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Bundesgesundheitsminister Rösler hat für 2011 eine umfassende Pflegereform sowohl der Leistungsseite als auch der Einnahmenstruktur angekündigt. Die Autoren dieses Beitrags machen den Vorschlag, die umlagefinanzierte Pflegeversicherung um eine kapitalgedeckte Säule zu ergänzen.

Die gesetzliche Pflegeversicherung1 steht aufgrund ihrer derzeitigen institutionellen Ausgestaltung vor dem Dilemma, entweder drastische Beitragssatzsteigerungen oder aber Leistungskürzungen vornehmen zu müssen. Die Politik hat die Dringlichkeit einer Reform der Pflegeversicherung erkannt: Das im Koalitionsvertrag anvisierte Reformvorhaben von CDU/CSU und FDP, die Pflegeversicherung durch eine „individualisierte, generationengerechte und verpflichtende“ zweite Säule zu ergänzen, könnte je nach Ausgestaltung dazu geeignet sein, die Finanzierungsbasis der Pflegeleistungen auf eine nachhaltigere Basis zu stellen.

Im politischen Raum ist neben der Finanzierungs- auch die Leistungsseite Gegenstand von Reformdiskussionen. Ein von der großen Koalition mit der Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs beauftragter Beirat legte im Januar 2009 einen ersten ausführlichen Bericht vor, dem im Mai 2009 ein Umsetzungsbericht folgte. Entwickelt wurden der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und das entsprechende Begutachtungsverfahren mit dem Ziel, den Verlust an Selbstständigkeit bei Aktivitäten oder der Gestaltung von Lebensbereichen maßgebend für einen eventuellen Anspruch auf Versicherungsleistungen zu machen.2 Diese neue Perspektive umfasst im Gegensatz zur derzeitigen Definition auch einen allgemeinen Aufsichts- und Kommunikationsbedarf. Von dem bislang vorherrschenden engen Blick auf die rein körperliche Grundpflege soll also abgerückt werden. Dies würde vor allem für kognitiv eingeschränkte Personen neue Leistungsansprüche implizieren.

Die Finanzierungs- und die Leistungsseite können jedoch nicht unabhängig voneinander diskutiert werden. Sollen aus pflegewissenschaftlicher Sicht neue Leistungen eingeführt werden, müssen dabei die institutionellen Rahmenbedingungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung berücksichtigt werden, um die Probleme des heutigen Systems nicht weiter zu verschärfen.

Zur Notwendigkeit einer Pflegereform

Die gesetzliche Pflegeversicherung wurde 1995 mit dem Ziel eingeführt, die Angehörigen von Pflegebedürftigen, vor allem aber auch Sozialhilfeträger bzw. die Steuerzahler zu entlasten. Da die meisten Personen im Laufe ihres Erwerbslebens keine Vorsorge für die Kosten einer eventuell erforderlichen Pflege getroffen hatten, mussten viele im Falle der Pflegebedürftigkeit auf Angehörige und subsidiär auf Sozialhilfe zurückgreifen. Rechtzeitige Vorsorge hätte in vielen Fällen die Inanspruchnahme der gesellschaftlichen Leistungen verhindern können. Entsprechend war die Einführung der Pflicht zur Absicherung prinzipiell geeignet, die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu verhindern.

Die gesetzliche Pflegeversicherung ist trotz großer Widerstände aus der Wissenschaft als Umlageverfahren eingeführt worden, obwohl die Finanzierungsprobleme, die auf die bestehenden umlagefinanzierten Systeme wie beispielsweise die gesetzliche Rentenversicherung zukommen würden, bereits 1995 als die Pflegeversicherung eingeführt wurde, offensichtlich waren. Für umlagefinanzierte Systeme stellen demografische Veränderungen ein besonders gravierendes Problem dar. Das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern verschlechtert sich aufgrund der abnehmenden Geburtenraten und der längeren Lebenserwartung. Auf der einen Seite sinken die Beitragseinnahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung, während zugleich aufgrund der größeren Zahl der Leistungsbezieher und der längeren Bezugsdauer der Leistungen die Kosten massiv ansteigen. In der gesetzlichen Pflegeversicherung ist dieses Problem besonders gravierend, da die beitragspflichtigen Einkommen und somit die Beiträge in der Rentenphase signifikant sinken, während die Pflegehäufigkeit gerade ab einem Alter von etwa 60 Jahren exponentiell ansteigt.3 Folglich bestehen im derzeitigen System nur die Alternativen, massive Beitragssatzerhöhungen oder aber Leistungskürzungen durchzuführen.

