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Das Handwerk gilt in Hinblick auf den Umsatz und die Beschäftigung als Konjunkturstabilisator. Dieser Einschätzung widersprechen allerdings verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen. Welche Kräfte hier prozyklisch und welche antizyklisch wirken, lässt sich durch eine strukturdifferenzierende Analyse der Wirtschaftsgruppe besser erkennen.

Auch das deutsche Handwerk konnte sich der schweren Wirtschaftskrise 2008/2009 nicht entziehen. Nach den vorliegenden Zahlen gingen im Jahr 2009 die nominalen Umsätze im zulassungspflichtigen Handwerk gegenüber dem Vorjahr um 5,0% zurück.1 Prozentual gesehen erlebte die Handwerkswirtschaft damit sogar einen stärkeren Rückgang als das nominale Bruttoinlandsprodukt (-3,5% gegenüber 2008).2 Auf der anderen Seite wurde in der öffentlichen Diskussion zum Krisenjahr 2009 immer wieder die stabilisierende Funktion des Handwerks für die Gesamtwirtschaft betont; dies nicht zuletzt deshalb, weil sich die im Rahmen von Konjunkturumfragen festgestellte Lage vieler Handwerksbetriebe im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen deutlich stabiler darstellte.3 Das Handwerk hatte demnach offenbar – anders als die Entwicklung seines Gesamtumsatzes zunächst vermuten lässt – eine konjunkturelle Stabilisatorfunktion. Vor dem Hintergrund dieser (scheinbar) gegensätzlichen Sicht auf die Rolle des Handwerks in der jüngsten Wirtschaftskrise gewinnt die „alte“ Frage nach der Konjunkturabhängigkeit des Handwerks mit den hieraus resultierenden Implikationen hinsichtlich der volkswirtschaftlichen Funktion des handwerklich geprägten Teils der Wirtschaft wieder an aktueller Relevanz.

In der Forschung ist dies bereits vereinzelt aufgegriffen worden, meist durch eine Messung des statistischen Zusammenhangs zwischen dem gesamtwirtschaftlichen Konjunkturverlauf und der Wirtschaftslage im Handwerk.4 Im Kern der Betrachtung stand hierbei letztlich die Überprüfung der sogenannten „Stabilisatorhypothese“, wonach das kleinbetrieblich geprägte Handwerk aufgrund seiner höheren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit eher zur Stabilisierung der Konjunktur beitragen würde als Großunternehmen. Die vorliegenden empirischen Ergebnisse sprechen eher gegen diese Hypothese, da die Autoren dem Handwerk ein überwiegend prozyklisches, d.h. konjunkturverstärkendes Verhalten attestieren. Angesichts der im Rahmen der Wirtschaftskrise 2008/2009 wiederholt betonten Stabilisatorfunktion des Handwerks untersucht der vorliegende Beitrag, ob dieses Ergebnis nicht dennoch einer gewissen Differenzierung bedarf.

Die vorliegenden Forschungsarbeiten sollen daher aus verschiedenen Gründen vertieft bzw. ergänzt werden: Erstens fällt auf, dass stets das Gesamthandwerk als Untersuchungseinheit gewählt wurde. Gerade der durch die Handwerksordnung (HwO) juristisch abgrenzte Wirtschaftsbereich „Handwerk“ ist jedoch keine homogene Branche gemäß der Wirtschaftszweigsystematik. Diese Heterogenität sollte somit auch in einer Untersuchung zur etwaigen Stabilisatorfunktion des Handwerks durch eine getrennte Betrachtung von handwerklichen Gewerbegruppen berücksichtigt werden. Zweitens liegen den bisherigen Untersuchungen jährliche Werte zur Messung des langfristigen Konjunkturverlaufs im Handwerk zu Grunde. Zur Analyse von eher kurzfristigen Konjunkturschwankungen sind jedoch vor allem Quartalsdaten von Interesse, da sie die Datengrundlage um wichtige unterjährige Informationen erweitern. Die folgende Untersuchung greift daher auf vierteljährliche Daten zur Beschäftigungs- und Umsatzentwicklung im Handwerk zurück. Drittens setzt eine Beantwortung der Ausgangsfrage zumindest näherungsweise das Aufspüren von konjunkturellen Zyklen der Handwerkswirtschaft durch einen Ausschluss von anderweitigen Einflüssen voraus. Solche Einflüsse können saisonaler Natur sein oder eher mit dem längerfristigen Trend zusammenhängen, wie z.B. den strukturell bedingten Beschäftigungs- und Umsatzverlusten im Handwerk ab der Mitte der 90er Jahre. Eine Berücksichtigung der genannten Punkte im Rahmen des vorliegenden Beitrags soll die Grundlage für eine neue Antwort auf die Frage liefern, inwieweit das Handwerk tatsächlich eine konjunkturelle Stabilisatorfunktion besitzt und welche Folgerungen sich hieraus für die Wirtschaftspolitik ergeben.

