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Die Schuldenkrise der Euro-Länder hat schlaglichtartig die erheblichen finanzpolitischen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten verdeutlicht. Viele der damit verbundenen Konflikte und Probleme wären möglicherweise zu entschärfen, wenn die EU mehr Kompetenzen im fiskalischen Bereich erhielte. Dies wird von den Ökonomen aus verschiedenen Gründen aber mehrheitlich abgelehnt.

Steuerharmonisierung ist kontraproduktiv für die Bewältigung der Schuldenkrise in Europa

Mit ihrem Vorstoß für einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit in Europa zielt die Bundesregierung darauf ab, durch wirtschaftspolitische Koordination zwischen den Ländern der Eurozone die Schuldenprobleme in der EU zu bewältigen. Die Wettbewerbsfähigkeit der hoch verschuldeten Länder soll dadurch gesteigert werden, dass Unterschiede in der Lohnpolitik, der Steuerpolitik und der Haushaltsführung reduziert werden. Ökonomisch gut begründet ist die Vorstellung, dass mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, die Bewältigung der Schuldenkrise in manchen Ländern behindert. Auch ein gehärteter Stabilitäts- und Wachstumspakt kann zu einer besseren Haushaltspolitik in diesen Ländern beitragen. Problematisch wird ein solcher Pakt hingegen dann, wenn die Bedingungen für die Länder mit hoher Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert werden.

Der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit

Dass auch eine Steuerharmonisierung in diesem Pakt vorgesehen ist, muss hingegen als Versuch Deutschlands (und Frankreichs) interpretiert werden, die finanzpolitische Attraktivität der Niedrigsteuerländer in der EU zu mindern. Die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen würde wohl eher reduziert, wenn sie ihre im Vergleich zu Deutschland und Frankreich niedrigere Steuerbelastung anheben müssten. Der vor allem von Deutschland so beworbene Pakt für Wettbewerbsfähigkeit entlarvt sich an dieser Stelle als das, was Frankreich darunter verstehen möchte: Eine Wirtschaftsregierung, die durch Koordinierung der Wirtschaftspolitik unliebsamen Wettbewerbsdruck von der deutschen und französischen Regierung nimmt.

Die einfache Sicht der Dinge

Die Koordination der Steuerpolitik stellt im Zusammenhang mit der Schuldenkrise in der Eurozone vor allem auf Irland ab. Irland hat mit 12,5% eine der niedrigsten Körperschaftsteuerbelastungen in der EU. Warum sollte man die Iren nicht dazu anhalten, ihre Körperschaftsteuersätze zu erhöhen, um dadurch ihre Haushaltslage zu verbessern? Weil dies zu kurz gesprungen ist. Leider bedeuten höhere Steuersätze nicht notwendigerweise höhere Steuereinnahmen. Die niedrige Gewinnsteuer ist Irlands Markenzeichen. Investoren könnten dem Land daher den Rücken kehren. Letztlich wäre für die Konsolidierung des irischen Haushalts nichts gewonnen, wenn die Steuerbasis zu stark schrumpfen würde.

Auch die Befürworter des Steuerwettbewerbs machen es sich zu einfach. Weil Wettbewerb zwischen privaten Anbietern in aller Regel zu einem effizienten Marktergebnis führt, muss der Wettbewerb zwischen Staaten nicht notwendigerweise ebenso gut funktionieren. Die wohlwollende ökonomische Sicht des Steuerwettbewerbs lässt sich mit der Analyse Charles Tiebouts verbinden.1 Danach bieten Gebietskörperschaften ein Bündel von öffentlichen Leistungen zu entsprechenden Steuerpreisen an. Die mobilen Produktionsfaktoren wandern in diejenige Gebietskörperschaft, in der sie die von ihnen gewünschten öffentlichen Leistungen kostengünstig erhalten. Im Gleichgewicht resultiert eine effiziente öffentliche Leistungserstellung. Öffentliche Güter sind in großer Varietät erhältlich. Eine möglichst dezentrale Bereitstellung und Finanzierung öffentlicher Leistungen wäre dann optimal.

Diese Verheißung des Steuerwettbewerbs hängt jedoch von mehr oder weniger restriktiven Annahmen ab. Insbesondere sollten die Konsumenten öffentlicher Leistungen, die Steuerzahler und diejenigen, die über Steuern und Staatstätigkeit entscheiden, kongruente Personenkreise sein. Fallen Steuerzahler, Nutznießer und Entscheidungsträger auseinander, so treten Externalitäten auf. Dies gilt etwa für regionale Nutzenspillovers, wenn die Bewohner eines Landes steuerfinanzierte öffentliche Leistungen in einem anderen Land nutzen. Nutzenspillovers treten auch bei Unternehmen auf, etwa wenn ein international tätiger Konzern vom sozialen Frieden in Deutschland profitiert, im Wesentlichen aber Steuern in Irland zahlt. Die daraus folgende Leistungserstellung ist ineffizient. Hingegen ist auch Steuerexport möglich, wenn Kostenträger und Konsumenten von öffentlichen Leistungen auseinander fallen. So können Länder die Finanzierung öffentlicher Leistungen externalisieren, wenn der Steuerzahler im Ausland lebt. Ein klassisches Beispiel des Steuerexports sind die Ressourcensteuern in den USA. Die Rohölförderung in Alaska wird dort besteuert, aber von den Ölkonzernen auf die Kunden in den gesamten USA oder sogar weltweit überwälzt. Die Staatstätigkeit ist in der Folge ineffizient hoch. Solch ineffizienten Steuerexport findet man auch im Falle international tätiger Konzerne, die sich im Streubesitz befinden.

Problematisch ist Steuerwettbewerb vor allem, weil staatliche Eingriffe durch Marktversagen begründet sind (sein sollten). Wenn der Staat in diesem Sinne tut, was er soll, – Hans-Werner Sinn nennt dies das Selektionsprinzip – dann wird das Marktversagen möglicherweise durch die Hintertür wieder eingeführt.2 Stellt der Staat öffentliche Güter bereit, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann und bei denen ein weiterer Konsument keine Konsumschmälerung der bereits vorhandenen Konsumenten herbeiführt, so können den mobilen Produktionsfaktoren im Steuerwettbewerb nur die Grenzkosten ihrer Nutzung angelastet werden. Deckungsbeiträge für die Fixkosten der Bereitstellung zahlen sie nicht. Entweder führt dies zu einer Unterversorgung mit öffentlichen Gütern oder die immobilen Faktoren übernehmen höhere Steuerzahlungen. Es kommt zu ungünstigen Verteilungseffekten, wenn die immobilen Faktoren vor allem unqualifizierte Arbeitskräfte sind.

Die Verteilungseffekte, die aus dem fiskalischen Wettbewerb resultieren können, sind aber möglicherweise schon für sich genommen problematisch. Länder bieten mit ihrem Steuer-Transfer-System Wanderungsanreize. Personen mit hohem Einkommen haben einen Anreiz, in Länder mit niedriger Steuerbelastung und geringen Transfers zu wandern – ceteris paribus. Transferempfänger haben den Anreiz, in Länder mit einem generösen Wohlfahrtsstaat zu ziehen – ceteris paribus. Dezentrale Einkommensumverteilung wird erschwert. Nun ist die Mobilität natürlicher Personen in der EU nicht so groß, dass dieser Anreiz schon zu Verwerfungen geführt hätte. Gleichwohl bleibt der Druck auf den Wohlfahrtsstaat bestehen. In der politischen Diskussion um den Steuerwettbewerb findet sich zudem das Argument, fiskalischer Wettbewerb führe dazu, dass arme Regionen ärmer und reiche Regionen reicher würden. Je mehr gute Steuerzahler eine Region habe, desto niedriger könne die Steuerbelastung dort sein. Arme Regionen müssten hingegen hohe Steuern erheben, um ihre Infrastruktur finanzieren zu können. Dies würde zur Wanderung „guter Steuerzahler“ in die wirtschaftsstarken Regionen führen.

Der Schein trügt

Leider springt auch die Kritik am Steuerwettbewerb zu kurz. So ist in aller Regel nicht davon auszugehen, dass der Staat tut, was er soll. Das Sinn'sche Selektionsprinzip ist nicht gültig. Aus polit-ökonomischen Gründen weichen steuerpolitische Entscheidungen von den Wünschen der Bürger ab. Es kann zu einer übermäßig hohen Besteuerung kommen. Der Steuerwettbewerb fungiert dann als Korrektiv für Defekte des politischen Systems. Dezentrale Leistungserstellung und -finanzierung eröffnet zudem Experimentierfelder. Politische Innovationen, etwa eine Steuerreform, lassen sich dezentral zu niedrigeren Kosten ausprobieren, weil nicht gleich das ganze Land bei einem Fehlschlag davon betroffen ist. Erfolgreiche Reformen lassen sich in anderen Gebietskörperschaften imitieren und adaptieren. Der Steuerwettbewerb steigert die dynamische Effizienz des öffentlichen Sektors.

Im Hinblick auf die regionale Wirtschaftsentwicklung ist zudem eher davon auszugehen, dass Steuerwettbewerb hilfreich ist. Die regionale Verteilung der Wirtschaftskraft folgt dem Zusammenspiel mehrerer Kräfte. Transportkosten, steigende Skalenerträge in der Produktion und Agglomerationsvorteile bewirken eine Konzentration der Wirtschaftstätigkeit in Agglomerationszentren. Während die Peripherie diesen wirkmächtigen ökonomischen Kräften kaum etwas entgegen zu setzen hat, werden die Staaten, die auf solche Agglomerationen zugreifen können, durch höhere Steuerbelastungen an den Agglomerationsrenten beteiligt. Niedrige Steuerbelastungen können als eine der wenigen Möglichkeiten zur Kompensation von Standortnachteilen in der Peripherie angesehen werden. Gerade Irland wird in der EU als beispielhafter Beleg für diese These angesehen.

Empirische Ergebnisse

Die Argumente für und gegen den Steuerwettbewerb lassen kein eindeutiges Urteil zu. Im Grunde erlauben die vorliegenden empirischen Ergebnisse ein solches Urteil zwar auch nicht. Sie beleuchten gleichwohl die Komplexität des Phänomens und streiten damit letztlich für eine Abkehr von einfachen Lösungen. Zunächst lässt sich feststellen, dass die Existenz des Steuerwettbewerbs durch eine Vielzahl von empirischen Studien belegt wird. Regierungen verhalten sich strategisch und versuchen, durch ihre Steuerpolitik mobile Steuerzahler anzuziehen. Mobile Steuerzahler, vor allem Unternehmen, reagieren offenbar auf die daraus resultierenden Steuerbelastungsunterschiede. In einer Metaanalyse der empirischen Studien zum Einfluss von Steuern auf die Standortwahl lassen sich relativ elastische Reaktionen mit Elastizitäten zwischen 1,2 und 2,5 ermitteln.3 Die Finanzierungsentscheidungen von Unternehmen sind hingegen weniger stark durch steuerliche Überlegungen getrieben. Hier stellt eine erste Metaanalyse relativ unelastische Reaktionen fest.4 Am meisten diskutiert wird der Einfluss von Steuern auf die Setzung von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen. Gelingt es der Tochtergesellschaft eines Konzerns im Niedrigsteuerland, der Mutter im Hochsteuerland übermäßig hohe Verrechnungspreise anzulasten, und sehen sich beide Länder durch ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Freistellung der Gewinne im Ausland verbunden, so kann ein Konzern steueroptimierend Gewinne ins Ausland verlagern. Allererste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Reaktion von Verrechnungspreisen auf Steuern zwar ebenfalls elastisch ist, aber dennoch niedriger als bei der Standortentscheidung ausfällt.

Für die ökonomische Beurteilung des Steuerwettbewerbs ist jedoch nicht die Existenz von Steuerwettbewerb entscheidend, sondern ob seine Auswirkungen eher ungünstig oder günstig sind. Eine ganze Reihe von Studien belegt die Existenz von Externalitäten im fiskalischen Wettbewerb. Da sich Externalitäten (Nutzen- und Kostenspillovers, fiskalische Externalitäten) potentiell kompensieren können, reicht dieser Befund jedoch für sich genommen nicht aus. Vor allem muss mitberücksichtigt werden, ob fiskalischer Wettbewerb dazu führt, dass sich die staatliche Leistungserstellung an den Wünschen der Steuerzahler orientiert. Studien zum fiskalischen Wettbewerb in Föderalstaaten, die vor allem auf das staatliche Bildungssystem abstellen, kommen zu dem Schluss, dass Dezentralisierung und fiskalischer Wettbewerb zu Effizienzsteigerungen führen.5 Auch im Hinblick auf die Einkommensumverteilung ist es notwendig, Evidenz aus Staaten mit Wettbewerbsföderalismus heranzuziehen. Demnach übt Steuerwettbewerb zwar einen Druck auf die Staatstätigkeit aus, insbesondere sind die Sozialausgaben aufgrund des Steuerwettbewerbs geringer. Allerdings hat Steuerwettbewerb keinen ungünstigen Einfluss darauf, wie sehr die Verteilungsdifferenz zwischen Einkommensbeziehern reduziert wird.6 Dies spricht dafür, dass der Steuerwettbewerb den Staat zu mehr Zielgenauigkeit bei der Einkommensumverteilung zwingt. Zur Frage des Einflusses des Steuerwettbewerbs auf das Wirtschaftswachstum liegt nur gemischte internationale Evidenz vor. Für OECD-Länder lässt sich kein robuster Effekt feststellen, was allerdings auch mit einer Reihe von Messproblemen zu tun hat.7 Für Föderalstaaten findet sich hingegen ein positiver Effekt des Steuerwettbewerbs auf die wirtschaftliche Performanz.8

Verschlechterung durch Harmonisierung?

