräftig zugenommen hat und die Effektivlöhne beschleunigt gestiegen sind. Die Steuern vom Umsatz profitieren davon, dass die Inlandsnachfrage im Projektionszeitraum insgesamt kräftiger expandieren dürfte als bislang erwartet; ihr Anteil an den von 2011 bis 2015 insgesamt erwarteten Mehreinnahmen beläuft sich auf 18,5 Mrd. Euro (47%). Mit einem Drittel des gesamten Steueraufkommens bleiben sie die mit Abstand ergiebigsten Einzelsteuern. Hingegen wurden die Einnahmeerwartungen bei der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer aufgrund der nach unten revidierten Unternehmens- und Vermögenseinkommen herabgesetzt.

Tabelle 4
Abweichungen der Steuerschätzung vom November 2011 zur Schätzung vom Mai 2011
in Mrd. Euro
  Ergebnis der Steuer­schätzung vom Mai 2011 Abweichungen Ergebnis der Steuer­schätzung vom November 2011
Insgesamt davon:
  Steuerrechts­änderungen1 Änderung EU-Abführung Schätz­abweichung2
2011            
Steuereinnahmen insgesamt 555,0 16,2 -1,2 0,0 17,5 571,2
Bund3 237,4 9,3 -1,1 1,9 8,4 246,7
Länder3 217,3 6,3 -0,1   6,4 223,6
Gemeinden3 73,7 2,6 0,0   2,7 76,3
EU 26,6 -2,0 0,0 -1,9 -0,1 24,6
2012            
Steuereinnahmen insgesamt 584,6 7,4 -2,0 0,0 9,4 592,0
Bund3 247,2 2,7 -1,9 -0,2 4,8 249,9
Länder3 228,7 4,0 -0,1   4,1 232,7
Gemeinden3 79,1 1,0 0,0   1,0 80,1
EU 29,6 -0,3 0,0 0,2 -0,5 29,3
2013            
Steuereinnahmen insgesamt 608,7 4,5 -1,7 0,0 6,2 613,2
Bund3 255,4 1,8 -1,6 -0,3 3,7 257,2
Länder3 238,3 2,9 -0,1   3,0 241,2
Gemeinden3 83,7 -0,1 0,0   0,0 83,6
EU 31,3 -0,2 0,0 0,3 -0,5 31,1
2014            
Steuereinnahmen insgesamt 630,5 5,2 -1,8 0,0 7,0 635,8
Bund3 265,0 3,4 -1,7 1,0 4,1 268,3
Länder3 246,4 3,4 -0,1   3,5 249,8
Gemeinden3 87,4 -0,2 0,0   -0,2 87,2
EU 31,8 -1,4 0,0 -1,0 -0,5 30,4
2015            
Steuereinnahmen insgesamt 652,3 6,2 -1,9 0,0 8,0 658,5
Bund3 274,3 2,4 -1,8 -0,7 4,8 276,7
Länder3 254,7 3,7 -0,1   3,8 258,5
Gemeinden3 91,0 -0,2 0,0   -0,2 90,8
EU 32,3 0,2 0,0 0,7 -0,5 32,5

1 Ohne Anhebung der Grunderwerbsteuer und ohne Steuerrechtsänderungen der Kommunen.

2 Aus gesamtwirtschaftlichen Gründen und infolge unvorhergesehener Verhaltensänderungen der Wirtschaftssubjekte.

3 Nach Ergänzungszuweisungen, Umsatzsteuerverteilung, Finanzausgleich und Konsolidierungshilfen. Anmerkung: Abweichungen in den Summen durch Rundung der Zahlen.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen: Ergebnisse der Steuerschätzung vom 10. bis 12. Mai 2011, Monatsbericht des BMF, Mai 2011; Bundesministerium der Finanzen: Ergebnisse der Steuerschätzung vom 2. bis 4. November 2011, Monatsbericht des BMF, November 2011.

Trotz Mehreinnahmen Konsolidierungserfordernisse

Nach der vorliegenden Prognose des AKS kann in diesem und den kommenden Jahren mit einem höheren Steueraufkommen gerechnet werden als bislang erwartet (vgl. Abbildung 3), so dass sich die Finanzlage des Staates bei Fortsetzung der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung entspannen dürfte. Allerdings ist die Konjunktur mit erheblichen Risiken behaftet, weil die Haushaltslage vieler Länder des Euroraums nach wie vor äußerst angespannt ist und nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Staatsschulden- und Vertrauenskrise in Europa verschärft.7 Dies würde die Konjunktur dämpfen und über geringere Steuer- und Beitragseinnahmen sowie höhere arbeitsmarktbedingte Ausgaben zu höheren Budgetdefiziten führen.