Neben den Problemen, die sich in Umlagesystemen aufgrund der demografischen Entwicklung ergeben, sind aus ordnungspolitischer Sicht weitere negative Auswirkungen zu konstatieren. Zum einen haben lohn- bzw. rentenbezogene Beiträge negative Beschäftigungswirkungen, da jede Beitragssatzerhöhung zu Ausweichreaktionen von Unternehmen und/oder Arbeitnehmern führen kann. Zum anderen geht mit lohnbezogenen Beiträgen eine unsachgemäße Vermischung von Versicherungsleistungen und Einkommensumverteilung einher. Aufgrund der Lohnbezogenheit der Beiträge kann kein effizienter Wettbewerb zwischen den Versicherungen entfacht werden. Vielmehr besteht bei lohnabhängigen Beiträgen das Problem der Risikoselektion, das durch zentrale bürokratische Ausgleichsmechanismen stets nur unvollkommen gelöst wird.4

Schlimmer noch: Auch die Umverteilung selbst misslingt gründlich. Die Lohn- und Renteneinkommen spiegeln nicht die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wider, da andere mögliche Einkünfte nicht erfasst werden. Eine treffsichere Umverteilung kann also über diesen Weg prinzipiell nicht erzielt werden. Darüber hinaus richten sich die Leistungszusagen der Pflegeversicherung selbstverständlich auch nicht nach der wirtschaftlichen Bedürftigkeit der Pflegebedürftigen.

Mit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung als Umlageverfahren konnten unmittelbar Leistungen gewährt werden. Dies war zur Entlastung der Sozialhilfeträger sicher willkommen, führte jedoch zu beachtlichen Einführungsgewinnen: In den letzten 15 Jahren erhielten Personen, die nicht oder nur während eines sehr kurzen Zeitraumes Beiträge entrichtet hatten, Leistungen aus der Pflegeversicherung, ohne dass dies durch Bedürftigkeit gerechtfertigt werden könnte. Auch heute werden noch immer neue Einführungsgewinne gewährt: Nicht nur erhalten selbstverständlich auch in den kommenden Jahren noch viele Versicherte Leistungen, obwohl sie nicht Zeit ihres Erwerbslebens entsprechende Beiträge in das System eingezahlt haben. Hinzu kommt, dass diese Situation bei jeder Leistungsausweitung in der Pflegeversicherung verschärft wird. In einem umlagefinanzierten System sind Leistungsausdehnungen unmittelbar mit Zusatzbelastungen zukünftiger Generationen verbunden. Entsprechend würde auch die Einführung des erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriffes im gegenwärtigen System die heutigen Versicherten besser absichern, aber die Finanzierungsprobleme in der Zukunft erhöhen. Leistungsausweitungen sollten daher keinesfalls im derzeitigen System der gesetzlichen Pflegeversicherung durchgeführt werden.

In einer kapitalgedeckten Pflegeversicherung könnten dagegen die Leistungen zum Nutzen aller Versicherten ausgeweitet werden, sofern dies den Präferenzen der Bürger als Versicherungsnehmer entspricht. Zusätzliche Leistungen würden von den Versicherungen entsprechend kalkuliert und bei der Prämienberechnung berücksichtigt. Höhere Leistungen würden somit weder zu intergenerativen Umverteilungsströmen führen – da jede Generation ihre Kosten selbst trägt – noch zu beschäftigungsfeindlichen Erhöhungen der Lohnzusatzkosten. Auch würden unsystematische Umverteilungsströme innerhalb der Generationen vermieden.