Datengrundlage

Als Grundlage der Analyse dienen die vierteljährlichen Beschäftigungs- und Umsatzdaten der Handwerksberichterstattung. Das primäre Ziel dieser vom Statistischen Bundesamt seit 1960 veröffentlichten Handwerksstatistik ist eine Abbildung des konjunkturellen Verlaufs im Handwerk. Bis zum Jahr 2008 wurden hierzu die Daten im Rahmen einer vierteljährlichen Befragung von etwa 50 000 Handwerksbetrieben erhoben, wobei die Ergebnisse der verschiedenen Handwerkszählungen jeweils zur strukturellen Überprüfung und Ergänzung der erhobenen Daten herangezogen wurden. Seit 2008 wird die Primärerhebung durch eine Auswertung von unterjährigen Verwaltungsdaten ersetzt. Hierbei werden zum einen die Angaben zu den sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten aus den Meldungen zur Sozialversicherung für die Bundesagentur für Arbeit genutzt. Zum anderen fließen die Umsatzsteuervoranmeldungen der Unternehmen für die Finanzverwaltung in die statistische Erhebung mit ein.5

Seit der letzten Handwerkszählung 1995 werden vom Statistischen Bundesamt in der Handwerksberichterstattung keine Absolutzahlen über Beschäftigte und Umsatz im Handwerk mehr veröffentlicht. Stattdessen erfolgt nur eine Darstellung von Indexwerten bzw. prozentualen Veränderungen. Die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ausgewerteten Zeitreihendaten wurden daher vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) bezogen. Hierbei handelt es sich um vierteljährliche Daten über Beschäftigte und Umsatz im zulassungspflichtigen Handwerk (Anlage A HwO) im Zeitraum 1996 bis 2009, die vom ZDH auf Grundlage der Handwerksberichterstattung und der Handwerkszählung 1995 näherungsweise wieder auf ihre Absolutwerte rückgerechnet wurden. Neben dieser Aufbereitungsform besitzen die ZDH-Daten den weiteren Vorteil, dass sie eine separate Betrachtung von handwerklichen Gewerbegruppen erlauben. Angesichts der großen Heterogenität der Handwerkswirtschaft ist aus konjunkturanalytischer Sicht eine Zusammenfassung der handwerklichen Gewerbezweige in möglichst homogene Gewerbegruppen geboten. Zur Beantwortung der Ausgangsfrage wird daher nicht die konjunkturelle Entwicklung des Gesamthandwerks an sich betrachtet, sondern die Muster in der konjunkturellen Entwicklung der einzelnen handwerklichen Gewerbegruppen untersucht. Angesichts starker Unterschiede in der Umsatzentwicklung einzelner Gewerbegruppen im Jahr 2009 zeigt sich die Notwendigkeit einer entsprechend differenzierten Betrachtung sehr gut am Beispiel der jüngsten Wirtschaftskrise (vgl. Tabelle).

Umsatzentwicklung im zulassungspflichtigen Handwerk 2009
  Veränderung der Umsätze gegenüber Vorjahr in %
Zulassungs­pflichtiges Handwerk insgesamt -5,0
davon folgende Gewerbe­gruppen:  
Bauhaupt­gewerbe (z.B. Maurer, Zimmerer, Straßenbauer) -6,9
Ausbau­gewerbe (z.B. Elektrotechniker, Tischler, Glaser) -3,3
Handwerke für den gewerblichen Bedarf (z.B. Feinwerk­mechaniker, Elektromaschinen­bauer, Metallbauer) -17,7
Kraftfahrzeuggewerbe (z.B. Karosserie- und Fahrzeugbauer, Kraftfahrzeug­techniker) 1,7
Lebensmittel­gewerbe (z.B. Bäcker, Fleischer) -1,2
Gesundheits­­gewerbe (z.B. Augenoptiker, Zahntechniker) 0,9
Personen­bezogene Dienstleistungs­gewerbe (z.B. Friseure, Schornstein­feger) 0,0

Quelle: Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 110 vom 19.3.2010, „5,0% weniger Umsatz im Handwerk im Jahr 2009“, http://www.destatis.de (letzter Zugriff: 7.10.2010).