Obwohl die empirische Evidenz grosso modo für den Steuerwettbewerb spricht, werfen manche seiner Ausprägungen die Frage auf, ob eine Koordination oder eine gewisse Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung nicht doch zu besseren Resultaten führt. Schließlich verschiebt die steuerlich motivierte Gewinnverlagerung zwischen Unternehmensteilen nur Steuersubstrat in die Niedrigsteuerländer. In diesem Fall ist es nicht die Standortverlagerung ins Ausland, bei der öffentliche Leistungen zu bestimmten Steuerpreisen in Anspruch genommen werden. Zudem werden dadurch möglicherweise problematische Wirtschaftsstrukturen im steuergünstigen Ausland gefördert. Steueroptimierung über Verrechnungspreise lässt sich besonders gut über die Finanzierungsfunktion erreichen. Hat sich Irland nicht gerade durch seine Konzentration auf den Finanzsektor die heutigen Probleme eingehandelt?

Darüber lässt sich streiten. Jedenfalls müsste ein Vorschlag zur Steuerharmonisierung unterbreitet werden, der zu besseren Ergebnissen zu führen verspricht. In der EU wird über eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen der Körperschaftsteuern diskutiert, die das Problem steuerlich motivierter Verrechnungspreise und Gewinnverlagerung lösen soll. Die gemeinsame Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage in der EU erfordert die Konsolidierung im international tätigen Konzern. Dabei wird der Gewinn des Konzerns insgesamt nach einheitlichen Vorschriften ermittelt. Dies hat Vorteile für die Unternehmen. Sie müssen sich nur an einer Gewinnermittlungsvorschrift ausrichten und sparen dadurch Transaktionskosten, die nicht gering zu veranschlagen sind. Zudem haben die Unternehmen die Möglichkeit, die Verlustverrechnung über die Grenze weitgehend zu betreiben. Dies ist in diesem Umfang heute nicht möglich. Steuerlich motivierte Verrechnungspreise dürften bei diesem System ebenfalls kaum mehr Probleme bereiten.

Allerdings führt eine gemeinsame Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage in der EU bei Beibehaltung unterschiedlicher Steuersätze zu anderen Problemen. So wird der Steuerwettbewerb intensiver, weil er sich auf die Sätze konzentriert. Jedes Land will gemäß seinen Steuersätzen zudem seine Steuereinnahmen sichern. Dies wird sichergestellt, indem der zuvor konsolidierte Gewinn des Konzerns durch eine Formelzerlegung den Ländern zugeordnet wird. Als Indikatoren in der Formel können Lohnsumme oder Eigenkapitalgrößen verwendet werden. Dies führt für sich genommen aber wiederum zu Verzerrungen. Konzerne erhalten etwa einen Anreiz, Beschäftigung ins steuergünstige Ausland zu verlagern, wenn die Lohnsumme ein Indikator in der Zerlegungsformel ist. Schließlich wird auch die Steuergestaltung der Konzerne nicht unterbunden. Während sie heute an den Finanzierungsgesellschaften im steuergünstigen Ausland in der Regel zu 100% beteiligt sind, haben sie bei Existenz einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage den Anreiz, einen Minderheitsaktionär an Bord zu holen. An der Schnittstelle zum Minderheitsaktionär bieten sich bei der Bilanzierung neue Gestaltungsmöglichkeiten. Die gemeinsame Bemessungsgrundlage führt zu Verzerrungen in der Eigentümerstruktur.

Fazit

So unangenehm der Steuerwettbewerb für Länder wie Deutschland oder Frankreich ist, so wenig empfiehlt es sich, weit reichende Harmonisierungsschritte zu unternehmen. Der Druck durch Steuerwettbewerb kann heilsam sein. Steuerwettbewerb bietet Chancen für strukturschwache Regionen. Die derzeit diskutierten Harmonisierungsmaßnahmen führen schließlich kaum zu Verbesserungen, sondern zu neuen Verzerrungen. Dass dies die Wettbewerbsfähigkeit in Europa steigert, kann bezweifelt werden.

  • 1 Siehe dazu C.M. Tiebout: A Pure Theory of Local Expenditures, in: Journal of Political Economy, Vol. 64 (1956), S. 416-424.
  • 2 Siehe dazu H.-W. Sinn: The New Systems Competition, Oxford 2003.
  • 3 Siehe dazu L.P. Feld, J.H. Heckemeyer: FDI and Taxation: A Meta-Study, erscheint in: Journal of Economic Surveys, Vol. 25 (2011), H. 2.
  • 4 Siehe dazu L.P. Feld, J.H. Heckemeyer, M. Overesch: Capital Structure Choice and Company Taxation: A Meta-Study, unveröffentlichtes Manuskript, Universität Freiburg, ZEW Mannheim 2011.
  • 5 Siehe dazu T.C. Bergstrom, J.A. Roberts, D.L. Rubinfeld, P. Shapiro: A Test for Efficiency in the Supply of Public Education, in: Journal of Public Economics, Vol. 35 (1988), S. 289-307; C.M. Hoxby: Does Competition among Public Schools Benefit Students and Taxpayers?, in: American Economic Review, Vol. 90 (2000), S. 1209-1238; I. Barankay, B. Lockwood: Decentralization and the Productive Efficiency of Government: Evidence from Swiss Cantons, in: Journal of Public Economics, Vol. 91 (2007), S. 1197-1218.
  • 6 Siehe dazu L.P. Feld, G. Kirchgässner, C.A. Schaltegger: Decentralized Taxation and the Size of Government: Evidence from Swiss State and Local Governments, in: Southern Economic Journal, Vol. 77 (2010), S. 27-48; L.P. Feld, J. Fischer, G. Kirchgässner: The Effect of Direct Democracy on Income Redistribution: Evidence for Switzerland, in: Economic Inquiry, Vol. 48 (2010), S. 817-840.
  • 7 Siehe dazu L.P. Feld, T. Baskaran: Fiscal Decentralization and Economic Growth in OECD Countries: Is There a Relationship?, CESifo Working Paper, Nr. 2721, Juli 2009.
  • 8 Siehe dazu N. Akai, M. Sakata: Fiscal Decentralization Contributes to Economic Growth: Evidence from State-Level Cross-Section Data for the United States, in: Journal of Urban Economics, Vol. 52 (2002), S. 93-108; D. Stansel: Local Decentralization and Local Economic Growth: A Cross-Sectional Examination of US Metropolitan Areas, in: Journal of Urban Economics, Vol. 57 (2005), S. 55-72; L.P. Feld, G. Kirchgässner, C.A. Schaltegger: Fiskalischer Föderalismus und wirtschaftliche Entwicklung: Evidenz für die Schweizer Kantone, in: Jahrbuch für Regionalwissenschaft/Review of Regional Research, 25. Jg. (2005), S. 3-25.

Die fehlende Fiskalunion – ein Geburtsfehler der Währungsunion?

Für viele Ökonomen gilt es als entscheidender Fehler der Europäischen Währungsunion, dass mit ihr nicht zugleich eine gemeinsame Finanzpolitik begründet wurde. Dieser Vorwurf leuchtet auch unmittelbar ein, wenn man z.B. an die Budgetpolitik, also an die Bildung von Haushaltsdefiziten oder -überschüssen denkt. Geldpolitik und Budgetpolitik können durchaus konträre Wirkungen auslösen; eine auf die Eindämmung von Konjunkturüberhitzungen bedachte Geldpolitik mag von einer expansiven Budgetpolitik konterkariert werden. Auch könnten stark verschuldete Mitgliedstaaten die Europäische Zentralbank unter einen erheblichen Druck setzen, wenn diese aus Gründen ihrer auf Stabilität bedachten Geldpolitik einen Zinsanstieg anstrebt.

Die aktuelle Finanzkrise scheint den „Geburtsfehler“ der Europäischen Währungsunion dramatisch zu bestätigen: Hochverschuldete Mitgliedstaaten bedürfen der Hilfe der Zentralbank, die sie ihnen auch leistet, wenn sie durch Ankäufe von Staatspapieren deren Kurse stabilisiert und damit möglicherweise weitere Zinserhöhungen verhindert. Die Europäische Gemeinschaft sowie einzelne Mitgliedstaaten der Währungsunion schnüren gewaltige Finanzierungspakete zu Gunsten der in finanzielle Bedrängnis geratenen Mitgliedstaaten, um – wie die Verantwortlichen immer wieder betonen –„den Euro zu retten“. Kein Wunder, dass gerade jetzt erneut der Ruf laut wird, auch die Finanzpolitik zur Gemeinschaftsaufgabe zu machen und gewissermaßen die Währungsunion durch eine Fiskalunion zu ergänzen. Zwei der in diesem Zusammenhang zu beantwortenden Fragen sei im Folgenden nachgegangen:

  1. Ist die aktuelle Finanzkrise tatsächlich ein Beleg für die Notwendigkeit einer Fiskalunion?
  2. Welche möglichen Schritte zu einer Fiskalunion könnten eingeschlagen werden?

Finanzkrise als Beleg für die Notwendigkeit der Fiskalunion?

Eines ist sicherlich nicht zu bestreiten: Gäbe es keine hoch verschuldeten Mitgliedstaaten, könnte die EZB nicht gedrängt werden, Staatspapiere zu stützen. Auch bedürfte es keiner Rettungspakete zu Gunsten überschuldeter Mitgliedstaaten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Rettungspakete und Stützungskäufe wirklich das sind, als was sie geführt werden, nämlich solidarische Aktionen zu Gunsten in Not geratener Mitgliedstaaten und des Euro.

Man erinnere sich: Deutsche Rettungsschirme wurden schon gespannt, als von staatlichen Schuldenkrisen noch gar keine Rede war. Es waren die im Zuge der Lehman-Pleite in Not geratenen Banken, die es wegen ihrer „Systemhaftigkeit“ zu retten galt. Ob berechtigt oder nicht: die Sorge vor dem Zusammenbruch auch deutscher Banken hat die Verantwortlichen zu gewaltigen, in dieser Höhe nie zuvor erlebten Hilfsmaßnahmen bewogen. Vieles spricht dafür, dass es die gleichen Sorgen sind, die letztlich auch die erwähnten europäischen Rettungsaktionen vorantrieben. Im deutsch-französischen Schulterschluss wurden die Hilfspakete geschnürt und die EZB zum Ankauf notleidender Staatspapiere gedrängt. Dazu passt, dass es vor allem deutsche und französische Banken sind, die bei eventuellen Zahlungsschwierigkeiten der notorischen Schuldnerstaaten Vermögensverluste erleiden würden. Keiner vermag zu sagen, wohin die Kredite dieser Banken geflossen wären, wenn mit den verschuldungsbereiten Mitgliedstaaten keine willigen Kreditnehmer zur Verfügung gestanden hätten. Die Lehman-Zertifikate oder die privaten Baukredite in Spanien geben aber Hinweise auf mögliche Alternativen, nämlich nicht minder riskante Anlagen in anderen Bereichen, nicht zuletzt aber auch in Staatspapieren von Ländern, die nicht der Europäischen Währungsunion angehören.

Warum es zum „bail out“ kam

Was Befürworter und Kritiker des Euro gemeinsam übersehen haben: Es ist am Ende nicht nur die fehlende Haushaltsdisziplin einzelner Mitgliedstaaten, sondern insbesondere die disziplinlose Kreditvergabe europäischer Banken, die den Weg in die „Transferunion“ bereitet haben. Die No-Bailout-Klausel fiel ins Leere,1 nicht weil die Europäische Währungsunion bzw. ihre stärkeren Mitglieder die in Not geratenen Mitgliedstaaten nicht würden hängen lassen können. Man darf getrost davon ausgehen, dass eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands oder gar dessen drohendes Ausscheiden aus der Währungsunion für sich genommen kaum irgendwelche kollektiven Rettungsaktionen ausgelöst hätten. Die No-Bailout-Klausel wäre vermutlich zur Anwendung gekommen. Aber die Folgen für den europäischen Finanzsektor wären unabsehbar und letztlich nicht tragbar gewesen, zumal durch die vorangegangene Lehman-Pleite viele europäische Banken schon angeschlagen waren.

Gegen diese Sicht der Entwicklung lässt sich auch kaum einwenden, dass doch nahezu alle Verantwortlichen und viele Ökonomen die Rettung des Euro als den wesentlichen Grund aller Hilfsmaßnahmen bezeichnen. Es ist für die Politiker allemal einfacher, Hilfspakete in den erschreckenden Größenordnungen zu rechtfertigen, wenn man die Existenz der Währung, also gewissermaßen des alltäglichen Zahlungsmittels, beschwört, als etwa zu erklären, die Banken müssten erneut gestützt werden. Und was manche professionelle Ökonomen angeht, so scheinen sie nicht der Versuchung widerstehen zu können, die Krise einer von ihnen schon vor ihrer Einführung bekämpften Währung als späte Rechtfertigung zu genießen. Es stört dabei wohl auch nicht, dass bis auf den heutigen Tag von einer „Euro-Krise“ überhaupt keine Rede sein kann.2 Der Dollarwert des Euro liegt deutlich über seinem Ausgabekurs und erst recht über seinen früheren Tiefstpunkten. Er ist mit seinen Schwankungen um die 1,30 Dollar-Marke nahe der Kaufkraftparität.