Mögliche Reformschritte in der gesetzlichen Pflegeversicherung

Die vorgenannten Probleme des heutigen Systems ließen sich systematisch durch eine vollständige Umstellung auf ein kapitalgedecktes Versicherungssystem lösen. Dieser Schritt würde sowohl eine nachhaltige Finanzierung gewährleisten als auch – unter geeigneten Rahmenbedingungen – zu einem effizienten Wettbewerb zwischen den Versicherungen führen.5 Allerdings bestehen im politischen Raum starke Vorbehalte gegen eine komplette Ablösung des Umlageverfahrens, da dies eine Offenlegung der im System aufgelaufenen Ansprüche auf (zukünftige) Pflegeleistungen implizieren würde. Mit diesem Schritt würde die Verschuldung des aktuellen Systems deutlich, die bisher mehr oder minder stillschweigend auf kommende Generationen überwälzt wird.

Bei der Suche nach politisch handhabbaren Reformalternativen muss das Ziel im Vordergrund stehen, die gesetzliche Pflegeversicherung zu entlasten bzw. zumindest weitere Kostenerhöhungen zu vermeiden. Grundsätzlich könnten die heute ausschließlich im Umlageverfahren finanzierten Leistungen zunächst nur anteilig, nicht vollständig, durch ein privates Versicherungssystem finanziert werden. Je nach Reformwilligkeit und -fähigkeit der politischen Entscheidungsträger stehen für diesen Weg unterschiedliche Alternativen zur Verfügung.

Zum einen könnten allein die Durchschnittskosten pro Kopf in der gesetzlichen Pflegeversicherung konstant gehalten werden. Dies würde implizieren, dass Leistungsausweitungen und anderer Kostendruck von einer privaten Versicherung zu übernehmen wären. Dagegen würden die mit der demografischen Entwicklung verbundenen Kosten noch nicht privat abgesichert. Die Ausgaben der gesetzlichen Pflegeversicherung würden aufgrund der steigenden Anzahl an Leistungsbeziehern weiterhin zunehmen und entsprechende Beitragssatzsteigerungen nach sich ziehen.

Eine umfassendere Reformvariante bestünde in dem Einfrieren der aktuellen Beitragssätze in der gesetzlichen Pflegeversicherung.6 Die Kosten der demografischen Veränderungen, notwendiger Leistungsdynamisierungen sowie Leistungsausweitungen würden somit nicht von der gesetzlichen Pflegeversicherung getragen, sondern müssten von einer privaten Zusatzversicherung gedeckt werden. Der Bedarf der privaten Zusatzversicherung würde also systematisch aus der entstehenden Deckungslücke abgeleitet.

Das Einfrieren der Beiträge der gesetzlichen Pflegeversicherung würde gewährleisten, dass die Belastung der zukünftigen Generationen nicht über das heutige Niveau hinaus geht. Weitere Einführungsgewinne zu Lasten der jüngeren bzw. zukünftigen Generationen würden verhindert. Ältere Generationen würden im Vergleich zum gegenwärtigen System stärker an der Finanzierung ihrer Pflegekosten beteiligt. Die Kosten der notwendigen Leistungsdynamisierung sowie der Ausdehnung des Leistungskataloges müssten über eine private Versicherung abgesichert werden, anstatt diese den nachkommenden Generationen aufzubürden. Bei konstantem Leistungskatalog wäre zwar die von den älteren Generationen privat abzusichernde Deckungslücke vergleichsweise gering, weil das Einfrieren der Beiträge nicht unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgungsleistungen für pflegenahe Jahrgänge hat. Insbesondere die mit dem erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff verbundene Leistungsausweitung müsste aber von diesen Generationen selbst finanziert werden.

Jüngere Generationen müssten im Vergleich zu den älteren Generationen eine entsprechend höhere Deckungslücke der gesetzlichen Pflegeversicherung durch private Vorsorge kompensieren. Sie finanzieren mit ihren Beiträgen nach wie vor einen großen Teil der Pflegekosten der älteren Personen. In dem Rahmen, in dem die älteren Generationen ihre eigenen Kosten vermehrt selbst absichern, verbleibt den jüngeren Generationen jedoch mehr Raum für die eigene Vorsorge.