Die mit Abstand stärksten Umsatzeinbußen im zulassungspflichtigen Handwerk meldeten im Jahr 2009 die Handwerke für den gewerblichen Bedarf, worunter vor allem die handwerklichen Zulieferer der besonders krisengeschüttelten Industrie fallen (-17,7%). Im Vergleich hierzu deutlich schwächer, aber prozentual gesehen dennoch relativ stark gesunken sind zudem die Umsätze im Bauhauptgewerbe (-6,9%). Im Jahresverlauf hatte sich die konjunkturelle Lage in dieser Gewerbegruppe zwar zunehmend verbessert, zudem entfaltete das kommunale Investitionsprogramm als Teil des Konjunkturprogramms ab Herbst 2009 erste stimulierende Wirkungen. Der krisenbedingte Nachfrageeinbruch im Wirtschaftsbau schlug sich dennoch deutlich in der Jahresbilanz des Bauhauptgewerbes nieder. In den Ausbauhandwerken fiel das Krisenjahr 2009 ebenfalls negativ aus (3,3% weniger Umsätze als im Vorjahr). Dieses Ergebnis musste überraschen, da die Betriebe des Ausbaugewerbes in den Konjunkturumfragen des Jahres 2009 ihre Stimmungslage durchweg besser eingeschätzt hatten als im übrigen Handwerk. In den konsumnahen Gewerbegruppen des Handwerks verlief die Umsatzentwicklung hingegen deutlich stabiler, wozu nicht zuletzt die anregende Wirkung der Konjunkturpakete auf die Konsumbereitschaft der privaten Verbraucher beigetragen hat. Das Kraftfahrzeuggewerbe erzielte im Jahr 2009 aufgrund der „Abwrackprämie“ sogar ein Umsatzwachstum von +1,7%. Im Lebensmittelgewerbe war ein leichter Umsatzrückgang um 1,2% zu verbuchen, die Gesundheitshandwerke legten leicht zu (+0,9%) und bei den personenbezogenen Dienstleistungshandwerken stagnierte die Umsatzentwicklung auf dem Vorjahresniveau.

Methodisches Vorgehen

Insbesondere im Handwerk wird die konjunkturelle Entwicklung spätestens seit Mitte der 90er Jahre durch starke strukturelle Anpassungsprozesse überlagert.6 Eine Antwort auf die Frage, ob das Handwerk ein Stabilisator der konjunkturellen Entwicklung ist, setzt daher zumindest näherungsweise eine Betrachtung von zyklisch bedingten Ausschlägen der Handwerkswirtschaft durch einen Ausschluss von längerfristigen Entwicklungstrends voraus.

Als methodische Grundlage zur möglichst weitreichenden Bereinigung von nicht-konjunkturellen Einflüssen dient das Komponentenmodell der Zeitreihenanalyse. Es umfasst im Kern vier Bausteine: Der Trend bestimmt die längerfristige Entwicklungsrichtung einer Zeitreihe. Dagegen misst die Konjunkturkomponente zyklisch wiederkehrende Schwankungen und wird daher auch als zyklische Komponente bezeichnet. Die Saisonkomponente bildet jahreszeitliche Schwankungen ab, wohingegen die irreguläre Komponente alle restlichen (unsystematischen) Einflüsse erfasst. Es würde nun für das Vorliegen einer konjunkturellen Stabilisatorfunktion des Handwerks sprechen, wenn sich die zyklischen Komponenten der handwerklichen Umsatz- und Beschäftigungsentwicklung gegenläufig (antizyklisch) zur gesamtwirtschaftlichen Konjunkturlage verhalten oder gegebenenfalls die dortigen zyklischen Ausschläge nur geringfügig nachvollziehen würden.7