Im Übrigen würde es dem Euro kaum schaden, sondern wahrscheinlich sogar nützen, wenn einzelne überschuldete Mitgliedstaaten ihre Zahlungsunfähigkeit erklären würden. Es würde in diesem Fall allerdings eintreten, was gegenwärtig offenbar erst durch den aufwendigen Weg einer Änderung der Europäischen Verträge erreicht werden soll: nämlich eine Beteiligung der Gläubiger an den Insolvenzkosten. Paradoxerweise wird aber gerade dies durch die aktuellen Hilfsmaßnahmen verhindert.3 Auch wäre erklärungsbedürftig, inwiefern solidarische Hilfen an unvernünftig handelnde Mitgliedstaaten den Euro stützen sollen, zumal sie ja alle anderen Euroländer belasten. Viel eher dürfte die Gemeinschaftswährung gewinnen, wenn die exzessiv verschuldeten Mitgliedstaaten die Folgen ihres Handelns selbst aushalten müssten und die Gemeinschaft als Ganzes ihre auf Haushaltsdisziplin ausgerichtete Politik glaubhaft verträte. Selbst wenn einzelne Problemstaaten die Währungsunion verlassen würden, wäre dies für den Euro wohl eher ein Gewinn; denn in Not geraten würden dadurch keinesfalls alle auf Euro lautende Forderungspapiere, sondern nur die Forderungen gegenüber solchen Staaten, die sich offenbar übernommen haben bzw. die disziplinierenden Spielregeln der Gemeinschaftswährung nicht verstehen wollten. Die Zinsdifferenzen sind ja insofern ein wichtiges Signal.

Was bedeuten diese Einschätzungen für die eingangs gestellte Frage nach der Bedeutung der Fiskalunion aus Sicht der aktuellen Schuldenkrise? Wäre es mit einer Fiskalunion, also z.B. einer zwingend für alle Staaten vorgegebenen oder gar von der Europäischen Kommission für jedes einzelne Mitgliedsland bestimmten Neuverschuldung nicht zur aktuellen Krise gekommen? Sicherlich hätte es keines „bail out“ einzelner Mitgliedstaaten bedurft. Aber hätte es auch keine Bankenkrise gegeben? Man mag vermuten, dass z.B. die deutschen Banken sich stärker im Inland engagiert und die deutsche Realkapitalbildung zum Nutzen der deutschen Volkswirtschaft befördert hätten. Wahrscheinlich hat es aber erst der aktuellen Finanzkrise bedurft, um das dafür notwendige Umdenken zugunsten von solideren, wenn auch, zumindest ex ante, weniger rentierlichen Anlageformen zu bewirken.4 Auf den Punkt gebracht: Was wir zur Zeit erleben, ist eine Krise des Finanzsektors.5 Die zu hohe Verschuldungsbereitschaft einzelner Mitgliedstaaten der Währungsunion hat dem Fehlverhalten der Banken in die Hände gespielt. Aber sie war weder dessen Ursache noch gar dessen Voraussetzung. So wie die Banken agiert haben, waren sie auf die Verschuldung einzelner Mitgliedstaaten gar nicht angewiesen, sondern hätten ihre überzogenen Renditeziele auch in anderen riskanten Anlagen verfolgen können. An einer Rettung systemischer Banken hätte auch dann kein Weg vorbei geführt.

Welche möglichen Schritte zu einer Fiskalunion könnten eingeschlagen werden?

Unabhängig aber davon, ob nun die Banken wegen ihrer exzessiven Kreditvergabe das aktuell größte europäische Problem darstellen, belastet die Schuldenkrise einzelner Mitgliedstaaten die Währungsunion und darüber hinaus die Europäische Gemeinschaft als ganze. Sie wäre auch dann ein europäisches Problem, wenn sich die Krisenstaaten samt und sonders nur z.B. gegenüber amerikanischen Banken verschuldet hätten. Zwar würde dann eine Gläubigerbeteiligung den Abschreibungsbedarf auf ausländische Banken verlagern, aber die Finanzierungs-und Refinanzierungsmöglichkeiten der Schuldnerstaaten würden genauso erschwert. Den Staaten geht es ja in dieser Beziehung nicht anders als Privatleuten: sie erhalten von den Banken ohne weiteres Geld – es sei denn sie brauchen es. Wie die aktuelle Entwicklung zeigt, werden anstehende Zinsanspannungen auch noch spekulativ überhöht.6 Finanziell angeschlagene Mitgliedstaaten würden nicht nur den europäischen Haushalt belasten – sie würden geringere Beiträge entrichten und müssten umgekehrt aus den Strukturfonds stärker bedacht werden – sondern beeinträchtigten auch die zunehmend auf das Zusammenwachsen Europas ausgelegte Wirtschaftsentwicklung. Insofern ist die Frage berechtigt, ob nicht eine stärkere Koordinierung der Finanzpolitik der Wiederholung einer derartigen Krise entgegenwirken könnte.

Zunächst ist allerdings offen, um welchen Bereich der Finanzpolitik es dabei eigentlich gehen sollte. Ist allein die Budgetpolitik oder darüber hinaus auch die Einnahmen- und Ausgabenpolitik ins Visier zu nehmen? Was die Budgetpolitik angeht, die mit Blick auf die so genannte Euro-Krise im Brennpunkt steht, so ist ja gerade sie mit dem Stabilitätspakt und den in ihm festgelegten Grenzen durchaus bereits harmonisiert worden – wenngleich auch mehr auf dem Papier als in der Praxis. Allerdings zielt diese Kritik – abgesehen vielleicht vom Fall Griechenland – weniger auf die Politik in der Krise. Die Haushaltspolitik wurde hier wohl zu Recht im gesamten EWU-Raum zur Gegensteuerung eingesetzt. Verfehlt war aber in vielen EWU-Staaten die Haushaltspolitik in guten Konjunkturlagen, in denen gewissermaßen die für mögliche Krisen notwendigen haushaltspolitischen Spielräume zu schaffen gewesen wären. Der Stabilitätspakt konnte in dieser Beziehung nicht greifen, weil er dafür keine klar erkennbaren Vorschriften enthält. Implizit hat er die Staaten mit der 60%-Grenze durchaus verpflichtet, weil diese Grenze ohne entsprechende Vorsorge in guten Jahren nicht über den gesamten Zyklus einzuhalten ist. Dies wurde von den Staaten aber nicht zur Kenntnis genommen. Helfen könnte da gewiss, wenn die Staaten sich – etwa nach dem Muster der deutschen Schuldenbremse – auch in wirtschaftlich guten Zeiten zu einer stabilitätsorientierten Haushaltspolitik, also zur symmetrischen Überschussbildung verpflichten würden. Die Schuldenbremse könnte allerdings das Problem der Altschulden auch nicht lösen; es dauert Jahre wenn nicht Jahrzehnte, bis allein die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts eine nachhaltige Senkung der Schulden- und damit auch Zinsquote bewirkt.

Möglicherweise ist die Finanzpolitik aber auch über die Budgetpolitik hinaus besser aufeinander abzustimmen. Ein Kandidat ist die Steuerpolitik. Dabei geht es weniger um die Bemessungsgrundlagen, die bei den indirekten Steuern weitestgehend harmonisiert und bei den Unternehmensteuern durch den Kodex für eine faire Unternehmensbesteuerung zumindest von Auswüchsen eines aggressiven Steuerwettbewerbs befreit sind. Allerdings liegen die Steuersätze nach wie vor deutlich auseinander, was merkwürdigerweise bisher nicht als gemeinschaftsschädlich betrachtet wird. So stellt sich in der Tat die Frage, ob z.B. Körperschaftsteuersätze von 12% oder gar – auf thesaurierte Gewinne – von 0% fair sind, wenn doch die meisten Mitgliedstaaten die auf ihrem Territorium entstandenen Körperschaftsgewinne eher mit 30% und höher besteuern.

Pikanterweise zählt Irland zu dieser Art Steueroasen, sodass auch im Zusammenhang mit den aktuellen Hilfsmaßnahmen die Frage aufgeworfen wurde, ob Irland seine Schuldenprobleme nicht auch mit einer höheren Steueranspannung lösen7, anstatt Hilfe von Ländern beanspruchen sollte, denen es selbst zuvor mit seiner aggressiven Steuerpolitik Steuersubstrat abgejagt hat. Dagegen hat Irland sich aber vehement – und wie es aussieht mit Erfolg – zur Wehr gesetzt. Tatsächlich stehen hier zwei europäische Ziele im Konflikt. Zum einen geht es um eine größere Kohäsion der Mitgliedstaaten, im Sinne eines wirtschaftlichen Aufholens der Schwächeren. Hierbei hatte gerade Irland so große Erfolge, dass es zwischenzeitlich zum Vorzeigeland der EU avancierte. Andererseits darf der Steuerwettbewerb nicht soweit gehen, dass die tradierten und insgesamt bewährten Besteuerungsprinzipen, nämlich Neutralität und Gleichbehandlung, außer Kraft gesetzt werden. Setzen die europäischen Staaten dem ungezügelten Steuerwettbewerb keine Grenzen, laufen sie Gefahr, um eigennütziger Vorteile willen ihre Steuersysteme zu zerstören. Und wie das Beispiel Irlands zeigt, ist eine gezielte Abwerbung einzelner Sektoren mit eigenen Gefahren verbunden: kommen diese Sektoren ins Straucheln, gilt dies auch für das ganze Erfolgsrezept.

So unterschiedlich sich die aktuelle Situation in den einzelnen, von der Schuldenkrise bedrohten Staaten auch darstellt, scheinen sie doch eines gemein zu haben: Die Staaten haben nicht verstanden oder nicht verstehen wollen, dass sie ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht wie zuvor durch regelmäßige Abwertungen ihrer Währungen, sondern nur durch interne Stärkungen ihrer Wirtschaftskraft würden aufrechterhalten können. Dazu gehören nicht nur eine disziplinierte Haushaltspolitik, sondern auch die Bildung von Real- und Humankapital und damit eben auch eine Selbstbeschränkung im privaten und öffentlichen Konsumverhalten. Vielleicht bieten diese Überlegungen in der Tat einen Ansatzpunkt für die Forderung nach einer stärkeren Koordinierung der nationalen Politikfelder.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt verlangt von den Mitgliedstaaten jährliche Stabilitätsberichte, in denen sie die Chancen auf ein Einhalten der Verschuldungsgrenzen einschätzen und der Begutachtung durch die Kommission unterwerfen müssen. Diesen Prüfungsauftrag könnte man erweitern. Die Kommission könnte auch die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten beurteilen und z.B. fiktiv jenen Satz ermitteln, um den die Staaten, wenn sie denn noch eigene Währungen besäßen, abwerten müssten um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen. Je höher dieser fiktive Abwertungssatz ausfällt, umso größere Anstrengungen müssten die betroffenen Staaten unternehmen. Wie sie das umsetzen, ob sie z.B. den öffentlichen oder den privaten Konsum einschränken, ist schon nach dem Subsidiaritätsprinzip ihre eigene Sache. So käme es zwar noch zu keiner Vereinheitlichung der nationalen Finanzpolitiken; den Staaten – wie im Übrigen auch internationalen Kapitalgebern – würden aber rechtzeitige Hinweise auf Handlungserfordernisse gegeben. „Blaue Briefe“ wären auch in diesen Fällen keine Wunderwaffe – heilsame Stachel für die nationale Politik aber allemal!

  • 1 Wenn die verschiedenen „Rettungsmaßnahmen“ auch aus juristischer Sicht keine Verletzung der No-Bailout-Klausel des Art. 125 AEU darstellen mögen – in der Tat treten die Europäische Union und die anderen Mitgliedstaaten gegenüber den Gläubigern nicht in „Haftung“ – so wird doch ökonomisch betrachtet genau dies getan: die Schuldner werden nur dank der Hilfen in die Lage versetzt, ihren Verpflichtungen nachzukommen.
  • 2 So auch z.B. der Vorsitzende des Sachverständigenrats, W. Franz, in einem Interview in der Welt am Sonntag vom 2.1.2010, S. 38; oder auch H. W. Sinn: Die Ironie der Krise, wiederabgedruckt in: Ifo-Standpunkte 2010, Nr.116.
  • 3 Man mag allerdings argumentieren, dass die No-Bailout-Klausel zu drastisch ist, um als glaubwürdig betrachtet werden zu können, wohingegen eine maßvolle Gläubigerbeteiligung – bei einer zugleich zugesagten kollektiven Hilfe der übrigen Mitgliedstaaten – wirkungsvoller, weil glaubwürdiger, sein könnte. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft: Überschuldung und Staatsinsolvenz in der Europäischen Union, Gutachten vom 26.9.2010
  • 4 Den Banken wird gelegentlich unterstellt, sie hätten bewusst auf eine Aushebelung der No-Bailout-Klausel spekuliert. Letztlich läuft es aber auf das Gleiche hinaus, wenn sie stattdessen darauf spekuliert haben, dass sie notfalls selbst gerettet würden.
  • 5 So auch der Tenor eines Briefs „Ohne Finanzmarktreformen keine Lösung der europäischen Schuldenkrise“ des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen an Minister Schäuble vom Juli 2010, veröffentlicht im Internet.
  • 6 Wie es aussieht, sind die vor der Währungsunion üblichen, gegen einzelne europäische Währungen gerichteten Spekulationswellen von entsprechenden gegen einzelne europäische Staatspapiere gerichteten Spekulationen abgelöst worden. Fälschlicherweise werden diese gelegentlich als gegen den Euro gerichtet interpretiert.
  • 7 H.-W. Sinn hat errechnet, dass Irland gar keine Schuldenfinanzierung brauchte, wenn es seine Steuerquellen nur annähernd so wie Deutschland ausschöpfen würde, vgl. Interview in der Welt vom 26.11.2010, S. 10.