Noch stärker würde das Gewicht der Pflegeversicherung von der gesetzlichen umlagefinanzierten Pflegeversicherung zur kapitalgedeckten Privatversicherung verlagert, wenn nicht die lohnbezogenen prozentualen Beitragssätze, sondern die zum Reformzeitpunkt gültigen nominalen Beitragszahlungen eingefroren würden. Die inflationsbedingte Entwertung der Beitragszahlungen würde zu einem fließenden Übergang hin zu einem kapitalgedeckten System führen. Die Schwierigkeiten der gesetzlichen Pflegeversicherung würden mit diesem Reformmodell einfach und klar nachvollziehbar gelöst.

Ausgestaltung der privaten, kapitalgedeckten Säule

Die Absicherung der in der gesetzlichen Pflegeversicherung entstehenden Deckungslücke sollte ausschließlich bei privaten Versicherungsunternehmen erfolgen, die miteinander im Wettbewerb stehen und sich somit an den Präferenzen ihrer Kunden orientieren müssen. Notwendig sind jedoch geeignete Rahmenbedingungen, unter denen der Wettbewerb ablaufen kann.

Ein effizienter Wettbewerb im Pflegeversicherungsmarkt kann nur entstehen, wenn die Versicherungen ihre Preise so kalkulieren können, dass sie den Versicherungsleistungen entsprechen und die Versicherten mittels unterschiedlicher Zahlungsbereitschaft ihre Präferenzen äußern können. Versicherungsunternehmen müssen daher Prämien verlangen können, die sich am Risiko der Versicherten orientieren. Dies gewährleistet, dass jeder Versicherte ein interessanter Kunde für die Versicherungen ist, sodass für die Unternehmen kein Anreiz zur Risikoselektion besteht. Haben die Versicherten gleichzeitig die Möglichkeit, ihre Versicherung nachteilsfrei zu wechseln, entstehen Anreize für die Versicherung, in einen Preis-Leistungs-Wettbewerb um ihre Kunden zu treten. Dadurch kann es für Versicherungen lohnend werden, sich auf bestimmte Risiken zu spezialisieren und besondere Präventions- oder Rehabilitationsmaßnahmen durchzuführen, um die Pflegefallwahrscheinlichkeit oder den Grad an Pflegebedürftigkeit positiv zu beeinflussen.

Bei Einführung der neuen kapitalgedeckten Zusatzversicherung ist daher darauf zu achten, dass risikoäquivalente Prämien ermöglicht werden. Während sich für neu geborene Versicherte die Prämienhöhe nach den erwarteten Durchschnittskosten ihrer Kohorte richtet und somit innerhalb eines Versicherungsunternehmens einer kohorteneinheitlichen Pauschale entspricht, werden sich die Prämien für alle zum Reformzeitpunkt eintretenden Personen je nach Alter und Gesundheitszustand unterscheiden. Es ist zu vermuten, dass für junge Versicherte die Prämien nur hinsichtlich Alter und Geschlecht differieren würden und die Prämienbelastung nicht sehr hoch wäre. Ältere Versicherte stellen dagegen für die Versicherungen höhere Risiken dar, da das Risiko der Pflegebedürftigkeit stark mit dem Lebensalter der Versicherten korreliert. Sie müssten daher entsprechend höhere Prämien bezahlen. Allerdings profitieren die älteren Generationen davon, dass die für sie entstehende Deckungslücke in der gesetzlichen Pflegeversicherung vergleichsweise gering ist, da sich Inflation und Demografie erst in der mittelfristigen Perspektive in Leistungskürzungen niederschlagen. Zudem werden hohe Belastungssprünge im vorliegenden Reformmodell durch eine Maximalprämie und die damit einhergehende Begrenzung der Versicherungspflicht vermieden (vgl. die Ausführungen zu den ergänzenden Regelungen für den Übergang).

Neben der Erhebung riskoäquivalenter Prämien ist die Übertragung individueller Altersrückstellungen ausschlaggebend für einen funktionierenden Wettbewerb. Im Versicherungsverlauf werden Altersrückstellungen aus den Prämienüberschüssen der Versicherten gebildet. Diese Altersrückstellungen sollten im Reformkonzept individualisiert werden, um der unterschiedlichen individuellen Risikoentwicklung Rechnung zu tragen, die sich aus dem Alter eines Versicherten und der individuellen Pflegefallwahrscheinlichkeit aufgrund von Geschlecht und unterschiedlichen Krankheiten ergibt.