Zur Ermittlung der zyklischen Komponente wurden verschiedene methodische Schritte durchgeführt. Zunächst wurden die Zeitreihendaten mit Hilfe des „Berliner Verfahrens“ einer Saisonbereinigung unterzogen. Daraufhin erfolgte eine Trendbereinigung. Die Zeitreihendaten wurden hierzu zunächst logarithmiert. Anschließend wurde mit Hilfe des Hodrick-Prescott-Filters für Quartalsdaten (λ=1600) der HP-Trend geschätzt, der anschließend von der logarithmierten Reihe abgezogen wurde. Im Ergebnis erhält man die zyklische Komponente, eine Zeitreihe, die näherungsweise die prozentuale Abweichung der saisonbereinigten Ausgangsreihe von ihrem Trend darstellt.8 Die ermittelten zyklischen Verlaufsmuster in der Umsatz- und Beschäftigungsentwicklung des Handwerks wurden dann mit dem gesamtwirtschaftlichen Konjunkturverlauf der Jahre 1996 bis 2009 verglichen. Als entsprechende Referenzreihen dienten die zyklischen Komponenten des nominalen Bruttoinlandsprodukts und der gesamtwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit. Als „stilisierte Fakten“ wurden hierbei die Muster im zeitlichen Nebeneinander der betrachteten Reihen anhand des Korrelationskoeffizienten ρ und der Standardabweichung S beschrieben. Ersterer gibt sowohl über die Stärke des Zusammenhangs Auskunft als auch darüber, um wie viele Quartale hinsichtlich der Referenzreihe ein Vorlauf bzw. ein Nachlauf besteht.

Konjunkturmuster in der handwerklichen Umsatzentwicklung

Die Umsatzentwicklung der einzelnen Gewerbegruppen zeigt, dass sich wichtige Bereiche der Handwerkskonjunktur (Bau, Ausbau, Gewerblicher Bedarf, abgeschwächt auch Lebensmittel) im Untersuchungszeitraum prozyklisch und gleichlaufend zum Auf und Ab des Bruttoinlandsprodukts verhalten haben.9 Gemessen am Umsatz machen diese Gewerbegruppen knapp 70% des zulassungspflichtigen Handwerks aus (vgl. Abbildung). Nach den oben definierten Kriterien spricht dieser Befund eher gegen die Gültigkeit der Stabilisatorhypothese. Allerdings muss hierbei beachtet werden, dass nur bei den industrienahen Handwerken für den gewerblichen Bedarf von einem starken Zusammenhang gesprochen werden kann. Wird die strukturelle Verteilung der Umsätze im Handwerk im Jahr 2008 betrachtet, sind außerdem ca. 30% des zulassungspflichtigen Handwerks kaum konjunkturabhängig und dürften daher weit stärker durch branchenspezifische Entwicklungen geprägt sein. Das Kraftfahrzeuggewerbe hat sich z.B. im Untersuchungszeitraum mit einem leichten Vorlauf antizyklisch entwickelt. Die Gesundheitshandwerke und die Handwerke für personenbezogene Dienstleistungen weisen zudem keinen nennenswerten statistischen Zusammenhang zur Gesamtwirtschaft auf. Mit Blick auf die zyklischen Umsatzschwankungen im zulassungspflichtigen Handwerk kann daher festgehalten werden, dass sich die Handwerkswirtschaft in einen eher konjunkturabhängigen und einen eher konjunkturunabhängigen Bereich teilt, wobei Ersterer insgesamt höhere Umsätze aufweist. Diese Zweiteilung der Handwerkswirtschaft hinsichtlich des Ausmaßes der Konjunkturabhängigkeit wurde letztlich bereits am Beispiel der Wirtschaftskrise 2008/2009 deutlich (vgl. Tabelle). Hieran zeigt sich, dass eine Aussage zur etwaigen Stabilisatorfunktion des Handwerks stets differenziert ausfallen muss.

Abbildung 1
Umsatzverteilung im zulassungspflichtigen Handwerk
(Stand 2008)

Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks.