Euro-Steuern gegen Ungleichgewichte im Währungsraum

Wenn über EU-Steuern oder europäische Steuerharmonisierung diskutiert wird, stehen dahinter üblicherweise vor allem drei Argumente: Einem Teil der Befürworter geht es darum, eine verlässliche Einnahmebasis für die Europäische Union zu schaffen. Eine zweite Gruppe will den Steuerwettbewerb um mobile Steuerbasen wie Kapital oder Unternehmenszentralen begrenzen. Und eine dritte Gruppe will verhindern, dass unterschiedliche Regeln für Unternehmensteuern und unterschiedliche Steuersätze den einheitlichen Binnenmarkt verzerren.

Übersehen wird dagegen häufig ein wichtiges viertes Argument: Ein Steuersystem – und insbesondere eine EU-Steuer – kann auch dazu beitragen, für makroökonomische Stabilität zu sorgen. Angesichts der schwelenden Euro-Krise sollte dieser Aspekt zentrale Bedeutung haben, wenn man über das optimale Design der Steuerkompetenzen in Europa diskutiert.

Größere Konjunkturschwankungen

Zunehmend wächst die Einsicht darüber, dass die Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone nicht nur Folge undisziplinierter Regierungen in Athen, Dublin oder Madrid oder einer mangelnden Durchsetzung der Regeln des Wachstums- und Stabilitätspaktes ist. Vielmehr wird klar, dass die Krise eine zentrale Ursache in den wachsenden wirtschaftlichen Divergenzen in der Euro-Zone hat. Insbesondere Irland und Spanien haben zunächst innerhalb der Währungsunion einen enormen Boom erlebt, um danach tief abzustürzen. Während der Boom-Phase fuhren diese Länder signifikante Budgetüberschüsse ein. Erst der Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise, die Notwendigkeit von Bankenrettungen und Konjunkturpaketen und das Wegbrechen von Steuereinnahmen hat die Defizite in Schwindel erregende Höhen getrieben und zu der rapide steigenden Staatsschuld geführt.1

Das Problem ist lange bekannt: In der Währungsunion gibt es nur noch einen einheitlichen nominalen Zentralbankzins. Boomt die Wirtschaft in einem Land und steigt die Inflation deswegen regional an, so fällt der Realzins in diesem Land. Dies heizt die Wirtschaft weiter an. Zwar verliert das Land gleichzeitig preisliche Wettbewerbsfähigkeit, aber der Realzinskanal wirkt üblicherweise deutlich schneller als der reale Wechselkurs. Genau anders herum sieht es in Ländern mit schwacher Konjunktur aus: Dort sorgt der Abwärtsdruck bei der Inflation für steigende Realzinsen und anhaltende Stagnation. Erst nach langer Zeit, wenn die Aufwertung des realen Wechselkurses durchschlägt, dreht sich der Spieß um: Nun steckt das frühere Boom-Land in der Falle einer realen Überbewertung, während das frühere Krisenland robust wächst. Damit kommt es in einer Währungsunion zu langen und tiefen nationalen Konjunkturzyklen. Irland und Spanien waren in den Jahren nach 2000 die Boom-Länder, Deutschland das Krisenland. Jetzt haben sich die Rollen vertauscht. Wie wir jetzt wissen, waren die Übertreibungen in Spanien, Portugal oder Irland gewaltig. Deutschlands aktuelle massive Unterbewertung spiegelt sich derweil in den anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüssen wider.

Fiskalpolitische Stabilisierung

Lange ist argumentiert worden, dass solche Konjunkturzyklen von der nationalen Fiskalpolitik verhindert werden könnten: Boome die Wirtschaft in einem Land und drohe heiß zu laufen, dann müsse die Regierung dort Überschüsse im Staatshaushalt einfahren. Krisele die Wirtschaft dagegen, seien für den einzelnen Staat Defizite angesagt. Zudem seien insbesondere in Europa in den progressiven Steuersystemen ausreichend „automatische Stabilisatoren“ eingebaut, die dafür sorgen, dass sich der staatliche Budgetsaldo im Aufschwung überproportional verbessere und im Abschwung überproportional verschlechtere. Mit einer solchen Politik könne man ausgleichen, dass in einer Währungsunion keine nationale Geldpolitik mehr den nationalen Konjunkturzyklus steuern könne.

Der gigantische Bau- und Schuldenboom gerade in Spanien und Irland und der folgende Wirtschaftskollaps haben nun allerdings gezeigt, dass die nationale Fiskalpolitik alleine nicht in der Lage ist, wirkungsvoll solche Mega-Konjunkturzyklen abzufangen, wie sie in einer Währungsunion auftreten können. Zwei Probleme gibt es nämlich: Erstens scheint es im Aufschwung politikökonomische Grenzen zu geben, wie viele Überschüsse ein Land tatsächlich aufhäufen, und wie stark es folglich einen überhitzenden Boom bremsen kann. Tatsächlich haben die irische und die spanische Regierung in den guten Jahren vor 2008 kräftige Überschüsse eingefahren. Von 1998 bis zum Krisenausbruch war die Schuldenquote in Spanien von 75% auf 42% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gefallen, in Irland von 62% auf 29%. Wie wir jetzt wissen, hat dies aber nicht gereicht. Weitere Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen im Boom wären angesagt gewesen, um noch größere Überschüsse zu erzielen. Dies wäre aber politisch wohl nicht denkbar gewesen: Eine Regierung wird kaum über ein Jahrzehnt hinweg die Steuern hoch halten oder gar erhöhen können, wenn der Staat Jahr für Jahr höhere Überschüsse einfährt. Hier wird sich über kurz oder lang eine Oppositionspartei finden, die mit den Forderungen nach niedrigeren Steuern die Wahlen gewinnt – und damit die Versuche einer makroökonomischen Stabilisierung zunichte macht.

Das zweite Problem zeigt sich jetzt in der Krise: Die Finanzmärkte verhindern Defizite, wie sie notwendig wären, um tatsächlich den Absturz über mehrere Jahre abzufedern. Weil die Investoren schon beim aktuellen Schuldenniveau hohe Risikoaufschläge fordern, drohen die Staatsschulden aus dem Ruder zu laufen. Spanien und Irland sehen sich so gezwungen, mitten in die tiefe Rezession hinein auch noch die Staatsausgaben zu kürzen und die Steuern zu erhöhen und damit den Abschwung noch weiter zu verschärfen.

Auch wenn die nationalen Steuer- und Sozialsysteme also im Prinzip durch automatische Stabilisatoren sowohl den Boom zunächst gebremst als auch den Abschwung abgefedert hätten, wurde durch Steuersenkungen im Aufschwung und durch die Haushaltskonsolidierung in der jüngsten Rezession diese Wirkung konterkariert, und eine wirksame fiskalpolitische Stabilisierung fand nicht statt.

Stabilisierung auf zentraler Ebene

Eine Lösung, wie sie auch in anderen föderalen Staatsgebilden mit einheitlicher Währung verfolgt wird, ist es, einen größeren Teil der fiskalpolitischen Stabilisierungsaufgabe auf die zentrale Ebene zu verlagern. In den USA ist es die Bundesebene, die im Abschwung mit Konjunktur- und Infrastrukturprogrammen oder Zuschüssen zu den einzelstaatlichen Arbeitslosenversicherungen oder den Budgets der Bundesstaaten die Konjunktur stabilisiert. In Deutschland sind es die komplizierten Regeln des Länderfinanzausgleichs, aber auch die Programme des Bundes, die im Krisenfall einzelnen Regionen helfen.

Ein erster Schritt wäre in Europa, das bisherige EU-Budget so umzugestalten, dass es zumindest nicht mehr zu den Boom- und Bust-Zyklen beiträgt. Auf dem Höhepunkt des spanischen Immobilienbooms, als die Bauwirtschaft des Landes ohnehin heiß lief, floss aus dem Brüsseler Etat immer noch rund 1% des nationalen BIP als Förderung für Infrastruktur in das Land und heizte die Wirtschaft weiter an. Hier wäre es sinnvoll, solche Zahlungen mit dem Konjunkturzyklus zu strecken oder vorzuziehen, um negative Nebeneffekte zu begrenzen.2 Doch auch wenn ein Umbau des bestehenden EU-Budgets dazu beitragen könnte, die Stabilisierungswirkung zu erhöhen, so dürfte sich doch der europäische Haushalt schlicht vom Volumen her mit knapp 1% des EU-Bruttoinlandsprodukts derzeit als zu klein herausstellen, um wirkungsvoll die regionalen Boom- und Bust-Zyklen abzufedern.

Es führt also kein Weg daran vorbei: Wenn die EU-Ebene eine größere Rolle bei der fiskalpolitischen Stabilisierung in der Euro-Zone einnehmen soll, muss auch das Budget wachsen. Dabei fällt es nicht allzu schwer, sich Ausgabenbereiche vorzustellen, die man schnell zentralisieren könnte – vom Bau europäisch wichtiger Verkehrsprojekte bis hin zur gemeinsamen Verteidigungspolitik.

Ein größeres Budget braucht aber auch neue Steuerquellen. Folgt man dem Argument, dass Finanzpolitik eine wichtige makroökonomische Stabilisierungsfunktion hat, so sollte der Konjunkturzyklus in einzelnen Ländern nicht nur über die Ausgabenseite, sondern auch über die Einnahmeseite stabilisiert werden.

Welche Steuerarten eignen sich?

Dazu sind bestimmte Steuerarten wesentlich zielführender als andere. Wichtig wäre etwa, dass die Steuereinnahmen möglichst antizyklisch fließen, also dass die EU-Ebene Steuerkompetenz in jenen Steuerarten bekommt, die möglichst hohe Einnahmen im Boom und möglichst geringe Einnahmen in der Krise produzieren.

Sieht man sich die aktuelle Finanzierungsstruktur des EU-Haushalts an, so stellt man fest, dass die Stabilisierungswirkung dieser Einnahmen heute praktisch gleich null ist. Die EU erhält neben den Beiträgen der Mitgliedsländer Einnahmen aus Zöllen sowie einen Teil der Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten. Gerade die Zölle und die Mehrwertsteuereinnahmen zählen aber zu den wohl am wenigsten konjunktursensiblen staatlichen Einnahmequellen. Mehrwertsteuereinnahmen sind in erster Linie eine Funktion der Konsumnachfrage. Auch Zölle werden in der EU in erster Linie auf Konsumgüter erhoben. Die Konsumnachfrage ist aber empirisch im Konjunkturzyklus die stabilste Komponente; mithin schwanken auch die Einnahmen nur wenig im Konjunkturzyklus. Das heißt aber auch, dass gerade nicht über höhere Steuereinnahmen im Boom und niedrigere Einnahmen im Abschwung die Konjunktur stabilisiert wird. Vielmehr greift der Staat einen relativ konstanten Anteil der Wirtschaftsleistung ab.

Eine wesentlich größere Stabilisierungswirkung würde entweder von einer progressiven Einkommensteuer oder von einer europäischen Unternehmensteuer ausgehen. Eine progressive Einkommensteuer hat üblicherweise eine besonders große Stabilisierungswirkung, weil im Aufschwung die Einkommen stärker steigen und damit die Staatseinnahmen aus dieser Quelle überproportional zunehmen. Fallen im Abschwung die Einkommen, so gehen die entsprechenden Staatseinnahmen überproportional zurück. In den USA etwa stabilisiert die Einkommensteuer auf der Bundesebene annähernd 10% eines Konjunkturschocks.3

Ähnliches gilt für die Unternehmensteuer: In der Krise machen die Unternehmen kaum Gewinne, eher sogar Verluste und zahlen deshalb keine Steuern. Im Boom dagegen werden Steuern fällig. Da viele Investitionen aus einbehaltenen Gewinnen finanziert werden, bremst so das Steuersystem im Aufschwung die Investitionstätigkeit und kurbelt sie im Abschwung an. Würde man also der Europäischen Union die Steuerhoheit über eine dieser beiden Steuerarten geben, so würde in nationalen Boomzyklen Einkommen aus der nationalen Wirtschaft abgezogen und damit der Aufschwung gebremst. In einer nationalen Schwächephase würde das betroffene Land dagegen wesentlich weniger als seinen normalen Anteil zum EU-Budget beitragen. Mehr Einkommen verbliebe im Land, Konsum und Investitionen würden gestützt.4

Die Einführung einer europäischen Einkommensteuer scheint derzeit allerdings extrem utopisch. Zu unterschiedlich sind die nationalen Systeme, zu kompliziert die Verflechtung mit den nationalen Sozialsystemen, die teilweise durch Beiträge, teilweise durch Steuern finanziert werden.

Eine gemeinsame Unternehmensteuer

Eine gemeinsame Unternehmensteuer dagegen wäre durchaus vorstellbar. In einem solchen Modell bekäme die EU das Recht, eine gewinnabhängige Unternehmensteuer mit einem Satz von vielleicht 10 bis 15% einzuführen. Zusätzlich zu dieser Steuer könnte jedes Land seinen Unternehmen noch eine eigene Körperschaftsteuer auferlegen. Ein ähnliches System existiert in den USA: Dort besteuert die Bundesebene Unternehmen, zudem ist je nach Bundesstaat noch einmal eine Steuer auf die Gewinne zu entrichten. Ein solches System hätte zudem den Vorteil, dass de facto eine Mindestbesteuerung für Unternehmen in der EU eingeführt würde. Dem Steuerwettbewerb wäre mit dem europäischen Steuersatz eine natürliche Untergrenze gesetzt.