Will ein Versicherter seine Versicherung verlassen, garantieren diese individualisierten Altersrückstellungen einen nachteilsfreien Wechsel auch für überdurchschnittlich kranke oder ältere Personen: Sie dienen dazu, das Kostenrisiko der aufnehmenden Versicherung auszugleichen ohne entsprechend höhere Prämien verlangen zu müssen. Hohe Risiken erhalten hohe individuelle Altersrückstellungen, niedrige Risiken erhalten geringe Altersrückstellungen. Damit ist ein Wechsel unabhängig von Vorerkrankungen oder anderen Risikofaktoren möglich.

Ohne die Übertragung individueller Altersrückstellungen wären die risikoäquivalenten Prämien für risikobehaftete Versicherte nach einem Wechsel vielfach nicht tragbar. Die aufnehmende Versicherung müsste bei der Berechnung der Prämienhöhe sowohl den verkürzten Ansparzeitraum als auch die bekannt gewordenen Risikofaktoren berücksichtigen. Werden hingegen risikoadjustierte Altersrückstellungen mitgegeben, verringern diese die für den neuen Versicherer notwendige Prämie in gleichem Maße, wie sie es dem ursprünglichen Versicherer ermöglichten, das Risiko trotz unveränderter Prämie abzudecken.

Im derzeitigen System der privaten Pflegeversicherung ist jedoch nur die Übertragung durchschnittlicher Altersrückstellungen vorgesehen. Für gute Risiken hat das zur Folge, dass sie mehr Altersrückstellungen erhalten, als sie im Vergleich zu ihren erwarteten Kosten noch brauchen. Entsprechend geringer ist die bei einem Wechsel von der neuen Versicherung verlangte Prämie bzw. der von der Versicherung zu verbuchende Gewinn. Umgekehrt impliziert die Übertragung von nur durchschnittlichen Altersrückstellungen auch, dass schlechte Risiken zu geringe Altersrückstellungen erhalten. Das bedeutet, dass die Versicherungen die erwarteten Kosten nur mit einer Prämienerhöhung decken könnten. Die Übertragung durchschnittlicher Altersrückstellungen konterkariert also den Versicherungsgedanken und induziert zwischen den Versicherungen zudem einen Wettbewerb um besonders gute Risiken.

Ergänzende Regelungen für den Übergang

Es ist denkbar, dass die Prämien der privaten Versicherung, mit denen die Deckungslücke der gesetzlichen Pflegeversicherung kompensiert werden soll, für einige Menschen unerwartet hoch sind. Jüngere Personen haben einen langen Ansparzeitraum, allerdings müssen sie auch eine große Deckungslücke ausgleichen. Umgekehrt könnten ältere Personen von einem vergleichsweise hohen Leistungsniveau der gesetzlichen Pflegeversicherung ausgehen, jedoch haben sie einen kurzen Zeitraum, um für die nicht gedeckten Pflegekosten vorzusorgen.

Um eine finanzielle Überforderung bzw. eine unerwartet hohe Prämie, die aus Vertrauensschutzgründen nicht zumutbar ist, zu vermeiden, könnte gegebenenfalls eine Belastungsgrenze in Form einer absoluten, maximal zu zahlenden Prämie festgelegt werden: Die Versicherungspflicht würde damit eingeschränkt. Folglich wären einige Personen unterversichert, wenn sie mit der Maximalprämie nicht die gesamte Deckungslücke aus der gesetzlichen Pflegeversicherung versichern können. Für diese Personen würde dann folgerichtig und systematisch bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit kollektive Hilfe in Form von steuerfinanzierten Leistungen bereitgestellt, sofern sie nicht über eigenes Einkommen bzw. Vermögen verfügen.

Entsprechend wäre die Aussetzung der Versicherungspflicht für ALG-II- bzw. Sozialhilfeempfänger systematischer als die Finanzierung der Prämienzahlungen über Steuern. So könnte vermieden werden, dass für den Zeitraum des Bezugs von ALG-II bzw. Sozialhilfe gesellschaftliche Mittel für die Versicherungsprämien aufgewendet werden, obgleich die heute Bedürftigen möglicherweise im späteren Lebensverlauf wieder über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, um selbst vorzusorgen.