Die unterschiedliche Konjunkturabhängigkeit der einzelnen Gewerbegruppen ist dabei im Wesentlichen ein Spiegelbild der gesamtwirtschaftlichen Nachfrageentwicklung, wie sie sich am Verlauf der handwerksrelevanten Verwendungskomponenten des Bruttoinlandsprodukts zeigt. Gemessen am Umsatzanteil der entsprechenden handwerklichen Gewerbegruppen werden die Schwankungen der Handwerkskonjunktur in erster Linie von der Baunachfrage und danach in abgeschwächter Form von der privaten Konsumnachfrage bestimmt. Ein nennenswerter Einfluss auf die wirtschaftliche Lage im Gesamthandwerk geht zudem von der Nachfrage nach Ausrüstungsgütern (Handwerke für den gewerblichen Bedarf) aus. Abgesehen von indirekten Impulsen spielt demgegenüber die konjunktursensible Exportnachfrage für die Ausschläge der Handwerkskonjunktur kaum eine Rolle.10 Vor diesem Hintergrund wird die aufgezeigte Konjunkturanfälligkeit des Handwerks verständlich. Denn im Falle der privaten Investitionsnachfrage (Bau- und Ausrüstungsinvestitionen) handelt es sich um besonders schwankungsintensive Nachfrageaggregate, weshalb sie eher als Zyklusverstärker der gesamtwirtschaftlichen Konjunkturentwicklung gelten.11 Hierdurch erklärt sich wiederum die höhere Konjunkturabhängigkeit der entsprechenden handwerklichen Gewerbegruppen (Bau, Ausbau und vor allem Gewerblicher Bedarf). Der private Konsum dämpft hingegen in der Regel die konjunkturellen Ausschläge des Bruttoinlandsprodukts, weshalb die konsumnahen Gewerbegruppen des Handwerks auch eher stabilisierend wirken können. Alles in allem wird somit deutlich, dass die Betroffenheit des Handwerks von wirtschaftlichen Krisen und damit auch dessen etwaige Stabilisatorfunktion zu einem wesentlichen Teil von der Struktur der jeweils aktuellen volkswirtschaftlichen Nachfrageschwäche abhängt.

Konjunkturmuster in der handwerklichen Beschäftigungsentwicklung

Eine Untersuchung zur Stabilisatorfunktion des Handwerks sollte sich zudem nicht nur auf eine Betrachtung der Umsatzentwicklung beschränken. Gerade mit Blick auf den Arbeitsmarkt wurde in der Vergangenheit oftmals eine stabilisierende Funktion des Handwerks angenommen. In Handwerksbetrieben – so die entsprechende These – wird demnach in Krisenzeiten tendenziell länger an Beschäftigten festgehalten als in Industriebetrieben.12

In der Tat lassen sich verschiedene Argumente anführen, die für eine vergleichsweise stabile Beschäftigungsentwicklung im Handwerk sprechen. Zunächst sind soziologische Argumente zu nennen, die von einem sozial motivierten Beschäftigungsverhalten ausgehen. Aufgrund der persönlichen Arbeitsbeziehungen in inhabergeführten Kleinbetrieben ist es demnach gerade für das Handwerk charakteristisch, dass Einstellungspraktiken eher auf eine dauerhafte Beschäftigung von Mitarbeitern abzielen und krisenbedingte Entlassungen nur als letzte Auswegmöglichkeit gesehen werden. Neben persönlichen Bindungen lässt sich aber vor allem eine Reihe von ökonomisch-rationalen Argumenten anführen, die für ein stabileres Beschäftigungsverhalten in Handwerksbetrieben sprechen. Die Einstellung neuer Mitarbeiter ist für Kleinbetriebe mit hohen Transaktions- und Einarbeitungskosten (Bearbeitung von Bewerbungen, Einstellungsgespräche, Aneignung von betriebsspezifischem Wissen etc.) verbunden. Des Weiteren führt die wichtige Rolle des Humankapitals für die Handwerkswirtschaft nicht erst in Zeiten eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels dazu, dass an qualifizierten Beschäftigten möglichst lange festgehalten wird. In diesem Zusammenhang ist zudem die hohe Bedeutung des personengebundenen Erfahrungswissens für den Unternehmenserfolg im Handwerk hervorzuheben. Kündigungen in Handwerksbetrieben führen daher oftmals zu einem kritischen Know-how-Abfluss bzw. im Zuge des Stellenwechsels zu einem unerwünschten Wissenstransfer in andere Unternehmen. Nicht nur in Fällen, bei denen die Betriebe bereits in die berufliche Erstausbildung eines Beschäftigten investiert haben, wird daher auch in Krisenzeiten möglichst lange an qualifizierten Fachkräften festgehalten. Zudem ist die kleinbetrieblich geprägte Größenstruktur des Handwerks als zentraler Faktor zu sehen. Beschäftigtenverluste sind in Kleinunternehmen weniger gut zu verkraften als in Großunternehmen, da z.B. durch die Entlassung eines Mitarbeiters in einem 5-Personen-Betrieb eine deutlich größere Lücke in der Personal- und Organisationsstruktur entsteht als in einem 100-Personen-Betrieb.13