Vor diesem Hintergrund wäre es problematisch, wenn die Bundesregierung – wie dies in der Vergangenheit bei einer sich konjunkturbedingt bessernden Finanzlage vielfach der Fall war – den Konsolidierungskurs aufgrund der erwarteten Mehreinnahmen lockern würde. Die Konsolidierung ist nämlich noch keineswegs abgeschlossen. Zum einen sind die öffentlichen Haushalte strukturell nach wie vor unterfinanziert. Das strukturelle Budgetdefizit beträgt in diesem Jahr – der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose zufolge – in Relation zum nominalen BIP knapp 1,5%.8 Zum anderen schnellte die Staatsschuldenquote im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise in den beiden vergangenen Jahren von 66,7 auf 83,2% in die Höhe und liegt damit nicht weit von dem Niveau entfernt, das im Hinblick auf das langfristige Wirtschaftswachstum als kritisch eingestuft wird.9 Zudem zeichnen sich aufgrund der weiteren Restrukturierung der griechischen Staatsschulden erhebliche Mehrbelastungen ab, und auch die Kapitalmarktzinsen werden nicht auf einem so niedrigen Niveau bleiben wie derzeit, vielmehr ist mittelfristig wieder mit einem anziehenden Zinsniveau zu rechnen. Um die Vorgaben der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse und des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspaktes umzusetzen, ist die Finanzpolitik daher vorrangig gefordert, das strukturelle Defizit schrittweise abzubauen und die Staatsverschuldung stetig an die Verschuldungsgrenze von 60% des nominalen BIP anzunähern.

Steuerentlastungen sollten die Konsolidierung nicht gefährden

Das Steueraufkommen wird nach der Prognose des AKS in den kommenden Jahren zwar neue Höchststände erreichen (vgl. Abbildung 3), doch eröffnen sich damit aufgrund der unbestreitbaren Konsolidierungserfordernisse keine Spielräume für substantielle Steuersenkungen, auch wenn aufgrund der steuerinduzierten Impulse mit einer teilweisen Selbstfinanzierung gerechnet werden kann. Um einen Anstieg des strukturellen Budgetdefizits zu vermeiden, muss also eine solide „Gegenfinanzierung“ geplant werden.

Unter Wachstumsgesichtspunkten sollten die prinzipiell sinnvollen Einkommensteuersenkungen dadurch erfolgen, dass Finanzhilfen und Steuervergünstigungen konsequent gesenkt werden. Die Regierung könnte so eine „doppelte Dividende“ erzielen: Die Steuerentlastungen würden Anreizeffekte bei Arbeitnehmern und Personenunternehmen induzieren, und der Abbau von Subventionen würde Allokationsverzerrungen beseitigen und damit die Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems verbessern. Es ließen sich ohne Weiteres Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe einsparen, wenn beispielsweise die noch offenen Posten der Koch-Steinbrück-Subventionsabbauliste abgearbeitet würden10 und keine weiteren Vergünstigungen eingeführt werden, wie es in den vergangenen Jahren beispielsweise mit der Umsatzsteuerermäßigung für das Gaststättengewerbe oder der Förderung der energetischen Gebäudesanierung der Fall war.

Verzicht auf heimliche Steuererhöhungen

Ungeachtet der engen Handlungsspielräume stellt sich die Frage, wie die durch das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht gedeckten heimlichen Steuererhöhungen, die sich aus dem Zusammenspiel von progressivem Einkommensteuertarif und Inflation ergeben, verhindert werden können. Solange es beim derzeitigen Einkommensteuertarif und bei festen Abzugsbeträgen bleibt, erreichen schon allein aufgrund inflationsbedingter Einkommenssteigerungen immer mehr Steuerzahler Tarifbereiche mit höheren Grenzsteuersätzen. Ihre Einkommensteuerbelastung nimmt zu, ohne dass die Realeinkommen zunehmen und sich die höhere Steuerbelastung durch eine steigende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit rechtfertigen lässt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hatte die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose in ihren Frühjahrsgutachten empfohlen, heimliche Steuerhöhungen künftig zu vermeiden.11 Es ist daher zu begrüßen, dass Bundesfinanzminister Schäuble angekündigt hat, „aus dem Mechanismus heimlicher Steuererhöhungen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind, dauerhaft aus(zu)steigen“12, und dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zum Abbau der kalten Progression im Einkommensteuerrecht beschlossen hat, um „dem Effekt entgegenzuwirken, dass der Staat zulasten der Steuerpflichtigen inflationsbedingte Mehreinnahmen erhält. Ziel ist es, zu verhindern, dass Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, zu einem höheren Durchschnittssteuersatz führen“13.

Der Gesetzentwurf sieht zum einen vor, den Grundfreibetrag in zwei Schritten anzuheben, die dem heute absehbaren höheren steuerlich zu verschonenden Existenzminimum Rechnung tragen, und zwar zum 1. Januar 2013 um 126 Euro und zum 1. Januar 2014 um 224 Euro, insgesamt also um 350 Euro bzw. 4,4%. Zum anderen sollen die anderen Eckwerte des Einkommenstarifs mit Ausnahme des Eingangseinkommens für die zweite Proportionalstufe („Reichensteuer“) ebenfalls in zwei Schritten um insgesamt 4,4% erhöht werden. Der Staat verzichtet damit nach Berechnungen des Bundesministeriums der Finanzen auf inflationsbedingte Mehreinnahmen in Höhe von 1,9 Mrd. Euro (2013) und auf 5,7 Mrd. Euro (2014), was angesichts der vom AKS erwarteten Aufkommensperspektiven fiskalisch verkraftbar ist. Zudem soll ab der kommenden Legislaturperiode im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlich gebotenen Anhebung des Existenzminimums alle zwei Jahre überprüft werden, wie die kalte Progression wirkt und ob gegebenenfalls die Eckwerte des Tarifs angepasst werden sollen. Offensichtlich sollen heimliche Steuererhöhungen auch künftig durch regelmäßig erfolgende diskretionäre Tarifreformen ausgeglichen werden. Ein „Tarif auf Rädern“, bei dem die Steuertarifstufen sowie die Grundfreibeträge und die persönlichen Freibeträge Jahr für Jahr inflationsbedingt angepasst werden, damit der Staat grundsätzlich keine inflationsbedingten Mehreinnahmen mehr zulasten der Steuerpflichtigen erzielen kann, wird damit aber ausgeschlossen.14

