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Die Haushalte der ostdeutschen Länder müssen in den nächsten Jahren das Auslaufen des Solidarpakts II verkraften. Daraus ergeben sich Herausforderungen, denen die ostdeutschen Länder begegnen müssen. Einige dieser Länder, wie beispielsweise Sachsen, sind gegen den Rückgang der Finanzmittel besser gewappnet als andere. Hier werden Handlungsoptionen aufgezeigt.

Die finanzielle Situation der ostdeutschen Länder wird sich in den nächsten Jahren durch das Auslaufen des Solidarpakts II drastisch verändern. Der Solidarpakt hat eine Laufzeit von 2005 bis 2019, im Kern beinhaltet er Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen (SoBEZ) in Höhe von 105 Mrd. Euro zur Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten aus dem bestehenden starken infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft, die an die fünf ostdeutschen Flächenländer und Berlin gezahlt werden (Korb 1).1 Diese SoBEZ-Mittel sind degressiv ausgestaltet: Erhielten die sechs Länder im Jahr 2005 noch zusammengenommen 10,5 Mrd. Euro SoBEZ aus Korb 1, so werden es im Jahr 2011 noch 8,0 Mrd. sein. Diese Summe wird bis zur letzten Zahlung im Jahr 2019 kontinuierlich abgesenkt.

Die Solidarpaktmittel verschaffen den ostdeutschen Ländern einerseits deutlich höhere Einnahmen als den westdeutschen Ländern, andererseits setzt ihre Kürzung die ostdeutschen Länder unter massiven Druck, Ausgabenkürzungen vorzunehmen, um eine schwerwiegende Schieflage der öffentlichen Haushalte zu vermeiden. Dieser Konsolidierungsdruck lastet jetzt auf den Landeshaushalten, zu einem Zeitpunkt, an dem sie wie alle öffentlichen Haushalte mit den Folgen der internationalen Finanzkrise zu kämpfen haben. Das Ausmaß der notwendigen Kürzungen wird zudem durch weitere Entwicklungen verschärft, die zusätzlichen Anpassungsbedarf hervorrufen:

  • Die gegenwärtige Förderperiode der Europäischen Union endet 2013. In den Jahren 2007 bis 2013 erhalten die ostdeutschen Länder und Berlin insgesamt 16,5 Mrd. Euro aus den EU-Strukturfonds.2 In den Jahren nach 2014 müssen sie mit einer massiven Kürzung der EU-Mittel rechnen.
  • Die ostdeutschen Länder haben seit der Wiedervereinigung beständig Einwohner verloren und diese Entwicklung wird sich auch in den folgenden Jahren fortsetzen: Im Zeitraum von 1990 bis 2008 hat Sachsen 12% seiner Einwohner verloren, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen 13% und Sachsen-Anhalt gar 17%! Einzig die Einwohnerzahl von Brandenburg blieb nahezu stabil, das Land profitierte von der nachholenden Suburbanisierung Berlins nach dem Mauerfall. Der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung zufolge werden die ostdeutschen Länder im Zeitraum von 2008 bis 2020 noch einmal ca. 8% der Bevölkerung verlieren. Die Einwohnerverluste werden unmittelbar haushaltswirksam, weil der bundesstaatliche Finanzausgleich auf dem Prinzip der Angleichung der Finanzkraft pro Einwohner beruht. Der Verlust eines Einwohners bedeutet für ein Flächenland eine Einbuße von ca. 2300 Euro jährlich,3 diese Einnahmenverluste treten unverzüglich und automatisch in der bundesstaatlichen Finanzverteilung auf. Ausgabenkürzungen beruhen dagegen in der Regel auf politischen Entscheidungen, die zum Teil gegen beträchtlichen Widerstand getroffen werden müssen. Die Ausgabenkürzungen treten somit erst mit Zeitverzögerung ein und drohen hinter den korrespondierenden Einnahmenverlusten zurückzubleiben. Die Einwohnerverluste rufen somit Kostenremanenzen hervor. Darüber hinaus schlagen sich die Einwohnerverluste in allen haushaltswirtschaftlichen Indikatoren nieder, die auf die Einwohnerzahl standardisiert sind: Ein Land mit einer sinkenden Einwohnerzahl muss Schulden tilgen, um die Pro-Kopf-Verschuldung konstant zu halten, Personal abbauen, damit das Verhältnis von öffentlichen Beschäftigten zur Gesamtbevölkerung unverändert bleibt etc.
  • Ab dem Jahr 2020 tritt die Schuldenbremse für die Bundesländer verbindlich in Kraft, bis dahin dürfen die Länder nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben der Schuldenbremse abweichen. Ab 2020 ist den Bundesländern dann eine strukturelle Verschuldung untersagt. Eine Kreditaufnahme ist ihnen nur noch unter zwei Bedingungen erlaubt: Einerseits im konjunkturellen Abschwung, diese Kredite sollen aber durch Haushaltsüberschüsse im Aufschwung getilgt werden, andererseits bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen, für diese Kredite ist eine Tilgungsregelung vorzusehen. Das Verbot der strukturellen Verschuldung erfordert angesichts der massiven Einnahmenverluste in den ostdeutschen Ländern zusätzliche Ausgabenkürzungen.4
  • Zudem tritt mit dem Auslaufen des Solidarpakts auch das Finanzausgleichsgesetz außer Kraft. Die Neuregelung wird in den nächsten Jahren von Bund und Ländern zu verhandeln sein. Die Geberländer erheben bereits jetzt Forderungen nach einer Kürzung ihrer Leistungen und drohen mit einer erneuten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Mögliche Kürzungen des Finanzausgleichs in den Jahren nach 2020 bedrohen die Haushalte der ostdeutschen Länder und Berlins zusätzlich, da sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Schwäche und der daraus resultierenden geringen Steuereinnahmen hohe Einnahmen aus dem Finanzausgleich erhalten.