Vor diesem Hintergrund wirft ein Vergleich des zyklischen Verlaufsmusters der Handwerksbeschäftigung mit demjenigen der gesamtwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit ein neues Licht auf die Ausgangsfrage. Die Auswertungsergebnisse zeigen, dass sich im Untersuchungszeitraum wiederum vor allem die Handwerke für den gewerblichen Bedarf prozyklisch und gleichlaufend zum gesamtwirtschaftlichen Konjunkturverlauf verhalten haben. Demgegenüber wiesen verschiedene Gewerbegruppen zwar ebenfalls ein prozyklisches Beschäftigungsverhalten auf. Dieses lief den zyklischen Ausschlägen der Erwerbstätigkeit jedoch mit einem Nachlauf von zwei bis vier Quartalen hinterher, was für ein vergleichsweise beharrendes Beschäftigungsverhalten im weit überwiegenden Teil der Handwerkswirtschaft spricht. Bei den Gesundheitshandwerken war darüber hinaus sogar ein antizyklisches Verhalten im Untersuchungszeitraum feststellbar. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft weist somit der Großteil des Handwerks ein eher beharrendes Beschäftigungsverhalten auf. In der Summe halten offenbar viele Handwerksbetriebe auch in konjunkturell schlechten Zeiten so lange wie möglich an ihren Mitarbeitern fest.14 Dieser Befund spricht für eine konjunkturelle Stabilisatorfunktion des Handwerks im Bereich des Arbeitsmarkts.

Fazit

Auf Grundlage der vorangegangen Ausführungen erklärt sich zunächst die Lage des Handwerks in der Wirtschaftskrise 2008/2009: Die Gesamtwirtschaft wurde in der Krise vor allem durch einen Exporteinbruch sowie durch deutliche Rückgänge der Nachfrage nach Ausrüstungsgütern und gewerblichen Bauten in Mitleidenschaft gezogen. Abgesehen davon blieb die Binnennachfrage – auch aufgrund erheblicher konjunkturpolitischer Eingriffe – weitgehend stabil.15 Die Handwerkswirtschaft wiederum ist insgesamt gesehen kaum exportabhängig. Des Weiteren spielen die vom Einbruch der Export- und Ausrüstungsnachfrage des Krisenjahrs 2009 besonders stark betroffenen Handwerke für den gewerblichen Bedarf für die Ausschläge der Handwerkskonjunktur eine weniger große Rolle als andere Handwerksbereiche. Die konjunkturelle Lage stellte sich daher in weiten Teilen des binnenmarktorientierten Handwerks vergleichsweise stabil dar.

Zusammengefasst lässt sich die Ausgangsfrage nach der konjunkturellen Stabilisatorfunktion des Handwerks folgendermaßen beantworten: Gemessen an der Umsatzentwicklung besitzt das Handwerk keine generelle Stabilisatorfunktion. In Abhängigkeit vom Charakter der jeweils aktuellen konjunkturellen Gesamtkonstellation kann ein solches Phänomen jedoch durchaus begünstigt werden. Die diesbezüglichen Grundvoraussetzungen sind eine stabile Entwicklung der Inlandsnachfrage und die geringe Exportabhängigkeit des Handwerks. Ist die Konjunktursituation aufgrund einer schwachen Binnennachfrage ungünstig, wie z.B. im Zeitraum 2002 bis 2005, kann das Handwerk aber auch als Krisenverstärker wirken. Vor allem die konjunkturellen Bewegungen im Bausektor und in abgeschwächter Form diejenigen im Konsumgüterbereich bestimmen dabei, ob das Handwerk stabilisiert oder nicht. Demgegenüber spricht ein relativ beharrendes Beschäftigungsverhalten eines Großteils der Handwerkswirtschaft dafür, dass das Handwerk im Bereich des Arbeitsmarkts eine konjunkturelle Stabilisatorfunktion besitzt.