Natürlich müsste zumindest für die europäische Steuer eine harmonisierte Steuerbemessungsgrundlage eingeführt werden. Hier ergäbe sich eine weitere Möglichkeit, der Europäischen Union ein Instrument zur nationalen Konjunkturstabilisierung an die Hand zu geben: Man könnte die Option einführen, dass die Abschreibesätze auf Kapitalgüter über den Konjunkturzyklus nach Land differenziert variiert werden können. Über dieses Instrument könnten in langsam wachsenden Ländern die Abschreibebedingungen und damit die Investitionsbedingungen verbessert oder in überhitzenden Volkswirtschaften entsprechend gedämpft werden. Dies würde es ermöglichen, einen Boom wie jenen in Spanien vor der Krise zielgerichtet zu bremsen und lange Schwächephasen wie jene in Deutschland nach dem Jahr 2001 zu verkürzen. Erfahrungen mit nationalen Sonderabschreibungsprogrammen in Deutschland wie den USA zeigen, dass die Veränderung von Abschreibesätzen ein sehr wirkungsvolles Instrument zur Konjunktursteuerung ist.

Das Argument makroökonomischer Stabilisierung zeigt aber auch, welche Vorschläge zu den europäischen Besteuerungskompetenzen klar in die Irre führen: Eine einfache Harmonisierung der Bemessungsgrundlage für die Steuern scheint eher kontraproduktiv. Unter einem solchen Modell würden zum einen Sonderabschreibungen als konjunkturpolitisches Instrument wegfallen. Zum anderen droht ein verschärfter Steuerwettbewerb, weil die Unternehmen die Steuerbelastungen zwischen den Ländern einfacher vergleichen können.5 Dies würde nicht allgemein den staatlichen Handlungsspielraum für Konjunkturpolitik weiter einschränken, sondern würde auch das Steuersystem weiter in eine Richtung mit weniger makroökonomischer Stabilisierung verschieben: Mehr Steuerwettbewerb bei den konjunkturreaktiven Steuerarten wie den Gewinn- und Einkommensteuern würde die Mitgliedstaaten zwingen, stärker auf andere Steuerarten wie auf Mehrwert- oder andere Konsumsteuern zurückzugreifen – und damit die automatischen Stabilisatoren schwächen.

  • 1 Vgl. Sebastian Dullien, Daniela Schwarzer: Die Zukunft der Eurozone nach der Griechenland-Hilfe und dem Euro-Schutzschirm, in: Leviathan, Vol. 38 (4), 2010, S. 509-532.
  • 2 Vgl. für die weitere Debatte: Sebastian Dullien, Daniela Schwarzer: Bringing Macroeconomics into the EU Budget Debate: Why and How?, in: Journal of Common Market Studies, Vol. 47 (2009), S. 153-174.
  • 3 Vgl. Alan J. Auerbach, Daniel Feenberg: The significance of federal taxes as automatic stabilizers, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 14 (3), 2000, S. 37-56.
  • 4 Das Argument gilt natürlich nur, solange Unternehmen nicht über die Finanzmärkte die zyklischen Schwankungen im Cash Flow ausgleichen können. Allerdings kann man üblicherweise davon ausgehen, dass insbesondere im Abschwung ein beträchtlicher Teil der Unternehmen in seinen Finanzierungsmöglichkeiten beschränkt ist. Für Deutschland gehen deshalb seriöse Schätzungen davon aus, dass die Unternehmensbesteuerung fast 10% eines ursprünglichen Konjunkturschocks stabilisiert. Vgl. Thiess Buettner, Clemens Fuest: The role of the corporate income tax as an automatic stabilizer, in: International Tax and Public Finance, Vol. 17 (2010), S. 686-698.
  • 5 Vgl. zu diesem Argument Kai A. Konrad: Suchkosten und Körperschaftsteuerparadox, in: Kai A. Konrad, Tim Lohse (Hrsg.): Einnahmen- und Steuerpolitik in Europa: Herausforderungen und Chancen, Frankfurt am Main 2009, S. 119-132.

Sind EU-Steuern mit dem Verfassungs- und Europarecht vereinbar?

Als „Vorstoß im Sommerloch“ hat im letzten August EU-Kommissar Lewandowski – wie zuvor sein Vorgänger Kovács – mit Flankenschutz des Europäischen Parlaments im Umfeld der Debatte über die EU-Finanzordnung ab 2014 erneut die Forderung nach eigenen EU-Steuern erhoben.1 Demgegenüber hat die Berliner Regierungskoalition entsprechende Ansinnen bis heute stets zurückgewiesen.2 Die Frage, ob die EU eigene Steuern erheben soll, ist in erster Linie eine Frage der integrationspolitischen Diskussion.3 Da relativ unbestritten ist, dass nach geltendem Unionsrecht keine eigenen Besteuerungsbefugnisse der Gemeinschaften bestehen, also eine primärrechtliche Verankerung erforderlich wäre, scheint die Frage jedoch kaum ein Problem im engeren juristischen Sinne zu sein.

Im nationalen Kontext ist relativ unbestritten, dass die Frage, was in eine Verfassung aufzunehmen ist, jenseits des kaum je relevanten Art. 79 Abs. 3 GG, eine (rechts-)politische Frage darstellt, da es, von ganz punktuellen Ausnahmen abgesehen, keine der Verfassung übergeordnete Rechtsordnung mit inhaltlichen Vorgaben gibt oder geben könnte. Ein Unterschied besteht hier allerdings durch die Grenzen, welche die nationalen Verfassungsordnungen ziehen und wie sie für Deutschland insbesondere im Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, inzwischen auch im Urteil über den Vertrag von Lissabon konkretisiert wurden.4 Anliegen hiesiger Überlegungen ist es, gleichwohl juristische Wertungskriterien aufzuzeigen. Es geht um die Beachtung rechtlicher Rahmenbedingungen, die bei der Gestaltung der weiteren Integration anders als in einem rein nationalen Kontext vorhanden sind; und es geht um „Abgestimmtheit“ mit der vorhandenen Integrationsarchitektur.

Aus Gründen terminologischer Klarheit soll vorab geklärt werden, was unter „eigenen Steuern der EU“ verstanden wird: In einem engeren Sinne sollen darunter nur solche Steuern gefasst werden, bei denen die Union sowohl die Rechtsetzungs- als auch die Ertragskompetenz besitzt. Die weitgehend harmonisierte Umsatzsteuer fällt somit nicht darunter: Die Rechtsetzungshoheit liegt hier – trotz der zahlreichen Mehrwertsteuerrichtlinien – nach wie vor bei den Mitgliedstaaten; zudem ist die Umsatzsteuer als Basis eines der vier Eigenmittel zwar auch an der EU-Finanzierung beteiligt,5 dies ist jedoch nicht mit finanzverfassungsrechtlicher Ertragshoheit zu verwechseln. Eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlage bei den Unternehmenssteuern6 wäre somit erst Recht nicht erfasst. Auch die sehr umstrittene Frage, ob die EG ihre Mitgliedstaaten zwingen kann, eine Steuer, etwa eine sogenannte CO2-Steuer zu erheben, bleibt ausgeklammert.7 Schließlich können alle eher kosmetisch-pädagogischen Vorschläge, wie ein expliziter Ausweis desjenigen Anteils an den mitgliedstaatlichen Steuern auf der Steuererklärung, der für die Finanzierung der Union verwendet wird, trotz etwaiger Transparenzvorteile ausgeschieden werden.

Der Bestand eigener Besteuerungsrechte im Rahmen der EU-Finanzordnung

Die EU finanzieren sich über ein sogenanntes Eigenmittelsystem (Art. 311 AEUV). Dieses soll in Abkehr von der Beitragsfinanzierung die supranationale Integration von Mitgliedsbeiträgen unabhängig machen und mit eigenen Mitteln ausstatten.8 Die Agrarabschöpfungen, die Zolleinnahmen der vollharmonisierten Zollunion, Anteile am Umsatzsteueraufkommen sowie ein an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten anknüpfendes Eigenmittel (sogenanntes bruttosozialproduktbezogenes Eigenmittel) sind die wichtigsten Finanzquellen. Im Ergebnis ist der Grad der Finanzautonomie der Union trotz des Übergangs zum Eigenmittelsystem nach wie vor gering. Das Letztentscheidungsrecht bei der Beschlussfassung über Eigenmittel steht nicht den Organen der Union, auch nicht deren Rat, sondern den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Verfassungsordnungen zu. Durch das gesamte Verfahren werden die Souveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten im Finanzbereich augenfällig.9 Die BSP-Eigenmittel erweisen sich letztlich als kaschierte Mitgliedsbeiträge. Das aktuelle System der Eigenmittelfinanzierung wirft überdies vielfältige, hier nicht zu verfolgende Probleme der Beitragsgerechtigkeit auf.

Eigene Besteuerungsbefugnisse der EG bestehen hinsichtlich der Zolleinnahmen im Rahmen der durch die Art. 28 ff. AEUV aufgerichteten Zollunion. Darüber hinaus finden sich eigene Besteuerungsbefugnisse nur in unbedeutenden Randbereichen: Bis zu ihrem Aufgehen in die EG nach 50 Jahren wurde auf der Grundlage der Art. 49, 50 EGKSV die sogenannte Montanumlage (EGKS-Umlage) erhoben; seit je besteuert die Union ihre Bediensteten selbst. Dies dient jedoch nicht der Finanzierung der EU, sondern der Freistellung von den mitgliedstaatlichen Steuern und damit einer gleichmäßigen Belastung der Beschäftigten der Unionsorgane.

Juristische Verantwortungszusammenhänge als Argumentationsrahmen

Finanzordnung und Demokratieprinzip

Demokratische Legitimation setzt bei der freien, autonomen Person an. Staatsorganisationsrechtliche Prinzipien und Staatsstrukturentscheidungen und in neuerer Zeit entsprechende Institute auf der Ebene des Staatenverbundes werden in der deutschen Tradition demgegenüber ganz überwiegend traditional10 oder funktional11 legitimiert.12 Der Individualbezug erscheint in dieser Sichtweise eher negativ: Es wird ein Spannungsverhältnis zwischen Bundesstaatlichkeit bzw. Mehrebenenarchitektur und (parlamentarisch-)demokratischem Verfassungsprinzip konstatiert, es werden die eher gegenläufigen Wirkungen analysiert.13

Der dargelegte Zusammenhang gilt für die Grundfragen der Finanzierung von Gemeinwesen in besonderem Maße: „No taxation without representation“ als Kampfbegriff der amerikanischen Revolution machte die hier zugrunde gelegte Prämisse, „dass jeder Verteilung von öffentlichen Geldern zunächst ein Zugriff auf private Gelder vorausgeht“,14 zum Allgemeingut.15 Das Programm „No taxation without representation“ ist Stufungen wie im Bundesstaat oder im Staatenverbund allerdings niemals angepasst worden. Im Rahmen der völlig parallel laufenden, weitgehend unkoordinierten Kompetenzaufteilung nach der amerikanischen bundesstaatlichen Tradition führte das auch nicht zu größeren Verwerfungen.

Für die funktionale Aufteilung der Kompetenzen in der deutschen und in der unionsrechtlichen Tradition gilt anderes. Die fehlende Beziehung zwischen demokratischer Partizipation an der Regelung der Staatsfinanzierung und föderaler Ordnung im weiteren Sinne mag für ein Verfassungssystem, wie dasjenige des Bismarckreichs mit seinem grundlegend anders gearteten Legitimationsmodus als „Bund“ souveräner Fürstenhäuser, noch nachvollziehbar sein; überhaupt standen im konstitutionellen Zeitalter Föderalismus und Bundesstaatlichkeit in Deutschland für monarchische Legitimität und Partikularismus und damit gegen die zukunftsweisenden, an das Individuum anknüpfenden Bewegungen, von Nation und Demokratie.16 Das stellt als historische Hypothek einen entscheidenden Legitimitätsunterschied etwa zum US-amerikanischen oder schweizerischen Föderalismus bis in die jeweilige bundesstaatliche Finanzordnung dar.17

Der ausgeprägte Individualbezug im Recht der Staatsfinanzierung erschöpft sich, nach überkommener Sicht über den Vorbehalt des Gesetzes, in der besonderen Gesetzesgebundenheit des Abgabenrechts. Ein Bezug zur bundesstaatlichen Finanzordnung oder zur Finanzordnung der EU wird nicht gezogen. Das Steuerrecht lebt – nach einer vielzitierten Wendung des Bundesverfassungsgerichts – aus dem „Diktum des Gesetzgebers“18 – unter dem Grundgesetz müsste man ergänzen: des Bundesgesetzgebers, weder des Landesgesetzgebers noch des Unionsrechtssetzers. Im Verfassungsstaat wie im Staatenverbund kann sich die demokratische Fundierung der Steuer nicht in dem formalen Erfordernis der gesetzlichen Grundlage der Abgabenerhebung erschöpfen; auch die Verwendung der erhobenen Steuern ist in spezifischer Weise demokratisch rechtfertigungsbedürftig. Dies wird – bei aller Steuerungsschwäche19 – durch das Budgetrecht des Parlaments im Sinne einer politischen Gesamtentscheidung über die Staatsausgaben gewährleistet. Art. 109 Abs. 1 GG ist treffend als „finanzielle“ Ausprägung des Demokratieprinzips bezeichnet worden;20 Entsprechendes muss für die Budgetbefugnisse des Europäischen Parlaments gelten. Dies funktioniert jedoch nur jeweils innerhalb einer Ebene, nicht ebenenübergreifend.21

Kongruenz zwischen finanzwirtschaftlicher Verantwortung und demokratischer Legitimation

Verantwortungszusammenhänge in der Demokratie bauen auf der Zurechenbarkeit von Verantwortung auf.22 Um die demokratische Rückkopplung sicherzustellen, müssen diese Verantwortlichkeiten dafür im Sinne einer Verantwortungsklarheit sichtbar sein. Die finanzwissenschaftliche Erkenntnis vom Nutzen sogenannter institutioneller oder fiskalischer Äquivalenz, als Einheit von Kostenträgern und Nutznießern (sogenannter Steuer-Ausgaben-Mechanismus), erscheint juristisch reformuliert.23 Die traditionelle Gewährleistung des demokratischen Verantwortungszusammenhangs in der Finanzordnung über Steuergesetzesvorbehalt und Budgetrecht berücksichtigt nicht die Möglichkeiten und die Bedingungen der Mehrebenenstruktur als Folge der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für den Bundesstaat und die europäische Integration.