Die aktuelle Haushaltslage

Im Folgenden soll untersucht werden, wie hoch die erforderlichen Anpassungen angesichts dieser Entwicklungen sind und inwiefern die Länder in der Lage sind, diese Anpassungen zu erbringen. Dabei wird Berlin ausgeklammert, da es als Stadtstaat Besonderheiten aufweist, die den Vergleich mit den fünf ostdeutschen Flächenländern erschweren. Zum einen sind Stadtstaaten gleichermaßen Land und Gemeinde, zum anderen sehen sich die Stadtstaaten als Großstädte einer strukturell anderen Ausgangsposition gegenüber als die Flächenländer.5 Der Länderfinanzausgleich berücksichtigt diese Besonderheiten mit dem Instrument der Einwohnerwertung.

In der Tabelle werden die bereinigten Einnahmen pro Einwohner der fünf ostdeutschen Flächenländer mit denen der acht westdeutschen verglichen. Unter diesen wird zwischen den drei finanzstarken Ländern Baden-Württemberg, Bayern und Hessen unterschieden, die in den Länderfinanzausgleich einzahlen, sowie den vier finanzschwachen Ländern, die Zahlungen erhalten: Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein. Die Einnahmen der finanzschwachen Westländer sind ein geeigneter Vergleichsmaßstab für die notwendigen Anpassungen in den ostdeutschen Ländern. Denn die ostdeutschen Länder werden nach dem Auslaufen des Solidarpakts in etwa die Finanzausstattung der anderen ausgleichsberechtigten Länder erhalten. Nordrhein-Westfalen schließlich bildet einen Sonderfall, da es in etwa eine durchschnittliche Finanzkraft aufweist. In der ersten Spalte werden die bereinigten Einnahmen pro Einwohner der Landesebene und in der dritten Spalte der aggregierten Landes- und Gemeindeebene ausgewiesen. In der zweiten und vierten Spalte werden die vorangegangenen Werte jeweils ins Verhältnis gesetzt zur Referenzgruppe der finanzschwachen Flächenländer West (FFW).

Die Einnahmen der ostdeutschen Länder im Ländervergleich 2009

in Euro pro Kopf

Land Land FFW = 100 Land und Gemeinden FFW = 100
Ostdeutsche Länder1 4076 140 5005 124
Finanzstarke Westländer2 3129 107 4640 115
Nordrhein-Westfalen 2999 103 4619 114
Finanzschwache Westländer3 2919 100 4046 100

1 Ostdeutsche Länder: Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen.

2 Finanzstarke Westländer: Baden-Württemberg, Bayern und Hessen.

3 Finanzschwache Westländer (FFW): Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein.

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Statistisches Bundesamt: Fachserie 14, Reihe 2 (Kassenergebnisse).