Implikationen der Untersuchung

Es wurde deutlich, dass das Handwerk nur dann als Konjunkturstabilisator wirken kann, wenn sich die Inlandsnachfrage entsprechend stabil entwickelt. Dies zeigt zunächst, wie wichtig aus Sicht des Handwerks konkrete Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarkts sind. Gleichwohl dürfte die deutsche Wirtschaft auch zukünftig nicht umhin können, auf die Export- und Weltmarktorientierung als wichtigen Wachstumstreiber zu setzen. Eine etwaige Stabilisatorfunktion des kaum exportabhängigen Handwerks dürfte daher auch zukünftig bedeuten, dass die Handwerkswirtschaft von wichtigen Wachstumsbereichen der deutschen Volkswirtschaft weitgehend abgekoppelt bleibt. In den Betrieben und Organisationen des Handwerks sollten daher die Wogen der Weltkonjunktur stärker als bisher als lohnenswerte Chance begriffen werden. Dies kann zum einen durch eine unmittelbare Ausweitung der handwerklichen Auslandsgeschäfte geschehen.16 Hinsichtlich der indirekten Exportimpulse wäre zum anderen eine stärkere Einbindung des Handwerks in die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfungskette wichtig.

Das beharrende Beschäftigungsverhalten eines Großteils des Handwerks zeigt hingegen, dass die Handwerkswirtschaft eine wichtige konjunkturelle Stabilisatorfunktion im Bereich des Arbeitsmarkts einnimmt. Bei Bedarf sollten daher die Handwerksbetriebe durch geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen in die Lage versetzt werden, ihre Beschäftigten auch in konjunkturell schwierigen Zeiten möglichst lange zu halten.17 Darüber hinaus setzt die Erfüllung einer solchen Funktion die Sicherstellung des Personalangebots voraus. Damit das Handwerk daher zukünftig in Zeiten des verschärften Fachkräftemangels eine beschäftigungsstabilisierende Funktion ausüben kann, sind entsprechende Anstrengungen seitens der Betriebe, der Handwerksorganisationen und der Politik gefragt.

Der Artikel basiert auf J. Thomä: Die Konjunkturabhängigkeit des Handwerks – am Beispiel der Wirtschaftskrise 2008/2009, Deutsches Handwerksinstitut (DHI), Göttinger Handwerkswirtschaftliche Arbeitshefte, H. 64, Göttingen 2010.