Der Weg, um im Rahmen einer individualgestützten Legitimation finanzverfassungsrechtlicher Strukturen im bundesstaatlichen wie im europäischen Bereich über das freiheitsschützende Potential der Kompetenzaufteilung hinaus positive Kriterien zu gewinnen, ist die Rechtfertigung der Steuer, der innere Grund des Steuerzugriffs.24 In der Gegenwart werden idealtypisch der Äquivalenzgedanke und das Leistungsfähigkeitsprinzip als rechtfertigende Modelle einander gegenübergestellt.25 Da das Grundgesetz vom Vorrang der Steuerfinanzierung ausgeht,26 stellen die Steuern die generelle („globale“), nach Kriterien der individuellen Leistungsfähigkeit bemessene Gegenleistung für die Gesamtheit der staatlichen Leistungen dar.

Für die im Zentrum stehenden Personalsteuern vermittelt das Kriterium der Ansässigkeit des Steuerpflichtigen den territorialen Bezug zwischen der besteuernden Körperschaft und dem Zensiten als konkreter Person. Diese Verbindung von territorialer Justierung und personaler Anknüpfung gewährleistet zugleich den Zusammenhang zwischen der kostenverursachenden Sachpolitik sowie der den Finanzierungszweck erfüllenden Steuerpolitik und bringt damit einen genuin demokratischen Zusammenhang zum Ausdruck. Die Wahlentscheidung des Stimmbürgers kann einen politischen Zusammenhang zwischen Staatsleistungen und Abgaben herstellen.27 Demokratische Legitimationsketten und finanzielle Verantwortungslinien werden in Kongruenz gebracht. Im Unterschied zu einer konkreter Äquivalenz verpflichteten Staatsfinanzierung bleibt dabei die Berücksichtigung von Steuergleichheit, von leistungsfähigkeitsgerechter Besteuerung und damit von sozialstaatlichen Zielen möglich und verpflichtend.28

EU als legitimatorisch abgeleitete Ebene und Schlussfolgerungen für eigene EU-Steuern

Die vorgenommene Rekonstruktion demokratischer Verantwortungszusammenhänge kann eigene Besteuerungsbefugnisse begründen, aber auch begrenzen. Auf die deutschen Länder angewendet spricht nach diesem Modell viel für eine stärkere Finanzautonomie auf der Einnahmenseite,29 auf die EU angewendet erweist sich das Modell als autonomiebegrenzend.30 Wendet man das bisher entwickelte legitimatorische Tableau auf die EU an, ergibt sich, dass es sich juristisch um eine legitimatorisch abgeleitete Ebene handelt, wie es das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil und in der Entscheidung zum Vertrag von Lissabon bis heute herausgearbeitet hat und als quasi authentische Umsetzung Eingang in Art. 23 GG gefunden hat:31 Der demokratische Hauptlegitimationsstrang erfolgt mittelbar über das Hauptorgan der Gemeinschaftsrechtssetzung, den Rat. Die dort vereinten Regierungsvertreter legitimieren sich wiederum mittelbar über ihre nationalen Parlamente bzw. volksgewählten Präsidenten, die sie ernennen und kontrollieren. Die eigenständige demokratische Legitimation über das Europäische Parlament tritt nach derzeitigem Integrationsstand (nur) ergänzend legitimierend hinzu.

Die Finanzautonomie der EU ist auf der Einnahmenseite noch weitergehender beschränkt als auf der kommunalen Ebene.32 Das Eigenmittelsystem (Art. 311 AEUV i.V.m. dem jeweils gültigen Eigenmittelbeschluss) stellt sich modellkompatibel dar: Durch primäres Gemeinschaftsrecht außerhalb der Verträge wird ein absolut begrenzter Finanzrahmen zur Verfügung gestellt, während auf der Ausgabenseite das Europäische Parlament zwar nicht ein den mitgliedstaatlichen Parlamenten vergleichbares Budgetrecht besitzt, die Gemeinschaft jedoch über ihre Ausgaben weitgehend autonom befindet. Die Einnahmen präjudizieren vollständig die Ausgaben. Daraus ergibt sich zwar eine beträchtliche und nicht unproblematische Asymmetrie in der EU-Finanzwirtschaft; diese spiegelt jedoch den erreichten Integrationsstand wesentlich präziser, als integrationspolitische Programme dies könnten.33 Bezugspunkte sind die Mitgliedstaaten, nicht deren Bürger.

Da Rechtsakte der Gemeinschaften nach wie vor nicht den gleichen Grad demokratischer Legitimation aufweisen, wie mitgliedstaatliche Steuergesetze, kann der integrationspolitisch häufig erhobenen Forderung nach einer EU-Steuer nicht gefolgt werden. In souveränitäts- und damit zugleich demokratiesensiblen Bereichen wie der Besteuerung versagen funktional-technokratisch-affirmative Kompensationsmechanismen, die in anderen Integrationsbereichen ihr Auskommen haben mögen.34 Bei dem derzeitigen Integrationsstand des „Staatenverbundes“ besteht auch kein Bedürfnis für den unmittelbaren Durchgriff auf die Unionsbürger zur Finanzierung der Union, Erhebungsadressaten für die Eigenmittel bleiben die Mitgliedstaaten, der Unionsbürger ist finanzrechtlich mediatisiert.35 Für einen umverteilenden Finanzausgleich jenseits der aufgabengebundenen Strukturpolitik fehlen ohnehin die integrationspolitischen Voraussetzungen.36

Das Bundesverfassungsgericht hat im Maastricht-Urteil den seinem Wortlaut nach offenen bzw. missverständlichen seinerzeitigen Art. F Abs. 3 EUV des Maastricht-Vertrags für Deutschland verbindlich interpretiert. Eine zu entsprechenden Missverständnissen führende Vorschrift fehlt im derzeitigen Primärrecht. Dass im Rahmen der Zollunion Rechtsetzungs- und Ertragshoheit bei der Union liegen, ist ein nicht verallgemeinerungsfähiger Sonderfall, der durch die Sachgesetzlichkeiten der Zollunion erklärt werden kann. Für den Sonderfall der Eigenbesteuerung der EU-Bediensteten gilt Entsprechendes. Die ohnehin ausgelaufene EGKS-Umlage unterschied sich durch ihren beschränkten Finanzierungszweck von den in der Gegenwart diskutierten Besteuerungsbefugnissen der Union und besaß zudem eine primärrechtlich einwandfreie Ermächtigungsgrundlage.

Zusammenfassung und Ausblick

Der demokratiebezogene legitimatorische Ansatz bietet den Vorteil, nicht auf so umstrittene Kategorien wie Souveränität oder Staatlichkeit rekurrieren zu müssen. Da Souveränität im Inneren ohnehin nur Volkssouveränität sein kann, insofern also eine Gleichschaltung mit dem Demokratieprinzip besteht, erweist sich der sogenannte Souveränitätsvorbehalt der Mitgliedstaaten im Bereich der Besteuerung als Demokratie- und d.h. Legitimationsvorbehalt. Nach geltendem Recht könnte ohne Änderung der primärrechtlichen Grundlagen die Union keine Besteuerungskompetenzen ergreifen. Art. 311 AEUV als Basis für die Eigenmittelbeschlüsse kann nicht herangezogen werden, da er ein Eigenmittelsystem und kein steuerbasiertes Finanzierungssystem stützt.37 Ob der legitimatorische Ansatz insofern auch eine Übertragung durch Vertragsänderung ausschließt, ist eine offene Frage.38

Punktuelle Besteuerungsbefugnisse wären – nach dem hier verfolgten Ansatz – zwar unter juristischen Auspizien nicht empfehlenswert, sie würden gleichwohl die verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Architektur zwischen Gemeinschaften und Mitgliedstaaten nicht ohne weiteres sprengen, zumal wenn sie in der Sache nicht primär einen Finanzierungszweck, sondern sonstige Zwecke verfolgten.39 Zu bedenken wäre zudem, dass eigene EU-Steuern Elemente einer neuen Finanzordnung oder gar Finanzverfassung nach sich ziehen würden, da die Abgrenzung zu den mitgliedstaatlichen Finanzhoheiten neue Probleme aufwerfen würde. Eine vollständige Umstellung des Finanzierungsmodus von der Eigenmittelfinanzierung auf die Finanzierung durch eigene Steuern würde das Integrationsmodell sprengen und auf eine andere Stufe heben.40 Nach den „Maastricht-“ und „Lissabon-Restriktionen“ des Bundesverfassungsgerichts wäre dies in der geltenden Legalitätsordnung nicht möglich.

Ähnliche Überlegungen wurden bereits in dem Sammelband K. A. Konrad, T. Lohse: Einnahmen- und Steuerpolitik in Europa, Frankfurt a.M. 2009, vorgetragen.