Einnahmenvorsprung durch Solidarpakt

Die Tabelle zeigt, welchen Einnahmenvorsprung der Solidarpakt den ostdeutschen Ländern ermöglicht: Pro Einwohner erhalten sie 40% mehr Einnahmen als die finanzschwachen Westländer. Diese hohen Einnahmen resultieren auch aus der Steuerschwäche der ostdeutschen Gemeinden. Infolgedessen leisten die ostdeutschen Länder deutlich höhere Zahlungen an ihre Gemeinden als die westdeutschen Länder. In der Tabelle zeigt sich dieser Zusammenhang darin, dass sich der Vorsprung der ostdeutschen Länder gegenüber den finanzschwachen Westländern auf der aggregierten Ebene von Landes- und Gemeindehaushalten auf 24% reduziert. Adressat der SoBEZ-Mittel sind jedoch die Landeshaushalte, weshalb sich die Darstellung im Folgenden auf die Landeshaushalte konzentriert. Die Bundesländer sind auch die Adressaten der Kürzungen und stehen vor der Aufgabe, ihre Gemeinden an der notwendigen Konsolidierung zu beteiligen.

Infolge der Kürzungen werden die ostdeutschen Länder ihren 40%igen Einnahmenvorsprung gegenüber den finanzschwachen Westländern bis 2019 sukzessive einbüßen. Die Frage, inwiefern die Länder in der Lage sind, mit diesen Einbußen umzugehen, hängt auch davon ab, in welchem Ausmaß sie bislang mit ihrer Finanzausstattung zurechtgekommen sind. Das Schaubild stellt daher die Finanzierungssalden der ostdeutschen Länder im Zeitverlauf von 1991 bis 2009 dar.

Die Finanzierungssalden1 der ostdeutschen Länder 1991 bis 2009

in Mio. Euro

1 Finanzierungssaldo = bereinigte Einnahmen - bereinigte Ausgaben.

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Statistisches Bundesamt: Fachserie 14, Reihe 2 (Kassenergebnisse).

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung wiesen alle fünf ostdeutschen Länder relativ hohe Defizite auf. Damals waren sie noch nicht in das bundesstaatliche Transfersystem integriert, sondern erhielten – nicht ausreichende – Zuweisungen aus dem Fonds Deutsche Einheit. Ab 1995 bekamen die ostdeutschen Länder neben den regulären Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich weitere Mittel aus dem Solidarpakt I. In den folgenden Jahren gelang es ihnen in unterschiedlichem Ausmaß, die Defizite zu verringern. Zu Beginn der Jahrtausendwende erfolgte ein neuerlicher Einbruch, infolge der rot-grünen Steuerreform sowie der nachlassenden Konjunktur. Anschließend erholten sich die Haushalte und 2007 und 2008 wiesen erstmals die Haushalte aller fünf Länder einen positiven Finanzierungssaldo auf. 2009 hingegen zeigten sich die Auswirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die Haushalte von Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen gerieten wieder in die roten Zahlen. Es bleibt festzuhalten, dass alle ostdeutschen Länder in den vergangenen Jahren Schwierigkeiten hatten, mit den ihnen zur Verfügung stehenden, seit 1995 großzügigen Finanzmitteln zu haushalten. Die anstehenden Einnahmenverluste werden sie somit alle vor schwerwiegende Probleme stellen.