  • 1 Vgl. Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 110 vom 19.3.2010, „5,0% weniger Umsatz im Handwerk im Jahr 2009“, http://www.destatis.de (letzter Zugriff: 7.10.2010).
  • 2 Da die Handwerksumsätze nur in nominaler (d.h. nicht-preisbereinigter) Form vorliegen, wird das nominale Bruttoinlandsprodukt als Vergleichsmaßstab herangezogen.
  • 3 Vgl. Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH): Kein Einbruch der Handwerkskonjunktur – Aber starke Verlangsamung und gedämpfte Erwartungen, in: Konjunkturbericht 1/2009, ZDH, Berlin; Zentralverband des Deutschen Handwerks: Handwerkskonjunktur spürbar belebt – Starke Unterschiede zwischen den Branchen, in: Konjunkturbericht 2/2009, ZDH, Berlin; Institut der deutschen Wirtschaft Köln: Handwerk – Fast ohne Schrammen durch die Krise, in: Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln, 36. Jg. (2010), H. 17, S. 4-5.
  • 4 Vgl. K.-H. Schmidt: Die Konjunkturabhängigkeit des Handwerks, in: K. Aßmann, K.-H. Schmidt (Hrsg.): Die Konjunkturabhängigkeit der Klein- und Mittelbetriebe, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Nr. 26, Göttingen 1975, S. 1-171; H.-J. Momm: Konjunkturprognosen im Handwerk. Systeme der Früherkennung von Konjunkturbetroffenheiten in ausgewählten Handwerkszweigen, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Nr. 32, Göttingen 1983, S. 27 ff.; W. Dürig, B. Lageman, M. Rothgang, L. Trettin, F. Welter: Determinanten des Strukturwandels im deutschen Handwerk, Band 1, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, Essen 2004, S. 66 ff.
  • 5 Vgl. K. Müller: Statistische Datenquellen für das Handwerk, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Nr. 81, Duderstadt 2010, S. 13 ff.
  • 6 Vgl. B. Lageman, W. Dürig, L. Trettin: Determinanten des Strukturwandels im Handwerk, in: Bundesarbeitsblatt, H. 7 (2005), S. 4-16; P. Weiss: Strukturwandel im Handwerk, in: F. Welter: Dynamik im Unternehmenssektor: Theorie, Empirie und Politik, Berlin 2005, S. 105-129.
  • 7 Vgl. W. Dürig, B. Lageman, M. Rothgang, L. Trettin, F. Welter, a.a.O., S. 82.
  • 8 Zur Methodik vgl. A. Maußner: Konjunkturtheorie, Berlin 1994, S. 7 ff.
  • 9 Der Vergleich zwischen Handwerksumsätzen und dem BIP ist mit zwei methodischen Problemen verbunden. Erstens ist die grundsätzliche Vergleichbarkeit aufgrund einer unterschiedlichen Berücksichtigung der Vorleistungen nicht unproblematisch. In der Entstehungsrechnung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird das BIP u.a. durch einen Abzug der Vorleistungen vom Bruttoproduktionswert errechnet. Dies wäre somit besser vergleichbar mit den nicht von Vorleistungen bereinigten Handwerksumsätzen. Angesichts des in etwa gleichgerichteten Verlaufs von BIP und Bruttoproduktionswert ist der vorgenommene Vergleich jedoch dennoch möglich. Zweitens liegt kein geeigneter Preisindex für Produkte und Leistungen des Handwerks vor, weshalb in der vorliegenden Untersuchung auf die Verwendung von realen Größen verzichtet werden musste. Vgl. K. Müller, K.-D. Koschmieder u.a.: Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk. Eine Analyse im Zeichen des demografischen Wandels, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Nr. 78, Duderstadt 2009, S. 109, Fußnote 128 zum Problem der Preisbereinigung von Handwerksumsätzen.
  • 10 Nach vorliegenden Schätzungen betrug der Exportanteil am Gesamtumsatz des Handwerks im Jahr 2006 nur 3,5%. Die Handwerke für den gewerblichen Bedarf (vor allem Feinwerkmechaniker) waren dabei am stärksten international tätig. Vgl. K. Müller: Auslandsgeschäfte im Handwerk, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Nr. 76, Duderstadt 2008, S. 60 ff.
  • 11 Vgl. J. Pätzold, D. Baade: Stabilisierungspolitik, 7. Aufl., München 2008, S. 49 ff.
  • 12 Vgl. J. Dispan: Regionale Strukturen und Beschäftigungsperspektiven im Handwerk: Regionalanalyse, Entwicklungstrends, Herausforderungen, regionalpolitische Handlungsfelder, Umsetzungsansätze in der Region Stuttgart, in: IMU-Informationsdienst, H. 4, München 2003, S. 120.
  • 13 Vgl. W. Dürig, B. Lageman, M. Rothgang, L. Trettin, F. Welter, a.a.O., S. 68 ff.
  • 14 Das konservative Beschäftigungsverhalten der Handwerksbetriebe führt auch dazu, dass Neueinstellungen in konjunkturellen Aufschwungphasen eher zögerlich erfolgen.
  • 15 Zur Lage der deutschen Volkswirtschaft im Jahr 2009 vgl. ifo Schnelldienst: Im Sog der Weltrezession. Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr, 62. Jg. (2009), H. 8, S. 29 ff.; Zögerliche Belebung – steigende Staatsschulden. Gemeinschaftsdiagnose Herbst, in: ifo Schnelldienst, 62. Jg. (2009), H. 20, S. 27 ff.
  • 16 Wie eine Untersuchung des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk Göttingen zeigt, besteht in der Handwerkswirtschaft noch ein erhebliches Exportpotenzial. Vgl. K. Müller: Auslandsgeschäfte im Handwerk, a.a.O., S. 33 ff. und S. 63 f.
  • 17 Die auch für Handwerksbetriebe erleichterte Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Kurzarbeitergeldes im Rahmen des zweiten Konjunkturpakets kann z.B. als entsprechende Maßnahme gewertet werden.


DOI: 10.1007/s10273-011-1193-y