  • 1Vgl. nur S. Wettach: Vorstoß im Sommerloch. Eine eigene Steuer für die EU? Unterstützung für den Kommissionsvorschlag kommt aus dem Europaparlament, in: Das Parlament 34/35 vom 23.8.2010; D. Neuerer: Berlin schmettert „Dammbruch“-Versuch aus Brüssel ab, in: Handelsblatt vom 9.8.2010; W. Frenz, A.-M. Distelrath: Eigene Unionsteuer nach dem Lissabon-Vertrag?, in: Deutsche Steuer-Zeitung (DStZ) , April 2010, S. 246.
  • 2 Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. 17. Legislaturperiode, S. 116.
  • 3 Die vom Umfang her ausführlichste Untersuchung, M. Traub: Einkommensteuerhoheit für die EU?, Baden-Baden 2005, bezieht ihre Erörterungen von vornherein auf einen europäischen Bundesstaat. Rein integrationspolitische Argumentation auch etwa bei C. Esser: Die Dänen und die Bananen – zur Notwendigkeit einer EU-Verfassung, in: DStZ, 1992, S. 725 (728); auf der Grundlage geltenden Primärrechts demgegenüber W. Frenz, A.-M. Distelrath, a.a.O.
  • 4 BVerfGE 89, 155; 123, 267.
  • 5 B. Meermagen: Beitrags- und Eigenmittelsystem, München 2002, S. 152 ff.
  • 6 Dazu C. Fuest: Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Gemeinsame Konsolidierte Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer, in: K. A. Konrad, T. Lohse, a.a.O., S. 97 ff.
  • 7 Jüngst C. Seiler: Kompetenz- und verfahrenstechnische Maßstäbe europäischer Umweltabgaben, in: Europarecht (EuR) 2010, S. 67.
  • 8 U. Häde: Finanzausgleich, Tübingen 1996, S. 427 ff.
  • 9 P. M. Schmidhuber: Die Notwendigkeit einer neuen Finanzverfassung der EG, in: EuR, 1991, S. 329 (337); V. Götz: Beitragsgerechtigkeit im EU-Finanzsystem, in: L. Osterloh, K. Schmidt. H. Weber (Hrsg.): Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung: Festschrift für Peter Selmer zum 70. Geburtstag, Berlin 2004, S. 641.
  • 10 M. Jestaedt: Bundesstaat als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee, P. Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 29 Rn. 2 ff.; Aufdeckung der überholten ideengeschichtlichen Schlacken v.a. bei S. Oeter: Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, Tübingen 1998.
  • 11 R. Mayntz: Föderalismus und die Gesellschaft der Gegenwart, in: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR), 115 (1990), S. 232 ff.
  • 12 Diese Legitimationsmodelle können – im Gegensatz zu dem hier verfolgten – als „output-orientiert“ bezeichnet werden. Zu dem Übergang von der traditionalen zur funktionalen Legitimation vgl. G. Kisker: Ideologische und theoretische Grundlagen der bundesstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland – Zur Rechtfertigung des Föderalismus, in: Probleme des Föderalismus, Deutsch-Jugoslawisches Symposium Belgrad 1984, Tübingen 1985, S. 23 ff.
  • 13 Einflussreich E. Kaufmann: Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung, Berlin 1917, S. 67 ff.; C. Schmitt: Verfassungslehre, Berlin 1928, S. 334, 388 ff.; Kontinuität dieser Ansätze in der jungen Bundesrepublik vor allem über W. Weber: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 3. Aufl., Berlin 1970, S. 57 (63 ff.).
  • 14 P. Kirchhof: Diskussionsbeitrag, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VVDStRL), 52 (1993), S. 147 (148).
  • 15 Manifestiert etwa in der Petition des Kolonialparlaments von New York gegen das Zuckergesetz vom 18. Oktober 1764, abgedruckt bei A. und W. P. Adams (Hrsg.): Die Amerikanische Revolution und die Verfassung 1754-1791, München 1987, S. 27.
  • 16 Mit Bezug auf die Finanzordnung W. Gerloff: Die Finanzgewalt im Bundesstaat, Frankfurt a.M. 1948, S. 9 ff.; H.-P. Schneider: Bundesstaatliche Finanzbeziehungen im Wandel, in: Der Staat, 40 (2001), S. 272 (282).
  • 17 C. Waldhoff: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz, München 1997, S. 38 ff.
  • 18 BVerfGE 13, 318 (328).
  • 19 W. Heun: Staatshaushalt und Staatsleitung, Baden-Baden 1989; C. Gröpl: Haushaltsrecht und Reform, Tübingen 2001, S. 152 ff., 165 und häufiger.
  • 20 F. Kirchhof: Empfehlen sich Maßnahmen, um in der Finanzverfassung Aufgaben- und Ausgabenverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden stärker zusammenzuführen? Gutachten zum 61. Deutschen Juristentag, München 1996, D 53 Fn. 215.
  • 21 M. Heintzen, in: I. v. Münch, P. Kunig: Grundgesetzkommentar III, 5. Aufl., München 2003, Vorb. Art. 104a-115 Rn. 46.
  • 22 P. Lerche in: T. Maunz, G. Dürig: Grundgesetzkommentar, Art. 83 Rn. 107, 110; U. Volkmann: Bundeststaat in der Krise?, in: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), 1998, S. 613 (615); V. Mehde: Wettbewerb zwischen Staaten, Baden-Baden 2005, S. 126.
  • 23 Vgl. bereits E. Lindahl: Die Gerechtigkeit der Besteuerung, Lund 1919, S. 85 ff.; M. Olson: The Principle of „Fiscal Equivalence“: The Division of Responsibilities among Different Levels of Government, in: American Economic Review, 59 (1969), S. 479 ff.
  • 24 Grundlegend K. Vogel: Rechtfertigung der Steuern – eine vergessene Vorfrage, in: Der Staat, 25 (1986), S. 481 ff.
  • 25 A. Schmehl: Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, Tübingen 2004; dazu die Kritik bei C. Waldhoff: Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: J. Isensee, P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), V, 3. Aufl., Heidelberg 2007, § 116 Rn. 5.
  • 26 BVerfGE 93, 319 (342); 78, 249 (266 f.); 67, 256 (274 ff.); grundlegend J. Isensee: Steuerstaat als Staatsform, in: R. Stödter, W. Thieme (Hrsg.): Hamburg, Deutschland, Europa, Beiträge zum deutschen und europäischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hans Peter Ipsen zum 70. Geburtstag, Tübingen 1977, S. 409 ff.
  • 27 K. Rennert: Der deutsche Föderalismus in der gegenwärtigen Debatte um eine Verfassungsreform, in: Der Staat, 32 (1993), S. 269 (278); „klassische“ Formulierungen dieses Zusammenhangs im Kontext des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes in den Federalist Papers, Artikel 30-36: Über Steuern (Alexander Hamilton), dort allerdings unter umgekehrten Vorzeichen eines Kampfes, dem Bund eigene Besteuerungsbefugnisse zur Bestreitung seiner Aufgaben zuzubilligen.
  • 28 C. Waldhoff: Die Zwecksteuer, Verfassungsrechtliche Grenzen der rechtlichen Bindung des Aufkommens von Abgaben, in: Steuer und Wirtschaft (StuW), 2002, S. 285 (304 ff.).
  • 29 Vgl. etwa jeweils mit weiteren Nennungen C. Waldhoff: Verfassungs-rechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz, a.a.O., S. 99 f.; ders.: Reformperspektiven der bundesstaatlichen Finanzverfassung im gestuften Verfahren, in: Zeitschrift für Gesetzgebung, 2000, S. 193 ff.
  • 30 Für den derzeitigen Integrationsstand ganz ähnlich S. Traub, a.a.O., S. 84 ff.
  • 31 BVerfGE 89, 155 (185 f.).
  • 32 U. Häde, a.a.O., S. 375 f., 457.
  • 33 Vgl. auch A. v. Bogdandy: Europäische Prinzipienlehre, in: ders.: Europäisches Verfassungsrecht, Heidelberg 2003, S. 149 (175 mit Fn. 106), wo die EU-Finanzverfassung als Zuspitzung des dualistischen Legitimationsmodells der Gemeinschaften interpretiert wird; ebenda, S. 183, wird die Finanzverfassung als „eigentliche Achillesferse“ jeder föderalen Ordnung identifiziert.
  • 34 A.A. aus rein ökonomischer Perspektive G. Schick, J. Märkt: Braucht die EU eine eigene Steuer?, in: Deutsche Steuerzeitung (DStZ), 2002, S. 27; J. Wieland: Erweitern und Teilen. Die zukünftige Finanzordnung der Europäischen Union, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP), 2002, S. 503 (507 f.), der eigene EU-Steuern als Vehikel für Forderungen nach einer Stärkung des Demokratieprinzips in der europäischen Integration nutzen möchte.
  • 35 I. E. auch S. Traub, a.a.O., S. 88.
  • 36 D. Birk: Diskussionsbemerkung zu: Grundsätze der Finanzverfassung des vereinten Deutschlands, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer (VVDStRL), 52 (1993), S. 169; S. Homburg: Ursachen und Wirkungen eines zwischenstaatlichen Finanzausgleichs, in: A. Oberhauser: Fiskalföderalismus in Europa, Berlin 1997, S. 61 ff.
  • 37 Demgegenüber sehen W. Frenz, A.-M. Distelrath, a.a.O., es als möglich an, auch Steuern nach den Verfahren der Eigenmittelbeschlüsse zu erheben.
  • 38 Großzügig C. Ohler: Mehr Mut zur Steuerpoliitk in Europa. Möglichkeiten und Grenzen der Harmonisierung direkter Steuern, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW), 1997, S. 370 (373).
  • 39 B. Meermagen, a.a.O., S. 175 ff.; großzügiger A. Bleckmann, S. Hölscheidt: Gedanken zur Finanzierung der EG, in: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), 1990, S. 853 (857); S. Magiera: Zur Finanzverfassung, in: A. Randelzhofer, R. Scholz, D. Wilke (Hrsg): Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, München 1995, S. 409 (412 f.); vgl. insofern – bezogen auf die Haushaltsautonomie – auch das Lissabon-Urteil, BVerfGE 123, 267 (361 f.).
  • 40 Förster, in: A. Bleckmann: Europarecht, 5. Aufl., Köln 1990, Rn. 1441; J. Wieland, a.a.O., S. 503 (507 f.).

Weder eine Harmonisierung der Besteuerung noch eine Europa-Steuer sind nötig

Nach dem Beschluss, Griechenland und Irland durch die EU bzw. die Euroländer zu unterstützen, ist die Steuerautonomie der einzelnen Länder in Frage gestellt worden; insbesondere wird Irland wegen des niedrigen Körperschaftsteuersatzes an den Pranger gestellt. Auch wird gefordert, der EU Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie Hilfsmaßnahmen ergreifen kann; in Betracht komme eine EU-Steuer.

Schadet Steuerwettbewerb?

Was die Besteuerung, insbesondere die der Kapitaleinkommen, betrifft, so wird angesichts der weltweit gestiegenen Mobilität des Kapitals argumentiert, ein Steuersenkungswettlauf sei im Gange, der erst dann ende, wenn die Steuersätze für Erträge auf mobiles Kapital auf null gesunken sind („race to the bottom“). Der Staat könne seine Aufgaben nur unzureichend wahrnehmen. Insbesondere komme es zu einer Unterversorgung mit öffentlichen Gütern, und der Sozialstaat werde ausgehöhlt. In dem Senkungswettlauf müsse die Steuerbelastung immer mehr auf die immobilen Faktoren, vor allem auf den Faktor Arbeit, verlagert werden. Abhilfe könne nur eine Harmonisierung der Steuersätze schaffen.

Die Indizien für einen Steuersenkungswettlauf sind allenfalls schwach.1 Es stellt sich aber die Frage, wie sich ein intensivierter Steuerwettbewerb der Staaten auswirken würde; dabei wird berücksichtigt, dass die Besteuerung der Kapitaleinkommen mit Staatsleistungen zugunsten des Kapitals (z.B. in Form der Infrastrukturausstattung) einhergehen kann.

Die Attraktivität eines Landes hängt nicht nur von den Steuersätzen ab, sondern auch von der Infrastruktur, von der das Kapital in einem Land profitiert; dazu mag man neben Straßen und Häfen den Schutz der Eigentumsrechte zählen. Das Infrastrukturangebot kann die Grenzproduktivität des Kapitals erhöhen. In dem Maße, in dem dies der Fall ist, sind Äquivalenzsteuern möglich.2 Es gibt insofern eine Grenze, unter die die Steuersätze für Kapitaleinkommen nicht fallen können;3 die marginalen Infrastrukturkosten definieren ein Mindeststeuerniveau, das selbst dann nicht unterschritten werden würde, wenn das Kapital vollkommen mobil wäre. Steuerwettbewerb zwischen Regierungen könnte zu einer „benefit taxation“ in diesem Sinne führen. Ein solches Ergebnis des Wettbewerbs ist grundsätzlich positiv zu bewerten.

Die skizzierte Argumentation gilt uneingeschränkt dann, wenn je Einheit Kapitaleinsatz bestimmte Infrastrukturkosten anfallen. Sie wird komplizierter, wenn nicht bestimmte Mengeneinheiten der Infrastruktur verbraucht werden, sondern die Nutzung der Infrastruktur Kosten verursacht und mit einem gewissen Maß an Nutzungsrivalität verbunden ist.4 Als Beispiele werden ein Fernstraßensystem und zentralstaatliche Dienstleistungen genannt. Bei der Bereitstellung entstehen Produktionskosten, die von den Nutzungskosten zu unterscheiden sind. Zu den Nutzungskosten zählen Überfüllungskosten („congestion costs“). In diesem Fall ist es aus Sicht eines Landes optimal, den Steuersatz in Höhe der marginalen „congestion costs“ festzusetzen.

Für die Beurteilung dieses Ergebnisses ist es wichtig, ob die durchschnittlichen Nutzungskosten bei zunehmender Inanspruchnahme der Infrastruktur fallen oder konstant sind bzw. steigen.5 Bei sinkenden Nutzungskosten (zunehmenden Skalenerträgen) reicht im Rahmen des zugrundeliegenden Modells das Steueraufkommen nicht aus, um die Kosten der Bereitstellung der Infrastruktur zu finanzieren. Es kommt zu einer Unterversorgung mit dem betreffenden öffentlichen Gut, wenn die immobilen Faktoren nicht bereit sind, das Defizit auszugleichen. Die immobilen Faktoren sind aber bereit, das Budgetdefizit durch Steuern zu finanzieren, wenn die Lohnsumme größer als das Defizit ist; sie stellen sich dann nämlich besser als bei Verzicht auf die Bereitstellung der Infrastruktur und bei fehlenden Investitionen der Privaten. Es kommt also nicht zu einer Unterversorgung mit Infrastruktur bzw. allgemein mit öffentlichen Gütern, es resultieren aber Verteilungsfolgen, nämlich Belastungen der immobilen Faktoren, die unerwünscht sein können. Bei konstanten oder abnehmenden Skalenerträgen entsteht kein Budgetdefizit des Staates. Dieser Fall ist deshalb unproblematisch.

Es ist letztlich empirisch zu untersuchen, ob die Fälle, in denen Wettbewerb zu einem unerwünschten Ergebnis führt, relevant sind. Dabei zeigt sich, dass viele staatliche Leistungen ähnliche Rivalitätseigenschaften haben wie private Güter; es ist insofern nicht mit steigenden Skalenerträgen bei der Nutzung öffentlich bereitgestellter Güter zu rechnen.6 Es wird sogar argumentiert, dass in Deutschland alle öffentlichen Leistungen mit Erfolg zu Nutzungsgebühren angeboten werden könnten. Es gebe zwar, was die Allokation der Ressourcen betreffe, eine Reihe von Aufgaben des Staates, die über Zwangsabgaben zu finanzieren seien, solche Aufgaben (wie z.B. Polizeiaufgaben und Verteidigungsleistungen) erforderten aber nicht eine Finanzierung durch ungebundene Steuern, sondern eine durch zweckmäßig gestaltete Entgelte bzw. Zwangsentgelte.7 Gäbe es tatsächlich steigende Skalenerträge, so wäre dies kein Argument gegen Steuerwettbewerb.8 Die Ineffizienz des Wettbewerbs wäre nur als ein Zwischenergebnis im Wettbewerb als Suchprozess anzusehen, nicht als dessen Endergebnis. Die betreffenden Staaten würden reagieren, um Effizienz herzustellen. Dazu bedarf es aber des Wettbewerbs, eine Intervention im Sinne einer Zentralisierung der Steuerpolitik wäre gerade der falsche Weg.

Verhindert Steuerwettbewerb Umverteilungspolitik?

Wenn die Steuersätze im Wettbewerb um mobile Faktoren gesenkt werden müssen, dann sind Regierungen und Parlamente gezwungen, Staatsausgaben zu reduzieren. Ineffizienzen im öffentlichen Sektor nehmen ab; vermutlich sinken die Finanzhilfen. Der Steuerwettbewerb würde wohl zu einer verringerten Steuerbelastung und zu niedrigeren Staatsausgaben führen; dies würde sich positiv auf Wachstum und Beschäftigung auswirken. Der Wettbewerb könnte zudem als Entdeckungsverfahren genutzt werden, weil Länder voneinander lernen könnten.9

Steuerwettbewerb wird häufig deshalb abgelehnt, weil er dazu führe, dass eine nationale Umverteilungspolitik nicht mehr möglich sei. Die Mobilität von Kapital und hochqualifizierten Arbeitskräften gefährdeten nationale Umverteilungssysteme. Die Erhebung von Steuern zur Umverteilung auf hochproduktive Faktoren hätte letztlich die Folge, dass diese aus Ländern mit einem großen Maß an Umverteilung abwandern, während Nettoempfänger von Sozialtransfers zuwandern.