Neben dieser Gemeinsamkeit gibt es jedoch auch beträchtliche Unterschiede: Die mit Abstand solideste Haushaltspolitik unter den ostdeutschen Ländern betrieb Sachsen, das die Konsolidierung früher und konsequenter als alle anderen einleitete. Infolgedessen steht Sachsen bei der Pro-Kopf-Verschuldung glänzend dar. 2009 war der Freistaat mit 1649 Euro pro Einwohner verschuldet, in Mecklenburg-Vorpommern ist die Pro-Kopf-Verschuldung dreieinhalbmal so hoch (5979 Euro), in Brandenburg (6930 Euro) und Thüringen (6959 Euro) mehr als viermal, in Sachsen-Anhalt (8368 Euro) gar fünfmal so hoch wie in Sachsen. Die unterschiedliche Verschuldung schlägt sich in einer unterschiedlichen Zinsbelastung der Haushalte nieder: Während Sachsen nur 2,3% seiner bereinigten Ausgaben für Zinsen aufwenden muss, sind es bei den vier übrigen Ländern zwischen 6,0% (Mecklenburg-Vorpommern) und 8,3% (Sachsen-Anhalt). Je stärker in einem Land Haushaltsmittel durch Zinszahlungen gebunden sind, desto größere Einschnitte werden im Bereich der disponiblen Ausgaben erforderlich sein. Aufgrund der zurückhaltenden Ausgabenpolitik in den vergangenen Jahren muss Sachsen weniger schmerzhafte Einschnitte vornehmen als die übrigen ostdeutschen Länder.

Am anderen Ende der Skala steht Sachsen-Anhalt, das neben Berlin, Bremen, dem Saarland und Schleswig-Holstein zu den Empfängern der Konsolidierungshilfen zählt, die von Bund und Ländern jeweils hälftig getragen werden.6 Sachsen-Anhalt hat sich somit trotz der hohen Einnahmen aus dem Solidarpakt in eine finanziell so prekäre Situation gebracht, dass es noch zusätzliche Leistungen der bundesstaatlichen Gemeinschaft erhält. Die Anreizwirkungen der Konsolidierungshilfen sind fatal, wie der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering erläutert:

„Mich ärgert, dass die Einteilung, wer zahlt und wer etwas kriegt, allein über den Schuldenstand und nicht über die Finanzkraft der einzelnen Länder erfolgte. Das führt zu einem absurden Ergebnis: Diejenigen, die wie Mecklenburg-Vorpommern sparsam gewirtschaftet haben, müssen zahlen. Und diejenigen, bei denen das Geld lockerer in der Tasche saß, bekommen Unterstützung. Im Klartext heißt das: Wir werden für unsere Sparanstrengungen bestraft. […] Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern gerade nach monatelanger Debatte entschieden, dass wir uns nicht weiter ein höheres Landesblindengeld als andere Bundesländer leisten können. Das war nur sehr schwer durchzusetzen. Und dann wird mal eben per Tischvorlage in der Föderalismuskommission beschlossen, dass wir über neun Jahre fast das Doppelte der beim Blindengeld eingesparten Summe an andere Bundesländer überweisen sollen. Das kann ich in Mecklenburg-Vorpommern niemandem erklären.“7

Handlungsoptionen für die Länder

Welche Schritte können die Landesregierungen einleiten, um die notwendige Konsolidierung zu erreichen? Die erste und wichtigste Maßnahme besteht in der breit angelegten Information der Bürger. Die Bürger müssen über die aktuelle Haushaltssituation aufgeklärt werden, über die anstehenden Einnahmenverluste und die notwendigen Ausgabenkürzungen. Stattdessen vermitteln viele Politiker immer noch den Eindruck, ein Mehr an öffentlichen Leistungen wäre finanzierbar. Mit derartigen Versprechungen nähren sie Erwartungen der Bürger, die vor dem Hintergrund der Haushaltslage eher früher als später enttäuscht werden müssen. Diese Enttäuschung kann zu einem weiteren Ansehensverlust nicht nur der Politiker, sondern auch der demokratischen Politik generell führen.

Nach der Aufklärung der Bürger muss ihre Bereitschaft geweckt werden, die notwendigen Kürzungen mitzutragen. Ausgabenkürzungen, in dem Ausmaß wie sie in den kommenden Jahren in Ostdeutschland notwendig sind, lassen sich nicht als Elitendiktat den Bürgern aufzwingen. Das zeigen auch die Erfahrungen, die in anderen Bundesländern im letzten Jahr gemacht wurden: Im Zuge der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 forderten die Protestierenden eine größere Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen. In Bayern (Nichtraucherschutzgesetz) und in Hamburg (Schulreform) gelang es durch Volksentscheide, kontroverse Beschlüsse der Landesregierungen zu revidieren. Die Landesregierungen sind daher auf das Einverständnis der Bürger angewiesen, dem eine Verständigung über nachrangige Bereiche staatlichen Handelns vorausgehen muss, in den zuvörderst gekürzt werden kann.