Hervorzuheben ist, dass die Gewährung aller als notwendig definierten Pflegeleistungen für alle Personen zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt wird. Als letzte Möglichkeit verbleibt bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Bedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit stets die solidarische Bereitstellung der Leistungen.

Verpflichtender Abschluss ohne Förderung

Der Abschluss eines privaten ergänzenden Versicherungsvertrages sollte (bis zu einer festgelegten Maximalprämie) für alle gesetzlich Versicherten verpflichtend sein, um eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme der gesellschaftlich finanzierten Mindestabsicherung zu vermeiden.

Verschiedentlich wird vorgeschlagen, eine private Pflegeversicherung nur optional und staatlich gefördert einzuführen (sogenannte „Pflegeriester“). Durch die Optionalität wird das Trittbrettfahrerproblem jedoch nicht systematisch gelöst, wenn im Einzelfall niemandem die entsprechenden Pflegeleistungen verwehrt werden.

Zudem müssen die Kosten einer Förderung von Versicherungsverträgen berücksichtigt werden: Zum einen sind Mitnahmeeffekte zu erwarten, da unter anderem Personen gefördert werden, die auch ohne staatliche Unterstützung einen Versicherungsvertrag abgeschlossen hätten. Desweiteren hat die Förderung sozialpolitisch fragwürdige Folgen: Die Förderung wird jedem Bürger unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit bzw. Bedürftigkeit gewährt. Somit kommen auch gut situierte Bürger in den Genuss der Förderung. Umgekehrt werden auch Personen an der Finanzierung der Förderung beteiligt, die keine private Versicherung abschließen, weil für sie die Kosten trotz Förderung zu hoch sind. Es wären also tendenziell Personen mit geringeren Einkommen, die letztendlich die Versicherungsverträge der mittleren Einkommen mitfinanzieren.

Kollektiver Kapitalstock – ineffizient und politisch manipulierbar

In der aktuellen politischen Diskussion steht für die kapitalgedeckte Ergänzung der gesetzlichen Pflegeversicherung auch die Alternative eines kollektiven Kapitalstocks statt der im Koalitionsvertrag angedachten individuellen Vorsorge im Raum. Dies sei zum einen sozial gerecht und zum anderen spare man sich damit hohe Bürokratiekosten, die beim Abschluss von „individuellen Vorsorgekonten“ entstünden.

Es bleibt unklar, ob die Idee der individuellen Vorsorge hier richtig verstanden wurde. Ein individualisierter kapitalgedeckter Versicherungsvertrag bedeutet keineswegs, dass jeder Bürger für sich selbst anspart. Dies entspräche einem einfachen Sparvertrag, nicht jedoch einer Versicherung gegen die finanziellen Folgen von Pflegebedürftigkeit. Vielmehr schließt der Bürger zwar einen individuellen Vertrag mit einer privaten Pflegeversicherung ab, diese bündelt dann aber die Risiken und verteilt später zwischen Versicherten mit hohen Pflegekosten und jenen mit niedrigen oder keinen Pflegekosten um. Die Versicherten sind somit ab Vertragsschluss gegen Prämiensteigerungen aufgrund einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geschützt. Individuelle Versicherungsverträge werden also dem Ziel einer kollektiven Absicherung gerecht, die finanziellen Folgen im Pflegefall auf viele Schultern zu verteilen.

Individuell abgeschlossene Verträge haben zudem den Vorteil, dass sie Privateigentumscharakter besitzen und damit vor Zugriffen des Staates geschützt sind. Ein kollektiver Kapitalstock muss dagegen explizit gegen eine Zweckentfremdung oder Umwidmung geschützt werden. Um dies zu erreichen, müssten die eingezahlten Beiträge ähnlich wie individuelle Verträge Eigentumscharakter entfalten können. Dies setzt voraus, dass die Beiträge den Versicherten individuell zurechenbar sind. In diesem Fall ergibt sich mindestens der gleiche bürokratische Aufwand, der bei Abschluss individueller Verträge befürchtet wird, da die Notwendigkeit des Beitragseinzugs und dessen Verbuchung auch in diesem Fall erhalten bleibt. Soll hingegen eine individuelle Zuordnung entfallen, stellt sich die Frage, wie der Kapitalstock verlässlich vor staatlichen Eingriffen – also politischem Gestaltungsrecht – geschützt werden soll.