Kommt es tatsächlich dazu, dass die Umverteilung eingestellt wird, so ist dies nicht notwendigerweise von Nachteil. Wenn Umverteilung über das System der sozialen Sicherung infolge der im Wettbewerb entstehenden Steuersatzsenkungen unter Druck gerät oder gar aufgegeben werden muss und wenn dadurch die private Versicherung Bedeutung gewinnt, dann ist dies unter Effizienzaspekten nicht nachteilig. Zudem ist eine Einkommensumverteilung, die vom Staat erzwungen wird, ohne dass ein Konsens aller Bürger darüber besteht, problematisch.10 Eine Reduktion der effizienten Umverteilung wäre dagegen schädlich. Sie ist aber nicht zu erwarten. Ein effizientes System der Hilfe für Bedürftige bringt Nutzen für die Allgemeinheit. Ein steuerfinanziertes System wie z.B. das Arbeitslosengeld II hat bei adäquater (anreizkompatibler) Ausgestaltung den Charakter einer produktiven Infrastruktur. Zudem haben Individuen einen Anreiz, Umverteilungsregeln gewissen Ausmaßes zuzustimmen. Präferenzen für nicht zu große Ungleichheit der persönlichen Lebensverhältnisse und für Hilfe in Notlagen lassen redistributive Besteuerung zu, wenn die Institutionen tauglich sind, ein Trittbrettfahren der Zahlungspflichtigen unter Kontrolle zu halten.11

Steuerwettbewerb führt demnach nicht dazu, dass Umverteilung nicht mehr möglich ist, sondern dazu, dass unfreiwillige Umverteilung, die auf der Macht von einfachen Mehrheiten basiert, erschwert oder unmöglich wird. Auf Konsens oder auf qualifizierten Mehrheiten der Bürger beruhende Umverteilung wird nicht ausgeschlossen. Auch wird eine altruistisch motivierte Umverteilung in keiner Weise beeinträchtigt. Steuerwettbewerb führt demnach nicht zu einer Erosion des Sozialstaates, er bedroht nur ineffizient gestaltete Systeme der sozialen Sicherung.12

Insgesamt sind die Gefahren, die aus einem „race to the bottom“ abgeleitet werden, als gering einzuschätzen. Der Staat bietet in nur geringem Maße, vielleicht sogar überhaupt nicht solche Güter an, bei deren Nutzung der Steuerwettbewerb aufgrund steigender Skalenerträge hinsichtlich der Allokation oder der Verteilung Probleme bereitet. Die Erosion des Sozialstaates, zu der es kommen kann, ist aus allokativer Sicht nicht unerwünscht; sie betrifft ineffiziente Umverteilungsmaßnahmen. Eine effiziente Umverteilungspolitik wird dagegen durch Steuerwettbewerb nicht gefährdet.

Steuerharmonisierung schädlich

Eine Steuerharmonisierung erweist sich als nicht erforderlich. Unterschiedliche Steuersätze sind aber nicht nur nicht schädlich, sie sind auch vorteilhaft.13 So hängt das für ein Land optimale Volumen an Staatseinnahmen vom optimalen Volumen der Ausgaben ab. Dieses wiederum hängt von der Nachfrage nach öffentlichen Gütern und nach Umverteilung ab, die bestimmt wird von der Altersstruktur, dem Pro-Kopf-Einkommen, der Bevölkerungsdichte und anderen Faktoren. Diese Determinanten variieren von Land zu Land.

Bei gegebenem Finanzbedarf ist der Steueranteil an den gesamten Einnahmen relativ zum Anteil der Neuverschuldung an den Einnahmen abhängig vom optimalen Volumen der öffentlichen Investitionen insbesondere in die Infrastruktur. Dieses Volumen wiederum wird bestimmt u.a. vom Klima und von geographischen Gegebenheiten. Diese Determinanten variieren international. Bei einem gegebenen Ausmaß an Steuereinnahmen variiert die optimale Steueraufkommensstruktur zwischen den Ländern. Sie hängt u.a. von der Steuermentalität ab, also davon, wie die Finanzbehörden die gesetzlichen Vorschriften anwenden und die Bürger diese interpretieren. Eine erhebungstechnisch komplizierte Einkommensteuer mag für verschiedene Länder unterschiedlich gut geeignet sein. Bei einheitlicher Struktur des Aufkommens variieren die optimalen Steuersätze. Sie hängen von den Angebots- und Nachfrageelastizitäten auf den relevanten Märkten ab. Für die einzelnen Länder sind unterschiedliche Sätze optimal. Steuern, die (wie z.B. die Alkoholsteuer und die Treibstoffsteuer) negative Konsumexternalitäten internalisieren sollen, müssen je nach Problemlage in den einzelnen Ländern verschieden sein. Dabei sind z.B. die Präferenzen, das Klima und der Motorisierungsgrad bedeutsam. Zu bedenken ist auch der dynamische Aspekt der Problematik. Nur bei Zulässigkeit einer unterschiedlichen Besteuerung kann ein Land autonom auf veränderte Bedingungen reagieren.

Unterschiede in der Besteuerung reflektieren unterschiedliche Präferenzen und Ausstattungen mit Ressourcen. Sie sind Teil der komparativen Vorteile eines Landes. Steuern sind ein Standortfaktor wie Löhne, Sozialabgaben und Transportkosten. Steuerharmonisierung verstößt gegen marktwirtschaftliche Grundsätze. Nicht Steuersatzunterschiede, sondern Maßnahmen zu deren Annäherung schaffen ökonomische Verzerrungen.14

Wider eine EU-Steuer

Gegen eine eigene EU-Steuer sprechen viele Gründe. Erhält die EU Steuerhoheit, so wird vermutlich die Steuerbelastung steigen. Zwar wird von den Befürwortern einer EU-Steuer in der Regel argumentiert, die Einführung einer solchen Steuer müsse mit einer Senkung der nationalen Steuern einhergehen, wahrscheinlich würde es dazu aber nicht oder nicht in einem Maße kommen, das die Gesamtbelastung in den einzelnen Ländern nicht verändert. Die EU-Kommission und das Europäische Parlament würden bei Steuerhoheit wohl darauf drängen, dass zusätzliche Ausgaben beschlossen werden. Das Ausmaß der zusätzlichen Steuerbelastung hängt davon ab, mit welchen Stimmanteilen Entscheidungen getroffen werden können.15 Gegenwärtig wird über die Finanzmittel der EU nach dem Einstimmigkeitsprinzip entschieden. Über die EU-Steuer würde aber – früher oder später – das Europäische Parlament nach dem Mehrheitsprinzip bestimmen mit der Folge, dass die zusätzliche Steuerbelastung beträchtlich wäre.

Kommt es zur Steuerhoheit der EU, so gibt es weniger Steuerwettbewerb als bislang. Eine einzelne Regierung, die die Steuern erhöht, muss befürchten, dass die anderen Regierungen nicht nachziehen und dass mobile Produktionsfaktoren, insbesondere Kapital und Hochqualifizierte, ins Ausland abwandern.16 Ein „europäischer Fiskus“ dagegen kann die Steuerbelastung erhöhen, ohne mit Wanderungen, z.B. des Kapitals, innerhalb der EU rechnen zu müssen. Zwar bliebe der Wettbewerb zwischen der EU als Gesamtheit und den Drittländern erhalten, aber der Wettbewerb als Verfahren zur Begrenzung der Abgabenlast und zur Entdeckung besserer Steuersysteme nähme Schaden.

Hat die EU Steuerhoheit, so kann sie eine eigene Haushaltspolitik betreiben. Für diese gibt es aber keine Beschränkungen, die jenen für die nationale Finanzpolitik entsprechen (insbesondere Vertrag von Maastricht und Stabilitäts- und Wachstumspakt). Die EU könnte also die finanzpolitischen Intentionen der Einzelstaaten konterkarieren. Das gilt umso mehr deshalb, weil der Steuerkompetenz wahrscheinlich rasch die Verschuldungskompetenz folgen würde. Der Sündenfall in dieser Hinsicht ist mit dem „Rettungsschirm“ für die Euroländer geschehen.

Die EU sollte nur in jenen Bereichen zuständig sein und Ausgaben tätigen dürfen, in denen es um die Bereitstellung EU-weit genutzter öffentlicher Leistungen geht. Der weitaus größte Teil der Ausgaben der EU entfällt aber auf die Agrar- und die Strukturpolitik, für die diese Voraussetzung nicht erfüllt ist. Die betreffenden Ausgaben der EU sind im Wesentlichen Subventionen und sollten daher gestrichen werden. Wenn die EU Steuerkompetenz erhielte, dann wäre dies eher nicht zu erwarten.

Die Einführung einer EU-Steuer bringt nicht nur viele Nachteile, sie bringt auch keine Vorteile. Eine EU-Steuer schafft zwar Transparenz; sie verdeutlicht, welche finanzielle Belastung die Existenz der EU für die Bürger mit sich bringt. Diese Belastung ist aber auch im herrschenden System der EU-Finanzierung (Zölle, Abführungen, Mehrwertsteuer-Eigenmittel, auf das Bruttonationaleinkommen bezogene Mittel) ohne weiteres ersichtlich. Hinzu kommt: Zwar verlangt das so genannte Konnexprinzip als Gegenstück zur Ausgabenverantwortung die Einnahmenkompetenz, tatsächlich entscheiden aber die Mitgliedstaaten über die Ausgaben der EU. Sie legen einstimmig die Gesamtausgaben (in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) fest und determinieren damit weitgehend, für welche Zwecke Geld ausgegeben wird. Lediglich im Detail entscheiden die Organe der EU. Ohne Ausgabenkompetenz der EU bedarf es keiner Steuerkompetenz.

Gleichwohl kann das System der EU-Finanzierung verbessert werden. Ein Fortschritt wäre es, wenn alle Mitgliedstaaten einen bestimmten Prozentsatz ihrer Steuereinnahmen an die EU abführen müssten. Wenn im Umweltbereich grenzüberschreitend negative Externalitäten auftreten, dann kommt eine Internalisierung über eine EU-weite Abgabe oder über eine Versteigerung von Emissionslizenzen in Frage. Allerdings sind derartige Instrumente als Finanzierungsinstrument ungeeignet; ihre Höhe darf sich nicht an fiskalischen Zielen der EU orientieren.

  • 1 A. Boss, K.-J. Gern, C.-P. Meier, J. Scheide: Mehr Wachstum in Europa durch eine Koordination makroökonomischer Politik?, Kieler Studien, 330, Tübingen 2004.
  • 2 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Vor weitreichenden Entscheidungen, Jahresgutachten 1998/99, Stuttgart 1998.
  • 3 H. Siebert: Comment on Vito Tanzi und A. Lans Bovenberg: Is There a Need for Harmonizing Capital Income Taxes within EC Countries?, in: H. Siebert (Hrsg.): Reforming Capital Income Taxation, Tübingen 1990.
  • 4 H.-W. Sinn: Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: S. Homburg, A. Oberhauser (Hrsg.): Fiskalföderalismus in Europa, Schriften des Vereins für Socialpolitik, 253, Berlin 1997.
  • 5 Zu der Argumentation im Detail vgl. H.-W. Sinn, a.a.O.
  • 6 C. B. Blankart: Braucht Europa mehr zentralstaatliche Koordination? Einige Bemerkungen zu Hans-Werner Sinn, in: Wirtschaftsdienst, 76. Jg. (1996), H. 2, S. 87-91.
  • 7 H. Grossekettler: Steuerstaat versus Gebührenstaat: Vor- und Nachteile, in: V. Sachsofsky, J. Wieland (Hrsg.): Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, Baden-Baden 2000.
  • 8 C. B. Blankart: Taxes and Choice: Two Views on the Regulation of Tax Competition, in: K.-E. Schenk, D. Schmidtchen, M. E. Streit, V. J. Vanberg (Hrsg.): Globalisierung und Weltwirtschaft, Tübingen 2000.
  • 9 F. A. von Hayek: Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Kieler Vorträge 56, Tübingen 1968.
  • 10 R. Vaubel: Reforming the Welfare State in Western Europe, in: H. Giersch (Hrsg.): Fighting Europe‘s unemployment in the 1990s, Berlin 1996.
  • 11 R. Windisch: Kommentar zu C. B. Blankart: Taxes and Choice, in: K.-E. Schenk, D. Schmidtchen, M. E. Streit, V. J. Vanberg (Hrsg.), a.a.O.
  • 12 Zur gesamten Problematik vgl. D. Mueller: Redistribution and Allocative Efficiency in a Mobile World Economy, in: M. Streit (Hrsg.): Globalisierung, Systemwettbewerb und nationalstaatliche Politik, Tübingen 1998.
  • 13 Vgl. R. Vaubel: Europa-Chauvinismus: der Hochmut der Institutionen, München 2001.
  • 14 Vgl. R. Vaubel, a.a.O.
  • 15 Vgl. R. Vaubel: Die Macht der europäischen Mehrheiten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.6.2000, S. 15.
  • 16 Vgl. ebenda.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1187-9