Nicht trotz, sondern wegen der tiefen Einschnitte, die in kurzer Zeit beschlossen werden müssen, ist das der geeignete Zeitpunkt, mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung zu experimentieren. Dafür können Elemente aus dem Konzept des Bürgerhaushalts entnommen werden, das in Deutschland bislang auf kommunaler Ebene erprobt wurde.8 Die Beteiligung der Bürger kann in Diskussionsforen organisiert werden, in denen sie gemeinsam mit Vertretern der Landesregierungen Vorschläge diskutieren oder in Form von Online-Plattformen, auf denen die Bürger Kürzungen vorschlagen und die Auswirkungen der Maßnahmen selbst errechnen können. Die Bürgerbeteiligung entlässt die Regierungen selbstverständlich nicht aus ihrer Verantwortung für die Haushaltspolitik, sie ist aber dazu geeignet, die Legitimität der unvermeidlichen Kürzungen zu erhöhen!

Erste Anhaltspunkte für die Debatte um mögliche Kürzungen bietet ein Vergleich der Pro-Kopf-Ausgaben in den einzelnen Politikbereichen zwischen den ostdeutschen Ländern und den finanzschwachen Westländern. In allen Bereichen, in denen höhere Ausgaben der ostdeutschen Länder vorliegen, gilt es zu fragen, ob diese Mehrausgaben verzichtbar sind, oder ob Sie beibehalten werden sollten. Höhere Ausgaben in einigen Bereichen müssen jedoch durch niedrigere Ausgaben in anderen Bereichen, die als solche klar benannt werden müssen, kompensiert werden! Es ist Aufgabe der Politik darauf hinzuweisen, dass nicht die Definition von Prioritäten, sondern von Posterioritäten auf der Tagesordnung steht. Ein Ländervergleich der Pro-Kopf-Ausgaben dient nicht der Kürzung nach dem Rasenmäherprinzip, vielmehr ist es die Aufgabe des Vergleichs, die Schwerpunktsetzung des eigenen Landes im Vergleich zu den anderen offenzulegen und damit empirische Informationen als Entscheidungsgrundlage für die Verteilung sehr knapper Ressourcen zu bieten. Bei dem Vergleich gilt es jedoch zu beachten, dass die finanzschwachen Westländer strukturelle Defizite aufweisen und sich somit ein überhöhtes Ausgabenniveau im Vergleich zu Ihrer Finanzausstattung leisten. Die ostdeutschen Länder sollten daher ein Ausgabenniveau anstreben, dass noch unterhalb desjenigen der finanzschwachen Westländer liegt.

Kürzungspotential in drei Bereichen

Abschließend soll auf drei Bereiche hingewiesen werden, in denen eindeutige Kürzungspotentiale bestehen. Auch hier gilt, dass in keinem dieser Bereiche zwangsläufig gekürzt werden muss – es muss nur klargestellt werden, wo, wenn nicht hier:

  • Demographische Rendite einfahren: Aufgrund der Verantwortung für Schulen und Hochschulen tätigen die Länder überproportional hohe Ausgaben für Schulkinder, Jugendliche und junge Erwachsene. In den Gemeinden fallen zudem überproportional hohe Ausgaben für die Betreuung der Vorschulkinder an.9 Infolge des wachsenden Altersdurchschnitts der Bevölkerung werden die Haushalte der Länder und Gemeinden tendenziell entlastet,10 während der Bundeshaushalt eine weitere Belastung erfährt. Diese demographische Rendite können die Länder einfahren, indem Sie die Bildungsausgaben parallel zur Bevölkerungsentwicklung reduzieren. Die öffentlichen Ausgaben würden dann pro Adressat konstant bleiben, also beispielsweise die Schulausgaben pro Schüler. Das setzt jedoch angesichts der populären Forderung nach einer Erhöhung der Bildungsausgaben erhebliches politisches Durchsetzungsvermögen voraus.
  • Personal in der Verwaltung verstärkt abbauen: Der Personalabbau in der öffentlichen Verwaltung kann unter anderem durch Kreisstrukturreformen vorangetrieben werden, die die Anzahl der Landkreise und kreisfreien Städte reduzieren. Sachsen-Anhalt (2007) und Sachsen (2008) sind mit gutem Beispiel vorangegangen, Mecklenburg-Vorpommern folgt in diesem Jahr. Brandenburg und Thüringen sind hier gefordert.
  • Öffentliche Ausgaben stärker auf Wachstumskerne fokussieren: Zwar wird die Bevölkerung in allen ostdeutschen Ländern weiter sinken, hinter diesem generellen Trend verbergen sich jedoch erhebliche regionale Unterschiede. So wird beispielsweise in Thüringen für den Zeitraum 2009 bis 2030 sogar ein Anstieg der Bevölkerung in Weimar (+9,5%), in Jena (+6,6%) und in Erfurt (+2,8%) prognostiziert. In allen anderen kreisfreien Städten und Landkreisen wird ein Absinken der Bevölkerungszahl vorhergesagt, am stärksten im Kreis Greiz (-32,6 %), im Kyffhäuserkreis (-35,3%) und in Suhl (-42,0%).11 Im Jahr der Wiedervereinigung hatte Suhl noch 54 700 Einwohner, 2009 waren es noch 39 500, für 2030 sind noch 23 000 Einwohner prognostiziert! Investitionen in die Infrastruktur und Ausgaben für die Wirtschaftsförderung werden diesen Prozess nicht aufhalten können. Es muss debattiert werden, inwiefern die Bürger in den ostdeutschen Ländern weiterhin dazu bereit sind, knapper werdende öffentliche Mittel nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen.
  • 1 Neben den SoBEZ im Korb 1 beinhaltet der Solidarpakt weitere 51 Mrd. Euro als überproportionale Leistungen des Bundes sowie als Zahlungen aus EU-Strukturfonds (Korb 2). Auch diese Mittel sind bis 2019 befristet und werden teils, wie die EU-Mittel, schon vorher deutlich gekürzt.
  • 2 Vgl. Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2010, Bundestagsdrucksache 17/3000, S. 13.
  • 3 Vgl. A. Hildebrandt: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer. Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen, Wiesbaden 2009, S. 57.
  • 4 Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Länder tatsächlich die Schuldenbremse einhalten werden. So weist beispielsweise Korioth auf die mangelnde Präzision der Regelung zu der konjunkturbedingten Kreditaufnahme hin: „Es gehört wenig Phantasie zu der Prognose, dass insbesondere die Länder, denen ansonsten die Verschuldung untersagt ist, den unbestimmten Rechtsbegriff so weit als möglich auslegen und anwenden werden – vielleicht aus fiskalischen Zwängen sogar müssen.“ S. Korioth: Die neuen Schuldenbegrenzungsregeln für Bund und Länder – symbolische Verfassungsänderung oder gelungene Schuldenbremse?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 11. Jg. (2010), H. 3, S. 276 f.
  • 5 Vgl. A. Hildebrandt, a.a.O., S. 67 ff.
  • 6 Die Konsolidierungshilfen werden als Hilfe zur Einhaltung der Schuldenbremse in den Jahren 2011 bis 2019 gewährt, die Empfänger sind zum Abbau ihrer strukturellen Finanzierungsdefizite verpflichtet.
  • 7 Interview mit Erwin Sellering: Ein absurdes Ergebnis. Der Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern wehrt sich gegen die geplante Föderalismusreform II, in: Das Parlament, Nr. 18-19/2009.
  • 8 Vgl. J. Franzke, H. Kleger: Bürgerhaushalte. Chancen und Grenzen, Berlin 2010.
  • 9 Vgl. H. Seitz: Die finanzpolitische Situation in Thüringen: Eine Untersuchung vor dem Hintergrund der demographischen Veränderungen und der Rückführung der Osttransferleistungen, Dresden 2006, S. 24 ff.
  • 10 Diesen Einsparungen stehen in gewissem Ausmaß Mehraufwendungen gegenüber, die Länder und Kommunen im Zuge des demographischen Wandels für die Kohorte der Älteren tätigen müssen, z.B. Hilfe zur Pflege, Unterstützung im Falle von Altersarmut.
  • 11 Vgl. Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung 2009 bis 2030 nach Kreisen (am 31.12. des jeweiligen Jahres) in Thüringen, in: http://www.tls.thueringen.de/seite.asp?aktiv=dat01&startbei=datenbank/default2.asp.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1213-y