Ein kollektiver Kapitalstock verhindert schließlich den oben dargelegten effizienten Leistungswettbewerb im Sinne der Verbraucher, da für die Versicherten keine individualisierten und risikogerechten Altersrückstellungen gebildet werden, die einen nachteilsfreien Wechsel zwischen Versicherungen erst ermöglichen. Der kollektive Kapitalstock lässt sich ferner nicht mit dem Verweis auf soziale Gerechtigkeit begründen, da eine versicherungsinterne Umverteilung nach heutigem Vorbild der gesetzlichen Pflegeversicherung gerade nicht systematisch die Bedürftigen unterstützt. Eine Überforderung der Versicherten durch die verpflichtende Einführung individueller Vorsorge lässt sich wie oben beschrieben durch eine Belastungsgrenze vermeiden.

Fazit

Das gegenwärtige System der gesetzlichen Pflegeversicherung steht unter hohem Reformdruck, sowohl auf der Finanzierungs- als auch auf der Leistungsseite. Aufgrund der Umlagefinanzierung könnte das Leistungsniveau unter den Bedingungen des demografischen Wandels nur durch starke Beitragssatzerhöhungen gehalten werden. Damit verbunden wären jedoch beschäftigungsfeindliche Effekte, ungerechtfertigte Zusatzlasten für zukünftige Generationen sowie eine wenig treffsichere Umverteilung zwischen den Angehörigen einer Generation. Notwendig ist daher eine Reform, die einen Umstieg auf oder zumindest eine Ergänzung durch ein kapitalgedecktes System vorsieht. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP könnte eine Chance sein, eine nachhaltige Reform umzusetzen.

Das hier holzschnittartig dargelegte Modell basiert auf der Reduzierung des Finanzierungsanteils der gesetzlichen Pflegeversicherung an den Pflegeleistungen und der entsprechenden kompensierenden Verpflichtung zum Abschluss einer privaten Zusatzversicherung.7 Im Vergleich zu einer vollständigen Umstellung auf ein kapitalgedecktes System bleibt zwar der Nachteil, dass mit dem Fortbestand der gesetzlichen Pflegeversicherung selbstverständlich auch alle durch lohnabhängige Beiträge induzierten Probleme bestehen bleiben: Sowohl die negativen Rückwirkungen auf die Beschäftigung als auch die unsystematischen Umverteilungswirkungen werden nicht aufgehoben. Hinzu kommt die Gefahr, dass unter veränderten politischen Konstellationen die erreichten Reformschritte wieder zurückgenommen werden könnten. Noch immer bestehen beachtliche Anreize, politische Erfolge durch die Verteilung neuer und weiterer Einführungsgewinne im umlagefinanzierten System zu erzielen. Zudem können Wettbewerbsgewinne nur in dem vergleichsweise kleinen Bereich der privaten Pflegeversicherung erzielt werden.

Das Reformkonzept stellt aber einen systematischen Kompromiss zwischen dem unabweisbaren Reformbedarf und den begrenzten politischen Handlungsspielräumen dar. Die Chance der politischen Durchsetzbarkeit einer Ergänzung des bestehenden Systems ist deutlich höher als die eines kompletten und unmittelbaren Umstiegs auf ein kapitalgedecktes System. Vor allem kann so immerhin eine Verschärfung der heutigen Probleme der gesetzlichen Pflegeversicherung verhindert werden. Das vorgeschlagene Reformmodell kann als erster Einstieg in ein kapitalgedecktes System verstanden werden. Die Möglichkeit einer stärkeren Umstellung auf Kapitaldeckung ist jederzeit gegeben und systematisch im Modell angelegt.