  • 1 Dem AKS gehören neben dem federführenden Bundesministerium der Finanzen das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, die Länderfinanzministerien, die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, die fünf großen Wirtschaftsforschungsinstitute, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Deutsche Bundesbank und das Statistische Bundesamt an.
  • 2 Der AKS erstellte erstmals bei einer Novemberschätzung auch eine Prognose für die mittlere Frist, weil beim Bund das Top-Down-Verfahren der Haushaltsaufstellung eingeführt wurde. Bei diesem Verfahren wird den einzelnen Ressorts der Budgetrahmen vom Bundesfinanzminister im Einvernehmen mit der Regierungsspitze vorgegeben. Er setzt den von der Regierung beschlossenen mittelfristigen Fiskalrahmen um und berücksichtigt dabei unter anderem die vom Kabinett definierten Prioritäten und die Ergebnisse des AKS.
  • 3 Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose prognostiziert für dieses Jahr den gleichen BIP-Anstieg wie die Bundesregierung; für das kommende Jahr legt sie einen um 0,2 Prozentpunkte geringeren Zuwachs zugrunde. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Europäische Schuldenkrise belastet deutsche Konjunktur, Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2011, Essen 2011.
  • 4 In den Jahren 2009 und 2010 wurde das Steueraufkommen unter anderem durch die Konjunkturpakete I und II, die Wiedereinführung der Pendlerpauschale und die verbesserte steuerliche Berücksichtigung von Beiträgen zur Krankenversicherung um 16,5 bzw. 25,8 Mrd. Euro gemindert. Vgl. hierzu H. Gebhardt: Steuerschätzung: Erheblich geringeres Aufkommen als bisher erwartet, in: Wirtschaftsdienst, 89. Jg. (2009), H. 6, S. 397-402.
  • 5 Die Aufkommenserwartungen für 2011 waren bereits bei beiden vorangegangenen Steuerschätzungen vom November 2010 und vom Mai 2011 nach oben revidiert worden. Vgl. hierzu H. Gebhardt: Steuerschätzung: Erheblich höheres Aufkommen als bisher erwartet, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 6, S. 385-390.
  • 6 Für das Jahr 2016, das erstmals in die Schätzung einbezogen wurde, ist naturgemäß kein Vergleich möglich.
  • 7 Zu den aus der Staatsschulden- und Vertrauenskrise resultierenden Risiken für die Konjunktur vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Europäische Schuldenkrise belastet deutsche Konjunktur, a.a.O., S. 54.
  • 8 Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Europäische Schuldenkrise belastet deutsche Konjunktur, a.a.O., S. 60.
  • 9 C. M. Reinhart, K. S. Rogoff: Growth in a Time of Debt, in: American Economic Review, 100. Jg., Mai 2010, Nr. 2, S. 573-578; C. Checherita, P. Rother: The impact of high and growing government debt on economic growth: an empirical investigation for the euro area, in: ECB Working Paper, Nr. 1237, 2010.
  • 10 Die offenen Posten der Koch-Steinbrück-Liste summieren sich auf rund 63 Mrd. Euro, vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Zögerliche Erholung – steigende Staatsschulden, Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2009, Essen 2009, S. 72 f.
  • 11 Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Aufschwung setzt sich fort – Europäische Schuldenkrise noch ungelöst, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2011, S. 54.
  • 12 Bundesfinanzminister Schäuble auf der „Pressekonferenz zur Milderung der Kalten Progression“ am 20.10.2011. http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_53848/DE/Presse/Reden-und-Interviews/20111020-PK-Steuererleichterung-Textfassung.html?__nnn=true.
  • 13 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 7.12.2011: Entwurf eines Gesetz zum Abbau der kalten Progression, http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_3380/DE/BMF__Startseite/Aktuelles/Aktuelle__Gesetze/Gesetzentwuerfe__Arbeitsfassungen/20111207-K-Progression__anl,templateId=raw,property=publicationFile.pdf.
  • 14 Zur Frage, ob ein Tarif auf Rädern diskretionären Tarifreformen überlegen ist, vgl. M. Broer: Kalte Progression in der Einkommensbesteuerung, in: Wirtschaftsdienst, 91 Jg. (2011), H. 10, S. 694-698.


DOI: 10.1007/s10273-011-1310-y