  • 1 Unter „gesetzliche Pflegeversicherung“ wird im Folgenden die umlagefinanzierte Säule der Pflegeversicherung verstanden, nicht die – ebenfalls gesetzlich verfügte – Verpflichtung zum Abschluss einer privaten Pflegeversicherung. Die gelegentlich verwendete begriffliche Unterscheidung in soziale und private Pflegeversicherung ist aufgrund der fragwürdigen Umverteilungswirkungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht sachdienlich.
  • 2 Die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit wird modular abgefragt. Die Module „Mobilität“, „Kognitive und kommunikative Fähigkeiten“, „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“, „Selbstversorgung“, „Umgang mit krankheits-/therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“ sowie „Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte“ werden dabei unterschiedlich gewichtet. Die beiden Module Mobilität und Selbstversorgung, die in etwa den heutigen in der Pflegeversicherung erfassten Bereich abdecken, werden mit insgesamt 50% gewichtet. Die heutige Pflegestufe I entspricht etwa dem Bedarfsgrad 2, die Stufe II dem Bedarfsgrad 3 und die heutige Pflegestufe III dem Bedarfsgrad 4. Der Bedarfsgrad 5 ist für Härtefälle (Personen mit besonderer Bedarfskonstellation) vorgesehen.
  • 3 Statistisches Bundesamt: Demografischer Wandel in Deutschland. Auswirkungen auf Krankenhausbehandlungen und Pflegebedürftige im Bund und in den Ländern, Wiesbaden 2008.
  • 4 Vgl. hierzu auch J. Eekhoff, V. Bünnagel, S. Kochskämper, K. Menzel: Bürgerprivatversicherung, Tübingen 2008.
  • 5 Das im Jahr 2004 von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw) in Kooperation mit dem Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln (iwp) entwickelte Konzept der Pflegevorsorge sieht die vollständige Ablösung der gesetzlichen Pflegeversicherung durch ein privatwirtschaftlich organisiertes, kapitalgedecktes Versicherungsmodell vor. Vgl. hierzu ausführlich O. Arentz, J. Eekhoff, S. Roth, V. Streibel: Pflegevorsorge. Vorschlag für eine finanzierbare, soziale und nachhaltige Reform der Pflegeversicherung, München 2004.
  • 6 Das Einfrieren der Beiträge wurde bereits verschiedentlich vorgeschlagen, vgl. C. Stewens: Finanzierbar, sozial und nachhaltig: Wie sollte die Pflegeversicherung reformiert werden?, in: ifo Schnelldienst, Jg. 60, H. 9, S. 3-6, 2007; und J. Häcker, B. Raffelhüschen: Die Pflegeversicherung in der Krise. Renditen, Leistungsniveau und Versorgungslücken, Deutsches Institut für Altersvorsorge, Köln 2008. Stevens schlägt die Finanzierung der Zusatzversicherung über Pauschalen vor. Damit bleibt die Umlage zwischen den jüngeren und älteren Generationen weiterhin bestehen. Die Höhe der Pauschalen wird zudem nicht systematisch aus der entstehenden Deckungslücke in der gesetzlichen Pflegeversicherung abgeleitet. Häcker/Raffelhüschen sehen für die gesetzliche Pflegeversicherung eine Leistungseinfrierung und daraus abgeleitet eine Beitragseinfrierung vor. Inwiefern eingefrorene Leistungen die konstanten Beitragssätze ermöglichen, bleibt fraglich. Systematischer wäre das Einfrieren der Beitragssätze und daraus abgeleitet die Betrachtung der noch zu gewährleistenden Versicherungsleistungen. Häcker/Raffelhüschen leiten aber im Gegensatz zu Stewens die Höhe der privaten Zusatzversicherung systematisch aus der Deckungslücke der gesetzlichen Pflegeversicherung ab, die sie anhand der Generationenbilanzierung zugleich berechnen.
  • 7 Die möglichen Reformvarianten einer ergänzenden kapitalgedeckten Privatversicherung in der Pflegeversicherung wurden auch in einer Studie des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln vorgestellt, die durch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw) gefördert wurde: „Pflegevorsorge: Wegweiser für eine demografiefeste Pflegeversicherung“, www.vbw-bayern.de.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1191-0